Sonnenuntergang von Deepdream ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Eine Geschichte von Deepdream. Der Autor besitzt keinerlei Rechte bezüglich der Charaktere. Er verdient auch hiermit nichts. ><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>< Sonnenuntergang ><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>< Widmung: Diese Kurzgeschichte widme ich dem Moment, in dem ich sie schrieb. Ich widme sie der Stimmung in der ich bin. Und sie ist dem Menschen gewidmet, den ich liebe. ><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>< „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Daß ich so traurig bin; Ein Märchen aus uralten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn." Heinrich Heine ... Ihr Haar fiel locker auf den Barthresen und fegte unabsichtlich einige Krümel fort. Draußen war die Sonne im Begriff unterzugehen. Von hier aus hatte man einen guten Blick auf das Abendrot, das durch die weiten Frontfenster drang. Sie hatte es sich auf einem der Barhocker bequem gemacht und ihren Rücken durchgestreckt. Die Muskeln ihrer Rückenpartie waren völlig verspannt und machten sich nun stechend bemerkbar. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Nun genoss sie sein sanftes ausklingen. Im Restaurant hing das dezente Aroma von Tomatensauce und Gewürzen nach. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich die angeregten Unterhaltungen vor Augen führen, das Klappern von Tellern und Tassen. Ein Lächeln breitete sich unwillkürlich auf ihren Lippen aus. „Morgen ist Sonntag“, intonierte sie und genoss den Klang und Inhalt gleichermaßen. Ukyo liebte den Sonntag, schon bereits seit ihrer Kindheit. Man konnte ausschlafen, diversen Freizeitbeschäftigungen nachgehen oder sich einfach nur ausruhen, vielleicht ein gutes Buch lesen. So sehr ihr die Arbeit auch Spaß bereitete, so begrüßte sie doch den ersehnten Feierabend. Die Uhr tickte leise im Hintergrund, die Stimmen waren verloschen und der Zinnober des Sonnenuntergangs leuchtete hinter ihren Augenlidern. Es war einfach eine schöne, eine ausklingende Atmosphäre. Im hinteren Teil des Restaurants tropfte zaghaft ein Wasserhahn in das Waschbecken, doch sie wollte noch nicht aufstehen. Außerdem war das Tropfen nicht sonderlich störend. Es war angenehm rhythmisch und besaß etwas einschläferndes. Sie würde jetzt einfach nur dasitzen, dem subtilen Ticken der Uhr lauschen und über die Natürlichkeiten des Lebens lächeln. Ihr Vorhaben wurde von einem zögerlichen Bimmeln unterbrochen. Ukyo kannte das Geräusch sehr gut, schließlich hatte sie es heute ununterbrochen gehört. Jedes Mal war es erklungen, wenn ein Gast das Etablissement hungrig betrat oder gesättigt verließ. Widerwillig öffnete sie die Augen. Der Neuankömmling stand ins rote Licht der Abenddämmerung getaucht und von Schatten umgarnt da. Trotzdem konnte sie auf den Gesichtszügen ein nervöses Lächeln erkennen. „Lange nicht gesehen. Hunger?“, in ihrer Stimme klang gutwilliger Humor mit. „Wenn ich dir nicht zu sehr zur Last falle.“ Seine Stimme hingegen trug ihr gewohntes Maß an entschuldigender Unsicherheit. Um das zu erraten, musste man nicht erst seine nervösen Gesten kennen. „Setz’ dich, ich mach’ dir was“, für einen Augenblick streckte sie ihren Körper durch, dann erhob sie sich vom Hocker und wanderte gemächlich hinter die Theke. Ihr Haar schwebte wie eine Brise hinter ihr her. „Und ich stör’ dich wirklich nicht?“ „Nun setz’ dich schon oder ich sag’ noch ja“, bemerkte sie mit einem Lächeln und kümmerte sich um die Zubereitung. Auf ihrer Stirn zeichneten sich schwache Stirnfalten ab, Zeichen ihrer Konzentration. Das Quietschen der Hockerbeine über die Fliesen signalisierte, dass Ryoga Platz genommen hatte. Seine Augen hielt er geschlossen. Er war müde und erschöpft. Es war ihm unschwer anzumerken. „Siehst fertig aus. Geht es dir gut?“, aufrichtige Sorge klang in ihrer Stimme mit. Deswegen zwang sich Ryoga auch zu einem erschöpften Lächeln und nickte. „Nur müde.“ Sein Haar hing ihm zottelig ins Gesicht, so wie seine Kleidung kleinere Risse und Flecken aufwies. Der Wanderrucksack stand treu zu seiner Linken, der Bambusschirm lag schief obenauf. Der frische Duft von Okonomiyaki stieg von der Grillplatte auf. Tomatensauce gesellte sich zur erhärtenden Unterlage, dazu Rindfleisch und klein gehacktes Gemüse. Ihre Handbewegungen waren schnell, präzise und koordiniert. Man merkte ihr die vielen Jahre des Übens und das hineingesteckte Herzblut an. „Wie läuft das Geschäft?“ Es war eine der typischen Fragen, auf die man die Antwort ohnehin bereits kannte. Eine schön klingende Floskel, die nicht zu großer Anstrengung bedurfte. „Kann mich nicht beklagen. Die Kunden kommen beständig.“ In einer geübten Bewegung warf sie den elastischen Teig samt Belag in die Luft. Kein noch so kleiner Teil der Ingredienzien fiel herab. Es war ein Beispiel ihres Könnens. Zielsicher landete die Kreation auf einem bereitgestellten Teller und mit einem leichten Lächeln platzierte sie den Teller auf dem Thresen. Dankbar nickte Ryoga und ergriff die Essstäbchen, die ihm Ukyo im nächsten Moment reichte. Kurz berührten sich ihre Finger und er zuckte unwillkürlich zusammen. Beruhigend lächelte Ukyo ihn an und deutete mit der andern Hand auf das Gericht. „Du willst doch nicht das es kalt wird, oder?“ „Nein. Das will ich nicht. Danke nochmals.“ Behutsam teilte er sich mit den Essstäbchen etwas vom Okonomiyaki ab und führte es zum Mund. Es schmeckte so gut wie er es in Erinnerung hatte. Er zwang sich dazu langsam und kontrolliert zu essen. Schließlich konnte er nie wissen, wann er das nächste Mal hier vorbeikam. Ukyo betrachtete den jungen Mann mit den eingesunkenen Schultern. Der unordentliche Pony nahm ihr die Sicht auf seine Augen. Aufmerksam beobachtete sie sein Bemühen sittlich zu speisen. Sie wusste wie schwer es ihm fiel. Er hatte nie eine sonderliche Erziehung genossen und in Anbetracht seines Lebensstils nahm Etikette verständlicherweise nicht die höchste Priorität ein. Umso mehr erfreute es sie, dass er sich Mühe gab. „Wie war die Reise?“ Sie hatte es sich abgewöhnt Witze über seine Orientierung zu machen. Ihr war klar, dass er nichts dafür konnte. Aus diesem Grund versuchte sie auf sein manchmal wochenlanges Verschwinden auch möglichst locker zu reagieren. Es gelang ihr nicht immer. „Es ging. Etwas Wüste, ein paar Palmen, ein Dschungel. Das übliche eben.“ Er versuchte sich an einem schiefen Grinsen. Als er merkte, dass es ihm Mühe bereitete es aufrecht zu erhalten, widmete er sich wieder seiner Portion. Ihre Antwort war ein stummes Nicken, bei dem sie ihren Blick an ihm vorbei auf das verglühende Abendrot warf. „Es ist schön, nicht?“ „Ja.“ Ryogas Augen wandten sich nicht von ihrem Gesicht ab als er antwortete. Das Ticken der Uhr hallte sanft im Hintergrund, während Ukyo ein Gähnen zu unterdrücken versuchte. „Bist du müde?“, sein Blick lag auf dem weißen Keramikteller, als er die Stäbchen parallel zueinander niederlegte. „Ein wenig. Der Tag war anstrengend. Wie besagt, die Kunden kommen beständig.“ Beide schwiegen im Gleichtakt der Uhr. Der abkühlende Grill entsandte seine letzten Strahlen der Wärme, so wie die Sonne ihre letzten, roten Strahlen über die Straßen und Dächer verteilte. „Bleibst du?“ Ihre Stimme verklang sanft mit dem Zinnober am Horizont und ihre Haare glänzten rötlich im einfallenden Abendlicht. Ryoga richtete seine Augen auf sie und zuckte unmerklich mit den Schultern. „Wenn ich nicht störe?“, einer seiner Eckzähne kaute scheinbar ziellos auf der Unterlippe. Er blickte das kleine Gewürzschränkchen aus Buche an, das an der gegenüberliegenden Wand hing. Durch eine Scheibe aus Glas konnte man die Gewürzdosen und auf der Scheibe die beginnende Nacht erkennen. „Dummerchen.“ Er vernahm das flüsternde Rascheln von Kleidung und das Geräusch von Schritten. Mit einem leisen Seufzen ließ sie sich auf dem benachbarten Hocker nieder. Das Holz knackte leise. Ein Ticken der Uhr. Ryoga spürte ihren Blick. „Ich habe dich vermisst.“ Ihre Stimme war sehr leise und er fühlte wie ihre Arme sich um seinen Oberkörper legten. Ihr langes Haar streifte seinen Hals, kitzelte ihn und er nahm die bekannten Gewürze ebenso wahr wie die Berührung ihres Körpers. „Ich dich auch“, er lächelte. Dann weinte auch er. Kapitel 2: ----------- Eine Geschichte von Deepdream. Der Autor besitzt keinerlei Rechte bezüglich der Charaktere. Er verdient auch hiermit nichts. ><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>< Mitternachtsleuchten ><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>< Widmung: Diese Kurzgeschichte widme ich der Stunde, in der ich sie schrieb. Ich widme sie der Stimmung in der ich bin. Und sie ist dem Menschen gewidmet, den ich vermisse. ><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>< Im Schatten eines Palmenhains, Im weißen Kleid mit langen Haaren Da kniet die Priesterin von achtzehn Jahren, Bestrahlt vom Licht des Mondenscheins. Friederike Kempner ... Nicht ohne Neugierde musterte sie das Kleid auf ihrem Bett. Der Stoff glänzte perlmut, schon beinahe silbern im Mondschein. Besagter Mondschein fiel nämlich in weichen Strahlen durch das offene Fenster oberhalb ihres Bettes auf jenes Kleid hernieder. Mit kleinen Schritten näherte sich die junge Frau ihrer Schlafstätte. Ein schmales Bett ohne Fußende, vor dem ein kleiner Läufer lag. Die Bettwäsche war hellblau, ein Laken straff unter der dünnen Sommerdecke gespannt. Kissen wie Decke waren ordentlich arrangiert und verwiesen auf Sorgfältigkeit. Einen Schritt von ihrem Bett entfernt, verharrte sie. Der nächtliche Wind hauchte ihr durch das Fenster zu und streichelte sie mit nächtlicher Kühle. Bedächtig ging sie in die Hocke und besah sich das feine Gewebe vor ihr wie eine Reliquie. Das Mondlicht ließ es wie flüssiges Silber glitzern, dass sich nur wie rein zufällig in der Form eines Kleides auf ihrem Bett gesammelt hatte. Ein Bett, das ihr nun wie ein heiliger Altar aus den alten Geschichten erschien, von denen ihre Urgroßmutter zu erzählen pflegte. Als Xian-Pu noch jung war, sprach Urgroßmutter häufig mit ihr, berichtete von fantastischen Legenden und lebenden Fabelwesen. In ihrer Phantasie wurden für das kleine Mädchen alle diese Gestalten, ob Phoenix oder Drache lebendig, Jusenkyo schien keinen Steinwurf entfernt und sie konnte einträchtig zusammen mit Musk-Kindern spielen. Sie war eine kleine Träumerin, deren Stolz nur von ihrer Phantasie übertroffen wurde und ihre Augen leuchteten mit jeder Geschichte und Legende heller. Und wenn sie nachts in ihrem Bettchen lag, so fiel ihr Blick hinauf zu den Sternen, aus denen ihre Mutter ihr zulächelte. Ein Gefühl der Traurigkeit überfiel sie. Wie viele dieser Träume hatte sie bereits eingebüßt? Wie viele Träume waren einfach wie Seifenblasen zerplatzt, kaum, dass sie ihrer Wirklichkeit gewahr wurde? Ihre Augen blieben auf dem Gewebe vor ihr haften. Zaghaft streckte sie ihren rechten Arm nach dem Kleid aus. Sie zögerte als ein leichtes Zittern ihre angespannten Fingerglieder durchlief. Wenn sie nervös wurde, neigte Xian-Pu nämlich dazu, Fäuste zu ballen. Das Gefühl des Drucks auf ihrer Haut schenkte ihr immer einen gewissen Rückhalt. Einen Rückhalt, auf den sie nur allzu häufig hatte zurückgreifen müssen. Zögerlich spreizte sich ihr Zeigefinger aus der geballten Hand ab. Behutsam berührte dessen Kuppe die Oberfläche des Stoffes. Er war von unglaublicher Glätte. Noch nie hatte Xian-Pu etwas vergleichbares berührt. Weich und perfekt hoben sich die im Dunkel der Nacht verborgenen Stickereien ab, die sie dennoch nur zufällig erfühlte. Es handelte sich um feinste Seide wie sie seit langen Zeiten nicht mehr gewonnen oder gar verwebt wurde. Es war der wohl kostbarste Schatz, den die Amazone je in den Händen gehalten hatte. Das Kleid war scheinbar ohne jedwede Naht geschnitten, eng tailliert und würde sich an seine Besitzerin schmiegen wie fallender Regen. Fasziniert beobachtete sie das schwach-silbrige Schimmern des Stoffs, der eigentlich dem Weiß einer Kirschblüte nachempfunden war. Das Schimmern - so hatte Urgroßmutter gemeint - sei durch das Licht bedingt. Insbesondere Mondschein würde dem Kleid seine ganz eigene Magie verleihen. Erst jetzt begann Xian-Pu zu verstehen, was Cologne damit hatte zum Ausdruck bringen wollen. Tatsächlich war das Kleid wie ein Traum und erschien ebenso unwirklich. Sein Schimmern entsprach der Reflektion des Mondes auf einer Wasserfläche, unberührt und friedlich. Fast ängstlich zuckte ihr Arm plötzlich zurück. Sie wusste, dass es nicht zerfließen würde wie Erinnerungen an Träume es sonst taten. Dieses Kleid war so real wie der Finger, mit dem sie es befühlt hatte. Es war das Kleid ihrer Mutter. Nur ein einziges Mal zuvor war es getragen worden. Xian-Pu hatte es ihre Mutter allerdings nie tragen sehen, denn sie starb bei ihrer Geburt. Nur einige Wochen nach dem Tag, an dem sie es trug. Der Tag, an dem sie mit dem Mann vermählt wurde, den sie mehr als alles andere auf der Welt liebte. "Mutter", seufzte die junge Frau, die sich nun wieder wie das Kind aus ihrer Erinnerung fühlte. Denn nun lag ein Traum vor ihr. Ein Traum, der ausschließlich für sie reserviert worden war. Ein ganz persönlicher Traum, schimmernd und fantastisch. Genau so wie er es zu sein hatte. Mit ihren Augen folgte sie den Bewegungen ihres Fingers aufmerksam. Wo immer er entlang strich, formte sich für kurze Zeit eine Spur. Eine Spur, die so schnell entschwand wie sie entstand. So wie sie nie ihre Mutter dieses Kleid hatte tragen sehen, so würde auch ihre Mutter ihre Tochter nie darin sehen können. Ein Schluchzen quellte aus ihrer Kehle und ihre Hand vergrub sich in dem geschmeidigen Material. Ein Schütteln durchkroch ihren Körper und aus Schmerz schloss sie ihre Augen. Tränen bahnten sich ihren Weg hervor und perlten über ihre Wangen, während ihr Körper erbebte. Sie wusste, dass es dumm war zu weinen. Durch Tränen war noch keine Schlacht gewonnen worden und vor allem ziemte es sich nicht für eine Amazone zu weinen. Eine Amazone kämpfte, egal wie unterlegen sie auch war. Der Stolz war es, der eine Amazone zu mehr als einer einfachen Kriegerin machte. Und alleine durch diesen Stolz kämpfte sie auch ihre Tränen zurück. Als kleines Mädchen vergoss sie häufig Tränen. Egal, ob des nachts, wenn sie sich ihre Mutter herbeiwünschte oder wenn eine andere Amazone sie im Kampf besiegte. Sie hatte viel geweint und hatte sich ohne Scham schwach gezeigt. Zumindest konnte sie das, solange sie noch von ihren Stammesschwestern als Kind angesehen worden war. Mit ihrem fünften Geburtstag hatte die Härte des Heranwachsens geschlagen. Hartes Training, Wunden und Narben, Niederlagen und Enttäuschungen hatten sie hart gemacht. Xian-Pu war an ihnen gereift, ohne zu brechen. Sie hatte nie eine Mutter besessen und umso begieriger hatte sie von ihrer Urgroßmutter gelernt. Wenn die anderen Mädchen schliefen, war sie es, die bis tief in die Nacht Schwerter schwang und Holzstämme trat. Unwichtig wie häufig sie auch müde war und ihr kleiner Körper schmerzte, jeder Gedanke daran ihre tote Mutter zu ehren, verlieh ihr neue Kraft. Immer, wenn sich ein Hindernis als unüberwindbar erwies, versuchte sie es dennoch. Fiel sie hin, so stand sie auf und ging weiter. Das war ihre Philosophie vom Leben. Nichtsdestotrotz konnte auch ihr Stolz nicht die Traurigkeit entwurzeln, die tief in Xian-Pu gedeihte. Eine Traurigkeit, die so schlicht und banal war, dass es schon fast an Lächerlichkeit grenzte. Es war die Gewissheit, dass ihre Mutter nicht zu ihrer Hochzeit zugegen sein würde. Vielleicht würde Xian-Pu dieser Umstand nicht soviel ausmachen, hätte sie nicht Tage zuvor einer Hochzeit beigewohnt. Eine Hochzeit, auf der einige lachten und andere weinten. Doch kaum einer vergoss Tränen der Traurigkeit, denn zum allerersten Mal erfreuten sich alle am Glück des Brautpaars. Unweigerlich lächelte die junge Amazone, die Erinnerungen an die Hochzeit drängten die Traurigkeit kurzweilig zurück. Denn zu erfreulich und lustig waren die Szenen gewesen. Ryoga, der sich auf dem Weg zum Bräutigam mit der Braut verlief, Herr Saotome, der aufgrund eines Wasserunfalls als Panda im Smoking an der Zeremonie teilnahm und... Xian-Pu seufzte auf. Ihr Blick glitt so wie ihre Hand über das seidene Kleid hinweg. Ranmas Mutter war ein strahlender Anblick gewesen. Sie war zwar durchaus eine attraktive Frau, doch gab es zweifellos mindestens ebenso adrette Damen unter ihnen. Was sie jedoch hervorstechen ließ, war ihre überwältigende Freude. An Genmas Schulter gelehnt, hatte sie lauthals gejauchzt, geweint und gelacht. Ihre Freude war geradezu spürbar und jeder, der je daran gedacht hatte, dieser Frau dieses Glück zu nehmen, starrte betreten zu Boden. Einschließlich ihr, den anderen Verlobten und Rivalen. Man spürte, welches Glück Nodoka Saotome empfand als sie ihren Sohn im schwarzen Anzug sah, untypisch schüchtern lächelnd. Als Braut und Bräutigam schließlich nebeneinander standen und herabblickten, sahen die Vermählten jeden einzelnen von ihnen an. Und jeder von ihnen erhielt ein solches Lächeln der Freude, ein so ehrliches Lächeln, dass kaum einer die Rührung unterdrücken konnte. Und morgen würde ihr großer Tag sein. Xian-Pu streichelte geistesabwesend das Kleid, in ihren Gedanken bei ihrer Mutter. Ihrer Mutter, die morgen der Zeremonie nicht würde beiwohnen können. Alle ihre Freunde würden da sein. Ryoga und Ukyo, Ranma und Akane, die Tendos, sowie die Saotomes. Ihre Urgroßmutter würde die Vermählung vornehmen und ihr und ihrem Erwählten das Ja-Wort abnehmen. Und trotz ihrer Tränen musste sie lächeln, als sie an ihn dachte. Wer hätte gedacht, dass sie doch noch nachgeben würde? Xian-Pu schüttelte leicht den Kopf. Sie kannte die Antwort darauf, denn als sie ihre Verlobung in gemeinsamer Runde bekannt gab, wurde ihnen beiden ohne viel Umschweife herzlich gratuliert. Einmal in der Woche trafen sie alle sich nämlich, vornehmlich im Neko hanten, manchmal auch im Ucchan's. Es war eine Tradition, die wenige Wochen nach dem Ereignissen auf dem Phoenixberg und der katastrophalen Hochzeit ins Leben gerufen wurde. Es war diese Tradition, die sie alle einander näher brachte. Das Knarren der Tür hinter ihr schreckte sie auf. Zögerlich trat jemand ein. "Entschuldige, ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt." "Nein, hast du nicht", beruhigte sie den nächtlichen Besucher. "Ich kann ohnehin noch nicht schlafen." "Nervös?", fragte er, denn die Stimme war männlich. Xian-Pu zuckte unbeteiligt mit den Schultern. "Ein wenig", antwortete sie. Beinahe lautlos näherte er sich ihr und kniete sich neben sie. Für einen Moment herrschte Schweigen, in dem sie beide lediglich nebeneinander saßen. "Ist es das?", fragte er in die Stille und meinte das Kleid. Xian-Pu nickte und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Seinerseits legte er einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. Unentwegt wanderten ihre beider Blicke über das magisch schimmernde Gewebe. "Es ist wunderschön. Es passt zu dir." Aufmunternd drückte er ihre Schulter und küsste sie zärtlich auf die Stirn. "Denkst du?", ihre Stimme klang unsicher und Xian-Pu war es auch. War sie es wirklich wert das Kleid ihrer Mutter zu tragen? Würde sie darin tatsächlich schön aussehen oder würde es ihr am Ende überhaupt nicht passen? So viele Fragen und Ungewissheiten plagten sie. "Du müsstest doch am besten wissen, dass ich nicht denke", entgegnete er und in seiner Stimme klang ein leichtes Lachen mit. "Du bist das schönste Mädchen, das mir je begegnete. Wenn überhaupt, dann kann sich das Kleid glücklich schätzen, von dir getragen zu werden. Denn es ist der Mensch, der einem Gegenstand Bedeutung verleiht, oder?" Bedächtig nickte Xian-Pu auf seine Worte hin. So leichtfertig ihr baldiger Ehemann auch häufig sprach, so besaßen seine Worte dennoch eine gewisse Wahrheit. "Deine Mutter wäre glücklich gewesen, dich so sehen zu können. Sie hätte sich gewünscht, dass du es trägst." Er hatte Recht. Wenn sich ihre Mutter eins gewünscht hatte, so war es, dass eines Tages ihre Tochter dies tragen sollte. Mit diesen Worten hatte sich Cologne heute morgen an sie gewendet und als Xian-Pu spätabends ihr Zimmer betrat, schimmerte das Vermächtnis ihrer Mutter ihr bereits geheimnisvoll entgegen. Morgen würde ihr Tag sein. Hoffnungsvoll warf Xian-Pu einen Blick in den sternenreichen Himmel. Wenn ihre Mutter dort oben war, so würde sie auf ihre Tochter herabblicken und lächeln. Was zählte war, dass es der Wille ihrer Mutter war, dass ihre Tochter dies an ihrem großen Tag tragen solle. Und das würde sie tun. "Ich zieh' es an." "Wie? Jetzt?", fragte er ungläubig und beobachtete erstaunt seine Braut. "Warum nicht jetzt? Jetzt ist es doch am schönsten." Und mit diesen Worten stand sie auf und begann sich auszuziehen. Die Reaktion ihres Bräutigams bestand aus verhaltenen Protesten und einem Rotstich, der sich um seine Nase bildete. Kleidungsstück um Kleidungsstück fiel. Xian-Pu besaß nur noch Augen für das Kleid, das ihr vertraut zuzuflüstern schien. Nackt und nur in den Schein des Mondes getaucht, zögerte sie und warf einen Blick über ihre Schulter. Ihre Augen blieben auf dem jungen Mann hinter ihr haften. Auf seinem weißen T-Shirt und dem Pferdeschwanz, der über seine rechte Schulter fiel. Auf seinen Augen, die sie und ihren Körper mit einer unbenennbaren Zärtlichkeit betrachteten. Auf seinen Lippen, die ein Lächeln nur für sie und wegen ihr zauberten. "Du bist wunderschön", hauchte er und besah ihre vom Mond angeschienene Silhouette. Für ihn war sie ein Engel, der seine Flügel für ein Leben mit ihm eingetauscht hatte. Sie stellte das größte Glück in seinem Leben dar und war die Erfüllung aller seiner Wünsche. Und sie stand vor ihm, so wie er sie nur selten gesehen hatte. Er verlor sich gänzlich in dem Anblick der weiß glänzenden Umrisse ihrer Schultern, hinab zu den schlanken Armen, ihrem Po und hinunter zu ihren langen Beinen. Xian-Pu reagierte mit einem Lächeln und nahm das Kleid auf. Ihre Unentschlossenheit war gewichen und hatte für etwas Platz gemacht, dass sie selbst nicht zu benennen vermochte. Behutsam streifte sie den Stoff über ihren Kopf und zog ihn an sich herab. Er schmiegte sich wie von selbst an ihren Hals und dann über ihre Brust und den Bauch bis zu ihren Oberschenkeln. Vorsichtig schlüpfte sie mit ihren Armen durch die vorgesehenen Öffnungen hindurch und verharrte einen Augenblick, als sie hinauf zu den Sternen lächelte. Und dann wandte sie sich um zu Mu-Tsu. Für diesen war ein Stern zu ihm herabgestiegen. Das vorherige Schimmern des Kleides wurde von seinem jetzigen Glanz völlig in den Schatten gestellt. Vor ihm glänzte und funkelte die Liebe seines Lebens wie ein lebendig gewordener Stern und als sie ihm die Hand reichte und aufhalf, blieb beinahe sein Herz stehen. Auf ihren Lippen ruhte ein Lächeln, dass liebevoller und zärtlicher nicht hätte sein können. Und mit eben diesem Lächeln legte sie ihre Arme um seinen Hals, schmiegte sich an ihn und spürte sein Herz aufgeregt klopfen. "Ich liebe dich mein blinder Tollpatsch", flüsterte sie ihm zu und presste ihre Lippen auf seine. Am schwarzen Himmel über ihnen leuchtete eine Sternschnuppe auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)