Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 36: Der Weg zum Schmerz ------------------------------- Dafür, dass Farnelias König Hitomi für das Amt der Königin ausgewählt hatte, fand Siri das Heim ihrer Eltern eindeutig zu mickrig. Umgeben von einem winzigen Garten stand das weiße Haus in einer Reihe mit vielen anderen, die zwar nicht alle gleich waren, sich aber auch nicht sehr von einander unterschieden. Sicher, dem sauberen und ordentlichen Gebäude nach zu urteilen, stammte Hitomi aus wohlhabenden, bürgerlichen Familie, doch diese Abstammung qualifizierte sie längst nicht für die Krone. Eigentlich, so fand Siri, konnte Farnelia nur froh darüber sein, dass Siri im Namen ihres Meisters diesen für den Thron unwürdigen König beseitigen wird. Im Prinzip machte sie damit den Weg frei für jemanden, der sich nicht so leicht den Kopf verdrehen lassen würde. Obwohl sie zugeben musste, dass der Gedanke an eine Liebesbeziehung zwischen einem König und einem Mädchen aus dem einfachen Volk durchaus seinen eigenen, romantischen Reiz hat, störte sie die Tragik solcher Geschichten. Am Ende fügen diese Art von Beziehungen allen Beteiligten nur Leid zu. Und für dieses Leid musste Siri nun selbst sorgen. Zwar war ihr überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken, die Spielverderberin zu sein, der ganzen Geschichte noch einen Beteiligten hinzuzufügen und letztendlich für den Tod des Fräuleins verantwortlich zu sein, doch die Befehle ihres Meisters waren eindeutig. Zweifel an das, was sie tat, lagen nicht in ihrer Macht…nicht mehr. Siri konzentrierte sich auf die Auren im Innern des Hauses. Zwei befanden sich im Erdgeschoss und führten allem Anschein nach ein ernstes Gespräch, während eine weitere Aura sich im Obergeschoss aufhielt. Den gleichmäßigen und sanften Wellen dieser Aura nach zu urteilen schlief die Person im Obergeschoss. Mein Ziel, dachte sich Siri. Mit einem kleinen Satz sprang sie über dem Zaun und mit einem großen erreichte sie ein vier Meter hoch gelegenes Fensterbrett. Dann zog sie leise das Schwert, welches ihr der Meister vor seiner Abreise überlassen hatte. Das Metall der Klinge war das härteste, welches man auf ganz Gaia herstellen konnte, doch die eigentliche Besonderheit war der kleine Diamant, welcher auf der Spitze des Schwertes ruhte. Durch ihn konnte Siri mit ihrer Waffe ein Loch in die Fensterscheibe schneiden. Während sich ihr jedoch die Frage aufdrängte, wie sie das herausgeschnittene Stück lösen könnte, fiel es auch schon in das Innere des Zimmers und zersplitterte auf dem Schreibtisch. Im Stillen verfluchte Siri sich und ihre Dummheit. Von den unteren Räumen her drang ein lautes Rufen, während die schlafende Person langsam aufwachte. Für Vorsicht hatte sie keine Zeit mehr. Mit der bloßen Faust zerschlug sie den Rest der Fensterscheibe und drang in das Zimmer ein. Die Person, ein Junge in etwa ihrem Alter, saß kerzengerade in seinem Bett und starrte sie erschrocken an. Ursprünglich hatte Siri ihn überzeugen wollen freiwillig mit ihr nach Gaia zu kommen. Sie hatte ihn mit der Rettung seiner Schwester und das Erleben großer Abenteuer locken wollen, doch auch dafür fehlte ihr jetzt die Zeit. Blitzschnell war sie an seiner Seite, packte seine Gedanken und schickte ihn zurück in einen tiefen Schlaf. Dann hob sie ihn hoch und zusammen wurden sie von einer Säule aus Licht verschluckt und durch das Dach hindurch gen Himmel gezogen. Als Hitomi erwachte, geisterten noch die Echos von Trias Worten durch ihre Gedanken. Sie brauchte einen Moment, um sich zu erinnern, was geschehen war, doch als ihr alles wieder einfiel, wollte sie es vergessen. Es war ja schon schlimm genug, dass sich bei ihr auf Grund der Ereignisse wieder eine gewisse Abneigung gegen Gaia in ihren Kopf einschlich, doch dieses Gefühl ihr auch noch unter die Nase zu reiben und es zur zerstörerische Wut steigern zu wollen, war echt das Allerletzte. Dafür hasste sie Trias, dafür hasste sie ihn aus tiefsten Herzen. Nur zögerlich öffnete Hitomi ihre Augen, da sie wieder Siris Gesicht über sich vermutete, doch als sie einen Jungen mit wilden, dunkelbraunen Haar sah, stockte ihr der Atem. „Ryu, warum…Was machst du denn hier?“ „Das sollte ich dich fragen!“, schnauzte Ryu sie an. „Mom und Dad machen sich große Sorgen um dich, während du hier in diesem Bett liegst und lustig vor dich hin schnarchst.“ „Aber das ist unmöglich! Wie…Wie kommst du hier her?“, erwiderte Hitomi verzweifelt. „Ich habe ihn extra für euch hergebracht, Fräulein.“, antwortete Siri und trat in ihr Sichtfeld. „DU!“, schrie Hitomi rasend vor Wut. „Reicht es dir nicht, mein Leben zur Hölle zu machen? Musst du jetzt auch noch meine Familie mit hineinziehen?!“ „Nur so kann ich euch genug Schmerzen bereiten, um Van hierher zu locken.“, erklärte Siri. „Du hast mir doch versprochen, ich könnte Hitomi wieder nach Hause bringen!“, wunderte sich Ryu. „Oh, entschuldigt, junger Herr. Ich habe mich wohl versprochen.“, offenbarte sie ihm. „Übrigens wird keiner von euch gehen. Ich und mein glatzköpfiger Kollege sind hier offenbar die einzigen, die eine Lichtsäule erschaffen können. Ihr, junger Herr, wisst nicht einmal, was eine Lichtsäule ist oder wie sie funktioniert und ihr, Fräulein, könnt sie nicht erschaffen.“ „Woher weißt du das?“ „Es ist mehr oder weniger offensichtlich. Ihr werdet durch einen Bann auf Gaia festgehalten. Anscheinend will König Van mit allen Mitteln verhindern, dass seine Geliebte diesen Planeten verlässt.“ „Aber er hat mich doch selbst gebeten, auf den Mond der Illusionen zurückzukehren!“, hielt Hitomi dagegen. Bei der Gelegenheit prüfte sie mit ihrer Hand, ob ihre Kette noch um ihren Hals hing. Ein Glück, sie war noch da! „Für einen solchen Bann reicht es vollkommen aus, dass er euch unbewusst nicht gehen lassen will.“, erklärte Siri. „Warum hat mir Merle nie davon erzählt?“, sagte Hitomi leise zu sich selbst, während ein brennendes Glücksgefühl durch ihren ganzen Körper strömte. „Sie hat mit Sicherheit den Bann gespürt, ihn aber nicht als solchen einordnen können. Ich selbst weiß auch nur, worauf ich achten muss, weil auf meinen Meister ebenfalls ein Bann liegt und er mich darüber aufgeklärt hat.“, beantwortete Siri ihre Frage. „Wieso kannst du plötzlich ebenfalls die Gedanken anderer spüren? Was ist mit dir geschehen?“, hakte Hitomi verwirrt nach. „Das gleiche, was jetzt mit euren kleinen Bruder geschieht.“, sagte Siri wehmütig lächelnd, zog Ryu zu sich heran und schlang ihre Arme um seinen Körper. Er stand nun mit dem Rücken zu ihr, während sie leicht zitternd ihren Kopf auf seine Schulter legte. „Ich bin kein Mensch mehr, ebenso wenig wie mein Meister. Er hat mir ein neues Wesen gegeben. Aus euren beiden Köpfen weiß ich, dass ihr mich am ehesten als Vampir beschreiben würdet. Ich glaube sogar, mein Meister hat sich für seine neueste Kreation von euren Sagen und Geschichten über diese Kreaturen inspirieren lassen. Natürlich ließ er all die lächerlichen Schwächen weg, welche man den Vampiren nachsagt. Wir sind keineswegs empfindlich gegenüber Sonnenlicht, müssen nicht in Särge schlafen und sind nicht auf das Blut von Menschen angewiesen. Wir können uns auch von anderer organischer Nahrung ernähren, wobei menschliches Blut selbstverständlich eine besondere Delikatesse für uns darstellt. Wie ihr, Fräulein Hitomi, bereits festgestellt habt, offenbart sich für jeden unserer Art sofort und ohne große Umstände die Kraft der Gedanken. Nebenbei werden sämtliche Gewebe des Körpers verbessert und das Gen, welches den Menschen altern lässt, ausgeschaltet. Der ganze Umbau des menschlichen Körpers wird durch ein Virus in Gang gesetzt, welches ein Vampir wie eine Giftschlange durch die Zähne in den Körper seines Opfers spritzt. Das sieht dann etwa so aus…“, führte Siri weiter aus und biss Ryu erst zögernd, dann fester in den Nacken. Siris fester Griff und ihre Erklärungen hatten in ihm schon blanke Panik ausgelöst, die nun durch den Schmerz in seinem Nacken ihren Höhepunkt fand. Geschockt beobachtete Hitomi, wie ihr Bruderlaut aufschrie und ohnmächtig niedersank. Wie sich Siris Augen vor Überraschung und Verlangen weiteten , sie sich zu ihm hinabbeugte und noch mehr Blut trank. Hitomi wollte aufspringen und sie von ihrem kleinen Bruder wegreißen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Stattdessen musste sie mit ansehen, wie Siri ihr blutiges Mahl beendete. Zufrieden stand sie wieder auf, leckte die rote Flüssigkeit von ihren Lippen und grinste. Als ihr Blick auf Hitomi fiel, wurde sie wieder ernst. „Wenn er in etwa einer Woche aufwacht, wird er einer von uns sein.“ „Du Bestie! Wie kannst du nur!“, schrie Hitomi hasserfüllt. Siri blieb ihr eine Antwort schuldig. Stattdessen wandte sie sich ab und legte ein kunstvolles Schwert in einer Scheide neben Hitomis Bett. „Dies ist das Willkommensgeschenk für meinen Schüler. Ich habe Ryu auch schon den ersten Befehl eingetrichtert. Sobald er aufwacht, wird er euch töten.“ „Was?“, fragte Hitomi ungläubig. „Dies wird der Beweis für seine Treue sein. Ihr könnt das natürlich verhindern, indem ihr ihn zuerst ermordet.“ „Niemals würde ich das tun! Er ist mein Bruder!“ „Ihr habt etwa ein Woche Zeit, um es euch anders zu überlegen. Wenn Ryu erst einmal aufwacht, wird niemand ihn stoppen können, außer mir natürlich. Es nützt übrigens nichts mehr, wenn ihr nur seinen Bauch aufschlitzt. Sein Körper heilt sehr schnell. Nur noch das Durchtrennen von Schlagadern und ein Stoß mitten sein Herz können ihn töten. Vor dem Virus braucht ihr im Übrigen keine Angst zu haben. Der ist darauf ausgelegt nur den ursprünglichen Zielkörper zu befallen und kann daher nur von einem Vampir durch einen Biss übertragen werden.“ „Geh endlich!“, schrie Hitomi. Siri zuckte zusammen und machte sich auf Hitomis Zimmer zu verlassen. An der Tür hielt sie noch einmal inne. „Fräulein, ich muss euch wohl nicht darüber aufklären, dass es vollkommen unmöglich ist, von hier zu fliehen.“ Dann war sie verschwunden. Hitomi merkte plötzlich, wie ein großes Gewicht von ihren Beinen zu fallen schien. Panisch verließ sie das Bett und kniete neben Ryu. Verzweifelt versuchte sie ihn zu wecken, flüsterte wieder und immer wieder seinen Namen ins Ohr, doch er blieb regungslos liegen. Mit etwas Erleichterung stellte sie fest, dass die Stichwunden in seinem Nacken aufgehört hatten zu bluten. Sanft strich sie mit ihren zitternden Fingern über seine Stirn, holte dann ihre Bettdecke und deckte ihn damit zu. Schließlich nahm sie eine seiner Hände, hielt sie ganz fest und drückte sie an sich. Warme Tränen flossen über ihre Wangen und tröpfelten auf seine kalte Haut. Ruckartig erhob sich Van von seinem Stuhl. Sophia und die im sicheren Konferenzraum versammelten Beamten starrten ihn verwundert an. „Majestät, was ist los?“, fragte Sophia. „Ich muss weg!“, teilte Van mit und stürmte zur Tür. „Entschuldigen sie uns bitte!“, bat Sophia die Beamten und rannte ihm hinterher. „Van, wo willst du hin? Van!“, rief sie ihm nach. Erst in seinem Zimmer konnte sie ihn stellen. „Was hast du?“, fragte sie ganz außer Atem. „Hitomi hat Schmerzen! Große Schmerzen! Sie ist in Gefahr! Ich muss sie retten!“, sagte er grimmig, während er das nötigste an Ausrüstung in seinen Rucksack stopfte. „Aber…Sie war doch schon immer in Gefahr.“, versuchte Sophia ihn zur Vernunft zu bringen. „Dieses Mal ist es anders!“, erwiderte er panisch. „Du hast mir doch erzählt, dass dieses Katzenmädchen bei ihr ist!“ Genervt trat Van nahe an Sophia heran. „Ich werde Hitomi nicht im Stich lassen! Nicht noch einmal!“, bekräftigte er und durchbohrte sie mit seinem Blick. „Dann lass mich mitkommen! Mein Schwert könnte dir helfen.“, verlangte Sophia standhaft. „Unmöglich!“, lehnte Van ab. „Warum?“ „Ich kann nicht auf zwei Mädchen gleichzeitig aufpassen!“, begründete er seine Entscheidung. „Du wirst mich überhaupt nicht schützen können, wenn ich nicht bei dir bin!“, konterte sie. „Dafür hab ich ja auch eine königliche Leibgarde.“ „Die hat schon einmal versagt!“ Van atmete tief durch. Irgendwann würde er diese Entscheidung bereuen. „Meinetwegen. Hol deine Ausrüstung! Wir nehmen die Katzenpranke.“ „Wohin fliegen wir?“, wollte Sophia wissen. Er richtete seinen Blick durch das Fenster hinaus in die Ferne. „Zum Tempel der Fortuna!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)