Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 31: Ein geheimes Wiedersehen ------------------------------------ Durch einen schmalen Silberstreif am Horizont über den Reisfeldern von Fraid kündigte sich der kommende Tag an. Hitomi saß im Cockpit des von den Kopfgeldjägern erbeuteten Luftschiffes und genoss den Anblick des frühen Sonnenaufganges. „So schön!“, hauchte sie. Das Leben erwacht Licht vertreibt die Dunkelheit Kein Ende in Sicht Hinter ihr glitt die Tür zur Seite und Merle betrat mit nassen Haaren und einem Handtuch in ihren Händen das Cockpit. „Du bist wach?“, fragte sie erstaunt. „Sag bloß, du hast durchgehalten.“ „Natürlich.“, bestätigte Hitomi. „Ich sagte doch, du kannst dich auf mich verlassen.“ „Stimmt. So etwas in der Art hast du behauptet. Platz mir jetzt aber nicht aus allen Nähten, nur weil du eine Nacht durchgehalten hast. Ich kann ohne größere Probleme eine ganze Woche ohne Schlaf auskommen.“, behauptete Merle, während sie sich mit dem Rücken an die Schiffswand lehnte und sich das Haar abrubbelte. „Pass du lieber auf, dass du vor lauter Stolz nicht das ganze Schiff sprengst.“, erwiderte Hitomi lachend. „Ha, Ha! Wie ist überhaupt der Kampf von gestern ausgegangen?“ „Was?“ „Na, du hast doch gestern Abend, nachdem du dich mal wieder in Tränen aufgelöst hattest, von einem Kampf zwischen zwei Auren berichtet.“, erinnerte Merle. „Ach so, der.“, sagte Hitomi betont gleichgültig, wobei Merle der Schmerz in ihrem Unterton nicht entging. „Entschuldige, wenn ich dir…“ „Die Aura, welche ich aus den Wolfshöhlen kenne, hat gewonnen. Die andere Aura kann ich seit ein paar Stunden nicht mehr spüren. Wenn es sie noch gibt, wird sie durch eine dauerhafte Verbindung zwischen beiden Auren kontrolliert.“, unterbrach Hitomi sie. Merle schluckte. „Meinst du, die unterlegene Aura…die Person, der die unbekannte Aura gehörte,…meinst du, sie hatte noch einen freien Willen nach dem Kampf?“ „Wenn, dann nur im begrenzten Maße. Der Einfluss der Siegeraura war sehr stark.“ „Verstehe.“ Merle lief es allein bei dem Gedanken an das Schicksal dieser unbekannten Person kalt den Rücken runter. Schnell verdrängte sie alles, was Hitomi ihr erzählt hatte, aus ihren Gedanken. „In fünf Minuten bin ich fertig. Dann können wir los.“, teilte Merle Hitomi mit. „Wo treffen wir uns überhaupt mit Cid?“, wollte Hitomi wissen. „In der Villa, die einmal seiner Mutter gehört hatte.“ „Ich wusste gar nicht, dass sie eine besaß.“ „Nun, sein Vater schien ihr gegenüber sehr spendabel gewesen zu sein. Außerdem wurde seit ihrem Tod nichts in der Villa weggenommen, hinzugefügt oder sonst irgendwie verändert. Seine Eltern müssen sich wirklich sehr geliebt haben.“, meinte Merle. „Ach, du weißt es ja noch gar nicht. Cid ist…“ Plötzlich stoppte Hitomi. Auf einmal wurde ihr klar, dass sie beinahe mal so eben das größte Geheimnis um Cid ausgeplaudert hätte. „Was?“, fragte Merle neugierig. „Was ist mit Cid? Weißt du etwa von etwas, von dem ich nichts weiß?“ „Wolltest du dich nicht noch fertig machen, Merle? Oder soll dich Cid etwa in einem Nachthemd sehen?“ „Was heißt hier `Nachthemd`? Das ist meine normale Bekleidung.“, schnauzte Merle. „Also ich würde so etwas nur im Dunklen anziehen.“, neckte Hitomi sie und gratulierte sich selbst zu dem gelungenen Themenwechsel. „Ach ja? Ich hab wenigstens ein ordentliches Kleidungsstück. Du läufst ja immer noch in den gleichen, stinkenden Fellen rum, die du von den Wölfen hast.“, konterte Merle aufgekratzt. „Das ist ja wohl deine Schuld. Schließlich hast du meine Tasche zurückgelassen.“, keifte Hitomi zurück. „Geh doch zurück nach…“ „Merle, es ist genug.“, unterbrach Hitomi sie streng und sah sie ernst an. „Geh dich bitte umziehen! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“ Merle war angesichts des Tadels einen Moment fassungslos und wollte schon scharf zurückschießen, beließ es dann aber dabei und verließ das Cockpit. Zehn Minuten später hob das Luftschiff mit Merle, die ihren schwarzen Kampfanzug trug, an Kontrollen ab und flog in Richtung des Palastes des Herzogtums Fraid. Nach nur wenigen Minuten landete das Schiff neben der Villa und enttarnte sich im Schutz des dichten Waldes im Palastgarten. Hitomi ließ Merle zuerst aussteigen. Schließlich winkte Merle sie zu sich. „Es ist alles in Ordnung. Du kannst rauskommen.“ „Was ist mit der Aura innerhalb der Villa.“, erkundigte sich Hitomi. „Keine Angst. Das ist nur Cid. Er erwartet dich.“ Vorsichtig schritt Hitomi die Rampe hinunter. Auch sie spürte nur die eine Aura, traute ihren Kräften aber noch nicht über den Weg. Verwundert beobachtete sie, wie Merle wieder zurück in das Luftschiff ging. „Kommst du nicht mit?“, fragte sie unsicher. „Jemand muss die Tarnung des Schiffes wieder aktivieren und bei aktiver Tarnung kann man das Schiff weder betreten noch verlassen. Du bist auf dich allein gestellt.“ „Merle, was ist, wenn jemand kommt?“ „Ich werde rechtzeitig da sein und dich retten.“, versicherte Merle und ließ die Rampe hochfahren. Hitomi nickte zustimmend und staunte, als das Luftschiff unter der Morgensonne einmal kurz aufblitzte und dann vor ihren Augen verschwand. Mit klopfenden Herzen betrat sie die Villa. Ihre Angst wich zusehends der Freude, dass sie endlich nach so vielen Jahren den kleinen Cid wieder sehen würde. Ob er sich wohl auch so sehr wie Van verändert hatte? Aufgeregt folgte sie der Aura bis in das Kaminzimmer. Erleichtert atmete sie auf, als sie ihn schließlich vor dem Kamin hocken sah. Obwohl das Haus vor Kälte zu erfrieren schien, brannte im Kamin selbst kein Feuer. Hitomi trat näher und stellte verwundert fest, dass Cid ihre Anwesenheit gar nicht zu bemerken schien. Er starrte weiter geistesabwesend auf den leeren Kamin und rührte sich nicht. „Guten Morgen, Prinz Cid.“, begrüßte sie ihn. Erschrocken drehte sich Cid zu ihr um. „Oder sollte ich lieber sagen `Eure Hoheit`?“ „Hitomi! Oh, ich freu mich so dich zu sehen.“, grüßte Cid überschwänglich zurück und stürmte auf sie zu. „Hey, langsam! Dein Verhalten ziemt sich nicht für einen Herzog.“ „Oh, natürlich, du hast recht.“, erwiderte Cid wehmütig und trat einen Schritt zurück. „Ach ja? Was bitte schön ist aus dem quietschlebendigen Cid geworden, den ich vor drei Jahren kennen gelernt habe? Ich glaube, ich bin im falschen Haus.“, scherzte Hitomi. „Nein, du bist hier richtig.“, sagte Cid. „Die Zeit hat mich verändert. Mehr, als du glaubst.“ Traurig lächelnd betrachtete Hitomi den blonden Jungen in seiner aristokratischen Kleidung. „Größer als damals bist du jetzt auf jeden Fall. Auch das Schwert an deiner Seite ist gewachsen, wie ich sehe. Aber ich denke, du hast dich weniger verändert als du vielleicht glaubst. Na komm, lass dich drücken!“, forderte Hitomi ihn auf und umarmte ihn fest. Cid erwiderte die Umarmung mit ganzer Seele, bis Hitomi schließlich von ihm ab ließ. Zusammen setzten sich beide auf den Teppich vor dem Kamin. „Wie ist es dir in den letzten drei Jahren ergangen?“, fragte Hitomi neugierig. „Den Umständen entsprechend ganz gut, schätze ich. Der Palast steht wieder, auch wenn er sich mit der Pracht und den Ausmaßen seines Vorgängers nicht messen kann.“ „Cid, es kommt überhaupt nicht auf die Größe an.“ „Wirklich?“ „Ach, vergiss es! Erzähl bitte weiter.“ „Es ist ein Wunder, dass der Palast überhaupt wieder steht. Die Zaibacher hatten nichts außer kalter Asche zurückgelassen und wir mussten hier in der Hauptstadt von ganz von vorne anfangen. Ohne die Unterstützung meines Volkes hätte ich es nie geschafft.“, berichtete Cid. „Natürlich.“, meinte Hitomi. „Was ist schließlich ein Herrscher ohne sein Volk.“ „Ziemlich einsam, glaube ich.“, stimmte Cid zu. „Aber in meinem Fall ist dies nicht einfach nur ein oberflächlicher Spruch. Mein Vater hat viele Verwandte, die auf Grund meines Alters die Krone oder zumindest die Vormundschaft forderten. Wäre das Volk und die Armee nicht auf meiner Seite gewesen, ich wäre nicht lange Herzog geblieben.“ Hitomi beschloss, dies nicht weiter zu kommentieren. Stattdessen sah sie sich etwas im Kaminzimmer um. „Wenigstens scheint dieses Haus den Zaibachern entkommen zu sein.“, sagte sie. „Ja, wie durch ein Wunder hatte der Wald im Palastgarten und Mutters Villa während dem Angriff keinen Schaden genommen, obwohl die Zaibacher den ganzen Palast abfackelt hatten. Unglücklicherweise hat das Haus nicht die ganze Zeit unbeschadet überstanden.“ „Was ist passiert?“ „Vor ein paar Monaten ist hier jemand eingebrochen.“, erzählte Cid. „Die Hintereingangstür war aufgebrochen worden und musste ersetzt werden.“ „Was wurde gestohlen?“, erkundigte sich Hitomi. „Scheinbar nichts. Ich hatte eine genaue Inventur des Bestandes durchführen lassen. Alles war noch an seinem Platz.“ „Seltsam. Was wollte der Einbrecher dann hier?“, fragte Hitomi. „Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Aber ich bin froh, dass nicht mehr passierte. Die Villa ist mir doch sehr ans Herz gewachsen, besonders in den ersten Monaten nach der Invasion. Während dieser Zeit übernachtete ich hier.“, antwortete Cid. „War bestimmt nicht einfach, so kurz nach dem Tod deines Vaters hier drin schlafen zu müssen.“, mutmaßte Hitomi. „Ganz im Gegenteil. Diese Villa half mir über den Schmerz hinweg. Es steckt so viel Liebe von Mutter und Vater in diesem Haus. Es war…als würden beide direkt neben mir schlafen. Nur wegen der Geborgenheit dieser Räume konnte ich überhaupt ein Auge zutun.“, widersprach Cid verträumt. Plötzlich kullerten zwei Tränen seine Wange hinunter. Als Hitomi das sah, fühlte sie sich sofort schuldig. Sie rückte näher an Cid heran und drückte ihn fest an sich. „Ich darf nicht weinen. Vater hat es mir doch verboten.“, flennte Cid und lehnte sich an sie. „Nein, das ist Unsinn. Natürlich darfst du weinen. Jeder Mensch weint, wenn ihm danach ist.“, ermutigte ihn Hitomi. „Ich darf aber nicht. Keiner darf mich weinen sehen. Sie würden ihr Vertrauen in mich verlieren.“ „Hier ist aber niemand. Nur wir zwei. Und mein Vertrauen kann niemand erschüttern, nicht einmal der große Herzog Cid persönlich.“, erwiderte sie lächelnd. Cid fing an zu lachen, obwohl seine Tränen nicht versiegten. „Ich habe dich vermisst, Hitomi. Obwohl ich dich nur einmal traf, konnte ich dich nie vergessen.“ „Danke, solche Komplimente hört man selten.“, kicherte sie. „Deswegen musst du gehen. Sofort!“, forderte er. „Was?“, wunderte sich Hitomi. „Es tut mir leid, aber du musst Fraid sofort verlassen. Du musst Gaia sofort verlassen.“ „Wovon sprichst du?“ Cid konnte Hitomi nicht mehr länger in die Augen sehen und starrte stattdessen auf den Boden. „Cid!“ „Es ist ein Kopfgeld auf dich ausgesetzt worden.“, erklärte er. „Ach so, wenn das alles ist, brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Merle passt auf mich auf.“, beruhigte Hitomi ihn. „Nein, du verstehst mich nicht. Von dem inoffiziellen Kopfgeld rede ich gar nicht. Gestern kam ein Botenschiff nach Fraid. Es brachte die neuen, offiziellen Steckbriefe mit und deiner war mit dabei. Du wirst auf ganz Gaia per Haftbefehl der Allianz gesucht.“, sagte Cid eindringlich. Hitomi verschlug es die Sprache. „Auch in Farnelia?“, fragte sie schließlich fassungslos. „Auch dort. Du bist nirgendwo mehr sicher.“ Nun war es Hitomi, die ihren Blick abwendete. „Hitomi, wenn es etwas gibt, was ich tun kann, brauchst du es nur…“, bot Cid an. „Ja, du kannst etwas tun.“, sagte Hitomi und schluckte ihre Verzweiflung förmlich runter und sah Cid wieder an. „Du kannst mir sagen, wie es momentan um den Tempel der Fortuna steht. Ist dort inzwischen wieder ein Kloster?“ „Nein, weil sich der Schlüssel zu der Kraft von Atlantis längst nicht mehr dort befindet. Die Zaibacher nahmen alles mit, was für uns von Bedeutung war.“ „Das ist doch kein Grund den Tempel aufzugeben. Ich meine, er ist doch ein Teil eurer Geschichte.“, protestierte sie. „Stimmt. Es gäbe sogar Mönche die trotz der fehlenden Reliquien dorthin zurückkehren würden, doch ich kann es ihnen nicht erlauben.“ „Wieso nicht?“ „Erstens gehört der Tempel der Fortuna formell nicht mehr zu Fraid. Erst mussten wir ihn an Zaibach abgeben und als schließlich Chuzario, Astoria und Vasram die Gebiete der Zaibacher untereinander verteilten, schien der Tempel irgendwie unter den Teppich gekehrt worden zu sein. Er kam im Vertrag nicht einmal zur Sprache. Im Prinzip ist der Tempel also neutrales, herrenloses Gebiet.“, erklärte Cid. „Dann nimm ihn einfach doch in Besitzt. Wenn das Gebiet wirklich niemanden gehört, darf man das doch, oder nicht?“, schlug Hitomi vor. „Daran habe ich natürlich auch schon gedacht. Ich habe bereits drei Spähtrupps, bestehend aus einem Luftschiff und ein paar Guymelefs, losgeschickt, doch kein einziger kehrte zurück. Daraufhin bat ich die Allianz um Aufklärung der Situation vor Ort, doch die weigert sich bis heute beharrlich. Die Sache sei ihnen nicht groß genug.“, erzählte Cid kopfschüttelnd. Hitomi grübelte. „Danke, dass du für mich Zeit hattest, Cid. Ich gehe jetzt lieber, ehe noch jemand etwas von unserem Treffen mitbekommt.“, verabschiedete sie sich und stand auf. „Ich wünsche dir eine gute Heimreise, Hitomi.“, erwiderte Cid. Er schaute ihr nach, bis sie in den Gang verschwand, aus dem sie gekommen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)