Liebe wie Gurkensushi von Memphis (YUAL mit BxB-Oneshots!) ================================================================================ Kapitel 16: Nach Madrid ist nur der Himmel schöner -------------------------------------------------- Diese Geschichte ist gewidmet und ich hoffe, du freust dich etwas darüber. ------------------------ Ich ließ den Applaus über mich schwappen und genoss ihn. Es war ein berauschendes Gefühl auf einer Bühne zu stehen und ich wusste, dass ich nie genug davon kriegen würde. Ich verbeugte mich, wie es sich gehörte, meine Violine fest in der Hand, und trat dann von der Bühne auf. Im Hintergrund konnte ich noch hören, wie der nächste Teilnehmer angekündigt wurde, aber das interessierte mich nicht weiter. Ich war heute nicht gekommen, um mir meine Konkurrenz anzusehen. Ich wurde sowieso schon als deutscher Wunderknabe des Violinenspiels gehandelt und hatte es letzte Woche geschafft einen Vertrag bei einem bekannten, französischen Orchester zu unterschreiben. Ich hatte schon mehr erreicht, als die meisten anderen Teilnehmer hier und ich war auch sehr stolz darauf. Ich spielte seit ich vier war Violine und es war die Liebe meines Lebens. Ich hatte zu dem das Glück, dass meine Eltern darin eine sinnvolle Beschäftigung für mich sahen und mich darin immer unterstützt hatten. Zu dem hatte ich wohl das, was als wirkliches Talent bezeichnet wurde. Ich musste sagen, in dieser Hinsicht hatte es mein Leben gut mit mir gemeint. Hinter der Bühne ließ ich die üblichen Komplimente und Lob für mein Geigenspiel über mich ergehen und lächelte stets freundlich als Antwort. Dabei behielt ich aber im Hinterkopf, wie ich sie hab tuscheln hören, als ich heute zum Wettbewerb aufgetaucht war. Ich hasste Gerüchte, vor allem dann, wenn sie mich beinhalteten, aber nichts mit Musik zu tun hatten. Was zur Hölle ging irgendwem hier mein Privatleben an? Aber das musste man wohl in Kauf nehmen, wenn man irgendwie im Rampenlicht stand. Stören tat es mich trotzdem. Es war ganz und gar meine Angelegenheit, warum mein privater Geigenlehrer gekündigt wurde und meine Mutter ihm eine Anklage für sexuelle Belästigung eines Minderjährigen an den Hals gehetzt hatte. Als würde mich die Sache nicht schon so genug nerven. Ich fand auch, dass es meine Mutter etwas übertrieben hatte mit der Anzeige. Aber vermutlich wollte sie meinem Vater beweisen, dass sie sich sehr gut um mich kümmern konnte und ihn nicht brauchte. Was auch immer in den Köpfen von frisch geschiedenen Leuten vor ging. Passiert war eigentlich auch nichts. Mein Lehrer hatte Interesse an mir gezeigt und wenn er mein Typ gewesen wäre, wäre ich vielleicht sogar auf ihn eingegangen. Ich stand auf ältere Männer. Aber er hatte mir nicht in den Kram gepasst und ich hatte ihn schon als Lehrer nicht gemocht. Wenn ich allerdings gewusst hätte, dass meine Mutter so ein Drama aus der Angelegenheit machen würde, hätte ich gar nichts gesagt. Nur gut, dass sie nicht wusste, was ich mit meinem Geigenlehrer davor so alles angestellt hatte. Ich seufzte und fühlte mich etwas von der Umgebung und den Leuten hier genervt. Normalerweise mochte ich die Wettbewerbe. Sie waren eigentlich auch ein Teil meines Lebens, da mich meine Eltern seit ich sechs war auf jeden Wettbewerb in Deutschland geschleppt hatten. Ich hatte sogar ein paar Freundschaften hier geschlossen, aber im Moment störte es mich, hier soviele bekannte Gesichter zu sehen und zu wissen, wie sie sich die Mäuler über mich zerrissen. Und dann war auch noch Lorenz unauffindbar. Er war doch der Grund, warum ich überhaupt heute hier war. Ich wollte mich von ihm verabschieden, da ich ja die Welt der Wettbewerbe verlassen würden und damit die letzte Verbindung zu ihn verlieren würde. Wir hatten uns immer sehr gut verstanden, wenn wir uns auf den Wettbewerben getroffen hatten. Seine Eltern waren ähnlich ehrgeizig darin, ihren Sohn auf der Bühne zu sehen, wie meine. Und manchmal fühlte ich mich stark an mein Leben erinnert, wenn er mir von seinem vorjammerte. Uns unterschied eigentlich nur, dass ihm das ganz große Talent fehlte und er wusste das. Ich war immer wieder erstaunt, wie viel Ehrgeiz und Fleiß er für das Violinespielen mitbrachte, obwohl ihm klar war, dass er nie ein ähnliches Niveau wie ich erreichen würde. Ich hatte nicht mal das Gefühl, dass ihn das störte. Eventuell genoss er es auch nur auf der Bühne zu stehen. Beifall bekam er nämlich zu genüge. Er hatte vielleicht nicht mein Talent, aber das Aussehen, was mir fehlte. Er schien wie für die Bühne gemacht zu sein, mit seinen ebenmäßigen, aristokratischen Gesichtszügen, seinem leicht arroganten Lächeln und dem Funkeln in den Augen, das Humor und Intelligenz zeigte. Man konnte sagen, was man wollte, er sah einfach gut aus und hatte eine enorme Wirkung. Wenn man ihn sah, wusste man, dass er es einmal weit im Leben bringen würde, nur vielleicht nicht gerade als Violinist. Und ihm wollte ich Lebewohl sagen. Ich drehte mich nochmal suchend um und sah ihn dann gerade von der Bühne kommen. Okay, dass erklärte, warum er nicht zu sehen war. Ich hätte wohl doch besser darauf achten sollen, wer angekündigt wurde. „Lorenz!“, ich winkte ihm zu und er winkte zurück. Allerdings war er noch zu beschäftigt mit den Mädchen, die ihn umringten, um gleich zu mir zu kommen. Aber das waren wir gewöhnt. Es war schon immer so gewesen, dass wir nach einem Auftritt beide viel umschwärmt waren, ich wegen dem Talent, er wegen dem Aussehen. Ich stellte mich etwas abseits und wartete darauf, dass das Interesse um ihn etwas abflaute. Ich wusste nicht genau, was ich ihm sagen sollte, aber normalerweise verstand Lorenz sowieso, was ich von ihm wollte. „Hey, Henry!“ Er stand mit einem leichten Lächeln vor mir und ich grinste zurück. „Du hast heute direkt nach mir gespielt.“, stellte ich fest und er machte ein zerknirschtes Gesicht. „Ja, bei meinem Glück. Wenn man nach dir spielt, klingt alles wie gequirlte Scheiße. Also wenn ich heute nicht unter die besten Fünf komme, bist allein du Schuld.“ Ich lachte nur, Lorenz sorgte immer dafür, dass man sich in seiner Gesellschaft leichter fühlte. „Aber du hast heute echt krass gut gespielt. Mich wundert es nicht, dass sie dich in Frankreich genommen haben.“ „Du hast davon gehört?“, fragte ich überrascht. Aber eigentlich hätte es mir klar sein müssen. Ich würde es auch wissen, wenn Lorenz einen großen Vertrag unterschreiben würde, was eher unwahrscheinlich war. „Du kennst doch die Mädels, nur am Tratschen die ganze Zeit. Außerdem hab ich mir das fast gedacht, weil du die letzten zweimal nicht da warst.“ „Naja, Wettbewerbe waren das letztes halbe Jahr echt nicht drin. Ich war die ganze Zeit am Proben, dass es selbst mir fast zum Hals raushing.“ „Hab gehört, du hattest auch Probleme mit deinem Lehrer.“, sein Tonfall hatte einen anderen Klang angenommen und ich ärgerte mich ein bisschen darüber, dass er dieses Thema angesprochen hatte. Dummer Klatsch. Ich verzog etwas unwillig das Gesicht. Lorenz musterte mich aufmerksam und ich hatte das Gefühl, als wollte er was bestimmtes von mir hören und ich hatte keinen Schimmer was. „Naja, alles ein bisschen dumm gelaufen.“ Ich zuckte mit den Schultern. Ich wollte wirklich nicht über dieses Thema reden und schon gar nicht mit Lorenz. Es könnnte unser letztes Gespräch überhaupt sein und ich hatte keine Lust, es mit so einem bekloppten Thema zu verbinden. „Stimm es denn, dass... also, ich mein...“ Es kam selten vor, dass Lorenz um ein Thema rumdruckste, aber ich wollte gar nicht wissen, welche Ausmaße das Gerücht mittlerweile angenommen hatte. Am Ende hatte man ihm erzählt, ich wurde vergewaltigt oder so ein Dreck. „Mein Lehrer und ich hatten ein paar Differenzen, die nicht nur mit Musik zu tun hatten.“, gab ich schließlich neutral zurück. Mein Privatleben war wirklich meine Sache. „Aha.“ Lorenz runzelte die Stirn und ich wusste, dass er nicht zufrieden mit der Antwort war. „Er war ein bisschen zu aufdringlich, das wars.“ Nicht, dass er sich am Ende was komisches ausmalte. Ich zuckte nochmals mit den Schultern. Es war wirklich alles nicht so dramatisch, wenn meine Mutter es nicht so hochgepusht hätte. „Dir scheint das öfter zu passieren.“, kam es von Lorenz und endlich verstand ich, worauf er hinaus wollte. Auch wenn das damals eine völlig andere Situation gewesen war. „Oh, du hast uns damals gesehen?“, stellte ich peinlich berührt fest. „Naja... ja.“ Er war etwas rot geworden und ich war überrascht, dass er so verklemmt auf dieses Thema reagierte. Es war nur ein Kuss gewesen, zwischen mir und meinem damaligen Geigenlehrer. Meiner ersten großen Liebe, wie ich damals dachte. Hm, war auch schon alles zwei Jahre her. „Das war aber was anderes, also er... ich... er hat mich nicht belästigt.“ Und ich merkte erst, als ich fertig gesprochen hatte, was ich ihm damit sagte. Ich Depp. Ich wollte Tschüss sagen und nicht „Hey, ich bin schwul und fand dich schon immer rattenscharf.“ Zum Glück hatte ich mir das mit dem Rattenscharf noch erspart. Es war ja nicht so, als wollte ich wirklich etwas von Lorenz. Klar, ich hatte mir schon öfter einen runtergeholt und dabei an ihn gedacht, aber das würde mir niemand bei seinem Aussehen verdenken und es war mehr das Verlangen nach etwas Unerreichbaren, als das ich ihn wirklich haben wollte. „Hm... ja, sah auch nicht so aus.“ Er zuckte unbestimmt mit den Schultern und mir kam das ganze Gespräch ziemlich komisch vor. Es wirkte fast so, als würde Lorenz die letzte Möglichkeit nutzen, um mich noch auszufragen, als hätte er das vorher nicht gewagt. Wir standen etwas unbehaglich da und ich hatte keinen Schimmer, was ich jetzt sagen sollte. Ich fühlte mich irgendwie wie ein Loser. Jetzt da er wusste, dass ich schwul war, hatte ich das Gefühl, als wüsste er zu viel über mich. Als könnte er auch sehen, dass mich in meiner Klasse alle für einen Freak hielten, der nichts konnte außer Geige spielen. Als wüsste er, dass ich bei dem französischen Orchester hauptsächlich deswegen unterschrieben hatte, um einfach von meiner kaputten Familie weg zu kommen. Als wäre ihm jetzt klar, dass ich in meinem Leben nichts hatte außer meiner Violine. All das löste dieses Schweigen zwischen uns aus. Es hätte doch nur ein einfaches Lebewohl werden sollen, kein Seelenfick. Dafür hatte ich nicht an diesem Wettbewerb teilgenommen. So sollte unser letztes Gespräch nicht aussehen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und hatte den Blick gesenkt. Ich hätte ihn im Moment einfach nicht in sein schönes Gesicht sehen können. „Wir werden uns wohl nicht mehr so oft sehen, oder?“, fragte er schließlich und ich schüttelte den Kopf. Würde ich mit Lorenz viel mehr verlieren, als ich zunächst dachte? „Du nimmst an keine Wettbewerbe hier mehr teil, oder?“, hakte er noch nach. „Unwahrscheinlich.“ Jedenfalls nicht bei den gleichen, wie er. Wir waren jetzt beide siebzehn. Ich gab ihm noch bis zu seinem Abitur, dann würde er das Geigespielen entgültig aufgeben. Ich glaube, das war ihm selbst klar und ich wollte ein Profi werden, ich war dabei es zu schaffen. Ich hatte meinen Blick immer noch auf den Boden gerichtet und sah, wie seine Schuhe in mein Blickfeld rückten. Er war auf mich zugekommen. Er legte seine Hand auf meine Schulter und ich fühlte mich unruhig. Seine Haare streiften meine Wange, als er sich zu mir beugte. Sein Atem streifte warm mein Ohr. „Ich werd dich vermissen.“, flüsterte Lorenz und hauchte mir einen zarten Kuss auf meine Wange, bevor wieder einen Schritt zurück ging und mich angrinste, als wäre nichts. Ich konnte ihn nur anstarren. Was zur Hölle war das gewesen? „Ich glaub, wir müssen wieder auf die Bühne, zur Preisverleihung.“ Er hatte immer noch dieses selbstsichere Grinsen im Gesicht und ich verstand gar nichts mehr. Ich musste sagen, ich verstand es bis heute nicht. Das Ganze war meiner Empfindung nach Jahrmillionen her und sonst wohl so ein Jahrzehnt. Gott, waren wir damals noch jung gewesen... Ich klappte meinen Geigenkasten zu, legte die Schnallen um und verließ damit das Studio. Keine großen Feiern mehr nach dem ich gespielt hatte, nur noch Arbeit. Ich hatte eine Aufnahme für einen Werbejingle gemacht. Dafür hatte ich Musik studiert... Ich ging mit langen Schritten zur Metrostation. In den Schaufenstern konnte ich meine Spieglung sehen und ich stellte fest, dass ich den Anblick mich mit einem Geigenkasten zu sehen immer noch mochte. Als Kind hatte ich mir vorgestellt, meine Violine war eine Waffe mit der ich die Welt retten konnte und vielleicht hatte ich immer gehofft mit dem Geigenspielen genau das zu erreichen. Mit der Musik gegen das Elend der Welt. Ich hatte es nicht mal geschafft, meine eigene Welt zu retten. Ich ging die Treppen nach unten in die warme, schlecht gelüftete Metrostation, steckte meine Karte in den Automat, um durch das Drehkreuz zu kommen und machte mich dann auf den unterirdischen Weg zu meiner richtigen Metrolinie. Vielleicht hatte ich mir sein Gesicht in der Menschenmenge letztens nur eingebildet. Wer weiß wie Lorenz jetzt aussah. Bestimmt noch so attraktiv wie früher, aber männlicher. Er hätte es sein können, ich war mir nicht sicher. Warum sollte Lorenz auf ein Konzert von mir kommen? Wahrscheinlich bildete ich es mir nur ein, weil ich es mir wünschte. Ich wollte in eine Zeit zurück, wo ich noch der aufstrebende Stern des Musikhimmels gewesen war und nicht der Depp, der sich von Agenten über den Tisch hatte ziehen lassen und mit den falschen Leuten zur falschen Zeit etwas am Laufen gehabt hatte. Es reichte leider nicht aus, überragend Geige spielen zu können. Man musste mehr im Leben leisten, mehr Glück haben. Das mit Glück hatte ich leider nie so drauf gehabt. Die Metro fuhr laut quietschend ein und brachte einen Schwung unangenehm warmer Luft mit sich. Es strömten Leute an mir vorbei aus den Türen und ich drückte mich durch sie hindurch, um in das Gefährt zu kommen, so dass es nicht ohne mich weiter fuhr. Die Zeiten waren hart, wer einen Platz finden wollte, musste sich durchkämpfen. Das war beim Metrofahren um diese Uhrzeit nicht anders. Ich war schon froh, dass ich mich an einer Stange festklammern konnte und nicht wie ein paar Unglückselige in die Mitte gedrängt worden war, wo man jede Kurve fast umgeworfen wurde. Das Leben war nicht einfach, wenn man kein Geld für ein Auto hatte. Öffentliche Verkehrsmittel waren gewöhnungsbedürftig, aber ich hatte nun schon über zehn Jahre damit zugebracht mich mit ihnen anzufreunden. Ich versuchte mir Lorenz in einer Metro vorzustellen und scheitere kläglich daran. Er war kein Mensch, der sich in einer U-Bahn oder dergleichen aufhalten sollte. Vielleicht hatte er sogar einen Chauffeur. Meine Mutter hatte mir vor kurzem erzählt, dass er nach seinem Studium das Geschäft seines Vaters mitleitete. Ich fragte mich, woher sie soetwas wusste, hatte aber keine Zweifel daran, dass es stimmte. Passte zu Lorenz. Er war schon immer ein sehr zielstrebiger Charakter gewesen und sehr ehrgeizig. Zu dem konnte ich mir gut vorstellen, dass es ihm lag eine Firma zu leiten. Er war eine Persönlichkeit dafür. Ich hörte eine Durchsage, die mir mitteilte, dass ich bei der nächsten Station rauswollte und kämpfe mich an einer alten Frau und einem dicken Kerl vorbei zur Tür. Mir war es schon mal passiert, dass ich mich nicht mehr rechtzeitig an den Leuten hatte vorbeidrücken können und erst an der nächsten Station rausgekommen war. Seit dem war ich etwas aufmerksamer, was das anging. Ich stieg aus und war froh, der drückenden Enge der Metro entkommen zu sein. Als ich die Treppen nach oben ging, raus aus der Station, hatte ich ein bisschen das Gefühl wieder am Leben zu sein. Zwei Straßen weiter lag meine WG, die ich mir mit einer Pianistin teilte, die mittlerweile mehr bei ihrem Freund wohnte als in unser Wohnung. Mir sollte es recht sein, mehr Ruhe für mich. Wenn ich es mir hätte leisten können, wäre ich schon längst in eine eigene Wohnung gezogen. Aber ich musste mein Geld gut haushalten. Es konnte schneller weg sein, als gedacht. Viel schneller. Ich betrat den etwas schäbigen Hauseingang und stellte drinnen fest, dass der Aufzug schon wieder nicht ging. Ich seufzte. In dem Fall war es definitiv ein Nachteil direkt unter dem Dach zu wohnen. Schöner Ausblick hin oder her, aber es gab Gründe warum Dachgeschosswohnungen billiger waren, als andere. Ich blickte den Treppenaufgang hoch und überlegte mir, ob ich mich nicht noch in das Cafe neben an setzten sollte, Kräfte sammeln. Ein Gedanke an mein leeres Portemoinnae sagte mir, dass ich es besser bleiben ließ. Als ich endlich im sechsten Stock oben war, war ich völlig außer Puste und fühlte mich etwas alt. In meinem Alter sollte man doch leichter die ganzen Stufen hochkommen, oder? Ich kramte immer noch kurzatmig mein Schlüsselbund aus den Tiefen meiner Hosentasche und schrack fürchterlich zusammen, als sich jemand hinter mir räusperte. Irritiert drehte ich mich um und bekam dieses arrogante Grinsen zu sehen, was mich schon die letzten Tage ständig beschäftigt hatte. „Lorenz.“, kam es überrascht von mir und ich wünschte mir, ich hätte bessere Klamotten an und frisch gewaschene Haare. „Hey, Henry.“ Seine Stimme klang einnehmend dunkel und in dem grauen Anzug sah er älter aus, als er war. Allerdings stand es ihm. Ich musste so schäbig neben ihm aussehen. „Tschuldige die Frage, aber was willst du hier?“ Nicht das ich mich freute, aber warum stand er hier vor meiner Wohnung, in Madrid. Es war nicht so, dass ich gleich um die Ecke wohnte. „Ach, ich war in der Gegend und ich dachte, ich mach einen kleinen Abstecher zu dir. Willst du mich nicht reinbitten?“ Er schaute kurz zur Türe und ich bemerkte, dass ich noch immer die Hand am Schlüssel hatte, der in der Tür steckte. „Äh, klar. Sekunde. Aber es ist nicht aufgeräumt.“ Das war noch untertrieben. Die Wohnung war ohne die pflegliche Bewohnung von Marie ein einziger Sumpf an Chaos. „Ich denke, damit kann ich leben.“ Er lächelte immer noch. Ich hatte keinen Schimmer, wie ich auf ihn reagieren sollte. Ich verstand nicht, was er plötzlich hier wollte. Wie er überhaupt wusste, wo ich wohnte. „Mein bescheidenes Heim.“ Ich machte eine auslandende Geste in unseren Hausflur und ich fand, dass bescheiden meine Wohnung ganz gut beschrieb. „Nett...“ Lorenz schaute eher skeptisch. Er war definitiv besseres gewohnt, aber nicht jeder konnte eine reiche Familie haben, die einen finanziell unterstütze. „Naja, keine Villa, aber besser als eine Brücke.“ Ich zuckte mit den Schultern und ging dann in das Wohnzimmer, um dort meinen Geigenkasten abzulegen. Lorenz folgte mir. „Kann ich dir was zu trinken anbieten? Ich hab Wasser... und eventuell noch irgendwo Saft.“ Wobei ich mir mit dem Saft nicht ganz sicher war, der könnte auch schon abgelaufen sein. Einkaufen war nicht so meine Stärke. „Nein, ist schon okay.“ Er schaute sich aufmerksam in der Wohnung um, so als würde er jede sich jede Einzelheit einprägen wollen. „Setz dich doch, das Sofa ist wirklich bequem.“ Ich deutete auf das verschlissene Ledersofa, das schon viele Jahre Hintern einen weichen Platz geboten hatte. Er setzte sich tatsächlich einfach hin und schaute dann grinsend zu mir hoch. Ich war immer noch irgendwie verwirrt von seiner Anwesenheit. Vielleicht sollte ich mich mehr freuen, aber gerade hatte ich Angst, dass irgendwas dreckiges in meiner Wohnung seinen Anzug anfallen könnte. Ich machte mich unnötig verrückt. Mit einem Seufzen ließ ich mich dann einfach neben ihm fallen. Ich konnte Lorenz nichts besseres bieten, wenn es ihm nicht gefiel, niemand hatte ihn eingeladen. „Deine Mutter hat mir erzählt, dass du jetzt in Madrid eine Anstellung gefunden hast.“, leierte Lorenz gnädigerweise ein Gespräch an. „Du hast mit meiner Mutter geredet?“, fragte ich etwas überrascht. Ich wollte nicht auf meinen „Beruf“ eingehen. Es war lange nicht das, was mir hätte bevorstehen können. Es war ein billiger, schlechter Abklatsch davon. „Ja, ich hab sie angerufen. Mir ist vor ein paar Wochen eine CD von dir in die Hände gefallen und ich hab mich gefragt, was aus dir geworden ist.“ Er sagte das in einem Tonfall, als wäre das völlig normal, deswegen nach Madrid zu kommen. „Sie hat mir dann auch deine Addresse geben.“ „Du bist aber nicht extra deswegen hier her gekommen, oder?“, ich hatte skeptisch die Stirn gerunzelt und hoffte für ihn, dass er Nein sagte. Er lachte allerdings nur. „Ich hatte sowieso mal Urlaub nötig. Man kann ja nicht die ganze Zeit arbeiten.“ Lorenz tat wirklich so, als wäre das alles total einleuchtend. Natürlich brauchte man mal Urlaub, aber deswegen flog man doch nicht einfach nach Madrid, um einen alten Bekannten zu treffen, mit dem man einen komischen Abschied hatte. „Ich wäre froh über mehr Arbeit.“ Ich seufzte und lehnte mich in mein Sofa zurück. Das war doch alles total verrückt. Wahrscheinlich hatte ich gestern Abend einfach zu viel gekifft und bildetete mir das alles nur ein. „Du warst schon immer einer, der nie viel Glück hatte.“, stellte Lorenz fest. „Ach, es gibt Leute, denen es schlechter geht als mir.“ Ich jammerte gerne, aber ich hielt nicht viel davon, mich selbst zu bemitleiden. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, um ihn ansehen zu können. Er hatte einen ernsten Gesichtsausdruck und ich hatte Recht mit der Annahme, dass er noch attraktiver geworden ist. Ob ich mit seine Aussehen in meinem Leben weiter gekommen wäre? „Sag mal, kann es sein, dass du vor ein paar Tagen auf einem Konzert von mir warst?“ Das hatte ich mich schon eine Weile gefragt und warum nicht die Gelegenheit am Schopf packen und mir die Chance geben, mich zu blamieren. Wahrscheinlich war er erst seit heute hier und wusste nicht mal, dass ich auch noch ab und an einen Auftritt hatte. „Du hast mich bemerkt?“, fragte er überrascht. Also war er es wirklich gewesen. Warum war er auf ein Konzert von mir gegangen, aber nicht gleich zu mir gekommen? Vermutlich war er jetzt auch nur kurz hier, um zu sehen, wie erbärmlich mein Leben geworden war. „Naja, es war ein sehr kleines Opernhaus.“ „Mir hat das Konzert sehr gut gefallen, es war schön, dich mal wieder live spielen zu sehen.“ Er lächelte mich an und ich musste an den kurzen, scheuen Kuss auf die Wange denken. Verstand ich es jetzt? „Du hättest Hallo sagen können.“, tastete ich mich an eine Antwort heran. Es gab einen Grund, warum er nicht gleich zu mir gekommen war, oder? „Ich war mir nicht sicher, ob du mich sehen wolltest.“, gab er schließlich zu. Lorenz hatte Angst gehabt mir gegenüber zu treten? Angst vor meiner Ablehnung? Ich musste anfangen zu lachen. Ich musste wirklich noch total zu sein, dass konnte nicht wahr sein. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, brachte ich unter Japsen heraus. Allein die Vorstellung, dass gerade Lorenz sich Sorgen machte, ich würde ihn nicht sehen wollen. So absurd. Er schwieg mich nur an und beobachtete mich dabei, wie ich ihn auslachte. Als ich mich beruhigt hatte, schaute er mich immer noch an. Sein Blick machte mich nervös. Ich würde gerne was dummes sagen und das Schweigen zwischen uns brechen. „Ich hab dich wirklich vermisst.“ Und wieder beugte er sich zu mir und gab mir einen Kuss. Sacht berührten seine Lippen die meinen und ich hatte das Gefühl, als wäre es wieder alles wie früher, keine zehn Jahre vergangen und nicht soviele Chancen verpasst. Es war gut, Lorenz hier zu haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)