Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 13: Was sind Engel? --------------------------- Merle lehnte sich entspannt gegen die Felswand einer Höhle und blickte durch deren Eingang hinaus in den nächtlichen Wald. Die Kronen der Bäume webten einen dichten Teppich, hinter dem sie den anbrechenden Tag nur erahnen konnte. Um sie herum herrschte geschäftiges Treiben, das den Morgen ankündigte. Frauen und Kinder der Wolfsmenschen trugen Schalen und Krüge voller Wasser in den Höhlenkomplex, das Katzenmädchen erntete dabei neugierige bis abwertende Blicke. Von drinnen hörte man das Gähnen und Murren weiterer Kinder, das Knistern von Feuerstellen und eine angeregte Unterhaltung vieler Frauen. Merle fühlte eine gewisse Spannung in der Luft. Der Sonnenaufgang stand kurz bevor und die Männer waren noch immer nicht von der Jagd zurückgekehrt. Die Natur jedoch hörte sich so lebendig an wie immer. Es herrschte nicht diese unnatürliche Stille, die auf eine Gefahr hinwies, daher machte sich Merle keine Sorgen. Was auch immer die Männer aufhielt, es waren keine Kopfgeldjäger, die Hitomi gefolgt waren. „Merle?“, sprach sie jemand an. Ein leichter Schreck fuhr durch ihre Glieder, der trotzdem stark genug war um ihre Müdigkeit zu vertreiben. Schnell legte das Mädchen eine entspannte Mine auf und wandte sich zur der Wolfsfrau, die sie angesprochen hatte. „Ah, Linu. Wie geht es Hitomi?“, begrüßte Merle die Frau von Lumu, dem Häuptling. „Sie ist wach und verlangt lauthals nach dir.“ „Geschockt?“ „Wohl nur etwas verwirrt.“, antwortete Linu und ging voraus. Merle folgte ihr durch die Gänge und haderte dabei mit sich selbst. Es passierte ihr oft in letzter Zeit, dass sie unaufmerksam wurde. Ihre Ausbildung war wohl doch zu kurz gewesen. Die Anforderungen eines Kriegers an sich selbst schien sie noch nicht verinnerlicht zu haben. „Wie habt ihr den Winter bisher überstanden?“, fragte Merle Linu, um sich auf andere Gedanken zubringen. „Ganz gut, wie du siehst. Wir haben bisher nur zwei Tote, die an Altersschwäche gestorben sind. Es ist genug Essen für alle da, selbst wenn unsere Männer heute keinen Erfolg haben.“ „Wenn ihr etwas braucht...Du weißt, ihr könnt jederzeit König Van fragen. Farnelia wird euch helfen.“ „Danke, aber wir brauchen keine Hilfe.“, lehnte die Wolfsfrau beleidigt ab und sah Merle missmutig an. „Von niemanden.“ Merle nahm dies mit einem Nicken zur Kenntnis und ärgerte sich über sich selbst. Als Diplomatin würde sie es wohl nie weit bringen. Ihr fehlte das Gespür. Schließlich schlug Linu ein großes Tuch zurück und offenbarte dahinter eine kleine Kammer, die mit zwei Schlaflagern ausgelegt worden war. Mittendrin hockte Hitomi und kämmte sich über eine Wasserschale ihre Haare. „Bei so kurzem Haar brauchst du doch keinen Kamm.“, sagte Merle ihr. „Hallo, Merle.“, begrüßte Hitomi sie und legte den Kamm beiseite. Ihr nächstes Satz triefte vor Sarkasmus. „Wie ich mich freue dich zu sehen.“ „Gefällt es dir hier?“, fragte sie unschuldig. „Kommt ganz darauf an. Bin ich noch in Farnelia?“ „Nicht ganz. Aber ich bin sicher, du kommst auch ohne Luxuswanne und Himmelbett zurecht.“ „Natürlich!“, ätzte Hitomi zurück. „Meine Sporttasche hätte ich trotzdem gerne.“ „Tja, die liegt in der Villa und gammelt feuchtfröhlich vor sich hin.“ „Du hast sie zurückgelassen!“, warf sie Merle vor. „Schlepp du erstmal einen Menschen mit dir rum, der schwerer ist als du selbst. Dann kannst du meckern, aber bis dahin solltest du mir dankbar sein.“, hielt sie dagegen. Beide warfen sich bitterböse Blicke zu. „Ich glaub, das wird mir zu heiß hier drinnen.“, verabschiedete sich Linu und ließ die beiden Streithennen allein. „Dafür, dass du mich mal wieder gegen meinen Willen irgendwo hin geschleift hast?“, konterte Hitomi wenig angetan. „Ich hab dir einen Gefallen getan, ob du es glaubst oder nicht.“, belehrte Merle sie. „Außerdem, was heißt hier Wieder? Es war deine eigene Entscheidung mir nach Gaia zu folgen. Gezwungen hab ich dich jedenfalls nicht.“ „Warum hast du Siri nicht mitgenommen. Sie hätte die Tasche tragen können.“, wandte Hitomi störrisch ein. „Damit ich nicht nur auf dich, sondern auch auf sie aufpassen darf? Nein, vielen Dank.“ In Erinnerungen versunken berührte sie ihren Hals. Ihr war so, als könnte sie noch immer den kalten Stahl auf ihrer Haut fühlen. „Sie war doch ganz geschickt mit dem Schwert. Ich glaube nicht, dass sie einen Aufpasser braucht.“ „Und woher nimmst du die Erfahrung so etwas zu beurteilen? Ich kenne sie sehr viel länger als du. Sie ist meine Schülerin. Ich weiß, was ich tue.“, beendete Merle die Diskussion. Hitomi wollte sich nicht so einfach geschlagen geben und suchte nach Gegenargumenten, doch sie fand keine. „Wo bin ich überhaupt?“, fragte sie stattdessen. „Hat dir Linu nichts gesagt?“ „Nein, sie hat sich mir nur vorgestellt und mich über die Tageszeit aufgeklärt.“ „Wir sind in den Höhlen eines Wolfsmenschenrudel. Hier verbringen sie jedes Jahr die kalten Monate.“ „Also ein Winterquartier.“, stellte Hitomi fest. „Wo befinden sich diese Höhlen genau?“ „Am Rand des Waldes von Farnelia. Hier findet uns kein Mensch.“ “Und warum bin ich hier?“ „Weil ich Lust auf ein Abenteuer hatte.“, antwortete Merle Schulter zuckend. „Merle!“ „Ist ja gut! Ich verstecke dich hier, weil in Farnelia demnächst ein Treffen der Spitzen der Allianz stattfindet.“ „Und?“, hakte Hitomi ungeduldig nach. „Aston weiß dank seiner Kopfgeldjäger, dass du dich in Farnelia aufgehalten hast. Diese Konferenz wurde kurz nach deren Auslieferung an Astoria von ihm einberufen. Der Austragungsort bestimmt dabei immer das Thema. König Van, Gesgan und ich glauben, dass er dich ächten lassen und Farnelia zu deiner Auslieferung zwingen will.“ „Also hat Van dir befohlen mich zu entführen.“, stellte Hitomi enttäuscht fest. „Falsch. Er hat nur gesagt, dass ich dich verschwinden lassen soll. Von einer Entführung war keine Rede.“ „Das heißt, er weiß nichts? Weder wo wir sind, noch ob es uns gut geht?“ „Weder noch. So wird ihm keiner einen Strick drehen können, weil du weg bist. Schließlich wurdest du von einer habgierigen Untergebenen entführt, die dein Kopfgeld einstreichen will.“, brüstete sich Merle. „Das durchschauen die Fürsten doch locker. Vor allem, wenn du das Kopfgeld nicht einstreichst.“, merkte Hitomi an. „Wahrscheinlich, aber solange sie nicht das Gegenteil beweisen können, sind ihnen durch ihre eigenen Verträge die Hände gebunden und Van ist aus dem Schneider.“ „Wie hast du mich hier her geschafft? Zu Fuß?“ „Ich bin doch nicht irre!“, lachte Merle und verpasste so ihrer Freundin einen Knick in ihrem Selbstbewusstsein. „Zieh ein paar Sachen an, dann zeig ich es dir.“ Es dauerte nicht lange, da verließ Hitomi komplett in Leder und Felle gehüllt das Lager. Sie war alles andere als Zufrieden über die Auswahl, doch es war kalt, also fügte sie sich. Sie folgte Merle durch die vielen Gänge des Höhlenkomplexes bis zu einer Kammer, die an einer Seite mit Ästen, Erde und Gestrüpp zugedeckt war. Der Raum war viel größer als alle anderen und beherbergte ein Luftschiff, das aussah, als wäre es eine Kreuzung zwischen einem Kampfjet und einem Hubschrauber. „Was ist das?“ „Ein Luftschiff, das von den Zaibacher hergestellt worden ist. Wahrscheinlich noch ein Prototyp. Wir haben es von Kopfgeldjägern erbeutet. Es wird im Gegensatz zu seinen Artgenossen nicht mehr nur mit fliegenden Steinen in der Luft gehalten, sondern mit rotierenden Blättern. Wenn es sich sehr schnell vorwärts bewegt, sorgt auch die Form der Flügel für Auftrieb. Die Steuerung erinnert mich an meinen Guymelef.“ „Dein Guymelef...? Ach ja, Van erzählte mir, du hast Folkens Guymelef von Astoria geschenkt bekommen.“ „Damals hatten wir uns noch gut verstanden. Ich wette, du hast dich tierisch erschreckt, als ich dich damit gerettet hatte.“, kicherte Merle. „Ein bisschen.“, gab Hitomi zu und verdrängte die aufkeimenden Erinnerungen. Das Mädchen ging die Rampe am Heck hinauf und sie folgte ihr zögernd. „Dieses Schiff gibt uns totale Freiheit.“, schwärmte Merle. „Wir können jederzeit verschwinden, wenn wir Lust haben oder wenn die Umstände uns dazu zwingen.“ „Wir haben aber nur die Freiheit wegzulaufen.“; widersprach Hitomi. „Nach Farnelia könnten wir selbst damit nicht fliegen.“ „Oh, könnten täten wir schon.“, gab Merle zu bedenken. „Das Schiff hat eine Tarnvorrichtung, aber Van kannst trotzdem du nicht besuchen. Insofern hast du recht.“ Neugierig beobachtete sie Hitomis Reaktion. „Aber das sollte dich nicht kümmern, da du ihn sowieso nicht wieder sehen willst.“, quatschte sie munter weiter und schöpfte neue Hoffnung, da sich Kummer auf Hitomis Gesicht abzeichnete. „Sag bloß, du sehnst dich noch nach ihm. Hast du ihm etwa schon vergeben?“ Verlegen wich Hitomi den großen Augen ihrer Freundin aus und starrte stattdessen auf den Boden. „Ha, das muss ich ihm gleich schreiben! Er wird außer sich sein vor Freude.“, frohlockte Merle und sprang auf und ab, bis Hitomi ihr plötzlich den Mund zuhielt. „Du wirst nichts sagen! Hast du mich verstanden, Merle?“, fragte sie mit stechendem Blick. „Ich werde einen Weg zurück zur Erde finden, selbst wenn ich um ein Spaceshuttle bitten muss. Wenn Van mich noch liebt, soll er mich von dort abholen. Er, nur er, und ohne ein Hinweis von dir!“ „Warum willst du zurück?“, rätselte Merle, nachdem Hitomi sie losgelassen hatte. „Hier hast du alles, was du zum Leben brauchst. Eine Bleibe, Freunde und einen Kerl, der dich abgöttisch liebt.“ „Ich kann nicht einfach siebzehn Jahre meines Lebens unter den Teppich kehren für jemanden, der es nicht für nötig hält, sich um mich zu kümmern. Auf der Erde liegt auch ein Leben vor mir.“, konterte Hitomi entschlossen. „Wenn er mich liebt, kommt er. Wenn nicht, werde ich einsam sterben. Ich warte auf ihn. Alles andere liegt bei Van.“ Hitomi drehte sich um und ging großen Fußes die Rampe hinunter. „Warte mal! Das kannst du nicht machen!“, rief Merle. „Du kennst doch Van. Wenn du ihm nicht kräftig in den Hintern trittst, dauert es eine Ewigkeit, bis er sich aufrappelt. Unter deinen Bedingungen wird er nie kommen, es sei denn, du lässt mich zutreten.“ „Er ist schon einmal gekommen.“ „Ja, nachdem ich ihm vom Dach der Mühle gestoßen habe.“ „Dieses Mal wirst du es nicht tun! Ende der Diskussion!“, forderte Hitomi und setzte ihren Gang fort. Fassungslos lief das Katzenmädchen hinter ihr her. „Wie willst du überhaupt zurückkehren?“ Hitomi wandte sich Merle zu und grinste. „Wie wohl? Ich werde mich bei den Engeln erkundigen, warum ich keine Lichtsäule erschaffen kann.“ „Engel? Was sind Engel?“, wunderte sich Merle, doch Hitomi beachtete ihre verdatterte Freundin nicht weiter und ging zurück zum Lager. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)