Der Bulle und der König von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 9: Frische Luft ----------------------- Ratlos fuhr Makoto sich durch sein nasses Haar. Hatte er überreagiert? War es falsch gewesen, Takashi in dem Zustand allein zurückzulassen? Irgendwelche Krankenpfleger oder Gefängniswärter haben sich sicher um ihn gekümmert, nur wie? Während er sich den frischgeduschten Hintern abtrocknete, begann er sich trotz der Wäsche immer dreckiger zu fühlen. Und wieder erwischte er sich dabei, Spucke zu sammeln, um sie auszuspucken. Irgendwie hatte er noch immer Takashis nach nichts schmeckende Zunge im Mund. Irgendeine Freundin, mit der er diesen Geschmack hätte neutralisieren können, hatte er auch nicht. Es wurde höchste Zeit, dass Hikaru, so lästig sie auch sein mochte, entlassen wurde. Der Geschmack von Takashi verblasste, als er sich plötzlich selbst ankotzte: Hikaru hat seine Freunde ermorden lassen und er wollte sie wiedersehen, hegte nie einen Groll gegen sie. Und Takashi? Was hatte der ihm getan? Ihn geküsst, was nicht wirklich eine Geste von Feindseligkeit war. Auch, wenn es lästig war, nahm er sich vor, Takashi dieser Tage zu besuchen und die Sache aus der Welt zu schaffen. Noch immer starrten Takashi und Yamai aneinander vorbei. Gelegentlich trafen sich ihre Blicke, flüchtig als wollten sie nur kurz sichergehen, dass der andere sich noch an derselben Stelle befand. Yamai stöhnte und stand auf. Takashi ließ sich nichts anmerken. Dies wurde schwierig, als Yamai sich unter dem Vorwand, es sei zu warm hier drinnen, das graue Hemd aufknüpfte und über den Kopf zog. Was darunter zu Vorschein kam, hatte nichts mehr mit dem Schwächling zu tun, mit dem Takashi vor etwa zwei Jahren den Boden gewischt hatte. Yamai musste die „Schonzeit“ ohne Takashis Tyrannei genutzt haben und der Yamai der nun vor ihm stand, ließ Takashi zweifeln. Dieser „neue“ Yamai hatte eher die Muskeln eines Rottweilers als die eines Dobermanns. Takashi musste sich ernsthaft überlegen, ob er diesen Mann weiterhin piesacken wollte. Die Tür öffnete sich und ein Wärter schickte beide hinaus auf den Hof. Yamai warf sich das Hemd über und grinste Takashi im Vorbeigehen an. Resolut aber unauffällig nahmen Takashi und Yamai, draußen angekommen, sofort Abstand voneinander und mischten sich unters Volk. Es schien erstaunlich viele Ausländer zu geben, was womöglich mit der Grund war, weshalb das Gefängnis immer mehr an „Japanischkeit“ verlor, was die Einrichtung betraf. Irgendwie amüsierte Takashi der Gedanke, hier womöglich auf Ali zu treffen. Anstatt Ali, begegnete ihm ein Deutscher. In nahezu akzentfreiem Japanisch bat dieser ihm Haschisch an, doch Takashi lehnte freundlich ab. Er blieb seinen Prinzipien treu: bekifft wirken, ohne es zu sein, er war ein Meister dieser Kunst. „Hey du,“ sprach ihn plötzlich ein Japaner an. „Du bist neu hier, oder? Die lassen dich hier erst nach einer Eingewöhnungszeit zu den anderen, du bist seit ungefähr vier Wochen hier, oder?“ „Ungefähr, ja,“ erwiderte Takashi und vergrub die Hände in den Taschen. „Du siehst die Typen da hinten, oder? Das is meine Bande, die sind alle voll okay.“ „Oder?“ Der andere lachte verlegen. „Wenn du willst, nehm ich dich auf. Du bist hier doch ganz allein, oder?“ „Danke,“ sagte Takashi und verbeugte sich recht höflich, „Aber ich hab ihm Führen mehr Übung als im Nachlaufen. Ich würde euch sicher nur enttäuschen.“ „Bloß keine Bescheidenheit oder was,“ nörgelte der andere und ging zurück zu seiner Clique. Takashi winkte ihm freundlich hinterher und verstand nicht, warum die Leute um ihn herum ihn so seltsam ansahen. Er mochte es nicht immer zeigen, aber auch Takashi hatte einen gewissen Stolz. Und ein Gefängnis änderte nichts an der Tatsache, dass er einst den Befehl über dreihundert Mann hatte. Nicht einmal über seine Leiche würde er sich als Unterhund rekrutieren lassen – wenngleich er sich weigerte, seine eigenen Jungs als Unterhunde zu bezeichnen. Und immer noch starrten die Leute ihn so seltsam an, als sähen sie ein Unheil auf ihn zukommen, das nur er selbst nicht sehen konnte. „Hey du!“ „Ja bitte?“ Wieder stand jemand hinter ihm, diesmal ein etwas zappeliger Afroamerikaner. „Der Typ da eben,“ flüsterte er Takashi ins Ohr, „Das war Ryuji Matsuura, der Boss der größten Gang hier.“ „Aaah,“ grinste Takashi, „Gut zu wissen. Das heißt, die größte Gang auf diesem Hof besteht aus... vier... sechs, sieben... zwwww... ölf Mann? Ein Grund zur Sorge weniger, danke.“ Der Schwarze schüttelte den Kopf. „Du kapierst wohl nicht,“ flüsterte er etwas lauter, „Ich weiß nicht woher, aber die Typen haben Messer! Sobald die Wachen wegsehen, hast du eins davon im Rücken!“ „Woooow, wie in Amerika!“ „Ich mach keine Witze, Alter!“ „Ich hab schon soooooo viele Messer pariert, so viele können die in ihrer gesamten Haftzeit nicht sammeln. Oh, eins weniger!“ „Hä...?“ Mit leicht verwundertem Blick zog Takashi das Messer aus seinem Hemd, wo er es noch gerade hatte abfangen können, ehe es seinen Rücken traf. Mit der anderen Hand umklammerte er das Handgelenk des Täters, der wie versteinert hinter ihm stand. Wie in einem Walzer wirbelte Takashi herum, ohne das Handgelenk loszulassen und lächelte ihn gefährlich an. „Solche Sachen gehören nicht hierher, meinst du nicht? Gehörst du zu Oder-chans Bande?“ Der andere bekam keinen Ton heraus und Takashi sah an ihm vorbei und zu Matsuuras Bande hinüber, die am Zaun stand und die Szene beobachtete. „Weißt du, ich komm hier eh nicht mehr lebend raus, ich kann also machen was ich will. Ändert nix an meiner Lage. Und du, hast du vor, hier noch mal lebend rauszukommen?“ Die Seelenruhe, mit der Takashi ihn lächelnd zu Boden drückte, ließ dem Mann das Blut in den Adern gefrieren. Hilflos sah er nach hinten, wo seine Kameraden ihn aus den Augenwinkeln beobachteten. Sie hatten eindeutig nicht die Absicht, ihm zu helfen. Stattdessen sammelte sich ein immer größer werdendes Publikum um die drei herum und der Afro zog es vor, sich unauffällig in diese Gruppe verschwinden zu lassen. Bis vor wenigen Minuten war ihm dieser Strohkopf mit dem unschuldigen Lächeln und dem kindlich großen Kopf noch sympathisch gewesen, doch jetzt machte vor allem dieses Lächeln ihm Angst. Auf den ersten Blick hätte er nie gedacht, dass dieser Bengel den Mut und die Kraft hätte, einen von Matsuuras Bande mit wenigen Handgriffen festzunageln. Perplex beobachtete er nun, wie Takashi sich breitbeinig auf den Mann unter ihm setzte und sich zu ihm hinunterbeugte, um ihm einen eisigen Kuss auf die Lippen zu drücken. “Richte Oder-chan von mir aus, dass mich nur eine Bande interessiert und die ist erstens fünfundzwanzig mal größer als seine und zweitens bin ich da der Kopf, nicht der eingekniffene Schwanz. Haben wir uns verstanden? Haben wir! Wunderbar!“ Das eiskalte Lächeln. Dieses wilde Funkeln, das seine schwarzen Augen so endlos tief wirken ließ. Dieser nicht übertrieben starke Griff, mit dem er ihn am Boden hielt. All diese unauffälligen Dinge ließen Takashi so furchterregend, so überlegen, so sadistisch erscheinen. Als er endlich aufstand und sich gemütlich neben ihn auf den Asphalt setzte, verlor der junge Mann keine Sekunde und rappelte sich vom Boden auf und verschwand in der Menge, die sich wieder aufzulösen begann. Nahezu paranoid drehten sich manche zu Takashi um, um sicherzugehen, dass er noch brav da saß. Das tat er. Er schien sich überhaupt nicht darum zu kümmern, dass er soeben der halben Bevölkerung des Gefängnisses Angst und Schrecken eingejagt hatte. Er saß einfach nur da, im Schneidersitz, und spielte mit seinen Fingern. Für Takashi war solches Imponiergehabe keine große Sache und viel wichtiger schien für ihn im Augenblick die frische Luft zu sein, die er nun seit einer Ewigkeit wieder genießen konnte. Mit einem Plumpsen ließ er sich auf den Rücken fallen und sah nahezu verliebt in den blauen, von Schäfchenwolken bestickten Himmel. „Du..?“ „Hm?“ Der Afro stand wieder über ihm und sah ihn besorgt an. Er war ungefähr so alt wie Takashi und ebenfalls eher schmächtig. Auf dem Kopf hatte er nur ein paar dünne Rastazöpfe. „Das war wirklich cool! Hast du irgendwo Karate gemacht oder so?“ „Karate? Also wenn, dann nur Kickboxen.“ „Klasse!“ Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Aber das eben hatte doch nix damit zu tun, oder?“ „Nee, das lernste mit der Zeit. Hatte schon öfter mit Messern zu tun. Und mit wem hab ich die Ehre?“ “Ich? Benjamin. Benji für dich.“ „Takashi und hinter dir.“ „Hä?“ Benji küsste den Boden und ein sehr viel kräftigerer Afro packte ihn, hart aber herzlich, am Schlafittchen, stellte ihn auf die Füße und zerrte ihn zurück in die Ecke des Hofes, aus der er gekommen war. Dort konnte Takashi noch mehr Ausländer sehen, die scheinbar alle nichts mit den Eingeborenen zu tun haben wollten. Er würde nie verstehen, wofür manche Leute ausgerechnet nach Japan kamen. „Die meisten finden cool, was du da eben getan hast,“ sagte plötzlich ein älterer Mann zu Takashi, ohne bei ihm stehen zu bleiben. „Und sie finden es mindestens genauso dumm. Ab sofort bist du hier wirklich allein.“ „Wie meinen?“ Der Mann blieb ein paar Meter vor Takashi stehen. Ohne sich zu ihm umzudrehen, fuhr er fort. „Matsuura mag ein Taugenichts sein, der Taugenichtse um sich scharrt um sich aufzuplustern, aber sein Feind will hier trotzdem keiner sein. Du hast dich soeben zu seinem Feind erklärt, niemand wird hier noch so töricht sein, mit dir gesehen werden zu wollen.“ „Sehen wir dann.“ „Was du sehen wirst, Bengel,“ murmelte der Alte, „Ist der Asphalt, an dem dein eigenes Blut klebt.“ „Hab ich schon öfter gesehen. Kann ich vertragen.“ „Dummkopf,“ nuschelte er und schüttelte den Kopf. „Dummkopf, Dummkopf, Dummkopf...“ „Angenehm, Takashi.“ Der Alte drehte sich seufzend zu Takashi um, warf ihm einen verzagten Blick zu und ging. Eine Durchsage ertönte und die Gefängnisinsassen wurden zurück in ihre Zellen geschickt. Noch einmal drehte Takashi sich zu Matsuura und seiner Gang um und zog eine Augenbraue hoch. Was sollte er von diesen Idioten zu befürchten haben? Als er sich in Richtung Zelle begab, sah er nicht, wie jemand anders sich zu Matsuura gesellte... Von der frischen Luft aufgeheitert, ließ Takashi sich wieder in seine Zelle sperren. Dort wollte er sich gerade beide Futons ausrollen um sich darauf breitzumachen, als ihm einfiel, dass er jetzt mit Yamai zusammen wohnte und ihm nur eines der beiden Futons gehörte. Yamai kam herein und sah etwas stutzig auf das ausgebreitete Futon, dann hinüber zu Takashi. „Mach was du willst, wirst sehen, was du davon hast.“ Takashi sah und fühlte. Zwei Wärter kamen herein und mit vereinten Kräften rissen sie Takashi das Futon unterm Hintern weg und er landete ziemlich rau auf dem Steinboden. „Bis acht Uhr wird nicht rumgelegen,“ fuhren sie ihn an. „Aufstehen, mit dem Gesicht zur Wand, bis acht!“ Takashi gehorchte achselzuckend. Solange sie keine Videokamera installierten, konnte er sich sowieso gleich wieder setzen, sobald die beiden Wärter draußen waren. Warum er in der Einzelzelle überwacht wurde, während man ihn und Yamai unbeaufsichtigt allein ließ, war ihm ein Rätsel. In West Ikebukuro saß Makoto seufzend auf einer Steinbank. Neben ihm saß Masa, der ihn gequält ansah. „Du solltest seine Hoheit King endlich mal besuchen, weißt du?“ „Ich will ja,“ stöhnte Makoto, „Aber nach dem, was vorgefallen is, is das dermaßen lästig...“ „So ist er eben. Aber... aber wenn, weißt du, wenn er nicht mehr rauskommen sollte, also ehe er, du weißt schon, solltest du das aus der Welt schaffen. So willst du das doch nicht enden lassen?“ „Ich weiß,“ stöhnte Makoto noch lauter, „Ich weiß, und ich hab noch ein paar Monate, um das zu begradigen, also sei du nich auch noch lästig!“ „Ein paar Monate? Sagt wer?“ „Hä? Nein, also es heißt doch, sechs Monate Knast und dann Hinrichtung.“ „Makoto!“ „Ha?“ „So sollte es zwar sein, aber weißt du denn gar nichts?!“ Makoto sah Masa verwirrt an. Der Blonde wirkte auf einmal sehr aufgebracht, wie er plötzlich aufstand und herumfuchtelte, als er mit Makoto sprach. „Sechs Monate sind Standard, aber in Wirklichkeit hängt das nur von denen ihren Launen ab! Wenn die beim Essen beschließen, dass sie zum Nachtisch jemand hängen sehen wollen, dann tun die das! Jeden Moment, sogar jetzt, kann einer zu Takashi-san in die Zelle kommen und sagen, ‚Komm mit, du bist hier fertig’ und das war’s! Nicht mal die Familie wird unterrichtet!“ Makoto schwieg ihn schockiert an. Wenn Masa recht hatte, konnte Takashi längst tot sein. Das bedeutete nicht nur, dass er sich sehr bald mit Takashi versöhnen musste, sondern auch, dass ihm wenig bis keine Zeit blieb, ihn dort rauszuholen. Es war paradox. Obwohl er soeben einen guten Grund bekommen hatte, sich ans Werk zu machen, kurbelten Masas Worte seinen Tatendrang auf null herunter. Denn was er jetzt auch tat, es konnte zu spät sein. Das war vorher zwar auch nicht anders, aber da wusste Makoto das noch nicht, glaubte, er habe Zeit und könne ruhigen Geistes an die Sache herangehen. Damit war es jetzt vorbei. „Soll ich dir deine Uniform holen gehen?“ „Hä?“ „Polizisten sind auch Nachtbesuche gestattet.“ „Was soll das denn bringen,“ knurrte Makoto, stand auf und ging. Im tiefen Inneren hoffte er, dass es irgendwie ohne sein Zutun ein Ende fände, irgendeins. Ein Ende, von dem er irgendwann beiläufig erfahren und nicht weiter darüber nachdenken würde. Hauptsache, diese Quälerei hätte bald ein Ende. Masa konnte Makotos Gedanken anhand seiner Haltung lesen und schüttelte traurig den Kopf. Konnte ein Mensch Gefangener seiner eigenen Bequemlichkeit werden? „Wenn..,“ schrie Masa ihm stotternd hinterher , „Wenn du... wenn du im Knast sitzen und auf den Tod warten würdest, wo Takashi dich reingebracht hätte, hätten die G-Boys längst das Gebäude gestürmt! Ach, was red ich? Takashi hätte dich gar nicht erst verhaftet! Er hätte dich ins Auto gezerrt, versteckt und den Mord der Yakuza angehängt! Er hätte... er hätte... Makoto! Und du sollst der Held von Ikebukuro sein?! Überleg mal, wer dir dazu verholfen hat!! Du bist total... du bist echt scheiße!!“ Als Antwort trat Makoto einen Mülleimer aus seiner Halterung und verschwand in Bukuros Nachtleben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)