Liebe wie Gurkensushi von Memphis (YUAL mit BxB-Oneshots!) ================================================================================ Kapitel 1: Liebe wie Gurkensushi -------------------------------- »Hey, an was denkst du gerade?«, dringt es an mein Ohr und ich schaue irritiert zu ihm auf. Wir sitzen auf seinem Bett in seiner kleinen, mülligen Wohnung und hatten gerade unglaublich miesen Sex. Das weiß er, das weiß ich. Aber es stört niemanden von uns. Sex ist nicht alles. »Suppe«, antworte ich schließlich. »Suppe?« Er ist etwas verwundert. »Willst du welche?!« Soll ich es ihm erklären? Mein Lebensrezept? Es schmeckt wie schales Bier in einer schlecht gewürzten Tütensuppe. Am liebsten würde ich es wegschütten, aber was blieb mir dann noch? Vielleicht versteht er es ja. Mit solchen Gedanken kann er so seltsam sein, wie ich. Allerdings will ich ihm nicht sagen, dass er mein schales Bier ist. Ich bin vielleicht taktlos, unsensibel und schlecht gewürzt, aber selbst für mich wäre es etwas gemein, ihm so offen meine Meinung über unsere Beziehung ins Gesicht zu schleudern. Er hat es sich schließlich nicht ausgesucht, seltsam zu schmecken. Ich schüttle etwas verspätet den Kopf. Er ist es gewöhnt, dass meine Antworten manchmal dauern und oft kurz ausfallen. Genau genommen, hat er sich mit vielen meiner Eigenheiten arrangiert. Ich erhebe mich vom Bett und suche nach meiner Hose von gestern. Das Problem ist hierbei nicht, dass keine Kleidungsstücke zu finden sind. Ich habe nur keinen Schimmer, welche mir gehören. Wir geben beide nicht sonderlich viel auf unsere Klamotten, Hauptsache sie passen, sind bequem und nicht unmöglich zu kombinieren. Wobei ... ich habe auch schon ein leuchtend oranges Hemd in seinem Schrank hängen sehen, was sich ordentlich mit seiner roten Krawatte beißt. Ich hoffe für ihn, er hat das noch nie zusammen getragen. Bei seinem schlechten Geschmack wäre es durchaus möglich. Hm, diese Jeans hat gewisse Ähnlichkeit mit meiner. Ich schaue auf die Größe. Okay, dann eben nicht. »Bleibst du noch ein bisschen?« Manchmal verstehe ich ihn nicht. Findet er nicht auch, dass einfach alles an uns unpassend ist? »Wir sind eine verdammt schlecht schmeckende Suppe.« So, ich habe es doch gesagt. »Sind wir?« Er scheint zu überlegen, ob es eine Beleidigung ist. Über die Aussage selbst scheint er sich nicht zu wundern. Immerhin kennen wir uns nun schon einige Jahre. Auch wenn wir die meiste Zeit nicht damit verbracht haben, uns irgendwie näher zu kommen und schon gar nicht sexuell. Ist ja auch nur eine begrenzt gute Idee, wir sind wirklich mies im Bett. »Schon...« Ich habe keine Lust ihm mein Konzept mit dem Lebensrezept zu erklären. Er wird sich auch mit dieser billigen, einsilbigen Antwort zufrieden geben, schließlich weiß er prinzipiell was sie zu bedeuten hat. »Was für eine Suppe?« Er klingt amüsiert. Er weiß was es bedeutet, aber er ignoriert es einfach. »Ich weiß nicht... so eine Fertigsuppe, die nach nichts schmeckt und in die man dann betrunken abgestandenes Bier gekippt hat.« Das ´Betrunken` ist übrigens ein ganz wichtiger Punkt. Als wir das erste Mal miteinander geschlafen haben, waren wir nämlich ... nicht betrunken. Wir hätten es aber sein sollen. Es wäre eine schöne Ausrede gewesen. Es hätte gezeigt, wie unvernünftig das alles ist. Und das wollte ich mit dieser Aussage noch mal unterstreichen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er diesen subtilen Hinweis versteht. »Keine Fischsuppe?« Er hat sich bauchwärts auf das zerwühlte Bett gelegt und beobachtet mich, wie ich noch immer versuche rauszufinden, welcher dieser vielen Hosen denn meine ist. Es ist schon die dritte, die mir nicht passt. Warum zur Hölle gibt es hier überhaupt soviele Hosen?! »Wie kommst du auf Fischsuppe?« Ich habe erst einmal Fischsuppe gegessen und kann mich ehrlich gesagt nicht mehr an den Geschmack erinnern. Wieso sollen wir Fischsuppe sein? Das ist unlogisch! »Weil du mein Karpfen bist.« Es ist eine Unverschämtheit, dass er das mit so einem ernsten, unschuldigen Blick sagen kann, so dass man meinen könnte, er redet nicht totalen Blödsinn! Karpfen?! »Blub.« Eine dumme Feststellung verdient eine dumme Erwiderung! »Ja.« Er strahlt über das ganze Gesicht. Wir sind ganz bestimmt keine Fischsuppe! Oder Fischsuppe schmeckt absurder, als ich immer dachte. »Du bist mein Karpfen der Liebe, mein Koi.« Ich und ein Zierkarpfen?! Ich fühle mich beleidigt - zumindest ein wenig. Außerdem macht er sich über mich lustig, über uns. Über eine Internetseite, in der einem erklärt wird, dass ein Koi immer noch ein Fisch ist und nicht die Abkürzung für Koibito, was im Japanischen wohl sowas wie ´Geliebte` heißt. Ich habe ihm die Website gelinkt, da er gerne abscheuliches Fanboy-Japanisch spricht und dabei nur halb so cool wirkt, wie er immer denkt. Verdammt, ich hätte ihm das nicht linken sollen! »Mir wäre neu, dass man Zierkarpfen zu Suppe verarbeitet.« Ich werde ihm nicht den Gefallen tun, tatsächlich darüber zu lachen. Vielleicht ein bisschen, innerlich, aber am Ende steigt ihm das noch zu Kopf und das ist in seinem Zustand sicher nicht gut. »Für mich ist unsere Beziehung sowieso eher wie Sushi.« Er hat sich auf den Rücken gedreht, zwirbelt einer seiner Haarsträhnen um seinen Finger und schaut dabei an die Decke. Ihm ist klar, dass er meine Aufmerksamkeit hat. Er genießt es, wie ich ihn so perplex anstarre. Wie kommt er auf Sushi?! Vielleicht hätte ich mich ja darüber wundern sollen, dass er über uns auch in Form von Essen denkt. Aber gerade Sushi? Sushi ist teuer, edel, etwas besonderes, Luxus! Und seit wann wird es aus Zierkarpfen hergestellt?! »Sushi?« Ich bin wirklich ehrlich schockiert. »Ja.« Sein Grinsen ist verträumt, aber auch sehr selbstgefällig, weil ich noch mal nachgefragt habe. Nur er kann so dämlich grinsen. »Also wenn dann allerhöchstens Gurkensushi.« Das ist wirklich das einzige Sushi, das ich mir bei uns vorstellen kann. Auch wenn das Rezept immer noch zu gut für uns ist, oder? Er schaut zu mir und lächelt. Ich stehe mit zwei Jeans in der Hand da und versuche weniger angetan von dem Lächeln auszusehen, als ich es tatsächlich bin. »Naja, mehr Luxus können wir uns sowieso nicht leisten.« Es klingt allerdings nicht so, als würde ihn das stören. Er sieht wirklich glücklich aus. Glücklich mit mir. Reicht ihm das, was wir haben? Unsere verschrobene Beziehung mit miesen Sex in seiner winzigen Wohnung? »Hey, komm her, mein Karpfen der Liebe.« Er setzt sich auf und zieht mich an sich, um mir einen kurzen Kuss auf die Lippen zu geben. Der Kuss schmeckt nicht wie Sushi, aber auch nicht wie schales Bier. »Dann bist du aber mein Gurkensushi!« Vielleicht hat er ja recht. Wenn Sushi wie Liebe ist, können wir uns wahrscheinlich nur die billige Variante leisten. Aber wenn man sich überlegt, ist doch Gurkensushi immer noch besser, als eine miese Suppe, oder? Kapitel 2: Luftzug ------------------ Ich lag mit geschlossenen Augen auf meinem Bett. Das beständige Summen meines Ventilators hatte eine einlullende Wirkung auf mich. Es war heiß und die kühle Luft, die mich immer wieder streifte war angenehm. Und meine Gedanken rotierten im Kreis, wie seine Blätter. Es würde sich nicht lohnen, euch meine Gedanken zu nennen. Sie waren ziemlich unwichtig, etwas zum Zeitvertreib, vermutlich. Vielleicht waren sie sogar so langweilig, dass ich wegen ihnen einschlief. Ich vergaß sie meistens, wenn ich wieder aufwachte, ähnlich wie meine Träume. Ich könnte euch darüber erzählen, wie sehr ich doch diese Hitze und diese Sonne hasste, wie es seit Jahren eigentlich jeder tat. Aber wisst ihr, manchmal war ich froh, dass ich eine Entschuldigung für meine Lethargie hatte. Im Winter war es die Kälte, im Frühling die vielen Wetterumschwünge, im Sommer die Hitze, im Herbst der Wetterumschlag. Nie war ich es, der an meiner Faulheit, meiner Müdigkeit, an meinem Überdruss Schuld war, zumindest wenn man mich danach gefragt hätte. Es war wichtig das richtige Bild nach außen hin zu repräsentieren, zumindest für die Allgemeinheit. Aber im Grunde wusste ich, dass es an mir lag, nicht am Wetter oder anderen seltsamen Gründen, die man gerne vorschob. Ich war sogar zu träge, um an meiner andauernden Lethargie etwas zu ändern. Aber mal ehrlich, es war doch auch viel zu heiß dafür, oder? Morgen war Schule, immer noch. Die Noten waren gemacht, ich fand es so sinnlos. Als Schüler geht man für die Noten in die Schule, erst später versteht man doch erst, dass es auch um das Wissen ging. Aber mir fehlte die Reife, um da ein Einsehen zu haben. Sie hatten meine Noten, es gab nichts mehr zu ändern, ich wollte meine Ferien, meine wohlverdienten Ferien! Immerhin hatte ich das Schuljahr bestanden, wie immer mit hängen und würgen. Aber ich war vielleicht faul und antriebslos, aber zumindest nicht dumm. Jedenfalls nahm ich das an, da ich bis jetzt mit dem Minimum an Arbeitsaufwand bis in die Zwölfte gekommen bin. Nie wiederholt, nie eine Woche ohne Fehltag. Das klang fast so, als sei ich stolz drauf... aber wisst ihr, ich hab nicht viel auf das ich mir etwas einbilden kann, wenigstens ein bisschen Intelligenz wollte ich mir zusprechen. Auch wenn ich manchmal glaubte, dass sie an mir verschwendet war, so wenig Ambitionen, wie ich an den Tag legte. Vielleicht hätte ein armes, fleißiges, ehrgeiziges, aber sehr dummes Kind mehr mit meiner Intelligenz anfangen können. Anderseits, wer weiß, vielleicht wäre es ein zweiter Napoleon, wenn es schlau wäre und wer würde das schon wollen? Also rettete ich die Welt in dem ich träge und schlau auf meinem Bett herumlag und die Punkte, die vor meinen geschlossenen Augenlidern hin und her sausten beobachtete. Es war doch zu heiß. Viel zu heiß. „Nicolai, Noah ist da, komm runter!“ Das war meine Mutter, Kommunikation funktionierte doch immer noch am Besten durchs Schreien und zwar durchs ganze Haus. Ich fand es praktisch. „Er soll hochkommen!“ Bewegen war viel zu anstrengend. Die Türe öffnete sich und mit ihr zog kurz ein frischer Luftzug durchs Zimmer wegen dem offnen Fenster, der war dann auch Schuld, dass die Türe mit einem Knall wieder zu schlug, als Noah die Türklinke los ließ. „Mein Archemann, sei gegrüßt!“, müde winkte ich ihm zu. Er lächlte mich kurz an, kickte dann seine Schuhe in eine Ecke, liess sich neben mir auf mein Bett fallen, um sich seine Socken von den Füssen zu ziehen und auch einfach irgendwo in mein Zimmer zu schmeissen, Gewohnheit. Und dann lagen wir zu zweit auf meinem Bett, starrten an die Decke und schwitzen. „Die eine Fliege verfolgt die andere jetzt sicher schon zehn Minuten, aber die eine fliegt immer wieder weg... nur um sich dann mit ner ganz anderen Fliege einzulassen, die gar nicht interessiert schien. Irgendwie unfair, oder?“ Heute war nicht der Tag für große Gedanken, heute war generell kein Tag für irgendwelche Gedanken. „Vielleicht kennen sich die zwei Fliegen schon von früher.“ „Möglich.“ Wir schauten kurz einander an. Er lächelte wieder. Eigentlich war es ja viel zu heiß, aber ich robbte ein kleines Stück zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf. Er wuschelte mir durch die Haare und dann starrten wir wieder an die Decke. Viel zu heiß. ----- Super Stylische Tolle Müsst Ihr gesehen Haben Illustration von Onichanjo dazu: http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1006307&sort=&sort_def=&sort_manuell=&datum= Kapitel 3: Dritte Reihe Wand ---------------------------- Kennt ihr diese Typen in der Klasse, die so ganz unauffällig irgendwo auf ihren Plätzen saßen und eigentlich von niemand so recht registriert wurden? Sie sahen nicht gut genug aus, um das Interesse der Mädchen auf sich zu ziehen, waren nicht schlau genug, dass sich die Streber für sie interessieren würde und hatten zu langweilig Hobbies, als das sich die anderen Jungs mit ihnen abgeben würden. Nun, darf ich mich vorstellen, ich bin Marcel, Brillenträger, braune Haare mit schlechter Frisur, sitze dritte Reihe Wand und neben mir mein bester Freund, zumindest irgendwie, Leopold. Wir verkörperten dieses Prinzip eines.... seien wir ehrlich, Losers. Ich glaub Leopold störte es, er redete auch ständig und versuchte damit Interesse auf sich zu ziehen, aber er redete nur mit mir. Er war nämlich ziemlich schüchtern. Ich konnte gut zu hören, ich fand still sein eigentlich ganz toll und meine Ruhe haben auch. Kriegt nicht das falsche Bild von uns, wir wurden nicht gemobbt oder geschnitten, die anderen unterhielten sich ab und an mit uns, aber mehr auf einer: „Kannst du mir mal den Radiergummi leihen?“ oder „Hast du Mathe?“ Ebene und mal ganz ehrlich, die waren ne andere Welt wie wir. Und mich störte das nicht im Mindesten. Ich wusste, ich würde mich mit Michelle nie über ihre Frisur unterhalten können oder mit Martin über Fussball, oder mit Bernhard über physikalische Gesetze. Ich wollte das auch gar nicht. Früher hatte ich auch eine Zahnspange, was mich noch seltsamer aussehen ließ, zum Glück hatte ich die wieder los. Ich fand sie lästig... das ich ein typisches „Zahnenspangen-Kind“ hatte mich damals allerdings auch gestört, ähnlich wie Leopold jetzt, wo er weiß das er auch ein Loser ist. Mir ist schon früh aufgefallen, was für einer ich bin und ich bin mittlerweile nicht mehr unglücklich darüber. Ich wusste worauf es im Leben ankam und das war sicher nicht, von jedem bewundert zu werden. Aber ich glaube, Leopold brauchte das manchmal, seine Bewunderung, vielleicht waren wir ja deswegen Freunde. Ich wollte einen Freund und er wollte einen Zuhörer. Es klang ganz fair und ich war zufrieden. „Marcel?“ Leopold piekste mich mit seinem Bleistift gegen den Unterarm. Etwas desorientiert blickte ich auf. Ich hatte wegen der Hitze schlecht geschlafen und versuchte zumindest mich möglichst wenig zu bewegen. Deswegen hatte ich meinen Kopf auch auf meine verschränkten Arme gelegt und bin weg gedämmert, während Leopold mir etwas erzählte. „Hngh?“ War meine Erwiderung. „Du hast mir nicht zugehört...“ Es war nicht mal ein Vorwurf, mehr eine Feststellung, hoffte ich. „Mhm.“ Ich legte den Kopf wieder auf meine Arme, behielt aber die Augen offen und schielte zu dem Anderen. „Du könntest wenigstens lügen.“ Okay, jetzt klang er vorwurfsvoll. Ich schloss die Augen. Leopold seufzte etwas deprimiert. Er mochte es nicht sonderlich, wenn ich keine Lust hatte mir etwas erzählen zu lassen. „Hast du denn heute Zeit?“ Oh, darum ging´s. Ich hätte vielleicht doch zu hören sollen. „Äh... denk schon.“, nuschelte ich noch immer etwas verpennt. Ich hatte immer Zeit, so traurig das klang, aber ich war nie verplant. Und oft kam Leopold einfach vorbei und wir saßen dann vor einer meiner Konsolen und zoggten irgendwas größtenteils schweigend. Seltsam, dass er mal fragte. Wisst ihr, ich hätte mir viel vorstellen können, wie dieser Nachmittag ablaufen würde. Zum Beispiel, dass wir größtenteils schweigend vor meiner X-Box sitzen würde und was niedermoshen würden, oder das wir mal wieder alle Episoden von Star Wars gucken würden, oder vielleicht sogar das wir mit meiner Mom dumme Plätzchen backen würde, aber das er SO ablaufen würde, hätte ich nicht gedacht. Ich saß auf meinem Bett und Leopold stand mit einem roten Gesicht vor mir und wartete. Naja, ich hab ehrlich gesagt keinen Schimmer auf was. Ich mein, was dachte er denn?! „Ich mag dich nur als Kumpel... nicht mehr.“, meinte ich schließlich. Also das... war mir wichtig, dass ihm das klar war. „Aber... aber...“, verstört und etwas hilflos sah er mich an. Er knetete seine Hände und seine Augen sahen gefährlich glasig aus. Wehe, der fing mir an zu heulen, er war hier derjenige, der seinen Mann stehen wollte... wie auch immer. „Also... es tut mir ja leid... aber ich dachte nie über dich, also... anders nach.“ Ehrlich nicht, ich hatte nie ein sexuelles Interesse an ihm gehabt und ich war überrascht, dass es andersherum der Fall war. Mir war nie etwas dergleichen aufgefallen und ich erinnerte mich auch an nichts in die Richtung. Er machte einen Schritt auf mich zu und ich rutschte ein Stück auf meinem Bett zurück. „Du weißt doch noch gar nich, also ob... vielleicht, also...“ Ich mochte nicht wie er schaute und ich mochte nicht, wie er vor sich hinstammelte. Noch weniger mochte ich, dass er nur noch auf meine Lippen zu starren schien. Was für eine beschissene Situation. Der Kuss kam auch weniger unerwartet, als man meinen könnte, deswegen konnte ich ihn auch ohne Probleme von mir stoßen. Und nun saß er hier heulend am Boden. Ich fühlte mich etwas überfordert. „Ach, komm schon, Leo... Können wir die ganze Sache nicht einfach vergessen?!“ Ich hatte da wirklich kein Problem damit, denk ich. Also irgendwie, wenn er mich nur nicht wieder küssen wollte. Er schüttelte nur den Kopf, wischte sich mit seinen Handrücken noch mal über die Augen und verschwand dann ohne aufzusehen aus meinem Zimmer. Der nächste Tag war dann etwas komisch, nun ja, etwas war untertrieben. Es war total komisch. Wir saßen nur schweigend da und konnten uns nicht ansehen. Leopold wirkte total verspannt und ich überlegte bei allem was ich tat zweimal, ob ich ihn damit irgendwie reizen könnte. Ich mochte die Situation nicht. Aber es wohl einer dieser Sachen war bei denen einfach mal Gras darüber wachsen musste und ich hatte Zeit, ich konnte es einfach ignorieren. Es hing von ihm ab. Nun ja, er hatte zwar gesagt, dass er mich mochte, aber ich war überrascht, dass er bis jetzt zwei Wochen einfach nicht mehr mit mir redete und mich komplett ignorierte. Und ich vermisste sein Gelaber und wie er immer mit Gesten, sein Erzähltes unterstrich und wenn er begeistert war ab und an mal was umschmiss. Ich sollte mich entschuldigen. Vielleicht war ja noch was zu retten, bestimmt sogar, wir waren seit drei Jahren gute Freunde, das konnte doch wegen so etwas nicht einfach kaputt gehen. „Hey...“, ich tippte ihm zaghaft auf die Schulter und er zuckte unter meine Berührung zusammen. Er schaute mich verschreckt an. Fuck, fühlte ich mich mies. „Also... also... sorry, wegen, also letztens. Wenn du willst, also... wenn es dir so wichtig ist, können wir... noch mal darüber reden.“ „Ich weiß nicht...“ Er starrte auf die Tischplatte und sah aus, als würde er gleich wieder losheulen und erst langsam wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn eigentlich verletzt hatte. Ich dachte irgendwie, ich war mir nicht sicher, was ich da gedacht habe, aber vermutlich, dass es nur eine Phase bei ihm war. Ihr wisst schon, wegen den Hormonen und so. „Kann doch nicht mehr schlimmer werden.“, ich grinste schief. Ich war schlecht mit Worten. Er schaute mich jetzt direkt an. „Also willst du noch mal darüber reden?“ Ich nickte und hoffte, dass ich mir den hoffnungsfrohen Unterton in seiner Stimme nur eingebildet hatte. „Heute?“ Ich nickte wieder nur, mein Hals war gerade trocken. Ich wusste eigentlich gar nicht genau, was ich ihm sagen wollte, ich wusste nur, dass es nicht so weiterlaufen konnte. „Okay, also...“ Wir saßen beide auf meinem Bett mit Rücken an die Wand gelehnt. Ich fand das besser so, so mussten wir uns nicht unbedingt ansehen. „... du magst mich wirklich?“ Vielleicht hatte sich das wieder geändert. Aber ich sah aus dem Augenwinkel das er nickte. „Und... und... ich mein, du bist schwul?“ Er schaute wohl gerade in meine Richtung, ich wollte ihn jetzt nicht ansehen. „Ich denke schon...“ Jetzt erstmal Schweigen. Was sollte ich dazu sagen? Das waren wohl die Fakten, mein bester Freund stand auf mich. „Und was jetzt?“ Vielleicht hatte er sich ja was überlegt, wie es wieder wegging. So schwer konnte das doch nicht sein, oder? Ich wollte eigentlich nur wieder meine normale, gesprächige Freundschaft mit Leo zurück. „Ich weiß nicht... Ich dachte, du hättest darüber nachgedacht.“ „Oh...“ Verdammt. „Also, ich mein, schließlich wolltest du mit mir darüber reden.“ Ich konnte spüren, dass er mich beim Reden, die ganze Zeit anschaute. Ich glaube, heute würde er nicht einfach heulen. Heute schien er sicherer zu sein. „Ja, ich weiß... aber ich... hab eigentlich gar keinen Schimmer, also ich weiß nicht, was jetzt ist.“ „Du kannst es dir gar nicht mit mir vorstellen?“ Er klang leicht enttäuscht. Vielleicht sollte ich ehrlich sein, ihm sagen, dass ich es mir irgendwo, ganz vielleicht, ein kleines bisschen vorstellen konnte. Aber vielleicht machte ich ihm damit falsche Hoffnungen, was doch nicht fair wäre. Anderseits hatte er auch eine Chance verdient, es könnte auch irgendwie, eventuell, möglich sein, dass es klappen würde. „Willst du mich immer noch küssen?“ Ich war rot während der Frage, aber vielleicht war sie ja die beste Lösung für alles. Die Matratze wurde etwas runtergedrückt, als sich Leopold mehr zu mir beugte. Ich war etwas unruhig, anders wie beim letzten Mal und meine Lippen waren trocken, nervös leckte ich kurz darüber und sah sein Gesicht näher kommen. Er hatte seine Augen halb geschlossen, ich ließ meine offen und der Kuss war kurz, hektisch und unerfahren. Aber vielleicht gar nicht so übel. Und jetzt schauten wir uns an. Wieder war das Erwarten in Leos Blick. „Naja, wird schon schief gehen.“ Ich lächelte ihm zaghaft zu und er erwiderte das Lächeln. Auch Loser aus der dritten Reihe an der Wand konnten mal etwas riskieren. Kapitel 4: Even a stopped clock gives a right time twice a day -------------------------------------------------------------- Ich saß in der Küche meiner Zwei-Zimmer-Wohnung und mein Blick wanderte unruhig zu der alten Küchenuhr. Sie ging nicht mehr. Sie ging schon nicht, als ich sie bei meinem Umzug mitgenommen habe und sie wird auch nicht gehen, wenn ich sie bei meinem nächsten Umzug mitnehmen werde. Sie sah ziemlich old-fashioned aus in meiner nigelnagelneuen IKEA-Küche und passte nicht zum Rest des Raums – tat sie aber nie. Ihr Zeiger waren auf drei Minuten vor halb neun stehen geblieben. Geforen in der Ewigkeit. Von 1440 Minuten am Tag ging sie zwei davon richtig, zwei ganze Minuten lang war sie eine ganz gewöhnliche, funktionierde Uhr, obwohl sie nichts tat. Manchmal dachte ich mir, dass sie Glück hatte, dass sie keinen Sekundenzeiger besaß, sonst hätte sie nur zwei Sekunden am Tag, an der sie recht hatte. Aber ich glaube, meiner Uhr war das eigentlich egal. Ihr war immer alles egal, sie musste sich ja um nichts kümmern. Nur zweimal am Tag erwartete ich von ihr, dass sie mir die richtige Uhrzeit sagte. Ich würde die Person umbringen, die auch nur daran dachte diese Uhr umzustellen oder sie gar wieder zum Laufen zu bringen. Ich liebte diese tote Uhr. Vermutlich gerade weil sie nicht ging. Ich schaute auf meine Armbanduhr mit Digitalanzeige. Es war Viertel vor Acht. Ich griff zu meiner Zigarettenschachtel und zündete mir eine Kippe an. Ich inhalierte gierig den Rauch und bließ ihn dann etwas ruhiger wieder aus. Schlechte Angewohnheit, ich mochte sie. Auf meinem Küchentisch lag neben ein paar dreckigen Tellern, die Weihnachtskarte von meiner Schwester, die ich jedes Jahr bekam. Ich hatte sie nicht mal aufgeklappt. Meine Schwester und ich hatten seit Jahren eher nur sporadisch Kontakt. Es lag nicht daran, dass wir uns verstritten hätten. Wir hatten uns nur nicht viel zu sagen. Zweimal im Jahr hörte man voneinander. Am Geburtstag und an Weihnachten. Von meinen Eltern war die Karte noch nicht da. Mit ihnen verhielt es sich ähnlich, wie mit meiner Schwester. Ich hatte ja das Gefühl, dass sie ganz froh waren, als endlich beide ihrer Kinder ausgezogen waren. Nicht weil sie uns nicht mochten, aber seien wir mal ehrlich, sie hatten es immer gehasst Eltern zu sein. Sie hatten ihr bestes gegeben, uns großgezogen ohne das es uns an etwas materiellen gemangelt hatte und uns dann nach unserem Abschluss gleich die neue Wohnung gezahlt. Das war aber auch schon alles über zehn Jahre her. Wie die Zeit verging. Ich blickte kurz auf die Uhr. Ihre Zeit verging nicht. Ich war ganz froh, dass niemand auf ein gemeinsames Weihnachten bestand. Es wäre ein kühles, distanzieres Weihnachten gewesen. Ein Spiegel meiner Kindheit, vielleicht. Wir würden zu viert an dem antiken Esszimmertisch sitzen, schweigend das Festessen, dass meine Mutter von einem Service hätte kommen lassen, essen und dann pflichtbewusst zu dem fertig geschmückten Baum gehen, unter dem die Geschenke lagen, die eigentlich nur aus Geldgutscheinen bestehen. Wir hatten einmal so ein Weihnachten. Danach war klar, dass wir es nie wieder zusammen feiern würden. Nicht, dass wir es abgesprochen hätten, aber es war uns allen klar. Wir hatten nicht das Zeug zu einer Familie. Aber man konnte niemand einen Vorwurf machen, so war es nun mal. Ich drückte die halbgerauchte Zigarette in einem der Teller aus und erhob mich. Ich wollte aus der Küche raus und weg von der toten Uhr, die mich anklagend ansah. Ich gebe mir wenigstens die Mühe, zweimal im Jahr zu funktionern. Aber was tust du? Manchmal hasste ich die Uhr. Weil sie mich nicht verstehen konnte. Sie hatte die Zeit gefangen, aber ich konnte ihr nur nachrennen und niemals einholen. Aber die Uhr wusste von so etwas nichts. Sie war ein Geschenk meiner Großmutter gewesen zu meinem Auszug aus dem Elternhaus. Sie ging damals schon nicht. Ich wusste nicht warum sie mir das Teil geschenkt hatte und ich wusste auch nicht, warum ich so sehr an ihr hing. Vielleicht steckte sogar in mir ein bisschen Sentimentalität. Ich ließ mich auf die Couch in meinem Wohnzimmer fallen und schaltete den Fernseher ein. Es war Heilig Abend, für Leute wie mich, musste jetzt einfach etwas im Fernsehen laufen. Kurz überlegte ich, ob Niklas jetzt wohl auch fernsehen würde, aber dann dachte ich daran, dass er sicher bei seinen Eltern war. Er war ein Mensch, dem Familie immer sehr wichtig war. Letzte Woche hatte er nach drei Jahren Beziehung Schluss gemacht. Er klang ziemlich verzweifelt und schien die ganze Zeit darauf gewartet zu haben, dass ich ihm in seinem Entschluss zu gehen abhalten würde. Ich tat es nicht. Ich verbrachte Weihnachten sowieso lieber alleine. Allein mit mir und der Uhr. Meine erste Minute des Lebens in der ich richtig funktionierte war jetzt vorbei. Das spürte ich. Es würde wohl nochmal die gleiche Zeit dauern, achtundzwanzig Jahre, bis ich wieder meine Minute hatte, meine Minute, die drei Jahre andauern würde bis sie endete. Und dann würde wieder ein Heilig Abend sein und ich in der Küche sitzen und wissen, dass die zweite Minute meines Lebens nun vorbei war und ich nicht mehr weiter von Bedeutung war, weil ich nie wieder die richtige Zeit anzeigen werde. Ich seufzte und zappte mich gelangweilt durch das Programm. Es gab nicht wirklich etwas was ich sehen wollte. Überall kamen einem Filme entgegen die von glücklicher Familienidylle, warmherzigen Menschen erzählten. Und das wurmte mich gerade. Eigentlich sollte mir Weihnachten egal sein. Ich war für ein Fest der Liebe viel zu unsensibel, viel zu unterkühlt, zu wenig sentimental. Aber vielleicht wurde mir das nur einmal im Jahr klar, was für ein Mensch ich war. Und vielleicht war mir Weihnachten deswegen nicht egal. Vielleicht wollte ich deswegen alleine sein, keine Geschenke bekommen und keine lieblosen Karten von einer lieblosen Familie. Weihnachten war für mich das Fest der Einsamkeit und ich fand es irgendwie okay so. Unruhig stand ich wieder von der Couch auf, ich ließ den Fernseher einfach auf irgendeinem Sender laufen, vielleicht wollte ich keine Stille um mich herum haben. Nachher würde es still genug werden. Ich zündete mir wieder eine Kippe an und starrte auf die Uhr. Wenn sie nur wieder gehen würde, das dachte ich manchmal, wenn sie nur wieder ticken würde, dann wäre alles okay. Dann hasste ich mich wieder für den Gedanken, es war dumm so etwas zu denken. Die Uhr ging eben nur zweimal am Tag richtig. Dafür würde sie das auf Ewig tun. Ich fing an in der Küche auf und ab zu tigern. Ich war schon immer ein eher nervöser Mensch und die vielen Zigaretten und Tonnen an Kaffee, den ich in meinem Leben schon in mich reingeschüttet hatte, hatte den Zustand nie verbessert. Bei Zeiten hatte ich das Gefühl, als würde ich ungeduldig auf etwas warten. Vielleicht auf die Minute in meinem Leben, in der funktionierte. Ich wollte, dass die Uhr mir jetzt die richtige Zeit gab. Ich starrte auf die Digitaleuhr: 8:26. Zufrieden lächelte ich. Gleich. Es war als würde man ein Ticken hören und zeitgleich klingelte es an der Tür. Niklas hatte einen Hang zur Dramatik, er wusste wie sehr ich jedes Mal dieser Uhrzeit entgegen fieberte. So stand er vor der Tür, wie jedes Jahr, wenn er vor lauter Verzweifelung kurz vor Weihnachten mit mir Schluss gemacht hatte, weil er zu dieser Zeit nicht mit meinem unterkühlten Verhalten klar kam. Er hatte ein häßlich verpacktes Geschenk in seiner Hand und schaute mir mit einem schiefen Grinsen entgegen. Das Geschenk hatte er bestimmt selber verpackt, damit es mehr Liebe ausstrahlte. Wenn so seine Liebe war, war sie etwas schief und sehr schlicht. Aber eigentlich reichte sie mir. Ich lächelte. Vielleicht verstand ich auch die Sache mit der Uhr völlig falsch, vielleicht war einfach nur Niklas meine Minute Glück, die immer wieder kam. Kapitel 5: Orangensaft ---------------------- Okay, nennt mich faul, wenn ihr wollt, ich bezeichne es einfach `sparsam mit Energie umgehen`. Ich hatte nämlich nicht Energie im Überfluss und musste daher drauf achten, wie ich meine Energie verwendte, was mir meistens ganz gut gelang. Nur heute war einer dieser Abende bei denen ich mir wünschte, meine Energie besser eingeteilt zu haben. Wir hatten Samstagabend, kurz nach Ladenschluss und ich habe gerade eben festgestellt, dass ich mein letztes Trinken verbraucht hatte. Das einzige was es noch gab, war ein Tetrapack Orangensaft, den ich mir vor zwei Wochen gekauft hatte und am Verschluss schon einen hübschen Schimmelpelz zeigte. Kurz überlegte ich, ob ich es trotzdem trinken sollte, da meine Kehle sich trocken anfühlte und mein Mund irgendwie trockenklebrig. Allerdings war mein Ekelempfinden dann doch zu groß. Ich erhob mich von meinem Schreibtischsessel und tigerte Richtung Kochnische, um im Kühlschrank noch nach Trinken zu suchen. Vielleicht fand ich ja dort wider Erwartens noch etwas Milch. Aber mein Kühlschrank empfind mich mit frostiger Leere, was hieß, dass es morgen nur Nudeln ohne Alles gab. Klasse, war ja nicht so, dass ich nicht schon die letzten Wochen davon gelebt hatte. Kurz fiel mein Blick auf den Wasserhahn und kurz zog ich in Erwägung, ob ich nicht einfach Leitungswasser trinken sollte. Aber ehrlich gesagt, wurde mir immer schlecht davon. Entweder hatte mein Wasser keine Trinkwasserqualität, oder ich war einfach zu empfindlich was meine Getränkewahl anging. Ich war also noch nicht verzweifelt genug, um die Übelkeit für ein bisschen Flüssigkeit in Kauf zu nehmen. So durstig konnte ich also noch gar nicht sein. Ich öffnete etwas wahllos ein paar Küchenschränke in der Hoffnung, dass sich in ihnen etwas offenbarte, dass ich jetzt essen oder trinken konnte. Ich seufzte und schloss die Schränke wieder. Ich mein, wenn selbst im Geschirrschrank in dem ich niemals Essen aufbewahrte nichts mehr zu finden war, sollte mir klar sein, dass meine Suche vergebens war. So begab ich mich etwas miesmutig wieder zurück an meinen Schreibtisch und starrte auf meinen Monitor, der mir meinen hübschen, absolut weißen Deskopthintergrund mit ein paar bunten Icons zeigte. Pure Langeweile. Online war niemand mehr. Jeder hatte Samstagabend was besseres zu tun, als alleine rumzuhängen und zu verdursten. Also wenn man es sich recht überlegte war der Abend noch jung und ich könnte auch zu den Leuten gehören, die bessers zu tun hatten, als das was ich gerade tat. Ich griff nach meinem Telefonhörer und tippte die Nummer von Martin ein, die ich auswendig konnte. Freizeichen, kurz warten, dann wurde abgehoben. „Hey, Alter, ich bin´s!“, begrüsste ich ihn enthusiastisch. „Mhm... was willst du?“ Martin klang ja sehr begeistert. Er sollte sich mehr freuen, wenn ihn sein allerbester, treuste und coolster Kumpel ihn anrief. „Mir is langweilig, lass uns was zusammen machen!“ Immerhin hatte man doch Freunde für genau sowas. „Mann, ich hab keine Kohle, dass weißt du...“ „Wir müssen ja nicht weggehen, du bringst einfach was zu trinken mit und wir zocken was! Ach, komm schon, ich geh hier ein vor Langeweile.“, ich setzte meinen besten Jammerton auf bei dem man einfach Mitleid bekommen muss. „Oder vor Durst.“, gab Martin trocken zurück. Verdammt, der Kerl kannte mich zu gut. „Du bist meine letzte Rettung, du willst mich doch nicht hängen lassen, oder?! Du hast dann auch was gut bei dir... Außerdem is mir wirklich langweilig.“, jammerte ich weiter. Er musste einfach kommen, ich würde sterben ohne ihn. Ehrlich, ich mein das ernst. Zumindest ein bisschen. „Ich hab was gut bei dir?“ Seine Stimme klang dabei zwar lauerend, aber im Moment war mir das egal. Es bedeutete zumindest, dass er nicht mehr abgeneigt war vorbei zu kommen. „Ja, Mann. Also kommst du?“ Ich hörte, wie er schwer seufzte. „Meinetwegen, inner halben Stunde bin ich da...“ „Und vergiss das Trinken nicht!“ Hey, mit dem Satz klang ich halb so verzweifelt, wie ich tatsächlich war. „Ja, ja...“, und aufgelegt. Als ich das Klingeln meiner Wohnungstür hörte, lauerte ich schon davor, um sie stürmisch aufzureißen. Ich konnte vom Fenster aussehen, wenn jemand das Haus unten betrat, so wusste ich, dass Martin gleich vor meiner Tür stehen würde. „Ah, ich hab dich so sehnsüchtig erwartet!“ Mit den Worten riss ich meinem Gast einfach die Flasche Cola aus der Hand, die er mitgebracht hatte, trank einen großen Schluck daraus, schmiegte sie an meine linke Wange und fing an sie mit Liebkosungen zu überhäufen. Während Martin meine Wohnung betrat, die Schuhe auszog und die Jacke an meine überladene Gaderrobe hing. Er kannte mich, wenn ich durstig war und er wusste, dass ich Cola sowieso über alles liebte. Auch wenn ich feststellte, dass es Rumcola war. War ja klar, dass er nichts alkoholfreies mitgebracht hat. „Oli, du wärst so aufgeschmissen ohne mich...“, meinte Martin schließlich, während er mich mit einem skeptischen Seitenblick gemustert hat. „Wär ich, du bist mein Engel in goldener Rüstung, mein Ritter in Toga auf einem Esel. Hach...“ Noch immer drückte ich die Colaflasche an mich. „Redest du immer noch mit der Flasche?“ Er lachte leicht amüsiert. „Du verstehst meine Gefühle einfach nicht...“, meinte ich vorwurfsvoll. Ich hatte schon seit heute Mittag Durst, hatte da aber noch nicht daran gedacht, dass ich noch Samstagabend und Sonntag ohne Trinken überleben musst. „Möglich... Aber das beruht auf Gegenseitigkeit.“ Er grinste, nahm mir die Rumcola ab und ließ sich dann einfach auf meiner siffigen Couch fallen, um selber einen großen Schluck daraus zu nehmen. Ich verdrehte noch die Augen und schaltete dann den Fernseher und meine Spielkonsole ein. Deswegen war er ja hergekommen. „Welches Spiel?“ Ich schaute unentschlossen in das Fach mit meiner unübersichtlichen Spielesammlung. Ich sollte das echt mal sortieren. „Irgendwas, wo man nich denken muss...“ Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er wieder was von meiner geliebten Cola trank. Ich war doch derjenige mit Durst. „Schau nicht so, ich hab im Auto noch was, ich war nur zu faul den Kasten hochzuschleppen...“ Bei den Worten schlug mein armes, durstendes Herz höher. „Gib mir die Autoschlüssel, ich hol den Kasten und du suchst ein Spiel aus.“ Die Aussicht auf Trinken vertrieb auch den Gedanken daran, wie mühselig es war einen vollen Getränkekasten vier Stockwerke hochzutragen. Außerdem war ich ja jung und stark und so was sowieso ein Klacks für mich. „Klingt nach nem Plan... Die Schlüssel sind in meiner Jackentasche.“ Martin machte keine Anstalten sich vom Sofa zu erheben. Vermutlich würde ich doch das Spiel aussuchen müssen, der würde sich heute nicht mehr von der Couch weg bewegen. „Ich weiß.“ Ich kramte noch kurz in den Jackentasche, schlüpfte in meine festen Hausschuhe und sprintete die Treppen runter. Manche Leute würden staunen, wie schnell ich mich bewegen kann, wenn ich nur will. Was aber selten der Fall war. Es hatte sich heraus gestellt, dass Martin wirklich nur Alkoholisches besorgt hatte und ich einen Kasten Bier die vier Stockwerke hochschleppen durfte. Limo wäre mir eigentlich lieber gewesen, aber gegen Bier hatte ich sicher auch nichts. Aber wenn man es bedachte, war das wirklich etwas viel für zwei Personen. Naja, blieb wenigstens noch was für Morgen. „Woah, mich kotzt diese verfluchte Wolke echt sowas von an!“, motzte ich und nahm einen Schluck aus meiner nun sechsten Flasche Bier. Die Rumcola hatten wir schon in der ersten Stunde vernichtet, in der wir noch versucht haben uns virtuell zu prügeln. Aber irgenwie sind wir auf das Thema Oldschool gekommen und wie toll doch die damalige Pixelgraphik war, so dass ich kurzer Hand beschlossen hatte, meine alte Super Nintendo anzuschließen und uns eine pure Ladung Nostalgie zu geben. Aber ich fühlte mich langsam zu betrunken, um auch nur annährend tragbar in Mario Kart zu lenken. Ständig setzte ich mich in den Sand oder ins Wasser, bis einer dieser dummen Wolkenfuzzis Mitleid hatte und mich wieder auf die Fahrbahn setzte und dann auch noch was dafür kassierte! Echt peinlich. Beruhigend war nur, dass es bei Martin nicht besser lief und wir eigentlich nur noch darum battelten, wer letzter wurde. Nach endlosen Minuten fuhren wir zum Gottweiß wievielten Male durch die Zielgeraden und starteten das nächste Rennen. Diesmal wollte ich mit mehr Konzentration rangehen, konnte doch nicht sein, dass ich dieses dumme Ding nur wegen ein bisschen Alkohol nicht mehr lenken konnte! Verbissen starrte ich auf den Bildschirm und schaffte es diesmal sogar in Führung zu gehen. Vor mir war nur noch Wario für den ich auch noch eine schöne Überraschung hatte. Martin war auf dem letzten Platz, was ihn wohl nicht weiter kümmerte, da er nichts tat, um jemand einzuholen. „Ich hab mich von Lara getrennt.“, er klang bei den Sätzen unfair nüchtern. Zeitgleich bombte ich Wario von der Strecke und lag damit in Führung. „Na endlich!“ „Danke für dein Mitgefühl.“, knurrte er, überholte dabei Peach und legte eine Banane aus, die sie ins Schleudern brachte. „Du warst doch eh nicht in sie verliebt.“ Ich verstand nicht so recht, warum Martin eigentlich immer diese halblebigen, verlogenen Beziehungen anfing. Sex wäre mir nicht soviel wert, um mir solch eine emotionale Belastung anzutun. „Ich war immerhin ein halbes Jahr mit ihr zusammen und ich glaub, sie hat mich echt gemocht.“ Ich erwiderte nichts darauf und versuchte Mario abzuwimmeln, der an mir klebte wie eine Klette. „Sie hat voll geheult, als ich ihr gesagt hab, das Schluss is und mich dann angeschrieen, dass ich voll das Arschloch bin und keine Ahnung...“ Er hätte jetzt vermutlich etwas hilflos mit den Schultern gezuckt, wenn das nicht störend beim Spielen wäre. „Darum also der ganze Alkohol... Und ich dachte schon, du willst mich abfüllen.“ Ich hörte sein kehliges Lachen, was leider nicht sonderlich amüsiert, sondern eher bitter klang. Die gute Stimmung war entgültig weg, aber ich hatte das Gefühl, dass Martin eigentlich nur hier hergekommen ist, damit er mit jemand darüber reden konnte und wer eignete sich da besser, als der jahrelange, beste Freund?! Ich wusste allerdings nicht, was ich groß dazu sagen sollte. Immerhin war er an dieser Misere selber Schuld. Ich hatte ihm schon ein paar Mal gesagt, dass er solche Beziehungen sein lassen sollte, weil er sich damit nur selber weh tat und den Mädchen auch. „Du solltest echt mal deine emotionalen Differenzen ausgleichen...“ Ich fuhr durch die Zielgerade und ließ mich als Held der Stunde feiern, weil ich Erster war. Zumindest wurde ich im Spiel gefeiert, aber gerade kam ich mir echt mies vor. Was sollte ich denn machen, außer ihm dumme Ratschläge geben, die er selber eh schon weiß. „Wie denn?!“ Er klang verzweifelter, als ich dachte. Ich legte meinen Kontroller beiseite und lehnte mich auf das Sofa zurück, schaute in seine Richtung. Er hielt seinen Blick immer noch auf die Mattscheibe gerichtet und lenkte sein Fahrzeug noch durch die Zielgerade, Zweitletzter. „Naja, du musst wissen, was dich so fertig macht, dass du dich in die Beziehungen flüchtest.“ Ich fand, das klang unheimlich schlau und hätte von Lisa kommen können, die immer mit solchen Sprüchen ankam und gut mit mir und Martin befreundet war. „Ich weiß es doch...“ Martin seufzte. Wir wussten es beide. Eigentlich war das ganze Gespräch auch nur eine Farce, dass war uns beiden klar. Ich schaute an die Decke meiner Wohnung und spürte seinen Blick auf mir. „Dann änder was daran.“ Ich leckte leicht nervös über meine trocknen Lippen und nahm noch mal einen Schluck von meinem Bier. Zu ihm schaute ich nicht. „Ich kann nicht, dass weißt du...“ Er klang immer noch so verbittert. Ich verdrehte die Augen, trank noch mal einen Schluck und beugte mich dann zu ihm hinüber, um ihn zu küssen. Der Kuss schmeckte nach Bier und ich fühlte mich eigentlich viel zu betrunken, um einen guten Kuss daraus werden zu lassen. Aber mir war es so lieber, der Alkohol machte alles viel einfacher zu erklären, vor allem für mich. „Kannst du jetzt?“, meinte ich, als wir den Kuss beendeten. Meine Stimme war etwas belegt, was ich aber auf den Alkohol schob, Entschuldigung für alles. Er packte mich an meinem Shirt und zog mich wieder zu sich. Ja, Küssen war in unserem Zustand auch einfacher als reden. Ich muss gestehen, dass ich mich nicht mehr an allzu viele Einzelheiten erinnern konnte, ich wusste, dass wir noch eine Weile knutschten und rumgefummelt haben und irgendwann mal auf der Couch eingeschlafen waren, wobei ich mich einfach recht breit auf ihn gelegt hatte. Also es ist nicht wirklich was spannendes passiert, zumindest so rein körperlich gesehen, emotional wusste ich nicht. Am nächsten Morgen bin ich erst mal mit einem Brummschädel aufgewacht und fröstelte leicht, so ganz ohne T-Shirt schlafen, war selbst mit so einer warmen Matratze wie Martin nicht das Wahre. Mein Blick viel auf den Fernseher, auf dem immer noch Mario Kart darauf wartet, ein neues Rennen starten zu dürfen. Das hatten wir wirklich total vergessen, war mir aber im Moment egal. Ich hatte das Gefühl als würden Elefanten in meinem Kopf Samba tanzen. Außerdem war mir schlecht. Zu wenig trinken und essen und der Alkohol war wohl doch ein beschissene Mischung gewesen, ich setzte mich vorsichtig auf und spürte, wie mir alles hochkam. Fuck, war mir schlecht. Ich hechte in mein kleines, gammeliges Bad und konnte mich gerade noch rechtzeitig in mein Klo übergeben. Das widerlichste war ja, dass mein Magen komplett leer war und ich nur total eklige Magensäure kotze, die förmlich meinen Hals verätzte. Und wirklich, Magensäure macht doch Kotze erst so wirklich widerlich. Ich hing noch etwas über der Kloschüssel, als ich sicher war, dass mir nichts mehr hochkommen würde, schleppte ich mich in mein Zimmer zurück und suchte nach Trinken ohne Alkohol. Mein Blick fiel auf den Orangensaft. Orangensaft klang toll, ich nahm die Packung, schüttelte probehalber, ob noch etwas drin war, stellte zufrieden fest, dass das der Fall war und nahm einen großen Schluck davon. Erst beim Absetzen, als mir der schimmlige Rand in die Augen stach, erinnerte ich mich daran, dass das Zeug da schon seit ewigen vergammelte. So fand mich Martin dann kotzend in meinem Bad vor. „Oli?“, er lugte vorsichtig in das Badezimmer, ich winkte ab und schaute ihn kränklich von der Kloschüssel aus entgegen. „Ich werd mal gehen.“, meinte Martin schließlich. Ich nickte nur und versuchte meinen rebellierenden Magen damit zu beruhigen, dass ich langsam ein- und ausatmete. Ich wunderte mich wirklich, dass ich immer noch was darin hatte, das revoltieren konnte. Ich hörte wie er die Badezimmertüre schloss und seinen Mantel von der Garderrobe nahm, da erst ging mir auf, was er gesagt hat. „Martin!“, rief ich ihm noch nach, was ich sofort bereute, da ich von meiner Stimme noch heftigere Kopfschmerzen bekam. Er hatte schon den Mantel an, als er nochmal ins Bad kam. „Hm?“ Er wirkte etwas angespannt und nervös. „Bring mir was ohne Alkohol von der Tanke mit, wenn du in ein paar Minuten wieder auftauchst, weil du mit mir reden willst, und bitte keinen Orangensaft...“ Er lächelte mich kurz an und ich erwiderte es schwächlich.Wir verstanden uns. Kapitel 6: Eine Halle voll Ratten --------------------------------- Wir gegen die Welt! Aber wisst ihr was, die Welt war so verdammt klein und unsere Wut dafür um so größer. Warum wir wütend waren? Auf was? Ich glaube, dass hatten wir selbst schon vergessen, wenn wir es überhaupt jemals gewusst haben. Aber trotz all den Jahren loderte sie immer noch in uns, die Wut und der Wille zur Schlacht. Heute allerdings würde die Entscheidung kommen. Heute war der Tag des Kampfes. Ich schlug die Augen auf, du liegst neben mir und blickst in meine Augen, tief und ernst. Ich wusste, dass du auch gerade erst erwacht warst. Zeitgleich mit mir. Wir kannten uns schon so unglaublich lange, aber schon beim ersten Mal, als wir uns gesehen hatten, war es als wären unsere Seelen verschmolzen, vereint durch unsere Wut. Ich fuhr dir durch deine hellen Haare, du spielst mit einer meiner dunklen Strähnen, die sich in der Nacht immer aus meinem Zopf lösten. Es war noch niemand wach. Wir waren immer die ersten hier in der Halle, die erwachten, weil uns nur an diesem Zeitpunkt des Tages die Welt allein gehörte. Ich wollte dir soviel sagen, Dinge, die ich nie ausgesprochen habe, weil es nicht nötig war. Aber heute war alles anders, heute würde sich zeigen, wer stärker war. „Ich habe Angst.“, drang deine Stimme leise an mein Ohr und ich erstarrte. Ich zog meine Hand zurück. Angst?! Es war keines der Gefühle, die ich je gespürt hatte, als du in meiner Nähe warst. Angst... es tat weh. Du merkst es, dass du micht mit diesen Worten verletzt hast, gequält schließst du deine Augen. Du würdest das Gesagte nicht zurücknehmen, weil du es ernst meintest. Du hattest Angst vor dem was vor uns lag. Das war dein Tod, dass wusstest auch du. „Ich hatte schon immer Angst. Ich wäre diesen Weg nie gegangen, wenn ich dich nicht dadurch verloren hätte.“ Du lächelst traurig, immer noch die Augen geschlossen und die Hand in meinen Haaren. Mein Herz setzte einen Moment aus, die Welt, wie ich sie kannte, wandelte sich durch diese Worte. Ich hatte meine Welt um unsere Wut gebaut, daraus meine Kraft, meinen Mut, mein Alles geschöpft, aber deine Wut war nur bloße Angst, Angst zu verlieren, mich zu verlieren. Das änderte alles, das stellte selbst den Kampf in Frage. Für die Angst kämpfte man nicht, konnte man gar nicht. Wer Angst hatte sollte sich nicht der Schlacht stellen. „Ich werde heute nicht mit euch, dir, nach draußen gehen.“ Tränen liefen über deine Wangen und ich glaubte, in diesem Moment warst du mein Spiegelbild. Du würdest mich nicht begleiten. Wir wussten beide, was das bedeutete. Sanft fährst du über meine Wange und wischst meine Tränen weg. „Ich kann dich nicht sterben sehen und das wirst du.“ Er hatte recht damit, ich würde in erster Reihe stehen, schreien, die anderen anstacheln, zeigen, dass man kämpfen musste. Ich war ihr Anführer, wir waren ihre Anführer gewesen. Ich würde für sie sterben, für ihre Wut, ihren Kampfgeist und mit dir. Du ziehst mich in eine Umarmung und es war die erste überhaupt, die erste Umarmung bei der die Welt uns allein gehörte. Ich weinte immer noch, ich wollte nicht allein sterben. Ich dachte, es wäre okay, wenn du bei mir bist. Aber ohne dich konnte ich nicht sterben, wollte ich nicht. „Wird heute der Tag des Kampfes sein?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nicht ohne dich.“, flüsterte ich und wusste, dass ich damit unser aller Schicksal besiegelt hatte, wir würden nie gegen den Rest der Welt kämpfen, wir würden immer nur weiter ziehen, weiter und weiter. Die anderen im Glauben an den Kampf, wir im Glauben nicht ohne einander sterben zu können. Du erhebst dich von deinem Lager, dass immer dicht an meinem lag und ich tue es dir gleich. Noch hing das graue Morgenlicht in der verlassenen, alten Halle. Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, es war also noch Zeit. Wir erglommen die alte Stahlleiter, die wohl in ehemalige Büroräume führte, blieben oben auf einem schmalen Gitterrand stehen. „Ratten!“, brüllst du in die Halle und es kam Bewegung in die schlafenden Körper, die über den ganzen Hallenboden verteilt lagen. Eine unruhige, grummelige und angespannte Stimmung lag über dem Raum. Aber schließlich schauten alle in unsere Richtung. Was sie sahen, waren wie immer zwei Gegensätze, die sich wie Ying und Yang ergänzten. Du, der Größte und Stärkste von uns allen, niemals unsicher, ein Bild der Ausgeglichenheit und ich, soviel kleiner und schwächer als du, immer nervös, hektisch und besorgt hinter allen. Keiner unserer Ratten wusste wer von uns beiden die antreibende Kraft war, keiner schien überhaupt zu merken, dass wir zwei Personen waren. „Wir verlassen das Lager vor Sonnenaufgang!“, rufst du, so das es auch die Letzten hören würden. Man merkte, dass diese Entscheidung nicht die war, die sie hören wollten. Aber sie gehorchten, natürlich, sie würden uns sogar bis in den Tod folgen und weiter. Schließlich waren wir alles, was sie hatten. Als wir die Halle verließen, mit unserem Gepäck beladen, die Waffen unter abgewetzter Kleidung versteckt, spürte ich die Blicke der Rest der Welt auf uns. Sie wussten, wir würden nicht kämpfen und waren wohl selbst zu müde dafür. Sie waren einfach froh, dass wir den Ort verließen. Du schreitest voran, als wüsstest du, wohin es ging. Ich bin der Letzte, wir würden uns erst wieder nahe sein, wenn wir uns zur Rast niederlegen würden. Wenn wir beide als erstes erwachen würden und uns die Welt allein gehören würde, ohne dafür kämpfen zu müssen. ----- Eine "Hintergrundrauschen"-Erzählung Das dazugehörige Projekt ist in Arbeit und umfasst derzeit knapp 42.700 Wörter und ist unter "Hintergrundrauschen" hier auf Animexx hochgeladden. Diese Erzählung hat aber nichts mit deren Handlung zu tun und ist komplett unabhängig davon zu sehen. Aber auch hier ist die "Liebe wie Gurkensushi", auch wenn es sich doch stark von den anderen Geschichten unterscheidet. Kapitel 7: Endlosschleife ------------------------- Mein Leben ist eine Endlosschleife der Frustration. Ich wache auf, habe Magenschmerzen, schleppe mich ins Bad, seh beschissen aus, esse etwas, mein Magen revoltiert, denke an mein Leben, bekomme Kopfschmerzen und lege mich wieder in mein Bett. Alles Beschiss. Gekündigt hat man mir schon vor drei Monaten, ich bin schon überrascht von mir, dass mich dazu aufraffen konnte Arbeitslosengeld zu beantragen. Aber das Geld kam noch nicht, mit der Nachzahlung darf ich erst mal meine Schulden abbezahlen. Ich wälze mich im Bett hin und her, es ist zu warm, obwohl es Herbst ist und ich die Heizung erst anmachen werde, wenn ich meinen eigenen Atmen sehen kann. Sparen ist angesagt, außerdem ist es mir egal, wenn ich erfrieren würde. Nicole reißt die Vorhänge auf und öffnet das Fenster. Ich kann sehen, wie sie tief durchatmet. „Mach das Fenster zu, ich hab kein Geld für Heizung.“, murmle ich. Sie dreht sich zu mir um. Man kann deutlich erkennen, dass sie sich Sorgen macht, aber auch wütend ist. Ich drehe ihr den Rücken zu. Sie schnaubt. „Scheint dir Spass zu machen, dich so in deinem Elend zu suhlen.“, ihre Stimme ist bissig und ich weiß, dass sie genervt von mir ist. Ich antworte nicht. „So kann es doch nicht mit dir weitergehen!“ Erzähl mir was neues... „Hör auf mich zu ignorieren. Ich rede mit dir!“ Jetzt ist sie nur noch wütend. Ich ziehe die Decke näher an mich ran. Eine Hand auf meine Schulter, ich schüttel sie ab. Eine Türe geht auf und zu. Sie ist weg. Benjamin reißt die Vorhänge auf und schaut nach draußen. Er sagt nichts, er scheint einfach nur den Verkehr zu beobachten. „Du weißt warum ich hier bin.“ Ich stehe mit einem Bademantel über meine Schlafklamotten bekleidet im Raum. Ich bin gerade aufgestanden, als er gekommen ist. Ich verspüre ein Ziehen im Magen, ich konnte nicht sagen, ob es Hunger ist oder nur wieder die Schmerzen. Ich gehe zu meinem Bett und leg mich rein. „Ich hab mit Nicole gesprochen.“ Müde schließe ich die Augen, meine Magensäure schien sich durch meine Magenwände ätzen zu wollen. „Du brauchst Hilfe.“ Ich ziehe die Decke über meinen Kopf. Ein Klopfen an der Tür, das nach einer Weile zu einem Hämmern wurde. Ignorieren. Augen zu und warten bis die Person, die Geduld verliert. Jemand dreht einen Schlüssel im Schloss um. Gott, wie viel Leute hatten eigentlich noch den Schlüssel zu meiner Wohnung?! Ich wickle mich schon präventiv in meine Decke ein und starre die Wand an. Ich höre die Schritte, die sich meinem Bett nähern, daran vorbei gehen, zum Fenster. Gleich würde es hell werden und es kämen wieder Sprüche. Mein Herz klopft schneller, ich hasse diese Situationen. Es bleibt dunkel. Nicole, Benjamin, Irene und... Phillip. Die haben einen Schlüssel. Nicole war drei mal dagewesen, Benjamin sieben mal, Irene fünf mal, Phillip nie. Ich drehe mich um. Er schaut mir mit traurigen Augen entgegen, kein Lächeln auf seinen Lippen. Er versteht es, als einziger. Er würde nur einmal hier her kommen, heute, das einzige Mal. Die Matratze senkt sich unter seinem Gewicht. Ich ziehe ihn zu mir und küsse ihn, er erwidert es. Heute, nur ein einziges Mal. Die Vorhänge werden geöffnet. Ich drehe mich um und lächle zu der Person auf meinem Bett. Heute ist gestern und wird morgen sein. Er versteht es und die Magenschmerzen sind weg. Heute ist eine gute Zeit. Kapitel 8: Familienähnlichkeiten -------------------------------- „Warum hängt da eigentlich noch ein Foto deiner Exfrau?“, es klang misstrauisch, als würde André erwarten, dass ich ihm mit dieser Frage eröffnen würde, dass ich sie noch abgöttisch lieben würde. „Das ist Exfrau Nummer Drei und das hängt da, weil es eine schöne Fotographie ist. Model, du verstehst schon.“ „Dann findest du sie noch attraktiv!“ Dieser anklagende Ton. Ich war genervt. „Natürlich, schau sie dir an.“ Ich mein, welcher Mann, der auf Frauen stand, würde sie nicht einfach nur umwerfend finden?! Zumindest äußerlich. Als Person war sie ähnlich nervig, wie der Geselle, der sich gerade in meinem Bett befand. Leider hat sie diese Seite auch erst in der Ehe wirklich ausgelebt. Ärgerlich. Scheidungen waren immer so zeit- und nervenaufreibend. Zum Glück hatte ich mit der keine Kinder, die hätte ich mir finanziell nicht mehr leisten können. Immerhin musste ich noch Alimente an Kind Eins aus erster Ehe und Kind Zwei und Drei aus zweiter Ehe zahlen. Ich hasste Kinder. Abscheuliche Wesen und meine waren besonders schlimm. Zum Glück hassten sie mich genauso sehr, wie ich sie. So musste ich keines der Kinder in den letzten vier Jahren sehen. Also Kind Nummer Drei kannte ich eigentlich nicht, was auch besser so war. „Sie ist eine Frau.“ Er klang angewidert, als hätte ich ihm gerade erzählt, ich würde kleine Mäusebabies lebendig verspeisen. Soll übrigens eine Delikatesse sein, habe ich mir sagen lassen. Aber zu meiner Schande muss ich zugeben, dass ich es noch nie probiert habe. „Was soll sie sonst sein, ein Alien?!“ Ich verdrehte die Augen, während ich meine Boxershorts suchte. Sie müsste irgendwo in der Nähe des Bettes gelandet sein. „Ein Mann zum Beispiel.“ So schnippisch, wie ich es von keiner meiner Frauen kannte. Das war eine Leistung. „Ich gehe keine Lebenspartnerschaft mit einem Mann ein. Ich bin doch nicht irre.“ Die konnte man zwar nicht schwängern, aber immerhin würde es sowieso auf eine Scheidung hinauslaufen und das war mit Schwulen sicher noch komplizierter als sowieso schon. „Also fickst du sie nur.“ Uhu, Verbitterung. Hatte er etwa was anderes erwartet? Vielleicht hatte ich bei ihm auch etwas dick aufgetragen, um ihn rumzukriegen. Aber selber Schuld, ich habe nie erwähnt, dass ich mehr wollte als nur seinen Körper. „Schlaues Kerlchen.“ Ich hatte meine Boxershorts gefunden und damit auch gleich meine Socken, beides zog ich an, während ich den gekränkten One-Night-Stand in meinem Bett ignorierte. Ich musste in einer Stunde im Studio sein. Fotos machten sich immerhin nicht von alleine. „Komm, zieh dich an. Ich muss los.“ Ich ließ den Kerl sicher nicht in meiner Wohnung, wenn ich nicht da war. „Mir hat man ja gesagt, du seiest ein Flachwichser, aber so schlimm hätte ich es mir nicht vorgestellt.“ „Na dann, selbst Schuld.“ Das ich diesen Satz selbst noch an diesem Tag an den Kopf geworfen bekomme, hätte ich nicht erwartet. Das Shooting hatte heute lange, sehr sehr lange gedauert. Ich hatte schon lange kein mehr so untalentiertes Wesen vor meiner Kamera. Es war grausam. Als ich dann mit dem Aufzug meine Etage im Hochhaus erreichte, stand vor meiner Türe ein schlaksiger, junger Kerl mit wirren Locken und einer zu groß geratenen Nase, der mich abfällig musterte. „Was willst du?“ Gott, das war sicher wieder einer dieser nervtötenden, häßlichen Models, die denken, dass sie bessere Chancen hatten, wenn sie einen Fotograph direkt belästigen. „Dir auch einen guten Tag, Dad.“ Verdammte Scheiße, SOWAS habe ich in die Welt gesetzt?! „Ah, mein Sexunfall aus erster Ehe.“ „Selbst Schuld, besser verhüten sollen, oder?“ Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm, auch einer der Gründe, warum ich meinen Ältesten am Wenigstens mochte, er kam viel zu mehr nach mir. Ich schloss meine Wohnungstüre auf, ich hatte nämlich keine Lust auf Vater-Sohn-Gespräche zwischen Tür und Angel. Eigentlich hatte ich im Moment auf gar kein Gespräch Lust, aber es ließ sich wohl nicht vermeiden. „Also was willst du? Geld kann es nich sein, ich stopf deiner Mutter schon genug davon in den Rachen.“ Immerhin war ich ein korrekter Mensch und zahlte brav meine Alimente, zumindest seit den letzten sechs Jahren. Das Geld saß bei mir halt auch nicht immer so locker, wie man sich denken kann. „Bei dir wohnen.“ „Kommt nicht in Frage.“ Als hätte ich nicht schon genug am Hals und nebenbei, ich konnte Jugendliche noch weniger leiden, als Kinder. „Mom hat mich rausgeworfen.“ „Sie hatte sicher ihre Gründe und warum suchst du dir nicht einfach eine eigene Wohnung, du bist sicher alt genug dafür.“ Ich musste zugeben, dass ich nicht ganz genau wusste, wie alt er jetzt war. Achtzehn, neunzehn? Auf jeden Fall alt genug, nicht hier wohnen zu müssen. „Dad, ich bin fünfzehn.“ Oh Gott, wenn er fünfzehn war, dann war ich ja... langsam wirklich alt. Viel zu alt, um mich mit so jungen Dingern rumzuschlagen. „Alt genug...“ Er zog eine Augenbraue hoch und musterte mich abschätzig. Kleiner Bastard. „Ich ruf deine Mutter an.“, entschied ich kurzer Hand. Sie sollte sich um das Balg kümmern, immerhin hatte sie das die letzten Jahre auch ganz wundervoll gemacht, selbst wenn wir ein gemeinsames Sorgerecht hatten, auf das ich nie bestanden hatte. Ich ging in mein Büro in dem mein schnurloses Telefon stationiert war und neben vielen wichtigen Dokumenten auch mein privates Addressbuch. Gott, wie lang war es her, seit ich Manuela das letzte mal gesprochen habe? Jahre, mindestens. Mein werter Nachkomme war mir gefolgt, wirkte jetzt aber eine kleine Spur nervös, lehnte sich aber trotzdem arrogant und mit verschränkten Armen an den Türrahmen, nur sein Blick ging unruhig über das Zimmer. Ich tippte die Nummer aus dem Addressbuch in mein Telefon ein, vertippte mich, legte auf und tippte noch mal, diesmal langsamer. Ich sprach nicht gerne mit Ex-Frauen. Freizeichen, es klingelte, einmal, zweimal, dreimal, viermal. Was tat die Frau? Die konnte ihren Arsch doch wirklich mal zum Telefon schieben. „Meindel, Hallo.“, meldete sich die Stimme meiner Ex-Frau Nummer Eins. Sie hatten ihren Mädchennamen wieder angenommen. „Warum steht dein Sohn mitten in meiner Wohnung?“ Ich hasste es, wenn man um den heißen Brei herumredete. Alles Zeitverschwendung. „Marius?“ Sie klang etwas unsicher, als wäre sie nicht sicher, wer am Telefon war. Als wäre meine Stimme verwechselbar. „Hast du noch mehr Ex-Männer?“ Wundern würde es mich bei ihr nicht. „Einer von deiner Sorte reicht mir schon.“ Ein paar Worte und ich wusste wieder, warum ich mich von ihr hab scheiden lassen. „Warum ist Philip hier?“ „Ach, das kleine Arschloch ist bei dir? Sag ihm, ich will mein Geld wieder zurück! Und zwar jeden Cent.“ Soviel Abscheu in der Stimme kannte ich eigentlich nur von ihr, wenn sie mit mir oder über mich sprach. Ich schielte kurz in die Richtung von Philip, der Junge musste wirklich was angestellt haben. „Hol ihn wieder ab. Ich hab keine Zeit für sowas.“ Mir war es egal, welche Differenzen die beiden miteinander hegten, aber ich hatte keine Lust, sie ausbaden zu müssen. „Geh du deinen Vaterpflichten nach, wenn du unseren Sohn so versaut hast. Du kriegst auch die Alimente vom letzten Monat wieder, aber zu mir kommt das Balg sicher nicht mehr.“ Und aufgelegt. Na klasse, ich war müde und hungrig, ich hatte ein anstrengendes Shooting hinter mir und jetzt das. Mein Sohn blickte mich abwartend an, also eigentlich sollte es wohl sowas wie ein cooler Mir-doch-egal-Blick sein, aber er war einfach nicht alt genug, um das authentisch rüberzubringen. „Ich bestell chinesisch.“ Heute war nämlich einfach nicht der Tag, um noch groß darüber rumzustreiten und fürs Kochen hätte ich sowieso kein Essen da gehabt. „Von mir aus...“ „Wer hat gesagt, dass du was kriegst.“ Durchfüttern wollte ich diesen Bengel wirklich nicht und wenn man denen einmal was zum Essen gibt, wird man die nicht mehr los! „Dad!“ Pure Empörung. „Philip!“ Nachäffen ist kindisch, ich weiß schon, aber meine Nerven waren wirklich angeschlagen. Ich hätte ihn gar nicht erst rein lassen sollen, ich hätte ihm die Tür vor seiner viel zu großen Nase zuschlagen sollen. Ich hätte ihn nicht den Zweitschlüssel meiner Wohnung geben sollen, ich hätte ihn auch nicht von meinem chinesisches Essen lassen sollen und schon gar nicht hätte ich ihm sagen sollen, dass er sich vorübergehend im Gästezimmer niederlassen kann. Warum ich es trotzdem getan hatte, lag einfach daran, dass ich nicht die Zeit hatte mich irgendwie vernünftig darum zu kümmern, meinen verzogen Sohn rauszuekeln. Ich war schon froh, wenn ich Zeit genug hatte, morgens die Titelseite meiner Zeitung zu lesen, um zumindest ein bisschen zu wissen, was in dieser unterbeschäftigen Welt passierte. Eigentlich war ich froh darüber, soviel beschäftigt zu sein, ich liebe meinen Job und finanziell ist es auch nicht gerade schlecht, wenn man sich vor Aufträge kaum retten kann. Es würden bestimmt auch wieder magere Zeiten kommen, in denen man sich nach jedem Job die Finger leckt. Man durfte nicht so eitel sein und denken, dass man immer oben bleibt. „Dad, ich hab immer noch Hunger.“ Aber das war die Kehrseite, ich hatte keine Zeit dieses verfressene Monster los zu werden. „Dann koch was.“ Ich wollte jetzt einfach vor dem Fernseher sitzen und mich sinnlos berieseln lassen, heute hatte ich wenigstens mal den halben Tag frei und das wollte ich genießen. „Es ist nichts da aus dem was kochen kann. Manchmal frag ich mich, ob du die Küche eigentlich nur hast, damit es nicht so leer in der Wohnung aussieht.“ Hm... jetzt wo er das ansprach, ich konnte mich nicht mal erinnern, wann ich das letzte Mal eingekauft hatte, oder ob wir überhaupt Töpfe hatten. Wir... na klasse, ich hab mich schon damit abgefunden, dass er hier lebte. „Bestell halt was.“ Keine Zeit und keine Energie, das war es. Ich werde ihn nie wieder los werden! Aber wenigstens sorgte er für Essen... Und jetzt saßen wir hier, Vater und Sohn, und warteten auf unser Essen. So wie es aussah, mochten wir beide das asiatische Fast-Food. Ich hatte Philip ja auch die richtigen Gene dafür mitgegeben, Fett konnte uns nichts anhaben. Es herrschte Schweigen, der laufende Fernseh unterstrich das nur. „Sag mal, gehst du überhaupt zur Schule?“ Immerhin war er schon ein paar Wochen hier und wenn er nicht hin ging, könnte man mich dafür strafrechtlich belangen, was wieder über aus zeitraubend wäre. „Klar, bin von deiner Wohnung aus, sogar näher dran, als von Mom aus.“ „Aha.“ Wieder Schweigen. Manuela wohnte in einem Vorort, war billiger. Tz... als könnte sie sich mit den Alimenten nicht leisten mitten in der City zu wohnen, allerdings war es mir ganz recht, weil man sich so eigentlich nie zufällig über den Weg lief. Zu groß die Stadt. Das Klingeln des Essenslieferanten war ein Segen, erleichtert dem Schweigen zu entkommen, öffente ich dem Kerl die Tür. Junger, attraktiver Asiate, was für ein Klischee. Aber mir fiel erst jetzt auf, dass sich mit dem Teufelsbraten in meiner Wohnung etwaige Romanzen oder Bettgeschichten als potentiell schwierig gestalten konnte. Immerhin hatte ich keine Lust, das mich mein Sohn in einer prekären Situation total blamiert, in dem er sich negativ über meine sexuelle Orientierung auslässt. Noch ein Grund, meinen Sohn zu hassen. Schließlich brauchte ich dringend Sex, wenn ich erst mal wieder ein bisschen Luft dafür hatte. Kein normaler Mann kann soviel Stress ohne weg stecken. „Hey, Marius!“ Die Models waren gerade dabei sich umzuziehen und die Dekorateure mussten das Setting umgestalten, das hieß ich hatte mal eine Pause, die mir gerade durch mein gelockter Nachkomme vermiest wurde. „Was willst du hier?“ An meinem Arbeitsplatz hatte er einfach nichts zu suchen. Es reichte schon, dass er mir zuhause auf die Eier ging, zumindest etwas. Wobei ich zugeben muss, dass ich mir Jugendliche immer störender vorgestellt hatte. „Ich hab den Wohnungsschlüssel vergessen und bin nicht reingekommen, deswegen dachte ich, ich rette mich vor dem Erfrierungstod und komm hier her.“ „Wer hat dich überhaupt reingelassen?“ Ich arbeitete hier mit bekannten Leuten, wenn da einfach jeder dahergelaufene Kerl reinmaschieren konnte, fand ich das nicht allzu prickelnd. „Hey, ich gehör immerhin zu dir und das sieht man.“ Er grinste verschmitzt und die Familienähnlichkeit war unverkennbar, Mistkröte. „Wehe, du störst mich irgendwie beim Arbeiten, dann bist du deinen Schlafplatz sowas von los!“ Drohen war immer eine gute Option und wenn man mich irgendwie bei der Arbeit nervte, konnte ich wirklich unangenehm werden. „Keine Sorge, ich werd mich quasi unsichtbar machen, damit sich der alte Herr in Ruhe konzentrieren kann!“ Arschloch... Allerdings hielt er sich wirklich dran, während der Arbeit sah ich ihn kein einziges Mal in meiner Nähe rumlaufen, aber man sollte bedenken, dass ich auch nicht nach ihm gesucht hatte. Als das Shooting zu Ende war, tauchte er plötzlich wieder neben mir auf. Ein breites Grinsen im Gesicht, der Junge hatte sicher scheiße gebaut. Aber von nirgendwo erschien hysterisches Geschrei oder Gebrüll, sollte mir recht sein. „Was grinst du so?“ „Ich mag deinen Job.“ Das Grinsen wurde breiter und seine Augen waren auf irgendeinen Punkt hinter mir gerichtet. Ich drehte mich um, Miriam und Christie winkten uns zu. Ich zog eine Augenbraue hoch und mein Blick wanderte wieder zu meinem Sohn, der unverhohlen mit den zehn Jahre älteren Models flirtete. „Die sind nicht dein Kaliber, Jungchen.“ Zehn Jahre, verdammt noch mal. Wieder nur ein Grinsen, wenn er wirklich so nach mir kam, wie ich befürchtete, könnten sie sogar seine Kragenweite sein. Der Junge sah einfach nicht wie fünfzehn aus, das würde mir sicher noch Schwierigkeiten machen. Ich habe meiner Mutter auf jeden Fall Ärger gemacht in dem Alter. So ein Dreck. Eigentlich hätte es offensichtlich sein müssen für mich, oder? Vielleicht dachte ich es mir irgendwo auch, aber ein Schock war es trotzdem. Was vermutlich aber an der Situation lag, sehr wahrscheinlich. Und ich werde nie wieder in meiner Küche essen können, nie wieder. So ein Scheißdreck. „Verschwinde und zwar sofort, oder ich hetz die Polizei auf dich!“ Ich war normalerweise ein ruhiger, ausgeglichener Kerl, der selten laut wurde, aber das ging einfach zu weit. „Wegen was? Hast du etwa ein Problem mit uns?!“, kam es patzig zurück. „Du hattest Sex mit meinem Sohn, meinem MINDERJÄHRIGEN Sohn und das auch noch auf meinem Küchentisch!“ Andre wurde schlagartig blass. „Sohn?! Minderjährig?!“ Entsetzt starrte er zwischen mir und Philip her, der mit rotem Gesicht, gerade seine Hose hochgezogen hatte. „Das sieht man doch! Und jetzt mach dich davon, sonst zeig ich dich wirklich an.“ Wenigstens war mein Sohn nicht derjenige gewesen, der seinen Arsch hin gehalten hatte. Sonst hätte ich Andre wirklich angezeigt. Aber vermutlich traf meinen Sohn da auch eine gewaltige Mitschuld. „Also?“ Abwartend schaute ich an. Andre hatte die Wohnung zu seinem Glück so schnell wie möglich verlassen. „Was also?“ Mein Sohn musste sich kurz räuspern, es war ihm wohl doch peinlich in flagranti erwischt worden zu sein. „Was war das für eine Aktion?!“ Ich war selbst überrascht, wie väterlich ernst ich klang. Mein Sohn zuckte allerdings nur mit den Schultern. Der tat ja fast so, als wäre es normal Models von seinem Vater auf dem Küchentisch zu ficken. Aber langsam wurde mir auch klar, warum Manuela ihn rausgeworfen hatte. Sie hatte immer schon ein kleines Problem damit gehabt, wenn Männer mit denen sie näher zu tun hatte, etwas mit anderen Kerlen anfing. Alte Geschichte, war ihr wohl schon öfter passiert. „Er sah nicht schlecht aus.“ Plausible Erklärung, dass musste ich ihm lassen. Zumindest argumentierte ich auch so. „Du weißt schon, dass ich schon mal was mit ihm hatte?“ Das war die Rache für den Schock, den er mir verpasst hatte. „Naja, dachte ich mir schon...“ Wo war meine Rache? Mistbalg, nicht mal das gönnte er mir. Plötzlich lachte er. „Aber ich kann voll und ganz verstehen, warum du nicht mehr von ihm wolltest. Der Typ war ja echt mal anstrengend.“ Hm... der Apfel fiel wirklich nicht weit vom Stamm. Ich schlug ihn auf den Hinterkopf und schließlich lachten wir beide. Andre war wirklich ein emotionaler Volldepp gewesen. Und nun saßen wir hier im Wohnzimmer, aßen unser geliefertes Sushi und ich hoffte, dass nicht noch einer meiner Nachkommen hier auftauchen würde. Kapitel 9: Rosa Spangen mit Kätzchen ------------------------------------ Mein Problem hieß Richard. Nicht, das ihr denkt, ich würde meinen Problemen Namen geben. Richard war ein echter Mensch, um genau zu sein, mein Sitznachbar seit Anfang des Schuljahrs. Er saß nicht neben mir, weil er mich so unglaublich hinreißend und sympathisch fand, sondern weil nur neben mir noch ein Platz frei war. Was sehr wahrscheinlich daran lag, dass mich niemand unglaublich hinreißend und sympathisch fand. Unsere erste Unterhaltung lief in etwa so ab: »Hallo, mein Hübscher, ich heiße Kitty. Sei bitte zärtlich zu mir!« Ein Augenaufschlag mit getuschten Wimpern und mein überforderter Gesichtsausdruck als Erwiderung. Er hielt mir seine Hand hin. Nicht so zum Händeschütteln, sondern zum Küssen. Ich schüttelte die Hand trotzdem, was etwas albern aussah – aber nicht so albern, wie wenn ich sie geküsst hätte! Das war auch schon mein Beitrag zu unserer ersten Unterhaltung. Eine Geste zeigte doch sowieso mehr, als tausend Worte, oder? Nun, Richard als ein Problem zu bezeichnen, bloß weil er getuschte Wimpern und rubinrot lackierte Fingernägel hatte, wäre intolerant und oberflächlich. Allerdings hatte er auch buntgefärbte Haare, Lidschatten und er trug Mädchenklamotten! Das war keiner dieser schrillen Modetrends, bei dem es darum ging, dass die Jungs möglichst metrosexuell aussahen und die Mädchen nur verzweifelt versuchten, mit der Weiblichkeit der Kerle mitzuhalten. Nein, nein, Richard zog sich an, wie ein normales Mädchen sich anziehen würde - naja, wenn es über 1,80 wäre und ein Kreuz wie ein Marathonschwimmer hätte. Es sah einfach so unheimlich … falsch aus. Meine Mutter verstand nicht, warum ich so ein Drama daraus machte, dass Richard nun neben mir saß. Aber die verstand auch nicht, was das für eine fatale Auswirkung auf meinen sozialen Status hatte. So richtig beliebt war ich ja nie gewesen, allerdings hatte man mich zumindest in Ruhe gelassen. Mir war aber sofort klar, dass sich das ändern würde, sollte ich mit Richard mehr Kontakt haben, als nötig. Wir wohnten in einer Kleinstadt. Wenn man hier einen Punk sah, war das schon eine halbe Sensation. Richard war mehr als nur eine Sensation, er war eine Erscheinung. Im Gang folgten ihm alle Blicke, ein Tuscheln hing an seinen Fersen. Es gab niemand, der nicht sofort wusste, wer gemeint war, wenn man von dem komischen Typ im Rock redete. Genau genommen, hatte er erst einmal einen Rock getragen. Danach war es zu einer Prügelei gekommen. Ich glaube, Richard hatte gewonnen, zumindest kam er am nächsten Tag ohne Veilchen und gebrochene Nase in die Schule – und ohne Rock. Ob ihn wohl die Schlägerei eingeschüchtert hatte? Man konnte ja sagen, was man wollte, aber Richard war ein Löwenherz. Niemand sonst, würde bei uns in der Stadt soviel Mut beweisen und so herum laufen. Warum er das überhaupt machte, bliebt mir allerdings schleierhaft. Vielleicht hätten ihn die anderen ja gemocht, ohne die Schminke und seiner affektierten Art zu sprechen. Aber er schien es darauf anzulegen, nicht akzeptiert zu werden. Wir waren nun schon über einen Monat in derselben Klasse. Man könnte ja meinen, die anderen fänden es mittlerweile langweilig, sich über Richard das Maul zu zerreißen. Aber offensichtlich war er immer noch spannend genug, dass man über ihn tuscheln konnte. Heute trug er Spängchen in seinen blondierten Haaren – rosa mit kleinen, weißen Kätzchen darauf. Wenn ich ehrlich war, fand ich sie niedlich. Aber nur wegen den Katzen. Ich mochte Katzen. Das ging aber niemand etwas an. Was für ein Kerl mochte schon Katzen? Echte Männer fanden Hunde super, oder Reptilien, vielleicht auch noch Ratten. Aber bestimmt nicht Katzen. Das war so ähnlich, als würde ich sagen, ich stünde auf kleine, flauschige Hoppelhäschen – oder Richard. »Yaya, Schätzchen, nicht so grimmig schauen, das macht Falten!« Er tippte mit seinem Zeigefinger gegen meine Stirn und grinste mich dabei an. Verstört rieb ich über meine Stirn. »N-n-nenn m-m-mich n-nicht so!« »Aber Yaya passt doch so gut zu dir!« Er klimperte mit seinem Wimpern. War er einfach nur boshaft, oder sah er das Problem nicht? »T-t-t-tut e-e-s n-n-nich!« Ich hieß eigentlich Yannik, aber als mich Richard nach meinem Namen gefragt hatte, habe ich nur das Ya rausgebracht. Was für Richard Grund genug war, mir einen lächerlichen Spitznamen zu geben. Die anderen riefen ihn mir in den Gängen nach. »Darling, du musst an deiner Einstellung arbeiten.« Mitleidig schaut er mich an. So, als wäre ich an meinem Problem Schuld, nicht er. Bei mir war alles in Ordnung gewesen, bevor er kam. Vielleicht nicht besonders toll, aber zumindest okay. Niemand hat mich angestänkert, dumme Kommentare hinter meinem Rücken gemacht oder irgendwelche Gerüchte in die Welt gesetzt. Obwohl ich mir jede Mühe gab, nicht mit Richard außerhalb des Klassenraums gesehen zu werden, schien all sein Pink und Glitter an mir hängen zu bleiben. Da ist Y-y-ya-y-ya, der kleine Bimbo von dem Schwanzlutscher! Ich konnte niemanden die Nase brechen, mich ja noch nicht mal verbal wehren. Es war so unfair. Warum nur musste Richard neben mir sitzen? »M-m-muss i-i-i-i... n-n-n...« Frustriert gab ich auf. Es brachte nichts, wenn ich wütend war, brachte ich kaum ein Wort heraus. Richard zog nur eine seiner gezupften Augenbrauen hoch. Selbst er hielt mich für einen Loser. Gerade er von allen. Ich fühlte mich wirklich niedergeschlagen. Dieses Schuljahr hätte anders werden sollen. Meine Logopädin meinte, ich hätte große Fortschritte gemacht. Ich hatte mir fest vorgenommen, jetzt wo ich in der Oberstufe war und die Klassen neu zusammen gewürfelt wurden, endlich sozialer zu werden, mich mit ein paar Leuten anzufreunden, vielleicht auch mit einem Mädchen. Das einzige Mädchen, das mit mir zu tun haben wollte, war Richard und das auch nur aus Mangel an Alternativen. Wahrscheinlich war er der einzige in der Stufe, der noch unbeliebter war, als ich. Wenig tröstlich. In den Stunden ließ er mich in Ruhe, allgemein sagte er nicht viel. Die Lehrer versuchten ihn wohl auch zu ignorieren. Sie wollten nicht intolerant sein, aber loben konnte man Richard auch nicht. Gerade hat er seinen Nagellack ausgepackt und lackierte sich die Fingernägel. Meiner Meinung nach, war das reine Provokation. Herr Lech gab sich die größte Mühe nicht in unsere Richtung zu sehen. Das hatte für mich den Vorteil, dass ich nicht allzu oft aufgerufen wurde. Also konnte ich damit leben. »Hey, Schatzi ...«, flüsterte Richard. War es eine Schande, dass ich auf diese alberne Bezeichnung reagierte? Ich schaute zu ihm. Mit einem Grinsen schmierte er mir Nagellack auf meinen Arm. Einfach so, ohne jeglichen Grund. Warum tat er das? Ich schaute von dem roten Fleck auf meiner Haut in sein Gesicht. Er kicherte hinter vor gehaltener Hand. Sein Fingernägel leuchteten. »Yannik, beteilige dich am Unterricht!«, ermahnte mich plötzlich Herr Lech. Ich war zu überrumpelt, um mich zu rechtfertigen. Viel schlimmer noch waren aber die Blicke der anderen und ihr Tuscheln. Wie gerne würde ich ihnen alle entgegen schreien, dass sie mich in Ruhe lassen sollten. Dass sie keine Ahnung hatten von mir! Dass sie alle Idioten waren! Besonders Richard, der sich weiter unbeteiligt die Fingernägel lackiert. Stattdessen starrte ich nur auf den Tisch. Meine Augen brannten und meine Kehle war staubtrocken. Die Welt war nicht fair. Der Stundengong war keine Erlösung. Es bedeutete nur, dass ich eine weitere Pause dem gehäßigen Gerede der anderen ausgesetzt war. Ich würde gerne im Klassenzimmer bleiben, aber das war bei uns nicht erlaubt. Missmutig schlürfte ich aus dem Raum und ließ mir extra viel Zeit. In der Pausenhalle fühlte ich mich unter all den anderen immer verloren. Wie sie da standen in ihren Träubchen aus Getratsche und Kichern. »Yaya-Mausi, hier bist du!« Ich starrte Richard finster an. Was wollte er denn nun jetzt von mir? Mich vor der gesamten Schule blamieren? Sonst ließ er mich doch wenigstens in den Pausen zufrieden. »Ich weiß da ein ganz schnuckeliges Örtchen, wohin wir uns beide verziehen könnten. Nur du und ich, was sagst du?« »N-n-n-nein!«, würgte ich hervor. »Ach, warum denn nicht, Schatz? Wir könnten zusammen soviel Spaß haben!« Hinter mir hörte ich Gelächter. Es bohrte sich in meinem Rücken und ich zog unbewusst, die Schulter etwas höher. Ich wollte nicht weiter mit ihm gesehen werden. Warum verstand er das einfach nicht?! Ich schüttelte den Kopf, um mir mein Gestotter zu ersparen. Aber anscheinend war mein Widerspruch so nicht deutlich genug. Richard packte mich am Arm und zog mich einfach mit. Wehren half nichts, er war wirklich um einiges stärker als ich. Erst, als wir die Pausenhalle schon verlassen hatten, lockerte er seinen Griff und ich konnte mich los reißen. Er schaute mich mit einem komischen Blick an, nichts feminines oder schalkhaftes lag darin. Sein Blick war bitterernst und ich war viel zu wütend, um ihn anschreien zu können. Alle hatten sie geglotzt, gelacht und gespottet. Hat er das denn nicht gehört? Ich würde ihm am liebsten an die Gurgel springen! Nie wieder würde ich diese Schule betreten können nach dieser Peinlichkeit! Und verdammt noch mal, warum musste er mich so ansehen?! »Hier ist es doch viel schöner, als in dieser stickigen, vollen Halle, oder findest du nicht, mein Hübscher?« Es wäre, als er hätte seinen Transenschalter wieder umgelegt. Er lächelte mit seinen geschminkten Lippen. Ich konnte mich an den Anblick einfach nicht gewöhnen. Ich erwiderte nichts. Keine zehn Pferde würden mich wieder freiwillig nach drinnen bringen, nicht nach dieser Blamage! War das vielleicht seine Taktik gewesen, damit ich Zeit mit ihm verbringen musste? Gott, am liebsten wollte ich ihm die Zigarette, die er sich gerade angezündet hatte, in den Rachen schieben. Wahrscheinlich brauchte er mich nur, damit ich jetzt für ihn Schmiere stehen konnte. Aber ohne mich! Trotzig starrte ich die gegenüberliegen Wand an, die zur Sporthalle gehörte. Richard hatte mich zu einer der Raucherecken geschleppt. Aber wenigstens war hier wirklich niemand, der über mich lästern konnte. Wir schwiegen uns an. Zumindest versuchte Richard nicht, mich zu betatschen! Dann hätte ich ihn vermöbelt, auch wenn er stärker und größer war, als ich. »Yaya?«, durchbrach Richard die Stille. Ich hielt meinen Blick weiter auf den grauen Beton gerichtet. Wenn er dachte, ich würde tatsächlich freiwillig mit ihm reden, hat er sich geschnitten. »Ich dachte, wenigstens du wärst okay.« Seine Stimme war brummig und tief. Ich sah auf. Was meinte er damit? Er war doch derjenige, der einen Schaden hatte. Ich war völlig in Ordnung so! »Ihr seid hier alle so scheiß kleine Spießer!« Er pustete Rauch durch seine roten Lippen. Ich würde ihm gerne erklären, dass ihn niemand zwang, mit mir blöden Spießer rumzuhängen. Er hatte doch meine Gesellschaft gesucht, nicht andersrum. Und damit meinen Ruf ruiniert. Wundervoll. Stattdessen schnaubte ich nur. »Weißt du, wenn du nicht soviel auf die Meinung der anderen geben würdest, hättest du es auch viel leichter! Du stotterst doch nur, weil du so ein Schisser bist.« Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Gott, wenn Angst allein mein Problem wäre, hätte ich statt der Logopädin auch Kampfsport machen können. Wäre bestimmt auch bei den Anderen besser angekommen. Leider konnte ich ihm das nicht erklären. Außerdem war er doch derjenige, der es sich künstlich schwer machte. Er müsste nur diese albernen Klamotten ausziehen, sich die Schminke aus dem Gesicht wischen und gut war´s. Niemand würde sich dann noch für ihn interessieren. Ich konnte mir das Stottern nicht einfach so aus dem Gesicht waschen. »D-d-du h-hast k-k-k-keine Ahn-n-ung!« Ich hatte keinen Bock, das auf mir sitzen zu lassen. »Aber du?« Er blies Rauch in meine Gesicht, sieht mich abwartend an. Ich schluckte. »D-du h-h-hast es l-l-leicht, d-d-du k-k-ka-nst n-n-norm-norm-normal sch-sch-sprechen.« Richard lachte auf, dunkel und bitter. »Seh´ ich so aus, als hätte ich es leicht, Süßer?« Ich nickte. Er schnipste die Zigarette weg, trat einen Schritt auf mich zu. Unsere Gesichter waren sich ganz nah. Ich wich unwillkürlich ein Stück zurück. »Seh ich wirklich so aus, als hätte ich es leicht?!«, wiederholte er. Seine Stimme klang eine Spur aggressiver. »Hast du eine Ahnung, wie es sich anfühlt, ich zu sein? Glaubst du, mir fällt nicht auf, wie mich alle anstarren? Glaubst du, mir ist nicht klar, wie albern mich alle in diesen Klamotten finden? Aber ich bin eine Frau und dafür will ich mich nicht schämen müssen! Jetzt sag mir noch einmal, dass ich es leicht habe!« Ich konnte seinem Blick nicht mehr stand halten. So ein Gefühlsausbruch hätte ich von Richard nicht erwartet. Er wirkte immer so, als wäre ihm alles egal, als wäre seine kleine, rosa Welt einfach in Ordnung für ihn. Der Stundengong erlöste mich aus dieser unangenehmen Situation. Fluchtartig stürmte ich in das Gebäude. Ich traute mich nicht, noch einmal zu ihm zu sehen. Er kam an dem Tag auch nicht mehr in den Unterricht. Das Gespräch verfolgte mich noch, als ich abends in meinem Bett lag und Merlin hinter den Ohren kraulte. Er schnurrte in einem tiefen, gleichmäßigen Ton. Normalerweise lullte mich das Geräusch immer ein. Heute schwirrte mir zu viel im Kopf herum. Verstand ich, was Richard mir gesagt hatte? Warum sollte er keine Wahl haben? Niemand zwang ihn so zu sein, wie er ist. Niemand stand morgens im Bad hinter ihm und befahl ihm sich den Lippenstift ins Gesicht zu schmieren, oder die albernen Katzenspängchen ins Haar zu machen. Er konnte doch sein Problem nicht mit meinem vergleichen. Ich wälzte mich auf die Seite. Merlin miaute protestierend, da er so nicht mehr auf mir liegen konnte. Entschuldigend kraulte ich ihn unter seinem Kinn. Was war, wenn Richards Problem doch ähnlich wie meines war? Dass er nichts daran ändern kann, sich wie eine Frau zu verhalten – zu fühlen? Naja, eine anstrengende, riesige Frau, die nichts von persönlichen Freiraum verstand. Und süße Katzenspangen trug. Richard ignorierte mich am nächsten Tag, so wie alle anderen. Ich war eben doch nur ein Spießer, oder? Sein Verhalten und sein Aussehen fand ich immer noch befremdlich, aber irgendwie kränkte mich seine Meinung über mich. Ich wusste, wie es war, wenn man nicht zu den anderen passte, auch wenn man sich so sehr bemühte. All diese genervte Blicke, wenn ich an einer Silbe hängen blieb und mich nicht erklären konnte. War es so schwer nur ein bisschen Verständnis mitzubringen? Verstohlen musterte ich Richard neben mir. Er starrte desinteressiert nach draußen. Mir kam sein Makeup heute dezenter vor, kein knalliges Rot auf den Lippen und der Nagellack war blassrosa. Seine Haare hatte er einfach nach hinten zusammen gebunden. Irgendwie wirkte er traurig und farblos. Ich tippte ihn an. Überrascht schreckte er auf. Ich beuge mich ein Stück in seine Richtung, weil ich es nicht laut sagen wollte: »I-i-ich ma-a-g d-die Ka-ka-a-atzenspa-spa-angen.« Er lächelte zur Antwort, nicht affektiert, sondern erleichtert. Hinter uns ging das Gerede wieder los. Die Transe und der Stotterer, passten wir nicht fabelhaft zusammen? Kapitel 10: Das schönste Geschenk --------------------------------- Wenn noch einmal dieses total bekloppte „Last Christmas“-Gescheißere lief, würde ich den nächst besten erschießen. Also mal ehrlich. Ich war hier in einer Disco und die hatten nichts bessers zu tun, als Weihnachtsmusik zu spielen?! Gut, in zwei Tagen war Heiligabend, aber das war noch lange kein Grund, mich damit zu foltern. Ja, es gab auch Leute, die Weihnachten nicht mochten. Wobei, nicht mögen vielleicht übertrieben war, ich ließ es nur gerne an mir vorbeiziehen. Ich hatte kein Geld, um Geschenke zu machen und keine Freunde, um welche zu bekommen. Oh, diese tragische Welt! Da ich nicht so darauf stand, mich in Selbstmitleid zu ersäufen, hatte ich beschlossen, Party zu machen. Dazu musste ich die Wohnung verlassen, was wiederum zu Wärme führte, weil es überall wärmer war, als in meiner beknackten Einzimmerwohnung. Klar, „my home is my castle“. Aber Schlösser konnten verdammt zugig sein, und wenn man keinen Schlosswart hatte, der einem die kaputte Heizung reparierte, war man erst recht gefickt. Im Moment lief zum Glück wieder bessere Musik, zu der man richtig schön abgehen konnte. Ich spürte den Bass durch meinen Körper vibrieren und ließ mich in den schnellen Beat fallen. Mein Körper bewegte sich wie von selbst zu dem rasanten Rhythmus. So fühlte sich Leben an! Wie konnte eigentlich der gleiche DJ, der so geilen Sound auflegte, auch Weihnachtslieder spielen? Aber über so etwas wollte ich nicht nachdenken. Nachdenken und Tanzen vertrug sich nicht. Als ein unerträglich langsamer Schmusesong kam, torkelte ich zur Bar, um meinem Körper alkoholischen Nachschub zuzuführen. Wenn ich noch etwas betrunkener wäre, könnte ich vielleicht sogar zu einem Weihnachtslied tanzen und hey, das muss man erst mal hinkriegen! „Soll ich dich einladen?“ Eine dunkle Stimme war dicht an meinem Ohr. Ich zuckte erschrocken zusammen. Ein Typ mit irritierend blauen Augen lächelte mich an. Erster Gedanke: was für eine Schwuchtel! Zweiter Gedanke: der könnte Zahnpastawerbung machen. Er schaute mich immer noch erwartungsvoll an. Klar, der hatte mich ja was gefragt. Ein Leben hinter der Zeit, wenn ich besoffen war. Ich nickte. Einladen fand ich immer gut, sparte Kohle. Ich grinste zurück. So ein umwerfendes Lächeln wie meines würde sicher zu einem teuren Cocktail führen. Tatsächlich stellte mir Mister Strahlemann ein paar Minuten später einen hübschen, blauen Drink vor die Nase, dem man den Alkoholgehalt förmlich ansehen konnte. Ich prostete ihm zu, wir saßen beide an der Bar und beobachteten die anderen Leute. „Und was treibst du so?“, fing der Kerl ein Gespräch an. Was ich trieb? Im Moment gar nichts und vor allem mit niemanden, leider. Hm, Sex wäre eine coole Alternative zu dem Abend hier. Ich zuckte als Antwort nur mit den Schultern. „Bist von der gesprächigen Sorte, hm?“ Ich bekam ein amüsiertes Grinsen. Machte er sich über mich lustig? Ich schaute ihn mit einem skeptischen Blick an. „Was willst du eigentlich von mir?“ Ich war charmant wie immer. Schön und gut, er hatte mich eingeladen. Meine Gesellschaft schien er zu genießen, auch ganz toll. Aber prinzipiell würde ich sagen, der Typ wollte mich gerade abschleppen. Hm, ein Cocktail mehr und er hätte vielleicht eine Chance. „Weiß nich, du gefällst mir.“ Überraschend ehrlich. Er war auch nur leicht rot geworden bei dem Satz. Hm, schien wohl noch nicht solange geoutet zu sein. Entzückend. Ich nickte. Klar, wem würde ich nicht gefallen? Dieser gammelige Look, die Haare, die schon längst mal einen neuen Schnitt bräuchten oder zumindest mal irgendeinen Schnitt. Hatte ich mich heute überhaupt rasiert, oder gestern? Keine Ahnung. „Was machst du so, kurz vor Weihnachten alleine in einer Disse?“ Er versuchte die Konversation weiter am Leben zu erhalten. Er war so tapfer. „Weihnachten hassen“, antwortete ich knapp. „Oh ...“ Das schien ihn zu überraschen, als sei ich der einzige Mensch auf Erden, der das Fest der Liebe und Harmonie und Bla Bla Bla nicht ausstehen konnte. Bestimmt gab es noch mehr Leute wie mich und wir waren bestimmt nicht so wenige, wie uns die Medien immer glauben machen wollten. „Warum? Ich mein, du verbringst Zeit mit deiner Familie und Freunden, bekommst Geschenke und der ganze Kram. Das ist doch toll!“ Und da war wieder einer von diesen unverbesserlichen Weihnachtsanhängern. Ich runzelte die Stirn, schaute ihn an und fragte mich, ob er wusste, was für ein beschissen tolles Leben er hatte, dass er gerade diese Feiertage so mögen konnte? Aber vielleicht war er auch nur rundweg naiv. Ich verdrehte nur die Augen zur Antwort. Totaler Konversationskiller, aber ich konnte mir das leisten. „Nur Leute, die keine Freunde haben, reagieren so“, wurde mir erklärt. „Exakt.“ Ich hatte keine Freunde, und? Die kosteten Geld, Zeit und Nerven und nichts davon hatte ich. Niemand würde sich etwas anschaffen, was er sich nicht leisten könnte. Das wäre so, als wäre ich Hartz IV-Empfänger und wurde in einer Luxussuite wohnen. Ganz davon abgesehen, dass mir der Staat das nicht gestatten würde. Glaubt mir, damit kannte ich mich aus. „Komm, das ist nicht dein Ernst, oder? Du hast doch bestimmt noch Verwandte!“ Ich bekam tatsächlich Mitleid und war etwas verdutzt darüber. Er legte mir seinen Arm um die Schulter. Ich war viel zu irritiert, um überhaupt darauf zu reagieren. Verdammt, ich war nicht traurig darüber niemand zu haben. Wenn ich wollte, könnte ich mit zigtausend Leuten befreundet sein. So! Nein, ernsthaft, ich war eine tolle Persönlichkeit! Manchmal ... Ich schüttelte seinen Arm ab, hatte die Lust an ihm verloren. „Ich verpiss mich“, murmelte ich und verschwand Richtung Garderobe. Sollte er sich doch jemand anderen suchen und ihn mit seinem Weihnachtsscheiß zu nölen. Ich hatte auf jeden Fall die Schnauze voll und wollte heim. Und wenn ich meine kalte, eisige Wohnung einer kuschelig warmen Disse vorzog, sollte das wirklich was heißen! „Hey, warte doch mal!“ Nein, nicht ernsthaft, oder? Er war mir tatsächlich nachgelaufen. Ich seufzte, beschleunigte etwas mein Schritttempo. Was allerdings nicht allzu einfach war, da der Boden hier dank Schnee und Frost recht glatt war. Schlitternd erreichte mich der Typ, grinste mich an. War ihm nicht klar, dass er gerade volle Röhre bei mir abgeblitzt war? „Ich lass dich auch mit Weihnachten in Ruhe!Versprochen!“ Er lächelte mich an und ich hatte Angst von dem Strahlen seiner Zähne geblendet zu werden. Aber es war ein Angebot. „Du musst echt scharf auf mich sein.“ Er wurde wieder leicht rot um die Nase. So sah er jünger aus, als er eigentlich sein konnte, grinste dann aber frech. „Möglich.“ Ich schüttelte den Kopf. Komischer Kerl, aber wenn er nicht gerade über irgendwelche Feiertage redete, könnte er sogar okay sein. „Ich bin übrigens Dave.“ „Mhm“, nahm ich seinen Namen zur Kenntnis. Wahrscheinlich hieß er eigentlich David, deutsch ausgesprochen, und hoffte, dass er mit seinem Spitznamen cooler rüber kam. Mir war es egal. „Und du?“ Ich tat so, als hätte ich seine Frage nicht gehört. Es wurde doch nur alles kompliziert, wenn man sich näher kennen lernte. Mein Namen wäre schon zu viel Information. Außerdem war mir nicht nach Konversation. „Okay, dann erzähl ich dir einfach ein bisschen was über mich.“ Da war ja jemand unerschütterlich. Ich musste sagen, ich war fast beeindruckt von ihm. „Hm... was könnte dich interessieren?“ Er machte eine Pause, um mir eine Chance zu geben, mich noch in die Unterhaltung einzubringen. Ich ließ die Gelegenheit vorbeiziehen, so musste ich einen wahnsinnig aufregenden Monolog über mich ergehen lassen. Es war dermaßen spannend, dass ich schon wieder alles vergessen hatte, als wir vor meinem Wohngebäude standen. Was für eine Quasselstrippe. „Hier wohnst du?“, fragte er. Dachte er, ich wohne in einem Pappkarton bei den Punks, oder was? Von außen sah mein Wohngebäude gar nicht so schäbig aus. „Sieht so aus.“ Ich war in versöhnlicher Stimmung. Wenn das alles auf Sex hinauslief, wäre es wenigstens eine Entschädigung dafür, dass er mir mit seinem Gelabere beinahe ein Ohr abgeknappert hätte. Ich schloss die Eingangstür auf und sah, wie er zögernd davor stand. Ich konnte mir gerade noch meinem üblichen Anmachspruch „Ficken?“ verkneifen. Ich hatte das Gefühl, der würde bei … Dave - der Name klang schon etwas schwul - nicht ziehen! „Willst du noch mit hochkommen?“ Klang sogar nett, was ich da sagte. Ich war stolz auf mich. Er nickte schnell und folgte mir dann ins Haus. Ich ging zielstrebig auf den altersschwachen Aufzug zu und drückte den Knopf, worauf hin sich der Aufzug scheppernd in Bewegung setzte. Schweigend fuhren wir in den obersten Stock und gingen die letzten Schritte zu meinem geheiligten Reich, der Gammelwohnung. „Es ist recht kalt hier.“ Ah! Dave kurbelte wieder ein Gespräch an. „Die Heizung ist kaputt“, erklärte ich kurzangebunden. Sollte immerhin wissen, auf was er sich gerade einließ, nämlich in einer verflucht kalten Wohnung genagelt zu werden. Von mir, der auch noch extrem besoffen war. Hm ... selbst Schuld. Er schaute sich um, hatte immer noch seinen Mantel und seine Schuhe an. Konnte man ihm auch nicht verdenken. In letzter Zeit hatte ich auch mit einer Jacke und zwei Decken geschlafen, um nicht einem Erfrierungstod zu erliegen. Aber Sex mit so vielen Klamotten könnte kompliziert werden. Hm, vielleicht sollten wir die ganze Sache auch abblasen. Blasen ... wie auch immer. „Interessant hier“, murmelte Dave in Ermangelung eines echten Kompliments bezüglich meiner Wohnung. Er hatte immer noch große Augen, während er skeptisch mein wohl sortiertes Chaos betrachtete. „Schon klar. Du, ich bin zu besoffen für Sex. Ich würde sagen, du machst wieder die Fliege“, erklärte ich ihm die Sachlage. Es war kalt hier, ich war kein Stück geil und fühlte mich etwas schäbig, einfach weil der Kerl hier in einem nicht abgewetzten Mantel stand, eine gute geschnittene Frisur hatte und rasiert war. Ihr wisst sicher, was ich meine. „Oh.“ Er schaute mich erschrocken an. War ihm nicht klar gewesen, dass wir Sex haben wollten? Ich runzelte die Stirn. Fuck! Für heute war das echt zu viel. Ich schob ihn vor meine Wohnungstür, murmelte einen „Schönen Abend noch“ und schloss sie hinter ihm ab. Ich wollte nur noch pennen. Da war er nun, der verheißungsvolle Tag aller Tage der Christenheit, oder was auch immer. Ich hatte für Heiligabend und die folgenden Tage einen grandiosen Plan. Er hatte mit viel Gras zu tun und mir, der das Zeug rauchte. Ich hatte mich gestern noch bei meinem freundlichen Dealer aus der Nachbarschaft gut eingedeckt. Dafür war mein letztes Geld draufgegangen, aber der Monat war ja bald um, das ganze Jahr. Naja, irgendwie so. Und jetzt saß ich hier, drehte mir einen Joint und hoffte, dass es mir von der Glut etwas wärmer wurde. Meine Finger zitterten etwas beim Drehen. Was recht beschissen war, weil mir ständig etwas von dem Stoff auf den Couchtisch bröselte, anstatt auf das Paper. Aber ein Vollprofi wie ich würde sich davon nicht abhalten lassen. Gerade als ich das Teil fertig gedreht hatte, klingelte es an der Tür. Wer auch immer das war, wusste nichts von Anstand. Schließlich war eine heilige Zeit und so, da störte man niemanden in seiner Einsamkeit. Ich schaute von meinem Joint zu Tür und wieder zurück, war eine harte Entscheidung. Was wenn es die Bullen waren? Aber an Heiligabend waren die sicher auch daheim und taten so, als wären sie glücklich, hoffte ich zumindest. Anderseits, das Gesetz schlief nie! Ich glaube, das viele Kiffen machte mich etwas paranoid. Ich schob das Zeug vorsichtshalber unter mein Bett, nur um sicher zu gehen, und schlürfte dann zu meiner Tür. Als ich sie öffnete, strahlte mir Zahnpasta-Man entgegen. Den hatte ich ja schon völlig verdrängt! Ich konnte mich auch nur noch grob an ihn erinnern. Er war in meiner Wohnung gewesen, da war ich mir sicher. Hatten wir miteinander geschlafen? Ich legte den Kopf schief, schaute ihn an. Ich wusste es nicht. „Hey! Fröhliche Weihnachten!“, begrüßte er mich enthusiastisch, und ich wollte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen. Anscheinend hatte er damit gerechnet, weil er schnell in meine Wohnung getreten war. Mist! Manchmal waren meine messerscharfen Reflexe einfach einen Deut zu langsam. „Was willst du?“, murrte ich. Heute hatte ich wirklich keinen Bock auf Sex. „Ich habe Geschenke für dich.“ Er hob eine weiße Tüte nach oben und ich starrte sie kritisch an. „Was für Geschenke?“ Ich klang mir zu neugierig, aber ich hatte wirklich verdammt lange keine Geschenke mehr bekommen, und irgendwie hatte es doch einen gewissen Reiz. „Erstmal das!“ Dave holte drei weiße Styroporschachteln aus der Tüte heraus, die verdächtig nach Essen aussahen. Essen fand ich gut. „Und dann das!“ Er kramte aus seinem Rucksack Werkzeug raus. Ich war verwirrt. Wollte er irgendwelche kranken Sado-Maso-Werkzeug-Scheiß abziehen? Definitiv ohne mich! „Also, das Werkzeug selber ist nicht das Geschenk. Aber ich denke, ich kann deine Heizung reparieren.“ Heizung reparieren? Das würde ja Wärme bedeuten! Das waren ja ganz neue Möglichkeiten! Nur mit einer Decke schlafengehen! Haare waschen ohne Angst, dass sie einem am Kopf festfroren! Da taten sich Welten auf, bei denen man nur staunen konnte. Er bemerkte wohl meine Begeisterung und grinste mich an. Im Moment fand ich ihn richtig toll. „Warum machst du das eigentlich für mich?“, fragte ich ihn, während er an der Heizung rumschraubte. Keine Ahnung, was er da eigentlich machte, aber viel kaputtmachen konnte er bei dem Teil nicht mehr. „Hm?“, kam es etwas abgelenkt von ihm. Ich hatte das Gefühl, als hätte er mir nicht richtig zugehört. Vielleicht wollte er auch einfach nicht darauf antworten. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht genau, warum er mir half. Bestimmt nicht, weil er meinem einnehmenden Charme und meinem überragenden Aussehen verfallen war. Vielleicht aus Mitleid. Möglicherweise litt er auch an diesem komischen Helfer-Syndrom, dem ich nie etwas abgewinnen konnte. Naja, anderseits führte es dazu, dass ich gleich eine warme Wohnung haben würde, hoffte ich zumindest. „Warum bist du hier?“, wiederholte ich meine Frage vereinfacht wieder. „Weiß nicht. Wegen dir?“ Er saß am Boden und schaute jetzt zu mir hoch mit einem hinreißenden Lächeln im Gesicht und einem Schraubenschlüssel in der Hand. Ich musste zugeben, ich war ein bisschen angetan von seiner Art. Deswegen erwiderte ich sein Strahlen mit einem schiefen Grinsen. Auch wenn ich seine Begründung eigentlich zu kitschig fand. Als wir dann an meinem Couchtisch saßen und in der wohligen Wärme einer funktionierenden Heizung das lauwarme, mitgebrachte Essen futterten, konnte ich mir sogar vorstellen, ihn sympathisch zu finden. „Weihnachten ist doch toll!“ Oder auch nicht ... Kapitel 11: Am Ende des Regenbogen ---------------------------------- Sie hing an meinen Lippen und ich hing mit meinen Gedanken bei ihm. Sie ließ von mir ab und schaute mich forschend an. Sie hatte ihren Kopf dabei leicht schief gelegt und ich musste zu geben, sie war eine verdammt hübsche Freundin. „Ist was?“, fragte sie mit ihrer weichen Mädchenstimme. „Nein, nein, ich war nur gerade leicht abgelenkt.“ „Abgelenkt, von was?“ Kurz fragte ich mich, ob sie es wussste. Aber ihr Lächeln sorgte dafür, dass ich den Gedanken wieder abschüttelte. „Unizeug...“ Das zog immer. Ich dachte auch oft an die Uni, nur nicht im Moment. „Uni, du solltest mal an mich denken!“ Sie lachte und schmiss sich auf mich, um mich zu kitzeln. Sie war wirklich süß. Ich versuchte ihre Hände anzufangen, war aber leider nicht sehr erfolgreich dabei. Ich packte sie einfach und drückte sie nach hinten, so dass sie schließlich unter mir lag, immer noch ein Lachen im Gesicht. Ich gab ihr einen Kuss, fuhr ihr durch ihre Haare und sie bog sich mir etwas entgegen. Eine tolle Freundin und meine Gedanken an ihn waren weg. Ich erhob mich von dem zerwühlten Bett und zog mir meine Boxershorts und meine Hose an. Ich spüre, wie er mich dabei beobachtet. Ich drehe mich zu ihm um. Er lag immer noch nackt im Bett und ich würde ihn als mein schmutziges, kleines Geheimnis bezeichnen. Aber das wäre vielleicht unfair ihm gegenüber. Ich liebte ihn zwar nicht wie meine Freundin, aber ich würde ihn auch nicht hergeben wollen. Ich beugte mich zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen, den er kurz erwiderte. „Du, ich geh heute Abend auf die Party von Martin. Wenn du willst, kannst du auch kommen.“, lud ich ihn spontan ein. Ich wusste, dass sie nicht mitkam, sie hatte morgen Frühschicht und da ging sie am Abend davor nie weg. Also war das harmlos. „Bist du sicher?“, er wirkte überrascht. Ich nickte und lächelte ihn an. Ich hatte ihn noch nie zu Freunden von mir eingeladen. Aber ich konnte ihn ja als Kumpel vorstellen, das war kein Ding. Außerdem wäre es mal toll, wenn er mal meine Freunde kennen lernen würde. Irgendwie war es mir wichtig, dass er sie zumindest kannte und ich war mir sicher, dass er sich auch darüber freuen würde ein bisschen mehr von mir kennen zu lernen. „Klar, dann komm ich gerne. Soll ich irgendwas mitbringen?“ Ich bemerkte seine Begeisterung. Doch, es war eine gute Idee gewesen ihn einzuladen. „Nee, einfach deine Anwesenheit, das passt schon.“ Er zog mich zu sich und ich legte mich wieder zu ihm. Manchmal konnte man einfach nicht „Nein“ sagen, vor allem nicht, wenn man so ein verführerisches Bild geboten bekam. Ich kostete den Kuss voll aus und genoß die wenige Zeit, die ich mit ihm hatte. „Leute, das ist Charlie! Ein guter Kumpel von mir.“ Stellte ich ihn vor und die anderen prosteten uns zu. Wir setzen uns mit einem Bier zu den anderen auf das Sofa, noch genüngend Platz zwischen uns, dass es unverfänglich wirkte. Er schaute sich unsicher um, er kannte hier niemanden. „Schau nicht so, hier frisst dich schon niemand.“ Ich lächelte ihn an und Charlie schaute immer noch unsicher zu mir. Ich überlegte kurz, seine Hand zu drücken. Aber das kam wohl nicht so gut. Außerdem waren wir schnell in einer Unterhaltung vertieft, hier waren ja alle sehr gesellig. Und seine Unsicherheit war schnell verschwunden, er war eh nicht so der schüchterne Typ. Wenn er schüchtern gewesen wäre, hätte er sowieso nie eine Chance bei mir gehabt. Ich beobachtete ihn, wie er sich mit Leon unterhielt und dabei lächelte. Eine Schande, das so ein hübsches Gesicht einem Mann gehörte. Wäre er eine Frau, wäre er ganz offen meine Freundin, aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihn als Frau überhaupt hätte haben wollen. Charlie war mir in der Unibibliothek ins Auge gestochen. Er hatte etwas verpeilt nach einem Buch über Hirnfunktionen gesucht und schien völlig damit überfordert zu sein, wie die Bibliothek aufgebaut war. Ich hatte ihn schon damals attraktiv gefunden, hätte aber nie erwartet, dass er tatsächlich mal meine Affäre sein würde. Aber ich würde mich sicher nicht darüber beschweren, ich hatte ihn gerne um mich. Es wurden immer mehr Leute auf der Party, so wie ich es von Martins Parties kannte. Er war bekannt für seine ausgelassenen Parties und es gab kaum jemand, der sich das entgehen lassen wollte. Was unter auch an der wahnsinnig guten Frauenquote lag. Ich musterte die neuen Mädchen, die gerade die Wohnung betraten und erkannte das Lächeln meiner Freundin. Was wollte sie denn hier? Sie hatte doch gesagt, dass sie heute nicht kommen konnte. Ich schaute zu Charlie, der sich immer noch mit Leon unterhielt. Er wusste von ihr, aber sie nicht von ihm und so sollte das bleiben. Ich wollte wegen ihm meine Freundin nicht verlieren. Auch sie schien mich mittlerweile entdeckt zu haben und steuerte direkt auf mich zu. Ich stand hastig vom Sofa auf, um ihr entgegen zu kommen. „Du, da is meine Freundin, ich werd mal zu ihr.“, erklärte ich kurz, bevor ich dann zu ihr ging und sie in meine Arme schloss. Sie gab mir einen stürmischen Kuss, den ich ohne zu zögern erwiderte, und erklärte mir, dass sie noch die Schicht mit Barbara wechseln konnte und deswegen doch hier war. Ich drückte sie an mich und nahm ihren süßen Mädchenduft wahr. So ein anschmiegsamer Mädchenkörper war kein Vergleich zu einem Mann. Ich schaute noch kurz zu Charlie, der sich allerdings leicht abgewandt hatte und sich mit Leon unterhielt. Es schien ihm anscheinend egal zu sein, dass ich sie einander nicht vorgestellt hatte. Ihm war wohl klar, dass das sowieso nie passieren würde. Es wäre ja auch ziemlich eine ziemliche komische Situation und bestimmt hätte sie etwas bemerkt, Mädchen hatten ein Gespür für so etwas. Es war auch jetzt schon eine seltsame Angelegenheit. Man sollte seine Freundin und die kleine, schmutige Affäre nicht auf der gleichen Party haben. Aber ich vertraute Charlie soweit, dass er mir keine Szene machen würde. Da war er wirklich verlässlich. Er nahm das cool und hatte sich bis jetzt noch nie darüber beklagt, das ich neben ihm noch jemand hatte. Aber ich hatte bei Charlie von Anfang an mit offnen Karten gespielt und es war für ihn okay gewesen. Also hatte er auch keinen Grund sich plötzlich darüber zu beschweren. Ich mied aber seinen Kontakt, ich wollte es auf jeden Fall vermeiden, dass sie irgend einen Verdacht schöpfte. Aber ich hatte das Gefühl, als würde mein Blick auf mir kleben, immer wenn ich meine Freundin küsste. Unglückliche Blicke. Irgendwann zwischen zwei Küssen waren seine Blicke allerdings verschwunden. Er war einfach gegangen. Kurz bemerkte ich, wie sich mein schlechtes Gewissen regte. Aber woher hätte ich wissen sollen, dass sie doch kam? Und ich konnte für ihn nicht meine Beziehung zu ihr riskieren. Das ging einfach nicht. Es tat mir leid, aber ich könnte mein normales Leben nie für ihn aufgeben und er hatte es ja auch niemals von mir verlangt.Vielleicht war er ja auch nur müde gewesen... Ich musste zugeben, dass ich mich mit diesen Gedanken zufrieden gab. Aber immerhin war ich hier auf einer Party, mit meiner absolut süßen Freundin. Ich wollte meinen Spass haben. Als ich später mit ihr im Bett lag, sie an mich gekuschelt und schon eingeschlafen, fühlte ich mich sehr zufrieden. Lag wahrscheinlich auch am Alkohol, der noch fröhlich in meinem Blut zirkulierte. Allerdings wurde ich selber auch etwas schläfrig. Ich drückte meiner Freundin noch kurz auf die Stirn und schloss die Augen, um mich dem Land der Träume hinzugeben. Ich schreckte etwas auf, als ich ein kurzes Piepen von meinem Handy hörte. Eine SMS. Das Handy lag auf dem Nachtkästchen neben dem Bett und ich griff danach, vielleicht war es wichtig. Eine neue Nachricht von Charlie, teilte mir das Display mit und ich merkte, wie sich etwas schlechtes Gewissen in mir regte. Ich hatte ihn heute wirklich etwas stehen gelassen. Mit einem etwas unruhigen Gefühl, klickte ich auf „Kurzmitteilung lesen“. Ich halte es mit dir nicht mehr aus. Meld dich bitte nicht mehr bei mir. Charlie Ich blinzelte irritiert und las die Nachricht nochmal. Er machte mit mir Schluss? Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich klickte die SMS weg und legte das Handy wieder hin. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein, oder? Er würde mich doch nicht wegen dieser dummen Sache heute einfach so verlassen, das ging einfach nicht. Ich griff noch mal nach dem Handy und las die Nachricht nochmal und ich merkte, wie sich in mir etwas zusammen zog. Vielleicht sollte ich ihn anrufen? Ich drückte auf „Rückruf“ und wartete auf ein Freizeichen. In dem Augenblick als ich es tuten hörte, drehte sich Lara mit einem leichten Seufzen zu mir und ich legte wieder auf. Ich konnte ihn einfach nicht für das Mädchen neben mir opfern und genau das hätte es jetzt bedeutet. Er oder sie, aber er war niemals eine ernsthafte Option gewesen, oder? Warum tat es dann so weh, dass er mich einfach verlassen wollte? Ich war für ihn gestorben, einfach so. Ich schloss leicht gequält die Augen. Er war einfach weg... „Was ist denn die letzten Tage los mit dir?“, fragte sie mich. Ich saß in meiner Küche, es war zwei Uhr nachts und vor mir stand eine halbleere Whiskeyflasche. Sie stand in einem T-Shirt von mir in der Türe und schaute besorgt. Ich konnte ihren Blick nicht ertragen. „Nichts...“, murmelte ich. Nichts war los mit mir, das war das Problem. Ich fühlte mich, als hätte mir man wichtiges genommen. Jemand wichtiges. Ich hatte nicht gewusst, wie wichtig er in meinem Leben war. Ich hätte nicht erwartet, dass er soviel Bedeutung hatte, dass der Schmerz ihn zu verlieren so viel intensiver war, als meine Liebe zu ihr. Ich hatte es nicht erwartet, nicht gewusst. Ich hätte anders gehandelt, wenn es mir klar gewesen wäre. Hätte ich doch, oder? Und ich wusste, dass ich nicht nur den Sex mit ihm vermisste, der am Anfang der ausschlaggebende Grund gewesen war, warum ich mit ihm eine Affäre eingegangen war. Es war seine leichte und unkomplizierte Art. Sein Lächeln und ich wusste, dass ich in ihn so verliebt war, wie damals in sie, als ich sie kennen gelernt hatte. „Nach nichts sieht es aber nicht aus...“ „Lass mich einfach in Ruhe.“, gab ich unfreundlich zurück und schlug ihre Hand, die sie mir auf die Schulter gelegt hatte, beiseite. Ich konnte sie im Moment nicht ertragen. Ich wusste nicht, ob ich sie jemals wieder ertragen konnte. Immerhin hatte sie mich Charlie gekostet und ich wusste nicht mehr, ob sie das noch wert war. Kapitel 12: Heldenzeit ---------------------- „Falco!“ Er drehte sich irritiert zu mir um. Immer noch seinen leicht irren Blick im Gesicht. Falco kämpfte gegen die Wochentage, manchmal erfolgreicher als an anderen Tagen. Heute hatte er nicht soviel Glück, aber das wusste ich schon vor ihm. „Ich hätte ihn beinahe erwischt, den Freitag. Der ist heimtückisch... nur Sonntage sind schlimmer.“, erklärte er mir mindestens schon zum hundersten Mal. Ich lächelte ihn an. Ich mochte die Tage an denen er die Wochentage besiegen konnte, an den anderen Tagen wird er immer so... geschlagen oder verloren? Ich war mir nicht sicher, welches Wort es am besten beschreiben konnte. Die Wörter und ich standen auf Kriegsfuss. Vielleicht konnte ich deswegen Falco gut verstehen, wir kämpften beides gegen etwas, was andere nicht nachvollziehen konnten. Deswegen waren wir wohl hier, dort wo die Menschen waren, die nicht jeder verstehen konnte. Wir nannten es unseren Unterschlupf, der Unterschlupf der Helden, die die Welt nicht braucht. Ich war sehr glücklich mit der Vorstellung ein Held zu sein. Vielleicht kein nützlicher Held, aber ein Held. Genau wie Falco. Er grinste mich etwas verpeilt an, heute hatte er wirklich verloren. Ich legte meinen Arm um ihn und ging mit ihm nach drinnen. Es hatte begonnen zu schneien und kranke Helden konnten nicht gegen Wochentage kämpfen. „Morgen, da erwisch ich den Wochentag. Samstage sind träge, müde Tagen. Den Samstag krieg ich fast immer.“ „Ich weiß.“ Was wir beide nicht wussten, war das dieser Freitag nicht nur Falco besiegt hatte, sondern auch noch eine Überraschung mit sich brachte. Hier mochte niemand Überraschungen. Sie war dünn, hatte irre Augen und ich kannte sie von früher. Mit ihr hatte noch nie etwas gestimmt, wenn man sie ansah spürte man Angst, ihre Angst vor allen und jedem. Sie kämpfte gegen die Vorstellung, dass man sie tot sehen wollte. Woo war schlichtweg paranoid und in unserem Unterschlupf. Das war nicht gut. Ich erinnerte mich noch daran, als sie versucht hatte den Neuen zu kriegen, bevor er sie bekam. Sie war sich absolut sicher gewesen, dass er gefährlich war. Und im Endeffekt hatte sie recht gehabt, genau wie bei dem kleinen Mädchen in der ersten Reihe. Wer hätte gedacht, dass sie wirklich so großer Soylent Green-Fan gewesen war. Schockierend war das gewesen, sehr schockierend. Oder überraschend? „Hi!“, kam es gehetzt von Woo. Sie war immer etwas weiter weg von allem und immer auf der Lauer. Sie schien gerade abzuchecken, wie gefährlich Falco und ich waren. „Cap! Spiegelnd! Pferd! Pferd! Gebrochen!“, brüllte Benben und rannte an uns vorbei. Woo hatte sich hinter der Pflanze an der Treppe versteckt. „Ach, der macht das immer, der ist harmlos.“, erkärte ich, obwohl ich wusste, dass es sie nicht beruhigen würde. Nichts konnte Woo beruhigen. Ich mochte sie nicht. Wie konnte man vor Benben Angst haben? Gut, er war etwas lärmend, etwas wiederholend, aber dadurch, dass er immer nur eine Unterhose trug, konnte man sehen, dass er nie Waffen bei sich trug und auch nicht sonderlich stark sein konnte. „Ich will in mein Zimmer. Sofort.“, sprach die Pflanze an der Treppe mit uns und ich zeigte nur zur Türe unserer Anführerin. Sie regelte das alles mit uns, sie sorgte dafür, dass wir Helden immer einsatzbereit waren. Die Pflanze rührte sich nicht mehr, bis wir nach oben gegangen waren. Ich wollte mit Falco an unserer Mission arbeiten. Falco war eigentlich nur der Ritter gegen die Wochentage, aber wer jeden Tag mit soviel Einsatz gegen Tage kämpfen konnte, der konnte mir sicher auch bei der Socken-Mission behilflich sein. Socken war das ausschlaggebende Wort. Es gab einen Ort, wohin sie verschwanden oder entführten wurden. Es war ein geheimer Ort, viel geheimer als unser Unterschlupf und es war an uns, sie von dort zu retten oder zurückzuholen. Ihr wisst sicher, welche Socken ich meine! Ihr wisst von den Socken? „Frag doch Benben.“ Falco hasste es, wenn ihn Freitage besiegten. Dann war er für nichts zu begeistern. „Du bist doch doof, er trägt gar keine Socken!“ Man konnte nicht mit Leuten über Socken reden, wenn diese Leute keine Socken trugen. Das war unmöglich. Und das Falco dieses Sockenproblem auch hatte, dass wusste ich. Er trug nie zwei passende Socken, nie. Es gab nämlich gar keine Socken, die zusammen passten. Nirgendwo hier in unserem Unterschlupf und das war die Mission. Ich hatte gesehen, dass Woo zwei Socken trug... zwei Socken, die sich zumindest ähnlich sahen. Bald müsste es nur noch eine Socke sein und wir mussten rausfinden, wohin die andere verschwand. „Hast du dir schon mal überlegt, warum Benben diese Wörter ruft?“ Ich war gerade Mitten im Gedanken, wie wir die Socke orten könnten, wenn sie verschwand und verstand nicht, was Falco von mir wollte. Ich hatte eigentlich erwartet, dass er seinen Sieg über diesen Tag nachtrauerte. „Weil es Benben ist.“ Er hatte nie etwas anderes getan. Das war, als würde man fragen, warum Falco gegen die Wochentage kämpft und warum Woo Angst hatte, platt gemacht zu werden. „Denkst du nicht, da ist mehr dahinter?“ „Wie bei den Socken?“, fragte ich erstaunt? Das brachte ganz neue Gedankenwelten an die Oberfläche. „Vielleicht hängt es ja mit den Socken zusammen.“ Und dann herrschte bedeutungsschwangeres Schweigen im Zimmer. Natürlich! Es machte alles Sinn. Benben und der Socken-Komplott! Die Wörter... „Woher sollen wir wissen, was es bedeutet?“, fragte ich schließlich. Man musste zugeben, dass die Wörter sehr unzusammenhängend war. „Ich weiß nicht...“ „So kommen wir nicht weiter.“ Ich seufzte. Ich hatte auch keine Ahnung, was ich mit diesen Wörtern tun sollte, aber sie würden bestimmt etwas bedeuten. Falco wirkte nicht motiviert noch weiter über unsere Socken-Mission zu brüten. Ich hatte das Gefühl, er machte sich Gedanken darüber, wie er den Samstag besiegen würde, vielleicht sogar den Sonntag? „Du könntest ihm eine Falle stellen.“ Wenn Falco mir schon bei meiner Heldentat half, konnte ich das ja auch bei seiner machen, oder? „Eine Falle für den Samstag?“ „Ich dachte an den Sonntag.“ Und wieder schwiegen wir. Sein Gesichtsausdruck wirkte so, als wäre er überrascht darüber, dass man schon weiter als einen Tag planen konnte. War das vielleicht seine Schwäche? Der Grund, warum er so oft gegen die Sonntage verlor? „Was für eine Falle?“, fragte er schließlich nach einigen Minuten Schweigen. „Ich hatte an Honig und Schnee gedacht.“ „Festkleben?“ Ah, er hatte den Plan verstanden. Ich wusste warum ich meine Zeit mit Falco verbrachte. „Müsste doch gehen...“ Das wäre sicher ganz einfach. Er würde aus dem Schnee eine Montag-Attrappe basteln – Sonntage jagten immer dem Montag nach! - und dann würde der Sonntag an dem klebrigen Montag-Fake kleben bleiben. Das war genial durchdacht. „Hab ich schon mal versucht... der Sonntag damals hat mich voll erwischt.“ Als er das sagte, trat ein trauriger Ausdruck in sein Gesicht. So schaute er immer, wenn er an eine Niederlage dachte und so schaute er bei jeder Niederlage. Es tat mir Leid, dass ich dieses Thema aufgebracht habe. Ich setzte mich neben ihn auf sein Bett und umarmte ihn. Er lehnte sich etwas an mich. Wir wussten, was es bedeutete zu verlieren. „Ich hab eine Cap. War damals für einen Plan.“ Ich schaute zu Falco und versuchte ihn mir mit einer Cappie vorzustellen, anstatt seiner Mütze, die er immer trug. „Du meinst, wir sollten sie Benben geben?“ Ein Nicken zur Antwort. Ein Versuch wäre es auf jeden Fall mal wert. Wer weiß, vielleicht ergab sich ja etwas daraus. Wenn man keine Anhaltspunkte hatte, war Benben eine gute Alternative. Falco stand auf und kramte in unserem Schrank herum, bis er eine alte, etwas zerknitterte Baseballcappie zu tage förderte. Es war auf jeden Fall ein Cappie und es hatte wohl schon bessere Tage gesehen, aber wer hatte das nicht? Heute war immerhin ein verlorener Freitag. Mit Benben in Kontakt zu treten war leider nicht so einfach, wie man meinen könnte. Tatsächlicherweise tauchte er immer dann auf, wenn es einem unpassend erschien. Wo er die restliche Zeit war, wussten wir gar nicht. Wir kannten nicht mal das Zimmer auf dem Benben schlief, falls er überhaupt schlief. „Wir brauchen einen unpassenden Zeitpunkt.“ Immerhin standen wir hier schon eine Viertelstunde an der Treppe und warteten darauf, dass Benben an uns vorbeirannte. Aber weil wir auf ihn warteten, konnte er gar nicht unpassend auftauchen. Auch wenn wir geplant einen unpassenden Moment inszinieren war es doch nur ein getarntes Warten. Benben durchschaute sowas. „Vielleicht sollten wir jemand suchen, der einen hat.“, schlug Falco vor, der wohl nicht mehr warten wollte. „Ich kenn hier niemand mit unpassenden Zeitpunkten.“, gab ich zur Antwort. Sowas war immer schwer zu beschaffen, vor allem gezielt. „Was ist mit dem komischen Mädchen von vorhin? Bei ihr scheint jeder Moment, in der andere Menschen auftauchten unpassend.“ „Du meinst Woo?“ Ich wollte nicht zu ihr, aber sie könnte Benben wirklich hervor locken. Sie war ein Mensch, der Leute wie Benben magisch anzog. Und so machten wir uns auf die Suche nach Woo, um Benben zu finden. Welches Zimmer sie hatte war einfach, es war das Zimmer, dass sich immer verstecken wollte. Es war darin leider nur so schlecht, wie ihre Bewohnerin. Ich klopfte nicht an, als ich die Türe öffnete. Hätte ich geklopft, hätte sie sich sofort versteckt und ich hätte erst mit unterschiedlichen Möbeln reden müssen, um rauszufinden, wo sie ist. So konnten wir noch sehen, wie sie sich hinter einem Vorhang flüchtete unter dem ihre Füsse noch rausschauten. War das jetzt ein unpassender Moment? „Woo?“, fragte ich zaghaft. Der Vorhang fing an zu zittern und ich tauschte einen Blick mit Falco. Wusste er, was zu tun war? Vielleicht sollten wir sie hinter dem Vorhang hervorlocken. „Du musst dich nicht verstecken vor uns.“ Ich versuchte so beruhigend wie möglich zu klingen. „Außerdem können wir deine Füsse sehen!“, warf Falco wenig hilfreich ein. Das Zittern wurde stärker. „Wir können deine Füsse NICHT sehen! Wir wissen gar nicht wo du bist, ehrlich.“ Das war gelogen, aber Woo war noch nie gut darin, Lügen zu erkennen. „Wir wollen dir nichts tun... wir wollen nur...“ Was wollten wir eigentlich? Ich merkte nur, dass ich mittlerweile ihr Interesse geweckt habe, der Vorhang zitterte weniger, sie hörte uns zu. Jetzt das Richtige gesagt und wir hatten sie! „Cap! Spiegelnd! Pferd! Pferd! Gebrochen!“ „Schließ die Tür, Falco!“ Und wir hatten ihn. Das war einfacher als gedacht, ich war stolz auf uns. Falco und ich waren ein tolles Team, Ritter unter sich. Und als wir Benben die Cappie hinhielten passierte etwas. Nur nicht ganz das, was wir erwarten hatten. Woo war hinter dem Vorhang hervorgesprungen und griff nun die Cappie an. Sie schrie und trampelte auf ihr herum. Es war wohl eine böse Cappie. Und wir drei standen da und beobachten sie, wie sie auf und ab sprang und die Kopfbedeckung ganz platt drückte. Erst als sie außer Atmen war, uns wieder bemerkte und somit das Bedürfnis hatte, wieder zu einem Vorhang zu werden, trat Benben näher an die Cap ran. Es war komisch ihn mal zu sehen, ohne das er rannte. Wenn man ihn länger ansah, bemerkte man erst... das er keine Cappies tragen sollte. Er hatte sie auf seinen Kopf gesetzen und stand jetzt abwartend an der Türe. „Was nun?“, sagte ich etwas überfragt. „Vielleicht sollten wir mit Benben reden?“ Wir schauten ihn an. Er starrte ohne zu blinzeln die Tür an. Konnte man mit Benben reden? Ich hatte etwas Angst, es tatsächlich zu versuchen. Es könnte etwas schlimmes passieren. Falco schien es nicht anders zu gehen. Wir konnten sehr feige Helden sein. Aber es war schwierig, wenn man mit so starken Helden wie Benben zu kämpfen hatte. Er war ein Held der unpassenden Zeit, er war so stark, er musste gegen nichts kämpfen. Er musste nur auf die Zeit aufpassen, sie beobachten. Das war mächtig. „Wir könnten auch die Türe öffnen und warten was passiert.“, schlug Falco vor. Ja, das konnten wir tun, war vielleicht das Beste und wir mussten nicht mit Benben reden, der immer noch nicht geblinzelt hatte. Das Erstaunliche war ja, dass Benben nicht rannte, als wir die Türe öffneten. Nein, er ging einfach. Ganz normal, vielleicht sogar etwas langsam. Ich hatte das Gefühl, als wollte er, das wir ihm folgten. Wusste er wirklich etwas über die Socken? Und wir gingen ihm nach. Es war komisch die gleichen Wege wie Benben zu gehen. Man hatte das Gefühl, als würde sich die Zeit um ihn herum biegen und unser Unterschlupf sah nicht so aus, wie er es sonst tat. Er schien alt und neu und Zeit verdreht zu sein. Ich merkte, wie mir etwas übel wurde. Ich mochte Räume, die so waren, wie sie waren. Falco schien sich etwas wohler zu fühlen und er hatte meine Hand genommen, vielleicht wäre ich sonst verloren gegangen. Ich war so konzentriert darauf, den Räumen Umrisse zu geben, dass ich erst nicht bemerkte, dass Benben stehen geblieben war. Ich wäre einfach an ihm vorbei gelaufen, irgendwohin, wo die Zeit mir Angst machen würde. Es beruhigte mich aber, dass der Raum in dem wir nun waren aufgehört hatte zu flimmern, als hätte er sich endlich für eine Zeit entschieden. Und in dieser Zeit schien ein großer Spiegel im Raum zu stehen. Er zeigte uns aber nicht unsere spielgende Ichs, sondern ein... Pferd? Oder sahen wir jetzt aus wie ein großes, häßliches Pferd? Benben stellte sich direkt vor den Spiegel und nahm die Cappie von seinem Kopf. Er schien kurz zu zögern. Was ich verstehen konnte, das Pferd hatte einen Blick, der Knochen zum Beben bringen konnte. Dann warf er die Cap, sie schlitterte in den Spiegel und blieb geschätzte Meter neben dem Pferd liegen. Das Tier wieherte empört? War es Empörung? Ich konnte keine Pferdesprache. Dann ging es langsamen Hufes zu unserer Cappie, schnupperte mit den riesigen Nüstern daran und... frass die Kopfbedeckung einfach. Benben drehte sich zu uns und lächelte zufrieden. So, als hätte er eine große Arbeit vollbracht. Und was war nun mit den Socken? Ich war mir so sicher gewesen, dass es mit den Socken zu tun hatte. Erst da bemerkte ich, dass das Pferd Falco und mich anstarrte, auf unsere Aufmerksamkeit wartete. Das Pferd wusste es! Es wusste wegen den Socken Bescheid! „Eine gute Sock´ bettet sich im eigenen Antlitz des nächsten Sonnenmorgens.“, sprach das Pferd. Dann war der Bann gebrochen. Falco und ich standen draußen im Schnee und Benben rannte an uns vorbei, diesmal ohne etwas zu schreien. „Hast du es verstanden?“, fragte ich schließlich verwirrt. Es hatte von Socken gesprochen. Nein, es hatte von einer Socke gesprochnen, von einzelnen Socken. Einzelne Socken? Keine... Sockenpaare? Hieß das etwa... „Es wusste von dem Sonntagproblem.“, meinte Falco völlig erstaunt. Sonntagsproblem? Einzelne, eigene Socken? Wir schauten uns an. Es gab Gründe, warum sich unsere Wege gekreuzt hatten und endlich hatten wir es verstanden. ENDlich. Kapitel 13: Divergenz --------------------- Anm.: Gegenstück zu Konvergenz. ------- Es gib Leute, die begleiteten dein Leben Jahre lang, völlig unbemerkt. Du gehst mit dieser Person in den Kindergarten, in die Grundschule, auf das Gymnasium und dann, wenn du dein Abizeugnis bekommst und die Person neben dir steht, weißt du nur: Das ist Henning, früher hatte er eine Zahnspange und jetzt nicht mehr. So war das. Henning hat mein ganzes bisheriges Leben begleitet. Er war dabei gewesen, als ich noch Pullover mit Bärchen drauf getragen habe und heulen musste, wenn ich hingefallen bin. Er kannte mich in meiner peinlichen HipHop-Phase und konnte über mich lachen, als aus mir der „harte“ Rocker wurde. Ob er tatsächlich über mich gelacht hat, wusste ich nicht. Ich hatte Henning nie groß beachtet und er mich vermutlich auch nicht. Ich wusste gar nicht, ob er auch so seltsame Phasen durchgemacht hatte. Wahrscheinlich, war eigentlich ganz normal. Unser Freundeskreis hat es nie geschafft sich irgendwie zu überschneiden. Wir waren selten auf den gleichen Parties gewesen und hatten offensichtlich keinen Hobbies, die zueinander passten. Ich war begeisterter Gitarrist in einer Band und was Henning machte, keine Ahnung, Briefmarken sammeln? Vermutlich könnte ich sogar an einer Hand die Sätze abzählen, die wir in unser ganzen, gemeinsamen Jahren gewechselt hatten. „Drei.“, sagte Henning mit einem trocknen Tonfall und schob sich seine Brille auf die Nase. Er saß hier in Saal H15 in unserer Uni und war über ein Buch gebeugt. Ich hatte mich lässig an die Bank gelehnt, die Hände in meinen Hosentaschen und schielte auf die Notizen von ihm. Wenigstens hatten wir nicht das gleiche Studienfach. Sah kompliziert aus. „Drei? Gleichzeitig?“, fragte ich erstaunt. Er schaute auf und ich fühlte mich etwas unwohl. Henning hatte manchmal einen sehr durchdringenden Blick, der durch seine Brille irgendwie verstärkt wurde. Ich wich ihm aus und er schaute wieder in das Buch. Bekam aber ein kurzes Nicken als Antwort. „Phew, krass, siehst gar nicht so aus.“, gab ich anerkennend von mir. Henning war in keinster Weise das, was man sich unter einem Playboy vorstellte. Vielleicht war das ja seine Masche. „Danke.“ Der Sarkasmus triefte aus jeder Silbe des Wortes. „Ey, komm, du und drei Mädels gleichzeitig? Ich krieg ja nicht mal eine.“ Ich seufzte und fragte mich, warum Henning, Mister Briefmarken-Sammler, es schaffte, drei Frauen parallel zueinander zu managen ohne das eine was davon spitz kriegte und mich ein Mädel nicht mal mit dem Hintern anguckte. Ich bemerkte wie Henning seinen Blick abschätzend über mich gleiten ließ und ich fühlte mich in meinen abgetragnen Jeans etwas schäbig. Ich war Student und lebte nicht mehr daheim bei Muttern, da hatte man kein Geld für neue Klamotten. Und sonst war ich doch ein leckeres Kerlchen. Er sollte nicht so schauen. Ich gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf und er verzog nur sein Gesicht. Verdient hatte er das. „Wenn du mich so anschaust, fühl ich mich wie ein schäbiges Insekt.“, grummelte ich. Er lächelte leicht. „Ein Wortspiel.“ Ich verdrehte die Augen. Henning konnte irritierend sein und ich war froh, dass ich erst seit kurzem näher mit ihm zu tun hatte. Sonst hätte ich vermutlich schon in der Grundschule, die Klasse wechseln müssen, nur um nicht in seiner Nähe sein zu müssen. „Und was ist jetzt mit dir und Stefanie?“ Das war eigentlich der Grund, warum ich mit ihm reden wollte, warum wir hier in diesem verlassenen Saal waren und ich mir Gedanken über ihn machte. „Stefanie? Was soll mit der sein?“, fragte er desinteressiert und ich seufzte resigniert. Mit Henning zu reden, konnte wirklich anstrengend sein. Ich wollte ein Feder, um ihm Antworten rauszukitzeln. „Hast du jetzt was mit ihr, oder nicht?“ Das war verflucht wichtig. Warum wollte er nicht mit der Sprache rausrücken? „Mit Stefanie?“ Gah! Gleich würde ich etwas nach ihm werfen! Bescheuerte Frage. „Nein, mit Jesus. Natürlich mit Stefanie.“ Ich verdrehte die Augen und in sein Gesicht schlich sich ein Schmunzeln, das aber in ein fieses Grinsen mutierte. „Warum willst du das wissen?“, fragte er immer noch mit diesen bekloppten Grinsen im Gesicht. „Warum wohl? Das ist doch offensichtlich.“ Ich schnaubte und hatte Zweifel daran, dass ich von Henning mal noch eine klare Antwort bekommen würde. Henning hatte nur einer seiner fein geschwungen Augenbrauen nach oben gezogen und ich fühlte mich wieder wie Ungeziefer. Wie machte er das? Verdammt. „Erklärs mir.“ Seine Stimme war ruhig und brachte mich zur Weißglut. Gleich würde ich einer seiner Stifte nehmen und ihm in die Nase schieben, einfach um ein bisschen Frust abzulassen. Ich versuchte mich zu beruhigen, in dem ich mich aufs Atmen konzentrierte. „Ich warte.“ Er schaute mich mit diesen bescheuerten Henning-Blick an und ich griff nach einer seiner Stifte, hob ihm das Schreibgerät drohnend ins Gesicht! Ich wollte etwas sagen, die Drohung unterstreichen, aber mein Hirn war komplett leer. „Du! Du... du!“ Und Henning lachte nur. Er nahm mich in keinster Weise ernst. Das hatte er noch nie gemacht, immerhin das wusste ich über ihn. Was es nicht besser machte. „Ach, Paul...“ Henning amüsierte sich immer noch über mich. „Was ist mit mir?“, fragte ich giftig, endlich wieder meiner Stimme und meinen Gedanken Herr. Das war alles schon viel zu sehr eine Blamage, war es auch schon ohne die Stiftdrohnung gewesen. „Du bist so ein Idiot.“ Er lachte und ich verstand nicht, was daran lustig war. Ich pfefferte den Stift, den ich bis eben noch umklammert hatte mit voller Wucht auf den Tisch und beobachte, wie das Ding einfach vom Tisch kullerte und sich mit dem Geräusch eines rollenden Stiftes vom Acker machte. Henning und ich starrten beide auf den Fleck, wo der Stift verschwunden war. „Zufrieden?“, kam es von ihm. „Ich bin kein Idiot!“, zischte ich. Und bekam nur wieder diese hochgezogene Augenbraue, die dafür sorgte, dass ich mich noch bescheuerter fühlte, als sowieso schon. Das war alles total hirnrissig. Warum war ich eigentlich hier mit diesem... Kerl?! Der hatte meine Gesellschaft doch gar nicht verdient, nicht mit dieser Art, die er an den Tag legte. „Was bist du sonst?“ Was mich ja eigentlich am meisten wurmte, war die Tatsache das Henning sich einfach nur darüber amüsierte. Er war so verdammt gelassen. Ich hatte einfach zu viel Temperament. Ich machte einfach immer wieder einen Affen aus mir. „Ich will nur wissen, was mit dir und Stefanie ist.“, gab ich ungewohnt defensiv zurück. Was hätte ich auch sagen sollen. Ich war ein Idiot, ich benahm mich auf jeden Fall so. „Nichts.“ Ganz schlicht, ein kleines Wort. Ging doch, Henning. „War das jetzt so schwer gewesen?“, knurrte ich. Für dieses Wörtchen, hatte ich jetzt sicher eine halbe Stunde auf ihn eingeredet. War es das wert gewesen? Hatte ich es nicht sowieso schon gewusst? Oder ging es um etwas ganz anderes? „Du bist wirklich ein Idiot.“ Mit diesen Worten schlug er sein Buch zu, nahm seine Notizen und stand auf. Ich schaute ihn nur irritiert an, wie er vor mir stand, einen halben Kopf größer als ich, und mich mit diesen nervtötenden Blick anschaute. „Bin ich nicht!“ Ich funkelte ihn an und ignorierte es, dass er mir so nahe war. Er verdrehte seine Augen, packte mich am Kragen und küsste mich aggressiv. Idiot? Ich sollte der verdammte Idiot sein?! Ich biss ihm in die Lippe, schmeckte sein Blut und grinste ihn provokant an, als er endlich von mir abließ. Er wischte sich über seine Lippe, dasselbe Grinsen im Gesicht. Wir waren beides Idioten. Totale Vollidioten. Kapitel 14: Konvergenz ---------------------- Gegenstück zu Divergenz. Ich hoffe, ihr habt euren Spass dabei. Ich mag Henning und Paul. XD ----------- Ich kannte ihn schon seit dem Kindergarten. Wir waren in der gleichen Nachbarschaft aufgewachsen und immer in den gleichen Klassen gelandet, das hatte sich auch nicht geändert, als wir beide auf eine höhere Schule gewechselt hatten. Wider meines Erwartens hatten wir sogar die selben LKs in der Oberstufte gewählt und man könnte meinen, dass Paul und ich uns kannten. Aber dem war nicht so. Wenn ich ihn mir so anschaute, wie er gerade in seinen verratzten Jeans an meinen Tisch lehnte und versuchte betont lässig auszusehen, wusste ich, dass er rein gar nichts über mich wusste. Ich war für ihn wohl immer der Langweiler mit der Zahnspange gewesen. Wenn man davon absah, dass ich meine Zahnspange schon seit sechs Jahren nicht mehr hatte und mein Leben sicher alles andere als langweilg gewesen war, wusste ich leider auch nicht viel mehr über ihn, als das er ein Typ mit großer Klappe war, der Denken für etwas hielt, dass man machte, nachdem man sich durch unüberlegte Handlungen total in die Scheiße geritten hatte. Aber ich hatte das Gefühl, dass meine Einschätzung über ihn zutreffender war, als seine über mich. „Drei.“, antwortete ich schließlich schlicht auf seine vorher gehende Frage und bemerkte sein Erstaunen. „Drei? Gleichzeitig?“, fragte er ungläubig. Da guckst du nicht schlecht, oder Paul? Tja... in mir steckte mehr drin, als du je vermuten würdest. Idiot. Ich schaute wieder in mein Buch, tat so, als wäre mir seine Reaktion völlig egal, war sie eigentlich auch. Ich wusste schon, warum er sich nach meinen Beziehungen erkundigt hatte. Es war so offensichtlich. „Phew, krass, siehst gar nicht so aus.“, sagte er schließlich und pfiff dabei durch seine Zähne. Ich wusste nicht, ob mich diese Aussage nicht etwas kränken sollte. „Danke.“, gab ich deswegen sarkastisch zurück. Man musste nicht aussehen, wie ein Aufreißer um Mädchen rum zu kriegen. Tatsächlich funktionierte es besser, wenn man „vertrauenswürdig“ wirkte. Diese Masche hatte schon seit Jahren sehr erfolgreich bei mir funktioniert und das nicht nur bei Mädchen... „Ey, komm, du und drei Mädels gleichzeitig? Ich krieg ja nicht mal eine.“ Ich musterte Paul und es war so eindeutig, warum er kein Mädchen abkriegte. Er sah so aus, als würde er ein Mädchen brauchen, dass ich ihn durchfüttern konnte. Und es gab definitiv nicht viele Frauen, die es sexy fanden, Sugar Mommy zu spielen. Aber er wäre wohl nicht so begeistert davon, wenn ich ihm das offen ins Gesicht sagen würde. Mein Blick schien schon zu genügen, da er mir plötzlich einen Klaps auf den Hinterkopf gab. Ich verzog etwas das Gesicht und unterdrückte den Impuls über die geschlagene Stelle zu streichen. Was dachte er sich eigentlich? „Wenn du mich so anschaust, fühl ich mich wie ein schäbiges Insekt.“, erklärte er mit einem grimmigen Gesichtsausdruck und ich konnte nicht anders, als zu grinsen. Manchmal war er auf seine flapsige Art einfach nur herrlich amüsant. „Ein Wortspiel.“, erklärte ich und er verdrehte nur seine Augen. Ich wusste, dass er über etwas anderes reden wollte und das es ihn ärgerte, dass ich das Thema immer wieder umschiffte. Aber es war auch einfach so leicht ihn zu irritieren und abzulenken. Paul war schon immer so gewesen, das wusste ich immerhin über ihn. „Und was ist jetzt mit dir und Stefanie?“, fragte er schließlich herausfordernd trotzig. Und ich musste ein Lachen unterdrücken. Er tat gerade so, als wäre meine Antwort wirklich relevant bei der Sache. Stefanie? Ich wusste nicht mal genau, wen er meinte. Hätte ich ihm das schon gleich am Anfang gesagt, wäre mir eine erheiterende halbe Stunde mit Paul verloren gegangen. Er war da wohl anderer Meinung, aber das war mir eigentlich egal. Eine Unterhaltung mit ihm war manchmal sehr erfrischend, wenn man sich sonst nur mit Kommulitonen und ihren fachbezogenen Problemen rumschlug. „Stefanie? Was soll mit der sein?“, warf ich ihm gnädigerweise einen Knochen zum Nagen hin. Immerhin hatte ich mich dazu bereit erklärt, das Gesprächsthema tatsächlich auf Stefanie zu lenken. „Hast du jetzt was mit ihr, oder nicht?“ Seine Stimme war fordend und provozierte meine Reaktion. „Mit Stefanie?“ Wenn er Antworten wollte, dann sollte er sich überlegen, wie er mit mir redete. Mit Belustigung stellte ich fest, dass ihm ein entnervter Seufzer entglitt. „Nein, mit Jesus. Natürlich mit Stefanie!“ Er fuchtelte, während er sprach, noch mit seinen Händen herum, was wohl so etwas wie unterstreichende Gestik darstellen sollte. Paul konnte so herrlich random sein. „Warum willst du das wissen?“, fragte ich schließlich. Als wüsste ich das nicht selbst, es machte einfach nur Spass ihn etwas zu triezen. Irgendwie animierte Pauls ganze Art dazu. „Warum wohl? Das ist doch offensichtlich.“ Er warf seine Hände hoch und wirkte so, als würde er mich gleich erwürgen wollen. Ach, Paul, du kannst so ein Vollpfosten sein. „Erklär´s mir.“ Und unterhalte mich noch die nächste halbe Stunde mit deinem Gestammel und deinen unwichtigen Fragen. War ihm eigentlich klar, was das für ein Spass für mich war? Vermutlich nicht, sonst wäre er schon längst gegangen. In der langen Zeit, die wir uns kannten, waren wir uns nie wirklich nahe gekommen, was wohl hauptsächlich daran lag, dass Paul meine Gesellschaft als anstrengend und unangenehm empfand. Ich hatte ihn beobachtet, wenn er mit seinen Freunden rumhing oder sich scherzend mit Mädchen unterhalten hatte, was vielleicht auch nur ein jämmerlicher Versuch zu flirten gewesen war. Auf jeden Fall war er bei den Leuten bedeutend lässiger und ruhiger als bei mir. Wenn wir uns unterhielten, wurde er fahrig, genervt und fuhr schnell aus der Haut. Ich fragte mich, ob ihm das bewusst war, das er auf mich besonders reagierte. Im Moment starrte er mich jedenfalls extrem frustriert und irgendwie wütend an. „Ich warte.“, meinte ich schließlich und war gespannt, ob er es mir tatsächlich erklären würde. Stattdessen packte er einen meiner Stifte und hielt ihn mir plötzlich unter die Nase, als wäre es ein Degen und kein einfaches Schreibgerät. Forderte er mich gerade zum Duell? „Du! Du... du!“, stieß er unter zusammen gebissenen Zähnen hervor und ich konnte ein Lachen nicht mehr unterdrücken. Paul war das Unterhaltsamste, was mir sei langem unter die Nase gekommen war. „Ach, Paul...“ Ich würde dir so gerne erklären, wie du mir gerade den Tag versüßt, aber ich hatte das Gefühl, als würde er das in den falschen Hals kriegen. Paul war trotz seiner großen Klappe auf eine komische Art furchtbar verklemmt und prüde. Vielleicht machte das auch seinen Reiz aus ihn zu ärgern, man hatte das Gefühl, als könnte man mit einem einfachen Streit einfach seine Welt umwälzen. „Was ist mit mir?“ Der Stift mit der mich bedrohte, zitterte immer noch unter meiner Nase und ich hatte beschlossen, ihn mit der vollen Wahrheit zu konfrontieren. „Du bist so ein Idiot.“, erklärte ich lachend. Ich weiß nicht, was bei Paul schief gegangen war, als er erschaffen wurde, aber es machte definitiv Spass. Aber er schien es mir übel zu nehmen, dass ich ihm erklärte, was Sache war, denn er warf meinen Stift auf den Tisch und wir beobachteten beide, wie er davon kullerte. Ob Paul mir den Stift wohl ersetzte? Hatte immerhin auch Geld gekostet. „Zufrieden?“, fragte ich schließlich, behielt ihm dabei genau im Auge. „Ich bin kein Idiot!“, widersprach er mir schließlich, obwohl ihm längst klar sein müsste, dass er sich hier zum totalen Vollpfosten gemacht hat. Wer bedrohte schon andere mit Stiften? „Was bist du sonst?“ Da war ich mal gespannt, wenn Paul kein Idiot war, wer dann? Vielleicht hatten Paul und ich auch verschiedene Vorstellungen von einem Idiot, aber per meiner Definition fiel er eindeutig darunter. „Ich will nur wissen, was mit dir und Stefanie ist.“, sagte er schließlich und ich war etwas überrascht, dass er plötzlich irgendwie resigniert klang. Er verlor die Lust am Gespräch, das war mir nicht recht. Klar, ihn triezen war eine lustige Angelegenheit, aber nur solange er auch mit Elan bei der Sache war. „Nichts.“, sollte er mit der Information machen, was er wollte. Wir hatten nun sowieso den toten Punkt in unserer Unterhaltung erreicht. „War das jetzt so schwer gewesen?“, kam es von ihm in einem missgelaunten Tonfall, als wäre das ganze Gespräch nur ein Ärgernis für ihn gewesen. War es vielleicht sogar, ich hätte ihm von Anfang sagen können, dass ich diese ominöse Stefanie nicht mal kannte und selbst wenn, wäre sie mir egal gewesen. Ich kannte den Typ von Mädchen auf den Paul stand. Die waren meistens kompliziert, nicht unbedingt hübsch und auch alles andere als leicht zu beeindrucken. Paul hatte selten Chancen bei ihnen, aber das schien ihn nie daran zu hindern, ihnen nachzujagen. Auch wenn ich der Meinung war, dass sich das bei den wenigsten von den Mädchen gelohnt hätte. Er hatte einfach keinen Geschmack und investierte zu viel Zeit und Mühe in sinnlose Aktionen. Ähnlich wie unser Gespräch gerade. Wir wussten doch auf was er abzielte. Er war so offensichtlich. „Du bist wirklich ein Idiot.“, stellte ich nochmals fest und schlug dann mein Buch zu. Langsam packte ich meine Sachen und ignorierte dabei seine wütenden Blicke. Er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn dumm da stehen ließ und er schaffte es dabei nie, einfach die Ruhe zu bewahren. Eigentlich mochte ich das an ihm. „Bin ich nicht!“, protestierte er und funkelte angriffslustig in meine Richtung. Ich stand auf und schulterte meine Tasche. Paul war noch immer an den Tisch gelehnt und amüsiert stellte ich fest, dass es ihn furchtbar wurmte, dass er zu mir hochsehen musste. Er war nicht mal sonderlich klein, aber ich hatte einfach damals mehr Glück gehabt, was Wachstumsschübe anging. Ich grinste und machte noch einen Schritt auf ihn zu. Er musste seinen Kopf noch etwas nach oben neigen und ich fand es war eine gute Gelegenheit. Paul ging vielleicht blind und taub durch die Welt, aber es würde ihm sicher mal gut tun, etwas wach gerüttelt zu werden. Ich packte ihm am Kragen und zog ihn noch etwas näher zu mir. Er zog erschrocken die Luft ein und starrte verwirrt zu mir hoch. Er war ja so ein Idiot. Der Kuss zwischen uns war aggressiv und ich schmeckte mein eigenes Blut, als er mir in die Lippe biss. Es war wie eine Kriegserklärung, mit der ich gerne einverstanden war. Ich ließ von ihm ab und wischte mir das Blut von den Lippen. Sein provokantes Grinsen schlug mir entgegen und ich konnte nichts anderes tun, als es erwidern. Die ganze Sache würde in jedem Fall noch interessant werden. Kapitel 15: Kleine Schokoherzchen in Himbeereis ----------------------------------------------- „Ist doch alles nur scheiß Kommerz! Die wollen damit nur Geld machen, sonst nichts. Pah, Tag der Liebe am Arsch...“ Daniel hatte sich immer mehr in Rage geredet und ich konnte nur da sitzen und es über mich ergehen lassen. Ich seufzte. Er nervte mich schon seit zwei Wochen wegen dem Valentintstag. Wie dumm und unnötig und Kommerz dieser Tag doch war. Ich musste sagen, er ging mir mehr auf die Nerven als alle Pärchen, um uns herum, zusammen. Die waren jetzt alle still beieinander und feierten ruhig ihren Tag der Liebe. Vermutlich hatten sie Sex, wengistens die. Ich seufzte nochmal. Daniel war noch immer in Rage und wetterte über den Valentintstag. „Du bist doch nur frustiert, weil du niemand hast.“, sagte ich dann einfach und er war still. Endlich. Ich hätte keinen weiteren Satz ertragen. Er schaute mich entsetzt an, so als wäre ich ihm in den Rücken gefallen. Gut, ich hatte auch niemand, dem ich ein überteuertes, kitschiges Geschenk geben konnte, noch jemand, der mir sowas schenken würde. Aber ehrlich, ich konnte damit leben. Ich war drei Jahre in einer Beziehung gewesen, jetzt genoß ich es, an Valentinstag einfach auf meinem Sofa sitzen zu können, noch im Pyjama und überhaupts nichts vorzuhaben. Naja, ich hätte es genoßen, wenn da nicht Daniel wäre. Er schaute übrigens immer noch entsetzt und war zum Glück sprachlos dabei. „Jetzt schau nicht so, ist doch wahr.“, brach ich schließlich das entsetzte Schweigen. Vielleicht fühlte ich mich ein bisschen fies, weil ich die vermeintliche Kameradschaft zu ihm gebrochen habe. Aber seine Valentints-Depression war einfach nicht zum Aushalten. „Ich bin nicht frustriert!“, presste er hervor. „Natürlich.“ Ich verdrehte die Augen. „Du hast doch auch niemand.“, gab er schließlich trotzig zurück. Als wäre das ein Argument... mir war Valentintstag einfach egal. Ich ignorierte Daniel und schaute wieder fernsehen. Er musste das verstehen, das war seit drei Jahren der erste Valentintstag an dem ich einfach nur rumgammeln konnte. Er wusste das gar nicht zu schätzen, sonst würde er mir nicht so den Tag verderben. Daniel ließ sich neben mir auf dem Sofa fallen und starrte schweigend auf die Mattscheibe. Er schien runtergekommen zu sein und sich der Wahrheit zu stellen. Er war unglücklicher Single, ich nicht. Es tat mir ja leid, dass ich nicht so darunter litt, aber nein, eigentlich fand ich es gut. „Bist du nie einsam?“, fragte er schließlich mit einer trocknen Stimme. „Einsam?“ Ich schüttelte den Kopf. Ich kam schon immer gut damit klar, einfach nur für mich zu sein. Ich war auch ohne eine zweite Person vollständig. „Ernsthaft? Auch nicht nach deiner Trennung?“ Es war etwas verstörend, das Daniel so offen über sowas redete. Wir waren Kumpels, wir sprachen nicht darüber, ob uns eine Trennung belastet hat. Das waren Themen für die wir uns nie nah genug gewesen waren. Und es nie sein werden. „Ich war froh, als ich wieder für mich war.“ Ich fühlte mich etwas doof bei der Antwort. Ein Freund, der mir näher gewesen wäre, hätte sie besser verstanden. Daniel wusste nicht, dass ich einer von denen war, die gerne für sich waren. Ich hatte nie nach einer Beziehung gesucht, sie sind mir eher zugeflogen. Jetzt schüttelte Daniel nur ungläubig den Kopf. Ich wusste, dass er es nicht verstehen würde. Warum musste ich mich heute damit rumschlagen? Warum zum Henker ging mir Daniel auf die Nerven? Wir hatten soviele.. warte nein, in unseren Freundeskreis gab es momentan nur Pärchen. Frühjahr, schreckliche Sache. Aber konnte er seine Valentins-Depression nicht bei jemand anders ausleben? Oder für sich alleine. „Willst du ein Eis?“, fragte ich schließlich. Vielleicht munterte es ihn ein bisschen auf und lenkte ihm von unserem Gesprächsthema ab. „Was für eines?“ Er linste mit einem trotzigen, aber interessierten Blick zu mir rüber. Ich lächelte leicht, manchmal war Daniel mit seinen zweiundzwanzig Jahren immer noch wie ein Kind. „Erste Liebe?“ Irgh, ich hätte ihm nicht Eis anbieten sollen. Aber ich stand auf Himbeereis und den kleinen Schokoladenherzchen darin. Das hatte nichts mit Valentinstag zu tun. Daniel verzog etwas das Gesicht. Liebe, falsches Wort. „Schmeckt es denn?“ „Ist super lecker, sonst würde ich es nicht kaufen.“ Ich kaufte das Eis auch einfach so, im Sommer und aß es dann allein und glücklich. Es war sehr leckeres Eis! Er seufzte, so als würde ich ihn zwingen Eis zu essen. Daniel hatte seine Freude, es mir schwer zu machen. Er fühlte sich immer noch von mir verraten, weil ich Valentintstag nicht so hasste wie er. Ich stand auf und ging in die Küche. Ich hörte den Fernseher aus meinem Wohnzimmer und bemerkte, dass gerade eh Werbung war. Perfektes Timing. Ich holte zwei Schalen aus meinem Schrank, das Eis aus meinem Gefrierfach und schaufelte die Schälchen voll. Ich hatte das Gefühl, dass Daniel heute viel Eis vertragen könnte. Ich steckte noch Löffelchen rein und überlegte, ob ich ihm eine meiner kostbaren Eiswaffeln opfern würde, entschied mich aber dagegen. Er hatte mich heute schon ziemlich genervt. Als ich wieder ins Wohnzimmer ging, klebte Daniels Blick förmlich am Fernseher. Valentins-Werbung. Daniel steigerte sich zu sehr in sowas hinein und wenn er jetzt was falsches sagte, würde ich einfach sein Eis nehmen und es selbst essen. So. Aber er sagte nichts, sondern nahm das Eis entgegen. Wenigstens starrte er nicht mehr so aggressiv auf meinen Fernseher. Ich hatte schon Angst, er würde in Flammen aufgehen auf Grund dieses Blicks. „Danke.“ Er lächelte sogar ein bisschen, als er das Eis realisierte. „Und keinen Ton mehr über den heutigen Tag, okay?“, warnte ich ihn. Wenn ich jemand schon was von meinem kostbaren Eis gab, sollte er mich dann wenigstens nicht mehr nerven. „Aber...“ „Nein! Kein Wort mehr!“ Ich schaute ihn drohend an. Mir war Valentintstag egal, aber nicht dann, wenn ich die ganze Zeit damit genervt werde. Ich nahm mir einen großen Löffel Eis und ließ es langsam in meinem Mund schmelzen. Jetzt fühlte ich mich etwas besser. „Na gut... Das Eis ist übrigens lecker.“ „Ich weiß.“ Ich grinste und löffelte mein Eis weiter. „Du hattest schon immer Geschmack.“ Und irgendwas in seinem Tonfall ließ mich aufhören. Da stimmte was nicht, ein Kompliment von ihm? „Ähm, danke...“ Ich fühlte mich komisch, wenn ich von einem Kumpel ein Kompliment bekam. „Hast du heute eigentlich noch was vor?“ Ich schaute zu ihm und er leckte gerade seinen Löffel ab. Was zur Hölle war das? Vertrug er das Eis nicht? „Ich denke nicht... warum?“ Wehe, er sagte was falsches. Ich hatte keine Lust, dass er seine Depression an mir auslebte und genau danach sah es aus. „Nur so.“ Er nahm wieder einen Löffel vom Eis und verfolgte die Sendung, die wir gerade schauten. Verflucht suspekt. Ich ignorierte es und aß mein Eis. Morgen wäre Daniel wieder normal und alles war okay. Ich musste das nur heute ertragen. Einmal im Jahr müsste das zu schaffen sein, hoffte ich. „Wir könnten Sex haben.“ Ich verschluckte mich an meinem Eis und stellte die Schale mit einem Klirren auf den Couchtisch. WTF?! Ich rang um Atem und meine Fassung. Ich würde nie wieder jemand seine Valentins-Depression ausleben lasssen. Nie wieder irgend jemand! „Was?“ Er schaute mich so an, als wäre meine Reaktion nicht nachvollziehbar. „Ich... du... ich meine...Nein! Einfach nein!“ Ich schüttelte den Kopf und war froh, dass ich endlich wieder Luft bekam. „Warum nicht?“ Daniel schaute mich mit großen Augen an. „Ich dachte, du stehst auf Kerle.“ „Das hat gar nichts damit zu tun!“ Bloß weil ich schwul war, hieß das nicht, das ich jeden Typ bespringen würde und vor allem keinen Kumpel. Mit Freunden war man befreundet. Punkt. Aus. Ende. Alles andere machte unangenehme Probleme. „Ich müsste doch dein Typ sein, oder nicht? Ich seh doch deinem Ex furchtbar ähnlich.“ „Nein, tust du nicht!“ Nur ein bisschen, die Haare und die Augen und die Statur, aber das war nicht das Thema. „Außerdem stehst du nicht auf Kerle.“ „Ich hab es noch nie probiert, wäre doch mal interessant.“ Daniel zuckte mit den Schultern, als wäre das kein großes Ding. „Wäre es nicht. Du willst doch nur deine Valentins-Depression ausleben!“ Und dafür war ich mir zu Schade. Aber er lachte nur, erst verstand ich nicht warum. „Ich mein nicht mich, sondern den Valentinstag.“ Ich verdrehte die Augen. Meine Eltern hatten mich mit denfurchtbaren Namen Valentin gestraft und ich hatte mir schon als Kind dumme Witze darüber anhören müssen. Mittlerweile stand ich über sowas, aber in diesem Moment... „Aber du kannst einen auch ganz schön runtermachen.“ Daniel hatte dabei aber ein amüsiertes Funkeln in den Augen. Ich fragte mich, ob dahinter ein Plan steckte. Ich hatte wirklich das Gefühl, als hätte Daniel auf diesen Moment hingenervt. Wollte er Mitleid? Mitleidssex, je nach dem. „Niemand zwingt dich, hier zu sein.“ Und dem hatte ich Eis gegeben. Er lachte wieder, stellte sein Eis auch auf den Couchtisch und schaute mich dann ernst an. Scheiße, verdammt. Warum musste mir sowas passieren? Daniel beugte sich zu mir, sein Blick auf meine Lippen gerichtet. Wenn er mich jetzt küsst, brech ich ihm die Nase! Und das war meine Ernst. Unsere Gesichter trennten noch ein paar Millimeter und ich schubste ihn einfach von mir weg. „Ich werde heute nicht mit dir schlafen!“ Ich war nicht dafür da, dass er sich an Valentinstag besser fühlte. „Aber morgen?“ Hartnäckiger Kerl. „Such dir eine Freundin, die du nerven kannst.“ Ich ließ mich gegen die Couch fallen und seufzte. Anstrengend. Ich glaube, heute fang ich an, diesen Tag zu hassen. Gratuliere dir, Daniel, das kriegt nicht jeder hin. Aus den Augenwinkel konnte ich sehen, dass er lächelnd den Kopf schüttelte. Er nahm mich und meinen Widerstand nicht ernst. Dann lehnte er sich etwas an mich und ich ließ ihn. Anlehnen war okay, das war kein Sex, dass hatte überhaupt nichts mit Sex zu tun. Alles fein. Er gab mir einen Kuss auf die Schläfe. Gaaah. Versteht ihr jetzt, was ich sage, wenn ich meinte, Beziehungen kamen mir zu geflogen? Vielleicht war auch einfach das Eis schuld... ----- Fröhlicher Valentinstag? Ich hätte jetzt gerne Eiscreme. Kapitel 16: Nach Madrid ist nur der Himmel schöner -------------------------------------------------- Diese Geschichte ist gewidmet und ich hoffe, du freust dich etwas darüber. ------------------------ Ich ließ den Applaus über mich schwappen und genoss ihn. Es war ein berauschendes Gefühl auf einer Bühne zu stehen und ich wusste, dass ich nie genug davon kriegen würde. Ich verbeugte mich, wie es sich gehörte, meine Violine fest in der Hand, und trat dann von der Bühne auf. Im Hintergrund konnte ich noch hören, wie der nächste Teilnehmer angekündigt wurde, aber das interessierte mich nicht weiter. Ich war heute nicht gekommen, um mir meine Konkurrenz anzusehen. Ich wurde sowieso schon als deutscher Wunderknabe des Violinenspiels gehandelt und hatte es letzte Woche geschafft einen Vertrag bei einem bekannten, französischen Orchester zu unterschreiben. Ich hatte schon mehr erreicht, als die meisten anderen Teilnehmer hier und ich war auch sehr stolz darauf. Ich spielte seit ich vier war Violine und es war die Liebe meines Lebens. Ich hatte zu dem das Glück, dass meine Eltern darin eine sinnvolle Beschäftigung für mich sahen und mich darin immer unterstützt hatten. Zu dem hatte ich wohl das, was als wirkliches Talent bezeichnet wurde. Ich musste sagen, in dieser Hinsicht hatte es mein Leben gut mit mir gemeint. Hinter der Bühne ließ ich die üblichen Komplimente und Lob für mein Geigenspiel über mich ergehen und lächelte stets freundlich als Antwort. Dabei behielt ich aber im Hinterkopf, wie ich sie hab tuscheln hören, als ich heute zum Wettbewerb aufgetaucht war. Ich hasste Gerüchte, vor allem dann, wenn sie mich beinhalteten, aber nichts mit Musik zu tun hatten. Was zur Hölle ging irgendwem hier mein Privatleben an? Aber das musste man wohl in Kauf nehmen, wenn man irgendwie im Rampenlicht stand. Stören tat es mich trotzdem. Es war ganz und gar meine Angelegenheit, warum mein privater Geigenlehrer gekündigt wurde und meine Mutter ihm eine Anklage für sexuelle Belästigung eines Minderjährigen an den Hals gehetzt hatte. Als würde mich die Sache nicht schon so genug nerven. Ich fand auch, dass es meine Mutter etwas übertrieben hatte mit der Anzeige. Aber vermutlich wollte sie meinem Vater beweisen, dass sie sich sehr gut um mich kümmern konnte und ihn nicht brauchte. Was auch immer in den Köpfen von frisch geschiedenen Leuten vor ging. Passiert war eigentlich auch nichts. Mein Lehrer hatte Interesse an mir gezeigt und wenn er mein Typ gewesen wäre, wäre ich vielleicht sogar auf ihn eingegangen. Ich stand auf ältere Männer. Aber er hatte mir nicht in den Kram gepasst und ich hatte ihn schon als Lehrer nicht gemocht. Wenn ich allerdings gewusst hätte, dass meine Mutter so ein Drama aus der Angelegenheit machen würde, hätte ich gar nichts gesagt. Nur gut, dass sie nicht wusste, was ich mit meinem Geigenlehrer davor so alles angestellt hatte. Ich seufzte und fühlte mich etwas von der Umgebung und den Leuten hier genervt. Normalerweise mochte ich die Wettbewerbe. Sie waren eigentlich auch ein Teil meines Lebens, da mich meine Eltern seit ich sechs war auf jeden Wettbewerb in Deutschland geschleppt hatten. Ich hatte sogar ein paar Freundschaften hier geschlossen, aber im Moment störte es mich, hier soviele bekannte Gesichter zu sehen und zu wissen, wie sie sich die Mäuler über mich zerrissen. Und dann war auch noch Lorenz unauffindbar. Er war doch der Grund, warum ich überhaupt heute hier war. Ich wollte mich von ihm verabschieden, da ich ja die Welt der Wettbewerbe verlassen würden und damit die letzte Verbindung zu ihn verlieren würde. Wir hatten uns immer sehr gut verstanden, wenn wir uns auf den Wettbewerben getroffen hatten. Seine Eltern waren ähnlich ehrgeizig darin, ihren Sohn auf der Bühne zu sehen, wie meine. Und manchmal fühlte ich mich stark an mein Leben erinnert, wenn er mir von seinem vorjammerte. Uns unterschied eigentlich nur, dass ihm das ganz große Talent fehlte und er wusste das. Ich war immer wieder erstaunt, wie viel Ehrgeiz und Fleiß er für das Violinespielen mitbrachte, obwohl ihm klar war, dass er nie ein ähnliches Niveau wie ich erreichen würde. Ich hatte nicht mal das Gefühl, dass ihn das störte. Eventuell genoss er es auch nur auf der Bühne zu stehen. Beifall bekam er nämlich zu genüge. Er hatte vielleicht nicht mein Talent, aber das Aussehen, was mir fehlte. Er schien wie für die Bühne gemacht zu sein, mit seinen ebenmäßigen, aristokratischen Gesichtszügen, seinem leicht arroganten Lächeln und dem Funkeln in den Augen, das Humor und Intelligenz zeigte. Man konnte sagen, was man wollte, er sah einfach gut aus und hatte eine enorme Wirkung. Wenn man ihn sah, wusste man, dass er es einmal weit im Leben bringen würde, nur vielleicht nicht gerade als Violinist. Und ihm wollte ich Lebewohl sagen. Ich drehte mich nochmal suchend um und sah ihn dann gerade von der Bühne kommen. Okay, dass erklärte, warum er nicht zu sehen war. Ich hätte wohl doch besser darauf achten sollen, wer angekündigt wurde. „Lorenz!“, ich winkte ihm zu und er winkte zurück. Allerdings war er noch zu beschäftigt mit den Mädchen, die ihn umringten, um gleich zu mir zu kommen. Aber das waren wir gewöhnt. Es war schon immer so gewesen, dass wir nach einem Auftritt beide viel umschwärmt waren, ich wegen dem Talent, er wegen dem Aussehen. Ich stellte mich etwas abseits und wartete darauf, dass das Interesse um ihn etwas abflaute. Ich wusste nicht genau, was ich ihm sagen sollte, aber normalerweise verstand Lorenz sowieso, was ich von ihm wollte. „Hey, Henry!“ Er stand mit einem leichten Lächeln vor mir und ich grinste zurück. „Du hast heute direkt nach mir gespielt.“, stellte ich fest und er machte ein zerknirschtes Gesicht. „Ja, bei meinem Glück. Wenn man nach dir spielt, klingt alles wie gequirlte Scheiße. Also wenn ich heute nicht unter die besten Fünf komme, bist allein du Schuld.“ Ich lachte nur, Lorenz sorgte immer dafür, dass man sich in seiner Gesellschaft leichter fühlte. „Aber du hast heute echt krass gut gespielt. Mich wundert es nicht, dass sie dich in Frankreich genommen haben.“ „Du hast davon gehört?“, fragte ich überrascht. Aber eigentlich hätte es mir klar sein müssen. Ich würde es auch wissen, wenn Lorenz einen großen Vertrag unterschreiben würde, was eher unwahrscheinlich war. „Du kennst doch die Mädels, nur am Tratschen die ganze Zeit. Außerdem hab ich mir das fast gedacht, weil du die letzten zweimal nicht da warst.“ „Naja, Wettbewerbe waren das letztes halbe Jahr echt nicht drin. Ich war die ganze Zeit am Proben, dass es selbst mir fast zum Hals raushing.“ „Hab gehört, du hattest auch Probleme mit deinem Lehrer.“, sein Tonfall hatte einen anderen Klang angenommen und ich ärgerte mich ein bisschen darüber, dass er dieses Thema angesprochen hatte. Dummer Klatsch. Ich verzog etwas unwillig das Gesicht. Lorenz musterte mich aufmerksam und ich hatte das Gefühl, als wollte er was bestimmtes von mir hören und ich hatte keinen Schimmer was. „Naja, alles ein bisschen dumm gelaufen.“ Ich zuckte mit den Schultern. Ich wollte wirklich nicht über dieses Thema reden und schon gar nicht mit Lorenz. Es könnnte unser letztes Gespräch überhaupt sein und ich hatte keine Lust, es mit so einem bekloppten Thema zu verbinden. „Stimm es denn, dass... also, ich mein...“ Es kam selten vor, dass Lorenz um ein Thema rumdruckste, aber ich wollte gar nicht wissen, welche Ausmaße das Gerücht mittlerweile angenommen hatte. Am Ende hatte man ihm erzählt, ich wurde vergewaltigt oder so ein Dreck. „Mein Lehrer und ich hatten ein paar Differenzen, die nicht nur mit Musik zu tun hatten.“, gab ich schließlich neutral zurück. Mein Privatleben war wirklich meine Sache. „Aha.“ Lorenz runzelte die Stirn und ich wusste, dass er nicht zufrieden mit der Antwort war. „Er war ein bisschen zu aufdringlich, das wars.“ Nicht, dass er sich am Ende was komisches ausmalte. Ich zuckte nochmals mit den Schultern. Es war wirklich alles nicht so dramatisch, wenn meine Mutter es nicht so hochgepusht hätte. „Dir scheint das öfter zu passieren.“, kam es von Lorenz und endlich verstand ich, worauf er hinaus wollte. Auch wenn das damals eine völlig andere Situation gewesen war. „Oh, du hast uns damals gesehen?“, stellte ich peinlich berührt fest. „Naja... ja.“ Er war etwas rot geworden und ich war überrascht, dass er so verklemmt auf dieses Thema reagierte. Es war nur ein Kuss gewesen, zwischen mir und meinem damaligen Geigenlehrer. Meiner ersten großen Liebe, wie ich damals dachte. Hm, war auch schon alles zwei Jahre her. „Das war aber was anderes, also er... ich... er hat mich nicht belästigt.“ Und ich merkte erst, als ich fertig gesprochen hatte, was ich ihm damit sagte. Ich Depp. Ich wollte Tschüss sagen und nicht „Hey, ich bin schwul und fand dich schon immer rattenscharf.“ Zum Glück hatte ich mir das mit dem Rattenscharf noch erspart. Es war ja nicht so, als wollte ich wirklich etwas von Lorenz. Klar, ich hatte mir schon öfter einen runtergeholt und dabei an ihn gedacht, aber das würde mir niemand bei seinem Aussehen verdenken und es war mehr das Verlangen nach etwas Unerreichbaren, als das ich ihn wirklich haben wollte. „Hm... ja, sah auch nicht so aus.“ Er zuckte unbestimmt mit den Schultern und mir kam das ganze Gespräch ziemlich komisch vor. Es wirkte fast so, als würde Lorenz die letzte Möglichkeit nutzen, um mich noch auszufragen, als hätte er das vorher nicht gewagt. Wir standen etwas unbehaglich da und ich hatte keinen Schimmer, was ich jetzt sagen sollte. Ich fühlte mich irgendwie wie ein Loser. Jetzt da er wusste, dass ich schwul war, hatte ich das Gefühl, als wüsste er zu viel über mich. Als könnte er auch sehen, dass mich in meiner Klasse alle für einen Freak hielten, der nichts konnte außer Geige spielen. Als wüsste er, dass ich bei dem französischen Orchester hauptsächlich deswegen unterschrieben hatte, um einfach von meiner kaputten Familie weg zu kommen. Als wäre ihm jetzt klar, dass ich in meinem Leben nichts hatte außer meiner Violine. All das löste dieses Schweigen zwischen uns aus. Es hätte doch nur ein einfaches Lebewohl werden sollen, kein Seelenfick. Dafür hatte ich nicht an diesem Wettbewerb teilgenommen. So sollte unser letztes Gespräch nicht aussehen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und hatte den Blick gesenkt. Ich hätte ihn im Moment einfach nicht in sein schönes Gesicht sehen können. „Wir werden uns wohl nicht mehr so oft sehen, oder?“, fragte er schließlich und ich schüttelte den Kopf. Würde ich mit Lorenz viel mehr verlieren, als ich zunächst dachte? „Du nimmst an keine Wettbewerbe hier mehr teil, oder?“, hakte er noch nach. „Unwahrscheinlich.“ Jedenfalls nicht bei den gleichen, wie er. Wir waren jetzt beide siebzehn. Ich gab ihm noch bis zu seinem Abitur, dann würde er das Geigespielen entgültig aufgeben. Ich glaube, das war ihm selbst klar und ich wollte ein Profi werden, ich war dabei es zu schaffen. Ich hatte meinen Blick immer noch auf den Boden gerichtet und sah, wie seine Schuhe in mein Blickfeld rückten. Er war auf mich zugekommen. Er legte seine Hand auf meine Schulter und ich fühlte mich unruhig. Seine Haare streiften meine Wange, als er sich zu mir beugte. Sein Atem streifte warm mein Ohr. „Ich werd dich vermissen.“, flüsterte Lorenz und hauchte mir einen zarten Kuss auf meine Wange, bevor wieder einen Schritt zurück ging und mich angrinste, als wäre nichts. Ich konnte ihn nur anstarren. Was zur Hölle war das gewesen? „Ich glaub, wir müssen wieder auf die Bühne, zur Preisverleihung.“ Er hatte immer noch dieses selbstsichere Grinsen im Gesicht und ich verstand gar nichts mehr. Ich musste sagen, ich verstand es bis heute nicht. Das Ganze war meiner Empfindung nach Jahrmillionen her und sonst wohl so ein Jahrzehnt. Gott, waren wir damals noch jung gewesen... Ich klappte meinen Geigenkasten zu, legte die Schnallen um und verließ damit das Studio. Keine großen Feiern mehr nach dem ich gespielt hatte, nur noch Arbeit. Ich hatte eine Aufnahme für einen Werbejingle gemacht. Dafür hatte ich Musik studiert... Ich ging mit langen Schritten zur Metrostation. In den Schaufenstern konnte ich meine Spieglung sehen und ich stellte fest, dass ich den Anblick mich mit einem Geigenkasten zu sehen immer noch mochte. Als Kind hatte ich mir vorgestellt, meine Violine war eine Waffe mit der ich die Welt retten konnte und vielleicht hatte ich immer gehofft mit dem Geigenspielen genau das zu erreichen. Mit der Musik gegen das Elend der Welt. Ich hatte es nicht mal geschafft, meine eigene Welt zu retten. Ich ging die Treppen nach unten in die warme, schlecht gelüftete Metrostation, steckte meine Karte in den Automat, um durch das Drehkreuz zu kommen und machte mich dann auf den unterirdischen Weg zu meiner richtigen Metrolinie. Vielleicht hatte ich mir sein Gesicht in der Menschenmenge letztens nur eingebildet. Wer weiß wie Lorenz jetzt aussah. Bestimmt noch so attraktiv wie früher, aber männlicher. Er hätte es sein können, ich war mir nicht sicher. Warum sollte Lorenz auf ein Konzert von mir kommen? Wahrscheinlich bildete ich es mir nur ein, weil ich es mir wünschte. Ich wollte in eine Zeit zurück, wo ich noch der aufstrebende Stern des Musikhimmels gewesen war und nicht der Depp, der sich von Agenten über den Tisch hatte ziehen lassen und mit den falschen Leuten zur falschen Zeit etwas am Laufen gehabt hatte. Es reichte leider nicht aus, überragend Geige spielen zu können. Man musste mehr im Leben leisten, mehr Glück haben. Das mit Glück hatte ich leider nie so drauf gehabt. Die Metro fuhr laut quietschend ein und brachte einen Schwung unangenehm warmer Luft mit sich. Es strömten Leute an mir vorbei aus den Türen und ich drückte mich durch sie hindurch, um in das Gefährt zu kommen, so dass es nicht ohne mich weiter fuhr. Die Zeiten waren hart, wer einen Platz finden wollte, musste sich durchkämpfen. Das war beim Metrofahren um diese Uhrzeit nicht anders. Ich war schon froh, dass ich mich an einer Stange festklammern konnte und nicht wie ein paar Unglückselige in die Mitte gedrängt worden war, wo man jede Kurve fast umgeworfen wurde. Das Leben war nicht einfach, wenn man kein Geld für ein Auto hatte. Öffentliche Verkehrsmittel waren gewöhnungsbedürftig, aber ich hatte nun schon über zehn Jahre damit zugebracht mich mit ihnen anzufreunden. Ich versuchte mir Lorenz in einer Metro vorzustellen und scheitere kläglich daran. Er war kein Mensch, der sich in einer U-Bahn oder dergleichen aufhalten sollte. Vielleicht hatte er sogar einen Chauffeur. Meine Mutter hatte mir vor kurzem erzählt, dass er nach seinem Studium das Geschäft seines Vaters mitleitete. Ich fragte mich, woher sie soetwas wusste, hatte aber keine Zweifel daran, dass es stimmte. Passte zu Lorenz. Er war schon immer ein sehr zielstrebiger Charakter gewesen und sehr ehrgeizig. Zu dem konnte ich mir gut vorstellen, dass es ihm lag eine Firma zu leiten. Er war eine Persönlichkeit dafür. Ich hörte eine Durchsage, die mir mitteilte, dass ich bei der nächsten Station rauswollte und kämpfe mich an einer alten Frau und einem dicken Kerl vorbei zur Tür. Mir war es schon mal passiert, dass ich mich nicht mehr rechtzeitig an den Leuten hatte vorbeidrücken können und erst an der nächsten Station rausgekommen war. Seit dem war ich etwas aufmerksamer, was das anging. Ich stieg aus und war froh, der drückenden Enge der Metro entkommen zu sein. Als ich die Treppen nach oben ging, raus aus der Station, hatte ich ein bisschen das Gefühl wieder am Leben zu sein. Zwei Straßen weiter lag meine WG, die ich mir mit einer Pianistin teilte, die mittlerweile mehr bei ihrem Freund wohnte als in unser Wohnung. Mir sollte es recht sein, mehr Ruhe für mich. Wenn ich es mir hätte leisten können, wäre ich schon längst in eine eigene Wohnung gezogen. Aber ich musste mein Geld gut haushalten. Es konnte schneller weg sein, als gedacht. Viel schneller. Ich betrat den etwas schäbigen Hauseingang und stellte drinnen fest, dass der Aufzug schon wieder nicht ging. Ich seufzte. In dem Fall war es definitiv ein Nachteil direkt unter dem Dach zu wohnen. Schöner Ausblick hin oder her, aber es gab Gründe warum Dachgeschosswohnungen billiger waren, als andere. Ich blickte den Treppenaufgang hoch und überlegte mir, ob ich mich nicht noch in das Cafe neben an setzten sollte, Kräfte sammeln. Ein Gedanke an mein leeres Portemoinnae sagte mir, dass ich es besser bleiben ließ. Als ich endlich im sechsten Stock oben war, war ich völlig außer Puste und fühlte mich etwas alt. In meinem Alter sollte man doch leichter die ganzen Stufen hochkommen, oder? Ich kramte immer noch kurzatmig mein Schlüsselbund aus den Tiefen meiner Hosentasche und schrack fürchterlich zusammen, als sich jemand hinter mir räusperte. Irritiert drehte ich mich um und bekam dieses arrogante Grinsen zu sehen, was mich schon die letzten Tage ständig beschäftigt hatte. „Lorenz.“, kam es überrascht von mir und ich wünschte mir, ich hätte bessere Klamotten an und frisch gewaschene Haare. „Hey, Henry.“ Seine Stimme klang einnehmend dunkel und in dem grauen Anzug sah er älter aus, als er war. Allerdings stand es ihm. Ich musste so schäbig neben ihm aussehen. „Tschuldige die Frage, aber was willst du hier?“ Nicht das ich mich freute, aber warum stand er hier vor meiner Wohnung, in Madrid. Es war nicht so, dass ich gleich um die Ecke wohnte. „Ach, ich war in der Gegend und ich dachte, ich mach einen kleinen Abstecher zu dir. Willst du mich nicht reinbitten?“ Er schaute kurz zur Türe und ich bemerkte, dass ich noch immer die Hand am Schlüssel hatte, der in der Tür steckte. „Äh, klar. Sekunde. Aber es ist nicht aufgeräumt.“ Das war noch untertrieben. Die Wohnung war ohne die pflegliche Bewohnung von Marie ein einziger Sumpf an Chaos. „Ich denke, damit kann ich leben.“ Er lächelte immer noch. Ich hatte keinen Schimmer, wie ich auf ihn reagieren sollte. Ich verstand nicht, was er plötzlich hier wollte. Wie er überhaupt wusste, wo ich wohnte. „Mein bescheidenes Heim.“ Ich machte eine auslandende Geste in unseren Hausflur und ich fand, dass bescheiden meine Wohnung ganz gut beschrieb. „Nett...“ Lorenz schaute eher skeptisch. Er war definitiv besseres gewohnt, aber nicht jeder konnte eine reiche Familie haben, die einen finanziell unterstütze. „Naja, keine Villa, aber besser als eine Brücke.“ Ich zuckte mit den Schultern und ging dann in das Wohnzimmer, um dort meinen Geigenkasten abzulegen. Lorenz folgte mir. „Kann ich dir was zu trinken anbieten? Ich hab Wasser... und eventuell noch irgendwo Saft.“ Wobei ich mir mit dem Saft nicht ganz sicher war, der könnte auch schon abgelaufen sein. Einkaufen war nicht so meine Stärke. „Nein, ist schon okay.“ Er schaute sich aufmerksam in der Wohnung um, so als würde er jede sich jede Einzelheit einprägen wollen. „Setz dich doch, das Sofa ist wirklich bequem.“ Ich deutete auf das verschlissene Ledersofa, das schon viele Jahre Hintern einen weichen Platz geboten hatte. Er setzte sich tatsächlich einfach hin und schaute dann grinsend zu mir hoch. Ich war immer noch irgendwie verwirrt von seiner Anwesenheit. Vielleicht sollte ich mich mehr freuen, aber gerade hatte ich Angst, dass irgendwas dreckiges in meiner Wohnung seinen Anzug anfallen könnte. Ich machte mich unnötig verrückt. Mit einem Seufzen ließ ich mich dann einfach neben ihm fallen. Ich konnte Lorenz nichts besseres bieten, wenn es ihm nicht gefiel, niemand hatte ihn eingeladen. „Deine Mutter hat mir erzählt, dass du jetzt in Madrid eine Anstellung gefunden hast.“, leierte Lorenz gnädigerweise ein Gespräch an. „Du hast mit meiner Mutter geredet?“, fragte ich etwas überrascht. Ich wollte nicht auf meinen „Beruf“ eingehen. Es war lange nicht das, was mir hätte bevorstehen können. Es war ein billiger, schlechter Abklatsch davon. „Ja, ich hab sie angerufen. Mir ist vor ein paar Wochen eine CD von dir in die Hände gefallen und ich hab mich gefragt, was aus dir geworden ist.“ Er sagte das in einem Tonfall, als wäre das völlig normal, deswegen nach Madrid zu kommen. „Sie hat mir dann auch deine Addresse geben.“ „Du bist aber nicht extra deswegen hier her gekommen, oder?“, ich hatte skeptisch die Stirn gerunzelt und hoffte für ihn, dass er Nein sagte. Er lachte allerdings nur. „Ich hatte sowieso mal Urlaub nötig. Man kann ja nicht die ganze Zeit arbeiten.“ Lorenz tat wirklich so, als wäre das alles total einleuchtend. Natürlich brauchte man mal Urlaub, aber deswegen flog man doch nicht einfach nach Madrid, um einen alten Bekannten zu treffen, mit dem man einen komischen Abschied hatte. „Ich wäre froh über mehr Arbeit.“ Ich seufzte und lehnte mich in mein Sofa zurück. Das war doch alles total verrückt. Wahrscheinlich hatte ich gestern Abend einfach zu viel gekifft und bildetete mir das alles nur ein. „Du warst schon immer einer, der nie viel Glück hatte.“, stellte Lorenz fest. „Ach, es gibt Leute, denen es schlechter geht als mir.“ Ich jammerte gerne, aber ich hielt nicht viel davon, mich selbst zu bemitleiden. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, um ihn ansehen zu können. Er hatte einen ernsten Gesichtsausdruck und ich hatte Recht mit der Annahme, dass er noch attraktiver geworden ist. Ob ich mit seine Aussehen in meinem Leben weiter gekommen wäre? „Sag mal, kann es sein, dass du vor ein paar Tagen auf einem Konzert von mir warst?“ Das hatte ich mich schon eine Weile gefragt und warum nicht die Gelegenheit am Schopf packen und mir die Chance geben, mich zu blamieren. Wahrscheinlich war er erst seit heute hier und wusste nicht mal, dass ich auch noch ab und an einen Auftritt hatte. „Du hast mich bemerkt?“, fragte er überrascht. Also war er es wirklich gewesen. Warum war er auf ein Konzert von mir gegangen, aber nicht gleich zu mir gekommen? Vermutlich war er jetzt auch nur kurz hier, um zu sehen, wie erbärmlich mein Leben geworden war. „Naja, es war ein sehr kleines Opernhaus.“ „Mir hat das Konzert sehr gut gefallen, es war schön, dich mal wieder live spielen zu sehen.“ Er lächelte mich an und ich musste an den kurzen, scheuen Kuss auf die Wange denken. Verstand ich es jetzt? „Du hättest Hallo sagen können.“, tastete ich mich an eine Antwort heran. Es gab einen Grund, warum er nicht gleich zu mir gekommen war, oder? „Ich war mir nicht sicher, ob du mich sehen wolltest.“, gab er schließlich zu. Lorenz hatte Angst gehabt mir gegenüber zu treten? Angst vor meiner Ablehnung? Ich musste anfangen zu lachen. Ich musste wirklich noch total zu sein, dass konnte nicht wahr sein. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, brachte ich unter Japsen heraus. Allein die Vorstellung, dass gerade Lorenz sich Sorgen machte, ich würde ihn nicht sehen wollen. So absurd. Er schwieg mich nur an und beobachtete mich dabei, wie ich ihn auslachte. Als ich mich beruhigt hatte, schaute er mich immer noch an. Sein Blick machte mich nervös. Ich würde gerne was dummes sagen und das Schweigen zwischen uns brechen. „Ich hab dich wirklich vermisst.“ Und wieder beugte er sich zu mir und gab mir einen Kuss. Sacht berührten seine Lippen die meinen und ich hatte das Gefühl, als wäre es wieder alles wie früher, keine zehn Jahre vergangen und nicht soviele Chancen verpasst. Es war gut, Lorenz hier zu haben. Kapitel 17: Ressourcenverschwendung ----------------------------------- Zu dieser Geschichte kann ich euch "lvdngrslvngklls" von Bonaparte (http://www.youtube.com/watch?v=mkQbcU2iWl4) empfehlen, zu dem könnte man eine kleine Parallele zu "Memories of Matsuko" sehen und wer Sebastian Krämer kennt, weiß was mit Bonn gemeint ist, oder schaut hier: http://www.youtube.com/watch?v=6GXPtQQ3GKk So entstehen Geschichten von mir... so und nicht anders. O_O Ich sollte mir ein interessanteres Leben zu legen. --------------- Ficken. Ficken. Ficken. Genau das waren meine Gedanken gewesen, als mir meine Freundin erklärt hatte, dass aus unsere Beziehung eine dumpfe Brühe an Nebenherleben geworden war. Sie hatte Schluss gemacht und ich wollte Sex. Nicht mit ihr, für mich war es recht irrelevant was ich nageln konnte, es ging mir mehr um die Angelegenheit an sich, als um die Person mit der ich schlafen wollte. Außerdem konnte mir das niemand übel nehmen, sie hatte mich abserviert und ich musste mich doch trösten. Nun, genau genommen, müsste ich traurig sein, um getröstet werden zu können, aber irgendwo war es mir ziemlich egal, dass ich keine Beziehung mehr hatte. Es machte doch gar keinen Unterschied, außer vielleicht das ich meine Instant-Nudelsuppe und mein Sofa beim Fernsehen nicht mehr teilen musste. Außerdem konnte ich mir jetzt wieder ohne Reue und vorwurfsvollen Blicken Pornos ansehen und mir dabei einen runterholen. Und niemand scherte sich darum, ob ich soviel saufe, dass ich einem Filmriss vom Filmriss bekam und nicht mal mehr wusste, was ich die letzten drei Wochen so genau getan habe. Wenn ich mich so mit einem wummerenden Schädel so in meiner vermüllten und zu gerauchten Einzimmer-Wohnung umschaute, bestätigte sich mein Verdacht, dass ich die Wochen tatsächlich mit Sex, Alkohol und Pornos zu gebracht hatte. Immerhin lagen ein paar DVD-Hüllen mit so viel versprechenden Titeln wie „Ass-Fucking-Twins big in Tokyo“ und „Spirit – der wilde Mustang“ am Boden. Halt, der zweite Film sah irgendwie nach einem Kinder-Zeichentrick ala Walt Disney aus... Verdammt, was zur Hölle hatte ich die letzten Wochen getrieben und warum fragte ich mich das erst jetzt? Mit einem etwas angeekelten Blick stellte ich fest, dass zu dem neben meinem Bett ein gebrauchtes Kondom vor sich hingammelte und ich wünschte mir, dass ich gestern nicht den letzten Alkohol in dieser Wohnung getrunken hätte. Ich wollte mich nicht nüchtern den Zustand meiner Wohnung stellen. Ich überlegte, ob ich nicht einfach jemand anrufen sollte und mich zum Saufen auswärts begeben sollte. Aber mein Geldbeutel sagte mir, dass ich nicht mal mehr genug Geld hatte, mir Toastbrot zu kaufen. Was Scheiße war, ich hatte nämlich den nagenden Verdacht, dass mein Kühlschrank so leer war, wie mein Magen... Ich ließ mich wieder in mein Bett fallen und überlegte, ob es realisierbar war, solange zu schlafen, bis ein neuer Monat war und ich wieder Kohle zum Leben hatte. Vermutlich eher nicht, der Monat hatte erst begonnen. Ich hörte mein Telefon klingeln und fühlte mich von dem schrillen Klingen eingelullt, da es sich dem beständigen und unangenehmen Hämmern in meinem Kopf rhythmisch anpasste. Klang wie ein fettes Live-Konzert mit schlechten Musikern. Ich zog mir die Decke über den Kopf und stellte fest, dass sie abartig miefte. Wäsche waschen... Es gab doch nichts schlimmeres, wenn einem die Realität so im Laufschritt wieder einholte. Ich versuchte mich zu erinnern, welcher Wochentag war und kam nicht drauf. Was auch etwas beunruhigend war. Ich hatte das dumpfe Gefühl, ich war in den letzten drei Wochen auch nicht bei meinem Nebenjob gewesen, jetzt wohl eher meinem ehemaligen Nebenjob. Bekam ich dann nächsten Monat überhaupt wieder Kohle? Niedergeschmettert von dem Gedanken drehte ich meiner Wohnung und der Welt den Rücken zu und versuchte zu schlafen. Was sollte ich auch sonst groß tun? Ich war viel zu fertig, um mich im Moment um das Chaos zu kümmern, was sich mein Leben schimpfte. Ich wachte von dem Piepen meines Anrufbeantworters wieder auf. Jemand sprach mir ein müdes „Scheiße...“ aufs Band und legte dann auf. Konnte meinem unbekannten Anrufer nur recht geben, deswegen rollte ich mich wieder in meiner muffigen Decke ein und ignorierte das helle Licht, dass verzweifelt versuchte meine Wohnung irgendwie freundlich aussehen zu lassen. Was war eigentlich mit meinen Vorhängen passiert? Ich öffnete meine Augen, um nach ihnen zu suchen und stellte fest, dass sie abgerissen mit der Gardinenstange am Boden lag und ich offensichtlich Bier darüber gekippt hatte. Vorhänge wurden doch völlig überbewertet, oder nicht? Ich würde sie bei Gelegenheit entsorgen oder vielleicht sogar waschen. Aber nicht jetzt... Das nächste Mal als ich aufwachte, lag es an einem viel profaneren Gefühl, als dem Überdruss am Leben. Ich hatte abartig Durst und mit dem Gedanken an ein erfrischendes Glas Leitungswasser hievte ich mich aus meinem Bett und schleppte mich zu meiner Kochnische. In der Spüle fand ich erstmal nur dreckiges Geschirr und ein zerbrochener Teller. Aus keinem davon konnte man trinken. Aber mein Glücksbecher ließ mich nicht im Stich, er stand sauber an der Spüle und wartete nur darauf, mir zu Diensten zu sein. Wenigstens etwas, dass noch in Ordnung war. Ich spülte ihn kurz aus, um die Spinne aus meinem Lieblingsbecher zu vertreiben und trank dann ein paar große Schlücke kaltes, klares Wasser. Den seltsamen Nachgeschmack schob ich auf meinem Mundgeruch und meine ungeputzen Zähne und nicht auf die mangelende Wasserqualität. Man musste sich ja nicht alles madig machen. Etwas wacher, als vor ein paar Stunden trottete ich zu meinem Zweisitzer-Sofa und ließ mich davor nieder. Ich schaltete den Fernseher ein und fühlte mich zu träge, überhaupt das Programm zu wechseln. Immerhin erkannte ich, dass wir Wochenende hatte. Es liefen Serien, die sonst nur Samstagmittag zu sehen waren. Ohne Fernseher wäre ich manchmal hoffnungslos im Strudel der Zeit verloren. Vielleicht sollte ich mir mal einen Kalender oder eine Armbanduhr anschaffen. Konnte ich sicher in den Plan mir ein neues Leben anzuschaffen integrieren. Ich beschloss, dass dieser Gedanke genug Arbeit gewesen war für den restlichen Tag. Immerhin hatte ich darüber nachgedacht, was ich besser machen könnte. Das war mehr, als viele andere Leute taten, vermutlich. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, ich hab mich nie sehr dafür interessiert, was andere Leute tatsächlich machten. Ich bildete mir nur immer gerne ein, wie das Leben von anderen aussehen sollte. Wenn ich einer von den anderen wäre... würde ich Bonn angreifen? Wieder schrillte das Telefon penetrant und diesmal erbarmte ich mich sogar, abzuheben, bevor wieder mein armer AB damit belästigt wurde. „Ja?“, antworte ich höflich wie ich war, nämlich gar nicht. „Hab heute schon ein paar Mal versucht dich anzurufen.“, nuschelte eine müde Stimme an der anderen Leitung. „Du warst was...“, stellte ich fest, nicht mal bemüht überrascht zu klingen, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wer „du“ eigentlich war. „Sieht so aus...“ Es herrschte Schweigen zwischen uns, dass fast einzuschlafen schien. „Eigentlich hab ich keine Lust zu reden, aber ich hab so einen Zettel in meiner Tasche gefunden... stand deine Nummer drauf.“, wurde mir wieder mit dieser indifferenten Stimme mitgeteilt, fast so, als würde der Typ selber noch schlafen. Aber ich wusste, wie er sich fühlte. Mir war auch nicht nach reden zu Mute und irgendwie dämmerte mir langsam, dass das Gespräch komisch war. „Ich hab keine Ahnung, wer du bist.“, teilte ich meinem Gesprächspartner schließlich mit. Ich konnte mich nicht mal daran erinnern, dass ich gestern außer Hauses gewesen bin. „Hatten wir Sex?“ „Hab keinen Schimmer... ich kann mich ehrlich gesagt auch nicht an dich erinnern.“ Ich hatte das Gefühl, als würde ich gerade mit einer verwandten Seele sprechen oder einer meiner Ichs aus einem alternativen Universum, bei dem alles so war wie hier... Jedenfalls beschloss ich mich, dass ich diese Gelegenheit am Schopfe packen musste. Der Typ hatte bestimmt noch was zu trinken oder zu rauchen. „Kann ich vorbei kommen?“, fragte ich deswegen, vermutlich in der Hoffnung, dass daraus ein Abend mit Sex, Alkohol und Pornos wurde. Er klang zumindest so. „Hm, ich denke, das geht okay.“, murmelte der Typ und gab mir noch kurz seine Adresse. Ich verschwendete nicht einmal ein Gedanken daran, dass dieses Telefonat völlig bescheuert war, genau wie die ganze Aktion. Als ich nach draußen ging, schlug mir frische Luft entgegen und schien meinen Mief einfach weg zu wehen. Heute würde kein guter Tag mehr werden, aber vielleicht würde es auf Sex hinaus laufen und das war doch das, was ich von Anfang an wollte, oder nicht? Kapitel 18: Die Glückseligkeit des Alltags ------------------------------------------ Diese Geschichte möchte ich widmen, Gespräche mit ihr führen wirklich gerne mal zu netten Kurzgeschichten, oder weniger netten, je nach dem, wie man es sehen will. -------------- Sein heißer Atmen streifte mein Ohr und sein leises Keuchen erfüllte den Raum. Verschwitzt klebten einzelene Haarsträhnen in seinem Gesicht und er drückte sich enger an mich. Ich spürte seinen schweren Körper auf mir, der sich rhythmisch bewegte. Seine Hände fuhren immer wieder fahrig über meinem Körper und ich keuchte rau, um mein Wohlgefallen zu zeigen. Ihm zu liebe, dass er sich nicht völlig unnütz vorkam, wie er sich so über mir abrackerte. Eigentlich hätte ich gerne den Film weiter geschaut, aber da er mir im Blickfeld war, musste ich mit dem Ton zufrieden geben. Die sexy Stimme von George Clooneys Synchronsprecher half mir allerdings auch nicht, mich in Stimmung zu bringen. Ich hatte keinen Bock gehabt, ich war müde von dem anstrengenden Tag und hätte heute wirklich lieber einen gemütlichen Fernseherabend gehabt. Aber Sebastian war nur so selten da und ich kannte den Film ja eigentlich schon. Ich merkte, wie er sich leicht verkampfte und sein Stöhnen dunkler wurde, was meistens ein undrückliches Zeichen dafür war, dass er gleich kam. Daher versuchte ich von meiner Seite aus noch etwas mehr Enthusiasmus zu zeigen, damit es nicht ganz so offensichtlich war, mit wie wenig Begeisterung tatsächlich dabei war. Außerdem hatte ich mal bemerkt, dass ihn der „Ehrgeiz“ packt, wenn er merkte, dass ich nicht so richtig dabei war. Es war ja unheimlich süß, dass er Rücksicht auf mich nahm, aber im Moment hätte ich jetzt wirklich gerne den Film gesehen und je schneller es vorbei war, desto geringer war die Chance, dass ich nicht einfach einschlief. Aber anscheinend hatte er heute einer seiner ausdauerenden Tage, ganz zu meinem Bedauern. Anstatt eines langen, erfüllten Stöhnen hörte ich jetzt wieder sein leises, fast unterdrücktes Keuchen, das mir klar sagte, dass es wohl doch noch ein bisschen dauern würde. Ich hörte wieder der Stimme von George Clooney Synchronsprecher zu und fühlte mich im Moment irgendwie verschwitzt und verklebt. Ich entschloss mich, aber erst nach dem Film duschen zu gehen, damit ich doch noch etwas davon sehen konnte. Kurz zog ich es in Erwägung vielleicht einen Stellungswechsel zu animieren, damit ich eventuell so etwas von dem Film sehen konnte, aber dann war es mir die Mühe doch nicht wert. Also starrte ich an die Decke, wobei mir seine verstruppelten Haare etwas im Blickfeld waren. Ich sollte mir echt mal überlegen, ob ich mir für genau so einen Fall hübsche Poster an die Decke hängen sollte, aber jetzt musste ich mit der weißen Decke leben. Ich schaute mir die Risse genauer an und bemerkte, wie er mich plötzlich ansah. Normalerweise hat er die meiste Zeit die Augen geschlossen, was es einfacher machte, mein mangelende Begeisterung zu vertuschen. Ich rettete mich aber noch mit einem lustvollen Augenverdrehen und einem Keuchen, dass sehr authentisch klang. Offensichtlich zufrieden damit, schloss er selbst wieder die Augen und schien den Augenblick zu genießen. Hatte ich heute eigentlich daran gedacht, dass ich unbedingt noch Rosmarin für die Fleischsoße kaufen wollte? Ich würde nachher mal nachgucken gehen, ob ich das wirklich gekauft hatte. Ich würde mich ärgern, wenn nicht, da morgen die Läden geschlossen waren und ich uns ein gutes Sonntagsessen kochen wollte. Das war einer der Dinge, auf die ich mich besonders freute, ein schönes Essen mit Sebastian. Ich mochte Sebastian sehr gerne und genoß die Zeit immer, die wir miteinander verbachten. Nur gerade war ein schlechter Moment für die ganze Sex-Sache gewesen. Aber es konnte ja nicht immer perfekt sein und schon gar nicht, wenn man über fünf Jahre zusammen war. Gerade als mir der Fernsehsender mit einer nervigen, kleinen Melodie die Werbung ankündigte, kam er endlich. Er vergrub seine Hände in meinen Haaren und beschleunigte sein Tempo nochmals, dann ein erfülltes Stöhnen und er ließ sich auf mich fallen. Ich glaube, er hatte nicht mal bemerkt, dass ich den Moment ganz verpasst hatte und gar nicht mehr dazu gekommen war, einen Orgasmus vorzutäuschen. Naja, ich konnte damit leben. Mit einem Lächeln legte ich meine Arme um ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. Er schaute zufrieden zu mir und hatte ein sanftes Lächeln im Gesicht. Er war glücklich und damit konnte ich mich voll und ganz zufrieden geben. „Ich liebe dich...“, meinte er so leise, dass ich es nur verstand, weil ich wusste, dass er das immer danach sagte. „Ich dich auch.“, gab ich zurück, dann rollte er sich von mir runter und stand auf, um im Badezimmer das Kondom zu entsorgen. Romantik war doch nur was für verkorkste Träumer, ich war auch so glücklich. --------- Und mal ehrlich, manchmal geht es einem doch richtig auf den Sack, dass sie in Filmen und Geschichten immer alle unglaublich guten Sex haben, immer und jedesmal total perfekt und gah... Ist doch alles Kotze. Kapitel 19: Assoziationsverwirrung ---------------------------------- Ich konnte Klischees nicht ausstehen, natürlich nicht. Wer konnte das schon? Besonders nicht in diesem Fall. Es war wie aus einer dieser ekelhaften, kitschigen Geschichten, in denen der Protagonist über soviele Jahre hinweg unglücklich verliebt war und nie die Klappe auf bekam, bis es, durch was auch immer, aufgedeckt wurde und alle waren glücklich, hatten Sex und Juchee! Ficken, sag ich da nur! Nicht im Sinne von „Ich möchte ficken“, sondern mehr wie „So ein Scheiß!“ Anglizismen waren doch eh nur Bitches und ein Ficken hatte doch viel mehr Klang, als so ein knappes Fuck. Egal, zurück zum Thema. Das Klischee, das mich so ankotzt, das mit der Lovey-Dovey-Story. Warum zur Hölle konnte ich noch nicht bei dem Part sein, bei dem alle glücklich waren und Sex hatten? Meine Geschichte ging schon ein paar Jahre, aber ich war trotzdem irgendwo noch ziemlich am Anfang. Im Grunde einfach nur verzweifelt, einseitig verliebt. Nicht in ein Mädchen, natürlich nicht, das würde es ja einfach machen. Einfach, simpel. Ich war ein Simpel, ein Idiot, deswegen war mein Leben auch so kompliziert. Es war nicht mein bester Freund, zum Glück nicht, soviel hätte ich nicht ertragen. Aber es war trotzdem jemand, den ich ständig sah, irgendwie zu meinem Alltag dazu gehörte und da auf keinen Fall fehlen durfte. Wir waren zusammen im Judo, schon seit einigen Jahren. Mittlerweile hatte er mich ja schon längst überflügelt, was aber kein Wunder war. Ich war primär fleißig, nicht talentiert. Er war beides. Wir traten auch schon seit langem nicht mehr in Trainingskämpfen gegeneinander an. Was für mich sogar besser war, so wenig Körperkontakt wie möglich, aber mit maximal verbalen Austausch. Ich redete wirklich gerne mit ihm, mit Ben. Unsere Gespräche waren nicht weiter geistreich, es ging meistens um Judo oder irgendwas belangloses. Aber ich stand auf seine Stimme und sein Lächeln und hatte ich schon erwähnt, dass ich einfach ein Idiot war? Bestimmt, aber ich wollte es nur noch einmal betonen. Manchmal ertappte ich mich dabei, wie ich mir vorstellte, es mit ihm auf den Judomatten zu treiben, während er mit mir redete. Sein erhitztes Gesicht vor mir, Lust verschleierte Augen und ein raues Keuchen, direkt an meinem Ohr. Gott, ich hatte euch doch gesagt, alles ein dummes, blödes Klischee. Die ganze Sache, vor allem ich. „Du hast mir überhaupt nicht zu gehört, oder?“ Tut mir leid, ich war im Geiste damit beschäftigt gewesen, mir einen Blowjob von dir geben zu lassen. Ben grinste mich amüsiert an, zum Glück wusste er nicht, was mich so abgelenkt hatte. Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Halle mittlerweile so gut wie leer war und wir uns wirklich mal auf den Weg zu den Umkleiden machen sollten. Anscheinend dachte Ben zur Abwechslung mal was ähnliches wie ich, jedenfalls verließ er gerade die Halle. Ich holte zu ihm auf. „Nicht so richtig, sorry“, antwortete ich etwas verspätet und lächelte entschuldigend. Normalerweise war ich niemand, der sich einfach ausklinkte, wenn er mit jemand redete. Bei Ben passierte mir das aber ständig. Er hielt mich deswegen für ein bisschen neben der Spur, so allgemein, nicht nur jetzt im Moment. Aber meine Hormone hatten es mir nie leicht gemacht mit ihm. „Du und ich ...“ Er mir auch nicht. Du und ich, wie in „Du und ich allein bei dir zuhause, in deinem Bett oder unter der Dusche, innig mit einander verschlungen, in einen heißen Kuss vertieft! „..., oder?“ „Hm?“ Mir fiel es gerade gar nicht leicht, mich auf das Gespräch zu konzentrieren. Das war leicht beschissen. Reiß dich zusammen, Jonas. „Ey, ich bin ein geduldiger Mann, das wissen wir beide. Aber nochmal wiederhol ich mich nicht für dich, Alter!“ Er hatte die Augenbrauen leicht zusammen gezogen, die erste Vorstufe von slightly annoyed. „Sorry, ich bin im Moment einfach ...“ Völlig untervögelt und ich konnte an nichts anderes denken, als an dich und deinen nackten Körper an mich geschmiegt. Das er gerade die Uwagi auszog machte gar nichts besser. „Schon okay, komm einfach zu meiner Geburtstagsparty am Samstag, kriegste das hin?“ „Mit Geschenk?“ Ich war wirklich schlecht darin, Geschenke zu machen. Zumindest behauptete das meine Schwester. Aber woher sollte ich wissen, dass sie sich über einen Ratgeber für fettarme Ernährung nicht freute? Immerhin redete sie ständig davon, dass sie unbedingt abnehmen wollte! Frauen … Anstatt mir eine Antwort zu geben, schüttelte Ben nur lachend den Kopf. Ja, ich war ein ganz amüsantes Kerlchen! Leider war das kein Punkt, der dafür sprach, mit mir zu schlafen. Allgemein sprach dafür nicht viel. Um es mal mit den Worten eines sehr klugen Mannes zu sagen: My sexuael performances are average! Ey, ich war einfach kein besonderer Kerl, selbst mein Liebesleben liest sich wie ein Klischee-Schwulen-Schmalzstory und ja, damit hatte ich mich schon befasst. Mit einem furchtbar befremdlichen Gefühl. Ich wollte nicht schwanger werden, weil mein Lover mir aus Rache einen Zaubertrank einflößte, der alle Männer im Umkreis von zehn Kilometer schwängert. Zum Glück war ich kein Halbelb-Halbvampire-Hybrid. Ehrlich, dieser ganze fiktive Schwulenliebesdings hatten mich stellenweise ziemlich verstört. Naja, wenigstens war ich keine unbedarfte Jungfrau, mit der festen Überzeugung Analsex würde kein Stück weh tun und Sperma würde schmecken wie süße Schlagsahne. Am Arsch, aber sowas von. Aber so ein bisschen ein Beziehungskrüppel war ich schon. In Ben war ich verknallt, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe. Da waren wir dreizehn gewesen und mir war nicht klar, dass es darauf hinaus laufen würde, dass ich irgendwann mal eine Schwuchtel sein würde. Ben war sowieso nichts klar und da ich gar keine Lust hatte, mich deswegen zu blamieren, hatte ich mein erstes Mal mit einem anderen Kerl, und mein zweites mal, mein drittes und viertes Mal auch und prinzipiell ging es mir gerade um den Punkt, dass ich einfach noch nie Sex mit Ben hatte und ich das gerade als einen wahnsinnigen Missstand empfand. Aber nicht den falschen Eindruck von mir bekommen. Ich war nicht nur auf seinen Körper scharf, nein, ich stand sogar auf seinen Charakter. Er war cool, lässig, ein bisschen deppisch mit Mädchen, vor allem, wenn sie ihm die Fresse polierten und sah einfach nur rattenscharf aus, wenn man ihn auf die Matte beförderte. Ja, okay, ich war schon total auf seinen Körper eingeschossen. Aber ey, er machte Kampfsport, der hatte genau an den richtigen Stellen die Muskeln, die man haben möchte und sein Gesicht war auch ganz okay. Sympathisches Lächeln und er hatte einfach eine super angenehme Art. „Du weißt noch, wo ich wohne?“ Mittlerweile hatten wir uns fertig umgezogen und unsere Klamotten in den Taschen verstaut. Für mich war es nach wie vor seltsam Ben in seinen Straßenklamotten zu sehen. Mir kam das total unpassend vor. Ein T-Shirt und eine Jeans, nein, dafür war er nicht gemacht. Allerdings, was wusste ich schon? Meiner Meinung nach, war Ben dafür gemacht, nackt unter mir zu liegen. Oh ja … „Heute ist es echt schlimm mit dir! Hast du irgendwas geraucht? Du weißt doch, nur von dem Dealer deines Vertrauens kaufen!“ „Nein, nein … es ist nur, dass ich ...“ Denk nach, Jonas! Wörter, die nicht als Antwort in Frage kamen, waren doch nur: Sex mit dir. Alles andere war besser als die drei Wörter. „... untervögelt. Ich bin untervögelt. Total.“ „Äh ...“ Ben räuspert sich. Okay, das gerade eben war selbst für mich etwas schräg. Aber immerhin habe ich nicht gesagt, dass ich ihn vögeln wollte. Sieg für Jonas! Wie auch immer... „Hat dein Freund mit dir Schluss gemacht?“ Er hatte die Stimme gesenkt, als wäre er ernsthaft besorgt um mein Liebesleben. Mein schwules Liebesleben. Halt mal, woher wusste er eigentlich davon?! Argh, das wurmte mich gerade irgendwie. „Nein... ja, nicht direkt. Es ist schon länger Schluss“, stammelte ich etwas vor mich hin. Warum wusste er überhaupt davon, dass ich was mit einem Kerl hatte? Überhaupt etwas mit Kerlen. Mit Alex war Schluss gewesen, weil es ihn irgendwie genervt hatte, wie ich ständig von Ben geschwärmt hatte. Eifersüchtige Mistbratze … „Das äh... tut mir leid.“ Er versuchte wirklich mitfühlend auszusehen, aber ich wusste, dass er es seltsam fand, dass ich es mit Typen trieb. Wahrscheinlich dachte er an all die Momente, bei denen ich ihm beim Umziehen bespannt hatte oder er mich geschlagen auf die Matte drückte, oder keine Ahnung. Es gab genug schwul angehauchte Momente. Ehrlich, ich achtete immer sehr darauf. Jede Menge davon, ein ganzer Haufen, gab es davon. „Muss es nicht, war eh blöd, der Typ.“ Ich zuckte mit den Schultern. Ex-Lover waren doch immer Scheiße, vor allem dann, wenn sie einen verließen. Tz... „Also bist du wirklich so richtig … mit Kerlen und so?“ Ben schaute sich kurz um, ob uns irgendwer bei diesem peinlichen Gespräch belauschte. Aber wir gingen immer eine ruhige Nebenstraße zur Bushaltestelle, weil man völlig durchgeschwitzt einfach nicht gerne vielen Leuten begegnete. Jedenfalls war niemand in der Nähe. „Ja, Problem damit?“ Ich mein, ich hatte nicht so den Stress mit meiner Sexualität. Mehr mit meinem Männergeschmack, weil Hetero ist so der völlig falsche Geschmack für einen Homo. Hetero war zwar nicht ganz so schlimm wie ein Drogenjunkie oder Stricher, aber glücklich machte es auch nicht. „Nein, nein, alles cool. Is nur komisch irgendwie ...“ Ben schaute kurz zu mir, grinste schief und richtete seinen Blick wieder auf den Boden. Ich würde ja jetzt gerne sowas sagen wie: „Keine Sorge, ich fall schon nicht über dich her!“ Allerdings sollte man schon laut Bibel nicht lügen und Ben würde definitiv merken, dass es bei mir nicht sonderlich ehrlich gemeint war. „Falls es beruhigt, ich weiß, dass ich die Finger von dir lassen muss!“ Naja, das war eine Art Kompromislösung. Etwas zu wissen bedeutete ja nicht gleichzeitig, dass man sich wirklich daran halten wollte. „Oh, okay. Hm...“ Verdammt, was sollte dieses Hm? Das gefiel mir nicht. Es schien mir wie ein böser Vorbote für irgendwas. Vielleicht angehende Paranoia?! „Was?“, hakte ich nach. „Naja, du würdest also gar nicht mit mir … und so? Also ich hätte schwören können, du … stehst auf mich.“ Ben fuhr sich kurz die Haare. Ich konnte sehen, wie er rot wurde. Irgendwie hatte ich gerade etwas verpasst. Was hieß hier gerade? Ich hatte verdammt mal die ganzen letzten Jahre definitiv was verpasst. „Äh...“ Sollte ich was intelligentes sagen? Warte, nein, dazu war ich definitiv nicht in der Lage. Ich wusste, dass das „Hm“ ein schlechtes Zeichen gewesen war. „Oder nicht?“ Kurz schaute er in meine Richtung, wirkte irgendwie seltsam unsicher. „Doch schon … Nur äh, uhm … ist das nicht irgendwie schlecht? So für uns, mein ich.“ Ich kratzte mich am Kopf. Ich hätte von diesem Tag viel erwartet. Nein, warte, ich hatte von diesem Tag gar nichts erwartet. Es hatte nichts darauf hingewiesen, dass heute irgendwas besonderes passierte. Es war alles wie immer gewesen, warum jetzt nicht auch das Judotraining? „Naja, kommt ein bisschen darauf an. Wie ist Schwulensex so?“ „Bitte was?“ Ich japste nach Luft. Wir führten dieses Gespräch nicht gerade ernsthaft, oder? „Naja, du hast doch schon, oder nicht? Es würde mich nur mal irgendwie … interessieren.“ „Äh, uhm … man wird nicht schwanger, wenn man kein Zauberer ist.“ Ich war gerade völlig verwirrt, mir fiel nichts ein. Wie war Schwulensex? Naja, sexy, deswegen hatte man ihn. Er war okay. War Sex nicht immer irgendwie gleich? Argh. „Naja, ich bin kein Zauberer, also nicht das ich wüsste.“ Ben wirkte auch etwas perplex von meiner Antwort. Völlig zurecht. Wir gingen schweigend weiter. Gleich würde die Nebengasse wieder auf die Hauptstraße treffen und dann würde da die Bushaltestelle sein und ich in meinen Bus einsteigen und er in seinen und das ganze Gespräch hatte dann nie statt gefunden. War ein guter Plan, oder? „Kann … naja, können wir uns mal … weiß nich … Küssen?“ Er blieb stehen, ich auch. Okay, mein Plan war zunichte. Warum denn? Der wäre so schön gewesen. Warte, halt mal, Jonas! Da, Ben, der Ben deiner Sexfantasien, der Traum deiner mastrubierenden Nächte, wollte prinzipiell mit dir rumknutschen. Und was dann? Dann war ich scharf und er merkte, dass er lieber doch keine Kerle küssen wollte and so on. „Nicht hier.“ Ich brachte es nicht über mich, Nein zu sagen. Ich hatte nie behauptet charakterstark zu sein. Am Ende war ich vielleicht verletzt und enttäuscht und so was. Anderseits gab es hier auch noch andere Judo-Dojos und jeder Liebeskummer ging einmal vorbei. Die Chance mit Ben rumzumachen würde sich in meinem Leben aber nur einmal ergeben. „Okay, dann kann ich mit zu dir?“ Er schaute mich mit einem Blick an, der mich stark verunsicherte. Irgendwie, also irgendwie, da war doch was ... „Wenn du willst.“ Nur fürs Protokoll. Nicht, das mir am Ende vorgeworfen wurde, ich hätte irgendwen zu irgendwas gezwungen. Ben lächelte mich an. Ich konnte nicht anders, als es zu erwidern. Als der Bus kam stiegen wir beide in den selben ein. Ich war ein bisschen nervös und verwirrt, aber irgendwie verdammt glücklich. Kapitel 20: Kommunikationsverwirrung ------------------------------------ (Fortsetzung zu Assoziationsverwirrung) „Und?“ Erwartungsvoll schaute ich ihn an. Ich hatte mir wirklich Mühe gegeben, um ihn von all meinen Kussqualitäten zu überzeugen. Ich hoffe, das war nicht umsonst. „Hm...“ Argh, nicht schon wieder dieses Hm! Das mochte ich echt gar nicht! Ben suchte kurz den Blickkontakt, brach ihn aber sofort ab, als er merkte, wie ich ihn anstarrte. „Ich dachte irgendwie, es wäre … anders.“ „Was meinst du mit anders?“ War das gut oder schlecht? Es klang irgendwie schlecht. Ich hätte nicht erwartet, dass mich das alles so runterziehen könnte. „Naja, ich weiß nicht, ich dachte einfach, dass Kerle anders küssen würden, als Frauen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und das ist schlecht? Gut? Bist du enttäuscht?“ Ich hatte keine Ahnung davon, wie Frauen küssten. Ich hatte mit elf mal mit dem Nachbarsmädchen rumgeknutscht und wir fanden es beide irgendwie eklig. Was nichts damit zu tun hatte, dass ich wohl schwul war, sondern mehr, das wir keine Ahnung hatten. Sie war übrigens schon länger mit einen Kerl zusammen, also war das nicht irendwie ein komisches, homosexuelles Ding gewesen. Aber wie eine richtige Frau küsste, keinen Schimmer, hatte mich nie interessiert. „Nein, nein! Ich weiß nur nicht, irgendwie ...“ Ben zuckte unbestimmt mit den Schultern, mied meinen Blick. Au Mann, ich hatte es verbockt! Bitte nicht! „Es war vielleicht einfach die falsche Stimmung! Ich mein, das war ja voll unspontan und so. Ein Kuss muss doch …“ Ben hatte mir seine Lippen wieder auf den Mund gepresst, vergrub seine Hände in meinen Haaren, zog mich mit einem Ruck näher zu sich. Ich japste erschrocken nach Luft und bekam einfach seine Zunge in den Hals geschoben. Okay, mit spontan war ich offensichtlich auch überfordert. Eher etwas zögerlich erwiderte ich seinen stürmischen Kuss und fand, dass er völlig anders küsste als Alex oder Eric. Langsam löste Ben wieder den Kuss, gab mir aber nochmal einen kurzen Kuss auf die Lippen, als würde er nochmal testen wollen, wie sie sich anfühlten. Dann schauten wir uns einfach an. Ich traute mich nicht, nochmal zu fragen, wie es war. Mir hatte der Kuss gefallen, aber Hallo. Ich spürte, wie meine Wangen glühten und mir allgemein etwas heißer geworden war. Eine deprimierendes Hm von ihm hätte ich jetzt nicht nochmal ertragen. Schließlich sah ich beiseite. Irgendwie war mir die ganze Sache einfach etwas peinlich. Ich spielte Versuchskaninchen für Bens Sexualität. Sowas hätte ich niemals zu gelassen, wenn es nicht Ben gewesen wäre. Klar, es war wundervoll, dass es tatsächlich mal zu einem Kuss zwischen uns gekommen war. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass das jemals passiert. Anderseits fühlte ich mich jetzt unheimlich deprimiert. Es würde nie mehr werden, oder? „Hm...“ Dieser Laut bohrte sich in mein Herz. Hm, wie „Tut mir leid, nicht mein Fall!“ Hm, wie „Du küsst total beschissen und ich will dir das jetzt nichts in Gesicht sagen.“ Hm, wie „Jonas, lass uns Freunde bleiben.“ Oh Gott, ich hätte doch Nein sagen sollen. Alles abstreiten, hätte ich sollen. Meine Sexualität, meine Lover, dass ich auf Ben stand. Alles. Ich war doch bescheuert gewesen. „Und äh, immer noch neugierig?“ Ich konnte einfach nicht die Klappe halten. Irgendwas musste ja gesagt werden. Zumindest sollte ich es ihm leicht machen, jetzt einfach zu gehen. Vielleicht war dann der Schaden nicht so groß und ich konnte noch irgendwie mein Gesicht wahren. „Fandest du es denn gut?“ Was war denn das für eine Frage? Natürlich fand ich es gut, wenn er mich küsste. Ich hatte mir das unzählige Male vorgestellt. Klar, Fantasie und Realität war sich nie sonderlich ähnlich, aber es war ein schönes Gefühl gewesen und irgendwie hatte ich mich darüber gefreut. Davon war allerdings nicht viel übrig. Was sollte ich ihm denn antworten? Mit einem Ja, würde ich mein Gesicht völlig verlieren, vor allem, wenn er anderer Meinung war. Ein Nein wäre einfach gelogen gewesen. „Ich fand es jetzt nicht schlecht“, antwortete ich schließlich. „Aber auch nicht gut?“ Was wollte er denn von mir hören? Ich schaute ihn wieder an. Diesmal war er derjenige, der erwartungsvoll und unsicher schaute. Wer hätte gedacht, dass es so kompliziert werden würde mit Ben. „Doch, natürlich. Ich fand es super, es war toll! Wenn es nach mir gehen würde, könnten wir nichts anderes mehr machen!“ So, da war es raus. Total Blamage, aber es gab doch nichts, worüber man sich aufregte, als Leute, die einfach das Maul nicht aufkriegten, nur weil ihnen ihr alberner Stolz im Weg stand. Ja gut, ich war oft so, aber was soll´s. Es brachte doch im Moment eh nichts, weil nichts gewonnen werden konnte. Ich hörte Ben erleichtert ausatmen. „Dann is ja gut.“ Damit hätte ich nicht gerechnet. Er lächelte mich an, zurückhaltend, etwas schüchtern. Ich wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte. Wir waren uns jetzt beide einig, dass wir den Kuss gut fanden und wir uns theoretisch öfter küssen könnten? Das war gut, oder nicht? Das war das, was ich seit Jahren wollte. „Ähm ja, schon, oder?“ Ich konnte der Sache einfach nicht trauen. Wahrscheinlich war das jetzt alles nur ein riesiges Missverständnis. Und am Ende war es nur wieder einer meiner schrägen Fantasien. Wobei ich ja sagen musste, dass die schon mal besser waren. Da hatten wir uns nicht nur mit irgendwelchen Küssen aufgehalten. „Nicht?“ Okay, jetzt hatte ich ihn wieder verunsichert. Argh. Mich beschlich langsam das Gefühl, dass wir trotz aller Ehrlichkeit irgendwie ein Kommunikationsproblem hatten. „Doch, doch.“ „Wir könnten uns nochmal küssen.“ „Finde ich eine gute Idee.“ „Ich auch.“ Kapitel 21: Emotionsverwirrung ------------------------------ So, der letzte Teil von der Verwirrungs-Reihe. Allerdings werde ich wohl, wenn es gut läuft für "Onion", ein kleines Comicprojekt von und , was mit Ben und Jonas zeichnen und wenn es noch besser läuft, zusammen mit den Mädels "Onion" und irgendwelchen Merchandise-Kram wie Happy-Penise auf der Connichi verkaufen. Höhö. Aber so die finale Infos stehen dann eh in meinem Weblog zum gegebenen Zeitpunkt. So, viel Spass mit Ben und Jonas! --------------------- Ben schaute das Geschenk in seiner Hand ein. Ich hatte es liebevoll von meiner Mutter einpacken lassen, die so etwas wie ein Nerd des Verpackens war. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich es einfach mit Zeitungspapier umwickelt, Gafatape an die richtigen Stellen und voila Geschenk ala Jonas. Aber sowas ging gegen die Ehre meiner Mutter. Deswegen war Bens Geschenk nun feinsäuberlich in Geschenkpapier eingeschlagen, hatte ein hübsches Schleifchen, künstliche Blumen und noch irgendwelchen Firlefanz drauf kleben und war schlussendlich in eine durchsichtige Folie gepackt. Das was da Ben in den Händen hielt, sah eher aus wie ein Blumenstrauß - ein häßlicher Blumenstrauß, möchte ich angemerkt haben – und nicht wie ein überaus männliches Geschenk an seinen Judo-Buddy. Ich konnte gar nicht sagen, wie peinlich es mir war, ihm dieses Geschenk überreicht zu haben. Aber ich hatte es nicht über das Herz gebracht, die ganze Arbeit meiner Mutter zunichte zu machen. Sie hatte es ja nur gut gemeint. „Der Inhalt ist besser! Ehrlich!“ Ich hatte mir mit dem Geschenk diesmal viel Mühe gegeben. Selbst meine Schwester fand es zumindest in Ordnung, naja, für Ben. Er lächelte mich nur kurz an. Wir standen beide immer noch in der Haustür und ich wusste nicht genau, wie ich mich ihm jetzt gegenüber verhalten sollte. Ich hatte ihm zum Geburtstag gratuliert und ihm das Geschenk überreicht. Sollte ich ihn noch kurz umarmen? Immerhin hatten wir uns vorgestern geküsst, Ben war nicht schreiend davon gelaufen und hatte extra noch mal erwähnt, dass er mich an seinem Geburtstag unbedingt sehen wollte. Er schien auch nicht ganz zu wissen, wie es jetzt weiter ging. Aber bevor wir uns noch weitere Minuten peinlich anschweigen konnten, kamen schon die nächsten Gäste und ich würde ihn definitiv nicht vor anderen umarmen oder anderweitig anfassen! Auch Ben schien erleichtert, dass uns die Entscheidung abgenommen wurde. Er wusste wohl auch nicht so recht, was jetzt war mit uns. War ja auch schwierig und im Moment wollte ich mir auch nicht so die Gedanken darum machen. Die neuen Gäste waren noch ein paar aus dem Judo, die es sich wohl nicht entgehen lassen konnten, sich umsonst zu besaufen. Ja, gesund an Körper und Geist! Bär klopfte mir auf die Schulter und ich grinste ihn verpeilt an. Er war zeitgleich mit mir zum Judo gekommen und seinen Spitznamen hatte er definitiv nicht ohne Grund. Okay, er hieß mit Nachnamen Urs, aber auch seine gesamte Erscheinung war sehr ... bärig. Und da behaupten manche, der Name würde nicht den Charakter beeinflussen! „Was läuft?“ „Nich viel, bei dir?“ „Selbe … Auch n Bier?“ „Wäre cool.“ Ein paar Minuten später standen wir beide mit einer Flasche Bier in der Hand da und beobachten Ben dabei, wie er neue Gäste begrüßte. Er wirkte heute irgendwie aufgedreht, was vermutlich daran lag, dass er seinen Geburtstag diesmal richtig groß feiern wollte, war immerhin auch sein 18. und den sollte man schon ordentlich würdigen. Immer wieder trafen sich unsere Blicke, dann lächelte er mir zu. Er bekam ein kurzes Nicken von mir. Hätte ich ihn jetzt auch noch angelächelt wie ein grenzdebiler, wäre es viel zu offensichtlich gewesen. Was auch immer. Ich wusste ja noch nicht einmal, ob wir jetzt was am Laufen hatten oder er mir nur zeigen wollte, dass unserer Freundschaft trotz der Sache mit dem Kuss nichts im Weg stand. „Ben is heute irgendwie anders, findest nicht auch?“, brummte Bär, nach dem Ben schon wieder bei uns vorbei getingelt war, mich angestrahlt hatte und dann wieder bei anderen Leuten seinen Gastgeberpflichten nachkommen musste. Solange neue Leute kamen, würde er wohl erstmal keine Ruhe haben. Naja, nicht so tragisch. „Isser?“ „Schon.“ „Naja, liegt vielleicht am Alter.“ Zumindest grinste Bär. Aber das er Ben heute seltsam fand, beunruhigte mich. Es stimmte schon, er verhielt sich anders wie sonst. Normalerweise war er nämlich nicht so versessen darauf, ständig zu uns zu kommen, als gäbe es keine anderen Leute hier und dabei legte er immer wieder eine Hand auf meine Schulter oder war mir allgemein viel zu nah. Also nicht das ich mich nicht über seine Nähe freuen würde, aber vor Bär war mir das zu viel, viel zu viel. Im Judo wollte ich nicht als Pussy und Mädchen verschrien sein. Ich hatte keinen Bock darauf, dass es plötzlich irgendwelche Probleme in der Gruppe gab, weil es da irgendwelche Hemmungen gab, eine … Schwuchtel anzufassen. Nee, musste absolut gar nicht sein. Klar, wir lebten in einem toleranten Jahrhundert, als Homosexueller durfte man heiraten, Kinder adoptieren, wählen gehen, Steuern zahlen und insgesamt die vollen Rechte eines vollwertigen Menschen genießen. Aber das änderte nichts daran, dass Leute einen trotzdem noch verstohlen anschauten, wenn man beim Flanieren in der Stadt Händchen hielt. Besonders schlimm fand ich die Mädchen, die hinter einem Rücken über einen kicherten und sich irgendwas zu flüsterten, wie „Was glaubst du wer von den Beiden Uke is?“ Seit ich wusste, was damit gemeint war, verstörte es mich besonders. Diese Mädchen lasen über Schwule, schrieben über sie, lasen über fiktiven, unrealistischen Analsex und hatten einfach eine total verdrehte Vorstellung von der ganzen Scheiße überhaupt. Wenn man eine Beziehung wollte, sprang die einen nicht einfach so an. Der Freundeskreis wurde auch nicht gleich automatisch schwul, wenn man sich outete und man konnte sich nicht zwischen all den besten Freunden, die man hatte, den raussuchen, der am stärksten um deine Liebe kämpft. Pah, wie es wohl wäre wenn Ben gegen Bär antreten würde? Ben war technisch besser, dafür war Bär einfach ein … Bär. Naja, nevermind. In meinem engeren Freundeskreis war ich geoutet, seit dem ist der noch um einiges enger geworden und hatte sich an anderen Stellen erweitert und allgemein, hat sich viel getan in meinem Leben. Aber das wollte ich nicht im Judo. Das war ein Bereich, da wollte ich hingehen, trainieren, mit anderen männlichen Kerlen männliche Dinge tun, wie sie im Kampf zu besiegen. Und klar, mit Ben wollte ich Sex haben, aber das war prinzipiell nichts unmännliches. Also der Wunsch nach Sex, nicht der Wunsch nach Sex mit einem Mann. Das sich das mit Ben jetzt so komisch entwickelte, verstand ich selbst nicht ganz und wenn ich ehrlich war, war es mir nicht geheuer. Weil das hier eben nicht Fiktion war, sondern mein Gott verdammtes Leben. Und ich hatte da gar kein gutes Gefühl dabei. Allerdings war heute Bens Geburtstag und eigentlich hatte ich keine Lust, mit einer Drei-Tage-Regenwetter-Fresse rumzulaufen, weil ich mir schon wieder viel zu viele Gedanken machte. Ich war mir sicher, dass Ben auch nicht erpicht darauf war, vor dem Judo-Club als Tunte dazustehen, die mit Kerlen rummacht. Allein deswegen würde er sich sicher zurückhalten. Hoffte ich zumindest. Ben stand nämlich schon wieder bei uns, obwohl gerade die in Augen von Heteros bestimmt extrem attraktiven Freundinnen seiner älteren Schwester eingetrudelt waren und das Geburtstagkind zum Gratulieren und Beherzen suchten. Sie würden ihre schön geformten Brüste an ihn pressen, ihm ein Küsschen auf die Wange oder sogar den Mund geben und er müsste im Himmel sein. Ben stand auf Mädchen, da war ich mir sicher. Nur im Moment schien das nicht so zu interessieren. Stattdessen hatte er schon wieder seinen Arm um meine Schultern gelegt, was zwar, wenn man gönnerhaft war, noch als kumpelhafte Geste durchgehen könnte, aber für ihn trotzdem ungewöhnlich war. Er machte das bei sonst niemand und eigentlich wäre es mir lieber, wenn er es derzeit auch bei mir lassen könnte. „Willst du nicht die Mädels begrüßen gehen? Ich glaub, die suchen schon nach dir“, wies ich ihn schließlich direkt daraufhin. Kurz schaute er verwirrt in die Richtung, in die ich gezeigt hatte und dann wieder zu mir, als wäre er nicht sicher, ob das mein Ernst war. War es, voll und ganz. „Ähm klar, hab gar nicht gesehen, dass sie gekommen sind.“ Er klang immer noch etwas irritiert und es wirkte ziemlich halbherzig, als er tatsächlich zu ihnen rüber ging. „Er is heute wirklich komisch“, stellte Bär nochmals fest und ich seufzte. Ja, war er. Ich wusste auch warum und irgendwie fühlte ich mich gerade wie ein mieser, fieser Verräter. Warum konnte ich mich nicht einfach darüber freuen, dass er mich wohl tatsächlich irgendwie mochte? Darauf hatte ich gewartet, seit ich, keine Ahnung, mit dem Masturbieren begonnen hatte. Und jetzt verkroch ich mich in Unsicherheiten und schaffte es einfach nicht, mich so zu verhalten, wie ich das immer wollte. Vielleicht sollte ich einfach mehr trinken und egal, was ich tat, ich könnte es dann auf den Alkohol schieben. Allerdings war ich nie ein großer Freund des Komasaufens gewesen und auch jetzt war die Idee nicht so verlockend. „Hm, wieso?“, fragte ich schließlich. Spiel den Ahnungslosen, wer weiß, eventuell nahm es dir ja doch jemand ab. „Keine Ahnung.“ Bär zuckte mit den Schultern und wir beide beobachteten wie Ben sich von den Mädchen umarmen ließ. Bussi links und Bussi rechts, ein reizendes Lächeln, die Welt war wieder in Ordnung, oder? Ich bekam Kopfschmerzen. Nachdem ich Ben so deutlich weg geschickt hatte, hielt er sich tatsächlich auch von mir fern. Keine Blicke mehr, schon gar keine Berührung und nicht mal ein richtiger Wortwechsel. Genau das was ich wollte, natürlich, mein großer Traum. Warum nur war ich nur so ein Esel? Es sollte einfach, einfach sein. Ich mag ihn, er verabscheute mich nicht. Das war doch die perfekte Grundlage, um Sex miteinander zu haben und über und über im Glück zu schwimmen. Ich hatte Schwulenstories gelesen, da war die Basis wesentlich schlechter und die hatten trotzdem unglaublich viel und tollen Sex. Warum konnte mein Leben nicht auch so laufen? Stattdessen stand ich cranky in der Ecke, neben mir Bär, der schon gut angeheitert versuchte, eines der Mädels von vorhin anzubaggern. Keine Ahnung, wie erfolgreich er dabei war, aber wenn er anfing mit der rumzuknutschen, würde ich einfach kotzen. Rein aus Prinzip. Und Ben war irgendwo hin verschwunden, wo er möglichst weit weg von mir war. Ich fühlte mich wirklich deprimiert, was nicht nur an den stärker werdenden Kopfschmerzen lag. Eigentlich hatte ich mich nie wirklich für feige gehalten. Ich hatte mich relativ früh vor meiner Familie und meinen Freunden in der Schule geoutet. Ich bin schon Händchenhaltend mit einer meiner festen Freunde durch die Stadt gelaufen. Auch wenn es ein „Einmal und nie wieder“ - Erlebnis gewesen war. Ehrlich, ich hatte mich definitiv schon sehr darum bemüht zu meiner Sexualität zu stehen. Aber im Moment, ich kriegte es einfach nicht hin. Das machte mich echt fertig. Ich sollte Ben suchen gehen, ihn packen und einfach die Zunge in den Hals schieben. Vorausgesetzt er legte mich nicht vorher einfach um, weil ich vielleicht alles in den falschen Hals bekommen hatte. Oder wollte ich ihn jetzt einfach nicht mehr, wo vielleicht die Chance bestand, dass irgendwas aus uns werden könnte? War vielleicht dass das Problem? Anderseits... nein, definitiv nicht. Allein bei dem Gedanken an unsere Küsse, wurde mir ganz kribbelig. Ich hatte nur ein kleines Problem mit meiner Courage, meiner nicht vorhandenen. „Bär?“ „Wasn?“ Er schaute verwirrt in meine Richtung, hatte die Stirn leicht graus gezogen, weil ich ihn wohl gerade etwas störte. „Ich bin schwul.“ So, da war der Satz, den ich niemals vor jemand aussprechen wollte, der sich Bär nannte und schon gar nicht vor diesem Bär. „Du kannst mich mal …“, brummte er und wandte sich wieder ab, um sich weiter mit dem Mädchen zu unterhalten. Er glaubte mir nicht. Na super, was soll´s. Ich hatte mich überwunden, es gesagt und nun konnte ich Ben suchen gehen. Ich fand ihn dann schon ordentlich dicht auf der Hollywood-Schaukel sitzen, neben ihm ein Mädchen, das ziemlich hilflos und überfordert aussah. Beide schienen den Tränen nahe zu sein. Was war denn da passiert? Wurde der Hund überfahren? „Bist du Jonas?“, fragte mich schließlich das Mädchen mit hoffnungsvoller Panik in den Augen. Wenn ich Nein sagen würde, würde was schreckliches passieren, oder? „Sieht so aus.“ Ich zuckte mit der Schulter und fragte mich, warum Ben weiterhin einfach nur auf seine Schuhspitzen starrte, statt zu mir. „Gott sei Dank!“ Sie sprang auf, schob mich neben Ben und verschwand dann einfach nach drinnen, nachdem sie uns noch kurz zu gewunken hatte. Hm... Ich war wohl der Grund, warum Ben aussah, als hätte jemand seinen Hund überfahren. Also der Hund lebte noch, ich hatte ja noch nicht mal ein Auto, um den Hund zu überfahren, aber er war wegen mir deprimiert, also Ben, nicht der Hund, vermutlich. „Bär glaubt mir nicht, dass ich schwul bin.“ Das fasste doch die ganze Situation ziemlich gut zusammen, oder? Ben schaute zu mir auf, seine Augen waren gerötet, Rotz lief aus seiner Nase und er roch, als wäre in eine Brauerei gefallen. Au Mann, was hatte ich da angerichtet? Er setzte dazu an, etwas zu sagen, schluchzte stattdessen aber auf. „Hey, wer hätte gedacht, dass unser Judo-Kid auch mal heulen kann.“ Erst als ich es ausgesprochen hatte, fiel mir auf wie unsensibel das von mir war. Aber das Homosexuelle besonders feinfühlig waren, war meiner Meinung nach nur ein Gerücht! Dafür schlug er mir in die Seite, auch wenn der Schlag etwas unkoordiniert war, tat er ordentlich weh. Scheiße, wetten der würde mich selbst in dem Zustand innerhalb weniger Sekunden auf die Matte legen. „Soll ich wieder gehen?“, hakte ich nach. Wenn er mich nicht sehen wollte, konnte ich das voll und ganz verstehen. Auch wenn mir die Sache irgendwie komisch verdreht vor kam. Ich war doch die unglücklich verliebte Schwuchtel, die total auf den maskulinen, heterosexuellen Kerl stand. Müsste nicht ich mit verletzten Gefühlen und heulend auf dieser Hollywood-Schaukel sitzen und mich von ihm trösten lassen? Wegen was auch immer … Er schüttelte den Kopf und ich war wirklich erleichtert, auch wenn ich jetzt nicht genau wusste, was ich tun sollte. Hatte ich es verbockt und viel wichtiger noch, hatte es überhaupt was zum Verbocken gegeben? „Hast du dich nur über mich lustig gemacht?“, fragte er mit weinerlich, zittriger Stimme. Wetten er wäre nicht so drauf, wenn er nicht voller wäre, als eine Schnapsdrossel? Ich hoffte es zumindest, mit diesem Ben war ich total überfordert und es passte irgendwie nicht zu ihm. „Quatsch, ich bin schon scharf auf dich, seit ich dich das erste Mal gesehen hab! Du warst mein erster feuchter Traum!“ Und das war vielleicht etwas zu viel Information, Jonas. Tatsächlich schaute mich Ben etwas verstört an, was aber besser war, als dieser niedergeschlagene Blick. „Schwuchtel.“ „Ja, ich weiß.“ Ich konnte nur schief grinsen. Was sollte ich auch dazu sagen? Ich stand auf Kerle, insbesondere Ben, ich fand auch Analsex once in a while okay und Mädchen interessierten mich nicht mal für Schminktips. „Ich mochte dein Geschenk.“ Seine Hand berührte meine und er beugte sich zu mir für einen Kuss, der nach Bier und Tränen schmeckt. Irgendwie passte das zu uns. Kapitel 22: Das Wesentliche --------------------------- Vielleicht interessiert es ein paar Leser, aber zwei bis jetzt unveröffentliche Kurzgeschichten von mir werden Ende des Jahres in einer Anthologie des WortKuss-Verlags erscheinen, näheres dazu findet ihr auch in einem Weblog: http://animexx.onlinewelten.com/weblog/24625/411327/?link=1 So und nun eine Geschichte, die sehr random ist und irgendwie ganz anders, wie sie sein wollte. Viel Spass damit! ----------- „Sag mal, sind wir nun sowas wie Susi und Strolch?“, fragte er mich und nahm mir meine Fluppe ab, um selbst einen tiefen Zug davon zu nehmen. Er blies den Rauch in die kalte Luft, hatte dabei seinen Kopf zurück gelegt. Dachte wohl, er sah cool damit aus. Tat er nicht, das war meine Zigarette und er redete von Disney-Filmen. „Bei aller Liebe, aber ich bin nicht deine Bitch.“ Ich holte mir meine Kippe wieder und schnipste sie weg. Er runzelte leicht irritiert die Stirn. „Du weißt schon, Bitch bedeutet Hündin, Susi ist ein Weibchen und so“, erläuterte ich näher. Er verdrehte die Augen und ließ sich ganz ins Gras fallen. Ich blieb aufrecht sitzen, ich wollte keine Grasflecken auf meinem Hemd. „Okay, anderes Beispiel: wie der Prinz und der Bettler.“ Sein Blick richtet sich auf mich, ich konnte es spüren ohne hinzusehen. Er wollte Aufmerksamkeit. Er wollte reden. Über uns. „Haben die nicht die Rollen getauscht oder waren sowas wie verlorene Zwillinge?“ „Gott, Emil …“ Er klang so, wie ich mich auch gerade fühlte, entnervt. „Was? Auf was willst du denn hinaus, hm?“ Meine Stimme war eine Spur härter, als ich selbst erwartet hätte. Ich hasste dieses Gespräch. Ich hatte das Gefühl, es zum tausendsten Mal zu führen. Zumindest in meinem Kopf. Wir sprachen heute zum ersten Mal wirklich darüber. „Gar nichts ...“ „Klar, deswegen nervst du mich auch mit bescheuerten Vergleichen!“ „Was glaubst du denn, auf was ich hinaus will?!“ „Das wir aus zwei verschiedenen Welten kommen, dass es ein Wunder ist, wie wir zusammen gefunden habe und uns doch lieben und so ein Scheiß.“ Ich hatte keinen Bock darauf. Ich wollte kein Klischee. Wir waren nicht so, egal wie es für Außenstehende aussah. „Ich versteh dein Problem nicht!“ Er setzte sich wieder auf, starrt mich weiterhin an. Natürlich verstand er das nicht. Er kannte das nicht, er hat sich nie über irgendwas Gedanken gemacht. Einfach leben, wird schon schief gehen. Das war Alexander. Und nein, deswegen liebte ich ihn nicht. Deswegen fand ich ihn schwierig. Deswegen wusste ich oft nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Deswegen stritten wir so wahnsinnig oft. Man konnte einfach nicht vor sich hinleben, jeder Aktion folgte eine Reaktion. Warum musste ich gerade auf ihn reagieren? „Du verstehst doch nie was.“ Ich meinte, was ich sagte. Alex war nicht dumm, aber er machte sich auch nicht gern die Mühe, über etwas intensiv nachzudenken. „Prima! Ich hab also kein Plan von nichts?! Schon klar ...“ Erbost traf seine Stimmungslage nicht ganz, ziemlich angepisst schon eher. Er haderte damit, ob er aufstehen sollte und gehen. Aber dann hätte er zurückkommen müssen und das würde seinen Stolz wohl noch mehr verletzten, wie sitzen zu bleiben. Wenn ich ehrlich war, hatte ich keinen Schimmer, wie das passiert war mit uns beiden. Es gab keine dramatische Geschichte, keine gewaltätigen Väter, keine Unfälle, keine schlimmen Krankenheiten, nicht mal Tränen. Er hat auch nicht für meine Familie gearbeitet, um seine eigene aus irgendeiner Schuldenfalle zu retten. Genau genommen war es bei ihm zuhause nicht viel anders, als bei mir. Nur mit dem Unterschied, das sie eben nur ein Badezimmer hatten und nicht gleich sieben. Aber hallo, wer zur Hölle brauchte in einem Fünf-Personen-Haushalt auch sieben Bäder? Ich fand ihn einfach nur irgendwie interessant und er fand mich rattenscharf. Jedenfalls hatte er das so ausgedrückt. Nonchalant, einfach so im Park. Noch immer blickte er mich angepisst an. Er wollte eine Entschuldigung, eine Entschärfung der Situation, ein Lächeln, eine sanfte Berührung. Ich seufzte nur. „Alex, du hast uns gerade mit einem Walt-Disney-Film verglichen. Selbstverständlich hast du keine Ahnung von irgendwas.“ „Hey, Walt-Disney vermittelt Werte fürs Leben!“ „Ist dir noch nie aufgefallen, dass voll viele der bösen Bösewichte bei Disney mega schwul angelegt sind? Dschafar, Scar, Hades, Izma ...“ „Izma ist doch weiblich.“ „Noch nie von Transvestie gehört?“ „Na und? Dafür sind die Schlümpfe antisemitisch.“ „Ach, die Schlümpfe, die mag doch eh kein Schwein! Außerdem sind die auch schwul.“ „Die sind doch nicht … okay, vielleicht ein bisschen. Aber sie sind nicht von Disney!“ „Schlümpfe, Disney, alles der gleiche Schmu. Das kannst du einfach nicht mit uns vergleichen.“ „Nein?“ Er beugte sich zu mir, hatte ein fieses Grinsen auf den Lippen. Sein Grinsen mochte ich. Da war nichts planlos, das war Kalkulation. Es war sexy. Ich kam ihm entgegen, hatte meine Augen geschlossen und verzog angeekelt das Gesicht, als er mit seiner feuchten Zunge über meine Nase leckte. Ich trat nach ihm und er ließ sich lachend nach hinten fallen. Mit einem Strahlen auf dem Gesicht schaute er zu mir auf. „Ach, geliebte Susi, schenk mir viele, kleine Strolche!“ Ich bewarf ihn mit Gras. Wir waren nicht so. Wir kamen nicht aus zwei verschiedenen Welten, wir waren einfach so grundverschiedene Menschen und das war doch okay. Waren nicht viele Paare so, ohne das jemals jemand Drama darum gemacht hätte? Kapitel 23: Café Licorne ------------------------ Ich sitze in einem kleinen Café. Im Hintergrund läuft französische Musik. Der Geruch von Kaffee, vermischt mit Vanille, liegt in der Luft. Mir gegenüber sitzt Adam. Er ist mittlerweile aus dem elterlichen Paradies vertrieben worden und studiert Biometrik. Wir haben uns nicht mehr gesehen, seit ich vor drei Jahren mit meinen Eltern in eine andere Stadt gezogen bin. Ich hätte damals nicht mitziehen müssen. Ich war schon volljährig gewesen und hatte noch ein Jahr zum Abitur. Aber was soll ich sagen? Ich bin nun mal ein Familienmensch, außerdem mag ich Umzüge. Adam hat es mir ein bisschen übel genommen. Eventuell ist er immer noch etwas sauer, deswegen herrscht auch Schweigen zwischen uns, seit wir das Café betreten haben. Übrigens hat er es ausgesucht, eine Kommilitonin hat es ihm empfohlen. Ich frage mich, was sie sich dabei gedacht hat – oder er. Junge Kerle umzingelt von Kitsch und Rosa. „Ich weiß, warum es nur so wenig Einhörner gibt.“ Ich denke, es ist an der Zeit endlich das Schweigen zu brechen und es scheint mir der richtige Ort, um über Einhörner zu reden. „Ich bin gespannt.“ Adam lässt es nicht anmerken, wie überrascht er ist. Nur kurz zieht er seine rechte Augenbraue nach oben. „Weil sie schwul sind!“ Er erwidert nichts, sondern starrt mich verbissen an. Ein bisschen kränkt mich sein Schweigen. „Na, was ist? Das erklärt doch alles!“ Ein bisschen mehr kränkt es mich, als er nun abfällig schnaubt. Ein Zeichen dafür, dass er mich für einen Vollidiot hält. „Okay, warum bist du jetzt eingeschnappt? Bist du ein Einhorn, oder was?“ „Ich bin schwul.“ „Und du magst bestimmt Einhörner! Hab ich Recht?“ Na, na, würde er Ja sagen, würde das meine Theorie wundervoll belegen, oder nicht? „Nein.“ Mist! „Du magst wirklich keine Einhörner?“ Ich bin etwas erstaunt. Ich dachte immer … „Nein, kein Stück.“ Er verschränkt die Arme vor der Brust. „Warum nicht? Ich mein, sie haben schon ein sehr beeindruckendes … Horn.“ Ich unterstreiche das Gesagte mit einer Geste, was ihn die Stirn runzeln lässt. „Ich mag einfach keine Einhörner, okay?“ Er hat sich kein Stück verändert. „Liegt es am Horn? Fühlst du dich davon eingeschüchtert?“ „Nein, zur Hölle, warum sollte ich das?“ Amüsiert stelle ich fest, dass seine Wangen leicht gerötet sind. Adam in Verlegenheit zu bringen, ist immer noch ein Riesenspaß. „Was ist es dann? Ich mein, es sind ja eigentlich ganz hübsche Wesen mit dem silbernen Fell und allem.“ Irgendwie muss ich ihn doch aus der Reserve locken können. Was ist sein Problem mit Einhörnern?! „Und?“ „Sie haben magische Fähigkeiten! Ich habe gehört, wenn dich ein Einhorn-Horn berührt, wirst du niemals Potenzschwierigkeiten haben!“ Ich mein, wenn das kein Grund ist, um Einhörner zu mögen, dann weiß ich auch nicht. „Was? So einen Schwachsinn! Wenn überhaupt hat das Horn eine heilende Wirkung!“ „Auf die Potenz!“ „Ich weiß ja nicht, was du für Porno-Einhörner kennst, aber die normalen heilen Krankheiten.“ „Impotenz ist doch so was wie eine Krankheit!“ „Gut, meinetwegen heilen Einhörner auch Impotenz ...“ Ha, Sieg für mich! Ich grinse ihn breit an. Er verdreht nur die Augen. „Und warum magst du dann keine Einhörner?“ Selbst ich überlege mir gerade, Einhörner zu mögen. „Weil sie schwul sind.“ Dabei klingt er so trotzig, wie immer, wenn ich recht behalte. Er hasst es mit mir zu diskutieren und am Ende einlenken zu müssen. „Quod erat demonstrandum.“ „Jetzt tu nicht so, als hättest du Ahnung von Latein … oder Einhörnern.“ Er lächelt. Er ist nun also bereit, mit mir zu reden. Deswegen sind wir hier auch hier - in diesem Alptraum aus rosa Gastfreundlichkeit. „Du hast dich also mittlerweile geoutet?“ Er nickt. „Und wie haben es deine Eltern aufgenommen?“ „Es geht.“ „Dein Bruder?“ „Du kennst ihn ja ...“ „Und bist du solo?“ Er zuckt mit den Schultern, also Nein. Adam ist jemand, der aus Beziehungen ein Geheimnis macht. Anscheinend ändert auch sein Outing nichts daran. Hätte mich auch überrascht. „Ist er nett?“ „Nicht besonders.“ Er nimmt einen Schluck von seinem Latte Macchiato, schaut mich nicht an. „Du hattest immer einen schrecklichen Männergeschmack.“ „Ich weiß.“ Er seufzt, stellt sein Latte Macchiato auf den Tisch. Nun bin ich es, der seinem Blick ausweicht. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen, wenn er so etwas sagt. „Mag er Einhörner?“ Weg mit diesen Zwischentönen, die auf soviel mehr hindeuten. Zurück zu sicherem Gebiet: Unsinn. „Ich befürchte fast ja.“ Er verzieht das Gesicht unglücklich. Ich grinse. Adam und ich, wir kennen uns schon lange. Wir sind zwar keine Freunde seit dem Sandkasten, aber zumindest seit dem Gymnasium. Wir haben die Pubertät gemeinsam überstanden und das kleine Latinum. „Schieß ihn ab!“ „Du hättest nicht weg ziehen sollen.“ Ich kann ihm nicht sagen, wie oft ich dasselbe gedacht habe. Es würde nur alles kompliziert machen. Außerdem ist da Laura. Sie ist ein nettes Mädchen. Ich mag sie. Unser Abschied fällt kurz aus. Aber vielleicht treffen wir uns mal wieder auf einen Kaffee, irgendwo anders, wo es weniger rosa ist. Ich fühle ich mich wie das letzte Einhorn. Feige und verloren. --- Mal was persönliches: Als ich noch keine glückliche, ausgeglichene und wundertolle Beziehung hatte, waren meine Enden um einiges happy-endiger. Was das wohl über mich aussagt? Übrigens, wer meinen literarischen Werdegang von Anfang an unterstützen möchte, vor zwei Monaten ist meine erste Veröffentilchung in einer Anthologie erschienen. Für mehr Informationen hier gucken: http://animexx.onlinewelten.com/weblog/24625/416931/?link=1 Kapitel 24: Simon auf der Mauer ------------------------------- Er sitzt auf einer Mauer, von unten sehe ich seine dreckigen Fußsohlen. Eine Kippe hängt in seinem Mundwinkeln und er schaut nach oben in den Himmel. Ganz weit weit fort. „Hey, Simon!“, rufe ich zu ihm hoch, winke. „Oi, mein bester Freund, geselle dich zu mir!“ Er klopft auf die Mauer neben sich. „Spinner!“ Ich lache. Ein paar Meter weiter, führt eine Treppe nach oben zu einem Biergarten. Wenn man sich geschickt anstellt, kann man von dort auf die Mauer springen und zu Simon balancieren. Am Anfang hat es mich viel Überwindung gekostet, die Mauer ist sehr hoch und die Angst vor der Höhe völlig natürlich. Aber Simon ist es wert. „Bring ein Bier mit!“, höre ich ihn mir nachrufen, als ich mich auf den Weg zur Treppe mache. Bier mögen wir eigentlich nicht, aber der Biergarten drückt über das Mauerklettern die Augen zu, wenn wir ab und zu etwas bei ihnen kaufen. Simon liebt es, auf auf dieser Mauer zu sitzen. Von dort aus sieht man einen kleinen Fluß und ein Gäßchen, auf dem nie viel los ist. Als befände man sich nicht in einer lebendigen Stadt, sondern in den Ruinen vergangener Zeiten. Ich frage mich, wie er diesen Ort gefunden hat. Aber ich könnte mich auch fragen, wie ich Simon gefunden habe. Manchmal ist etwas einfach da. Ich kaufe im Biergarten zwei Bier in Flaschen. Die Kellner wissen schon Bescheid. Beherzt springe ich auf die Mauer. Egal, wie oft ich es mache. In diesen Momenten schlägt mein Herz mir immer bis zur Brust. So ist es, Simon zu treffen. „Hier, dein Bier.“ Ich hebe ihm die Flasche hin und setze mich mit meiner neben ihn. Meine Beine baumeln im Leeren. Es ist ein Gefühl, dass ich aus meiner Kindheit kenne und mir damals keine Angst gemacht hat, anders wie heute. Aber es hat auch was von Freiheit. Eine komische Freiheit, die ich nicht richtig in Worte fassen kann. Genau wie Simon. „Danke, Mann. Sag mal, magst du Musik?“, fragt er mich, öffnet dabei geschickt seine Flasche an der Mauer. Ich reiche ihm ungefragt meine. Meine Flaschen kriege ich nur mit Flaschenöffnern auf. „Denk schon.“ Wer mag denn keine Musik? Die Flasche schäumt über. Lachend hält Simon die Flasche weit von sich und wir beobachten, wie das Bier von seiner Hand tropfte. „Noch mal kräftig geschüttelt, hm?“, meint er mit einem Grinsen. „Hey, nur für dich.“ Ich zwinkere ihm zu. Nur für ihn. Tatsache. Er reicht mir das Bier, was für ihn angedacht ist und schlürft selbst etwas von dem übergelaufenen. „Meine Band spielt morgen das letzte Mal. Dachte, vielleicht willst du uns mal noch live sehen, wo wir uns nun auflösen.“ „Wo spielt ihr denn?“ Ich weiß nichts von einer Band. Aber allgemein habe ich Simon nie viel gefragt. Je mehr ich frage, desto bewusster wäre mir, wie wenig ich ihn kenne. Und das Gefühl mag ich nicht. Ich bin ein gieriger, egoistischer Mensch. In meiner Vorstellung gehört mir Simon allein. Nur wir beide auf dieser Mauer und nur dann existiert Simon. „Tortuga. Verrauchte Piratenkneipe. Du wirst es furchtbar finden, genau wie unsere Musik.“ Er grinst mich dabei an, so dass es unmöglich war, zu diesem Angebot Nein sagen zu wollen. „Klingt einladend.“ Wahrscheinlich sollte ich fragen, warum sich seine Band auflöst. Welches Instrument er spielt, überhaupt welche Musikrichtung. Einfach irgendwas. Aber ich sitze nur hier und trinke mein Bier. „Hier, ohne kommste nicht rein.“ Er hält mir zwei Tickets unter die Nase. Billiges Papier. Billiger Druck. `Lost & Blue´ ist darauf zu lesen. Ich tippe auf den Namen der Band. Überraschend kitschig. „Soll ich mit dem zweiten Ticket meine Freundin mitnehmen, oder was?“ Warum gibt er mir zwei Tickets? „Ich glaube nicht, dass du für eine imaginäre eine Eintrittskarte brauchst. Aber klar, bring sie mit!“ Simons Blick ist dabei amüsiert und etwas mitleidig. Natürlich weiß er, dass ich keine Freundin habe. Er weiß alles und ich weiß nichts. Es ist eine Art Naturgesetz. Ich stecke die Tickets in meine Hosentasche, beschließe dabei, das zweite Ticket Vorort zu verschenken oder weg zu schmeißen. Jemand mitzunehmen, würde bedeuten, Simon zu teilen. Soll ich überhaupt auf sein Konzert gehen? Was ist, wenn ich dort einen Simon finde, der zu weit weg von mir ist? Ein Simon, den ich nicht fassen kann. Der mich nicht hört. Der nicht neben mir auf der Mauer sitzt und mit mir einen trinkt. Soll ich die Karten wieder zurück geben? „Ich ziehe weg.“ Seine Stimme kratzt. Meine Bierflasche zerschellt auf dem Pflaster unter mir. Fallen gelassen. Ich brauche einen Moment, um mich von dem Schock zu erholen. Als ich mich wieder gefasst habe, fummle ich die Tickets wieder aus meiner Hosentasche heraus. „Ich komme nicht“, stelle ich klar, halte ihm die Papierzettel hin. Das würde ich nicht ertragen. Simon das letzte Mal zu sehen, wenn er auf einer Bühne weit weg von mir steht, zwischen mir und ihm eine Menschenmasse und er nicht derjenige ist, den ich zu kennen glaubte. „Schade.“ Er nimmt die Eintrittskarten nicht zurück. Simon ist enttäuscht von mir, fast so sehr, wie ich von mir. Ich komme an der Mauer vorbei, wie von selbst, schaue ich nach oben. Keine dreckigen Fußsohlen. Kein Simon. Natürlich nicht. Was habe ich erwartet? An diesem Tag. In diesem Moment. Der Tag auf der Mauer. Der Tag mit den Eintrittskarten. Alles hätte daraus werden können. Was hätte daraus werden sollen? Die Frage stelle ich mir immer wieder, finde keine Antwort. Heute ist das Konzert. Ich beschleunige meine Schritte, meine Hände in der Hosentasche. Die Eintrittskarten sind zerknittert und weich, weil ich sie immer wieder zwischen meinen Fingern reibe, um sicher zu gehen, dass sie wirklich echt sind. Und nicht schon längst verloren. Ob Simon auf mich wartet? Er kennt mich. Ich hoffe, er kennt mich. Kapitel 25: Fünfundzwanzig -------------------------- Meiner bald bevorstehenden Quarterlife-Crisis gewidmet. Ey Leute, ich werde langsam wirklich alt! Das ich seit kurzem verlobt bin, macht mich irgendwie auch nicht jünger. Mensch. Egal. Hier geht es nicht um mich, sondern um Frankie-Boy! ------------------ Fünfundzwanzig. Diagnose Quarterlife-Crisis. Keine Lust auf irgendwas. Hallo, das bin ich. Warum der Kummer, woher der Überdruss? Wen interessiert das schon … Mich nicht. Gar nichts interessiert mich. Kann man sich in meinem Alter schon so fühlen, als hätte man ein ganzes Leben hinter sich? Zu schnell gelebt, zu viel erlebt, verlebt. Bitterer Lebertran. In meinem Kopf bin ich hunderte von Jahren alt, nur mein Körper nicht. Der beharrt auf seine verkorkste Jugend. Jung sein. Jeder will doch jung sein, oder? Jung. Jung. Jung. War Jung nicht ein Schüler von Freud? Freud und Jung liegen wohl nah beieinander. Ich lache über meinen eigenen, hohlen Witz. Ein irritierter Blick trifft mich. Ein Kommilitone von mir. Was macht er hier im Park bei diesem Scheiß kalten Wetter? Wie heißt er gleich noch? Martin, Manuel, Eugine? Ich schaue nicht rechtzeitig beiseite, er kommt zielstrebig auf mich zu. „Ey, Frankie, wie geht’s?“ „Läuft.“ „Sag mal, hab dich länger nicht gesehen. Alles klar bei dir?“ Er setzt sich neben mich, spielt Hobby-Psychologe. Wie geht es Ihnen heute, Frank? Möchten Sie darüber sprechen? „Sicher.“ Ich zucke mit den Schultern. Rein von den Fakten betrachtet ist alles im Butter. Fettiger, ranziger Butter. Er nickt und bleibt sitzen. Spiele mit dem Gedanken einfach wegzugehen, rühre mich aber nicht. „Sag mal, Eugine …“ „Alfie“, korrigiert er mich. „Du heißt echt Alfie?“, frage ich überrascht. Ich hätte schwören können … Er grinst nur und schüttelt dabei den Kopf. „Na gut, dann eben Alfie. Hast du schon mal über das Alter nach gedacht.“ „Inwiefern?“ Er holt eine Stachel Zigarette aus seiner Jackentasche und zündet sich eine an. „Nun ja, ganz allgemein. Wie es ist, sich alt zu fühlen. Du weißt schon.“ Auch wenn mir meine Gedanken immer klar und treffend vorkommen, mich anderen verständlich machen, kann ich nur schwer. „Hm … alt sein.“ Alfie nimmt einen Zug von seiner Kippe. „Ich glaube, das wird ziemlich cool.“ Nickt bestätigend, als würde er das wirklich meinen. Alfie scheint voller Überraschungen zu stecken. Ich warte, ob er seine Aussage noch näher ausführt, aber er zieht wieder nur an seiner Zigarette. „Ich hab keinen Bock drauf“, führe ich meinen Standpunkt näher aus. Alfie lacht. „Wundert mich nicht. Aber denk doch mal, wenn du alt bist, kannst du endlich tun und lassen, was du willst. Vor allem lassen. Ich mein, versteht doch jeder, dass man mit 70 keinen Bock mehr hat, eine neue Sprache zu lernen, oder sich in nem Fitness-Studio abzurackern. Jeder findet es okay, wenn man zuhause in seinem Garten sitzt und da gemütlich sein Bierchen schlürft. Immerhin hat man da das Leben endlich geschafft.“ „Mag kein Bier.“ „Geht auch mit Wein.“ „Was ist, wenn du Lungenkrebs hast?“ Alfie winkt ab. „Mit siebzig ist das doch auch schon egal.“ „Also ist man mit siebzig praktisch tot?“ Ist das nicht das die Quintessenz seiner Aussage? „Nö, aber ich bin mir sicher, ich denke, in dem Alter findet man sich langsam mal mit dem Gedanken ab, das man nicht ewig lebt.“ „Habe ich jetzt schon.“ Manchmal kann ich meinen Tod kaum abwarten, einfach um zu wissen, dass das nun mein Leben gewesen ist. In voller Länge und unzensiert. „Glaub ich nicht.“ Alfie pafft einen Rauchring in die Luft und wir beobachten, wie er sich in der Luft verliert. „Was ist mit dir? Denkst du, du lebst ewig?“ In unserem Alter muss man sich doch mit dem Gedanken ans Sterben auseinander setzen. „Mindestens!“ Es verpasst mir einen Stich, dass seine Aussage so glaubhaft klingt. „Nein, ernsthaft. Was hat unser Leben denn noch zu bieten? Wir haben keine ersten Male mehr, und doch alles schon gesehen.“ Ich weiß nicht, was mich noch überraschen soll. Kriege, Katastrophen, die große Liebe, die große Trennung, alles schon gespürt, erlebt oder zumindest gesehen. „Boah, du kannst einen ganz schön runter ziehen, weißt du das?“ Mit gerunzelter Stirn sieht er mich an. „Ich sage nur, wie es ist.“ Außerdem hat Alfie niemand gezwungen, Hobby-Psychologe bei mir zu spielen. „Schon mal einen Kerl geküsst?“ Alfie schnippst seine Zigarette weg. Ein Grinsen im Gesicht. Versucht er gerade mich anzubaggern? „Bin schon längst über das Alter von sexueller Verwirrung heraus.“ „War das ein Nein?“ Sein Blick haftet nun an meinen Lippen. Wäre ich eine Frau, würde ich ihm spätestens jetzt eine Ohrfeige verpassen. „Nein.“ Meine Stimme klingt bierernst. Er bricht in Gelächter aus. Ich beobachte, wie Lachtränen über seine Wangen läuft, während er sich fast bepisst vor Lachen. Mein Humor ist natürlich vorzüglich, aber so lustig war das dann doch nicht. Ich hoffe, er beruhigt sich bald. Plötzlich packt er mich und presst seine Lippen auf meine. Viel zu überrumpelt, brauche ich einen Moment, bevor ich ihn von mir wegstoße. „Ey, was sollte das?“, frage ich erbost. Ich stehe ganz und gar nicht drauf, wenn man meine persönlichen Freiraum verletzt. „Weißt du, ich habe noch nie einen Kerl geküsst, aber ich dachte immer, es wäre mal eine Gelegenheit wert.“ Ein freches Grinsen im Gesicht. Ich schüttle den Kopf. „Ich bin zu alt für diesen Scheiß“, brumme ich, als ich aufstehe. „Hey, Frankie, wir sollten das mal wieder machen!“, ruft er mir hinterher, als ich davon gehe. „Werd erstmal erwachsen!“ Ich hebe meine Hand zum Abschied, ohne mich zu ihm umzudrehen. „Werd du weniger erwachsen!“ Meine winkende Hand formt sich zu einem 'Fuck you!' und sein anschließendes Lachen rauscht mir angenehm den Rücken runter. Vielleicht fühle ich mich auch noch gar nicht alt, sondern nur nicht mehr ganz so jung. Und vielleicht gibt es auch erste Male, die man zum zweiten Mal erleben kann. Kapitel 26: Drei gegen Drei --------------------------- So, hier kommt ein Oneshot, der mir viel bedeutet, auch wenn man das beim Lesen wohl nicht vermuten würde. Aber ich wollte schon seit vielen Jahren so etwas schreiben. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es das transportiert, was ich mir erhofft habe, aber hey, ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Ehrlich gesagt, frage ich mich auch, ob in meinen neueren Geschichten, Gefühle nicht viel kurz kommen und sie deswegen die Leser nicht mehr richtig erreichen. Hm... Ich hoffe, ich finde bald wieder dahin, wo ich irgendwann mal sein wollte, aber aus den Augen verloren habe. Aber egal..., hier endlich mal die Story. ---- Warnung: Blöde Basketball-Vokablen Drei gegen Drei Lautes Gelächter schallt uns schon vom Basketball-Platz entgegen. Naja, Basketball-Platz … Es gibt zwei Körbe und eine Holzbank steht am Rand der asphaltierten Fläche. Es ist der wundervollste Platz der Welt. Die drei Jungs, die gerade ihre Körbe werfen, kennen wir nicht. Aber sie scheinen gut drauf zu sein. Sie nicken uns zu, als wir den Platz betreten. Ein verschwitztes Lächeln im Gesicht. „Bock auf ne Runde Drei gegen Drei?“, fragt der Größte von ihnen. Er hat schwarze Haare und trägt, anders wie seine beiden Kumpels, kein Trikot. Haare kräuseln sich auf seiner Brust. Im Gedanken gebe ich ihm den Namen Bär. „Klar!“, antwortet Lars für uns. Wir müssen uns dafür nicht absprechen. Mal gegen neue Leute spielen war auf jeden Fall spannend. Nicht, das wir überragend gut sind und unsere normalen Gegner langweilen würden … neue Leute sind eben einfach so interessant. Ich werfe meine Sporttasche mit Wasser und einem Handtuch auf die Bank. Nebenbei bemerke ich, dass dort ein Sixpack steht, in dem schon zwei Flaschen fehlen. Kurz blicke ich über den Platz und entdecke die passenden Flaschen in der Nähe des Korbs. Alles klar. Ich grinse. „Mit welchen Ball spielen wir?“, fragt Benny, der unseren Ball provokativ auf seinem Finger kreisen lässt. Benny, unser Basketball-Ass. Benny, unser ewiger Angeber. „Unserer!“, bestimmt Bär. Kein Widerspruch möglich. Sogar Benny respektiert das. Er rollt unseren Ball gezielt unter die Bank. Währenddessen fangen Lars und ich mit unseren Aufwärmbewegungen an. Nichts großartiges, aber ein bisschen die Muskeln dehnen und lockern muss sein. Dann geht es los. Wir stellen uns gegenüber auf. Da Bär den Ball schon hat, kommt auch von ihnen die erste Attacke. Ich versuche ihn zu blocken, sind wir doch fast gleich groß, aber bevor ich zu ihm hinkomme, steht einer seiner Kumpels vor mir. Gut einen halben Kopf kleiner, blonde Haare, weißes Trikot mit der Nummer Elf. Ohne ihn groß zu beachten, schiebe ich ihn weg. Kurz spüre ich ein Zehren an meinem Shirt, hilft aber nichts, so etwas ist mir egal. Benny hat Bär den Ball inzwischen abgeluchst und Lars gepasst. Ich sprinte zum Korb für einen Rebound. Lars ist nicht der beste Scorer, aber solange ich den Ball danach kriege und punkte, passt das schon. Wie erwartet prahlt Lars Wurf am Ring ab, ich springe danach und werde von Nummer Elf weg getackelt. Verdammt! Nummer Elf passt den Ball zu Bär und ich habe keinen Schimmer, wo eigentlich der dritte von ihnen ist. Unscheinbarer Kerl, in etwa so groß wie Lars und zack, schon blockt er mich. Hat Benny wieder den Ball? Ich versuche mich an dem Kerl vorbei zu drücken, um wieder mehr zu sehen, aber das mit dem Blocken kriegt er schon ordentlich hin. Die Jungs sind echt nicht schlecht! Dementsprechend ist der Korb keine Überraschung für uns. Aber die sollen uns bloß nicht unterschätzen. Ich kämpfe mich von dem aufdringlichen Blocker los, nehme einen Pass von Lars an, gebe weiter an Benny, der einen Angeber-Dunkin hinlegt. Benny halt. Das Spiel verläuft relativ ausgeglichen, allerdings geben Nummer Elf und Blocker alles, damit ich ja nicht an ihren Bär rankomme, für den ich wohl durch meine Größe ein echtes Problem werden könnte. Nützte aber nur bedingt etwas. Man darf Benny nicht unterschätzen, auch wenn er einen Kopf kleiner ist, als ich. Größe ist nicht alles beim Basketball. Hat mir Benny oft genug bewiesen, in all den Spielen, in denen er mich abgezockt hat. „Okay, Leute, ich brauch eine Pause!“, keucht Bär und er ist auch nicht der Einzige, bei dem der Schweiß nur so fließt. „Wie viel steht´s denn?“, fragt Benny, der sich mit seinem Shirt übers Gesicht wischt. Seine Haare stehen schweißnaß ab. „Keine Ahnung, wer hat denn mitgezählt?“ Lars fächelt sich mit seiner Hand frische Luft zu und ich beschließe, dass ich echt was zu trinken brauche. „Au mann, ernsthaft? Keiner hat mitgezählt?“ Nummer Elf wirkt alles andere als begeistert. Verständlich. Immerhin geht es wie bei jedem Spiel ums Gewinnen und Verlieren. „23 zu 20 für euch“, erkläre ich knapp, nach dem ich zwei Schluck getrunken habe. Ich zähle immer mit. „Buyah, ich wusste, wir sind in Führung!“ Bär schlägt mit dem Blocker ein. Nummer Elf runzelt nur die Stirn, als wäre er mit dem Ergebnis nicht zufrieden. „Mann, hättest du nicht lügen können, Alter?“ Lars lacht, als er das sagt, klopft mir dabei auf die Schulter. „Ach, die zocken wir noch ab!“ Benny winkt ab und sagt das, was ich denke. Wir haben es nicht nötig zu lügen. Und selbst, wenn wir nicht gewinnen, was soll´s, wäre nicht das erste Spiel. „Ich bin übrigens Erik, das sind Heik und Vincent.“ Bär zeigt auf Blocker und Nummer Elf. „Benny, Lars und Gab“, stellt uns Benny vor. Ich lächle kurz, als er meinen Namen nennt. Nicht der beste Spitznamen der Welt, aber was will man machen, wenn man Gabriel heißt? „Okay, sollen wir weiter machen? Wir wollen heute noch gewinnen!“ Lars geht zum Ball, der im Moment unbeachtet auf dem Asphalt liegt. Jemand streift mich am Arm, als ich meine Wasserflasche wegpacke. Ich drehe mich irritiert um, kann aber nicht sagen, welcher der Jungs es gewesen ist und ob es nur ein Versehen war. Ein scheues Lächeln trifft mich. Das kommt unerwartet. Ich setze dazu an, es zu erwidern, werde aber von Lars mit einem Lachen angerempelt. „Alter, was stehst du so verträumt rum. Auf geht’s!“ Lars marschiert mit großen Schritt auf unsere Gegner zu. Das Lächeln ist verschwunden. Habe ich mir das vielleicht auch nur eingebildet? Sie haben ihre Taktik geändert. Anstatt mich zu zweit zu blocken, konzentrieren sie sich nun mehr auf Benny. Haben wohl festgestellt, dass er der bessere Spieler ist. Es ist nun eigentlich unmöglich noch zu ihm zu passen, dafür stellt sich mir nun nur noch Bär in den Weg und der ist zwar so groß, wie ich, aber meine Treffsicherheit ist besser. Recht schnell gewinnen wir an Oberhand und manchmal glaube ich, dass mich jemand streift, unnötig und viel zu leicht fürs Blocken. Es bringt mich ein bisschen aus dem Konzept. Ich lasse mir den Ball dreimal wieder abjagen, nach dem ich ihn mir mühsam von Bär – Erik – erbeutet habe. Verdammt. Was soll das?! Ich beschließe mehr zu Lars zu passen und mich auf Rebounds für seine Korbwürfe zu konzentrieren. Die Taktik geht nur so halb auf. Es bleibt ein ständig auf und ab. Das Spiel fordert einiges von uns. Schließlich hören wir völlig verschwitzt und außer Puste auf. Es dämmert langsam und das angenehme Gefühl von absoluter Verausgabung setzt ein. Man fühlt sich nicht müde, sondern vom Leben durchspült. So unglaublich ausgelassen und weit weg vom Stress. Deswegen liebe ich es zu spielen, selbst wenn ich nie gut genug für irgendeine Liga sein werde. Darum geht es beim Sport auch gar nicht, nur um dieses Gefühl hier und jetzt. Die Welt scheint gerade so richtig zu sein, wie wir hier auf dem Platz stehen, uns zu dem Spiel gratulieren. Bär und seine Kumpels haben uns ganz knapp geschlagen, aber eigentlich ist mir das egal. Erschöpft lasse ich mich auf die Bank, unter der unsere Sachen liegen, fallen und beobachte, wie die anderen auch langsam auskühlen. Aber nur die Körper, nicht die Stimmung. „Hey, Vincent will sein Bier nicht, wenn ihr wollt, könnt ihr also zwei Flaschen von uns haben.“ Bär hält uns zwei Flaschen aus dem Sixpack hin, während der Blocker – wie hieß er noch? Eike? - ihre Flaschen miteinander öffnet. Ein Trick, den ich immer noch nicht richtig hinbekomme. Ich bin ein bisschen neidisch. „Gab, wie siehts aus, auch was?“, fragt Benny, der die Flaschen von Bär entgegen genommen hat. Ich schüttle den Kopf. „Nicht nachm Spiel“, erkläre ich knapp. Benny weiß, dass ich gerne ab und zu was trinke, aber nicht in dem Maße, wie er und seine Kumpels das manchmal tun. Und Bier mag ich sowieso nicht sonderlich. Die vier Biertrinker stoßen miteinander an. Ich suche den Blick von Nummer Elf. Erhoffe mir vielleicht nochmal so ein Lächeln, wie vorhin. Oder ich will nur wissen, ob ich es mir eingebildet habe? Doch da ist es wieder, diesmal weniger scheu, sondern etwas ausgelassener, vielleicht vom Spiel. Ich erwidere es kurz, wende aber gleich darauf meinen Blick ab. Hier soll ja niemand auf komische Gedanken kommen. „Wir müssen unbedingt nochmal miteinander spielen!“, ruft Benny enthusiastisch. „Und dann zocken wir euch sowas von ab!“ „Wollen wir mal sehen!“ Blocker lacht, als würde er Bennys Kampfansage nicht sehr ernst nehmen. Naja, immerhin haben sie gewonnen, also kann ich das verstehen. Die Beiden wechseln aber ihre Handynummern, um nochmal ein Spiel ausmachen zu können. Ich sage nicht viel dazu, Benny muss soviele Nummern von Basketballbuddies in seiner Handyliste haben, wie Nummern von Mädels, die er mal zurück rufen wollte, aber nie getan hat – und das sind einige. „Okay, wenn wir heute noch ins Endzeit wollen, müssen wir jetzt aber los!“ Lars schultert demonstrativ seine Sporttasche, Benny nimmt seinen Ball unter der Bank wieder auf und beide schauen sie erwartungsvoll zu mir. Ich sitze immer noch mit meiner Wasserflasche in der Hand da, habe nicht vor, schon zu gehen. „Geht schon mal ohne mich!“ Ich winke ab. Benny schaut zu Lars. Der zuckt nur mit den Schultern. „Na gut, bis später!“, verabschieden sie sich. „Yo, bis dann.“ Sie wissen von meiner Angewohnheit manchmal länger noch auf dem Platz zu bleiben und alleine Körbe zu werfen, also sind sie nicht weiter verwundert. Bär und Blocker schließen sich meinen Kumpels an. Nummer Elf wühlt noch geschäftig in seiner Sporttasche herum, als würde er etwas suchen. „Kontaktlinsen verloren?“, rufe ich ihm zu, immer noch auf der Bank sitzend. Nummer Elf schaut hoch zu mir, dann wo die anderen geblieben sind. Gerade sind alle vier um die Ecke gebogen und aus unserem Sichtfeld verschwunden. Ob er mit Absicht getrödelt hat? Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob ich mich gerade ein bisschen weit aus dem Fenster lehne, mir vielleicht auch nur etwas einbilde. Aber oft bleibt einem nicht mehr als das übrig. Aus kleinen Anzeichen etwas lesen. Signale verstehen. Codes bemerken. „Du bist Gab, oder?“, fragt Nummer Elf, als er sich sicher war, dass uns niemand mehr sehen kann. Er hat seine Suche in der Tasche aufgegeben, kommt jetzt direkt auf mich zu. „Jub. Sorry, ich hab mir deinen Namen nicht gemerkt.“ Wofür ich mich ohrfeigen könnte. Aber wer hätte auch damit rechnen können, dass es sich vielleicht lohnen würde. „Ich bin Vincent.“ Er lächelt wieder. Der Platz ist leer, als ich ihn betrete. Allerdings find ich das ganz gut so. Ich werfe meine dünne Sportjacke auf die Bank, habe diesmal nichts anderes dabei als meinen Basketball. Mit ein paar Dehnübungen mach ich mich warm, lasse mir aber Zeit. Habe dabei immer die Straße im Blick. Ich beende das Aufwärmen und greife nach meinem Ball, werfe aus dem Stand auf den Korb. Zufrieden bemerke ich, das er rein geht. Ich hole ihn mir gleich unter dem Korb wieder, tripple ein paar Schritte in die andere Richtung, täusche vor einem imaginären Gegner einen Pass vor, drehe mich dabei um und werfe auf den Korb. Mist, daneben! Ich sprinte zu dem Ball, fange ihn geschickt aus der Luft und versuche nochmal mein Glück, werfe in die Richtung, in der meiner Meinung nach der Korb sein muss. Wieder daneben. Er prahlt laut scheppernd gegen den Zaun. Vincent lacht mir entgegen, als hätte er mich schon für einen Moment beobachtet. Ich fahre mir durch die Haare, grinse ihn peinlich berührt an. „Heute nicht dein Tag, Großer?“, fragt er mich, als er den Basketballplatz betritt. Ich passe ihm dem Ball zu, den er mit Leichtigkeit aufnimmt und nun selbst Richtung Korb wirft. Er trifft. „Du Bastard!“, fluche ich herzhaft, werde im Gegenzug von ihm nur breit angestrahlt. „Wers kann, der kanns!“, erwidert er frech. Ich ziehe ihm am Handgelenk zu mir. Er grinst wissend, als ich ihm einen Kuss gebe. Kapitel 27: Subtil ------------------ Nun, subtil war nicht unbedingt das, als was man Tim beschreiben würde. Eher das Gegenteil. Er sagte alles ziemlich direkt, einfach, weil er wollte, dass man ihn verstand.Aber manchmal gab es Dinge, die zu … nervenaufreibend waren, um sie wirklich auszusprechen. Also versuchte er auf seine Art subtil zu sein. Immer noch viel direkter, als die meisten Menschen, die er kannte, trotzdem auf seine Art … dezent und zurückhaltend. Aber Filo ignorierte das. Filo verstand, was Tim ihm sagen wollte, aber wenn er es nicht direkt aussprechen würde, würde er all die Pseudo-Subtilität ignorieren und nicht darauf reagieren. Nur leider war das Tim eher begrenzt bewusst, eigentlich gar nicht. Tim fühlte sich nicht ernst genommen und ratlos, aber allen voran frustriert. Er war ein direkter, ehrlicher Mensch. Aber das war nicht so einfach, wie es klang. Und es gab eben manchmal Gründe, sensible und subtil zu sein. Besonders, wenn man Angst hat, sich sonst völlig lächerlich zu machen. Tim hat sich früher nicht viel daraus gemacht, wenn andere ihn für lächerlich oder anders hielten. Leider kam man irgendwann in das Alter, in dem plötzlich andere und ihre Meinung über dich, soviel wichtiger wurde, als alles andere. Tim wollte, wie wir alle, gemocht werden. Besonders von Filo. Er hat es mit einer Einladung ins Kino versucht. Ein … Date. Tim wurde rot bei dem Gedanken. Nicht weil ihn ein Date nervös machte, sondern die ganze Situation unendlich peinlich abgelaufen war. Tim wollte ein Date. Filo brachte ihre Kumpels mit, die sich letztendlich darüber amüsierten, dass Tim sich frisiert hatte. Mit Gel und so etwas wie Sinn für Ästhetik – Tim hatte sowas, ehrlich! Und er eine Halskette trug, weil er gehört hatte, dass wäre fashionable. Das einzig schön an dem Kinobesuch, war ein entschuldigendes Lächeln von Filo, als sie sich letztendlich verabschiedeten. Wahrscheinlich war Filo ab diesem Moment wirklich bewusst, auf was Tim hinsteuerte. Aber anderseits: Tim war nie der Typ gewesen, etwas durch die Blume zu sagen, also warum in etwas zu viel hinein zu interpretieren? Das war zumindest Filos Sicht der Dinge. Die Blumen, die Blumen danach, waren grauenhaft für Beide gewesen. Es steckte sogar ein Kärtchen darin, mit dem aussagekräftigen Inhalt: “Hey, Filo! Ich Du Blumen sa” Bis auf das “Hey, Filo!” war alles andere wieder durchgestrichen. Die Blumen waren zu Filo nach Hause geliefert worden und die Karte war nicht unterschrieben. Seine Schwestern löcherten ihn den ganzen Abend, den nächsten Morgen und dann noch am Abend, von wem die Blumen waren. Filo hatte eine Vermutung, aber sprach sie nicht aus. Schon gar nicht vor seinen Schwestern. Er wusste nur nicht, ob ihn seine Vermutung beunruhigend sollte, als er sprach er Tim am nächsten Tag in der Schule nicht darauf an. Tim hatte für sich beschlossen, Filo nie wieder Blumen zu schenken. Vor allem, weil das viel teurer und viel weniger effizient gewesen war, als er erhofft hatte. Aber Tim war noch lange nicht bereit, seine Waffen zu strecken. Noch hatte er ein paar Pläne im Petto. Er hatte gegooglet, wie man seinem besten Freund sagte, dass man ihn liebte. Die Schminktipps hatte er geflissentlich ignoriert, die waren wahrscheinlich eher verstörend als hilfreich. Auch wenn er bei ihrem … Kino-Date versucht hatte, sie zumindest einigermaßen zu adaptieren. Die Blumen hätte er auch besser ignorieren sollen. Aber einen Kaffee trinken gehen, das müsste klappen, hatte Tim beschlossen. Dazu nahm man keine Kumpels mit, oder? Hoffentlich nicht. “Kaffee trinken? Jetzt? Ernsthaft, Tim? Kaffee?” Filo zog seine Augenbrauen hoch und schaute ihn an, als hätte Tim nun völlig seinen kümmerlichen Verstand verloren. Hatte er vielleicht auch, Tim könnte heulen. Google hatte ihn betrogen und belogen. Kaffee hätte funktionieren müssen. “Meinetwegen Cola?”, versuchte er es zaghaft, ließ dabei aber die Schultern hängen. “Wir haben Cola hier, wenn du welche willst.” Filo nickte Richtung Küche. Tim hatte gerade an seiner Tür geklingelt, um acht Uhr abends. Tim hatte wenig Verständnis von richtigem Timing, hatte er noch nie gehabt. Er verstand deshalb auch nicht, wo der Haken an seinem Kaffee-Plan gewesen war. “Nein, nein, schon gut. Ich … geh wieder heim. Bis morgen.” Er lächelte noch kurz verunglückt, hob seine Hand zum Abschied und verließ Filos Grundstück mit einem Gang, wie ein geprügelter Welpe. Filo konnte nur seufzen. Das gerade eben, war selbst für Tim seltsam gewesen. Und Filo war sich nun ziemlich sicher, was Tim hier versuchte. Filo war immerhin nicht dumm. Aber ihm war die ganze Sache einfach nicht geheuer. Das Tim so … anders geworden war, die letzten Tage und Wochen, war eine beunruhigende Veränderung in ihrer Freundschaft. Sie hatten auch seit Wochen nichts mehr außerhalb von der Schule unternommen. Wenn man von dem Kino-Besuch absah. Was aber – zu Filos Verteidigung – daran lag, dass Tim sich für gewöhnlich immer selbst einlud oder ihre Pläne schmiedete. Filo hatte das immer begrüßt, vor allem, weil Tim in sowas richtig gut war. Gut, Filmeabende, Lanparties und Zockernächte waren kein Kunststück, aber manchmal kam Tim auch auf ganz abgefahrene Ideen, wie eine … Nachtwanderung. Nachtwanderung klang banal, aber sie waren einfach der Hammer, wenn man ohne Taschenlampe und nur mit Mondlicht im Wald unterwegs war. Da bekamen knackende Äste und raschelnde Büsche eine ganz andere Atmosphäre. Filo war sich nicht sicher, ob er in seinem Leben schon so viel Angst hatte. Außer vielleicht bei ihrer Biking Tour zum Rockside letztes Jahr. Auch ein Plan von Tim und völlig hardcore. Vier Tage quer durch Deutschland, nur mit ihren Bikes und Rucksäcke. Das Festival danach war die pure Erholung gewesen – und zum Glück waren ihre Freunde mit dem Auto gefahren und hatten Zelte und Proviant dabei … Aber ehrlich, Filo mochte Tims Pläne. Filo mochte viele Dinge an Tim. Allen voran, seine Ehrlichkeit, seinen Mut und diese “Scheiß auf andere Leute, wir machen unser Ding”- Einstellung. Nur schien gerade das alles nicht da zu sein. Tim war im Moment nicht Tim und Filo war sich nicht sicher, ob er deshalb nicht ein schlechtes Gewissen hatte. Es brauchte einige Tage, bis Tim den Mut aufbrachte, einen weiteren Versuch zu starten oder überhaupt mit Filo zu sprechen. Er hatte Filo in der Pause einfach am Arm gepackt und von ihren Freunden weg gezehrt. Ohne ein Wort der Erklärung. Dafür war er viel zu aufgeregt. Als sie in einer ruhigen, recht unbeobachten Ecke des Pausenhofes standen, ließ er endlich von Filo ab und streckte ihm im Gegenzug seine Hand hin – mit einem Geschenk. “Du hast nicht ernsthaft einen Ring für mich gekauft?!” Filo starrte völlig entsetzt, auf den sehr schlichten Silberring, der in Tims ausgestreckter Hand lag. Harmlos und unschuldig, sah dieses kleine, teuflische Dinge aus. Tim hatte den Kopf gesenkt, so dass seine Haare sein Gesicht zumindest zum Teil verdeckten. Filo sah trotzdem, wie sich eine feine Röte über Tims Gesicht zog. Und er sah, wie Tims Hand zitterte. Hätte er den Ring genommen, hätte er auch bemerkt, dass Tims Hand völlig verschwitzt war. “Bitte nimm den Ring …” Tims Stimme war leise und verzweifelt. Er war am Ende angekommen. Mehr hatte er nicht mehr in der Hinterhand. Für mehr würde er nicht mehr den Mut aufbringen – und Geld hatte er auch keines mehr. Der Ring war teurer gewesen und er wusste schon beim Kaufen, dass es eine völlig bescheuerte Idee war. Ja, Tim war bewusst, dass alles bis dahin irgendwie bescheuert war, aber er konnte einfach nicht anders … So war er eben. “Ich, Tim …” Filo seufzte, fuhr sich nervös durch die Haare. Das war eine … heikle Situation. Aber ehrlich, musste es denn gerade ein Ring sein? Kamen Ringe nicht erst viel, viel, viel später. Viel später? “Bitte ...” Filo konnte hören, dass Tim den Tränen nahe war und das war mehr als er ertrug. Er ging einen Schritt auf ihn zu, legte seine Hand auf die von Tim und zog ihn dann mit einem Ruck zu sich. Völlig überrascht, brauchte Tim einen Moment, um auf den Kuss von Filo zu reagieren. Der Kuss war etwas hektich und nervös. Filo war sich nicht mal sicher, was er da gerade machte, aber irgendwie so würde das bestimmt richtig sein. Immerhin vergrub Tim seine freie Hand in Filos Haaren und zog in näher an sich. Ihre Hände berührten sich dabei immer noch, der Ring zwischen ihnen. Filo spürte, wie Tims Hand leicht zitterte und er lächelte in den Kuss. Nur etwas widerwillig lösten sie sich von einander. Aber alles musste mal sein Ende finden, vor allem, wenn sie gerade mitten in der Schule war und eine Pause nicht ewig ging. Nicht das der Pausengong schon geläutet hatte, aber Filo musste noch etwas los werden. Unbedingt. “Tim, ich sag dir jetzt etwas, was unheimlich wichtig zwischen uns sein wird”, bereitete Filo seinen besten Freund nun auf die nächsten Worte vor. Er hielt dabei immer noch Tims Hand. Tims Augen sahen ihn ein wenig besorgt, aber auch hoffnungsvoll an. “Versuch nie wieder, wirklich never ever again, subtil zu sein. Okay? Nie wieder. Und keine Blumen!” “Ja, die Blumen sind gestrichen.” Tim lachte erleichtert und beugte sich nun von allein zu Filo, um ihn erneut einen Kuss auf den Mund zu geben. Einen kurzen, aber vor Glück überschäumenden. “Ich mag dich, Filo.” Ein breites Strahlen in Tims Gesicht. So hatte sich Filo das vorgestellt. Genau so. Er erwiderte das breite Grinsen und protestierte nicht einmal, als Tim ihm den Ring in die Hand drückte. “Du … du willst aber nicht, dass ich ihn trage, oder?”, fragte Filo ihn, starrte auf das Stück Metall in seiner Hand, konnte sich einfach nicht vorstellen, Schmuck zu tragen. Das war einfach nicht sein Ding. “Gott bewahre, du sähst furchtbar damit aus! Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe! Aber behalte ihn bitte.” Tim lächelte ihn an. Und Filo dachte kurz, dass er vielleicht sogar einmal bereit war, diesen Ring zu tragen, wenn er dafür jeden Tag dieses Lächeln bekommen würde. Deshalb schob er den Ring in seine Hosentasche und schaute zu Tim, der ihn entspannt und glücklich beobachtete. So kannte er Tim, so war Tim. Entspannt und glücklich und ehrlich und fantastisch. “Soll ich, also soll ich … auch was sagen?”, fragte Filo schließlich. Nervös bei dem Gedanken und sich nicht sicher, ob er es überhaupt über die Lippen bringen würde. Weil er noch nie sehr direkt oder mutig gewesen war – Tim übernahm das normalerweise immer für sie beide. “Nah!” Tim winkte ab und zog ihn nochmal zu einem Kuss heran, bevor der Pausengong tatsächlich läutete. Tim brauchte keine gesprochene Liebesgeständnisse. Er verstand es nämlich, wenn Filo subtil war. Kapitel 28: Ruthless -------------------- Illias hat sich immer gefragt, was man unter dem Beziehungsstatus „kompliziert“ verstehen sollte. Zugegeben, er hatte keine Ahnung von Beziehungen. Er kannte nur die von anderen. Von seinem besten Freund Paul und Mareike, die auf viele Kosenamen, Umarmungen, auf dem Schoß sitzen und Küssen basierte. Oder die Beziehung von Hannah und Flo, die aus zustimmenden Nicken, versteckten Lächeln und vermeintlich unbeobachten Händchenhaltend bestand. Nicht zu vergessen, Mike und Sandra, die sich wohl frei nach dem Motto „Was sich liebt, das neckt sich“ ihre Zuneigung zeigten. Necken, taten sie sich jedenfalls. Manchmal war Illias sich nicht sicher, ob sie sich nicht einfach nur angifteten und stritten, aber meistens küssten sie sich nach ein paar seltsam unnetten Kommentaren und wirkten zufrieden. Das war wahrscheinlich auch die Beziehung, die in Illias Vorstellung am nächsten an „kompliziert“ herankam. Aber nur, weil er einfach nicht verstand, wie Beziehungen alle so unterschiedlich sein können. Tinas Beziehungsstatus, etwas was Illias immer aus recht niederen Beweggründen äußerst spannend fand, stand aktuell auf „kompliziert“. Mareike hatte Illias schon prophezeit, dass Tina entweder demnächst Single oder verlobt war. Das passierte nämlich meistens, wenn Facebook dieses kleine „Kompliziert“ zeigte. Illias starrte das Wort auf seinem Bildschirm an, als würde er darauf warten, dass es ihm endlich sein Schicksal verriet. Was es eigentlich auch hieß. Es würde verraten, ob er der Beziehungszerstörer war, der er befürchtete zu sein. Aber auch nach Stunden passierte nichts, auch nicht nach Tagen. Drei Wochen später hatte Illias schon längst vergessen, dass er all seine Hoffnung an dieses Wort gehängt hatte. Nicht, dass er nun mehr wusste oder sein Problem sich gelöst hatte, aber er war siebzehn, niemand konnte erwarten, dass er sich länger auf etwas konzentrierte als zwei Wochen! „Tina hat ihren Beziehungsstatus in …“ Illias erstarrte, als die neue Meldung auf seiner Startseite erschien. Wollte er die nächsten Worte lesen? Verdammt, er hatte sie schon gelesen. Diese Meldungen waren zu kurz, um sie nicht aus versehen ganz zu lesen. Er lässt sich nach hinten in seinen Schreibtischstuhl fallen, ihm entfährt dabei ein langes Seufzen. Die Hände über den Kopf zusammen geschlagen, versuchte er sich zu beruhigen. Fuck. Fuck. Fucking awesome! „Tina hat ihren Beziehungsstatus in Single geändert.“ Illias wusste gar nicht, was er zu erst machen sollte. Vielleicht Mareike anrufen? Mareike wusste als einzige in seinem Freundeskreis Bescheid. Was nicht nur daran lag, dass er sie schon solange kannte wie Paul, sondern auch im Gegensatz zu ihm, so etwas wie ein Feingefühl besaß und er mit Paul nicht über … Beziehungskram reden wollte. Aber er könnte stattdessen auch … Nein. Mareike anrufen wäre sinnvoll. Seine Finger flogen über das Display seines Smartphones und keine drei Sekunden, hörte er das Freizeichen. Und als hätte Mareike, die wohl Tinas Meldung auch gerade gesehen hatte, nur darauf gewartet, dass er anrief, hörte er nur ein halbes Freizeichen, bis sie anhob. „Oh Gott, sie ist Single!“, rief Illias aufgeregt in den Hörer. „Oh Gott, ich weiß!“, schrie Mareike zurück. „Oh Gott!“, musste Illias nochmal seine Ekstase zum Ausdruck bringen. „Ja! Verdammt, Illias, das ist deine Chance. Was machst du jetzt?“, fragte Mareike mit überschlagender Stimme. Anscheinend fand sie das so aufregend, wie er. „Ich … ich … Scheiße, Mareike, ich hab Pats Beziehung zerstört.“ Erst jetzt viel Illias auf, was diese Meldung eigentlich bedeutet – neben eine große Chance für ihn. „Nun, das kann man so oder so sehen“, antwortete Mareike etwas vage. „Ach ja, wie kann man es denn so sehen?“, gab Illias zurück. Die Freude war verfolgen. Auch wenn es stimmte, dass er jetzt freie Bann hatte, sprach das leider nicht so ganz für ihn, weil er nicht so unbeteiligt an der Trennung war, wie er es gerne gehabt hätte. „Naja, also man könnte natürlich sagen, in dem du mit Patrick auf Tinas Geburtstagsparty rumgeknutscht hast, hast du etwas … nach geholfen. Aber auf der anderen Seite, war die Beziehung der Beiden doch schon immer eher … untoll. Ja, untoll, oder nicht?“ „Ja, sehr untoll.“ Illias drückte die Lippen zusammen. Er musste zu geben, den Kuss bereute er nicht – auch wenn er froh war, dass außer Patrick, ihm und Mareike niemand wusste, dass er derjenige welche gewesen ist, der mit Pat auf der Party geknutscht hatte. Das Patrick das gemacht hatte, wusste mittlerweile jeder. Tina hat es allen erzählt. Gekränkt, enttäuscht und traurig. Illias hatte dasselbe an ihrer Stelle getan und empfand auch Mitleid für sie. Gerne hätte er sie, als die Böse dargestellt. Die Hexe, die Pat unter ihrer Fuchtel hatte. Die Furie, die ihm mit Eifersucht zur Weißglut gebracht hatte. Aber das stimmte nicht. Patrick und Tina waren einfach ein … untolles Paar gewesen. Wollten völlig anderes von der Beziehung. Pat hat Illias oft davon erzählt, wie anstrengend er es fand, ihren Erwartungen gerecht zu werden und ihrer Aufmerksamkeit. Illias fand nicht einmal, dass Tina große Erwartungen an Pat gestellt hatte. Er wusste, dass Mareike von Paul mehr erwartete und das Flo Hannah mehr bot. Aber er kannte Pat schon zulange, um ihm das übel zu nehmen. Ihm tat es nur leid, dass sich Tina in diese Beziehungen … in ihre Liebe zu Pat verrannt hatte. Oder wollte er nur gerade sein schlechtes Gewissen erleichtern, in dem er sich einzureden versuchte, dass es so für alle besser war? „Ich bin trotzdem ein Arschloch, oder?“, fragte Illias, überraschend selbstkritisch für sein Alter. „Ja, okay, vielleicht ein bisschen. Aber Pat auch. Und schau, ihr habt sogar was gemeinsam! Ihr passt super zusammen!“ Es klang so freundlich, man könnte fast denken, Mareike hätte tatsächlich was nettes gesagt. „Ich weiß gerade nicht, ob du mich beleidigt oder ermuntert hast. Oder beides.“ Illias hatte seine Augenbrauen irritiert zusammen gezogen. So sehr er Mareike mochte, manchmal war sie schon ziemlich schräg und … fies. „Ach, im besten Fall beides. Aber hey, Großer. Weißt du, die Auswahl hier an Typen, die es mit anderen Typen machen würden, ist halt ziemlich gering. Ich weiß nicht, ob du so wählerisch sein solltest, wenn du dein … Popöchen endlich mal gepudert haben möchtest. Außerdem kennst du Pat doch echt schon lange und jetzt hast du die Gelegenheit, auf die du gewartet hast.“ Illias konnte wetten, dass Mareike bei diesen Worten nicht einmal rot geworden war. Sie wirkte so verdammt arglos, wenn sie auf Pauls Schoß saß, sich einen Kuss auf die Wange drücken ließ und süß lächelte. Aber Hölle, in Mareike steckte ein Teufel. „Aber … deshalb eine Beziehung zerstören?“ Der Plan klang damals nicht so fies, so hinterlistig und daneben, wie er sich jetzt anfühlte. Gut, Pat und Tina waren ein schreckliches Paar gewesen und vor ein paar Wochen war sich Illias auch noch ziemlich sicher gewesen, dass er hingebungsvoll und ehrlich und aufrichtig in Pat verliebt war und er genau der Mann war, mit dem er das erste Mal Sex haben wollte. Aber wollte er das noch, nachdem Pat auch ein Mann war, der so … unpfleglich mit seinen Beziehungen umging? Weil den Kuss hatte Pat initiiert und sehr hingebungsvoll fort geführt. Illias hatte eben nicht Nein gesagt. Vielleicht ... „Angst vor deiner eigenen Courage?“, fragte Mareike verständnisvoll. „Ja, ziemlich.“ Illias hätte von sich nicht gedacht, dass er einmal willentlich eine Beziehung kaputt machen würde, um das zu erreichen, was er wollte. Er war im Prinzip über Leichen gegangen, Beziehungsleichen. „Gut, mein Hübscher. Paul hat gerade geklingelt und ich geh mit ihm jetzt ins Kino. Und du, du rufst jetzt Pat an und lässt deine Rosette von ihm deflorieren. Und dann sieht die ganze Sache nochmal ganz anders aus. Bye, bye.“ Mareike machte noch ein Küsschen-Geräusch in den Telefonhörer und legte dann auf. Der Teufel! Illias starrte das Display seines Smartphones entsetzt an, als würde er so seine Mimik an Mareike noch nachträglich übertragen können. Er wusste nicht, ob ihr Vorschlag nicht moralisch zu verwerflich war, um ihm tatsächlich nach zu gehen. Eigentlich, eigentlich war der Vorschlag grauenhaft. Aber die Aussicht endlich einmal Sex zu haben, war irgendwie … nett. Verdammt. Irgendwann in seinem Leben hatte Illias auf jeden Fall gedacht, ein besseres Mensch zu werden. Irgendwo im Hormonrausch war er definitiv falsch abgebogen. Pat übrigens auch. Illias Smartphone vibiriert und kündigte mit einem skurrilen Partyfoto von Pat seinen Anruf an. Sollte Illias wirklich abnehmen? Würde er dann allen Respekt vor sich verlieren? Aber es war Pat und Pat war bi und stand auf ihn. Pat war Single. Illias nahm das Gespräch an. „Illy, mein Großer, ich bin endlich frei!“, rief Pat überhaupt nicht betrübt ins Telefon. Und Illias konnte sich nicht anders helfen, als es in diesem Moment als völlig abstoßend zu empfinden. „Ja, hab es gesehen. Tina hat es auf Facebook gepostet“, antwortete Illias etwas kühler, als er beabsichtigt hatte. „Ah, hast du sie noch gefriended? Naja, aber hey, Lust heute was zu unternehmen. Ich hab richtig Bock, mich zu laufen zu lassen und alles aufzureißen, was mir zwischen die Finger kommt. Gott, Monogamie ist echt nicht mein Ding!“ Pat seufzte, als wäre er froh, von dieser Bürde befreit zu sein. Und das wiederum nahm Illias ihm nicht übel. Er kannte Pat lang genug, um zu wissen, dass er tatsächlich für Beziehungen völlig ungeeignet war. Das mit Tina war vielleicht ein Versuch gewesen, sich besser in ihren Freundeskreis aus Pärchen einzupassen. Manchmal gaben sie einem das Gefühl, dass man es selbst auch probieren müsste, um sich als Mensch vollständig zu fühlen. Vielleicht gab Pat deshalb immer wieder mal der Idee einer Beziehung nach. „Wie wäre es, wenn du einfach zu mir kommst und ...“ Illias hatte seine Courage wohl wieder entdeckt, ließ das letzte trotzdem unausgesprochen. Auch wenn es nicht okay war, was er da auf der Party gemacht hatte, war er der Meinung, dass auch ohne seine Hilfe Pats und Tinas Beziehung ziemlich bald wieder ein Ende gefunden hatte. Und in einem hatte Mareike recht: Die Auswahl an Typen, mit denen er es tun konnte, war wirklich verschwindend gering, um nicht zu sagen, sie beschränkten sich auf Pat. Aber dem Gedanken, mehr von Pat zu wollen, als endlich Erfahrungen in Sex zu sammeln, den verwarf Illias allmählich. „Was das ein Angebot, Großer?“ Illias konnte Pats anzügliches Grinsen förmlich durch die Leitung spüren. Und Illias wusste, wie gut er damit aussah. „Darauf kannst du wetten.“ Gott, verdammt, er war siebzehn, er wollte Sex und um seine fragwürdiges, moralisches Empfinden konnte er sich auch sein restliches Leben noch kümmern. „Wünscht du dir manchmal, dein erstes Mal wäre anders verlaufen?“ Roger hatte sich gerade eine Zigarette angezündet und sah Illias interessiert an, während er damit begonnen hatte, sich anzuziehen. Er und Roger hatten seit fünf Monaten Sex und waren irgendwo an dem Punkt, an dem man wohl ein wenig persönlicher wurde. „Mein erstes Mal? Das war ziemlich gut“, antwortete Illias ein wenig abgelenkt. Er musste in einer halben Stunde bei einem Kunden sein, der ihm genau beschreiben wollte, wie kackenhäßlich sein Corporate Design werden sollte. Illias hatte eigentlich so gar keine Lust darauf, aber irgendwie musste man seine Brötchen verdienen. Wenigstens traf er sich mit dem Kunden in einem Cafe und konnte Kaffee und Kuchen dort von der Steuer abschreiben. „Das erste Mal ist niemals gut“, widersprach Roger, klang dabei aber etwas amüsiert. Illias war ein bisschen seltsamer Kerl und manchmal war sich Roger nicht sicher, was er wirklich von ihm halten sollte. Aber wenigstens war er unterhaltsam und immer für eine Überraschung gut. „Doch, klar. Meines war es.“ Illias blickte ihm durch seine Spiegelung an, während er dabei inne hielt, sich die Krawatte zu binden. „Weil du verliebt warst?“, fragte Roger nun wirklich belustigt. Die Vorstellung von einem jungen, verliebten Illias war so entzückend, wie unwahrscheinlich. Vielleicht gerade deshalb ein reizvoller Gedanke. „Glaub mir, wenn ich in den Typ verliebt gewesen wäre, hätte mich das emotional völlig verkrüppelt. Aber das ändert nichts daran, dass der Sex gut war.“ Mit einem selbstgefälligen Blick richtete Illias seinen Kragen. „Mehr, als jetzt schon?“ Wenn Roger ehrlich war, kannte er niemand so moralisch ambivalenten und emotional distanzierten wie Illias. Er wusste nicht, ob er schon immer so war, oder ob sich das mit der Zeit entwickelt hatte, aber Roger für seinen Teil hatte genau für solche Typen etwas übrig. Einfach war eben nicht sein Ding. Seine Schwester warf ihm immer einen Helferkomplex vor. Illias hob nur eine Augenbraue zur Antwort, die Roger durch die Spiegelung sehen konnte. Erst als der letzte Knopf seines Sackos geschlossen war, drehte Illias sich zu seinem Lover um. „Wenigstens seh ich fantastisch aus.“ Er fuhr sich kurz über den Kragen seines Sackos und lächelte Roger selbstsicher an. Mit einem Wink forderte Roger Illias auf, noch zu ihm zum Bett zu kommen. Illias sah kurz auf seine Breitling. Eigentlich war er schon zu spät dran. Aber Rogers Lächeln war tatsächlich sehr einladend, also gab er der Aufforderung nach. Für so ein Lächeln hatte er schon immer etwas übrig gehabt. Er stellte sich an den Bettrand und gab ihm einen kurzen Abschiedskuss auf den Mund. Etwas, was sich für Illias noch immer ziemlich befremdlich anfühlte. „Ich liebe dich, Illias, und wünsch dir noch einen zauberhaften Tag!“ Roger legte es bewusst darauf an, wie eine dieser perfekten Hausfrauen zu klingen. Illias seufzte entnervt, er konnte mit sowas nicht umgehen. „Fick dich“, brummte er, strich sein Sacko wieder glatt, dass durch das Vorbeugen für den Kuss nicht mehr perfekt saß. „Und ich komm heute wieder um Acht, alles klar?“ „Das Essen wird bereit stehen, Honey“, war Rogers süßliche Antwort, nahm danach aber einen Zug von seiner Zigarette, was den Eindruck der braven Hausfrau etwas ruinierte – naja, neben der beharrten Brust und dem Umstand, dass Illias ihm sowieso nicht glaubte. Mit einem ausgestreckten Mittelfinger verließ Illias die Wohnung, begleitet von Rogers Lachen. Immerhin hatte Illias versprochen heute Nacht wieder zu ihm zu kommen, dass hieß, er würde nicht bei einem seiner Affären schlafen, was Roger für sich als einen kleinen Sieg verbuchte. Kapitel 29: Was man verdient ---------------------------- Würde man Woitschek fragen, warum das Leben immer so ungerecht war, hätte er eine gute Antwort, eine sehr gute sogar. Aber niemand fragte ihn. Warum auch? Woitscheks Leben war nicht ungerecht. Er bekam, was er verdiente, und das wusste er. Was die anderen nicht wussten: Er wusste, warum sie nicht bekamen, was sie verdienten. Aber wir wollen nicht über Woitschek reden. Er weiß zu viel. Wir reden über Gabriel. Er weiß zu wenig, vor allem weiß er nicht, warum das Leben ihn so gerne fickte. Würde man Woitschek fragen - was wir nicht tun - liegt das daran, dass Gabriel so schön war. Woitschek und Gabriel waren sowas wie Bekannte, vielleicht sogar ein bisschen befreundet. Genau genommen, waren Freunde von ihnen miteinander befreundet. Sie waren also Freunde von Freunden. Freunde zweiten Grades. Sie hatten nicht einmal Handynummern miteinander getauscht. Woitschek fand auch nicht, dass das nötig war. Wer telefonierte heutzutage noch? Außerdem hatte Gabriel momentan gar kein Handy. Sein letztes war bei einem tragischen Unfall ertrunken. Es hieß “Drecksteil”. Es war schwer zu sagen, ob Gabriel der Verlust von Drecksteil wirklich schmerzte. Wahrscheinlich nur in dem Sinne, dass er nicht das Geld hatte, sich ein neues zu kaufen. Und ohne Handy war man tot für die Welt, so war Gabriel im Grunde mit ertrunken für all die Leute, die ihn über sein Handy erreichen wollten. Das waren deutlich mehr, als Gabriel zunächst erwartet hatte. Er kannte viele Leute. Er machte viel mit anderen Leuten. Aber für so etwas, musste man auch wissen, wann man zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war. Anders wie Woitschek schaffte er das leider nur durch Telekommunikation. So verbrachte er seinen Samstagabend mit der Angst im Nacken, dass die Welt ihn vergessen hatte. Und die Angst wäre berechtigt gewesen, wäre Gabriel nicht so schön. Schöne Menschen vergaß die Welt nicht so schnell. Zumindest wenn man Woitschek großzügig als die Welt bezeichnen wollte. “Hallo Gabriel”, begrüßte dieser nämlich gerade die Schönheit. Gabriel war verwirrt. Woitschek hatte ihn noch nie besucht. Er wusste nicht einmal, ob er wollte, dass Woitschek ihn besuchte. Alle sagen, er war seltsam. Unrecht taten sie ihm damit nicht. “Hallo.” “In einer halben Stunde geht eine Party los, bei der du dabei sein wirst.” Woitschek dachte sich, es wäre gut Gabriel davon in Kenntnis zu setzen. “Ist das so?” Gabriel konnte die Aussage nicht so richtig einordnen. “In der Tat.” Woitschek nickte, um das Gesagte zu unterstreichen. Dann reichte er Gabriel einen Zettel. Eine Adresse war darauf gekritzelt. Gabriel kannte die Adresse. Dort wohnte einer seiner besten Freunde. Feierte er etwa ohne Gabriel eine Party? “Danke”, sagte die Schönheit mit belegter Stimme. Er war wirklich vergessen worden, oder? “Viel Spaß!” Mit einem Grinsen verabschiedete sich Woitschek, hob noch kurz die Hand zum Abschied. Gabriel musste sich für eine Party fertig machen. Eine halbe Stunde war nicht viel Zeit. Woitschek war nicht dort. Gabriel würde die Unwahrheit sagen, wenn er behaupten würde, dass ihn das betrübte. Gabriel war es egal. Woitschek war ihm egal. Er ist immerhin nur ein Freund eines Freundes, der ihn netterweise eingeladen hatte. Es kam sowieso generell selten vor, dass sie miteinander sprachen. Also nichts was Gabriel vermisste, besonders nicht, weil er gerade Angela kennen lernte. “Gabriel und Angela!” Woitschek lachte laut. “Gabriel und Angela! Das ist fantastisch!” Woitschek klatsche voller Begeisterung in die Hände. Er erntete Blicke, nicht alle positiver Natur. “Was ist so komisch daran, Woitschek?”, fragte Anastasia vorsichtig. Der Angesprochene wurde still, aber noch immer liefen Lachtränen über sein Gesicht. Er beugte sich zu ihr vor, winkte sie mit zwei Fingern noch etwas näher zu sich. Die Frau kam der Aufforderung zögerned nach. “Ein Engel und Engel!”, rief er plötzlich. Anastasia zuckte von ihm zurück, ihre Augen weit aufgerissen. Woitschek blieb gewöhnungsbedürftig, selbst für die Leute, die ihn schon lange kannten. Und schon wieder hatte er die Geschichte auf sich gelenkt. Es geht um Gabriel und, tatsächlich auch, um Angela. Engel und Engel, wie Woitschek so treffen formuliert hat. Gabriel himmlisch schön. Angela mit einem tiefen Gottvertrauen in ihn. Würde man Woitschek fragen, was niemand aus offensichtlichen Gründen tat, war das keine Kombination “made in heaven”. Aber grandios, wie er fand. Um das zu verstehen, musste man natürlich noch etwas mehr über Angela erfahren. Am besten fing man hier in ihrer Kindheit an. Nichts beschrieb eine Person besser, als ihre Kindheit kennen zu lernen. Als Angela acht Jahre war, hätte ihre Mutter die Möglichkeit gehabt, ihr eine Packung Gummibärchen mitzubringen. Sie hatte sich dagegen entschieden. Ihre Tochter sollte in keinem Fall dick werden. Es hatte funktioniert. Angela war nie dick geworden. Im Grunde genommen eine sehr ansehnliche Frau. Braune, glatte Haare. Große, dunkle Rehaugen. Ihre Nase war keine Stupsnase, aber passte in ihr schmales Gesicht. Würde man Angela darum bitten, sich selbst zu beschreiben, würde das anders klingen. Aber ihre Familie war nie groß mit Worten, auch Angela nicht. Angela war unser stilles Mauerblümchen, das mit der richtigen Pflege zu einer beeindrucken Ranke hätte werden können, die Stein und Mörtel davon sprengt und sich die Mauer zu eigen macht. Immer noch still, aber mächtig und fest verwurzelt. Gabriel, wie man sich denken kann, hatte keine Ahnung, wie man mit Pflanzen umging. Hätte er bloß einmal Woitschek gefragt … Dafür strahlte Gabriel mit seiner Schönheit so sehr, dass man ihn für eine Sonne halten konnte. Auf jeden Fall schien in Angela ein Aufblühen bemerkbar zu sein. Das hielt solange, bis Gabriels Strahlen auf einen anderen Engel fiel. Nicht das sich Gabriel und Angela deshalb getrennt hätten. Angela war eine gute Freundin. Beständig. Aufmerksam. Liebevoll. Belastbar. Ignorant. Angela und Gabriel sprachen nicht darüber. Sie weinte heimlich. Er fickte heimlich. Heimlich. “Niemand fragt mich. Ich erkläre euch es jetzt trotzdem.” Woitschek brannte schon die ganze Party über, das endlich los zu werden. “Die meisten Menschen kriegen nicht das, was sie verdienen.” Er bekam zustimmendes Nicken. Immerhin hatte jeder das Gefühl benachteiligt zu werden. “Ich bin eine Ausnahme, aber dazu später. Ich möchte euch etwas zu einem Freund eines Freundes erzählen, den ich mal auf eine Party eingeladen habe.” Ein neugieriges Nicken seitens der Zuhörer. “Auf dieser Party hat er ein Mädchen kennen gelernt. Und beide, beide haben sie nicht bekommen, was sie verdient haben.” “Oh, was ist passiert?” ”Hat sich das Mädchen in einen anderen verliebt?” “Haben sie sich getrennt?” “Hat er sich nicht getraut sie anzurufen?” Die Zuhörer warfen noch mehr Fragen in diese Richtung ein. Alle gingen sie von einer gescheiterten Beziehung aus. Nun ja, gescheitert in dem Sinne, dass sie sich getrennt hätten oder nie richtig verliebt. “Nein, nein. Nichts dergleichen. Sie sind ein Paar.” Woitschek lächelte beruhigend. Er erzählte hier keine deprimierenden Trennungsgeschichten. “Aber ich habe eine Frage an euch.” Er legte eine Pause ein, um die Aufmerksamkeit noch mehr auf sich zu ziehen. Doch in der kleinen Küche voller Leuten war er der Mittelpunkt. Woitschek war gewöhnungsbedürfig, seltsam, aber wollte er einmal etwas erklären, wonach niemand gefragt hatte, sollte man ihm zuhören. Das wussten alle. “Nun frag schon, Mann”, quengelte jemand. “Hat ein Mann, eine treue, liebevolle Freundin verdient, die er betrügt und hat eine treue, liebevolle Partnerin einen Freund verdient, der sie betrügt?” Kopfschütteln war die kollektive Antwort. Und nachdenkliches Schweigen. Gabriels und Woitscheks Blicke treffen sich. Angela war nicht da, sonst hätte Woitschek niemals darüber gesprochen. Woitschek war wütend. “Und warum bekommst du, was du verdient hast?”, fragte Gabriel. Provokation lag in seiner Stimme. Er fühlte sich angegriffen. Zurecht. Woitschek hatte ihn angegriffen. “Weil ich Konsequenzen trage, Arschloch.” Und Woitschek trug seine Konsequenzen mit einem blauen Augen, einem abgebrochnen Zahn und einer blutigen Nase. Auch wenn man darüber streiten konnte, wie sehr er das verdient hatte. Immerhin hatte er nur die Wahrheit gesagt. Aber Woitschek war nicht nach streiten. Den zwei Engeln leider auch nicht. Mittlerweile haben sie einen eigenen kleinen Engel, der ohne etwas daran ändern zu können, nie das bekommen wird, was er verdient hätte: Eine glückliche Familie. Kapitel 30: I wanna taste the way that you bleed ------------------------------------------------ Nils verbrachte im Frühjahr seine Pausen gerne in der Schulbibliothek. Sie lag im zweiten Stock und man hatte einen tollen Blick über den Pausenhof, den blühenden Sträuchern und Gräsern, seinem leibhaftig gewordenen Alpträumen. Er konnte sich um diese Jahreszeit kaum länger als ein paar Minuten draußen aufhalten, ohne tränende Augen zu bekommen und permanent zu niesen. Er hasste die warmen Jahreszeiten aus vollstem Herzen. Seine Klassenkameraden verstanden sein Dilemma, aber konnten sich einfach nicht dazu durchringen, ihre Pausen nicht draußen zu verbringen – bei der Hitze und der vielen Sonne! So suchte Nils in der Zeit eben die Gesellschaft von Büchern. In der Schulbibliothek gab es, ehrlich gesagt, keine guten. Nils brachte seine eigenen mit und las sie auf der Couch, die am Fenster stand. Die Couch war bequem, hatte keinen ekligen Flecken und war eigentlich die einzige, die immer frei war. Wenig Schüler wussten überhaupt, wo ihre Schulbibliothek lag und Nils war das eigentlich ganz recht. Manchmal schlief er auch einfach nur dort. Die Allergie-Tabletten, die er nahm, machten ihn nämlich immer verdammt müde. Alles in allem könnten Nils Pausen schlimmer sein. Er fühlte sich nicht wie ein Außenseiter, bloß weil er sie alleine verbrachte. Wenn er ehrlich war, war er froh, wenn er öfter mal von Gesellschaft ausspannen konnte. Nils wusste nicht genau, wie das andere anstellten, aber er fand es anstrengend, wenn er sich zu lange mit mehr als einer Person unterhalten musste. Er hegte die Vermutung, dass er genau wie sein Onkel, einen leichten Hang zum Eremit hatte. Nicht, dass es schlimm war. Sein Onkel sah ziemlich glücklich aus. Und Nils, Nils fühlte sich alles in allem sehr zufrieden mit seinem Leben. Seinen Nickerchen in der Schulbibliothek. Seiner Familie. Nur sein Heuschnupfen mochte er nicht, aber es konnte ja nicht alles perfekt laufen, oder? So glücklich war niemand. Sein Heuschnupfen war allerdings der Grund, dass er jemand bemerkte. Nils wusste nicht, ob die Gestalten schon öfter dort waren, aber es gab eine Ecke im Schulhof, schlecht einsehbar von der Eingangstür aus, von wo die Lehrer immer Aufsicht führten, aber aus dem Fenster der Schulbibliothek perfekt zu sehen. Dort trafen sich normalerweise ein paar seiner Mitschüler immer zum Rauchen. Seit das aber vor ein paar Wochen – mal wieder - aufgeflogen war, war die Ecke etwas weniger frequentiert. Als Nils dort wieder jemand sah, dachte er zunächst, es wären wieder die Raucher. Allerdings umzingelten die normalerweise keinen am Boden knieenden Jungen und brüllten ihn an. Nils konnte nicht hören, was gesagt wurde, aber man sah aus in den Gesichtern, naja, eher an der Gestik. Er beobachtete das Geschehen eine Weile neugierig, gespannt was als nächstes passieren würde. Die Stimmung zwischen der Gruppe und dem Einzelnen schien aufgeheizt, aber Nils war sich nicht genau sicher, was passiert war. Da aber nichts mehr passierte, außer das wütende Gestikulieren und das irgendwie langweilig wurde, wenn man nichts verstand, beschloss Nils sein geplantes Nickerchen zu halten. Immerhin war das nicht sein Problem. Er kannte den Jungen nicht und die anderen nur vom sehen. Sie waren eine Stufe unter ihm, also in der zwölften. Mehr wusste er aber nicht und so spannend war es dann letztendlich nicht. Als er allerdings am folgenden Tag den Jungen mit einem fetten Feilchen im Schulflur begegnete machte er sich tatsächlich Gedanken, was da eigentlich los war und ob er nicht etwas unternehmen sollte. Wer der Junge war, hatte er schnell rausgefunden. Jules war auch alles andere als unauffällig, mit seinen lockigen Haaren, seinen roten Sweatshirts und dem verdammt fetten Feilchen. Die ganze Schule redete über ihn. Er ging erst seit ein paar Wochen auf ihre Schule, war eine Stufe unter Nils und es ging das Gerücht herum, dass er es für Geld mit Typen trieb und das Feilchen von einem gewalttätigen Freier stammte. Nils hatte keine Ahnung, wie solche Gerüchte entstanden, wusste aber, dass die Verletzung nicht von einem Freier stammte. Nils hatte zwar nicht direkt gesehen, wie die Jungs ihn geschlagen hatte, aber er müsste schon dumm sein, um die Zusammenhänge nicht zu verstehen. Was er nicht verstand, war, dass Jules ganz offensichtlich nicht vor hatte, etwas gegen die Gerüchte oder seinen Peinigern zu unternehmen. Nils hatte mitbekommen, wie ein Lehrer ihn auf das Feilchen angesprochen hatte und nur ein verpeiltes Lächeln und “Blöder Unfall mit einer Tür”, als Antwort bekommen hatte. Irgendwas an der Sache war jedenfalls komisch. Und Nils ärgerte sich etwas darüber, dass es ihn interessierte. Er interessierte sich normal nie für Dinge, die ihn nichts angingen. Aber auch, weil er wusste, dass das Leben von anderen Menschen in der Regel langweiliger Bullshit war. Seins eingeschlossen. Und vielleicht war Jules deshalb so spannend. Er brach aus allem heraus, was Nils so kannte: Gewalt. Provokation. Sex? Es vergingen einige Tage, bis Nils ihn wieder sah. Es war nach der Schule, als Nils auf dem Weg zu seinem Fahrrad war. Er hörte wütende Rufe aus Richtung der Fahrradunterstände und zog unbewusst den Kopf ein. Keine Lust auf Konfrontation mit Unannehmlichkeiten. Allerdings hatte er sein Fahrrad genau dort abgestellt, woher auch die Schreie kamen. Er wollte heim, seine Nase fing schon an zu kribbeln und seine Augen brannten. Okay, vielleicht hatte er einfach Glück und die wütende Meute war ein Fahrradunterstand weiter und er konnte sein Fahrrad holen, ohne das sie ihn bemerkten. Versuchen konnte man es ja. Aber das Glück spielte ihm mit, als er langsam und zaghaft in die Richtung ging, verstummten die Rufe und gingen in ein Lachen über. Drei Jungs, die sich gegenseitig auf die Schulter klopften, kamen Nils entgegen und ignorierten ihn. Die Typen, die Jules das letzte mal auch schon verprügelten hatten. Gut. Wenn sie weg waren, konnte er zu seinem Fahrrad und … Jules saß da natürlich noch. Blutende Nase, zerrissenes Shirt, die Jeans am Knie zerfetzt und blutig. Seine lockigen Haare klebten ihm ins Gesicht und er sah Nils mit einem trotzigen Blick an. “Was schaust du so, du Pussy, noch nie eine blutende Nase gesehen?!”, knurrte er ihn an, während er sich mit dem Handrücken das Blut aus Gesicht wischte. Naja, verschmierte, es sah jetzt noch schlimmer aus, als vorher. Nils verdrehte die Augen. Poser. “Du vögelst Typen, oder?”, fragte er Jules, während er ihn von oben bis unten musterte. Nils hatte sich einige Gedanken über Jules und sein Verhalten gemacht, auch über die Gerüchte. Das Jules ein Stricher war, glaubte er nicht, dass Jules schwul war, schon eher. Es war aber ein Schuss ins Blaue, vielleicht aus Rache, dass er ihn Pussy genannt hatte. “Fick dich!”, gab Jules harsch zurück und versuchte sich mit etwas ungelenken, steifen Bewegungen zu erheben, verzog dabei aber das Gesicht schmerzhaft und wirkte zwar immer noch irgendwie angriffslustig, aber auch völlig hilflos. “Hättest du wohl gerne.” Nils lachte und streckte ihm seine Hand entgegen. Er fand all die Wut und den Frust, den Jules ausstrahlte irgendwie erfrischend unterhaltsam. Nils hatte noch nie mit so jemanden gesprochen. Tatsächlich griff Jules nach seiner Hand und ließ sich aufhelfen, und das obwohl er ihn wohl gerade irgendwie beleidigt hatte. Danach schwieg er ihn aber trotzig an, als würde er darauf warten, dass Nils wieder etwas sagte. Aber dieser grinste nur. Bloß weil er den Umgang mit Menschen auf Dauer etwas anstrengend fand, bedeutet das nicht, dass Nils nicht wusste, wie das funktionierte. Und das man Jules mit einem offenen Lächeln aus dem Konzept bringen konnte, war offensichtlich. Jemand, der so aufgeladen war, wurde nicht oft angelächelt. “Du bist komisch”, stellte Jules schließlich fest, fuhr mit dem Daumen nochmal über die noch immer blutende Nase. Mit einem etwas irritierten Gesichtsausdruck betrachtete er das Blut an seiner Hand, als könnte er gerade nicht zu ordnen, woher es kam. “Du steht drauf, verprügelt zu werden, also sind wir gleichauf.” Noch immer lächelte Nils, als er das sagte. Jules schüttelte den Kopf und ging an ihm vorbei, als wäre er nicht bereit, weiter mit Nils zu reden. So endete ihre erste Begegnung. Nils hätte nichts gegen eine weitere. “Okay, ja, ich lass mich gerne von Kerlen durchnehmen. Richtig hart, so viel wie mein Körper aushält.” Jules hatte Nils eine Woche später mit diesem Satz wieder bei den Fahrrädern abgefangen, diesmal ohne irgendwelche Verletzungen, wobei sich noch ein Feilchen vom letzten Mal etwas abzeichnete. “War das gerade eine Anmache?”, Nils zog eine Augenbraue hoch, aber positiv überrascht, dass Jules ihn von sich aus ansprach. Es hatte sich in der letzten Woche keine Gelegenheit ergeben, ihre Unterhaltung fortzuführen. Nicht, dass er den Eindruck gehabt hatte, Jules hätte daran Interesse gehabt. “Kommt drauf an. Funktioniert es?” Jules ließ seinen Blick an Nils herab gleiten und ein zufriedenes Grinsen schlich auf sein Gesicht. Erst jetzt bemerkte Nils, dass die Unterlippe von Rico aufgesprungen war und sich dort ein wenig Schorf gebildet hatte. “Scheint so”, antwortete Nils mit einem Schulterzucken. Das er irgendwie auf Jules stand, überraschte ihn wenig. Er hatte schon immer die Sehnsucht nach Außergewöhnlichem gehabt. Er mochte Dinge, die aus dem Rahmen fallen. Und Jules fiel so hart aus dem Rahmen, dass er sich dabei die Nase blutig schlug und die Lippe aufschürfte. “Woah, fuck. Du bist echt durch, oder?” Jules schüttelte ungläubig den Kopf, als könnte er nicht glauben, dass Nils echt war. Es war möglich, dass manche Nils für etwas seltsam hielten, aber das war okay für ihn. Er hielt andere auch für seltsam. “Okay, um eines klar zu stellen. Ich stehe nicht darauf verprügelt zu werden! Aber wenn ich diese Typen sehe, da ...” Jules machte eine Geste, als würde er gerade jemand erwürgen, zog dabei eine wütend, verzweifelte Grimasse. “Du provozierst sie”, fasste Nils die Situation zusammen. Auch wenn er mit Jules diese Woche nicht gesprochen hatte, hatte er ihn trotzdem gesehen und beobachtet. Er und seinen Umgang mit anderen. Er war aggressiv, wütend und schien immer um sich zu beißen, wie ein angestachelter Hund, der nicht weiß, wie er mit seiner Mordlust umgehen soll und der Angst vor der ganzen Welt hat. “Sie provozieren mich!”, widersprach Jules, verschränkte dabei die Arme, sah aber nicht gekränkt aus. “Nein, ich meine, du machst das nicht … okay, doch, du machst es auch absichtlich. Aber allein schon wie du aussiehst, möchte man dir einfach ins Gesicht schlagen.” “Äh … Danke, Arschloch. Mein Gesicht ist zauberhaft.” Jules hatte seine Augenbrauen zusammen gezogen und die Oberlippe vorgeschoben. Er sah aus, wie ein aufgebrachter Cherubim. Nils lachte. “Das ist dein Problem. Du bist so schön, man wird wütend, wenn man dich sieht. Und dann ist deine Persönlichkeit auch noch so unerfreulich. Man hat den Eindruck, dass alles bei dir darauf ausgelegt ist, dir weh tun zu wollen.” Nils wusste, dass seine Worte ziemlich schräg klangen. Aber er hatte diese Woche viel über Jules nach gedacht, und auch seinen Peinigern. Und er verstand ihr Gefühl, dieses viel zu hübsche Gesicht kaputt machen zu wollen, diesen wütenden Ausdruck zu sehen und die aufgesprungen Lippen. Nils wusste auch, dass es vielleicht problematisch war, dass er der ersten Person, die er sexuell attraktiv fand, genau solche Gefühle entgegen brachte. Aber Nils selbst war auch pragmatisch. Die Situation war nun, wie sie war, und jetzt musste an das Beste daraus machen. Immerhin sprach Jules mit ihm und er verspürte nicht selbst den Wunsch, ihm weh zu tun. Er wollte nur dieses Gesicht mit Blessuren versehrt sehen. “Fuck ...” Jules fing an zu lachen, hielt sich dabei an Nils Schulter fest. “Fuck. Fuck. Du machst mich fertig, Mann. Du machst so kranke Komplimente!” Ehrliche Erheiterung waren in den großen Augen von Jules zu sehen, als er Nils ansieht. Auch ein netter Anblick, stellte Nils fest. Er beugte sich vor und gab Jules einen Kuss, direkt auf die aufgesprunge Lippe. Er spürte die Unebenheit unter seinen Lippen. Es fühlte sich irritierend schön an, genau wie Jules. Schlanke Finger vergruben sich in seinen Haaren und drückten ihn näher an diese wundervollen Lippen. Nils musste einen Moment den Impuls unterdrücken, hineinzubeißen. Stattdessen tastete er neugierig mit seiner Zunge über die Unebenheit und wurde plötzlich recht abrupt durch die Hand in seinen Haaren von dem Kuss los gerissen. Jules sah ihn mit großen Augen an. Nicht verärgert, sondern irgendwie anders … Nils konnte den Ausdruck nicht richtig deuten. “Alter … du hast keine Ahnung, auf was du dich da einlässt”, japste Jules etwas atemlos. Der Kuss hatte wohl Wirkung bei ihm gezeigt. Zufrieden grinste Nils, für den ersten Kuss war das nicht schlecht, oder? “Alter, du auch nicht”, gab er zurück und zog den Lockenkopf wieder an sich, biss diesmal tatsächlich in die Lippe. Leicht, aber so dass er kurz den Widerstand der Haut fühlte. Jules keuchte auf. Sein Atem fühlte sich heiß gegen Nils Lippen an. Selbstgefällig ließ er von Jules ab, der seine Hand in Nils Jacke vergraben hatte und ihn etwas verklärt ansah. Nils wusste, er hatte mit Jules recht gehabt. “Wie …” Jules muss sich kurz Räuspern, um seine Stimme wieder zu finden. “Wie heißt du eigentlich?” Er löste seinen Griff aus der Jacke und machte einen Schritt weg von dem Älteren. “Nils.” Er lächelte bei seiner Antwort. Ein Mädchen hatte mal gesagt, dass er ein schönes, beruhigendes Lächeln hatte. Vielleicht wirkte es auch bei Jules. “Oh Fuck. Fuck. Fuck.” Jules wirkte irritiert von seiner Antwort, fuhr sich durch seine Haare, schaute nach links und rechts, als würde er einen Fluchtweg such, fixierte aber schließlich wieder Nils, hatte dabei den Zeigefinger erhoben. “Okay, Nils … Ich stell hier ein paar Sachen klar, okay?” Nils nickte. Er war gespannt, was Jules zu sagen hatte. Er würde sicher jedes seiner Worte aufsaugen und sich daran weiden. “Erstens, ich steh wirklich nicht darauf verprügelt zu werden. Schlägst du mich nur ein einziges Mal, werde ich nie wieder auch nur ein Wort mit dir wechseln. Zweitens, beißen ist okay – aber kein Blut! Drittens, ich steh nicht auf Jungfrauen. Wenn du Sex mit mir haben willst, sorge bloß dafür, dass ich nicht merke, ob du eine bist. Und viertens, Beziehungen mit mir machen keinen Spaß und sollte mich jemand verprügeln wollen, hass ich dich, solltest du noch einmal nur tatenlos zu sehen.” “Hm, klingt fair.” Nils nickte. Regeln mit denen er arbeiten konnte. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. “Hätte nicht gedacht, dass du so leicht zu haben bist.” “Noch, hast du mich nicht, Sucker!” Jules zeigte ihm den Mittelfinger und wandte sich zum Gehen. Nils hielt ihm am Handgelenk fest, zog ihn in einen sanften Kuss. “Ugh, du bist eine Jungfrau, oder?”, fragte Jules mit eine mitleidigen Blick, aber auch einem Lächeln auf den viel zu schönen Lippen. Nils zuckte mit den Schultern, grinste. Er wusste nicht, ob das mit Jules eine gute Idee war. Der Junge brachte definitiv Probleme mit sich, wahrscheinlich in einem Ausmaß, dass sich Nils noch nichtmal in seinen kühnsten Träumen ausmalen konnte, aber Nils hatte das Gefühl, als hätten ihm genau solche Probleme schon immer in seinem Leben gefehlt. Kapitel 31: I wanna taste the way that you bruise ------------------------------------------------- “Hey, Vollidiot, warte mal!”, rief Jules Nils auf dem Schulflur hinterher. Nils schaute überrascht über die Schulter. Eigentlich war er gerade auf dem Weg zu Physik und musste früher da sein, da er noch die Hausaufgaben von Kilian abschreiben wollte. “Ist gerade schlecht, Jules”, erklärte er kurz, hob die linke Hand zur Verabschiedung und bevor Jules etwas wütendes erwidern konnte, war er auch schon um die Ecke gebogen. Jules rief ihm noch etwas … ungehobeltes nach, was Nils aber nur grinsen ließ. Jules bedeutete definitiv Spaß, auch wenn er seit dem Kuss nicht mehr mit ihm geredet hatte. Was jetzt drei Wochen her war. Aber das war für Nils in Ordnung, er war geduldig – und er wusste, dass Jules es nicht war. Was es umso unterhaltsamer machte. Nur heute war leider etwas schlecht. Sein Physiklehrer und er hatten nicht das beste Verhältnis und wenn er dort nicht völlig versagen wollte, und am Ende nicht zum Abitur zu gelassen wurde, sollte er zumindest mit Hausaufgaben erscheinen. Nicht, dass er verstand, was er da abschrieb. Erklärte wohl auch seine schlechte Note. Die einzige, die er hatte. Er war sonst recht ambitioniert, aber seine Noten waren leider recht abhängig von seinen jeweiligen Lehrern. Seine Mutter brachte das immer zur Verzweiflung, weil sie nicht verstand, dass ihr Sohn aus so persönlichen Gründen wie eine Aversion gegen eine Person, schlechte Arbeit ablieferte. Aber Nils fand, er musste nicht alles können und nicht jeden mögen. Und deshalb tat er das auch nicht. Manche würden Nils als etwas eigenwillig bezeichnen, auf eine Art, bei der schwer zu benennen war, ob sie positiv oder negativ war. Kilian, der schon seit der Grundschule mit ihm in einer Klasse war und in seiner Nachbarschaft lebte, war sich nach dreizehn Jahren gemeinsamem Schulleben immer noch nicht sicher, ob sie so etwas wie Freunde waren oder ob Nils seine Gesellschaft einfach nur duldete. Sie lernten aktuell recht häufig zusammen für die bald anstehenden Abi-Prüfungen und Kilian fand es praktisch, dass Nils den meisten Stoff ohne Probleme verstand und sogar einigermaßen verständlich weiter geben konnte – außer in Physik. Als hätte er da ein Brett vor dem Kopf, obwohl Naturwissenschaften sonst keine seiner Schwächen waren. Kilian tröstete sich mit dem Gedanken, dass Nils eben seltsam war. Besonders seltsam fand er aber, dass Nils offensichtlich seit ein paar Wochen von dem neuen Typ, der immer in Schlägereien und komische Gerüchte verwickelt war, verfolgt wurde. Hätte man Kilian gefragt, hätte er eines dieser blöden Sprichwörter ausgepackt: “Gleich und gleich gesellt sich gern!”, auch wenn jeder Blinde hätte sagen können, dass Nils und Jules so verschieden war, wie nur irgendwie möglich – aber beide waren sie seltsam. “Der Typ belästigt dich, doch nicht, oder?”, fragte Kilian schließlich, nach dem er gemeinsam mit Nils den Physiksaal verlassen hatten und dort wieder mit bitterbösen Blicken von Jules durchlöchert wurde. “Jules?”, fragte Nils ruhig, schaute aber nicht in dessen Richtung – es wirkte nicht mal absichtlich, Kilian war sich bei seiner Frage auch erst nicht sicher gewesen, ob Nils verstand, wenn er meinte. Aber anscheinend wusste Nils Bescheid. “Nee, das passt schon.” “Sicher? Er sieht aus, als würde er dir weh tun wollen.” Kilian schielte nochmal zur Seite, als sie an dem Jüngeren vorbei liefen. Er bekam eine Gänsehaut von diesem aggressiven Starren. “Keine Sorge, so zeigt er nur seine Zuneigung.” Nils lächelte in Kilians Richtung und dieser schluckte seine Erwiderung herunter. Nils war schlichtweg … Kilian konnte nicht einmal sagen, was Nils war. Und wollte nicht weiter darüber nachdenken. “Also wegen Bio kannst du mir helfen, oder?”, wechselte Kilian schließlich das Thema. Sie hatten in der Oberstufe die selben Schwerpunkte gewählt und würden in Bio eine ihrer Prüfungen schreiben und Bio war hart. “Sicher. Ich werde dich in all die dreckigen Geheimnisse der Karyokinese einweihen!” Nils klopfte ihm dabei auf die Schulter und kurz wirkte er, wie ein ganz normaler, menschlicher Teenager, aber Kilian wusste, dass der Schein trog. “Scheiße, ich weiß nicht mal, was das ist ...” Er seufzte. Seltsam hin oder her, Nils war auf jeden Fall eine große Hilfe. Jules versuchte drei Tage später nochmal sein Glück. Es war Freitag und all bisherigen “erfolgreichen” Treffen, waren Freitag gewesen. Nach der Schule. Bei den Fahrrädern. Anders schien er Nils nicht zu fassen zu kriegen. Entweder war er in der Gesellschaft eines großen Kerl, der Jules schon seit Tagen misstrauisch beäugte, oder er hatte keine Zeit. Kurz um, Jules war frustriert. So hatte er sich das nicht vorgestellt, nach dem ihn Nils geküsst hatte. Nicht, dass er sich nach ihm verzehrte, aber er hatte sich nach ihrem letzten Gespräch doch irgendwie auf mehr Initiative von Nils gehofft, einfach auch, weil Jules gewohnt war, dass man ihm nachlief, nicht anders rum. Und, auch wenn Jules sich vorher die Zunge rausreißen lassen würde, bevor er es zugeben würde, Nils war auf eine ganz skurille Art extrem interessant. Deshalb lehnte er nun neben dem Fahrrad, das Nils gehörte – nach drei Wochen beobachten, wusste Jules mittlerweile welches das war – und wartete, dass er auftauchte. Und er war wütend und fühlte sich verarscht und dieses offene Lächeln, das ihm Nils gerade entgegen schleuderte, änderte daran gar nichts. Jules baute sich breitbeinig vor dem Größeren auf und es war ihm egal, dass er dabei albern aussah. Seine Wut machte ihn immer größer! Nils hatte seinen Kopf etwas schief gelegt und betrachtete Jules mit einer gewissen Neugierde, nicht unbedingt eingeschüchtert. “Ich habe genug, Mann, du kannst mich doch nicht einfach … einfach ...” Jules gestikuliert wirr mit seinen Händen und schien nach dem richtigen Wort zu suchen. “Beißen?”, half Nils nach, sicher damit richtig zu liegen. “Küssen, verdammt! Du kannst mich doch nicht einfach küssen und mich danach ignorieren, Arschloch.” Jules Augen blitzten wütend auf und er war versucht, einfach auf Nils los zu gehen, der einen amüsierten Ausdruck im Gesicht hatte, als würde er Jules nicht ernst nehmen. Das war ein ernstes Thema, verdammt! “Ich dachte, du wärst nicht interessiert.”, log Nils ihm ins Gesicht. Er war weder blöd, noch blind, aber die Fassungslosigkeit, die sich gerade auf Jules Gesicht breit machte, war einfach nur zum Schreien komisch! Jules öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn wieder, verlagerte sein Gewicht auf den rechten Fuß und zeigte mit seinen Finger auf Nils, setze wieder an, etwas zu sagen, schüttelte schließlich dann nur den Kopf. “Fuck, du bist … du bist …” Jules verdrehte die Augen in seiner Hiflosigkeit, die richtigen Worte für Nils zu finden. Mit dem Jungen stimmte doch etwas nicht. Warum sprach er überhaupt noch mit Nils?! “Ich bin eine Jungfrau, ich bin also raus.” Nils lächelte Jules an, als wäre nichts dabei, klopfte dem Jüngeren auf die Schulter und machte sich daran, sein Fahrradschloss zu öffnen. “Du … Gott, ich werde nicht … Verdammt, Mann.” Amüsiert lauschte Nils, wie Jules um seine Selbstachtung rang und nach den richtigen Worten suchte, während er bei seinem Zahlenschloss die richtigen Nummern hindrehte und sich extra Zeit ließ. Er schielte kurz zu Jules hoch, in der Hoffnung einen interessanten Ausdruck in seinem Gesicht zu sehen. Ihre Blicke trafen sich und Jules schnappte verärgert nach Luft. “Du hast das alles mit Absicht gemacht!” Jules fuhr sich durch seine Locken, atmete kurz durch. Er konnte nicht glauben, dass er sich von Nils so an der Nase hat herumführen lassen. Dieses Ignorieren, keine Zeit haben, das war alles nur … Show. Nils lachte nur. Sein genialer Plan wurde wohl durchschaut, nicht das er das schlimm fand. “Ich respektiere nur deine Regeln”, antwortete er lapidar. Nils löste das Schloss ganz und hob sein Fahrrad aus dem Fahrständer. “Wie, du? Nein ...” Jules hatte die Stirn in Falten gelegt, unsicher ob er Nils in irgendeiner Weise glauben sollte, oder ob er hier gerade verarscht wurde. Das Nils gerade dabei war, mit seinem Fahrrad das Schulgelände zu verlassen, verunsicherte ihn noch mehr. Machte der Kerl sich gerade wieder davon?! Sie waren mitten in einer Unterhaltung! Mit ein paar wenigen Schritten hatte Jules, Nils eingeholt, packte ihn an der Schulter. “Was soll das?”, fragte er schließlich. Jules kam nicht damit klar, dass er Nils nicht verstand. Er war sich todsicher, dass der Ältere auf ihn stand. Verdammt noch mal, er hatte ihn geküsst und nicht mal mit der Wimper gezuckt, als er sich vor ihm geoutet hatte, sondern ihn nur interessiert angesehen. Jetzt warf er sich praktisch an den Hals und es ließ Nils völlig kalt. Das … “Sag bloß, du lässt mich trotzdem ran?” Nils hob eine Augenbraue, betrachtete neugierig Jules Gesicht, dass einen leicht gequälten Ausdruck hatte. Hier kämpfte jemand offensichtlich um seinen Stolz und seine Ehre. Nils respektierte das. Er ging weiter, schob dabei sein Fahrrad neben sich. “Hey, Mann, was zur Hölle willst du denn von mir?” Jules holte wieder auf und lief nun neben Nils her, der nachdenklich seine Stirn in Falten gelegt hatte. Nicht, dass er lange über seine Antwort nachdenken musste, aber er ließ Jules gerne zappeln. “Meine Eltern sind erst in drei Stunden daheim.” Es könnte harmlos klingen, tat es aber nicht. Nils versuchte sich an einem anzüglichen Grinsen, auch wenn er sich nicht ganz sicher ist, wie das eigentlich aussehen sollte. Schien aber gut genug zu funktionieren, Jules seufzte. “Fuck, ich habe keine Ahnung, warum ich jetzt nicht sofort kehrt mache und gehe.” Er verdrehte die Augen über sein eigenes Verhalten, schielte dann aber zu Nils. Alles in allem war er keine schlechte Partie, so war das nicht. Hätte er einen anderen Charakter, wäre er wahrscheinlich ein ziemlicher Bringer auf dem Beziehungsmarkt. “Dein Stolz”, antwortete Nils mit einem sanften Lächeln. Aber war da nicht eine Spur von Selbstgefälligkeit zu sehen? “Den trete ich gerade mit Füßen”, brummte Jules und wollte gar nicht mehr weiter darüber nachdenken. Er hatte die letzten drei Wochen damit verbracht, darauf zu warten, dass Nils sich an ihn ranschmeißen würde, so heftig und nonchalant, wie er es bei ihrem zweiten Treffen gemacht hat. Er hat sich vorgestellt, was für Stellungen Nils mögen würde – wahrscheinlich ausgefallene an seltsamen Orten. Vielleicht die Schultoilette, gegen die Tür gedrückt und seine Finger soweit in Jules Seiten gegraben, dass er Tage danach noch Abdrücke davon hätte. Das war doch bestimmt Nils Ding. Er hatte viel Zeit mit der Vorstellung verbracht, was für Blowjobs Nils geben würde. Full-Head? Würde er schlucken? Sich selbst fingern, wenn er einen Blowjob gibt? Fuck, er hatte soviele Gedanken an eine Jungfrau verschwendet und dabei nicht einmal daran gedacht, dass Nils wirklich eine Jungfrau sein könnte. Jules hatte mit fünfzehn seine Unschuld – naja, seine sexuelle Unschuld – verloren und hatte noch ganz gut in Erinnerungen, dass er davor bei jedem Thema, das mit Sex zu tun hatte, einen halben Nervenzusammenbruch hatte und sein erstes Mal eine mittlere Katastrophe gewesen war. Er hätte niemals einfach so jemand geküsst, mit dem er erst einmal geredet hätte, oder ihn in die Lippe gebissen oder einfach so zu sich nach Hause eingeladen … Nils war doch nicht ernsthaft eine Jungfrau, oder? “Ach, was. Du wolltest mich, jetzt kannst du mich haben. Das geht Hand in Hand mit deinem Stolz”, erwiderte Nils mit einem fröhlichen Tonfall, als wäre an der Sache nicht viel dabei. Hätte Jules genau hingesehen, hätte er bemerkt, dass sich Nils Hände recht fest um dem Fahrradgriff geschlossen hatte, um sie vom Zittern abzuhalten. “Du hast dafür gesorgt, dass ich dich wollte, du manipulativer Hund. Und jetzt kriegst du mich, einfach so, und gegen meine Regeln und das mag mein Stolz nicht. Außerdem bin ich nicht leicht zu haben.” Nils wollte sich einfach über die Situation beschwerden, auch wenn er sie nicht so schlimm fand, wie er es jetzt darstellte. “Ich auch nicht.” Ein ungewohnt, warmer Ausdruck war in Nils Gesicht zu sehen. Jules wurde etwas unruhig. Mit Nett hatte er Schwierigkeiten. “Auch wenn ich zu geben muss, dass ich die Schramme auf deiner Wange von vor zwei Wochen vermisse. Hat dir gut gestanden.” “Freak”, brachte Jules unter einem Lächeln hervor. Nils Begeisterung für Verletzungen an seinem Körper sollte ihn beunruhigen – richtig richtig beunruhigen – aber irgendwie mochte er es, dass sich Nils nicht davon abgestoßen fühlte. Es war schwierig zu erklären und Jules war noch lange nicht an dem Punkt, dass er Nils soviel über sich verraten würde. Aber vielleicht würde er ihm irgendwann erklären, warum er Prügeleien provozierte und warum er dachte, dass er all die Verletzungen verdient hatte. Irgendwann mal – erstmal sehen, wie der Sex lief. Bevor Jules daraus eine emotionale Sache werden ließ. Sie hatten mittlerweile das Haus von Nils erreicht. Nichts besonderes, typisches Vorstadt-Haus mit übersichtlichen Garten. So unscheinbar wie Nils auf den ersten Moment auch wirkte. Jules war neugierig, ob der Unterschied zwischen Fassade und Innenleben so groß sein würde, wie bei Nils. War er enttäuschenderweise nicht. Das Haus machte auch von Innen den Eindruck, als würde es einer ganz normalen Vorstand-Familie gehören. Jules hatte irgendwie erwartet, dass Nils irgendwo leben würde, was seinen Charakter mehr widerspiegelt, aber vielleicht war sein Zimmer aufschlussreicher. Neugierig folgte er Nils die Treppen nach oben. Die letzten Minuten war er überraschend ruhig gewesen, vielleicht machte sich nun doch Nervösität breit. Verdient hätte er es, dachte sich Jules. “Dein Zimmer ist ja noch langweiliger, als der Rest des Haus. Hier gibt es nur Bücher!” Nun war Jules völlig enttäuscht. Nils Zimmer war mittelgroß, hatte ein schmales Bett, eine Wand, die mit einem gefüllten Bücherregal vorgestellt war und einen Schreibtisch mit einem Computer. Es gab keine Poster, keine Bilder, keine Fotos, keine nerdigen Spielfiguren, oder ein Instrument, es gab nicht mal Unordnung. So sah doch kein Teenager-Zimmer aus! Nils hörte Jules aber nur halb zu, er ging recht zielstrebig in Richtung seines Bettes und wühlte in der Nachttischkommonde herum. Jules nutzte die Zeit, sich die Bücher anzusehen. Er hätte auf Sci-Fi-Romane getippt, waren auch ein paar dabei, aber viele Bücher waren irgendwelche soziologischen, religiöse oder philosophischen Dokumantion und Essays, oder Fachliteratur über seltsame Naturphänomene und Kinderbücher gab es viele, mit Bildern. Was war denn das für eine Mischung? Er zog ein Buch mit dem hübschen Namen “Der Regenbogenfisch” heraus und wollte Nils gerade danach fragen, als dieser ihm das Buch einfach aus der Hand nahm und zurück ins Regal schob. Ihre Gesichter waren sich dabei unheimlich nahe und Jules konnte nicht anders, als sich einen Moment nervös über die Lippen zu lecken. Erst jetzt ging ihm wirklich auf, dass er Nils hier gerade für Sex nach Hause gefolgt war. Sie kannten sich … seit … gar nicht. Er wusste nur, dass Nils einen komischen Blessuren-Fetisch hatte und ihn das nicht so sehr störte, wie es sollte. War das überhaupt genug? Die Lippen, die sich nun fest auf seine pressten und die Zunge, die sich in seinen Mund stahl sagten: Ja, das reichte völlig. Jules drängte Nils ungeduldig Richtung Bett. Lachend ließ sich Nils auf seine eigene Matratze schubsen und beobachtete neugierig, wie Jules über ihn kletterte, dabei schon sein T-Shirt über den Kopf zog, um danach den Kuss fortzusetzen. Er spürte Nils Hände an seiner Hüfte und wünschte sich, sie würden sich mehr in seine Haut graben. Er intensivierte den Kuss und tatsächlich spürte er nun, den Druck von Nils Fingernägeln an seiner Haut. Jules gab einen zufriedenen Laut von sich. Vielleicht hatte sich Nils auch daran erinnert, was er ihm darüber erzählte hatte, wie er seinen Sex mochte. Nils Berührungen wurden selbstsicher, aber auch eine Spur grober. Bis zu dem Punkt, an dem sich Jules von ihm löste. “Hast du überhaupt irgendwas da?”, fragte er Nils etwas atemlos. Mit Spontan-Sex hatte heute er nicht ganz gerechnet und keine Kondome eingepackt und wenn Nils tatsächlich eine Jungfrau war … “Klar.” Nils beugte sich zum Nachtkästchen neben seinem Bett, was gar nicht so einfach war, da Jules immer noch über ihm gebeugt war. Er kramte kurz in der Schublade, etwas abgelenkt davon, dass sich durch die etwas verdrehte Position seine Erektion etwas deutlicher gegen Jules Körpermitte drückte. Zum Glück musste er nicht lang suchen, da in der Schublade nicht sehr viel mehr als das lag. Er hielt Jules ein Kondom und eine Tube Gleitcreme entgegen, ein breites Grinsen im Gesicht, als hätte er gerade was gutes erbeutet. “Seit wann hat eine Jungfrau Kondome und Gleitcreme neben ihrem Bett?”, fragte Jules etwas irritiert. Er war sich nach wie vor nicht sicher, ob das mit der Jungfräulichkeit nicht einfach eine bescheuerte Lüge war. Anderseits, warum sollte er lügen? Auf der anderen Seite, stellte er sich bisher nicht viel blöder an, als ein paar seiner anderen Ex-Lover. “Seit sie beschlossen hat, nicht mehr lange eine zu bleiben”, gab Nils mit selbstbewussten Lächeln zurück. Jules schaute ihn einen Moment wortlos an. Die geröteten Wangen, die glänzenden Augen und dieses offene Lächeln. “Fuck, du hast das alles ganz genau geplant, oder? Du bist … du bist ...” 'Was war das richtige Wort? Böse, manipulativ, hinreißend? Jules schüttelte lachend den Kopf. Nils war ein durchtriebener Hund und wenn er nicht aufpasste, würde er anfangen, das wirklich zu mögen. “Fantastisch?”, schlug Nils vor. “Das wird sich noch zeigen.” Jules beugte sich vor für einen Kuss, nahm dabei dem Älteren das Kondom und die Gleitcreme aus der Hand. “Boah, fuck, ich glaub immer noch nicht, dass du mich so leicht rumgekriegt hast.” Er riss die Kondompackung auf und Nils fuhr mit einer leichten Berührung, über die roten Abdrücke an Jules Seite, die er dort hinterlassen hatte. Jules hatte eine Gänsehaut. Der Junge ging ihm definitv unter die Haut. Kapitel 32: I wanna taste the way that you come ----------------------------------------------- „Warte mal, bin ich derjenige, der …“ Nils hatte sich auf seine Ellenbogen gestützt, nachdem er Jules Beispiel gefolgt war und sich seiner Hose entledigt hatte. Er beobachte Jules dabei, wie er Gleitcreme auf seiner rechten Hand verteilte. Der Junge sah auf, hatte dabei eine Augenbraue hochgezogen. „Was dachtest du denn?“ Mit diesen Worten stupste er Niles etwas ungeduldig gegen die Hüfte, signalisierte ihm so, dass er sich auf den Bauch drehen sollte. „Ich … weiß nicht.“ Nils blinzelte. Er wusste es tatsächlich nicht. Genau genommen hatte er nicht erwartet, überhaupt mit Jules so schnell in diese Situation zu kommen und sich auch dementsprechend wenig Gedanken darüber gemacht, wie der Sex ablaufen sollte. Jules presste seine Lippen mit einem mitleidigen Ausdruck im Gesicht zusammen, schüttelte kurz den Kopf. „Komm, dreh dich um, das steht jetzt echt nicht zur Debatte. Oder verletzt es dein männlicher Männerstolz, wenn du es von hinten besorgt kriegst?“ Wieder das Stupsen, diesmal etwas drängender. „Bist du immer oben?“ Nils schluckte. Ihm war schon bewusst, dass bei Analsex zwischen zwei Kerlen einer seinen Arsch hinhalten musste, aber er hätte nicht erwartet, dass er das bei seinem ersten Mal sein würde. „Nah.“ Jules winkte ab, lachte kurz, als würde er die Vorstellung absurd finden. „Und warum jetzt?“ Nils sah nicht ein, einfach das zu tun, was ihm der Andere sagte. Vor allem, weil er sich nicht sicher war, ob das überhaupt sein Ding war. Okay, er hätte sich das früher überlegen können, bevor er Nils zu sich nach Hause eingeladen hatte. Für Sex. Der Junge seufzte entnervt. „Okay, Alter, das Ding ist, ich hab keine Ahnung wie du im Bett bist. Und wenn du eine Jungfrau bist, hast du auch keine Ahnung. Und glaub mir, es kann Scheiße weh tun, wenn man Sex mit jemand hat, der keine Ahnung hat. Ich hab Ahnung. Ich schick dich in den fucking Himmel, wenn du mich machen lässt. Und dann, weiß nicht, nach ein paar Mal schauen wir vielleicht mal, ob das was werden kann.“ „Im Klartext, du traust mir nicht, aber ich soll dir trauen.“ Nils hatte sich mittlerweile ganz aufgesetzt und war somit auf Augenhöhe mit Jules, der sich durch die Haare fuhr und mit einem verbissen Ausdruck in eine andere Richtung starrte. Er schien gerade das bisschen Geduld zusammen zu kratzen, die er für diese Situation noch aufbringen konnte. Abrupt wandte er sich wieder an Jules, kam dessen Gesicht so nahe, dass sich ihre Nasen fast berührten. „Nein, im Klartext: Du lässt dich von mir ficken und du wirst das beste erste Mal aller Zeiten haben.“ Nils konnte nicht anders, er fing an zu lachen. Vielleicht ein wenig aus Panik, aber hauptsächlich über den Fakt, dass er wirklich auf Jules stand. Auf einen Kerl, der Schlägerein mit Leuten provozierte, die er nicht gewinnen konnte. Auf einen Kerl, den er rum gekriegt hatte, weil er ihn in die Lippe gebissen hatte. Im Grunde auf einen völlig verdrehten Vollidiot. Aber einen scharfen. „Wie wäre es mit ´Keine Chance´?“ Nils hatte Mühe sein Grinsen zu unterdrücken. Das Nein meinte er in diesem Fall ernst, aber die ganze Situation erschien gerade einfach nur absurd lächerlich. Jules sagte gar nichts mehr, sondern presste seine Lippen auf Nils. Fuhr mit seiner Zunge darüber, während er seine Hand in Nils Haare vergrub und mit der anderen in einer fordernde Bewegung über Nils Erektion fuhr. Der Junge zuckte kurz zusammen, da sich die Gleitcreme kühl auf der empfindlichen Haut anfühlte. Nicht unangenehm kühl. Nur anders. Er konnte spüren, wie Jules in den Kuss hineinlächelte, als hätte er sich genau diese Reaktion erhofft. Nochmals, diesmal spielerischer wiederholte er die Geste, um schließlich ganz von Nils abzulassen. „Hey ...“, Das Gefühl, das mal jemand anders seinen Penis berührte, als er selbst, war aufregend gewesen. Umso mehr störte es ihn, dass Jules damit aufgehörte hatte, um ihn stattdessen selbstgefällig anzugrinsen. „Okay, Alter“, das letzte Worte betonte er spöttisch. „Wie wäre es, wenn wir einfach mal bei Blowjobs bleiben? Ich habe gehört, die sollen … gut sein.“ „Mann, wofür dann die Gleitcreme und die Kondome?“ Jules deutete vorwurfsvoll auf die eben erwähnten Produkte, die neben ihnen auf dem Bett lagen. Auf seiner Hand konnte man die Gleitcreme leicht glänzen sehen. „Jetzt sei kein Arschloch.“ Nils schüttelte missbilligende den Kopf. „Du wolltest doch, dass ich genau das für dich bin.“ Man könnte die Wut in Jules Stimme hören. Die Situation schien ihn gerade ordentlich anzupissen. Nils langsam auch. „Weißt du was, wir blasen das einfach ab. Es war eine bescheuerte Idee.“ Gut, seine Erektion sagte etwas anderes, aber Nils fand nicht, dass sein Penis der beste Berater war. Außerdem hat er ihn erst in diese Situation gebracht. Er machte sich daran, sich aus dem Bett zu erheben. „Angst?“, fragte Jules spöttisch, nachdem Nils aufgestanden war und sich nach seiner Hose anschaute. Der andere hatte sie vorhin einfach irgendwo in den Raum gepfeffert. Vorher, als er noch fand, dass das hier der genialste Plan aller Zeiten gewesen war. „Hölle ja.“ Nils fuhr herum, seine Augen blitzten verärgert auf. Er ließ sich bestimmt nicht von Jules verarschen, weil er sich doch noch nicht bereit fühlte.Ihm war schon bewusst, dass das erste Mal nichts besonderes sein musste und auf jeden Fall besser dran war, wenn man jemand hatte, der Erfahrung hatte. Aber verdammt, es musste sich auch richtig anfühlen und das tat es gerade nicht. Bis zu dem Moment, als er plötzlichs Lippen auf seinem Penis spürte. Verdammt … Nils sah zu dem Anderen herab, der kurz von ihm abließ, um zu ihm hochzuschauen. „Okay?“, fragte Jules. Nils nickte stumm. Blowjobs waren sowas von okay. Mit einem breiten Grinsen beugte sich Jules wieder vor, leckte mit seiner Zunge der Länge nach über die Erektion. Mit beiden Händen zog er Nils etwas näher ans Bett und setzte sich selbst bequemer hin. Er wurde dabei mit großen Augen beobachtet. Die Hand mit Gleitcreme schloss sich um seinen Schaft. Jules platzierte einen Kuss auf die empfindliche Eichel, bevor er sie ganz mit seinem Mund umschloss. Nils vergrub seine Hände in den Locken des Anderen, unterdrückte ein Keuchen. Ja, damit war er einverstanden. Gott verdammt, fühlte sich das gut an, als sich die Zunge gegen seinen Penis presste, die Hand sich in genau in dem richtigen Rhythmus dazu bewegte. Das leichte Saugen, genau der richtige Druck. Feucht und warm. Scheiße, war das gut. Das war Magie. Das war der Hammer. Er kam mit einem leisen Stöhnen „Woah, Alter, ekelhaft! Ein Wort der Warnung, Mann, das ist ist gute Blowjob-Etikette!“ Jules wischte sich mit einem angewiderten Blick im Gesicht über den Mund. Nils war das sowas von scheiß egal. Fuck, war das gut gewesen. Er blinzelte, sah Jules an, der mit einem selbstgefälligen Grinsen anschaute. Der Mistkerl. Nils beugte sich zu ihm, küsste ihn gierig. Schmeckte sich selbst in seinem Mund. Er drückte Jules nach hinten aufs Bett. Wer dafür gesorgt hatte, dass er sich so verdammt gut fühlte, sollte dafür etwas zurück bekommen. Immer noch seine Lippen auf Jules, griff er nach dessen Erektion. Er bekam ein Keuchen als Belohnung. „Soll ich auch ...“, fragte Nils atemlos. Er nickte Richtung Jules Körpermitte. „Was? Oh, klar, go ahead.“ Jules lachte, als hätte er einen Witz gemacht. Nils ließ seinen Blick über den Anderen schweifen. Dessen Haare standen verstruppelt ab und seine Lippen waren rot geküsst. Und an der Hüfte kann man leicht die Abdrücke von Nils Händen sehen. Und er war ganz offensichtlich erregt. Guter Anfang, super Anfang. Nils muste schlucken. Wie ging man einen Blowjob an? Mund auf Penis, oder? Soviel kann da nicht dabei sein! Etwas zaghaft beugte er sich über die Erektion, leckte testweise daran. Der Geschmack war herb und etwas gewöhnungsbedürfig. Aber ging. Hätte er sich schlimmer vorgestellt. „Kleiner Tipp, pass auf deine Zähne auf.“ Hätte Jules bei den Worten nicht gelächelt, wäre es extrem überheblich rübergekommen. „Noch ein Tipp?“, fragte Nils sarkastisch. „Tu dir ein Gefallen, und versuch es nicht mit Fullhead. Und benutz deine Hände.“ „Beide?“ Nils sah sich seine Hände an, dann zu Jules Penis. Au Mann … „Überrasch mich.“ Wieder dieses Lachen. Überrasch mich am Arsch, dieses kleine Aas. Nils atmete durch. So schwer kann das nicht sein. Er fasste Jules um den Schaft, wie er es vorhin bei ihm gemacht hatte und schloss seine Lippen um die Eichel. Er merkte jetzt schon, dass die Position unangenehm zu sitzen war und irgendwie kam ihm der Winkel falsch vor. Aber vielleicht dachte man das zu Anfang immer. Er bewegte testweise seine Hand und saugte leicht. Zumindest versuchte er es. Verdammt, bei Jules hatte das vorhin so leicht … und so verdammt gut gewirkt. Er spürte, wie Jules seine Hand in den Nacken legte und aufmunterend zu drückte, dabei stöhne. Okay, soweit so gut, oder? Das war ein gutes Zeichen. Vielleicht mehr saugen und den Kopf dabei bewegen? Die Bewegung klappte gut. Es schien definitv besser zu klappen. Jules vergrub die Hand in Nils Haaren. Ein Schauer durchlief Nils dabei. Seine Kopfhaut war sensibel. Und kurz war er abgelenkt, merkte wie seine Zähne über die Eichel fuhren. „Fuck, Alter …“ Nils fuhr entschuldigend mit seiner Zunge darüber, versuchte wieder das Tempo und die Bewegung von eben zu imitieren. Das Saugen klappte, oder? Es fühlte sich so an. „Woah, autsch, nicht so krass. Mach mehr mit der Zunge und ehrlich, das mit der Hand klappt gut. Konzentrier dich darauf.“ So ein Scheiß, warum sagte einem eigentlich niemand, wie beschissen schwer es war, Blowjobs zu geben? Wo stand das im Internet? In welchem Porno sieht man das? Aber Nils beschloss, sich an Jules Anweisungen zu orientieren. Was anderes blieb ihm ja auch nicht übrig und immerhin hatte Jules ganz offensichtlich Erfahrung. Peinlich war es trotzdem. Nils hasste es, wenn er etwas nicht sofort gut konnte. Also leckte her und versuchte einen guten Rhythmus mit seiner Hand aufzubauen. Der Winkel, wie er saß, war immer noch irgendwie unpraktisch und wurde langsam anstrengend. Aber hey, er hat Jules einen Blowjob versprochen und diesen sollte er verdammt nochmal bekommen! „Hey, komm her.“ Der Junge lächelte ihn an und deutete ihm mit einer Geste, wieder hoch zu kommen, um ihn zu küssen. Was wie eine gute Idee wirkte, weil er sich so anders hinlegen konnte. Außerdem tat sein Kiefer langsam weh tat und da war Küssen eine ganz nette Abwechslung. Also kam Nils der Aufforderung nach. Genoß den Kuss. Das Gefühl von Jules Hand in seinen Haaren und sein Schwanz in seiner Hand. Er fühlte sich warm und schwer an, aber deutlich besser, wenn er neben Jules lag, anstatt neben ihm zu sitzen. Seine Hand wurde von der Hand des Anderen umschlossen, etwas mehr zudrückt. Er verschnellerte das Tempo, während sein Stöhnen immer lauter wurde. Nils war sich nicht ganz sicher, wie er darauf reagieren sollte, war aber im Grunde froh, dass Jules einfach die Führung übernommen hatte. Da konnte wenigstens nichts mehr schief gehen. Außerdem war die Laute, die Jules von sich gab, ziemlich heiß. Zum Glück waren seine Eltern nicht da, es hätte keine Chance gegeben, dass sie das nicht gehört hätten. Was ihm aber auch irgendwie egal gewesen. Gott, der Anblick von Jules erregten, verschwitzen Gesicht war so gut. Er hatte den Mund geöffnet, die Augen geschlossen und seine Haare waren zerzaust. Nils leckte über seinen Hals, biss leicht in die empfindliche Haut und saugte daran. Da konnte nichts schief gehen. Das Stöhnen von Jules wurde lauter, der Rhythmus schneller. „Fuck!“ Mit dem Wort kam er über ihre beider Hände. Nils grinste, biss ihm nochmal in den Hals. Nur am Rande bemerkte er, wie Jules seine dreckige Hand einfach an den Laken abwischte, bevor er befreit durchatmete. „Können wir öfter machen, oder?“, fragte er mit einem Lächeln, sah Nils dabei an. Dieser fing an zu lachen. „Ich weiß ja nicht, ob du das mitbekommen hast, aber ich war grauenhaft.“ Nicht, dass Nils gegen eine Wiederholung des Ganzen war, aber er sah gerade nicht ganz, wo hier die Vorteile für Jules lagen. „Mann, du willst nicht wissen, wie ich mich bei meinen ersten Blowjob angestellt habe. Respekt, dass du dich das überhaupt getraut hast.“ Jules tätschelte Nils nackte Brust liebevoll und schloss wieder die Augen, als würde er jetzt schlafen wollen. Was, genauer betrachtet, keine schlechte Idee war. Allerdings klebte seine Hand und er wusste nicht, ob er sich dafür begeistern konnte, nackt mit Jules in einem Bett zu liegen, wenn seine Eltern nach Hause kamen. Anderseits würden sie sicher erst in zwei, drei Stunden Heim kommen, immerhin mussten ja beide Arbeiten. Und Jules fühlte sich so schön warm neben ihn an und seine Laken waren sowieso schon dreckig. Ach, drauf geschissen. Er folgte Jules Beispiel, wischte das Sperma an der Bettwäsche ab und schloss die Augen. Er fühlte sich so entspannt, wie schon lange nicht mehr. Wie noch nie. Das war also Sex gewesen. Hm … Er konnte durchaus sehen, warum sich soviele Leute dafür begeisterten. Er wachte erst wieder auf, als ihn Jules an der Schulter schüttelte. „Jemand ist heim gekommen!“ Er klang alamiert und hatte einen leicht panischen Ausdruck im Gesicht, was Nils überhaupt nicht nachempfinden konnte. „Bestimmt meine Mutter“, murmelte er und drehte sich auf die andere Seite, weil er gerne noch ein bisschen weiter schlafen würde. „Alter!“ Jules schüttelte ihn wieder an der Schulter, diesmal etwas energischer. „Alter!“, äffte Nils ihm nach, öffnete dennoch wieder die Augen. Der Andere sah ihn mit entsetzen Augen an. Er seufzte. „Wenn du willst, können wir uns was anziehen und ich stell dich meiner Mutter vor. Macht dich das glücklich?“ „Nein, Mann. Ich will deine Familie nicht kennen lernen.“ Jules war aus dem Bett gesprungen und fing nun an, hastig seine Kleider zusammen zu suchen. Nils beobachtete ihn amüsiert. Er hatte nicht vor, Jules vor seiner Familie zu verheimlichen. Er würde ihn bestimmt nicht als Lover vorstellen, aber sicher würde es helfen, wenn er ihn zumindest als einen Schulfreund vorstellte. „Nils, bist du daheim?“, hörte man seine Mutter die Treppe hoch rufen. „Tja, dumm gelaufenn, würd ich sagen.“ Nils wusste, dass er etwas hämisch dabei klang, als er das sagte, aber er fand Jules Verhalten etwas lächerlich. „Ja, ich komm gleich runter!“ „Was zur Hölle, Mann? Ich will deine Mutter nicht kennen lernen, echt nicht.“ „Jetzt komm mal runter. Du wirst ein: `Hey, Mom, das ist Jules, ein Freund aus der Schule und Hey Jules, das ist meine Mutter.´ überleben, oder?“ Nils beschloss, sich auch mal anzuziehen. Er war definitiv aus dem Alter raus, an dem seine Mutter ihn nackt sehen sollte. Jules hin oder her. „Ich bin mir tausendprozentig sicher, dass sie sofort sieht, dass wir miteinander gevögelt haben“, zischte Jules, während er sich seine Hose zu knöpfte. „Also technisch gesehen, zählen Blowjobs doch gar nicht zum Vögeln.“ Nils zog sich sein T-Shirt über, dass zerknüllt neben ihm auf dem Bett lag. „Willst du das jetzt ernsthaft mit mir diskutieren?“ Mit einem wütenden Ruck, zog sich der Andere das Jules über und sah sich anschließend in dem Zimmer um. Als würde sich plötzlich eine magische Türe öffnen, aus der fliehen konnte. „Du springst nicht aus dem Fenster. Du hast jetzt ein paar Eier in der Hose, kommst mit mir runter und lernst meine Mutter kennen.“ Mit den Worten, deckte er die Flecken auf seiner Bettwäsche ab und ging Richtung Tür. Jules packte ihn an der Schulter und hielt ihn zurück. „Ich hab einen fucking Knutschfleck von dir an meinem Hals. Ich seh ihn nicht, aber ich kann ihn spüren und ich bin mir sicher, dass deine Mutter ihn auch bemerken wird.“ Er gestikulierte dabei panisch an seinem Hals herum. „Ja, da ist tatsächlich einer.“ Nils betrachtete zufrieden den roten Fleck an Jules Hals. Offensichtlich bekam er schnell blaue Flecken, oder in dem Fall kleine Miniblutergüße, gemein hin bekannt als Knutschflecken. Stand ihm gut, fand Nils. „Hast du Besuch, Nils?“, rief seine Mutter wieder nach oben. „Ja!“, brüllte er zurück und zog Jules einfach am Arm aus dem Zimmer. Seine Mutter stand an der Treppe, sah interessiert hoch. „Oh, das ist ja gar nicht Kilian!“ Sie klang überrascht, lächelte aber, als ich das sagte. „Das ist Jules, er ist vor kurzem in die Gegend gezogen.“ Kurz und knapp, mehr Infos hätte Nils über Kilian auch nicht rausgegeben. „Hey.“ Jules winkte unbeholfen in ihre Richtung und mühte sich ein Lächeln ab. Er hat gehört, das Mütter gerne angelächelt werden. „Freut mich! Willst du mitessen?“ Noch immer dieses Lächeln in Gesicht. Jules fand, sie sah Nils irgendwie ähnlich. Nicht, das Nils ein feminines Gesicht hatte, aber sie hatten beide diese hellen Augen, die zwar irgendwie faszinierend aussahen, aber auch sehr … gruselig? „Ähm … nein, Danke? Meine … Mutter wartet schon mit dem Essen bei mir daheim, ja ...“ Wahrscheinlich müsste er die Worte etwas anders betonen, um glaubhafter zu klingen. Aber anscheinend reichte Nils Mutter die Antwort, da sie sich nur noch kurz von ihm verabschiedete und in der Küche verschwand. Er und Nils standen immer noch oben an der Treppe. Die Chancen standen gut, dass sie den Knutschfleck doch nicht bemerkt hatte. Aber eigentlich konnte ihm das egal sein, es wäre sowieso Nils Problem, nicht seines. „Siehst du, alles kein Problem.“ Nils stieß kurz seine Schulter gegen die von Jules, dasselbe Lächeln wie seine Mutter im Gesicht. Er wirkte nicht so, als würde er sich wegen etwas Sorgen machen. „Ich pack es trotzdem ...“ Mit den Worten ging Jules nach unten, zog sich die Schuhe an. „Alles klar.“ Nils lehnte am Treppengeländer, beobachtete Jules dabei. Irgendwie … Jules konnte das nicht ganz in Worte fassen, aber ihm war plötzlich so unglaublich bewusst, was er vor nicht zwei Stunden mit Nils getrieben hat. Wie absurd die ganze Sache eigentlich gewesen war. Er fuhr über die Stelle, an der den Knutschfleck vermutete. Sie tat etwas weh. Nils hatte wirklich fest zu gebissen. Nicht, dass er sich beschweren würde. „Man sieht sich!“ Jules griff nach der Türklinke und gab Nils nicht einmal mehr die Gelegenheit nahe zu kommen. Auch wenn er zugeben musste, dass der Andere auch nicht den Eindruck gemacht hatte, ihm einen Abschiedskuss geben zu wollen oder ihn zu umarmen. „Hoff ich doch“, hörte Jules noch im Rücken und er musste sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass Nils grinste. Auf was hatten sie sich da nur eingelassen? Kapitel 33: I wanna taste the way you cry ----------------------------------------- “Er starrt dich wieder an, Nils.” Kilian nickte in Richtung von Jules, der seine Arme verschränkt hatte und sie aus Distanz grimmig beobachtete. Nils wusste nicht genau, was Jules Problem war, aber es war irgendwie … reizend, ihn so zu sehen. Er hob die Hand und winkte dem Jüngeren zu. Etwas verdattert erwiderte dieser den Gruß. “Hey, komm mal rüber!”, rief Nils ihm zu, einfach um zu sehen, wie der Andere darauf reagiert. Er tippte darauf, dass Jules noch fieser schauen wird und einfach abzischte. Tat er aber nicht. Er blickte kurz um sich, bevor er recht zielstrebig auf sie zu kam. Kilian hatte dafür seine Augenbrauen etwas irritiert zusammen gezogen. “Kilian, das ist Jules. Jules, das ist Kilian”, stellte er die Beiden einander vor. Sie musterten sich und die Situation war noch besser, als er sich das vorgestellt hatte. Jules wirkte so, als würde er jeden Moment irgendetwas sagen, damit ihm Kilian eine reinhauen würde. Und Kilian machte den Eindruck, als müsste Jules gar nicht viel dafür sagen. Der Größere hatte sich in letzter Zeit über Jules Stalken bei Nils beschwert. Nils fand, es war ein guter Zeitpunkt, dass die Beiden sich kennen lernten. Immerhin hatten er und Jules letzte Woche mal das ganze Sexding komplett durchgezogen. Es war nicht so schrecklich gewesen, wie sich Nils ausgemalt hatte und prinzipiell war er für eine Wiederholung offen. Was aus ihnen vielleicht sowas wie ein Paar machte. Er würde dafür aber nicht seine Hand ins Feuer legen. “Und du stellst uns vor, weil ...?”, fragte Kilian schließlich an ihn gewand, noch immer ganz kritische Augenbrauen. “Wir ficken”, mischte sich Jules ein, Arme verschränkt und ein angriffslustiges Funklen in den Augen. Kilian öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn wieder, schaute zu Nils, der mit den Schultern zuckte und wieder zurück zu Jules. “Ich hätte es vielleicht ein bisschen anders ausgedrückt, aber äh ja… Er hat jeden Grund, mich anstarren zu dürfen. Nicht das du dich wunderst.” “Okay. Cool.” Kilian nickte langsam, hatte dabei die Lippen zusammen gepresst. Schweigen breitete sich aus. Jules war vermutlich enttäuscht, dass Kilian so verhalten reagierte. Kilian war sehr wahrscheinlich noch unter Schock. Und Nils dachte darüber nach, wie er das Gespräch wieder ankurbeln konnte. Also das sich Kilian und Jules nicht leiden konnten, war keine Überraschung. Aber vielleicht würde es Jules irgendwie helfen, wenn ihn nicht die ganze Schule hasste? “Und ihr beide seid jetzt … zusammen?” Kilian machte eine allumfassende Bewegung, die sein Entsetzen noch nicht ganz kaschieren konnte. Nils lachte. “Nein, so ein Unfug. Wir sind …” Was war das richtige Wort dafür? Sie waren nicht direkt Freunde, aber Sex war ein Thema. Vermutlich solange, bis Jules eine bessere Alternative hatte. Gab es dafür ein Wort? “Nils, leck mich am Arsch. Ich bin weg.” Mit den Worten zischte Jules davon und sein Abgang war genau das, was Nils erwartet hatte. Wütend und gereizt. “Putzig”, kommentierte Kilian trocken. “Nicht wahr? Jedenfalls, mach dir keinen Stress wegen ihm. Das passt schon alles.” Er wollte nicht, dass sich Kilian noch weiter mit dem Thema aufrieb. Sie sollten sich auf ihr Abitur konzentrieren und nicht Nils Sexleben, fand zumindest Nils. “Du bist also schwul?”, fragte Kilian nach einigen Minuten. Sie waren auf dem Heimweg, um bei Kilian noch Bio zu lernen. Also hatten sie noch eine Weile zum Reden. Allein. Er hätte sich das mit Jules besser überlegen sollen. “Ich weiß nicht. Dachte eigentlich ich steh auf niemanden.” Nils zuckte mit den Schultern. “Geht sowas?”, der Größere wirkte skeptisch. “Naja, ich steh wohl auf Jules, also keine Ahnung.” Er hatte davon gelesen, dass man de facto auf gar nichts stehen konnte, oder nur auf Leute mit denen man befreundet war, oder auf … alles. Aber irgendwie war es ihm ziemlich egal, er interessierte sich nicht großartig, was Leute insgesamt so trieben - oder mit wem. “Und wer von euch beiden ist das … Mädchen?” Kilian machte den Eindruck, als würde ihm diese Frage weh tun. Warum stellte er sie dann? “Hm, spontan hätte ich gesagt, keiner von uns beiden.” Er wusste worauf Kilian anspielte, aber Nils fand nicht, dass es ihn etwas anging. Insgesamt fand er es etwas seltsam, dass sie dieses Gespräch führten. Er hätte nicht gedacht, dass es darauf hinauslaufen würde, wenn er Jules Kilian vorstellte. Möglicherweise hätte er ein bisschen mehr über die Aktion nachdenken sollen. Vor allem, da Jules augenscheinlich auch ziemlich angepisst davon war. Er mochte es, wenn Jules angepisst war. Vielleicht hatte er es deshalb gemacht. “Okay, ja, sorry … es ist nur so, ich kann mir das gar nicht richtig … vorstellen.” Sein Freund verzog das Gesicht, nicht unbedingt angeekelt, aber immer noch ein wenig geschockt. “Willst du dir das überhaupt vorstellen?” Nils grinste breit. “Oh Gott, nein. Eigentlich will ich nie wieder darüber reden. Wäre das okay?” “Jub, kein Ding.” Nils klopfte seinem Kumpel auf die Schulter und damit war die Sache vom Tisch. Nils wusste, wie man sich die richtigen Freunde suchte, fand er zumindest. Und es war ja nicht so, als wäre Kilian sein einziger Freund und auch nur deshalb, weil sie seit Jahren in der gleichen Nachbarschaft wohnten ... Naja, es passte schon alles so. Jules könnte schreien, so wütend war er. Was hatte sich Nils bei der ganzen Sache gedacht? Hatte er ihn bloß stellen wollen? War das wieder einer seiner fiesen Spielchen? Und wie war überhaupt sein komischer Freund drauf gewesen? “Okay. Cool”, hatte der gesagt. Nichts war cool daran. Er vögelte seinen Freund, daran war doch nichts … cool. Jules wusste nicht, wie er mit Nils umgehen sollte. Eigentlich wusste er gar nicht, warum er sich überhaupt noch mit ihm abgab. Der Sex war es nicht. Wobei Jules bereit war zu zugeben, dass es irgendwie … interessant mit ihm war. Er konnte nicht seinen Finger darauf legen, was es war. Aber sehr wahrscheinlich war es der selbe Grund, warum er zu Nils gegangen war, als er ihn hergerufen hatte. Trotzdem war er wütend auf ihn. Der Typ konnte doch nicht so tun, als wäre nichts dabei, mit einem anderen Kerl zu schlafen. Er hatte nicht mit der Wimper gezuckt, als er Nils vor seinem Freund geoutet hatte. Jules hatte ihn dabei genau im Auge behalten. Er hatte gelächelt, als hätte Jules genau das getan, was er von ihm erwartet hatte. Hatte er das? Frustriert trat Jules gegen den Mülleimer bei den Fahrradständern. Er wusste, dass Nils auf dem Heimweg gewesen war. Donnerstags hatten er und Kilian immer schon nach der vierten Schluss. Vielleicht hatte Jules mit Absicht seine kleine Pause in der Nähe vom Hofausgang verbracht. Am liebsten würde er jetzt auch heim. Ihm standen noch zwei Stunden Mathe bevor. Aber seine Mutter würde fragen, warum er schon so früh da ist. Natürlich würde sie fragen, und egal was er sagte, sie wäre enttäuscht von ihm. Entweder davon, dass er log, oder dass er die Wahrheit sagte. Beides war irgendwie ätzend. Und um den Tag noch ätzender zu machen, bog gerade Sebastian und seine Clique um die Ecke. Sie rauchten in der Pause immer bei den Fahrradständern, da dort die Lehrer schlechten Einblick hatten. Fuck, gerade jetzt als Nils weg war. Wäre er nicht so sauer gewesen, wäre er auch direkt ins Schulgebäude, anstatt noch hier draußen herumzulungern. Jules wusste nicht genau wie, aber Nils hatte es auf jeden Fall geschafft, dass ihn Sebastian die letzten Wochen in Ruhe gelassen hatte. Oder war es nur Zufall gewesen, gutes Timing? Jetzt hatte Nils jedenfalls schlechtes Timing. Ganz mieses Timing. “Hey, ihr Arschlöcher. Na, habt ihr mich vermisst?”, rief Jules ihnen zu. Sebastian und seine drei Kumpels waren stehen geblieben, starrten ihn an. Sonst nichts. Er merkte, wie einer von den Typen auf ihn zugehen wollte. Sebastian hielt ihn aber zurück, schüttelte den Kopf. “Fickt euch doch ins Knie! Was hat Nils euch erzählt?” “Wer zur Hölle ist Nils?”, rief Sebastian, hatte dabei immer noch die Hand auf der Schulter seines Kumpels. “Ihr wisst ganz genau, wen ich meine!” Jules hatte seinen Finger ermahnend erhoben. Er ließ sich doch nicht für dumm verkaufen. Als würde man Nils nicht kennen. Nils war in seiner Unauffälligkeit so auffällig, wie Jules mit seiner Wut. Jeder kannte Nils. “Willst du etwa mit Absicht was auf die Fresse, oder was ist dein Problem?”, kam es von Sebastian. Aber sonst nichts, sie traten nicht näher. Keiner seiner Kumpels rührte sich. Sie hatten Angst - vor Konsequenzen. Hatte Nils sie einfach bei den Lehrern verpetzt? In jedem Fall würden sie ihn in Ruhe lassen. Ruhe ... “Wisst ihr was, ihr Pisser? Ihr könnt mich alle mal kreuzweise …” Mit diesen Worten stürmte Jules Richtung Schulgebäude. Er konnte noch ein “Das hättest du wohl gerne!” hören, schenkte dem aber keine Beachtung mehr. Er war so geladen, seine Haut war zu viel für ihn. In seinem Kopf summte es vor Wut. Schmerz hätte das still gemacht, ihm wirkliche Ruhe gegeben. Jules trat gegen eine Hauswand. Ein leises Knacken, gefolgt von einem lauten Schrei und dann war Ruhe. “Wie hast du es geschafft, dir den Zeh zu brechen?”, fragte Nils ihm am nächsten Morgen. Jules rechter Fuß war einbandagiert und er trug Sandalen. Nils hätte nicht erwartet, dass Jules so was überhaupt besaß. Sandalen … Das passt überhaupt nicht zu ihm. Aber vielleicht wusste er über Jules auch einfach noch zu wenig, um seinen Kleidungsgeschmack zu kennen. Oder er hatte die Sandalen extra für seinen gebrochnen Fuß gekauft. Sobald er das Schulgebäude betreten hatte, war ihm aber klar, dass Jules wieder Unfug gemacht hatte. Naja, genau genommen hatte Kilian ihm erzählt, dass sich sein neuer Freund wieder Blessuren zugezogen hat. Und dem konnte sich Nils einfach nicht entziehen, als hatte er Jules noch vor Unterrichtsbeginn gesucht und schließlich vor dem Chemiesaal gefunden. Jules war irgendwie überrascht, Nils zu sehen. Immer noch wütend auf ihn, aber auch überrascht auf eine … nette Art. Hatte er sich Sorgen gemacht? Aber die Wut überwog. “Das war alles deine Schuld, du Arschloch!” Jules schubste Nils gegen die Schulter. Dieser lächelte nur, während der Stoß ihn etwas gegen die Wand gedrückt hatte. Das Lächeln machte Jules nur noch wütendender. “Was sollte das gestern? Was für eine beschissene Masche war das?”, rief Jules jetzt, warf dabei seine Hände in die Höhe. Nils frustierte ihn maßlos. “Ich hab meinen festen Freund meinen besten Freund vorgestellt. Ich dachte, es wäre mal an der Zeit.” Auch wenn Nils einen sanften Ausdruck im Gesicht hatte, als er das sagte, erweichte das Jules Herz nicht sonderlich. “So ein Schwachsinn. Du hast mich bloß gestellt und dich über mich lustig gemacht”, presste er hervor. Diesmal leiser. Er wollte nicht, dass das jeder in seinem Chemiekurs mitbekam. Auch wenn es jetzt vielleicht etwas zu spät für Diskretion war. Nils legte seinen Kopf etwas zur Seite, musterte Jules dabei. “Ich wusste nicht, dass du unsere Beziehung so siehst”, kam es schließlich die etwas kühle Reaktion von Nils. Sah er so enttäuscht aus? Sein Gesicht war neutral wie immer, nur seine Augenbrauen waren leicht zusammen gezogen. Jules fühlte sich plötzlich schlecht. Hatte er die Situation so falsch eingeschätzt? Hatte Nils wirklich nur … nett sein wollen? War das so eine offizielle Paar-Sache? Das war auch für ihn Neuland. Irgendwie fühlte sich mit Nils alles an wie Neuland. “Nein, ich … Warte? Wir haben eine Beziehung?” Hier war der Punkt, den Jules so irritierte. Er kannte sich vielleicht nicht sehr gut aus mit Beziehungen, aber mit Sexgeschichten und er war sich ziemlich sicher, dass das mit Nils unter zweiteres fiel, auch von Nils Seite aus. Plötzlich schlug ihm ein breites Grinsen entgegen. Nils beugte sich zu ihm vor und kurz dachte Jules er würde ihn jetzt küssen. Vor allen Leuten - naja, den wenigen Mitschülern, die schon vor dem Chemiesaal warteten. Sein Herz fing an schneller zu schlagen. Er überlegte, ob er zurückweichen sollte. Aber es kam kein Kuss. Stattdessen flüsterte Nils ihm nur ins Ohr. “Wir ficken.” Das Geflüsterte klang wie ein Versprechen. Das anzügliche Grinsen in Nils Gesicht auch. Jules wurde hart. Kapitel 34: I wanna taste the way you breath -------------------------------------------- Sie bekamen einen Verweis. Hätte man Nils gefragt, hätte er gesagt, dass es sich gelohnt hatte. Er kam nur nicht mehr dazu, mit Jules darüber zu sprechen. Die Woche nach dem Verweis tauchte Jules nicht in der Schule auf. Die Woche darauf, fing die Abizeit an. Und Nils wusste wie man Prioritäten setzte. Nicht auf den Penis hören, sondern auf die Vernunft. Deshalb verbrachte Nils seine Zeit bis zu den Prüfungen mit Lernen. Manchmal mit Kilian zusammen, manchmal etwas unkonzentriert. Und immer mit seiner Mutter im Nacken. Sie war sauer wegen dem Verweis so kurz vor knapp, aber sie wusste nicht den Grund dafür. Da Nils schon volljährig war, hatte er ihn ihr nicht vorlegen müssen. Es war nicht so, als würde Nils ein Geheimnis aus Jules machen wollen, aber er hatte noch keinen Mehrwert darin gesehen, es nicht zu tun. Vor allem, weil es den Eindruck machte, dass Jules es lieber geheim hielt. In der dritten Woche nach dem Verweis war Nils aufgefallen, dass sie nie Handynummern getauscht haben. Er hätte gerne mit ihm geredet. Er vermisste diesen irritierten etwas wütenden Gesichtsausdruck, den Jules immer hatte, wenn er mit ihm redete. Aber er würde sich nach dem Abi darum kümmern. Am besten noch bevor er fürs Studium weg zog. Das war vielleicht etwas worüber er mit Jules sprechen sollte. Nils kam gerade aus der Biologie-Prüfung, als er Jules endlich wieder zu Gesicht bekam. Er stand mit verschränkten Armen gegenüber der Eingangstür der Sporthalle. Für die Prüfung war die Halle mit Tischen bestückt worden. Soviel Aufwand, um ein bisschen Abschreiben zu verhindern. Nils hatte wenig Verständnis dafür, ihm war es im Grunde aber auch egal. Er hatte nie rausgefunden, wie das mit dem Abschreiben richtig funktioniert. Da hatte er Lernen immer als stressfreier und weniger arbeitsintensiv empfunden. “Hey, wir gehen jetzt noch einen Trinken. Kommst du mit?”, lenkte ihn Kilian ab. Er hatte Jules auch bemerkt, sah missmutig in seine Richtung. Er hatte das mit dem Verweis richtig Scheiße gefunden - warum wusste Nils nicht so genau, weil es ihn ja nicht betroffen hatte. “Ich komm nach.” Nils wartete gar keine weitere Reaktion von Kilian ab, sondern ging zielstrebig auf Jules zu. Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. “Hast du mich mit Absicht gemieden?”, wurde Nils begrüßt und sein Grinsen wurde breiter. “Nee, warum? Hast du mich vermisst?” Er blieb vor Jules stehen, der seinen Kopf leicht in den Nacken legen musste, um ihn weiter verbissen anzustarren. “Dachte deine Eltern haben wegen dem Verweis die Krise gekriegt und du hast den Schwanz eingezogen.” Jules brach schließlich den Blickkontakt ab. “Ach, ich hab die Ausrede Abitur … da machen alle verrückte Dinge. Außerdem habe ich ihnen den Grund für den Verweis nicht gesagt.” Nils fand Jules hatte in der Hinsicht auf jeden Fall Ehrlichkeit verdient. “Okay, gut. Meine Mutter ist ausgeflippt.” Jules schaute wieder zu ihm hoch, schien auf eine Reaktion von Nils zu warten. Aber was sollte er dazu sagen? Seine Eltern wären wahrscheinlich auch nicht begeistert gewesen. Weniger, weil Jules ein Kerl war und mehr, weil es eine völlig verantwortungslose und schwanzgesteuerte Aktion gewesen war. Etwas untypisch für Nils. “Müsstest du dann nicht eher derjenige sein, der mich meiden sollte?”, fragte er schließlich. “Die kann mich mal. Wegen dem blauen Auge hatte sie nicht mal gefragt!” Mit diesem Satz verstand Nils plötzlich deutlich mehr über Jules. Mommy-Issues. Fast wie es im Buche stand, aber das würde er Jules so nicht sagen. “Willst du auch mit in die Kneipe? Wir können danach noch zu mir”, lud Nils ihn stattdessen ein. “Nur, wenn deine Eltern nicht da sind.” Er lächelte aber, als er das sagte. “Sie sind da. Darfst aber trotzdem kommen. Ich hätte gerne mit dir geredet.” Wären sie nicht in der Schule, hätte er ihn jetzt geküsst. “Reden? Ernsthaft? Wir?” Jules schüttelte amüsiert den Kopf. Als wäre das eine Unmöglichkeit. “Jub. Wir beide. Und wie sieht’s aus?” Nils zog eine Augenbraue hoch, grinste. Er wusste, dass Jules das mochte. Dieser verdrehte die Augen, als würde Nils hier schlechte Witze reißen. “Hey, ich hab gerade ein paar Wochen Prüfungsstress hinter mir. Gesteh mir das doch wenigstens zu.” Nils musste sich etwas zusammenreißen, nicht seine Hände auf Jules verschränkte Arme zu legen. Ehrlich, nach dem Verweis wollte er sich in der Schule wirklich etwas zusammen reißen, auch wenn er hier nicht mehr lange war. “Oh, bettelst du mich hier gerade an?” Jetzt war es an Jules zu grinsen. Ihm gefiel die Unterhaltung deutlich besser, als er erwartet hätte. Eigentlich hatte Jules erwartet, dass Nils ihn ignorieren würde und nicht mehr mit ihm reden wollte. Er war in den letzten vier Wochen mindestens zehnmal bei Nils Haus gewesen. Einmal hatte er sich sogar bis zum Gartentor getraut, bis er wieder abgedreht war. Es gab unterschiedliche Gründe, warum er sich nie getraut hatte, zu klingeln. Aber er war froh, sich dazu entschlossen zu haben, Nils einfach seiner letzten schriftlichen Prüfung abzufangen. “Kommt drauf an? Muss ich betteln?” Nils hatte jetzt beide Augenbrauen hochgezogen. Ihn betteln zu lassen klang tatsächlich etwas reizvoll. “Nicht, wenn du mich nachher einlädst und ich nicht mehr als fünf Minuten mit deinen Eltern reden muss”, ließ sich Jules trotzdem dazu bereit schlagen. “Uh, du verhandelst hart! Das mag ich so an dir.” Nils lachte, streckte aber Jules die Hand hin. “Deal.” Jules schlug ein und fühlte sich so gut, wie seit Wochen nicht mehr. “Deine Eltern checken das echt nicht mit uns, oder?”, fragte Jules als sie Beide endlich in Nils Zimmer waren. Nils Eltern hatten schon darauf gewartet, dass er heim kommt und durchlöcherten ihren Sohn mit Fragen, während sie Sekt einschenkten und darauf bestanden, dass sie alle zusammen anstoßen mussten. Für Jules hatten sie sich gar nicht so interessiert nachdem sie erfahren hatten, dass er noch gar kein Abitur schrieb. Immerhin war so die Unterhaltung erträglich gewesen. Jules war aber froh, als sie endlich nach oben gingen. Jules ließ sich in das weiche Bett fallen. Nils blieb stehen. In der Kneipe war es überraschend unterhaltsam gewesen. Sie hatten bei Kilian und seiner Freundin gesessen. Alle waren ausgelassen gewesen und niemand machte Jules dumm an, oder sagte etwas dazu, dass er etwas nahe bei Nils saß … oder über ihren Verweis. Nils wusste es nicht, aber das Gerücht - naja, das wahre Gerücht - hatte sich die letzten Wochen richtig krass hoch gekocht. Und Sebastian hat mit dem Pöbeln wieder angefangen. Etwas … subtiler, weniger aggressiv. Eigentlich schlimmer als davor, aber ohne blauen Flecken. “Nope. Die interessiert gerade eh nur mein Abi und … ach genau!” Nils eilte zum Schreibtisch, der mit Büchern, Zetteln und Stiften übersäht war, und zog schließlich ein etwas veraltetes Handy aus dem Stapel hervor. “Ich brauch deine Nummer!” Abwartend sah Nils ihn an. In diesem Moment sah er … deutlich jünger aus, als Jules es gewohnt war. Das warf ihm etwas aus dem Konzept. “Oh, uhm … klar. Ich … tipp sie dir ein.” Jules ließ sich das Handy geben und programmierte seine Nummer ein. Kurz wählte er sich selbst an, um seine Nummer auch zu speichern. Im Nummernaustauschen war er geübt. Er warf Nils das Handy wieder zu, der es nur knapp fing. Jules konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Tolpatsch. “Danke, super! Ich zieh nämlich weg.” Jules ließ sein Handy sinken und das Grinsen verschwand. “Oh.” Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Also eigentlich war absehbar gewesen, dass Nils nach dem Abi weg ging. Die Uni hier war Shit und hatte einen unheimlich schlechten Ruf und hätte er Nils Abischnitt, würde er dort auch nicht studieren. “Wohin?”, brachte er schließlich hervor. Weg klang sehr weit. Weg klang so, als würde Nils ihn hier in der Scheiße alleine lassen. Aber was hatte Jules auch erwartet? “Kommt noch drauf an, welche Uni mich nimmt. Aber ich fände es schön, wenn wir in Kontakt bleiben würden.” Nils setzte sich schließlich zu Jules aufs Bett. Unweigerlich musste Jules an ihr erstes Mal hier denken. Solange war das noch gar nicht her, oder? Er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt sowas wie ein Paar waren oder gewesen sind. Aber ehrlich, Nils hatte er echt gut leiden können. Er war seltsam genug, dass er mit Jules Eigenheiten genau richtig umgehen konnte. Und jetzt zog er weg. Irgendwo hin. “Fuck”, entfuhr es Jules leise. So gut kannten sie sich doch eigentlich gar nicht. Es sollte ihn gar nicht so interessieren. “Fuuuck.” Nils setzte sich zu ihm und zog ihn an sich, streichelte über seine Haare. Jules war kurz davor ihn von sich zu drücken. Er fühlte sich etwas … verraten. Anderseits war die Geste echt tröstend. Er wollte tatsächlich irgendwie Trost. “Fuck, Alter …” Nils zog ihn schließlich näher an sich, platzierte sein Kinn auf Jules Kopf. Er konnte Jules Shampoo riechen. Es war definitiv eines dieser übertrieben maskulinen Sportshampoos, nur für Männer. Nils mochte den Geruch. “Ich wusste gar nicht, dass du mich so magst”, nuschelte Nils in Jules Haare. Es war ungewohnt, ihm so nahe zu sein, ohne das es um Sex ging. Nils mochte es aber trotzdem irgendwie. “Ich fand dich echt ganz okay”, kam es nach einer Moment Stille von Jules. Er war nur froh, dass er Nils nicht dabei ansehen musste. “Es klingt so, als wäre ich tot. Ich bin ja nicht aus der Welt.” Nils lachte. “Für mich schon. Sei mal realistisch. Es gibt keinen Grund für uns in Kontakt zu bleiben, wenn wir uns nicht sehen können.” Jules schob den Anderen etwas von sich, um die Arme zu verschränken. Sein Blick war dabei herausfordernd auf Nils gerichtet. “Hm. Da ist was dran. Soll ich deine Nummer wieder löschen?” Nils rückte ganz ab und griff nach seinem Handy in der Hosentasche. “Was? Nein!”, Jules schubste Nils. “Arsch …” Musste Nils immer diese Machtspielchen spielen? Immer. Konnte er nicht einmal einfach … nett sein? Vor allem wenn er so schlechte Nachrichten überbracht hatte. Idiot. Nils lächelte, steckte sein Handy wieder ein. “Weißt du, ich ziehe frühstens Ende September weg. Ist also noch ein ganzer Sommer für uns. Und vielleicht hast du mich da ja schon satt.” Er knuffte Jules in die Seite, versuchte ihn zum Lächeln zu finden. “Vielleicht habe ich dich jetzt schon satt”, brummte Jules, presste die Lippen zusammen. So leicht kam ihm Nils nicht davon. “Hast du nicht.” Nils gab ihm einen sanften Kuss auf den Mund, strich ihm die Haare zurück. “Und ich find dich übrigens auch ganz okay”, fügte Nils leise hinzu. Jules fuhr mit seiner Hand unter Nils Shirt, bohrte seine Fingernägel in dessen Haut. Er konnte spüren, wie Nils in den Kuss grinste. “Meine Eltern sind da”, wurde Jules ins Ohr geflüstert. Sofort schreckte er zurück. “Ugh … du weißt, wie man jemand abturnt.” Jules verzog das Gesicht, stand schließlich ganz vom Bett auf. Er fuhr sich dabei durch die lockigen Haare. Im Moment wusste er nicht ganz, wo er mit seinen Gefühlen hinsollte. Sex hätte wirklich geholfen, danach war immer alles klarer, fand zumindest Jules. Nils ließ sich nach hinten aufs Bett fallen. Seinen Arm hatte er über seine Augen gelegt, als wäre ihm die Sache auch etwas zuviel. “Kannst ja morgen vorbei kommen, wenn sie arbeiten sind”, schlug er schließlich vor. Er hob seinen Arm, um Jules Reaktion zu sehen. Ihm schlug ein dreckiges Grinsen entgegen, dass er erwiderte. Sie waren sich einig. Kapitel 35: I wanna taste the way you live ------------------------------------------ Es schneite. Nicht der hübsche Schnee, über den man sich freute, weil er die Stadt wie Puderzucker bedeckte und alles in eine Winter-Wunderlandschaft verzauberte. Nein, der häßliche, klebrige, matschige, der alles kalt und feucht machte. Der dreckig am Straßenrand lag und die Schuhe durchweichte. Nils war für einen Monat bei seinen Eltern. Weihnachten stand an und es waren die ersten Ferien im Studium. Entschuldigung, die erste vorlesungsfreie Zeit in seinem Studium. Die Zeit sollte ja dazu genutzt werden auf die Prüfungen zu lernen, und etwas was Nils nicht erwartet hätte, war, dass das wirklich Arbeit war. Studium war anders, für Nils auch irgendwie weniger anstrengender, weil es ihn mehr interessierte, als Schule. Aber Faulenzen durfte man nicht. Den Monat bei seinen Eltern hatte er sich nur deshalb gegönnt, weil er wusste, er konnte dort auch in Ruhe lernen. In seiner WG war ihm oft zu viel los. Nette Mitbewohner, klar, aber sie hatten gerne Gesellschaft und häufig Motivationsschwierigkeiten beim Lernen. Nicht die ideale Lernumgebung für die ersten Prüfungen. Nils war ehrlich nervös. Er konnte gar nicht einschätzen, wie schwer die Prüfungen sein würden und ob sein Lernpensum ausreichend war. Wahrscheinlich schon. Das und weil er vom Lernen etwas die Schnauze voll hatte, hatte er Kilian gefragt, ob sie sich in der Stadt treffen wollten. Kilian ist in der Stadt geblieben und studierte dort. Er hatte keine Lust gehabt, weg zu ziehen und das Informatikstudium dort war angeblich ganz okay. Nils gönnte ihm das, war Nils im Grunde aber egal, er hatte seinen Studienplatz an seiner Wunschuni gekriegt und studierte jetzt Psychologie. Nicht, um Leute psychologisch zu behandeln. Er wollte in die Forensische Psychologie, war nur nicht so einfach da reinzukommen, hatte er sich sagen lassen. Er mochte Herausforderungen. Sein Handy klingelte und riss ihn etwas aus den Gedanken. Er ging gerade den Prüfungsstoff für Biologische Psychologie I durch. “Hey, Nils. Ich komm etwas später. Du kannst schonmal ins Brettle vor. Annette kommt auch!”, auf den Punkt wie Kilian immer gerne war. “Kein Stress. Ich wollte eh noch nach einem Geschenk suchen.” Stimmte sogar. Er hatte nur noch keinen Schimmer, was es werden sollte. “Cool. Dann bis später!” Und Kilian hatte wieder aufgelegt. Nils schaute noch kurz das Display seins Handy unschlüssig an. Es war so alt, es war nicht einmal ein Farbdisplay. Er hatte den Verdacht, seine Eltern würden ihm zu Weihnachten ein neues schenken, sonst hätte er sich wahrscheinlich bald selbst eines besorgt. Nils wurde von hinten gegen das Schienbein getreten und hätte beinahe den Boden geküsst. Er wurde gerade noch rechtzeitig am Arm gepackt. Erschrocken sah er auf und direkt in Jules Gesicht, der ihn noch immer fest hielt. “Ich hoffe, das Geschenk ist für mich, Arschloch”, begrüßte er ihn mit einem breiten Grinsen. “Jules! Schön dich zu sehen!”, Nils lachte. Er meinte das ehrlich. Jules wirkte irgendwie verändert, etwas weniger wild. Er hatte auch keine blauen Flecken, zumindest keine, die Nils auf den ersten Blick entdeckt hätte. Man könnte fast meinen, er wäre gewöhnlich. Nils wusste es besser. “Deshalb hab ich auch seit Monaten nichts von dir gehört. Klar.” Jules ließ ihn los und verschränkte die Arme, einen trotzigen Ausdruck im Gesicht. “Aww, hast du mich vermisst?” Nils Grinsen wurde breiter. Als Reaktion verdrehte Jules die Augen. Seine Wangen waren dabei rot geworden. War aber vielleicht auch nur die Kälte. “Nee, hab schon jemand neues”, brummte er schließlich, rieb sich die Nase. In seinem Blick lag eine Herausforderung. “Hm. Tja … hast du Lust mit ins Brettle zu kommen? Kilian und Annette kommen auch. Dann lad ich dich auf einen Kaffee oder so ein. So als Entschädigung.” Noch immer wirkte Nils amüsiert, als hätte ihn die Nachricht völlig kalt gelassen, dass Jules einen neuen Freund - oder was auch immer - hatte. Hat es irgendwie auch. Es wäre dumm gewesen, anzunehmen, dass Jules auf ihn warten würde, vor allem weil sie wirklich keinen Kontakt gehalten haben. Im ersten Monat kam es noch ein paar SMS, aber ehrlich, dass hatte weder Nils noch Jules Spaß gemacht. Und für Nils war es in Ordnung. “Kilian, der alte Lutscher … Mit dem hast du noch Kontakt?” Jules schob seine Hände in die Hosentaschen und machte sich auf den Weg in Richtung des Cafés. Seine Art ja zu sagen. Nils verstand das. “Er hat sich mal bei mir gemeldet und wollte wissen, ob ich in den Semesterferien hier bin. War aber auch schon alles.” Er folgte dem Jüngeren mit einem zufriedenem Gefühl. Zwischen ihnen passte immer noch alles. “Du bist nicht sehr gut im Kontakt halten, oder?”, fragte Jules, während Nils zu ihm aufschloss. “Nein, kann man nicht gerade behaupten. Du auch nicht, oder?” Brachte ja nichts, das Offensichtliche zu leugnen. “Nope.” Jules lächelte bei der Antwort. Er wirkte wirklich ruhiger. Sein neuer Freund schien ihm gut zu tun. “Wie ist dein Neuer so?” Nils war nicht eifersüchtig, nur neugierig. “Oh, Johnny? Ganz okay. Hat mir sein Longboard geliehen, aber im Winter ist das nicht so geil und auf Snowboarden hab ich keinen Bock.” Jules klang nicht unbedingt verliebt, aber wenn Nils ehrlich war, konnte er sich das bei Jules auch nicht vorstellen. “Johnny ist aber nicht der Kumpel von Kilian, oder?”, hakte Nils nach. Er wusste das Kilian in einer Longboarder-Gruppe war und er dachte, es gab dort jemand der Johann oder so ähnlich hieß. “Doch, doch. Ist derselbe. Kilian hat uns vorgestellt. Also eigentlich dem Longboarden, er fand, ich bräuchte was neues, nachdem du weg bist und so.” “Hat offensichtlich geklappt.” “Jub.” Jules sah kurz zu dem Anderen, grinste. Nils konnte nur mit einem Lächeln erwidern. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er Jules vielleicht doch etwas vermisst hatte. Während des Studiums war ihm das nicht aufgefallen, in diesem Leben hatte es Jules nie gegeben, also hatte er dort auch nicht fehlen können. Aber im Moment konnte er ein kleines Loch spüren, dass Jules Abwesenheit eventuell verursacht haben könnte. “Ich wusste gar nicht, dass du mit Kilian soviel zu tun hast.” Nils hielt Jules die schwere Holztür zu dem Café auf. Ihnen schlug warme Luft und der Geruch nach Kaffee und heißer Schokolade entgegen. Fühlte sich alles sehr weihnachtlich an, fand Nils. “Ach, Annette und ich haben ein paar gemeinsame Fächer. Sie hat deshalb beschlossen, dass wir jetzt Freunde sind … da kommt man um Kilian nicht drum herum.” Jules schälte sich aus seinem Mantel und stopfte seine Mütze in den Ärmel. Seine Locken standen wild in alle Richtungen ab, aber Nils könnte schwören, Jules Haare waren länger geworden. “Und was hält Kilian von der Sache mit dir und Johnny?” Vielleicht war die Johnny-Angelegenheit doch nicht nur Neugierde. Jules lachte. “Er weiß nichts davon. Er würde total die Krise kriegen, wenn ich schon wieder einen Freund von ihm - ich zitiere - schwul gemacht hätte.” Jetzt lachte Nils auch. Das konnte er sich gut vorstellen. Nichts gegen Kilian, aber Jules … Art brachte ihn auf jeden Fall ab und an aus der Ruhe. “Außerdem ist das mit mir und Johnny nicht so ernst”, fügte Jules unnötigerweise hinzu, dabei behielt er Nils genau im Auge. “Etwas anderes hätte mich bei dir auch überrascht. Da hinten ist noch ein Tisch frei.” Nils hatte mittlerweile seinen Mantel auch aufgehängt und ging jetzt recht zielstrebig auf den Tisch zu. Er wusste, auf was Jules wartete. Aber ganz ehrlich, Nils hatte momentan nicht den Kopf für irgendeine Art von zwischenmenschlichen Beziehungen, die über Kaffeetrinken hinaus gingen. “Oh, hi.” Jules stand vor Nils Haustür. Nils hatte nicht mit Besuch gerechnet. Seine Eltern waren beide noch beim Arbeiten, und er hatte sich gerade einen Kaffee gemacht, um weiterzulernen. Das mit dem Kaffeetrinken hatte er, ehrlich gesagt, erst im Studium angefangen und er wusste noch nicht so recht, was er davon hielt. Er machte sich ungern von etwas abhängig, selbst wenn es nur Koffein war. “Hi! Ich dachte, weil morgen Heilig Abend ist, komme ich, und hol mir mein Geschenk ab”, erklärte Jules seine Anwesenheit. Er hatte wieder die graue Mütze auf, unter der seine Locken hervor schauten. Seine Wangen waren wieder von der Kälte gerötet. Nils vermisste ein wenig die blauen Flecken. Aber nur ein wenig, Jules sah wirklich besser aus. “Ich bin eigentlich gerade am Lernen.” Nils hob seine Kaffeetasse in die Höhe, um das Gesagte noch zu unterstreichen. Sie dampfte vorwurfsvoll. Offensichtlich war es zu kalt, um zwischen Tür und Angel zu reden. “Hm. Soll ich später nochmal kommen?” Jules sah dabei desinteressiert in den Garten. Er würde später nicht nochmal kommen. “Ich glaube nicht, dass du das willst. Meine Eltern sind nachher wieder da.” Der Kaffee dampfte noch immer in Nils Hand. “Du hast gar kein Geschenk für mich, oder?”, fragte Jules schließlich. “Hast du denn eines für mich? Ich mein, außer Sex.” Nils zog seine Augenbraue hoch, musterte Jules. Dieser hatte seine Hände noch immer in den Manteltaschen, hatte aber seinen Blick jetzt auf Nils gerichtet. Es wirkte etwas trotzig. Auch noch, als er ihm etwas hinhielt, das in Zeitungspapier eingewickelt wurde. “Oh. Cool. Danke.” Nils nahm es etwas verdattert entgegen. Das war jetzt etwas unangenehm. Er hätte nicht damit gerechnet, dass Jules wirklich ein echtes Geschenk für ihn hatte. Er hatte angenommen, Jules wäre für Sex vorbei gekommen. “Willst du reinkommen?” “Wird auch mal Zeit, Alter.” Jules ging an dem Anderen vorbei. Nils schloss die Tür und beobachtete wie Jules sich langsam aus seiner Winterklamotten entledigte. Seine Schuhe landeten wie immer unordentlich in der Ecke und die Geste wirkte so, als wären nicht Monate vergangen, seit Jules das letzte Mal hier gewesen war. Zielstrebig ging dieser gerade in die Küche. Das war widerum etwas ungewöhnlich. Normal verschwand er am liebsten immer gleich nach oben. “Hast du Hunger?”, fragte Nils vorsichtig. Jules ging durch die Küche, öffnete Schränke, schloss sie wieder und blieb schließlich vor der Kaffeemaschine stehen. “Mach mir dasselbe, was du hast. Dann gehen wir hoch.” Er hatte dabei die Arme verschränkt, und es klang mehr wie ein Befehl, als alles andere. “Jules, ich hoffe, du verstehst das nicht falsch. Aber wir werden nicht miteinander schlafen, wenn du einen Freund hast.” Nils wollte das unbedingt klar stellen. Jules verdrehte die Augen. “Ich hab gesagt, dass ist nicht so ernst”, murmelte er, etwas lauter fuhr er fort. “Krieg ich nicht mal einen Kaffee von dir? Ich weiß nicht, wie die Maschine funktioniert.” “Kein Hektik. Kriegst meinen, ich mach mir einen neuen.” Nils schob Jules von der Maschine weg, holte eine Tasse aus dem Schrank über der Maschine und frische Milch aus dem Kühlschrank. Während er alles für den Kaffee vorbereitete, spürte er die ganze Zeit Jules Blicke auf sich. Nils würde lügen, wenn er sagen würde, dass er keinen Bock auf Jules hatte. Aber ehrlich, er hatte schon seine moralische Ansprüche. Es herrschte Schweigen, während der Kaffee in die Tasse floß. Nils schaute dabei auf sein Geschenk. Er hatte es auf die Theke neben die Maschine gelegt. Es war nicht sehr groß und nicht liebevoll eingepackt. Aber es war ein Geschenk. “Ich hab ehrlich gesagt nichts für dich. Ich dachte nicht … das wir uns was schenken.” Eigentlich hatte Nils generell nicht angenommen, Jules so schnell nach dem Kaffeetrinken im Brettle wiederzusehen. Es war lustig gewesen, aber sie sind sehr unverbindlich verblieben. “Alter, ich hab es dir extra gesagt.” Jules hatte wieder seinen Schmollmund gezogen. Nils war sich nicht sicher, ob er sich dieser Mimik überhaupt bewusst war. Es ließ ihn aber immer unglaublich jung aussehen. “Ich dachte, es wäre ein Scherz!” Nils hatte das wirklich gedacht. Jules wurde bei dem Satz rot. Sein Gegenüber konnte das nicht ganz einordnen. War ihm die ganze Sache peinlich, oder wurde er gerade wütend? Bei Jules konnte man sich da nicht sicher sein. “Ich besorge dir bis Silvester was? Was anderes kann ich dir nicht anbieten, sorry.” Das war schon mehr, als das was Kilian bekam. Der kriegte nämlich gar kein Geschenk. Nils gab zwei Stück Würfel in den Kaffee und rührte ihn um, nickte dann Richtung Treppen. Er wollte die Unterhaltung nicht in der Küche weiterführen. Am Ende kamen seine Eltern früher nach Hause und würden Jules Laune noch mehr verschlechtern. Jules mochte Eltern echt nicht sonderlich. “Was machst du denn an Silvester?”, fragte Jules während er sich aufs Bett fallen ließ. Den halbleeren Kaffee hatte er auf das Nachtkästchen gestellt. War auch einer der wenigen Plätze in dem Zimmer, der nicht mit Büchern und Zetteln voll gestellt war. Sah ein bisschen aus, wie damals zur Abizeit. “Ich hab noch nichts vor. Meine Eltern fahren zu Freunden, aber keine Ahnung. Da will ich eigentlich mit.” Nils zuckte mit den Schultern, setzte sich auf den Schreibtischstuhl. Er probierte den Kaffee und versuchte den Stapel Lernmaterial auf dem Schreibtisch zu ignorieren. “Weißt du, ich kann Johnny anrufen und sagen, dass sich das mit ihm erledigt hat.” Jules schaute an die Decke, als er das sagte. Nils konnte nur seufzen. “Ich find dich auch ganz okay, wenn wir keinen Sex haben. Wir könnten einfach so … Zeit verbringen?”, schlug Nils vor. Er war hier nur ein paar Wochen und dann wieder weg. Nils wollte nicht, dass Jules sich deshalb das Leben unnötig schwer macht. Jules fing anzulachen. Nils kratzte sich an der Nase. Für einen Moment hielt Jules mit dem Lachen inne, sah dann aber wieder in Nils Richtung und setzte das schallende Gelächter fort. “Der ist gut, Alter. Der ist wirklich gut!”, japste er zwischen durch, zeigte dabei auf Nils. Dieser räusperte sich unbehaglich. Es war kein Witz gewesen und er wusste nicht, ob die Reaktion ihn nicht etwas kränkte. Langsam beruhigte sich Jules wieder, hatte aber Lachtränen in den Augen. “Nils, ehrlich. Sei mal realistisch … du interessierst dich einen Scheißdreck für mich, außer wenn es ums Vögeln geht. Du hast mir ja nicht mal ein Geschenk gekauft.” Jules stützte sich auf seine Ellenbogen, damit er Nils ins Gesicht sehen konnte. “Ich dachte mir, wir können es trotzdem mal versuchen. So als Freunde, ab und zu Kontakt halten. Wahrscheinlich kriege ich ein neues Handy. Ich würde dir sogar meine neue Nummer geben.” Nils lehnte sich in seinem Stuhl zurück, trank nochmal von seinem Kaffee. Er meinte das ehrlich. Wollte er Jules länger in seinem Leben, dann würde es nicht über Sex funktionieren, weil das dann aus ihrer Sache eine Art Beziehung machen würde und das war einfach nicht so ihr Ding. “Du meinst das echt ernst, oder?” Jules war nun komplett ernst. Erstaunen lag in seiner Stimme. Nils nickte. Ein sanftes Lächeln schlich sich auf Jules Gesicht. Ein sehr ungewohnter Ausdruck, bei dem es Nils mulmig wurde. “Klar, warum nicht. Ich glaub zwar nicht, dass es funktioniert, aber hey … ich will mal nicht so sein.” Das Lächeln wich einem selbstgefälligen Grinsen. Jules hatte das Gefühl, endlich mal gegen Nils Oberwasser zu bekommen. Das war … selten. “Zu gütig von dir …” Nils verzog seine Lippen zu einem sarkastischen Lächeln. Immerhin wusste er, dass Jules es wert war. So fürs erste. Weil Jules nachwievor das Interessanteste war, was ihm begegnet war. Auch jetzt noch im Studium und das wollte was heißen. Kapitel 36: I wanna taste the way you are ----------------------------------------- “Uh, das ist ja ekelhaft.” Leyla verzog angewidert das Gesicht und sah Nils entsetzt dabei an. “Kommt davon, wenn du ungefragt auf mein Handy schaust.” Nils steckte das Smartphone in die Hosentasche. Sie hatte sowieso schon zu viel gesehen. “Ich konnte ja nicht wissen, dass dir jemand Bilder von … Wunden schickt. Wer tut sowas?” Sie wirkte immer noch entsetzt. “Ein Freund. Er gibt gerne mit seinen Longboard-Verletzungen an.” Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Nils hätte eigentlich erwartet, dass - auch wenn er es nicht wollte - sich der Kontakt nach den Weihnachtsferien wieder verlieren würde. Sie waren nämlich wirklich beide nicht gut im Kontakthalten. Aber es schien zu helfen, dass sie beide den Kontakt wollten. Unverbindlich und ohne Erwartungshaltung. Wenn Nils mal zwei Wochen nicht schrieb, oder er drei oder vier Wochen von Jules nichts hörte, war das auch in Ordnung. “Ugh, Männer sind so ekelhaft.” Leyla schüttelte verständnislos den Kopf. “Sind wir.” Nils konnte sich auf jeden Fall sehr für das Longboarden von Jules begeistern. Er wurde offensichtlich in der Schule nicht mehr verprügelt, was eventuell mit Annette und ihrer großen Beliebtheit zusammenhing, und hatte etwas gefunden, dass ihm Spaß machte. Und dafür sorgte, dass es ihn immer wieder mal auf die Fresse haute. Immerhin war er so nett und dachte dabei an Nils und ließ ihm ab und zu Bilder zu kommen. Ein bisschen bereute Nils es ja, dass sie die Weihnachtsferien tatsächlich absistent geblieben sind - naja, zumindest Nils, er wusste nicht was Jules so getrieben hatte. Aber jetzt war Jules ja nicht mehr aus der Welt. “Was machst du eigentlich den Sommer über?”, fragte Leyla. Sie waren beide auf dem Weg zur Mensa. Sie war seine Lernpartnerin für Neurologie und eine der besten im Kurs. Nils hielt sich gerne an die guten Leute, sie sorgten dafür, dass man selbst höhere Ansprüche an sich stellte. Die Prüfungen im ersten Semester waren zum Glück auch gut gelaufen. “Es geht in die Heimat, denk ich.” Genau hatte Nils das nicht geplant, aber tatsächlich wollte er Jules mal wieder in Person sehen. Er stellte sich vor, wie sich der raue Schorf des Kratzers unter seiner Berührung anfühlte. “Kein Urlaub? Kein Springbreak?” Leyla lachte, warf dabei ihre braunen, glatten Haare nach hinten. Manchmal fragte sich Nils, warum er sich zu so wenigen sexuell hingezogen fühlte. Er konnte sagen, dass sie wirklich schön war, aber es interessierte ihn einfach nicht. “Nicht meine Welt.” Nils zuckte mit den Schultern. Urlaube vielleicht schon, aber keine Partyurlaub. Er hatte noch nicht herausgefunden, was andere an Parties so spannend fand, aber die tranken vermutlich auch lieber und mehr Alkohol als er. “Langweiler.” Sie boxte ihn gegen die Schulter. “Und nicht zu vergessen, ekelhaft”, fügte er hinzu, während er über die schmerzende Stelle rieb. Leyla war sehr taktil. “Ugh … ja. Das Bild wird mich noch in meine Träume verfolgen.” Sie verzog wieder das Gesicht und schüttelte sich angewidert. “Glaub mir, mich auch.” Aus anderen Gründen. Aber das musste Nils ihr ja nicht sagen. Nils versuchte gerade sich auf die Vorlesung zu konzentrieren. Aber es gab Dozenten, die machten einem das nicht so leicht. Es gab schon ein Grund, dass Nils am Ende des Semesters einer der wenigen Studenten war, die überhaupt noch auftauchten. Ein weiterer Nachteil war so leider auch, dass der Dozent mitbekam, wenn er eindöste. Er wusste nicht mal, ob es den Dozenten störte oder er wusste, wie Nils hieß. Aber Nils stellte es sich etwas deprimierend vor, wenn bei ihm jemand einschlafen würde, während er einen Vortrag hielt, deshalb bemühte er sich weiterhin die Augen offen zu halten. Es klappte immer besser, wenn er sich nebenher Notizen machte - auch wenn er schon die Erfahrung gemacht hatte, dass man sich besser an die Skripte und weniger den Vorlesungen orientieren sollte, wenn man gute Noten wollte. Eine SMS von Jules riss ihn aus dem Gedanken. “Be on the look out for things that make you laugh. If you see nothing worth laughing at, pretend you see it, then laugh.” Nils musste grinsen. Er hatte Jules zu Silvester “The Little Book of Calm” geschenkt. Jules hatte den Hinweis verstanden, seit dem schickte er in unregelmäßigen Abständen Nils Zitate aus dem Buch. Im Gegenzug hatte Nils den gehäkelten Regenbogenfischanhänger, der irgendwie schon ziemlich häßlich war und den Jules ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, an seinem Schlüsselbund. Was nützliche Geschenke anging, waren sie also irgendwie quitt. “Hab übrigens mein Abi bestanden, ne 3,3.” Kam noch eine SMS von Jules nach. Nils Grinsen wurde noch breiter. Ehrlich gesagt, tat er sich schwer mit der Vorstellung, dass Jules tatsächlich Arbeit und Bemühungen in etwas wie sein Abitur gesteckt hatte. War vielleicht der gute Einfluss von Annette, die sehr wahrscheinlich mit einem Einser-Schnitt abgeschlossen hatte. Nils war jedenfalls irgendwie stolz auf Jules, dass er es überhaupt geschafft hatte. “Sehr gut!” War Nils knappe Antwort. Für mehr lag zu viel Distanz zwischen ihnen. Jules hasste Komplimente und Nils wollte es genießen, ihn damit aufzuziehen. “Sorg dafür, dass du diesen Sommer keinen Freund hast.” Fügte Nils seiner SMS noch hinzu. Er wusste, dass das mit Johnny schon länger wieder aus war, und den zwei Typen danach auch. Nils hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich ihre Namen zu merken. Jules war kein Kind der Einsamkeit, aber immer noch nicht sonderlich begeistert von dem Konzept Verliebtsein. Nils verstand das. Natürlich mochte er Jules. Er verbrachte gerne Zeit mit ihm, der Sex war definitiv nicht zu verachten, aber auch die kleinen Nachrichten und Fotos zwischen durch, waren eine feine Sache. Aber es tat Nils nicht weh, wenn er Jules nicht sah, oder Jules andere Leute traf. Er hatte einfach nicht das Gefühl, dass sie … verliebt waren. Eigentlich war es wie mit Kilian, oder einem Kommilitonen, nur mit dem Unterschied, dass er sich zu Jules körperlich hingezogen fühlte und naja, zu anderen nicht. Aber Nils war sich sicher, dass es Jules ähnlich ging - zumindest was die Liebe betraf. Das sich Jules zu mehr Leuten körperlich hingezogen fühlte, war offensichtlich. Aber so emotional gesehen schien er Nils sehr ähnlich zu sein. Das war vermutlich auch der Grund, warum sie so gut miteinander klar kamen. Nils war sich nicht sicher, ob mit ihnen einfach etwas nicht stimmte. Immerhin war jeder gerne verliebt, das war was die Welt zusammenhielt - zumindest laut allen anderen. Aber Nils fand auch, solange ihn es nicht störte, war alles in bester Ordnung. Von Jules hörte er aber nach seiner SMS erstmal nichts mehr. Auch nicht weiter schlimm. Wahrscheinlich war er beschäftigt damit, sein Leben nach dem Abitur auf die Reihe zu kriegen. Nils war milde gespannt, was Jules eigentlich vor hatte. Er wusste gar nicht so genau, was Jules gerne machte … außer Sex haben. Aber das war nichts, wofür man studiert haben musste. Und vielleicht auch nicht die beste Berufswahl, wenn man die Gesundheitsrisiken und das gesellschaftliche Stigma bedachte. “Was willst du eigentlich studieren?” Die SMS schickte Nils nach dem er drei Wochen von Jules nichts mehr gehört hatte. Er wollte sich von seinem Lernstoff ablenken und wenn Jules eines war, dann eine gute Ablenkungen - selbst, wenn sie sich nur schrieben. Außerdem interessierte es Nils wirklich. Enttäuschenderweise kam keine Antwort und Nils war dazu gezwungen, weiter zu lernen, da es in der Universitätsbibliothek auch nicht viel Alternativen dazu gab. Vor kurzem hatte er das mit dem Kaffeetrinken auch wieder aufgegeben. Das ihn das ungeduldig und übellaunig machte, war ein deutliches Zeichen gewesen, dass es eine gute Entscheidung gewesen ist, damit aufzuhören. Nur keine leichte. Er hätte jetzt gerne Kaffee. Es war halb neun Abends und er saß immer noch in der Bibliothek. Um neun packte er seine Sachen zusammen. Der Gedanke an Kaffee verfolgte ihn noch, als er sich auf den Heimweg in seine WG machte. Unterwegs lagen drei ganz brauchbare Cafés und einen Starbucks. Am ersten lief er noch zielstrebig vorbei, beim zweiten zögerte er kurz, beim dritten blieb er stehen, zwang sich aber mit einem Seufzen weiter zu gehen. Er war standhaft, er würde einer Sucht nicht nachgeben. Er hatte Willenskraft und es war auch schon viel zu spät für Kaffee. Und so toll schmeckte Kaffee eigentlich auch nicht. Deswegen half jede Menge Karamellsirup mit Sahne auch sehr gut. Verdammter Starbucks. Nils war etwas enttäuscht von sich. Wann war er nur so schwach geworden? Hatte das Studentenleben so einen negativen Einfluss auf ihn? Aber er musste zugeben, dass das viele Lernen auch wirklich schlauchte und man sich dann auch mal was gönnen wollte. Er tröstete sich mit diesem Gedanken, während er seine Karamell-Kaffee-Katastrophe schlürfte. Wenigstens war es nicht mehr weit in die Wohnung. Wenn er Glück hatte, hatte Charlotte gekocht und ihm was übrig gelassen. Als er die Wohnung betrat, konnte er Lachen aus der Küche hören. Das war ein gutes Zeichen. Wenn alle in der Küche waren, gab es da in der Regel was zu essen. Sie hatten zwar eher eine Art ZweckWG, aber Charlotte, Nils und Olga verstanden sich eigentlich ganz gut, deshalb gab es manchmal gemeinsame Abende in der Küche - neben dem Bad, der einzige Raum, den sie sich alle teilten. Im Bad trafen sie sich seltener alle zusammen. Meistens nur, wenn dort mal wieder ein Wasserhahn tropfte oder die Waschmaschine Zicken machte. Das war ein weniger erfreulicher Anlass. “Hallo!”, rief Nils in den Flur, während er seine Schuhe auszog und seine Tasche achtlos in sein Zimmer schmiss. Manchmal war es ganz praktisch, sein Zimmer so nahe an der Wohnungstür zu haben. “Hallo, Nils!”, kam es aus der Küche unisono zurück. Hatten die Mädels Besuch? Das waren doch mehr als zwei Personen gewesen. Die Frage erledigte sich, als er endlich die Küche betrat. Dort saßen Olga und Charlotte auf der kleinen Bank und Jules auf dem Stuhl am Tischende. Alle grinsten ihn breit an. “Oh, hi.” Nils würde lügen, wenn er behaupte wäre, er wäre nicht überrascht über Jules Anwesenheit. Nicht negativ überrascht, aber vielleicht auch nicht positiv? Was wollte Jules hier? “Überraschung!” Jules breitete seine Arme aus und die Mädchen kicherten. Nils ließ sich zu einem Grinsen hinreißen. “Hab mich schon gewundert, warum ich solange nichts von dir gehört habe …”, gab er schließlich zu. Er ging mit seinem halbvollen Starbuck-Becher auf den Tisch zu. Dort standen zwei Töpfe, drei dreckige Teller und Nils knurrte der Magen. Jules, der jetzt direkt vor ihm saß, nahm ihm dem Becher aus der Hand und schlürfte ungefragt aus dem Strohhalm. “Es ist noch was für dich da!”, erklärte Charlotte, hob den Deckel vom großen Topf. Dabei ging ihr Blick aber immer wieder von Nils zu Jules. Olga behielt im Gegenzug nur Jules im Auge. Warum lag soviel Spannung in der Luft? Gerade hatten doch noch alle gelacht … Jetzt hörte man nur das Schlürfen von Jules. “Sehr gut, hatte schon den ganzen Tag darauf gehofft …” Nils lächelte Charlotte an und setzte sich auf den anderen Stuhl. “So … Jules hat erzählt, dass ihr beide Schulfreunde seid?”, fragte Olga schließlich, während sich Nils eine Ladung Spaghetti mit Roter-Linsen-Soße in den Teller schaufelte. Nils sah zu Jules. Schulfreunde? Okay, mit der Geschichte konnte Nils leben. Jules grinste ihn mit einem unschuldigen Ausdruck an. Den Starbucks-Becher hatte er mittlerweile geleert … Schnorrer. “Er war eine Stufe unter mir, aber ja, wir kennen uns aus der Schule.” “Er hat mich dort vor so bescheuerten Mobbern beschützt!”, fügte Jules hinzu, hatte dabei seine Augen weit aufgerissen, als wäre das alles total dramatisch gewesen und würde der Wahrheit entsprechen. Nils war etwas irritiert von der Show, die Jules hier abzog. Aber eigentlich war er generell irritiert von seiner Anwesenheit. Immerhin war Jules 350 km gereist, um ihn … spontan zu besuchen? “Uh, heldenhaft, Nils. Hätte ich dir gar nicht zu getraut.” Charlotte klang etwas spöttisch dabei. Aber sie hatte recht damit. Nils half ihr nämlich nicht mal, wenn es darum ging, Spinnen aus der Wohnung zu tragen. Außerdem log Jules, er hatte nie aktiv dazu beigetragen, dass Sebastian und seine Truppe ihn in Ruhe ließ. Nur ein paar Fäden im Hintergrund gezogen. Er hatte gar nicht gewusst, dass Jules etwas davon mitbekommen hatte. “Oh, in ihm steckt viel mehr, als man denkt. Das erste Mal, als wir uns …” “Jules, bist du nicht müde? Du warst sicher lange unterwegs …”, unterbach Nils ihn. Er hatte eigentlich keine Lust, dass Jules weiter über sie beide erzählte. “Geht eigentlich, hab so einen Fernbus genommen. Wusste gar nicht, dass die so billig sind! Und ich hatte W-Lan. Voll der Wahnsinn!”, ging Jules auf den Themenwechsel ein. Nils entging aber nicht, dass seine Mitbewohnerinnen sie beide genau beobachteten. Was hatte Jules ihnen denn erzählt? Und wie lange war er eigentlich schon hier? “Übernachtest du hier, Jules?”, fragte Olga schließlich. Es ging tatsächlich auf zehn Uhr zu - Nils hatte ja gesagt, es ist eigentlich zu spät für Kaffee. Und zehn war immer eine Zeit, in der man sich langsam mal in seine eigenen Zimmer zurück zog. “Wenn Nils nichts dagegen hat? Ansonsten würde ich mir wahrscheinlich noch eine Jugendherberge oder so suchen.” Jules klang dabei sehr unschuldig. Nils verdrehte nur die Augen … “Natürlich übernachtest du hier, Idiot”, brummte Nils. Das Lernen schlug ihm noch etwas aufs Gemüt, aber eigentlich freute er sich, dass Jules hier war. Er brauchte nur irgendwie einen Moment das zu verarbeiten. Eventuell. Vielleicht freute er sich auch nicht. Er war zu müde, um das wirklich zu entscheiden. “Er kann ruhig bei mir auf dem Sofa schlafen. Du hast ja nur ein schmales Bett”, schlug Charlotte vor. Sie hatte das größte Zimmer von ihnen Dreien und häufig Besuch. Als Kilian ihn mal besucht hatte, hatte er auch bei ihr auf dem Sofa geschlafen. Aber Kilian war auch ein Riese, der passte schon kaum alleine in ein normales Bett. Außerdem hätte er es sicher komisch gefunden, mit Nils in einem Bett zu schlafen - vor allem seit der Sache mit Jules. “Nein, ist schon okay, er kann ruhig bei mir schlafen”, winkte Nils ab, schob sich schließlich eine Gabel von seinem Essen in den Mund. Sein Plan für heute Abend hatte sich auch durch Jules Anwesenheit nicht großartig geändert. Essen, duschen, schlafen. “Bist du sicher? Dein Bett ist echt nicht so groß …”, fragte schließlich Olga. Sie hatte die Stirn gerunzelt. Jules lachte auf. “Hast du immer noch nur so ein schmales Bett? Bei sich zuhause hat er auch nur so ein kleines. Ich kenn niemand, der sowas noch hat!”, ereiferte sich Jules. “Ich hab die alte Matratze mit, die hat damals ein Vermögen gekostet und in so ein großes Bett passt die halt nicht rein …” Warum rechtfertige sich Nils überhaupt? Er seufzte. “Und ihr beide passt nicht in ein kleines Bett”, fügte Charlotte hinzu. Jules lachte wieder, klopfte ihr dann aber auf die Schulter. “Keine Sorge, ist nicht das erste Mal, dass ich mir ein Bett mit Nils teile.” Nils entging der Blickwechsel zwischen Charlotte und Olga nicht. Er stopfte sich nochmal eine Portion Essen in den Mund. “Er kuschelt gerne”, ließ sich Nils schließlich doch zu einem Kommentar hinreißen. Er war nicht der einzige, der … Geschichten erzählen konnte. Olga runzelte ihre Stirn noch mehr. Charlotte wurde rot. “O-Kay. Wenn ihr meint … aber wie gesagt, meine Sofa ist immer eine Option.” Charlotte klang nicht sehr überzeugt von ihrem Plan. “Du bietest wirklich einem wildfremden Kerl einfach so einen Schlafplatz in deinem Zimmer an?”, fragte Jules diesmal doch nach. Er klang ehrlich erstaunt. “Klar, du bist doch ein Freund von Nils … da mach ich mir keine Sorgen.” Charlotte warf Nils ein Lächeln zu. Sie hatte ihn schonmal erklärt, dass sie große Stücke auf ihn hielt und er der beste Mitbewohner war, den sie bisher hatte. Sie machte aktuell ihren Master in sowas wie Soziologie - Nils hat es sich nicht so genau gemerkt - und sie war auch eine angenehmere Mitbewohnerin, als die Leute aus seiner alten WG. Auf jeden Fall freute er sich, dass wohl Jules Besuch nichts daran änderte, dass sie seine Art mochte. Also platonisch. Das war auch einer der Punkte, die Charlotte mochte: Nils Mangel an sexuellen Interesse an ihr. “Ich würde übrigens wirklich gerne schlafen. Hatte einen harten Tag und … ich hab nicht mit Besuch gerechnet.” Nils schob den leeren Teller von sich. Er hoffte, das kam nicht zu unhöflich rüber. Aber eigentlich wollte er mit Jules alleine sein. Sie hatten ernsthaft ein paar Worte zu wechseln. Es beunruhigte ihn irgendwie, dass Jules hier war … auch noch ohne ihm Bescheid zu geben. “Klar, klar, geht schlafen. Wir wollen euch nicht länger aufhalten!” Olga war immer noch rot, als sie das sagte. Jules zwinkerte ihr zu, als er von seinem Platz aufstand. Hätte Nils nicht gewusst, dass Jules so mal gar nicht auf Frauen stand, hätte man denken können, er flirtete mit ihr. “Schlaft gut, ihr Beiden!”, verabschiedete sich Charlotte auch noch. “Ja, ihr auch … Und Danke fürs Essen. Morgen kochen wir.” Nils lächelte noch in die Runde, schob dann aber Jules aus dem Raum in Richtung seines Zimmer, nach dem dieser wieder dazu ansetzte etwas zu sagen. Immerhin war Jules geistesgegenwärtig genug seine Reisesachen aus dem Flur mitzunehmen. Kurz bevor die Zimmertür schloss, konnten sie aber Olga noch hören. “Glaubst du, die sind ein Paar?” Charlottes Antwort bekam Nils nicht mit, aber er konnte sie sich denken. Jules grinste ihn breit an. “Du kannst deine Sachen dahinten hinstellen”, wies Nils seinen Gast an, zeigte in die vage Richtung seines Schreibtisches. Jules stellte fest, dass sein neues Zimmer eigentlich aussah, wie sein altes Zimmer. Nur mit weniger Büchern. Wahrscheinlich war Nils zu faul gewesen, den ganzen schweren Kram umzuziehen. Jules lud seine Reisetasche ab und kramte nach seinem Kulturbeutel. “Wie lange hast du eigentlich vor zu bleiben?”, fragte Nils schließlich, während er seine Schlafklamotten vom Bett fischte. Genau genommen ein karierter Pyjama. Jules kannte niemanden, der Pyjamas trug … oder überhaupt besaß. “Bist du sauer? Weil ich dich geoutet habe?”, Jules wirkte neugierig, und kein bisschen besorgt oder so, als hätte ihm das Leid getan. Warum auch, er war Jules und es entsprach ja auch den Tatsachen. “Nee, nur müde … Prüfungszeit und so. Ich geh jetzt duschen und will dann schlafen.” Er sah aus, als hätte er das bitter nötig. Es wäre schon ein Wunder, wenn ihm nicht schon unter der Dusche die Augen zufallen würden. “Klar, kein Problem … Willst du Gesellschaft?” Jules wackelte mit seinen Augenbrauen, grinste dabei. Nils seufzte nur. “Es reicht schon, dass du in meinem Bett schläfst …” Mit den Worten verließ Nils den Raum. Kurz überlegte Jules, ihm etwas nach zu rufen. Aber das war eventuell gegen die WG-Etikette. Nils hingegen war ganz froh, noch einen Moment für sich zu haben. Er verstand nicht so ganz, was gerade passierte. Es war irgendwie cool, dass Jules hier war, da er seine Gesellschaft mochte. Aber er hatte ein komisches Gefühl, wenn er das ganze im Kontext betrachtete. Jules hatte gerade sein Abi gemacht. Er war auf der Suche nach einem Studienplatz. Er hat Nils einfach überraschend besucht. Nils sollte vernünftig mit ihm darüber reden. Aber erst morgen, heute würde bei dem Gespräch nichts gutes rauskommen. Nicht, dass er irgendwas falsch verstand, oder falsch sagte, oder sonst irgendwie etwas verbockte. Oder Jules. Die Chancen standen gut, dass Jules es verbockte. Jules konnte sowas. Nach der Dusche, putzte Nils sich noch kurz die Zähne, um zurück ins Zimmer zu huschen. Olga und Charlotte gingen in der Regel deutlich später als er ins Bett, also hatte Jules auch noch Zeit, sich bettfertig zu machen. “Die blauen Handtücher sind meine, du kannst dir einfach welche ausm Schrank nehmen. Duschgel ist egal. Ich glaube, Olga nimmt eh immer meines”, das letzte murmelte Nils in sein Kopfkissen, da er sich bäuchlings aufs Bett geworfen hatte. Er wollte noch die kurze Zeit auskosten, die er allein damit hatte. Vielleicht hätte er Charlottes Angebot doch wahrnehmen sollen, also das Jules bei ihr auf der Couch schlief. Nils hasste es in fremden Betten zu schlafen. “Alter, du bist echt fertig.” Mit einem Schmunzeln schüttelte Jules den Kopf und verließ das Zimmer Richtung Badezimmer. Nils bekam erst wieder mit, dass Jules zurück war, als er einen Ellenbogen in die Seite gerammt bekam und kurz darauf sich etwas naßes, kaltes gegen seinen Rücken drückte. Jules frisch gewaschene, ungeföhnte Lockenmähne. Igitt. Nils bekam noch einen Tritt gegen seine Waden, bevor er sich seinem Schicksal ergab, sich zu Jules drehte und ihn von hinten umarmte. Er war nicht so der Typ zum Kuscheln, aber es war fast unmöglich anders in so einem schmalen Bett zu schlafen. “Nils?”, fragte Jules schließlich in die Stille, während er versuchte eine bequeme Position in Nils Armen zu finden. Nicht so einfach, wie man denken konnte. Kuscheln wollte immerhin gelernt sein … “Hn?”, kam die etwas desinteressierte Reaktion. Mit Jules im Arm war es zwar fast etwas zu warm, aber nicht mehr ganz so unbequem. “Weißt du, dass sich Annette und Kilian getrennt haben?”, setzte Jules die Unterhaltung fort. Er hatte aufgehört, sich hin und her zu drehen und blieb nun ganz ruhig liegen. “Ja”, nuschelte Nils in Jules Haare. Deshalb hatte Kilian ihn auch besucht. Er war ein weinerliches Häufchen Elend gewesen und Nils war sich nicht sicher, ob der Besuch ihm sonderlich geholfen hatte. Er war nicht so gut im Trösten. “Annette hat jemand neues kennen gelernt an ihrer Uni”, führte Jules trotzdem näher aus. Nils hatte seine Hand fast direkt über Jules Herzen. Er nahm in seinem Halbschlaf nur vage wahr, dass es schneller schlug, als er erwartet hätte. “Hast du jemand neues kennen gelernt?”, fragte er schließlich. “Viel zu viele”, brummte Nils nur. Studieren bedeutete soviele neue Leute, auf die man sich einlassen musste. Bei denen man herausfinden musste, wie sie tickten, und auch, ob sie überhaupt eine Bereicherung für sein Leben waren. Seine alten Mitbewohner waren zwar nett gewesen, aber für Nils viel zu anstrengend. Gott, war er froh gewesen, als er hörte, dass bei Charlotte in der WG etwas frei geworden war. Menschen … Er spürte noch, wie sich Jules etwas enger an ihn drückte, bevor er endlich einmal einschlafen konnte. Die Nacht war trotzdem nicht sonderlich erholsam. Jules war ja bekannt dafür, dass er sich gerne viel im Bett bewegte … und normal schätzte das Nils auch, aber er tat das eben auch im Schlaf. Ständigt drehte und wälzte er sich herum. Und jedes einzelne Mal wachte Nils davon aus. Er fragte sich, wie sie das letztes Jahr gemacht haben, aber ihm fiel irgendwann ein, dass Jules noch nie bei ihm übernachtet hatte. Klar, nach dem Sex war er ab und an mit ihm im Bett eingeschlafen. Aber so richtig übernachtet hatte er nicht. Warum hatte er eigentlich gedacht, dass er so schon so häufig bei ihm geschlafen hatte? Er hätte dem Sofa-Angebot wirklich zu stimmen sollen. Irgendwann war er wahrscheinlich in einen Art Erschöpfungsdämmerkoma verfallen - anders konnte er das nicht beschreiben. Jedenfalls schaffte es Jules ihn auch daraus zu wecken. Diesmal aber deutlich bewusster. Er war nämlich wach und rüttelte an Nils Schulter. Missmutig öffnete dieser seine Augen und bedachte seinen schlafraubenden Gast mit einem bösen Blick. “Hey, Mann. Deine Mitbewohnerinnen sind gerade aus der Wohnung.” Und das breite Grinsen von Jules konnte man nur als obszön beschreiben. Nils seufzte. Sein Rücken war kalt - weil Jules im die Decke geklaut hatte - sein rechter Arm war taub - weil Jules die halbe Nacht darauf gelegen hatte - und trotzdem fühlte sich dieses Grinsen und was es versprach wie eine Entschädigung an. Da sich Jules aufgesetzt hatte, um Nils besser wecken zu können, hatte dieser nun freien Blick auf seinen Oberkörper. Und dem lila-blauen Bluterguss direkt unter seinen Rippen. Inklusive einer kleinen Aufschürfung. Nils konnte nicht anders, er musste einfach darüber fahren. Diese zerkratzte unebene Haut. Viel besser, als auf dem Foto. “Freak.” Jules grinste, als er das sagte. Nils erwiderte es mit einem Lächeln, bevor er den Anderen für einen Kuss zu sich zog. Im Hinterkopf war da noch etwas mit einer Vorlesung heute vormittag und ein Treffen seiner Lerngruppe im Laufe des Tages, aber das musste Nils ja nicht den Morgen versauen. Deshalb drückte er Jules jetzt ziemlich zielstrebig auf das Bett zurück. Als Nils nach der Dusche in die Küche ging, um sich ein Glas Milch zu gönnen, saß da Olga am Esstisch. Sie wurde rot, als er den Raum betrat. Vielleicht weil er nur Boxershorts trug, allerdings kannte sie den Anblick schon. Er schaute auf die Uhr. Es war halb elf - seine Vormittagsvorlesung würde er nicht mehr schaffen. “Du bist ja doch hier”, stellte Nils schließlich fest. Er war etwas … überrascht. Olgas Ohren glühten. “Uhm, ja, meine Vorlesung ist … äh … ausgefallen, deshalb bin ich … zurück … gekommen.” Sie wurde immer leiser, während sie sprach. Nils seufzte. “Du hast uns gehört, oder?” Es war offensichtlich. Jules war auch schwer zu überhören … “Ich hab nicht gelauscht! Aber … also … ich meine … ihr seid nicht gerade … leise?” Olga brach ab. Sie war ja noch mehr außer Fassung als Kilian damals, aber gut, der hatte sie auch nicht beim Sex gehört. “Tut mir leid. Jules meinte, ihr seid nicht mehr da. Hätte ich das gewusst, hätte ich Rücksicht auf dich genommen.” Nils hatte das Gefühl, er schuldete ihr eine Entschludigung. Sie wirkte so aufgelöst. Ob sie ein Problem damit hatte, dass er mit einem Kerl schlief? “Nein, oh Gott! Nein, sorry, ich … war ja auch wirklich weg! Und du hast ihn ja solange nicht gesehen! Da ist das doch total normal. Würde ich meinen Freund monatelang nicht sehen, wäre ich da genauso!” Sie redete immer schneller und lauter und wedelte dabei mit ihren Händen. Ihr war es so wichtig, dass er wusste, dass sie seine Situation verstand. “Jules ist nicht mein Freund. Also nicht mein fester. Wie gesagt, ich hätte Rücksicht genommen, hätte ich gewusst, dass du da bist”, stellte Nils aber klar. Er wollte nicht, dass sie den falschen Eindruck von ihm gewann. Ein angenehmes WG-Leben für alle war ihm wirklich wichtig. “Oh”, kam es leise von ihr. Jetzt war sie ganz ruhig. Sie musterte aber Nils ganz genau, als müsste sie nochmal sicher gehen, dass er wirklich er selbst war. Sie schüttelte ziemlich abrupt den Kopf, hatte die Augenbrauen dabei zusammen gezogen. Nils beschloss, dass es jetzt Zeit für die Milch war. Jules war sicher auch bald fertig mit Duschen. “Versteh mich nicht falsch”, fing Olga wieder an zu reden. Nils drehte sich mit der Milch in der Hand wieder zu ihr. Er war gespannt, was jetzt kam. “Ich hab kein Problem mit …. Jules. Euch. Der Situation. Es ist nur so …” Sie verstummte wieder, sah dabei Nils immer noch mit Befremdlichkeit an. “Gestern warst du noch Nils, der sogar zum Semesterende noch in jede seiner Vorlesungen geht. Der überhaupt kein Interesse an irgendeine Form von Sex oder Beziehungen zeigt. Der … immer alles so genau macht. Und heute konnte man euch schon auf der Straße hören, wie ihr …” Olga bekam wieder rote Ohren. Nils lachte. “Als Jules Schuld. Wir haben auch einmal einen Schulverweis bekommen, weil Jules nicht die Klappe halten konnte, als ich ihm auf der Toilette einen runtergeholt habe.” Er verdrehte die Augen, es wirkte aber eher wie ein liebevoller Ausdruck. “Ugh, too much information. Warte, was? Du hast schonmal einen Verweis bekommen?” Sie schüttelte entsetzt den Kopf. Ihr Weltbild war zerschmettert. Wie konnte man sich so in einer Person täuschen? Sie wohnte jetzt mit Nils sicher schon acht Monate zusammen, da kannte man doch jemand. “Jub. Aber wie gesagt, wird nicht wieder vorkommen.” Nils lächelte beruhigend, trank seine Milch leer. “Okay.” Olga klang nicht ganz zufrieden. “Sonst noch irgendwelche Geheimnisse? Dealst du mit Drogen? Hast du schon mal jemand getötet?” “Wer weiß.” Nils zwinkerte ihr zu und Olga lachte, immer noch etwas nervös. “Ich bin dann mal wieder …” Er nickte Richtung Zimmer, hielt aber noch einen Moment inne. “Ach genau, heute kochen wir. Ich hoffe, Spinat-Lasagne ist okay?” “Jub, super. Ich freu mich schon.” Auch wenn es albern wirkte, winkte sie Nils noch zu, als er den Raum verließ. Sie bekam ein mitleidiges Lächeln von ihm. Komisches Gespräch. Seltsame Situation. Perfekte Verabschiedung. “Olga war doch da.” Mit den Worten betrat Nils das Zimmer. Jules lag frisch geduscht und nackt auf dem Bett. Er hatte dabei allerdings die Augen geschlossen und kurz dachte Nils er wäre wieder eingeschlafen. “Hab ich gehört. Sorry. Dachte, sie wäre gegangen”, murmelte Jules stattdessen. Richtig wach sein wollte er aber anscheinend auch nicht. Nils beschloss, dass er sich mal ordentlich anzog und raus finden sollte, wann das Lerntreffen war. Das wollte er auf keinen Fall verpassen. Er hatte da noch ein paar Fragen an Leyla. “Ist sie auch, ist wohl wieder zurück gekommen”, erklärte Nils kurz. Er nahm es Jules nicht übel. Er hatte ja nicht gelogen und sie waren wohl zu beschäftigt gewesen, um zu hören, dass sie wieder gekommen war. “Und? Wie hat sie reagiert?” Jetzt hatte Jules doch die Augen geöffnet, beobachtete Nils dabei, wie er sich sein Hemd zu knöpfte. Er kannte niemanden in seinem Alter, der im Alltag gerne Hemden trug. War wohl etwas, dass er sich fürs Studium angewöhnt hatte. “Passt schon. Wir machen heute Spinat-Lasagne. Ist ihr Lieblingsessen.” Nils lächelte. Er mochte es, wie ihn Jules im Auge behielt. “Du kannst kochen?” Echte Überraschung lag in Jules Stimme. Er war sich sicher, Nils noch nie kochen gesehen zu haben. “Klar. Kennst mich doch.” Er zwinkerte Jules zu. Kurz war Jules irritiert davon. Natürlich kannte er Nils. Sie waren immerhin mittlerweile Freunde, oder sowas in der Art. Trotzdem konnte er sich nicht daran erinnern, jemals etwas gegessen zu haben, was Nils gekocht hatte. Nils war fertig damit sich anzuziehen. Hellblaues Hemd. Graue Jeans. Schwarze gerahmte Brille und die hellen Haare zu einem Seitenscheitel, der ihm irgendwie stand. Jules wusste nicht genau, wann es passiert ist, aber Nils war definitiv über die letzten Monate hin attraktiver geworden. Ob das anderen auch aufgefallen war? Er bemerkte Nils Blick auf sich. Der Ausdruck war ernst. Jules wusste schon, was jetzt kommen würde. Er musste ein Seufzen unterdrücken. “Du sagst mir jetzt aber nicht sowas, dass ich bis heute Abend hier verschwunden sein soll, oder? Ich kann auch echt bei Charlotte im Zimmer schlafen. Sie hat einen netten Eindruck gemacht. Sie hätte da sicher nichts dagegen”, laberte er deshalb darauf los. Er wollte Nils nicht die Gelegenheit geben, es zuerst anzusprechen. Damit hätte er automatisch die Oberhand. Bei was auch immer. “Ich wüsste ja ganz gerne, warum du überhaupt hier bist.” Nils stand mit verschränkten Armen da. Jules fühlte sich nackt liegend auf dem Bett etwas unterlegen. Er setzte sich auf, bevor er antwortete. “Ich hab es bei meiner Mutter nicht mehr ausgehalten. Außerdem dachte ich mir, ich schau mir mal an, wie es hier so ist. Hab gehört, hier gibt es einen guten Studiengang für E-Technik.” “Hm, E-Technik? Ich hab keine Ahnung was man da macht.” Nils lachte. Er machte sich nicht darüber lustig, es wirkte nur so, als wäre er erleichtert mehr über die Situation zu wissen. Dass Jules und seine Mutter einen schwierigen Stand miteinander hatten, hatte Nils mittlerweile auch mitbekommen. Er wusste nicht genau, was das Problem war, aber er wusste, dass es Jules hasste darüber zu reden. Deshalb fragte er nicht. “Ich will mir hier jedenfalls eine Wohnung suchen, oder halt eine WG”, stellte Jules klar. “Du ziehst aber nicht wegen mir hier her?”, fragte Nils. Er musste wissen, woran hier war. Es war nicht so, als hätte er was dagegen, wenn Jules in der Nähe wohnen würde. Aber es machte Dinge vielleicht unnötig kompliziert oder komisch. Die letzten Monate mit losen Kontakt war sehr entspannend gewesen, eigentlich das was Nils wollte. “Ich will nur einfach in eine große Stadt mit einer guten Uni. Außerdem kann es ja nicht schaden, dass ich dich hier schon kenne, oder?” Jules hatte das Kinn herausfordernd vorgeschoben. Wirkte natürlich trotzdem kein Stück einschüchterend. Dafür war er zu sehr Jules. “Und willst du … naja, über uns reden?”, fragte Nils schließlich. Sein Herz schlug schneller bei der Frage. Was ihn überraschte. Er wusste eigentlich ziemlich genau, was Jules von ihnen hielt und auch, was er von ihrer Beziehung hielt. “Hm, weiß nicht.” Mit den Worten stand Jules schließlich auf. Er begonn damit seine Kleidung aus der Sporttasche zu wühlen. Er vermied es dabei bewusst in Nils Richtung zu sehen. “Okay, ich kann dir die Sache von meiner Seite aus erklären”, bot Nils schließlich an. Er wollte dieses Gespräch unbedingt vom Tisch haben, bevor Jules sich dazu entschied, hier zu bleiben. Er bekam nur ein Nicken von dem Anderen. Er hatte ihm aber noch immer den Rücken zu gedreht, während er unnötig Dinge in seiner Sporttasche herumschob. Immerhin trug er mittlerweile eine Boxershorts und eine Hose. Das machte es vielleicht leichter. “Die Chancen stehen ziemlich schlecht, dass ich mich mal zu jemand anders hingezogen fühle, als zu dir. Du brauchst dir da nichts drauf einzubilden, ist halt einfach so. Mir ist es auch ziemlich egal, wenn du mit anderen Leuten was hast. Ich … bin da einfach irgendwie komisch. Mich interessieren die meisten Leute auch einfach nicht. Aber ich bin auch glücklich ohne … naja, Beziehung. Ich denke, das war es von meiner Seite aus.” Nils war sich nicht sicher, ob er alles richtig erklärt hatte und was er genau sagen wollte. Aber er wusste, es würde einfacher mit Jules werden, wenn dieser wusste, dass er sich auf nichts festes einlassen musste. Selbst wenn Nils niemand anders haben würde, als Jules. “Du bist echt komisch”, war Jules erste Reaktion darauf. Er hatte sich zu Nils gedreht, ein verwaschenes T-Shirt in der Hand. “Jub.” Nils zuckte mit den Schultern. Sein Smartphone vibirierte in der Hosentasche. Wahrscheinlich seine Lerngruppe. “Isses okay, wenn wir einfach so weiter machen, wie bisher?”, fragte Jules schließlich. Schob seine Hände in die Hosentasche. Er mochte das mit Nils. Ehrlich. Er war auf die Art seltsam, dass es genau zu Jules passte. Aber Jules wusste noch nicht so ganz, was das für ihn bedeutete. “Klar. Aber erstmal musst du hier eine Wohnung finden. In die WG hier ziehst du nämlich definitiv nicht.” Nils grinste ihn breit an. Er wusste, er hat Jules richtig eingeschätzt. “Hm, wenn du dir ein größeres Bett kaufst?” Jules wackelte mit den Augenbrauen und bekam ein Augenverdrehen als Antwort. Perfekt. Kapitel 37: I wanna taste the way you last ------------------------------------------ Als Nils das Irish Pub verließ, schlug im die laue Sommernacht entgegen. Er hatte nichts getrunken, aber es gab dort das beste Poutine mit Pilzen, das Nils bis dato gegessen hatte und allein dafür lohnte es sich. Außerdem war Mittwoch Quizabend und Leyla liebte Quizabende. Es war außerdem eine nette Gelegenheit nach den Prüfungen und ohne zu lernen mit seinen Studienkollegen etwas zu unternehmen. Nils hatte beschlossen, dass es eine Bereicherung für sein Leben war, mehr Kontakt mit anderen Leuten zu pflegen. Als Schüler war das nicht so sein Ding gewesen. An der Uni fiel es ihm deutlich leichter, solange er nicht jeden Tag etwas mit den Anderen machen musste. Er ließ sich Zeit auf dem Heimweg. Immerhin hatte er es nicht eilig und die frische Luft tat gut. Abschalten. Zur Ruhe kommen. Nicht, dass er sonderlich gestresst war. Nach vier Semestern hatte er mittlerweile raus, wie viel und was er für die Klausuren vorbereiten musste. Nachdem er das wusste, war alles deutlich einfacher geworden. Seine Lerngruppe war allerdings auch gut. Das war goldwert. Vor allem seit sich die Spreu vom Weizen getrennt hatte und sie nur noch Leute waren, die auch wirklich Bock hatten und nicht rumeierten. Als er die Wohnungstür aufschloss, konnte er schon Lachen aus der Küche hören und er fühlte sich an den Abend erinnert, als Jules überraschend hier aufgetaucht war. Diesmal war es keine Überraschung, er wusste, dass Jules in der Küche saß und sich mit Olga unterhielt. Die beiden waren seit Jules Umzug ganz dicke miteinander. Nicht, dass es Nils störte. Nur im Moment war die Situation vielleicht etwas komisch, ihn zu sehen. Es hielt ihn trotzdem nicht davon ab, trotzdem in die Küche zu gehen. Das Lachen verstummte und Jules sah ihn finster an. Keine nette Begrüßung, vor allem, weil sie sich seit sechs Wochen nicht mehr gesehen hatten. Olga seufzte. Nils fühlte sich nur mäßig willkommen. Warum war auch Charlotte ausgezogen? Sie wäre ein netter Puffer gewesen. “Hey”, sagte Nils trocken, hob aber nicht mal die Hand zur Begrüßung. “Ich … pack es dann.” Jules brach den Blickkontakt mit Nils ab, schnappte sich die Jacke und verließ die Wohnung fast fluchtartig. Olga seufzte nochmals. “Warum fragst du ihn nicht, ob er hier einziehen will?”, kam es schließlich von ihr, während sich Nils noch ein Glas Orangensaft einschenkte. Das Thema schon wieder … Seit Charlotte weg war und ihn als Hauptmieter hat eintragen lassen, lag Olga ihm damit in den Ohren. Also seit zwei Wochen. Zwei lange Wochen. “Ich denke nicht, dass sich sein Freund sonderlich darüber freuen würde”, gab Nils zurück. Sie waren irgendwie in alte Muster zurück gefallen. Jules war zu frustriert von Nils distanzierte Art. Und Nils hatte nicht vor, etwas daran zu ändern. Deshalb hatten sie Sendepause. Vielleicht war Jules auch etwas unglücklich über den Umstand, dass Leyla Nils geküsst hatte und Nils ihm das brühwarm serviert hatte. War kein schöner Abend gewesen, für niemanden der Beteiligten. “Dir ist schon klar, dass er ihn nur hat, um dich eifersüchtig zu machen”, warf Olga ein, verschränkte die Arme dabei. Nils fand, sie sollte sich um ihre eigene Beziehung kümmern. Er erinnerte sich an eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter von einem Typ, der sehr deprimiert mit Olga hatte sprechen wollen und sich immer wieder entschuldigte für irgendetwas von dem Nils nichts wissen wollte. Er vermutete aber, dass dieser Anruf indirekt dazu geführt hatte, dass sie nun diese Unterhaltung in der Küche führten. Er hätte doch nicht in die Küche gehen sollen. So toll war Orangensaft auch wieder nicht. “Und du weißt, dass ich nicht eifersüchtig werde und sich idiotisch verhält”, konterte Nils schließlich. Die gute Stimmung vom Pub-Besuch war verflogen. “Das klingt für mich aber anders.” Sie grinste ihn selbstgefällig an. Jetzt war es an Nils zu seufzen. “Ich geh jetzt schlafen. Und es gibt schon ein paar Leute, die sich für Charlottes Zimmer interessieren. Welche, die unser Leben nicht kompliziert machen.” “Du, mein Lieber, machst mein Leben kompliziert.” Mit den Worten stand Olga auf und verließ die Küche. Sehr schön. Nils trank sein Glas leer. Er fand, dass Jules alles kompliziert machte. Aber vielleicht war kompliziert auch das falsche Wort dafür. Interessant? Aufregend? Nervenaufreibend. Die Zimmerbesichtigungen waren in jedem Fall verflucht nervig, musste Nils feststellen. Olga hatte sich geweigert sich daran zu beteiligen, weil sie immer noch wollte, dass Jules zu ihnen zog. Angeblich hatte er Stress in seiner WG - was Nils nicht so sehr überraschte, immerhin war es Jules und der provozierte Stress, das lag einfach in seiner Natur. Außerdem fand Olga, dass Jules ihre Unterstützung bei seinen Prüfungen gebrauchen konnte. Nils hatte keine Ahnung, wie sie sich das vorstellte. Keiner von ihnen studierte E-Technik und hatten Plan von seinem Stoff. Sie … übertrieb einfach. “Das ist das größte Zimmer in der WG, deshalb kostet die Warmmiete 370 Euro. Dafür gehen die Fenster in den Hof raus. Man kriegt also nichts von der Straße mit.” Nils fühlte sich wie eine Platte mit Sprung. Er hatte diesen Satz in den letzten drei Tage gefühlt hundert mal gesagt. Der Typ nickte aufmerksam, lächelte dabei die ganze Zeit. Man sah ihm die Verzweifelung an. Die Wohnungslage war schwierig. “Und wie viele wohnen hier in der WG?”, fragte der Typ - hieß er Martin? Nils glaubte, sein Name war Martin. Nils mochte ihn nicht, er hätte sich nicht die Mühe machen sollen, sich nochmal an seinen Namen zu interessieren. “Aktuell sind es Olga und ich. Olga hatte heute leider nur keine Zeit”, log Nils, lächelte dabei. “Oh, klar, ja, passiert. Es ist also eine gemischte WG? Funktioniert das denn?” Und genau wegen solchen Sätzen war er raus. Nils verstand den Hintergrund hinter der Frage nicht. Warum sollte es nicht funktionieren? Als könnten Männer und Frauen nicht in einer WG zusammen leben. “Bisher gab es keine Probleme”, antwortete Nils, immer noch lächelnd. Es war die Hölle. Er tat seit Tagen nichts außer scheinheilig zu grinsen, zu lügen und langweilige Fakten über das Zimmer zu wiederholen. “Cool, cool. Was studiert ihr denn so? Ich habe gerade im ersten Semester Biochemie angefangen!” Oh, und ja, sich langweilige Fakten, oder auch Lügen, von den Bewerbern anhören. Das war auf jeden Fall einer der Hauptgründe, warum Nils das alles so nervte. Man sah den meisten Bewerbern schon an, dass sie das Blaue vom Himmel logen, um bessere Chancen für das Zimmer zu haben. Martin hatte jetzt sicher nicht gelogen, dass er anfing Biochemie zu studieren, aber ganz bestimmt, dass ihm der Gedanke gefiel in einer gemischten WG zu wohnen. Das konnte also so oder so nichts werden. “Psychologie und Informatik.” Nils gab ihm trotzdem eine Antwort, immerhin war er gut erzogen. “Oh, du bist Informatiker? Mein Bruder studiert auch in …” Nils blendete den Rest aus. Die Unterhaltung führte er sicher auch zum tausendsten Mal. Er konnte auf Autopilot stellen, ohne sich noch Gedanken über die Antworten seines Gegenübers zu machen. Er verstand mittlerweile auch, warum viele diese Besichtigungstermine einfach als Gruppenveranstaltung zu machen. Nils hatte das als entwürdigend und wenig aussagekräftig empfunden, als er sich durch Wohnungsbesichtigungen hatte quälen müssen. Aber ehrlich, jetzt verstand er es. Nils gab es nicht gerne zu, aber er knickte ein. Nach siebenundzwanzig Bewebern für die WG hatte er die Nase voll. Er saß auf Charlottes Sofa, dass sie in der WG gelassen hatte und holte sein Handy aus der Hosentasche. Die letzte Nachricht von Jules war sieben Wochen alt und war ein Foto gewesen von ihm und seinem neuen Freund. Nils seufzte und drückte auf Anrufen. Er hörte das Freizeichen genau zwei Mal. Jules ließ ihn normal nie warten. “Olga meint, du versuchst mich mit deinem Neuen eifersüchtig zu machen.” Warum sich mit sowas wie Begrüßungen abmühen. Davon hatte er die letzten Tage schon genug gehabt. “Funktioniert es denn?” Er machte sich nichtmal die Mühe es zu leugnen. Jules eben. “Vielleicht ein bisschen”, gestand Nils ein. Er hatte darüber nachgedacht, über die Situation, über das, was Olga gesagt hatte, und Nils war ein großer Fan davon, ehrlich zu sein, auch sich selbst gegenüber. Als Belohnung bekam er ein Lachen von Jules. “Du magst mich also doch”, rief er schließlich euphorisch, gerade so, als hätte Nils ihm gerade seine ewig währende Liebe eingestanden. Nils lächelte. Jules war immerhin erfrischend direkt. Nach all den geheuchelten Zimmerbesichtigungen war das eine schöne Abwechslung. “Vielleicht ein bisschen.” Was Zuneigungsbekundigungen anging hielt sich Nils gerne zurück, allen Leuten gegenüber. Sogar seiner Familie. Aber er merkte, wie sich das richtig anfühlte. Er lächelte immer noch. “Ha …”, kam es etwas atemlos durch das Handy. Jules wirkte ehrlich überrascht. Nils konnte das gut nach empfinden. Er war es auch irgendwie. “Du bist daheim, oder? Ich komm vorbei. In einer Stunde bin ich da. Bis dann.” Mit den Worten hatte Jules aufgelegt. Er hatte nicht mal auf eine Antwort von Nils gewartet. Was wäre gewesen, wenn Nils nicht zuhause gewesen wäre? Naja, gut, wahrscheinlich hätte er sich auch auf den Rückweg gemacht. Er wollte Jules auf jeden Fall sehen. Er hatte ihn die letzten Wochen über vermisst. Nicht, dass er das jemanden auf die Nase binden würde, schon gar nicht Jules. Aber leugnen konnte er es nicht. Irgendwann wachsen einen Leute doch irgendwie ans Herz. Sogar so jemand wie Jules. Oder vielleicht besonders Jules. Nils seufzte. Er sollte sich Gedanken machen, was er Jules zu sagen hatte. Nicht, dass es zu einem Missverständnis kam. Auch sich selbst gegenüber musste er prüfen, ob er wusste, was er wollte. Jules sollte hier einziehen. Nils hatte keine Lust auf neue Leute in seinem Leben, schon gar nicht jemand, der mit ihm unter einem Dach lebte. Und Jules war eine logische Wahl. Er suchte eine neue WG, Olga mochte ihn, Nils mochte ihn, und besonders wichtig: Nils mochte die bisherigen Bewerber für die Wohnung nicht. Er könnte auch Jules anbieten, dass er sein altes Zimmer bekam, und Nils zog in das große von Charlotte. Es war ruhiger, und Nils hegte die Vermutung mit Jules als Mitbewohner, hatte er in seinem Zimmer deutlich häufiger Gesellschaft und brauchte daher mehr Platz. Außerdem würde sich Jules das große Zimmer sehr wahrscheinlich nicht leisten können. Und bei aller Freundschaft … Liebe … Zuneigung? Jedenfalls konnte Nils nicht für Jules mit der Miete runter gehen. Das wäre Olga gegenüber unfair. Also Zimmer tauschen. Nils sah sich unter diesem Aspekt noch einmal in Ruhe um. Charlotte hatte viele ihrer Sachen mitgenommen. Aber das Sofa gab es noch - zu groß für den Umzug - und ein paar Regale und ihr Schreibtisch stand da noch. Alles Möbel mit denen Nils gut leben konnte. Er mochte auch, dass es hier zwei Fenster gab, die viel Licht hinein ließen, aber trotzdem nicht gut einsehbar war für die Nachbarn, weil die Bäume im Innenhof die Sicht ganz gut verdeckten. Es würden auch ohne Probleme seine Sachen aus dem alten Zimmer hier rein passen. Eigentlich hätte er sich das schon viel früher überlegen sollen. Mit Jules wahrscheinlich auch. Er gab gerne zu, dass die Probleme mit Jules hauptsächlich, naja, durch ihn entstanden sind. Nils wusste seit einer Weile, dass Jules begonnen hat, sich nach einer ernsthaften, festen Beziehung mit Nils zu sehnen. Aber Jules war auch intelligent genug, um zu verstehen, dass bloß weil Nils ihm niemals fremdgehen würde, es noch lange nicht bedeutete, dass ihre Beziehung auch als solche bezeichnet werden konnte. Nils hatte sich bisher nur nie dazu überwinden können, auf das, was sie hatten, ein Label zu setzen. Er wusste nicht einmal, ob er in Jules verliebt war. Irgendwie nicht, aber er mochte Jules. Mehr und anders, als andere Menschen. Vielleicht war das seine Art verliebt zu sein. Nils konnte es nicht genau sagen. Aber wenn das Jules offensichtlich reichte, war Nils bereit, ihm genau das zu geben. Wenn sie es eine feste Beziehung nennen wollten, war das für Nils auch okay. Sollten sie dadurch endlich weniger häufig den Kontakt für einige Wochen oder Monate verlieren, war es Nils das wert. Er seufzte trotzdem. Sein Leben hatte sich diesbezüglich definitiv anders entwickelt, als erwartet. Würde er seinen Eltern Jules offiziell vorstellen müssen? Würde das Probleme geben? Hatte er sich generell jetzt offiziell als schwul zu outen? War er überhaupt schwul? Und war das überhaupt wichtig. Das Klingeln der Wohnungstür riss ihn aus seinen Gedanken. Nils schaute auf die Uhr seines Handys. Es war definitiv noch keine Stunde vergangen … Er verließ trotzdem Charlottes altes Zimmer, um den Buzzer zu betätigen. Die Freisprechanlage ging leider immer noch nicht. Er öffnete die Wohnungstür einen Spalt, so dass, wer auch immer der Besuch war, einfach in die Wohnung konnte, und ging selbst in die Küche. Er wollte jetzt einen Tee. Er fand, er hatte sich einen guten Early Grey verdient. Nils versuchte nach seinem gestrichnen Kaffeekonsum jetzt auch langsam seinen Tein-Konsum einzuschränken. Aber heute war eine Ausnahme. Während er heißes Wasser mit dem Wasserkocher aufsetzte, konnte er hören, wie jemand die Wohnungstür hinter sich schloss. Nils lehnte sich mit dem Kopf aus der Küche heraus, um zu sehen, wer gekommen war. Da stand tatsächlich Jules und grinse ihn breit an. Nils erwiderte das Grinsen. “Das ging aber flott”, kommentierte Nils schließlich Jules schnelles Erscheinen. “Hm ja, ich dachte erst, ich mach persönlich mit Leon Schluss, bevor ich hier her komme. Fand aber, dass Whatapp eigentlich viel besser funktioniert. Schneller, weniger emotional und so. Außerdem wohnt der voll in der Pampe und es hätte ewig gedauert, hier her zu kommen und ich wollte …” Plötzlich verstummte Jules in seinem Redefluss und wurde rot um die Ohren. Ein seltener Anblick. “Ich mach mich hier gerade nicht total zum Affen, oder?”, fragte er plötzlich mit echter Besorgnis in seinem Gesicht. Nils grinste. “Ich mach gerade Tee, willst du auch einen?”, fragte er, anstatt zu antworten. Jules seufzte. Auf dem Weg zur Küche, streifte er sich die Schuhe ab und legte seine Jacke über die Kommode im Flur. “Ich will aber keinen schwarzen. Mach mir irgendeinen Früchttee.” Mit dne Worten setzte sich Jules auf die kleine Bank in der Küche. Er beobachtete, wie Nils völlig unbeeindruckt von seiner Anwesenheit, ihren Tee zubereitete. Für Jules holte er die gelbe Tasse mit dem Smiley aus dem Schrank. Seine Lieblingstasse. Er stellte sie, zusammen mit der Zuckerdose vor Jules ab und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Ihm entging dabei nicht, dass Jules seine Finger immer wieder anders verschränkte, oder sich durch die Haare fuhr. Er war nervös. “Willst du hier einziehen?”, fragte Nils schließlich frei heraus. “Oh.” Eigentlich sollte Jules mittlerweile daran gewöhnt sein, dass Nils sehr direkt sein kann. Aber das war überraschend. Auf den Schock griff er nach seiner Tasse Tee und verbrannte sich erstmal die Lippe an dem heißen Getränk. “Scheiße”, fluchte er leise. Nils hob nur seine Augenbraue. “Du könntest mein Zimmer haben, das kostet warm 300 Euro. Ich würde in Charlottes Zimmer ziehen. Olga würde sich außerdem freuen”, führte Nils näher aus. Jules pustete in seinen Tee, er wollte wirklich einen Schluck davon. Das würde sicher seine Nerven beruhigen. “Ich denke, ich würde mich auch freuen”, fügte Nils mit einem Lächeln hinzu. Kein selbstsicheres, sondern irgendwie leise, unsicher, ehrlich. Ein seltenes Lächeln. “Denkst du?”, fragte Jules, sah von seinem Tee auf und bemerkte erst jetzt den Ausdruck in Nils Gesicht. Wieder senkte er seinen Blick, pustete in die Tasse. Die Ohren wieder rot. Hier befanden sie sich beide auf unbekannten Terrain. “Du meinst es wirklich ernst, oder?”, fragte Jules schließlich. Nils setzte schon dazu an, etwas zu sagen. Aber wurde von Jules wieder unterbrochen. “Nicht mit dem Zimmer, ich weiß, dass du das ernst meinst. Ich meine, mit uns. Das du … mich magst. Das wir … wir sind?” “Ja”, war Nils schlichte Antwort. “Holy fuck”, stieß Jules aus, stellte die Tasse endlich ab. “Du meinst, so richtig. Du sagst Leyla, sie soll ihre Griffel von dir lassen, weil du vergeben bist. Mit mir. Und du stellst mich deinen Eltern als deinen Freund vor? Und … okay, alle anderen sind … informiert. Irgendwie. Naja …” Nils begann zu lachen. “Ich soll dich meinen Eltern offiziell vorstellen? Bist du sicher?” Die Euphorie von Jules war irgendwie liebenswert. Und wenn Nils an ihr erstes Treffen zurück dachte, musste er feststellen, dass sie … weit gekommen waren. Deutlich weiter, als Nils jemals erwartet hätte. Eigentlich hatte er von Jules gar nichts erwartet. Schon gar nicht, dass dieser sich irgendwann über eine Beziehung freuen würde. Mit ihm. Nicht, dass er nicht toll war, aber sie waren beide nicht unbedingt … einfach. Vor allem nicht in Zwischenmenschlichen. “Hm. Ich würde gerne ihre entsetzten Gesichter sehen”, gab Jules mit einem Grinsen zu. “Dann musst du mich auch deiner Mutter vorstellen. Also überhaupt. Ich glaube nicht, dass sie weiß, dass es mich gibt.” Nicht, dass es Nils störte. Endlich war sein Tee genug abgekühlt, selbst davon zu trinken. Er fand, er hatte sich das verdient. “Vorher gefriert die Hölle zu.” Jules klang dabei düster. Wie immer, wenn man seine Mutter erwähnte. “Dann sind wir uns ja einig.” Nils grinste ihn breit an. Keine Eltern. Vorerst. “Ich will aber, dass du das Leyla mit uns so richtig unter die Nase reibst. Vielleicht mit einem Foto? Oder wir gehen zu ihr und machen direkt …” Nils musste nur wieder seine Augenbraue hochziehen und Jules verstummte. Die Kommunikation zwischen ihnen stimmte immerhin. “Gut, ein Foto reicht.” Nils seufzte. Er beugte sich aber über den Tisch, zog Jules zu sich. Er japste überrascht aus, während Nils ihn küsste und tatsächlich ein Foto mit dem Handy machte. Jules fand, er sah total bescheuert aus, weil er entsetzt in die Kamera starrte und man fast den Eindruck bekommen konnte, Nils hatte ihn zu dem Kuss gezwungen. So sah kein frisch verliebtes Paar aus. Aber würden sie überhaupt jemals so aussehen? Kapitel 38: Alles wie gehabt ---------------------------- “Mein Freund will ja, dass ich mal mit ihm Skifahren gehe.” Mimi legte ihren Kopf an Imogens Schulter, seufzte dabei. Ihre Füße platzierte sie auf dem Sitz gegenüber. Die alte Frau, die in der Sitzreihe gegenüber saß, warf ihr einen bösen Blick zu, sagte aber nichts. Mimi bemerkte den Blick nicht einmal. “Wo ist das Problem? Ich dachte, du magst Skifahren.” Imogen scrollte auf ihrem Smartphone durch neue Twittermeldungen. Naja, neu … Sie hatte das Gefühl, jede Meldung mindestens schon fünf Mal gesehen zu haben. Was zum einen daran lag, dass jeder dasselbe schrieb. OMG Schnee. So Kalt. Mist Winter. Warum regen sich alle über das Wetter auf, Winter ftw. Geil, endlich Snowboarden. Zum anderen gab es im Internet nie etwas neues. Als sie auf die S-Bahn gewartet haben, hatte sie schon ihre Zeit damit tot geschlagen, durch ihre Timeline zu schauen. Seit dem hatte sich nicht wirklich etwas getan. Mimi war dabei wie eine akustische Untermalung gewesen. Sie sagte auch immer dasselbe. Warum ist es so kalt? Kann die S-Bahn nicht schneller kommen? Mein Freund hier. Mein Freund da. Was machst du im Winter? Findest du Schnee nicht auch so eklig? So nass und kalt? Viele Fragen, auf die Imogen beiläufig antwortete. Sie war gut im Multitasking. “Was? Nein. Ich hasse Skifahren. Ich mag nur Snowboarden, aber mein Freund besteht darauf, dass Skifahren viel besser ist … und ich versteh einfach nicht, warum er nicht verstehen kann, dass ich das anders sehe.” Mimi seufzte wieder, schielte dabei auf das Display von Imogens Smartphone. Sie nahm es ihrer Freundin nicht übel, dass sie nebenher auf ihrem Handy herumdrückte. So war Imogen, sie musste immer mindestens zwei Sachen auf einmal machen, sonst langweilte sie sich. Mimi wusste, dass sie es nicht böse meinte. “Meine Ex-Freundin hat mir nur einmal gezeigt, wie man Snowboard fährt. Sie hat das aber voll schlecht erklärt und meistens bin ich nur hingefallen …”, führte Imogen ihr einziges Wintersport-Erlebnis aus. “Was meinst du mit Ex-Freundin?” Mimi setzte sich aufrecht hin, um Imogen genau anzuschauen. Diese hielt mit dem Scrollen inne, als wäre ihr jetzt erst aufgefallen, was sie gesagt hatte. Sie scrollte wieder weiter, immer noch den Blick auf das Display gerichtet. “Meine Ex-Freundin. Sowie ein Ex-Freund.” Ihre Stimme klang dabei neutral. Sie hatte sowieso schon länger vorgehabt, sich vor Mimi zu outen. Imogen mochte nur nicht diese erzwungen Gespräche, die sie schon mit ihrer älteren Schwester und Mutter geführt hatte. Hey, uhm, hast du einen Moment Zeit, ich will über etwas wichtiges reden. Nein, nein, nicht schlimmes. So begannen keine guten Gespräche. Vor allem, weil Imogen es wirklich nicht so dramatisch fand. Von Mimi kam keine Reaktion, also sah sie doch auf. Mimi hatte ihre Stirn gerunzelt, als wüsste sie nicht so ganz, wie sie die Situation einordnen soll. Was verständlich war, immerhin hatten sie sich dadurch kennen gelernt, dass Imogen mit Mimis Bruder zusammen gewesen war. Hatte nicht solange gehalten, aber die Freundschaft von Mimi blieb erhalten. Mimi mochte ihren Bruder aber auch nicht allzu sehr. “Ich bin bi und wir müssen jetzt raus.” Imogen stand auf, steckte ihr Smartphone ein. Sie zog ihre Augenbrauen hoch. Mimi sah sie immer noch an, als wäre ihr ein zweiter - vermutlich bisexueller - Kopf gewachsen. Die S-Bahn hielt an. Imogen verdrehte die Augen und ging zur Tür, die sich in dem Moment öffnete. Was Mimi endlich dazu veranlasste, selbst auch die S-Bahn zu verlassen. Imogen beobachtete, wie die S-Bahn davon fuhr. Die alte Frau warf ihnen beiden immer noch einen bösen Blick zu, was Imogen dazu veranlasste, ihr breit nach zu grinsen. Was sollte man sonst auch tun? “Ich glaube, die mochte uns nicht.” Imogen nickte der S-Bahn nach. Nicht, das man so noch wissen konnte, wen sie damit gemeint hatte. “Die alte Frau?” Also war es Mimi auch aufgefallen. Imogen war überrascht. “Jub. Ich weiß nicht, was sie mehr schockiert hat. Deine Schuhe auf dem Sitz, oder ich.” Sie grinste immer noch. Imogen hatte zwar nicht die Angewohnheit, unhöflich zu alten Leuten zu sein. Aber sie mochte es nicht, wenn Leute nicht sagten, wenn sie etwas störte. Die alte Frau würde sich jetzt wahrscheinlich noch die nächsten zwei Wochen über die unflätige Jugend ärgern, aber hätte ihnen beiden auch gar nicht die Chance gegeben, es besser zu machen. “Definitiv die Schuhe”, sagte Mimi mit einer Bestimmtheit, die teil ihres süßen Charmes war. “Ich denke auch.” Imogen hatte ihre Hände tief in die Taschen ihres Parkers vergraben und schaute nach oben. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Was dachte sie eigentlich über Schnee? Sie wusste nur, dass sie Snowboarden nicht mochte. Mimi hängte sich bei ihr ein, folgte ihrem Blick nach oben. Imogen lächelte. So hatte sie sich das vorgestellt. Sie machten sich gemeinsam auf den Weg zu Imogens Wohnung, die zehn Minuten zu Fuß von der S-Bahnstation lag. Im Sommer hatte das noch so gewirkt, als wäre es gleich um die Ecke. Im Winter war die Strecke definitiv länger. “Wie viele Freundinnen hattest du bisher?”, fragte Mimi schließlich. “Eine.” Und nur drei Monate. Was Imogen nicht dazu sagte, immerhin machte es keinen Unterschied. Selbst wenn sie keine einzige Freundin bisher gehabt hätte. Es hätte nur das Outing-Gespräch etwas schwieriger gemacht. Sie erinnerte sich noch daran, als sie ihrer älteren Schwester davon erzählt hatte. Damals war sie nur in Sarah verknallt gewesen, hatte aber nicht gedacht, überhaupt Chancen zu haben. Ihre Schwester hatte darauf bestanden, dass sie gar nicht wissen könnte, ob sie bisexuell war, wenn sie nie mit einem Mädchen zusammen gewesen war. Was für ein Bullshit. Immer noch. “Und Typen?”, fragte Mimi weiter. Sie genoß es ein wenig, ihr endlich mal mehr persönliche Fragen zu stellen. Imogen führte ungern persönliche Gespräche. “Drei.” Imogen fand es leichter, eine Beziehung mit einem Kerl einzugehen. Man musste niemanden etwas erklären. Alles wie gehabt. “Mhm…”, kam es von Mimi. Ihre Freundin wusste nicht, was sie mit dieser Antwort anfangen sollte, aber es klang nicht negativ. Den restlichen Weg zur Wohnung erzählte Mimi wieder, was sie gegen den Ski-Trip hatte. Imogen wusste nicht, wie sie ihr bei dieser Sache helfen sollte. Es gab Dinge, die konnte man nur für sich selbst entscheiden. Mimi begleitet Imogen noch bis zu ihrer Wohnung. Sie selbst wollte noch weiter zu ihrem Freund, der noch zwei Straßen weiter wohnte. Sie würde mitkommen zum Skifahren, hatte sie beschloßen. Mimi gab Imogen zum Abschied, wie immer, zwei Küsschen auf die Wange, drückte sie kurz an sich. “Ich wette, ich hab schon mit mehr Mädchen rumgeknutscht, als du”, flüsterte sie Imogen verschwörerisch zu, ein Glitzern in den Augen. Imogen lachte. “Darauf möchte ich wetten! Richte noch Grüße an Max aus.” Imogen zwinkerte Mimi zu, sperrte die Haustür auf. Mimi winkte ihr breit grinsend zu, und machte sich auf dem Weg zu ihrem Freund. Kapitel 39: Die Anderen ----------------------- Er wusste, was die Anderen über ihn sagten. Er wusste auch, dass sie recht hatten mit ihm. Selbst wenn sie nicht mal die Hälfte über ihn wussten. Nein, nicht mal ein Bruchteil kannten sie von ihm. Trotzdem hatten sie recht. Er war wie ein wild gewordener Hund. Sie warteten nur darauf, dass er wieder um sich biss. Und oh Gott, wie fest er beißen konnte. Mit Fäusten und Tritten. Bis er Blut auf seiner Zunge schmeckte. Häufig sein eigenes. Aufgerissene Fingerknöchel. Aufgeschlagene Lippen. Aufgebrachte Gefühle, die nicht zu beruhigen waren. Er wusste, dass sie sich wünschen, man könnte ihn einfach loswerden wie einen Hund. In der Tonne ertränken. Einschläfern. Er konnte es in ihren Blicken sehen. Die Ablehnung. Verachtung. Hass. Sie waren wie sein Spiegelbild. Reflektieren alles, was er schon über sich wusste. Nichts davon, was es vielleicht mehr zu wissen gab. Gab es mehr zu wissen? “Du solltest damit aufhören, weißt du.” Seine Stimme klang so, als wüsste er alles über ihn. “Ich meine damit, dass du dich selbst so zerfleischt.” Er verdrehte die Augen, schnaubte kurz dabei. Abgerundet wurde es durch ein abfälliges Lächeln. Er würde die Aussage nicht mit einer verbalen Antwort honorieren. “Nein, ernsthaft, Alter. Ich verstehe einfach nicht was dein Problem ist.” Diesmal gab es nicht einmal Mimik als Reaktion. Stattdessen konzentrierte er sich auf seine Arbeit vor ihm. Ein Zaun und Holzlasur. Neben ihm hörte er nur ein Seufzen. Er kannte das Geräusch. Enttäuschung. Natürlich kannte er es. Es war das logische Ende bei einer Unterhaltung mit ihm. Und das, was jedes Mal ein bisschen mehr an ihm riss. Solange reißt, bis er wieder beißt. Aus dem Augenwinkel konnte er beobachten, dass der Andere sich anstatt zu gehen, an den ungestrichenen Teil des Zauns lehnte und ihn ansah. Er wartete. Lauerte. Es war eine Falle. Der Griff um den Pinsel wurde stärker. Er konnte seine Fingerknöchel sehen, wie sie unter dem Schorf weiß wurden. Er würde nicht in die Falle tappen. Er wusste, dass sie alle nur auf eine Chance warteten, ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen und ein Messer in den Rücken. Er wünschte, er könnte auf der Hut sein. Aber am Ende blieb er nur ein wilder Hund, der sich nach Berührung sehnte. So ausgehungert nach Liebe, wie er Angst davor hatte. “Hör mal, du kannst mit mir reden. Okay? Ich weiß, es ist gerade … nicht leicht. Aber wirklich, ich bin da. Egal, was ist.” Der Hund in ihm jaulte bei diesen Worten auf. Wie sehr wünschte er sich, er könnte ihnen glauben. Darauf vertrauen. Aber Vertrauen wurde bestraft. Es tat weh. “Mhm”, sagte er nur. Ihm wurde auf die Schulter geklopft. Mit einer unwirschen Bewegung versuchte er alles von der Berührung abzuschütteln. Aber nur die Wärme ging. Die Angst blieb. Er folgte dem Anderen mit seinem Blick, als dieser mit einem Kopfschütteln Richtung Haus ging. Kurz trafen sich ihre Augen. Er konnte nicht weg sehen, sonst hatte er verloren. Keine Schwäche zeigen. Er bekam ein Lächeln. Er zeigte seine Zähne. Der Andere verschwand im Haus. Aber er war trotzdem nicht alleine. Die Anderen waren immer überall. Vielleicht wussten sie es nicht, aber er konnte sie hören. Wenn sie über ihn redeten. Auf der Straße. Im Supermarkt an der Kasse. In der Tankstelle. In ihren Vorgärten. Überall wo er hinkam. Sie stellten sich viele Fragen über ihn. Kannten keine Antworten. Und er würde ihnen keine geben. Was war mit ihm falsch gelaufen? Warum war er so kaputt? Was war, wenn er wieder gewalttätig wurde? Wie konnte man es nur mit ihm aushalten? Wie konnte man es nur mit ihm aushalten? Wie konnte man es nur mit ihm aushalten? Wie konnte man es nur mit ihm aushalten? Er schmiss den Pinsel weg, trat gegen die Dose mit Holzlasur. Mit einem dumpfen Geräusch knallte sie gegen die Holzlatten. Hinterließ einen unschönen Fleck. Er trat gegen den Zaun, und nochmal. Sein großer Zeh fing an zu pochen. Mit einem weiteren Tritt konnte er endlich das Holz knirschen hören. Er spürte Blicke auf sich. Er zog die Schultern hoch, verschwand ins Haus. “Fertig mit dem Zaun?” Der Andere hatte es sich mit einem Glas Cola auf dem Sofa gemütlich gemacht. Decke über sich geworfen. Der Fernseher lief. Er nickte. Für ihn hatte sich der Zaun erledigt. Der Andere hätte aber aufsehen müssen, um die Antwort zu sehen. Tat er nicht. Die Antwort war sowieso nicht wichtig gewesen ... “Und, geht es dir jetzt besser?” Die Frage wäre so oder so gekommen. “Klar, warum nicht …” Er zuckte mit den Schultern. Behielt aber den Anderen im Auge. Dieser sah ihn nicht an. Er gab ihm Raum. Freiheit. Oder wollte er einfach seine Nähe nicht? Er setzte sich zu ihm. Jetzt wurde er angesehen, wieder mit dem Lächeln. “Willst du einen Schluck?” Ihm wurde die Cola unter die Nase gehalten. Er griff danach. Das Glas war warm vom Körperkontakt. Die Cola schmeckte scheußlich. Er verzog das Gesicht und stellte sie sofort weg. Der Andere hob seine Decke hoch, bot ihm Nähe an. Er ignorierte ihn. Eine Falle, das durfte er nicht vergessen. “Willst du irgendetwas bestimmtes sehen?”, fragte der Andere in die Stille. “Nein, nicht wirklich.” Er wollte wieder dieser Ruhe. Diese Fast-Nähe. Dieses Fast-in-Ordnung. Nur nicht reden. “Wie hältst du es mit mir aus?” Statt einer Antwort drückte sich sachte ein Fuss gegen sein Bein. Der steckte unter einer Decke und er legte seine Hand darauf. Er wusste, es war nicht viel. Aber gerade soviel, wie er geben konnte. Er sah in seine Richtung. Fast-Glück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)