Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 42: Vereinte Seelen --------------------------- Zusammen trugen Hitomi und Sophia die bewusstlose Merle auf die Krankenstation der Katzenpranke. Siris Mutter, welche die Aufsicht über die zwei Pfleger und die fünf Betten der Station hatte, veranlasste sofort, dass Merle auf eine der schneeweißen Matratzen gelegt wurde und wollte dann ihre Retter aus der Station jagen, entschied sich jedoch nach einem Blick auf Hitomis linken Arm anders. Nur Sophia musste gehen, nachdem sie versichert hatte, dass ihr nichts fehlte. Im Vorzimmer hielt Sophia schließlich inne und überlegte, was sie jetzt tun könne. Eigentlich, so dachte sie sich, wäre es jetzt angemessen hier zu warten bis es Neuigkeiten über die Verletzten gibt oder einer von ihnen die Station verlässt, doch genau darauf hatte Sophia keine Lust. Stattdessen beschloss sie, Van über die Geschehnisse im Tempel zu informieren. Vielleicht konnte er ihr erklären, was genau im Gang vorgefallen war. Die Stichflammen, die beschützende Kugel aus Licht, Hitomis Stimme in ihren Kopf, der große Zylinder und der geflügelte Junge, der darin gefangen war. Sophia hatte eine menge Fragen. Sofern Van sich an Hitomis Anweisung, die Lichtgestalt einzukleiden, hielt, sollte der Junge aus dem Tank bei ihm sein, was für Sophia einen zusätzlichen Bonus darstellte. Eilig hastete sie durch die prunkvollen Gänge der Katzenpranke. Als sie schließlich die Tür von Koje vor Augen hatte, wollte sie, in der Hoffnung den Jungen noch einmal nackt sehen zu können, sofort reinstürmen, doch sie riss sich zusammen, zupfte ihren schwarzen Kampfanzug zurecht und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, die für ihren Zopf zu kurz waren. Erst dann klopfte sie leise an und nahm gleichzeitig die aufrechte Haltung an, welche ihr während der Ausbildung zur Prinzessin eingetrichtert worden war. Keine Reaktion. Sophia klopfte noch mal, dieses Mal lauter, doch in Vans Unterkunft blieb es weiterhin still. „Suchst du jemanden bestimmtes?“, flüsterte ihr jemand von hinten ins Ohr. Ein mächtiger Schrecken fuhr durch ihre Glieder und ließ sie mit dem Rücken voran gegen die Eingangstür krachen. „Wie kannst du es wagen, dich von hinten anzuschleichen?“, klagte sie Van an, der sie schelmisch angrinste. „Irgendwie muss ich dir doch beibringen aufmerksamer zu werden. Wir wollen doch nicht, dass ich dir ewig den Rücken freihalten muss.“, rechtfertigte er sich. „Du willst das nicht. Ich hätte nichts dagegen.“, konterte Sophia, während sie lächelnd seinen Oberkörper begutachtete, der nur von einer feinen Staubschicht bedeckt war. Van lag schon eine schnippische Antwort auf der Zunge, doch er entschied sich lieber das Thema zu wechseln. Sanft drängte er sich an Sophia vorbei, schloss die Tür auf und ging in sein Zimmer. „Komm rein!“, fordere er sie formlos auf, woraufhin Sophia ihre Körperhaltung entspannte und ebenfalls herein trat. Van schloss hinter sich die Tür und ging zum Tisch, auf den eine Schüssel mit Wasser stand. Gründlich wusch er seine Hände und Unterarme, ehe einen Schrank öffnete und frische Kleidung herausholte. Schweigend beobachtete Sophia ihn dabei, bis ihr die Ruhe zu schwer wurde. „Solltest du dich nicht erst einmal richtig waschen, bevor du dich neu einkleidest?“, fragte sie. „Keine Sorge, das werde ich. Im Moment jedoch besetzt dieser Fremde das Bad für die gehobenen Gäste. Der hat gestunken, als hätte seit Jahrhunderten kein Tropfen Wasser mehr seine Haut berührt.“ Van unterbrach seine Tätigkeit, beäugte Sophia und ließ sie mit seinem Blick wissen, dass auch ihre Kleidung und ihr Gesicht verdreckt waren. „Wenn er fertig ist, kannst du gehen.“ „Wenn ich es mir recht überlege, überlasse ich dir den Vortritt.“, erwiderte Sophia hinterhältig. „Dann kann ich dich im Bad überraschen. Zusammen macht Baden sicherlich mehr Spaß.“ Wieder ließ sich Van nicht auf ihren Köder ein. Stattdessen schlug er vor: „Du kannst auch die Waschräume der Besatzung benutzen, falls du nicht warten willst.“ „Gerne, aber nur wenn du mitkommst.“, verlangte Sophia. „Du bist unglaublich. Hitomi befindet sich auf demselben Schiff wie wir und du versuchst noch immer mich zu verführen.“, seufzte er. „Nun, du selbst hast gesagt, dass eine Heirat undenkbar ist.“, konterte Sophia und bemerkte erst im nächsten Augenblick ihren Fehler. Van stütze sich am Kleiderschrank ab. Eine tonnenschwere Last schien plötzlich auf seinen Schultern zu ruhen. „Entschuldige, das habe ich nicht so gemeint.“, beteuerte sie. „Doch, hast du.“, meinte Van und suchte daraufhin weiter im Schrank nach passender Kleidung. „Und leider hast du recht.“ Außer sich vor Wut riss Van ganze Gewänder aus ihren Halterungen und schleudert sie hinter sich auf den Boden. Besorgt ging Sophia auf ihn zu. Vorsichtig schmiegte sie sich an seinen Rücken und übte mit ihren Händen sanften Druck auf seine Schultern aus. „Warum gehst du nicht zu ihr? Ich wette, Hitomi wartet in der Krankenstation auf dich.“ Van hielt inne und stieß einen großen Seufzer aus. „Du hast doch gesehen, wie sie mit mir umgesprungen ist. Sie hat mir noch immer nicht verziehen.“, begründete er sein Zögern. „Ich hatte eher den Eindruck, dass sie sauer war, weil du ihr nicht die nötige Aufmerksamkeit hast zukommen lassen.“, widersprach Sophia. „Und du bist gerade dabei, deinen Fehler fortzuführen.“ Verwundert drehte er sich zu ihr um und starrte sie mit großen Augen an. „Nun geh schon!“, ermutigte Sophia ihn. „Wir Frauen hassen es zu warten.“ Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, verließ Van die Kabine im Laufschritt. Sophia indes torkelte zum Bett, ließ sich darauf nieder und vergrub ihr Gesicht in eines der Kissen. Von der Liebe beflügelt, stürmte Van durch die Gänge geradewegs auf die Krankenstation zu. Als er in das Vorzimmer platzte, sah er Hitomi auf der einzigen Bank im Zimmer sitzen. Ihre Finger waren zu Fäusten geballt, ihr stechender Blick schien den Boden zu durchbohren und ihre Wut erfüllte den ganzen Raum bis in die kleinste Ritze. Sofort wurde er wieder unsicher und er wollte auf der Stelle kehrt machen, doch Hitomis Stimme hielt ihn zurück. „Bitte bleib!“, flehte sie ihn mit verbitterter Stimme an. Van erstarrte. Noch immer war er sich nicht darüber im Klaren, was er tun sollte. „Diese Schweine!“, klagte Hitomi. „Diese Schweine wollten Merle lebendig begraben! Sie haben sie eine Woche lang ohne Essen und Wasser in diese Kammer gesperrt! Nur weil es in der Kammer kühl und feucht war, konnte Merle solange durchhalten.“ In ihren Augen sammelten sich Tränen und sie fing an zu schluchzen. Langsam und bedächtig setzte sich Van neben Hitomi und drückte sie fest an sich. „Aber damit nicht genug! Sie haben verhindert, dass ich ihr mit meinen Gedanken Kraft spenden konnte. Merle muss gedacht haben, ich hätte sie verraten!“ Sie weinte nun ohne Zurückhaltung. Sanft legte Van eine Hand auf ihren Schoss, die sie auch sogleich ergriff. „Es ist vorbei, Hitomi.“, versuchte Van sie zu trösten. „Für Merle war es erst nach einem Jahr vorbei. Diese Arschlöcher haben ihre Wahrnehmung der Zeit manipuliert.“ Langsam begriff Van, dass Worte nicht helfen würden, Hitomi von ihrer Ohnmacht aus Wut und Schuldgefühlen zu befreien. Jetzt half nur noch ein kaltes Bad. Vorsichtig drehte er sie zu sich und umarmte sie innig. Wie durch Zauberei löste sich die Welt um die beiden herum auf und wurde durch ein weites, strahlend blaues Meer ersetzt, welches am Horizont von einem wolkenlosen Himmel abgelöst wurde. Glitzernd spiegelte sich der helle Sonnenschein im Wasser. Einen Moment lang schwebte beide, Van und Hitomi, eng umschlungen ein paar Meter über dem grenzenlose Meer, bis schließlich die Schwerkraft sie packte und in die Tiefe riss. Hitomi traf das kalte Nass völlig unvorbereitet. Orientierungslos strampelte sie umher, doch Van zog sie mit hoch, bis beide auftauchten und keuchend nach Luft schnappten. „Was soll das?“, fragte sie empört. „Tut mir leid, aber mir viel kein anderes Mittel ein, um dich deine Wut vergessen zu lassen.“, entschuldigte sich Van. „Oh, das ist dir gelungen. Die Vampire können mir gestohlen bleiben. Jetzt will ich nur noch dich umbringen.“, beschwerte sie sich. „Gefällt es dir denn gar nicht?“, fragte er verunsichert. „Was soll mir gefallen? Hier ist nichts außer Wasser.“ Erst war Van gekrängt, doch dann verstand er, worin möglicherweise das Problem lag. Mit einem tiefen Atemzug ließ er seine mächtigen Flügel wachsen und erhob sich mit Hitomi im Arm aus dem Meer. Schnell gewann er an Höhe und flog schließlich hundert Meter über dem Wasserspiegel. „Gefällt es dir jetzt?“ Hitomi stockte der Atem und es dauerte einen Augeblick, bis sie antworten konnte. „Es ist wunderschön!“, antwortete sie ihm. „Wo sind wir überhaupt?“ „In meinem Kopf.“, klärte Van sie auf. „Wusstest du nicht, dass du nach Meer duftest?“ „Nein, das wusste ich nicht. Es dürfte aber auch schwer sein, dies zu merken, wenn man ständig von diesem Duft umgeben ist.“ „Ich habe es zum ersten Mal gerochen, als ich auf deiner Welt gegen den Drachen gekämpft habe. Damals habe ich dem keine große Beachtung geschenkt, doch immer wenn ich mit dir zusammen war, lag dieser herrlich salzige Duft in der Luft. Erst als ich mit dir zusammen in Palas war, wusste ich, wonach du duftest.“ „Van, wie wäre es, wenn du irgendwann auch in meinem Kopf kommen würdest. Dort existiert ebenfalls ein Ort, der mich an dich erinnert.“, schlug Hitomi vor. „Ich war bereits dort. Kannst du dich nicht erinnern? Ich brach vor etwa vier Tagen in deinem Kopf ein, um dich zu wecken.“, informierte Van sie. „Es war kein Traum?“, wunderte sich Hitomi. „Nein, wie kommst du darauf?“ „Nun, weil ich genau im falschen Moment wach geworden bin. Das passiert normalerweise nur in Träumen.“ Van lächelte. „Ich weiß, was du meinst. Ich wäre gerne länger bei dir geblieben, doch Sophia hat meine Meditation unterbrochen.“ „Sophia? Heißt so das Mädchen, welches mir bei Merles Rettung geholfen hat?“ „Ja, das ist sie. Was hältst du von ihr?“ „Da ich sie nicht kenne, wäre es ihr gegenüber unfair sich jetzt schon eine Meinung über sie zu bilden.“ Als Van daraufhin erleichtert seufzte, entschloss sich Hitomi zu einem Test. „Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass sie sehr hübsch ist, wenn sie nicht gerade Schmutz in ihrem Gesicht spazieren trägt.“ Er verzog daraufhin seine Mine. Sofort wusste Hitomi, dass etwas nicht stimmte. „Entschuldige bitte, dass ich jetzt frage.“, bat er. „Aber ich würde gerne wissen wie es Merle geht.“ „Ihr Zustand ist kritisch, aber stabil, wie mir Siris Mutter mitteilte. Sie schläft und wird durch eine Infusion vor dem Austrocknen bewahrt.“ „Bitte verzeih die Frage. Ich weiß, sie war unpassend.“ „Du machst dir zu viele Gedanken, Van. Ich wäre früher oder später wütend geworden, hättest du mich nicht nach ihr gefragt.“ Wieder musste Van allen Mut für seine nächste Frage aufwenden. „Wie wäre es, wenn wir dort weiter machen würden, wo wir aufgehört hatten?“ Er klang nervös. „Was meinst du?“, wunderte sich Hitomi. „Na, du weißt schon. Der falsche Augenblick…“, antwortete Van und neigt dabei sein Haupt ihr entgegen. Doch sie berührte sacht mit ihren Fingerspitzen seine Lippen. „Bitte versteh mich nicht falsch, Van, aber meinen ersten Kuss möchte ich nicht nur mit meinem Geist, sondern auch mit meinem Körper erleben. In der Realität, verstehst du?“ „Ja, du hast Recht.“, gab er zu, wobei seine Enttäuschung unüberhörbar war. „Wie wäre es, wenn wir jetzt zurückkehren?“ Hitomi blickte noch einmal auf das glitzernde Meer. „Vorher will ich etwas ausprobieren. Etwas, was ich in einem Film meines Bruders gesehen habe.“, bat sie. „Und was wäre das?“ „Geh tiefer und halte mich bitte nur unter meinen Schultern fest.“ Van tat, wie ihm geheißen, so dass Hitomi dicht über der Meeresoberfläche hing, während unter ihr das Wasser vorbeirauschte. Hitomi wies Van an noch ein klein bisschen tiefer zu fliegen, bis ihre Füße das kalte Nass berührten. Nur dank ihrer kräftigen Beine konnte Hitomi dem Druck des Wassers und der Geschwindigkeit standhalten. Vergnügt glitt sie über die sich ständig ändernde Oberfläche hinweg. Das Wasser spritzte unter ihren Füßen hervor und verfing sich in ihrer dicken Fellkleidung, die somit immer schwerer wurde. Hitomi schrie vor Freude, bis der Druck zu groß wurde und ihre Beine nachgaben. So stark seine Arme auch zu waren, auf den plötzlichen Zug, der an Hitomi riss, war Van nicht vorbereitet und sie entglitt ihm. Quälend langsam sah sie die steinharte Wasseroberfläche auf sich zukommen. Gerade als ihr Gesicht drohte aufzuschlagen, fand sie sich von einem Moment auf den anderen im Vorzimmer der Krankenstation wieder. Van hielt sie noch immer umklammert, so dass sie seinen schnellen Atem an ihrem Ohr spürte und schließlich merkte, dass auch sie Mühe hatte Luft zu holen. „Tut mir leid.“, wimmerte Van. „Es geschah alles so plötzlich.“ „Es war meine dumme Idee.“, beruhigte sie ihn und löste sich etwas aus seiner Umarmung. Warmherzig, wenn auch ein bisschen gespannt lächelte sie ihn an. Sofort verlor sie sich in seine kastanienbraunen Augen, während Vans Blick von zwei Smaragden gefesselt wurde. Die Luft schien zu knistern. Langsam, nervös und mit schier unendlicher Sehnsucht beugten sich beide nach vorne, bis ihre Lippen nur noch Millimeter voneinander entfernt waren. „Ich liebe dich.“, hauchte Hitomi. „Ich…“, flüsterte Van und drängte die letzten Moleküle zur Seite, die zwischen den Liebenden standen. Sie berührten sich. Zögerlich und doch voller Leidenschaft fühlten sie die Lippen des anderen auf ihren eigenen liegen. Dämme brachen, ein Orkan aus Zuneigung, Verlangen und grenzenlosem Vertrauen fegte die letzten Steine fort. Van spürte, wie ein Fluss aus seinem tiefsten Innern sich seinen Weg bahnte und auf Hitomi überschwappte. Der zügellose Strom trug alles mit sich, riss seine Stärken, seine Schwächen, seine Ängste und seine Hoffnungen mit sich fort und schwemmte dieses Treibgut an das Ufer von Hitomis Seele. Sie wusste jetzt alles über ihn, kannte ihn bis ins kleinste Detail, doch er fand in dieser Erkenntnis überraschend wenig Unbehagliches, dafür viel Berauschendes. Als nach schier unendlichen vielen Augenblicken sich die Lippen wieder trennten, konnte Van in Hitomis Augen lesen wie in ein Buch. Jede Zurückhaltung war verloren und nachdem ein Herzschlag vergangen war, küssten sie sich die beiden mit wilder Leidenschaft…bis ein lautes Räuspern beide verwundert aufschauen lies. Vor ihnen stand Siris Mutter mit einem Gesichtsausdruck, der sich einerseits um eine gewisse Ernsthaftigkeit bemühte, sich andererseits ein Lächeln nicht verkneifen konnte. „Verzeiht, Majestät, wenn ich störe, aber meine Patientin sagt, ihr hättet sie geweckt. Sie wünscht weiterschlafen zu können.“, sagte sie mit strengem Ton. „So schlimm?“, kicherte Hitomi, während in Vans Wangen eine leichte Röte aufstieg. „Ich habe nichts gehört, aber Merles Ohren scheinen sehr empfindlich zu sein.“, erwiderte die Ärztin. „Können wir sie sehen?“, fragte Hitomi hoffnungsvoll. „Dafür ist es noch zu früh. Morgen vielleicht.“ „Lass uns in mein Zimmer gehen.“, schlug Van vor, woraufhin Hitomi seine Hand ergriff und sie zusammen eilig das Wartezimmer verließen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)