Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 40: Erwachen -------------------- Vorsichtig schlich Sophia bis an das Ende der Treppe, welche zu den unteren Ebenen des Tempels der Fortuna führten. Ebenso bedächtig schielte sie um die rechte Ecke der T-Kreuzung, konnte außer der Dunkelheit jedoch nichts erkennen. Darauf hoffend, dass der Gang leer war, preschte sie los und presste sich dann an die gegenüberliegende Wand. Mit der rechten Hand hielt sie schützend ihr Schwert vor sich, während sie mit der linken Hitomi zu sich ranwinkte. Ohne ein Zeichen von Besorgnis betrat Hitomi die Kreuzung und blieb in ihrer Mitte stehen. „Ich unterbreche deine Übungsstunde ja nur ungern…“, wies Hitomi Sophia freundlich zu Recht. „…aber Van und Allen kämpfen da oben gerade um ihr und unser Leben. Jede Sekunde, die wir vergeuden, könnte eine Sekunde zuviel sein.“ „Vielleicht möchtet ihr in einen Hinterhalt laufen, Fräulein, ich nicht!“, widersprach Sophia verärgert. „Hier unten ist niemand außer Merle und einem Gefangen, der sich schon seit Jahren nicht bewegt hat. Es wird keinen Hinterhalt geben.“ „Und woher wisst ihr das so genau?“ „Ich weiß es einfach.“, erwiderte Hitomi leicht genervt. „Wir haben keine Zeit für umständliche Erklärungen.“ Mit diesen Worten sprintete sie los und ließ eine ungläubig glotzende Sophia zurück, die ihr wenige Augenblicke später zu folgen versuchte. Einige Sekunden später weiteten sich Hitomis Augen und sie bremste völlig unvermittelt ab, jedoch rutschten ihre Füße auf den staubigen Boden noch ein paar Meter weit. Wenig später war Sophia an ihrer Seite. Ihre Augen wurden eben so groß wie die Gefährtin, als sie in der von Hitomi aufgewirbelten Wolke mehrere rote Linien erkennen konnte, die waagerecht übereinander lagen. „Diese Linien…“, stotterte Sophia. „Das sind Laser. Lichtstrahlen, die man nur sehen kann, wenn sie auf einen Gegenstand treffen.“, erklärte Hitomi. „Wozu soll das gut sein?“, erkundigte sich Sophia. „Werden diese Lichtschranken unterbrochen, wird immer etwas ausgelöst.“, antwortete Hitomi, während sie Sophia drängte zurückzutreten. „Meist handelt es sich dabei um Stillen Alarm oder ein Fallgitter, aber in diesem Fall…“, führte sie weiter aus, nahm einen Stein in die Hand und warf auf ihn die Lichtschranken. Plötzlich gab es ein lautes Donnern und Stichflammen zuckten aus beiden Wänden. „…sind es Schusswaffen.“ „Sind diese Waffen gefährlich? Die Flammen können uns doch kaum schaden, so kurz wie sie waren.“, gab Sophia zu bedenken. „Was? Sag bloß, auf Gaia kennt man diese Waffen nicht.“, wunderte sich Hitomi. „Nein, ich zumindest weiß nichts davon.“, Sophia. „Und Laserstrahlen?“ „Ich höre jetzt das erste Mal davon.“ „Aber woher…“, flüsterte Hitomi, jedoch unterbrach eine Welle der Verzweiflung ihre Gedanken. Sophia zugewandt sagte sie: „Du musst alleine weitergehen!“ „Was? Ich bin doch nicht lebensmüde!“, beschwerte sich Sophia. „Ich kann dich schützen, aber du musst mir vertrauen!“ „Wieso gehen wir dann nicht zusammen?“ „Keine Zeit für Erklärungen. Van und Allen halten nicht mehr lange durch und Merle befindet sich nur zehn Meter von uns entfernt in der Richtung dieses Ganges. Hol sie!“, befahl Hitomi und schubste Sophia auf die Falle zu. Innerhalb eines Augenblickes wurde ihr Körper schlaff und ihre Augen leer. Ungebremst fiel sie zu Boden. Sophia wurde von dem Stoß vollkommen überrascht und stolperte unaufhaltsam auf die Falle zu. In Zeitlupe sah sie die Stichflammen neben sich aus den Wänden schießen und wie aus dem Nichts erschienen leuchtend gelbe, kreisrunde Wellen, welche sich auf einer unsichtbaren Kugel um Sophia herum ausbreiteten. Fasziniert beobachtete sie, wie das Leuchten verblasste und sich schließlich ganz auflöste. Dann durchfuhr sie ein Schrecken, als sie Hitomi auf den schwarzen Steinen liegen sah. „Mir geht es gut!“, schoss Hitomis Stimme durch ihren Kopf und verwirrte sie damit noch mehr. Als Hitomi sie jedoch sanft aufforderte zu gehen und sie an Van erinnerte, ließ Sophia alle Bedenken hinter sich und stürmte den Gang hinunter. Vier Mal zuckten die Flammen noch aus den Wänden und erleuchteten für jeweils einen Moment ihren Weg, doch sie beachtete diese nicht. Nach wenigen Sekunden prallte sie hart gegen eine Wand und konnte sich gerade noch so auf den Beinen halten, während die vor ihr ausgebrochenen Lichtkreise immer größer wurden und erneut verschwanden. Überrascht stellte sie fest, dass sie keinerlei Schmerz gespürt hatte. Eigentlich verstand sie die Welt nicht mehr und hätte liebend gern eine Pause eingelegt, um zu begreifen, was hier vor sich ging, doch ein unterschwelliges Gefühl im Bauch drängte sie zur Eile. Hastig tastete sie die Wand vor sich ab und glaubte schließlich einen Türknauf in ihrer Hand zu halten. Mit aller Kraft drückte sie dagegen und tatsächlich gab die scheinbare Wand nach. Sophia traute ihren Augen nicht. Das Zimmer vor ihr war von einem schwachen hellblauen Leuchten erfüllt, welches von einem drei Meter hohen und ein Meter dicken Tank ausging, der das Zentrum des Raumes bildete. Auf Hüfthöhe war der Tank von grauen, quadratischen Kästen umgeben, in denen jeweils eine glatte schwarze Oberfläche eingebettet war. Was Sophia jedoch den Atem raubte, war der junge Mann, der nur mit einer Kette mit rosafarbenen Anhänger bekleidet im durchsichtigen Tank schwebte. Zwei dicke Schläuche führten von den Schulterblättern des Ohnmächtigen zum Tankdeckel. Der von oben und unten beleuchtete Tank verbarg kein Detail seines Körpers. Ausführlich betrachtete Sophia die glatten Züge seines Gesichtes, ihr Blick glitt an seinen langen, schneeweißen Haaren herunter über seinem muskulösen Oberkörper bis sich ihre Augen wieder auf sein Geschlecht fixierten. Ihr Herz schlug wie wild, immer schneller und schneller, während sie die ihr unbekannten Regionen der männlichen Anatomie erfasste. Plötzlich jedoch erwiderte ein Impuls, der durch ihren ganzen Körper schoss, das Pochen ihres Herzens und ließ sie aufsehen. Sophia starrte direkt in die Augen des Gefangenen, als dieser sie öffnete und ihren Blick erwiderte. Seine Lippen verzogen sich zu einem überheblichen Lächeln, woraufhin sein Körper zu glühen begann und von einem gleißenden Licht überzogen wurde. Ehe Sophias Mine ihre Enttäuschung ausdrücken konnte, quiekte sie überrascht, während eine unsichtbare Kraft sie von ihren Füßen hob und sie ihr Gleichgewicht verlor. Verwirrung und Panik brach in ihr aus, da ihr Tastsinn sagte, dass sie in eine Mulde hockte, ihre Augen sie aber etwa einen Meter über den Boden schweben sahen. Schließlich vollendete der leuchtende Mann ihren Schrecken, als er die beiden Schläuche von seinem Rücken losriss und zwei ausgestreckte, blendend helle Flügel den Tank sprengten. Glassplitter zischten durch den ganzen Raum. Ein paar prallten, begleitet von kleinen, violetten Kreisen, von Sophias Schild ab. Der flüssige Inhalt des Tanks verbreitete sich im ganzen Raum. Sophia sah gerade noch, wie die grauen Kästen implodierten und der Steinboden tiefe Risse bekam, ehe ein weißer Nebel den Boden bedeckte und langsam höher stieg. Übertrieben selbstsicher stieg die gleißende Gestalt von ihrem Podest und ging ohne Sophia einen Blick zu würdigen, an ihr vorbei. Die Kugel, in der sie hockte, folgte ihm. Sie war gerade dabei die massive Tür zu passieren, als eine andere vor ihren Augen an sie vorbei quer durch den Gang flog, an die Wand krachte und scheppernd zu Boden fiel. Ungeachtet dessen schwebte sie weiter. Während sie sich über der von Geisterhand herausgerissenen Tür befand gesellte sich ein weiteres schwereloses Mädchen zu ihr. Ein Katzenmädchen, im völlig verwahrlosten Zustand und mit abgetrennten Ketten gefesselt. Sophia hielt sie einen Moment lang für Tod, doch war ein leises Wimmern von dem sonderbaren Geschöpf zu vernehmen. Der Mann war nun kurz vor der Falle und Sophia wollte ihn schon warnen, doch erneut überraschte er sie. Blitzschnell streckte er beide Hände zu den Seitenwänden des Ganges aus, die daraufhin erbebten. Kleine Steine bröckelten von der Decke herunter und Risse durchzogen sämtliche Seiten des Ganges. Nachdem das Zittern nach einiger Zeit aufgehört hatte, wartete der Mann noch einen Augenblick und setzte dann seinen Weg fort. Die Flammen blieben aus. Schließlich schloss sich Hitomis Kugel der Gruppe an. Hitomi, die inzwischen wieder bei Bewusstsein war, starrte besorgt auf das Katzenmädchen. Ihr Blick verriet Sophie, dass ihre Gefährtin es offenbar kaum abwarten konnte, sich um das Katzenmädchen kümmern zu können. Mit den drei Kugeln im Schlepptau stieg die leuchtende Gestalt die Treppe rauf und ließ somit den Nebel hinter sich. Als alle wohlbehalten das Erdgeschoß erreichten, sanken die Kugeln sacht zu Boden und lösten sich auf. Hitomi stürzte sofort auf Merle zu, packte sie und flüsterte ihr immer wieder ihren Namen ins Ohr. Der Mann indes kam geradewegs auf Sophia zu. „Darf ich?“, fragte er kurz gebunden und zog Sophias Schwert aus der Scheide, während sie noch immer von dem göttlichen Klang seiner Stimme gefangen war. „Bitte hilf Van!“, flehte Hitomi die gleißende Gestalt an. „Wir werden sehen.“, antwortete der junge Mann kalt und lief dann zum Hof, wobei er eine Leuchtspur hinter sich herzog. Hitomi wandte sich wieder Merle zu, sprach sie mit ihren Namen an und drückte das leblose Mädchen fest an sich. Jetzt, wo Merle auf ihren Schoß lag, spürte Hitomi ihren Schmerz umso deutlicher. Schmerzhaft verkrampften sich ihre Gedärme, doch kam es für sie nicht in Frage das Bündel aus Leid von sich weg zu stoßen. Stattdessen umarmte sie das Mädchen nun auch mit ihrer Aura und versuchte mit all der Zuneigung, die sie für Merle in den letzten Wochen entwickelt hatte, durch den Schleier zustoßen. Der Schleier… Hitomi ging ein Licht auf. Erst begriff sie, dass Merles Aura zwar total offen war, jemand anders aber den Schleier über sie geworfen hatte und somit verhinderte, dass Merles Sinne etwas erfassen konnten. Doch die Absperrung wurde schwächer. Anscheinend konnte sich Merles Peiniger nicht mehr ordentlich konzentrieren. Wenn sie Merle jetzt einem ausreichend starken Reiz aussetzten könnte, müsste sich der Nebel um ihre Sinne lichten. Trotz dem Ernst der Lage begann Hitomi schelmisch zu grinsen. Während sie mit einem Arm Merles Nacken stützte holte sie mit der anderen Hand aus… …und verpasste Merle eine kräftige Ohrfeige. Kurz darauf folgte eine zweite, doch nach der dritten kassierte Hitomi selbst eine. Langsam öffneten sich Merles Augen. Obwohl sie froh darüber, dass Merle zu sich gekommen war, vermisste Hitomi das Feuer in ihrem Blick. „Wie kannst du es nur wagen mich zu retten?“, klagte Merle Hitomi mit schwacher Stimme an. „Wenn ich schon gerettet werden muss, hat nur Van das Recht dazu, klar?“ „Der ist gerade damit beschäftigt, Allen zu retten.“, erwiderte Hitomi lächelnd. „Was? Der bekommt meine Krallen zu spüren! Hier und jetzt!“, verkündete Merle und versuchte sich aufzurichten, scheiterte aber. „Du bist noch zu schwach. Lass mich dich tragen.“, bat Hitomi eindringlich. „Danke…dass du…bei mir bist.“, flüsterte Merle, woraufhin sich Augen schlossen. „Nein, Merle, nicht einschlafen! Bleib bei mir!“, flehte Hitomi und versuchte sie wachzurütteln. Mühsam öffnete Merle wieder ihre Augen und lächelte ihre Gefährtin schwach an. Diese begriff, dass sie keine Zeit mehr verlieren durfte. „Hey, wach auf!“, forderte sie ihre Begleiterin auf, die noch immer verträumte auf den Tempelausgang starrte. „Wir müssen Merle zur Katzenpranke bringen, sonst stirbt sie.“ Noch etwas neben sich, wandte sich Sophia Hitomi zu. „Natürlich, ich komme!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)