Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 32: Meister gegen Meister --------------------------------- Die Leere in Siris Sinnen lichtete sich allmählich und mit einem leisen Stöhnen öffnete sie ihre Augen. Sie fand sich in einem hohen, luxuriösen und hell beleuchteten Zimmer wieder. Dick zugedeckt auf einem weichem Bett liegend versuchte sie zu ergründen, wo sie war. Als sie ihren Kopf schließlich um ein paar Grad drehte, schoss ein gleißender Schmerz durch ihren Hals und Nacken. „Du solltest dich erst einmal nicht bewegen.“, riet ihr eine wohlbekannte Stimme. Sofort vergaß Siri ihre Schmerzen und legte ihren Kopf auf die Seite. Helle Freude strömte durch ihre Adern, als sie Allen neben sich am Bett sitzend erblickte. Er erwiderte ihr lachendes Gesicht mit einem sanften Lächeln. „Wie geht es dir?“, fragte er fürsorglich. „Es geht mir gut, M…“, antwortete Siri. „Wie ich sehe, bist du endlich aufgewacht, meine Dienerin.“, unterbrach eine betont arrogante, männliche Stimme ihre Gedanken. Siri fuhr ein Schock durch sämtliche Glieder. „Meister!“, flüsterte sie leise und erschrak erneut. „Ja, was ist?“, erkundigte sich Allen. Panisch sah sie Allen an. Sie kannte die Stimme, die in ihrem Kopf schallte, jedoch hatte Siri das Gefühl, dass sie die Stimme nicht wirklich hörte. Die Stimme schien vielmehr nur in ihren Gedanken zu existieren. „Ah, du erkennst mich also. Bist du auch bereit mir zu dienen?“, fragte die Stimme. Mit aller Kraft versuchte Siri sich zu weigern. Es gab keinen Grund diesen aufgeblasenen, selbst verliebten Schnösel auch nur zuzuhören, dennoch schickte sie in ihren Gedanken ein Ja als Antwort. Verzweifelt kniff sie ihre Augen zu, fuhr mit einer Hand an ihren Kopf und stützte sich mit der anderen ab um ihren Oberkörper aufzurichten. Jedenfalls versuchte sie es, doch die unbarmherzige Schwerkraft hielt sie zurück. Von der eigenen Schwäche überrascht sank Siri auf das Bett zurück. „Gut.“, antwortete die Stimme und lachte. Es war ein hässliches, schadenfrohes Lachen. „Ist alles in Ordnung? Wie geht es deinem Hals?“, äußerte sich Allen aufs äußerste besorgt, woraufhin Siri sich an den Biss erinnerte. Mit einer Hand tastete sie ihren Hals ab. „Die Wunde war schon nach ein paar Tagen verheilt. Nicht einmal eine Narbe ist noch zu sehen.“, beruhigte er sie. „Nach ein paar Tagen?“, wunderte sich Siri. „Wie ist das möglich? Was ist geschehen?“ „Das wüsste ich auch gerne. Als ich mein Bewusstsein wiedererlangte, lagst du regungslos auf der Kutsche. An deinem Hals war Blut und ein Bissabdruck mit zwei Stichwunden. Du hast über eine Woche lang geschlafen.“, erklärte Allen. „Und der Angreifer?“, erkundigte sie sich. „Unauffindbar. Es gibt nicht einmal Zeugen für den Vorfall.“ „Allen, ich hab die Stimme erkannt. Der Angreifer war…“ Plötzlich schien ihr Kopf vor Schmerzen zu explodieren und sie stöhnte laut auf. „So nicht, meine Dienerin. Noch soll niemand meine Identität kennen.“, dröhnte die Stimme wieder in ihrem Kopf. Widerwillig bestätigte Siri, dass sie verstanden hatte. „Sehr schön! Jetzt, da du wieder klar zu denken scheinst, ist die Zeit gekommen mir zu dienen. Beweise mir deine Loyalität! Töte Allen, deinen ehemaligen Meister!“ Sie wollte nicht wahrhaben, was ihr neuer Meister von ihr verlangte. Die Kopfschmerzen wurden stärker, dennoch hörte Siri nicht auf sich gegen den neuen Befehl zu wehren. Von Verzweiflung getrieben versuchte sie sich an ihre Gefühle für Allen zu klammern, während die Stimme ihr den Befehl immer wieder und wieder sagte und ihn so in ihren Kopf einbrannte. Schließlich wurden die Schmerzen unerträglich und sie gab nach. Die Schmerzen verschwanden. „Sehr gut, meine Dienerin. Vergiss deinen schwachen Körper! Du hast mehr Kräfte in dir, als du weißt. Ich habe sie dir gegeben. Jetzt nutze sie!“, sagte ihr die Stimme und sie gehorchte. Scheinbar mühelos erhob sie sich und stand auf. Allen wollte sie stützen, doch Siri schob ihn mit einem Arm zur Seite. Überrascht von ihrer Stärke fiel Allen auf das Bett und beobachtete, wie Siri ihren Kleiderschrank öffnete, ihr Schwert daraus hervorholte und die Klinge aus der Scheide zog. Er wollte sie schon fragen, was sie vorhabe, doch bevor er dazu kam, sprang sie pfeilschnell auf ihn zu. Gerade rechtzeitig rollte sich Allen zur Seite, während ihre Klinge das Bett an der Stelle teilte, auf der er vor einer Zehntelsekunde noch gelegen hatte. Sichtlich von ihrer Schnelligkeit und ihrer Kraft beeindruckt verharrte Allen einen Augenblick, bis es Siri gelang die Spitze ihres Schwertes aus dem Holzboden zu lösen. Dann wich er ihrem waagerecht geführten Schwertstreich aus, indem er seine Beine hochriss und sich nach einer Rückwärtsrolle auf beiden Füßen hockte. Gespannt wartete er ihren nächsten Schlag ab, doch dann erstaunte sie ihn wieder. Anstatt weiter anzugreifen, hielt sie am ganzen Leib zitternd inne. Verwirrt beobachtete er, wie Tränen an ihren beiden Wangen herunter kullerten. „Siri, was ist los?“, fragte er verwundert. Plötzlich schrie Siri auf und ihr Körper krümmte sich, als hätte ihr jemand den Bauch aufgeschnitten. Sie sackte zusammen, wimmerte und erhob sich nach ein paar Augenblicken wieder. Ohne Vorwarnung schoss sie wieder auf ihn zu und schlug mit Schwert nach seinem Kopf. Sie traf jedoch nur die Bettdecke, deren Ende Allen schützend vor sich hoch geworfen hatte. Die Sekunde, in der Siri ihn nicht sehen konnte, nutzte er um sich an ihr vorbei zu mogeln. Als die Decke sich wieder gelegt hatte, stand er hinter ihr und hob beschwichtigend beide Hände. „Ich will nicht mit dir kämpfen.“, sagte er eindringlich. „Bitte lauf weg!“, bat sie verzweifelt, ohne sich zu ihm umzudrehen. „Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber ich werde dich nicht einfach so zurücklassen.“, teilte Allen ihr entschieden mit. „Flieh!“, schrie Siri und wirbelte herum. Allen konnte geradeso der Klinge mit einem Rückwärtsschritt ausweichen, stolperte jedoch und fiel auf sein Rücken. Langsam trat sie an ihn heran und hielt drohend die Spitze ihres Schwertes an seinem Hals. „Du hättest fliehen sollen.“, sagte sie unter Tränen. „Jetzt muss ich dich töten.“ „Was ist los? Warum tust du das? Siri!“, fragte Allen verwirrt. „Sei still!“, befahl sie und holte mit ihrer Klinge aus. „Nein, so nicht!“, sagte die Stimme in ihrem Kopf und hielt sie zurück. „Allen soll sich wehren. Töte seine Schwester! Dann wird er kämpfen.“ Daraufhin senkte Siri ihr Schwert. Sie sah Allen noch einmal flehend an und rannte dann aus Raum heraus. Allen verstand die Welt nicht mehr. Was ging hier vor? Dann hörte er einen panischen Schrei. „Serena!“, hörte er sich rufen und ehe er sich versah, war er auf den Beinen. Er nahm sein Schwert, welches er an seinen Stuhl gelehnt hatte und rannte in das Zimmer seiner Schwester. Dort angekommen, sah er, wie Siri die drei Jahre ältere Frau mit ihrer Klinge bedrohte. Der rechte Ärmel von Serenas Kleid war bereits aufgeschnitten und mit Blut getränkt. Ohne zu zögern zog Allen sein Schwert und stürmte auf Siri zu. Die sah ihn kommen und lächelte erleichtert, bevor sie seinen Schlag mit scheinbarer Leichtigkeit parierte. Dann drückte sie ihn mit samt seiner Klinge von sich weg und ging zum Angriff über. Mit schnellen und kraftvollen Schwertstreichen drosch sie auf seine Verteidigung ein. Die Geschwindigkeit ihrer Schläge erinnerte Allen an sein Duell auf der Kutschfahrt, jedoch waren die Schwächen in ihren Schwerttechniken noch immer präsent, so dass Löcher in ihrer Deckung ihm immer wieder Möglichkeiten zum Kontern boten. Noch immer aufgebracht durch die Verletzung seiner Schwester und angestachelt von dem anspruchsvollen Kampf nutzte Allen diese Löcher auch und trieb Siri so immer weiter zurück, bis sie schließlich mit ihrem Rücken zur Wand stand und sich nur noch verteidigen konnte. Zwar konnte sie seine Angriffe mühelos abfangen, doch fand sie beim besten Willen keine Möglichkeit zurückzuschlagen, worüber sie sich jedoch nur freute. Plötzlich jedoch fing ihr Kopf wieder an zu dröhnen und die Schmerzen trieben Siri zu einem selbstmörderischen Angriff. Völlig ihre Deckung aufgebend hob sie ihr Schwert über ihr Haupt und trieb es senkrecht auf Allens Gesicht zu, doch der wich dem gewaltigen Schlag mit einem Schritt zu Seite aus. Siri hatte ihre Klinge nicht mehr unter Kontrolle und so grub sich die Spitze in den Boden. Sie brauchte eine Sekunde, ehe sie ihr Schwert wieder frei bekam, welche Allen benutzte um aus einer Drehung seine Klinge gegen ihre Rippen zuschlagen. Sein Schwert traf, aber nicht nur ihre Bewegungen waren schneller geworden. Bevor seine Klinge ihren Körper durchtrennen konnte, sprang sie aus der Bahn seiner Klinge heraus und gewann Abstand zu ihm. Beide hielten überrascht inne. Vorsichtig fuhr Siri mit ihrer Hand an ihren Rippen entlang und befühlte das aufgeschlitzte Nachthemd und den zehn Zentimeter langen Kratzer in ihrer Haut, den Allens Schwert ihr zugefügt hatte. Innerlich hatte sie den Tot schon vor ihren Augen gehabt und war nun umso mehr geschockt, dass sie noch lebte. Traurig sah sie in Allens fassungsloses Gesicht. Dann meldete sich der Schmerz in ihren Kopf zurück und sie griff an. Wirbelnd kam sie auf ihn zu. Über den ersten Schlag sprang Allen hinweg, den zweiten blockte er mit seiner Klinge ab. Schließlich entschied er, dass er den Kampf endlich beenden musste, und wich Siris nächstem Streich elegant durch eine Körperdrehung aus. Dann täuschte er einen Schlag auf ihren Kopf an, trieb seine Klinge aber wieder ihren Rippen entgegen. Dieses Mal verhinderte Siris Staunen über seinen genialen Schwertstreich eine angemessene Reaktion. Seine Klinge schnitt fünf Zentimeter tief in ihre Seite und hinterließ eine blutende Wunde. Siris Beine wollten ihr Gewicht nicht mehr tragen und sie sank auf ihre Knie. Ihr Gesicht verzehrte sich vor Schmerzen, doch auf ihrem Mund sah Allen ein zufriedenes Lächeln. Plötzlich jedoch versteinerte sich ihr Gesichtsausdruck und sie stand scheinbar unbeeindruckt von ihrer Wunde auf. Dann griff sie nach der Lehne eines Stuhles und schleuderte ihn gegen eines der Fenster. Das Fensterglas zerbrach in tausend kleine Splitter und ehe er reagieren konnte, sprang sie durch das Fenster. Spurlos verschwand sie in die Dunkelheit der Nacht. Fassungslos sah Allen ihr hinterher. Dann erinnerte er sich wieder an seine Schwester, die weinend an einer Wand lehnte. Besorgt lief er auf sie zu und erkundigte sich, wie es ihr ginge. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)