Der Bulle und der König von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 11: Vom Tresen bis zum Tor und nicht weiter --------------------------------------------------- „Wo is Yamai jetzt?“ wollte Makoto wissen. „Weiß nicht,“ stöhnte Takashi, „Wollen dich vielleicht nicht stören und haben ihn solange woanders untergebracht.“ „Und warum stinkst du nach Kotze?“ „Das könnte daran liegen, dass ich mich im Schlaf übergeben habe,“ erklärte Takashi zynisch. Schon die ganze Zeit fixierte er eine Falte im Bezug des Futons zwischen seinen Füßen. „Ich lass dich umsiedeln, versprochen.“ „Zu wem diesmal? Matsuura?“ „Wer?“ „Nichts,“ hustete Takashi, als er versuchte, den Schleim in seinem Hals zu lösen. „Was is letzte Nacht sonst noch passiert?“ fragte Makoto besorgt. Takashi war so abwesend. „Du meinst, außer, dass ich mich gleich zwei mal hab sterben sehen? Nichts, dass ich wüsste.“ „Sicher?“ hakte Makoto nach. Takashi konnte ihn nicht anlügen. „Steh mal auf.“ „Mako-chan,“ grinste Takashi gereizt, „Wenn du darauf anspielst, nein, mir tut der Hintern nicht weh, so was würd ich merken.“ „Woran du immer gleich denkst,“ lachte Makoto. „Aber Yamai trau ich so was zu.“ „Dafür bin ich mit einem komischen Geschmack im Mund aufgewacht...“ Makoto verzog angewidert das Gesicht, was Takashi sofort bemerkte. „Nicht so komisch. Ganz anders. Mako-chan, ich glaub, du brauchst mal wieder ne Freundin.“ „Wie weißt du eigentlich, wie so was schmeckt?“ „Na ja,“ grinste Takashi verschmitzt, „Du hast gelegentlich einen sehr festen Schlaf, Mako-chan...“ „HA!?“ „Ist doch nur Spaß,“ konnte Takashi den armen Makoto gerade noch vor einem Herzinfarkt bewahren. Ganz besorgt sah er Makoto an, als wäre er schon dabei, um sein Leben zu röcheln. Makoto gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. „Komm mit, wir gehen dir ne neue Zelle besorgen. Mal wieder.“ „Tut mir leid,“ hieß es am Empfang, „Aber alles ist voll, darum haben wir ihn ja auch zu Yamai umgesiedelt.“ „Aber warum ausgerechnet zu Yamai,“ fragte Makoto ungläubig, „Jeder weiß doch, was die beiden für eine Geschichte haben!“ „Majima-san,“ seufzte der Beamte, „Dies ist eine Strafvollzugsanstalt. Hier herrschen nicht dieselben Zustände, wie da draußen in Ikebukuro.“ „Ach nein!?“ fuhr Makoto den Mann an und schlug mit der Faust auf die Theke, „Und was is das hier, hä!?“ Wütend packte er Takashi ein wenig zu grob am Kragen und zerrte ihn nach vorn, wo er in die Theke krachte und ihn ansah, wie ein getretener Hund. Als er Takashis Kinn anhob, wurden die Handabdrücke auf seinem Hals sichtbar und der Beamte sah verwundert auf. “Nanu, was ist denn das?“ „Tun Sie doch nicht so blöd,“ knurrte Makoto, „Yamai hat versucht, ihn umzubringen! Dass das passieren würde, hätten Sie eigentlich wissen können! Sie haben’s gewusst, geben Sie’s zu!“ „Wissen Sie, Majima-san,“ seufzte der Mann arrogant und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, „Wir sind voll. Da müssen wir schon mal Kompromisse eingehen und Prioritäten setzen. In erster Linie geht es uns darum, die Insassen, die eines Tages wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden sollen, zu schützen und auf ihre Entlassung vorzubereiten. Die anderen...“ „Die anderen,“ unterbrach Makoto ihn in einem furchterregend ruhigen Ton, „Die Todeskandidaten sind eh bald abgehakt und je eher sie euch die Arbeit abnehmen und sich gegenseitig umbringen, desto besser..?“ „Wissen Sie...“ „Ich weiß einiges, und trotzdem versteh ich’s nicht! Heute morgen war doch ein Wärter bei denen in der Zelle, wollen Sie mir weismachen, dass der nicht gesehen hat, was Takashi da am Hals hat!?“ „Es ist nicht Aufgabe unserer Wärter, die Gefangenen auf blaue Flecken zu untersuchen.“ „Was ist denn die Aufgabe eurer Wärter,“ fuhr Makoto ihn an, „Außer Schikane und Gewalt hab ich noch nicht viel mitgekriegt von dieser Aufgabe! Und Sie? Was machen Sie hier den ganzen Tag? Sitzen auf ihrem fetten Arsch und zucken mit keiner Wimper, wenn ich hier mit einem Typen ankomme, der zwei fette Handabdrücke aufm Hals hat!“ „War das alles, was Sie mir sagen wollten?“ „Das war noch lange nicht alles, Sie...“ Mit einem selbstgefälligen Lächeln stand der Mann stand auf, kehrte Takashi und dem kochenden Makoto den Rücken und verschwand in einem Raum, zu dem eine Tür neben dem Schalter führte. Als er nach einer Viertelstunde noch nicht wieder herauskam, gab Makoto das Warten auf und kletterte über die Theke. „Was machst du?“ fragte Takashi leise, um Makoto nicht zu verraten. „Gucken, wie die Zellen belegt sind,“ murmelte Makoto, während er eine Mappe nach der anderen überflog, in der Hoffnung, auf ein Verzeichnis der Zellen und ihrer Insassen zu stoßen. Was er fand, ließ ihn stutzen: es war mehr als genug Platz vorhanden, um Takashi woanders unterzubringen. „Ich könnte dich hier, in Zelle dreihundertsechs unterbringen, das is ne Einzelzelle, oder bei Yagami in Zelle vierundneunzig, das scheint mir ein ganz Harmloser... Takashi?“ „Mmh..?“ Takashis Mund hing halb offen und ihm lief die Sabber an der Seite herunter. Er sah mehr als nur müde aus, wie er sich schlaff auf den Tresen stützte und den Kopf zwischen die Arme baumeln ließ. Seine Knie beugten sich immer mehr und Makoto konnte ihn gerade noch auffangen und sachte auf den Boden setzen und an die Theke lehnen. Als Makoto seine Wange fühlte, war diese eiskalt und feucht. Hilflos sah er sich um, konnte aber bis auf Sitzmöbel und die Theke, die aus seiner momentanen Perspektive alle riesig wirkten, nichts Brauchbares entdecken, einen Wärter zum Beispiel. Sein Blick schweifte im Raum umher und plötzlich wurde er von einem grellen Licht geblendet. Er drehte sich dem Licht zu und geriet beinahe genauso ins Schwitzen wie der benommene Takashi neben ihm. Das Licht kam von draußen, knallte durch die riesige vierfache Glastür in den Raum. Eine Glastür, die tagsüber nicht abgeschlossen war, hielten sich hier doch normalerweise keine Gefangenen auf. Keine fünfzig Meter weiter, jenseits des hohen Elektrozauns, stand sein Dienstwagen geparkt. Er nuschelte sich irgendetwas von „Lästig“ in den Kragen und verpasste Takashi eine schallende Backpfeife. „Aufstehen,“ murmelte er. „Los, reiß dich zusammen!“ Takashi sah ihn mit müden Augen an als wolle er nur wissen, wofür er jetzt schon wieder geschlagen wurde. „Nun steh auf,“ knurrte Makoto und legte sich Takashis linken Arm um die Schulter und zerrte ihn auf die Beine. „Tragen werd ich dich nicht, musst schon selber laufen.“ Takashi riss sich, wie befohlen, zusammen und schaffte es tatsächlich bis wenige Meter vor dem Einfahrtstor. Die frische Luft verfehlte ihren Zweck und verpasste Takashis erschöpftem Kreislauf einen zusätzlichen Schlag und Makoto musste ihn mit aller Kraft zum Tor zerren. „Kann ich ihnen helfen?“ Innerlich fluchend, drehte Makoto sich um. Hinter ihm stand derselbe Mann, der ihm schon an der Rezeption so sympathisch gewesen war. Wie sollte Makoto sich jetzt verhalten? Was gab es für plausible Erklärungen für das, was er gerade tat? „Äh... nein, wissen Sie, ich hab eigentlich die Anweisung bekommen, Andoh in eine andere Anstalt zu bringen, wenn mir hier weitere Missstände auffallen, und...“ „Missstände?“ fragte der Mann verdutzt, „Was für Missstände? Ich hab ihnen doch schon erklärt, dass kleine Handgreiflichkeiten in jeder Haftvollzugsanstalt zum Alltag gehören und wir nicht viel dagegen unternehmen können...“ “Und dass sie voll sind, obwohl über zweihundert Betten frei sind, dass Todeskandidaten sich gegenseitig umbringen dürfen und dass Sie sich ihren Stundenlohn durch ihre reine Anwesenheit sichern?“ „Nun beruhigen Sie sich aber mal wieder...“ Makoto war weit davon entfernt, sich zu beruhigen und hätte er nicht fünfzig Kilo Ohnmacht im Arm hängen gehabt, hätte er diesen Mann wohl zusammengeschlagen. Sein Verstand sagte ihm zwar, dass er sich nun genau überlegen sollte, was er sagte weil er angesichts der Situation durchaus Besuchsverbot verhängt bekommen könnte, aber sein Herz raste vor Wut, er war schweratmig und seine Gesichtsmuskulatur zuckte, als wolle er den Mann vor ihm anschreien. Widerwillig wandte er das Angermanagement, das Takashi ihm einst beigebracht hatte, an und beruhigte seine Atmung, bis sein Gesicht abkühlte und seine Muskeln sich entspannten. Leicht verärgert schielte er auf Takashi hinunter. „Ruhigbleiben und nichts tun“, „Die Wut einfach ausschalten“, all das waren einst seine Worte gewesen. Nur er selbst schien sich nicht daran zu halten. Es bedurfte all seiner Willenskraft, sich zusammenzureißen und seine Worte und seinen Ton zu mäßigen. Er war hier eindeutig der Verlierer und musste jetzt zusehen, dass die Opfer sich in Grenzen hielten. „Dass ich vorhin etwas lästig wurde,“ stammelte Makoto, „Also, dafür, Entschuldigung. Ich finde nur nicht richtig, wie das hier gehandhabt wird und frage mich, ob es nicht vielleicht doch eine Möglichkeit gäbe, Andoh woanders unterzubringen oder zumindest die jetzige Zelle zu überwachen, solange Yamai noch mit ihm da drin wohnt?“ Er kam sich wirklich erbärmlich vor. Jeder Idiot, ja sogar der Beamte selbst, wusste, wer hier eindeutig im Unrecht war. Allein schon die Sache mit dem Platzmangel ließ Makoto implodieren. Doch es gab nun einmal Ungerechtigkeiten, zu deren Bekämpfung man sich ihnen nur beugen konnte. Mit Takashi zu fliehen, wie er es gerade unüberlegt versucht hatte, kam nun jedenfalls nicht mehr in Frage. Doch er war immer noch bedeutend größer als sein Gegenüber und der Name Makoto Majima war auch hier nicht unbekannt. Die beiden versuchten einander mit aller Macht zu imponieren, ohne dabei zur Tat zu schreiten. Einer der beiden musste aber irgendwann aufgeben. „Na schön,“ gab der arbeitsfaule Wärter irgendwann nach, „Ich habe mich vorhin mit Kollegen beraten und ich denke schon, dass wir ihn woanders unterbringen können. Helfen Sie mir, ihn wieder reinzubringen?“ Schweren Herzens übergab Makoto Takashi, der kaum etwas davon mitbekam, wieder dem Gefängnispersonal und war nur froh, dass sein Entführungsversuch nicht aufgeflogen war. Er hatte gar keine andere Wahl, als ihnen zu glauben, als sie ihm versprachen, Takashi sofort untersuchen zu lassen und ihn baten, sich nun wieder seiner Arbeit zuzuwenden. Er wollte sich gerade anschnallen, als sein Handy, noch immer mit „Born to be wild“, klingelte. „Ja, Makoto?“ „Ich bin’s,“ antwortete Fujio Saitou am anderen Ende, „Sag mal, wo bist du grad?“ „Ich bin grad im Knast fertiggeworden, wieso?“ „Ach so,“ nuschelte Fujio, „Weil, dann hätte ich vielleicht wichtige Infos für dich und vor allem für Takashi.“ „Was?“ Makoto klemmte sich das Handy zwischen Ohr und Schulter um den Wagen anzuwerfen. „Erinnerst du dich an Hebi, Tendoukais Drogendealer?“ „Ach, der mit dem widerlichen Zischen, der den Leuten Speed in den Ar-“ „Ja, genau der,“ unterbrach Fujio ihn, als Makotos Gedächtnis einen etwas zu heftigen Höhenflug erlebte, „Hatte Takashi was mit seiner Verhaftung zu tun?“ „Hä?“, sagte Makoto, etwas verwirrt, „Nein, soweit ich weiß, nicht. Die wollten ihn auf Ali hetzen, aber er hat abgelehnt.“ „Hat er dir aus dem Hintergrund geholfen?“ „Nein, er hat sich völlig rausgehalten. Das war ihm ne Nummer zu riskant.“ „Gut,“ meinte Fujio erleichtert, „Der und sein Laufbursche, den ihr damals gefilmt habt, sitzen nämlich beide im selben Knast wie Takashi.“ Makoto fuhr beinahe gegen einen Müllcontainer. „Sag so was doch gleich!“ „Ich hab’s auch erst jetzt erfahren. Hab mich ein bisschen kundiggemacht, mit wem Takashi da alles rechnen muss. Dass Yamai da auch ist, weißt du bestimmt schon?“ „Ja, das weiß ich und das ist das Problem. Der is heut nacht auf ihn losgegangen. Die haben mir versprochen, ihn umzusiedeln, aber ich weiß nicht...“ „Versuch, das Ganze im Auge zu behalten,“ sagte Fujio und spielte nervös mit seinem Schnürsenkel, „Ich weiß nicht, ob’s von den Ausländern oder den Wachen ist, jedenfalls machen Hebi und sein Unterhund, Matsuura oder so, auch im Knast noch Geschäfte.“ „Matsuura?“, fragte Makoto alarmiert, als er das Steuer wieder nur knapp umreißen und dem Eismann ausweichen konnte. „Wieso, is was mit dem?“ „Takashi meinte irgendwas von einer Bande, in die ein Matsuura ihn integrieren wollte.“ „Das ist gar nicht gut,“ grübelte Fujio, „Das ist wirklich schlecht. Sie haben Takashi also schon im Visier...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)