Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 1: Ankunft auf Gaia --------------------------- Liebevoll sog Hitomi den Duft des feuchten Grases ein und genoss das Streicheln des Windes über ihr kurzes Haar. Es war genau dieser leicht süßliche Duft, der sie an Van erinnerte. Wieder einmal stand er vor ihr und lächelte sie an. Eine helle Sonne strahlte vom hellblauen Himmel herab. In ihrem Glanz funkelten Vans Augen wie von Frost bedeckte Erde. Wellen, vom Wind getrieben, durchquerten die weite Ebene aus hellgrünem Gras, in der es keine Schatten gab. Für einen Augenblick war Hitomi glücklich, ein Gefühl, welches sie schon so lange nicht gespürt hatte. Sie genoss das Kribbeln der Sonnenstrahlen auf ihrer Haut und die Wärme, die in ihrem Innern aufstieg. Doch jener Augenblick war so flüchtig wie süß. Das Bild von Van begann zu verschwimmen, weswegen Hitomi genauer hinsah. Mit Schrecken erkannte sie, dass weder sein schwarzes Haar, noch seine locker sitzende Kleidung vom Wind bewegt wurden. Dann fiel ihr auf, dass er noch genauso aussah wie vor drei Jahren. Vans Erscheinung löste sich schließlich endgültig auf und hinterließ eine leere, graue Ebene. Auf einmal spukten unzählige Zweifel durch Hitomis Kopf, ohne dass sie sich auf diese Welle des Schmerzes vorbereiten konnte. Sie verstand es nicht. So lange ihre Gedanken miteinander verbunden sind, müsste Hitomi ihn sehen können, so wie er ist, nicht wie er einst war. Immer mehr Fragen wirbelten in und um Hitomi herum, schlossen sie ein, hielten sie gefangen. Hitomi, die der Verwirrung im Innern nichts mehr entgegenzusetzen hatte, versuchte mit aller Kraft die Zweifel aus ihrem Kopf zu verbannen. Schließlich gelang es ihr nach zähem Ringen. Sie blieb allein in einer bodenlosen Dunkelheit zurück. Nicht einmal Kleidung spürte sie auf ihrer Haut. Ihr wurde kalt. Der Verzweiflung nahe rieb sie sich ihre Arme und kauerte sich zusammen. Sie erinnerte sich, dass sie schon einmal hier mitten im Nirgendwo befunden hatte. Damals jedoch war sie gefallen und Van hatte sie aufgefangen. Er war das Licht gewesen, welches die Finsternis vertrieben hatte. Das Licht... Weil sie nichts sehen konnte, schloss sie ihre Augen und verlor so ein wenig ihre Angst. Um den Kontakt zu Van wiederherzustellen, stellte sie sich noch einmal ein Bild von ihm vor und suchte nach seiner Präsenz. Sie fand jedoch nichts, so sehr sie sich auch anstrengte. Sie fragte sich: Warum? War Van zu weit weg? Konnte sie ihn deshalb nicht spüren? Spielte die Entfernung bei einer Gedankenverbindung überhaupt eine Rolle? Wieder wurde Hitomi ohne Gegenwehr in den Wirbel aus Fragen gefangen. Sie fühlte, wie ihr Herz scheinbar entzwei gerissen wurde. Doch die Unsicherheit, so schrecklich sie auch sich auch anfühlte, war nur ein dumpfes Echo in einer unendlichen Leere. Sie blieb ohne Antwort. Wach auf! Urplötzlich drang diese Forderung in ihren Kopf ein, verankerte sich und zog Hitomi aus dem Chaos ihrer Gedanken heraus. Dieser eine Satz wurde zu einem gleißenden, farbenfrohen Glühen, das Hitomi einhüllte, sie sanft umschloss und wie auf einem fliegendem Kissen davontrug. Schließlich hörte sie Merles Stimme. Erst aus weiter Ferne, dann auf einmal ganz nah. Langsam schlug Hitomi die Augen auf und sah gerade noch, wie Merle mit ihrer Hand ausholte. Was folgte war eine durchschlagende Wucht, die ihren Kopf zur Weite riss, und ein heftiger Schmerz in ihrer rechten Wange. „Merle!“, schrie sie gellend auf. Daraufhin fing sie sich noch eine Ohrfeige ein. „Ich bin wach, Merle. Hör auf!“ „Was fällt dir ein, einfach so wegzukippen.“, brüllte das Mädchen sie an. „Denkst du etwa, ich mach das absichtlich?“, erwiderte Hitomi mürrisch. „Na klar, du willst mich doch nur ärgern!“ „Was zum...?“ Mühsam stand die junge Frau auf, wobei sie das Gras an ihren Händen und den Doppelmond am Himmel nur am Rande wahrnahm. „Eigentlich wollte ich mir bei dir bedanken, dass du mich daraus geholt hast, aber das hat sich wohl erledigt.“ „Ich setz es auf die Rechnung.“, erwiderte Merle trotzig, während auch sie sich erhob. „Das Dorf Arsus dürfte nicht weit sein.“ Als Hitomi dies von Merle hörte, fiel ihr auf, dass ihr diese Gegend tatsächlich bekannt vorkam. Sie war sich sogar ziemlich sicher. Genau auf dieser Stelle hatte sie schon mal gestanden. Da war sie gerade das erste Mal nach Gaia gekommen. Damals hatte alles seinen Anfang genommen... In Gedanken versunken suchten ihre Augen den nächtlichen Himmel ab. Dort war sie, die blau schimmernde Erde, der Mond der Illusionen zusammen mit seinen hellgrauen Begleiter. Schon komisch, erst jetzt fiel es ihr auf, dass sie den Mond der Erde als einzige ihres Planeten auch von hinten bewundern durfte. Doch wer weiß? Vielleicht, so dachte sie sich, sind auch noch andere Menschen von der Erde auf Gaia. Schließlich war nicht nur ihr diese Reise gelungen, sondern auch Isaak und ihre Großmutter waren dazu in der Lage gewesen. Wieso sollte es nicht auch anderen gelingen? Vielleicht gab es sogar mehr Erdmenschen auf Gaia, als sie es für möglich hielt. Ein Beweiß dafür wäre ja die CD, die Hitomi auf den Marktplatz in Palas gefunden hatte. Die CD. Erst jetzt registrierte Hitomi das Gewicht, welches auf ihrer rechten Schulter lastete. Die Sporttasche hatte sie tatsächlich mitgenommen. Der CD-Spieler mit gerade dieser einen CD war ebenfalls darin enthalten. Erleichtert tat sie einen tiefen Atemzug. Dabei viel ihr der Duft des feuchten Grases unter ihren Füßen auf. Hitomi musste heftig mit den Kopf schütteln um nicht wieder an Van zu denken und so in einer vielleicht für sie tödlichen Vision zu gelangen. Für heute hatte sie genug davon. „Lass uns gehen!“, forderte Hitomi das Katzenmädchen auf und tat ohne eine Antwort abzuwarten die ersten Schritte in Richtung des Dorfes. Doch plötzlich wurde sie von ihren Beinen gerissen. Merle warf sich über sie und hielt Hitomi mit einem stahlharten Griff am Boden gefesselt, während sie ihr den Mund zuhielt. Hitomi wollte Schreien, doch Merle unterband das undeutliche Quieken mit einem leisen, dennoch klaren Sei Still. Dann nahm sie ihre Hand von Hitomis Mund, behielt den Griff jedoch bei. „Was ist denn los?“, flüsterte Hitomi. „So taub kannst nicht einmal du sein. Hörst du denn gar nichts?“, wunderte sich Merle. Hitomi wollte gerade verneinen, als ein schwaches Triebwerksheulen zu ihr durchdrang. „Ist das ...?“ „Ja, ist es. Das Licht hat ihn her gelockt. Ruhe!“, schnauzte Merle sie an und hielt ihr wieder den Mund zu. Beide lagen sie versteckt im hohen Grass, während das Geräusch im schneller anschwoll und schließlich über sie hinweg zog. Daraufhin wurde das Heulen erst leiser, dann wieder lauter. „Er hat uns mit seinen Wärmekristallen entdeckt. Verdammt!“, flucht Merle und riss Hitomi mit sich hoch. „Lauf!“, forderte Merle sie auf. „Ich bin hinter dir.“ „Wohin?“, fragte Hitomi panisch. „Das weißt du doch immer am besten.“, erwidert Merle. Noch bevor Hitomi antworten konnte, explodierte das Heulen in ihren Ohren und feste, kalte Schlingen aus silbernem Flüssigmetall packten ihren Oberkörper. In ihrer Panik rief sie nach Merle, doch da war sie schon fünfzig Meter über der Erde. Als sie ihren Kopf umdrehte, sah sie direkt in die schwarz schimmernde Front eines Guymelef der Zaibacher. Ihre Augen wurden groß und aus ihrem Mund löste sich ein gellender Schrei. „Sei still!“, befahl eine kalte Stimme aus dem Guymelef, woraufhin sich das Flüssigmetall sich noch mehr an ihren Körper presste und Hitomi für einen Augenblick den Atem nahm. Panisch folgte sie der Anweisung ihres Entführers. Sie war den Tränen nah und hielt verzweifelt ihre Augen geschlossen, in der vergeblichen Hoffnung, dass alles nur ein böser Traum ist. Nach einer Viertelstunde ging der Guymelef tiefer und fuhr seine Beine aus. Krachend landete er auf einer Lichtung, die von Fackeln umgeben war. Heftig von der Landung durchgeschüttelt, landete Hitomi mit beiden Füßen auf den Boden. Der Aufschlag jagte einen gleißenden Schmerz durch beide Fußknöchel, woraufhin sie nach vorne kippte. An den Vorderarmen begann die Haut zu brennen und die Schmerzen verschleierten ihre Gedanken. Der Nebel wurde dichter, als sie jemand an dem rechten Vorderarm packte und aufrichtete. „Das Aussehen stimmt und diese Kleidung trägt sonst niemand anders auf der Welt.“, tönte eine Stimme, die ihr nur noch mehr Angst einjagte. „Wir haben sie gefunden, Leute. Packt alles ein und gebt es auch an die Spählager weiter! Wir können endlich nach Hause.“ Lauter Jubel umgab Hitomi. Langsam lichtete sich der Schatten über ihrer Wahrnehmung. Sie konnte gerade noch erkennen, wie Männer die Fackeln um die Lichtung herum löschten, dann zog man ihr eine Haube aus Stoff über den Kopf und fesselte beide Hände. Das raue Seil scheuerte an ihrer lädierten Haut. Schließlich drängte man sie in einen Karren und überdeckte diesen mit Stroh. Allzu deutlich roch Hitomi die trockenen Halme. In der nächsten Stunde herrschte reges Treiben um sie herum, von dem sie nicht viel mitbekam. Zu viel war geschehen. Warum war sie nur zurückgekehrt? Ganz gewiss nicht um verschleppt zu werden. Schließlich konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten und begann jämmerlich zu weinen. Es dauerte nicht einmal dreißig Sekunden, da stieß sie jemand an und schrie, sie solle kein Laut von sich geben. Eingeschüchtert schluckte sie ihren Kummer herunter und begann sich zu beherrschen. Was auch immer auf sie zukam, sie würde dem aufrecht entgegen treten. Van würde sie schon irgendwie finden. Bis jetzt hatte er sie jedes Mal getan. Dieser Gedanke begleitete sie, als schließlich der Karren und der restliche Zug sich in Bewegung setzten. Der schlechten Straße war es zu verdanken, dass Hitomi während der gesamten Nacht kein Auge zudrücken konnte. So krochen die Stunden dahin. Wegen der immerwährenden Dunkelheit war sie für jeden Eindruck aus ihrer Umgebung dankbar. Sie hatte daher ihre Augen geschlossen und ergab sich ganz dem Einfluss ihrer anderen Sinne. Da waren das Rattern des Wagens, die aufsteigende und intensiver werdende Wärme auf ihrer Haut, der schwere Geruch des Strohs und der lebhafte Gesang der Vögel. Der plötzlich verstummte. Hitomi bekam ein flaues Gefühl und konzentrierte sich darauf. Dann sah sie es. Brennende Wagen, in Flammen stehende Menschen und ein Guymelef, der wie Königin über dem ganzen Leid schwebte. Die drahtige, raubtierartige Form der riesigen Maschine war ihr wohlbekannt, ebenso die blonden Haare, die aus dem Hinterkopf der Maschine ragten. Der heiße Wind aus den Düsen des Guymelef schien alles wegzublasen, doch Hitomi schien er nicht zu berühren. Stattdessen durchfuhr sie ein heftiger Schmerz, als würde ihr Inneres weggerissen werden und sich auflösen. Hitomi schrie aus vollem Leibe und kauerte sich zusammen, doch der Schmerz zuckte weiter durch ihren Körper. Schlagartig war alles vorbei. Sie blieb schweißgebadet liegen, zog sich so weit wie möglich zurück und weinte um die Toten. Plötzlich traf sie etwas mit voller Wucht an ihrer Schulter und riss sie außer ihrer Schockstarre heraus. Eine Hand zerrte an ihren Haaren. „Sei still oder ich schneide dir deine Zunge heraus!“, zischte jemand bedrohlich in ihr Ohr. Einen Augenblick später brach Chaos aus. Geschosse schlugen hinter und vor ihrem Karren mit ohrenbetäubenden Krachen ein. Die Luft war erfüllt von panischen Rufen. In Hitomi explodierte ein gleißender Schmerz, während die Schreie in ihrem Kopf widerhallten. Wieder krümmte sich ihr Körper zusammen und das Herz drohte ihr zu zerreißen. Dann hörte es auf, so plötzlich wie es gekommen war. Sie wollte es nicht wahrhaben. Alles erschien ihr wie eine ihrer Visionen, die sie schon so oft gehabt hatte. Alles, was geschehen war, so sagte sie sich, konnte man noch verhindern. Diese Gedanken formten eine Wand um Hitomis Sinne herum, so dass sie weder das anschwellende Heulen von den Düsen eines Guymelef, noch dessen Absterben wahrnahm. Sie merkte auch nicht wie jemand das Stroh über sie entfernte und ihr die Kapuze abnahm. Die geschlossenen Augen hielten Hitomi weiterhin in der Finsternis gefangen, während sie sich weiterhin abkapselte. Dieser Zustand hielt an, bis ein dumpfer Schmerz an ihrer Wange den Nebel um sie herum lichtete. „Das machte mehr Spaß, je öfter ich es tue.“, sagte eine freche Mädchenstimme, die erst in weiter Ferne schien, dann aber näher rückte. „Merle, bist du das?“, fragte Hitomi mit schwacher Stimme. „Wer denn sonst?“, antwortete sie vergnügt. Vorsichtig öffnete Hitomi ihre Augen. Die Sonne blendete sie. Einen Moment lang versuchte ihre Augen abzuschirmen, nur um festzustellen, dass Hände und Füße immer noch gebunden waren. Im nächsten Moment hatte Merle Hitomis Fesseln mit ihren Krallen durchtrennt. Daraufhin half sie Hitomi aus dem Wagen. Als sie wieder auf festen Boden stand, schoss ein gleißender Schmerz durch ihre Knöchel, doch Merle gab ihr Halt und ließ sie langsam zu Boden gleiten. „Was tut dir weh?“, fragte Merle besorgt. „Meine Beine.“, klagte Hitomi. Das Mädchen schaute sich daraufhin beide Fußgelenke an. Währenddessen gewöhnten sich Hitomis Augen langsam wieder an das Licht, doch dank dem Anblick, der sich ihr bot, wünschte sie sich die Dunkelheit wieder zurück. Vor ihr lag im weiten Kreis zerstreut gesplittertes Holz vermischt mit Blut, Eingeweiden und abgetrennten Gliedmaßen. Ein kalter Schauer erfasste und ihr wurde übel. „Wer hat das getan?“, fragte sie heiser. „Ich.“, antwortete Merle ohne Zögern. „Hier sollte sich jemand für seine Rettung bedanken.“ Mit Schrecken erkannte Hitomi den Guymelef aus ihrem Traum. Er stand in nur zehn Meter Entfernung vor ihr. Wie zum Hohn kniete er vor dem angerichteten Unheil mit gesengten Kopf und offener Pilotenkanzel. Entsetzt sah sie dem so putzig wirkenden Katzenmädchen ins Gesicht. Sie wusste nicht, was sie mehr schockierte. Die Erkenntnis, dass Merle der Pilot des Guymelef war, oder der Stolz, der in Merles Stimme mitschwang. „Bitte bring mich hier weg!“, verlangte Hitomi, doch die Kriegerin schüttelte den Kopf. „Du würdest einen Ritt mit meinen Guymelef nicht überstehen. Nicht in deiner Verfassung. Ich habe schon vor meinen Angriff nach einem Luftschiff verlangt. Es müsste in ein paar Stunden hier sein.“ „Bring mich hier weg!“, forderte Hitomi mit mehr Nachdruck. „Ich halt das nicht mehr aus.“ „Was hältst du nicht mehr aus? Wenn dir irgendetwas weh ...“ „Den Anblick halt ich nicht mehr aus. Bring mich sofort von ihr weg!“, unterbrach sie Merle, wobei sich ihre Stimme überschlug. „Sag bloß, du kannst kein Blut sehen.“, erwiderte diese spöttisch. „Merle!“, schrie Hitomi wütend. „Ist ja gut. Mach hier keinen Aufstand!“, sagte sie genervt und hob Hitomi scheinbar mit Leichtigkeit auf. Behutsam trug sie die Verletzte hinter den Guymelef und legte sie dort wieder ab. Augenblicklich schlief Hitomi erschöpft ein. Merle hielt einen Moment inne und beobachtete sie, stand dann aber auf und hielt bei ihr Wache. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)