Der Bulle und der König von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 14: Horrortrip im Wäschesack ------------------------------------ „Andoh!“, brüllte ein Wärter vom Eingang der Kantine aus, „Schlafen kannste im Bett, sieh zu, dass du aufstehst!“ Keine Antwort. Genervt ging der Mann hinüber zu dem Tisch, der den Putzkräften diesmal besonders viel Arbeit versprach. Blut, Suppe und Schweiß vermischte sich am einen Ende mit ausgerissenen Haaren und Spucke, am anderen Ende klebte – wieder mal – eine nasse Hose. „Oh Mann“, ächzte der Wärter und sah hilflos auf Takashi herab. „Und ich soll mich hier jetzt drum kümmern, oder was?“ Er drehte sich um und verließ die Kantine. Etwa zehn Minuten später kam er mit Yamai zurück und stieß ihn grob durch die Kantine bis zu dem Tisch, auf dem Takashi sich inzwischen eingerollt hatte und sein Gesicht in seinen Armen verbarg, wie ein Boxer, der sein Gesicht vor Schlägen schützte. „Das ist doch dein Bettnachbar?“, fuhr der Wärter Yamai an, „Dann kümmer dich drum! Nimm ihn mit in die Zelle oder bring ihn ins Klamottenlager damit er sich umzieht, mir scheißegal, aber kümmer dich drum.“ Yamai tat wie ihm befohlen und „kümmerte sich drum“, indem er Takashi am Kragen packte, vom Tisch zerrte und auf den Boden fallen ließ. Von seinem Meter fünfundachtzig aus wirkte Takashi wirklich winzig, wie er da auf dem Boden lag. So hatte Yamai ihn nie zuvor gesehen und hätte er sich nur halb so stark an ihn geklammert, hätte sein Hass auf den „King“ sich wohl verflüchtigt. Mit geringem Kraftaufwand gelang es ihm, Takashi hochzuziehen und aus der Kantine zu zerren. Im Wäschelager angekommen, stellte er Takashi neben der Tür ab, wo er auf einem Schmutzwäschesack zusammenbrach. Yamai sah zu ihm um und lachte. Nicht spöttisch, nur belustigt über Takashi, wie er in letzter Zeit ein Weltmeister im Torkeln und Stürzen zu werden schien. Nun gut, also doch spöttisch. „Was is deine Hosengröße, Takashi?“ Keine Antwort. Mit ein paar kleinen Größen in der Hand, ging er zurück zu Takashi und hockte sich vor ihn. Er winkte kurz mit der Hand vor Takashis Gesicht hin und her um sicherzugehen, dass er nicht gleich einen Ellenbogen an die Schläfe bekam und beschloss, dass er es wagen konnte. Takashis starren Augen zuckten nicht einmal. Nahezu todesmutig knüpfte Yamai die graue Baumwollhose auf und zog sie Takashi vom Leib, vorsichtig, um nicht an die feuchte Stelle zwischen den Beinen zu kommen. Angewidert hob er die Hose auf und kontrollierte die Größe: vierunddreißig. Von diesem Hintern hätten zwei in die Hose gepasst, die er ihm als erstes anprobieren wollte und er ging zurück zum Regal, um ein kleineres, nein, sehr viel kleineres, Modell zu suchen. Er war kurz davor, sich Makotos „Lästig, lästig, lästig, Scheiße is das lästig“ anzugewöhnen. Zumal er sich fragen musste, für wen die Situation erniedrigender war? Für Yamai, der seinem ehemaligen König und Tyrannen den Krankenpfleger spielen und ihm die nasse Hose wechseln musste? Oder für Takashi, der zum Pflegefall seines ehemaligen Unterhundes und Mobbingopfers herabsank? Vielleicht waren sie hiermit sogar quitt? Er tat etwas, das er nicht oft tat: nachdenken. In einem Zustand, der irgendwo zwischen wachen und schlafen lag, tasteten Takashis von Angstschweiß nassen Hände krampfhaft seinen Hals ab, als wolle er einen zu engen Kragen ausdehnen. Seine Füße bewegten sich orientierungslos über den Boden, als suche er Halt. Er stöhnte und ächzte, als ob er bereits am Galgen baumelte. Dabei lag er doch so weich und bequem in Bauchlage auf einem prallen Wäschesack? Yamai, mit einer Hose Größe sechsunddreißig, dem Kleinsten, was er finden konnte, sah Takashi zu, wie er qualvoll gegen die vom Kokain verursachten Wahnvorstellungen kämpfte. Für einen eingefleischten Drogengegner, der so brutal zur Einnahme gezwungen wurde, musste dies der reinste Horrortrip sein. Yamais Gedanken begannen, sich zu verstricken: sollte er allmählich Mitleid bekommen oder noch eins draufsetzen? Hier, allein im schummrigen Wäschelager, hatte er die Hosen an – im wahrsten Sinne des Wortes. Unentschlossen ging er wieder zu Takashi hin, hockte sich vor ihn und musterte ihn gründlich. „Los, mach doch“, stöhnte Takashi plötzlich und Yamai fuhr vor Schreck zusammen. „Du willst mir doch was. Na los, tu dir keinen Zwang an!“ Setzte die Paranoia bereits ein oder lag Takashi nicht ganz falsch? Tatsächlich hatte Yamai große Lust, seinem ehemaligen Anführer die neue Rangordnung ein für alle mal klarzumachen und das, mit der größten Demütigung, die es gab. Seine rechte Hand machte sich selbstständig und bewegte sich auf Takashis knochige Hüfte zu. Gleichgültig starrte Takashi an Yamai vorbei, während Yamais Blick sich allmählich auf Takashis nackten Unterleib fixierte. Plötzlich zuckte seine Hand zurück und Yamai stierte sie erschreckt an. Sofort richtete er sich auf, warf Takashi die Hose hin und atmete erleichtert auf, als sie alles bedeckte, was er da gerade so beunruhigend lustvoll angestarrt hatte. „Was mach ich hier“, murmelte er kopfschüttelnd und setzte sich an der gegenüberliegenden Wand auf einen der vielen grauen Baumwollsäcke. Anziehen musste Takashi sich die Hose schon selber. Eine von den Wärtern – wieder einmal – vergessene halbe Stunde verstrich, bis Yamai endlich kapierte, dass Takashi sich diese Hose so schnell nicht selbst anziehen würde. Der hatte ganz andere Sorgen, wie er, in einem Horrortrip gefangen, Gefahren ins Auge sah, die Yamai von der Realität aus nicht sehen konnte. Yamai hatte noch nie einen Horrortrip, nahm auch nur selten etwas Speed, mehr nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, was Takashi gerade durchmachte. Unter Takashi gab allmählich der Boden, nein, der Wäschesack nach und er merkte, wie er immer tiefer im nach viel zu lang getragener Herrenwäsche stinkenden Stoff versank. Er liebte es, in ein weiches Kissen zu sinken, bis er nicht mehr über den Rand sehen konnte, doch dieser Sack schien etwas zu weich, der Rand etwas zu hoch. Über sich begannen die Stofffalten, sich zu schließen, es wurde immer dunkler. Eine zitternde Hand streckte sich dem verschwindenden Licht entgegen, wollte sich und ihren Besitzer aus dem Sack herausziehen, doch dieser schloss sich nach oben und öffnete sich nach unten hin, wo Takashi immer tiefer und tiefer versank. Wie Muskeln in einem Schlund, presste der Sack ihn tiefer in sich hinein. Die Schmutzwäsche im Sack schien zu merken, dass er viel zu leicht war und so schlängelten sich Ärmel und Hosenbeine um seine Glieder und zogen ihn mit sich in die nach Schweiß stinkende Tiefe. Er wollte schreien, was ein Hemd merkte und ihm mit den Ärmeln knebelte. Als er versuchte, sich das Hemd aus dem Gesicht zu reißen, merkte er, dass seine eigenen Ärmel miteinander verknotet waren und er seine Arme nicht mehr bewegen konnte. Immer tiefer sank er hinab in ein schwarzes Loch, das keinen Boden kannte. Irgendwann viel er in etwas, das sich wie zwei starke Arme anfühlte und drehte seine ängstlichen Augen zu seinem Retter um, doch Matsuura lachte nur. So langsam füllte sich die Schmutzwäsche mit ihren Besitzern: Matsuura, Hebi, Saotome, Yamai und alle anderen waren plötzlich um ihn herum erschienen und ihre finsteren, fast schwarzen Gesichter setzten sich nur durch in einem Grinsen gebleckte Zähne und böse funkelnde Augen ab. Er fühlte ihre kalten Hände, wie sie ihn packten und sich um ihn zu streiten schienen: wer durfte ihn als erstes malträtieren? Seine Finger versuchten verzweifelt, von innen den Knoten in den Ärmeln zu lösen, gruben sich in den Stoff, der immer röter wurde. Das einzige, das seine Finger aufzureißen vermochten, war sein eigenes Fleisch. Plötzlich, endlich, stießen seine Füße auf Boden und er ließ sich fallen. Aus seiner Rückenlage sah er nach oben, wo er hergekommen war. Es war so finster, der Sack musste sich längst über ihm geschlossen haben. Das erklärte auch den Sauerstoffmangel. Hustend und keuchend warf er sich von einer Seite auf die andere, doch wohin er auch kriechen mochte, Luft war entweder überall oder nirgends. Nirgends. Eine erschütternde Lähmung namens Todesangst machte sich in ihm breit, kroch ihm bis in die Glieder, jagte ihm ein ekelhaftes Kribbeln durchs Knochenmark und wie er auch zappelte, sie ließ ihn nicht los, war die einzige, die noch zu ihm hielt, die ihn festhielt, als die anderen Männer um ihn herum ihn auf den Bauch drehten und das Gesicht in den Boden drückten. Eine Hand griff seine Kniekehle und hob sein Bein an, doch die Panik lähmte ihn. Plötzlich, als sein Gesicht schon nass und verheult war, fühlte er, wie sich ein Seil um seinen Bauch spannte und ihn langsam, vorsichtig, hochzog, bis er für die anderen außer Reichweite war. Das Hemd löste sich von seinem Mund und allmählich fühlte er auch den Sauerstoff zurückkommen. Scheinbar galt hier eine umgekehrte Physik und je höher man stieg, desto dicker wurde die Luft? Noch immer gab es über ihm kein Licht, keinen sichtbaren Ausgang, aber er merkte, wie er hochgezogen wurde, immerhin. Das Seil war schon alt, die Faser kratzte um seinen Bauch. Es wurde immer enger, es drückte so sehr, dass er kaum atmen konnte. Das Seil schien dies zu merkten und löste sich gerade genug, um ihn bis unter die Arme durchrutschen zu lassen. Endlich sah er ein winziges Licht über sich und eine Hand, die sich durch die Öffnung des Sacks quetschte. Es war eine rechte Hand, aber zu seiner Beruhigung hatte sie fünf Finger. Seine eigenen Hände waren noch immer in den verknoteten Ärmeln gefangen, so konnte die Hand über ihm ihn nur am Fußknöchel packen, wie auch immer sie da auf einmal rankam. Kopfüberhängend, blickten Takashis nassen, roten Augen in die seines Retters. Das schulterlange, fransige braune Haar und das genervte Gesicht, das alles gehörte zu Makoto. Mit bebender Stimme bat Takashi ihn, ihn hier schnell rauszuholen und Makoto nörgelte nicht einmal, als er ihm den Gefallen tat. Das Seil verschwand und Takashi baumelte unbequem aber in Sicherheit, in Makotos Hand. Der Boden befand sich nur noch wenige Zentimeter unter seinem Kopf, es war auch nicht mehr so dunkel. Im Gegenteil, es war so grell, dass ihm der Kopf schmerzte. Eine Taube flog an ihnen vorbei um sich auf das Brötchen, das jemand hatte fallen lassen, zu stürzen. Matsuura und die anderen waren verschwunden, stattdessen versammelte sich mehr und mehr Gelb um sie herum. Zwar stand alles kopf, aber auch umgekehrt konnte Takashi Jessie, Endanger und die anderen ausmachen. Da stand sogar sein Vater, der sich nicht die Mühe gemacht hatte, sich anzuziehen, ehe er in Ikebukuro West Gate Park spazieren ging. Die Tränen seiner Angst verwandelten sich in Tränen der Erleichterung und er nickte nur, als Makoto ihm vorwarf, wieder einmal extrem lästig zu sein. Makoto deutete das Nicken als Einverständnis, ihn fallen zu lassen und sein Schrei verlor sich in einer zugeschnürten Kehle, als der Boden unter ihm sich wieder öffnete und er sich mit dem Strick, der ihn zuvor gerettet hatte, um den Hals überschlug und zappelnd und mit heraushängender Zunge in einer schwarzen Leere hing. Seine Augen konnten nicht einmal mehr die Finsternis wahrnehmen, als sie ihm so weit herausragten, dass er es spüren konnte. Über ihm schloss sich das Loch und wieder war die Todesangst seine einzige Gesellschaft. Das Seil hatte nicht die Gnade, ihn zu töten, es schien ihn genau da festzuhalten, wo man den Tod am deutlichsten spüren konnte. Zwei starke, aber zarte Hände griffen seine Füße und das Gewicht eines ausgewachsenen Mannes hing an ihm, ruckte an ihm, damit der Strick sich noch fester zuzog. Langsam kletterte Kyoichi an Takashi hoch und schlang seine Arme und Beine wie eine Würgeschlange um seinen zierlichen Körper. Takashi spürte, wie die Haut an seinem Hals einriss und jede Sehne, jeder Muskel, unter Kyoichis Gewicht zu reißen begann. „Leistest du mir Gesellschaft, Takashi-kun?“ Yamai wusste sich keinen Rat mehr. Seine Arme waren kaum stark genug, um Takashi daran zu hindern, sch selbst die Finger so zuzurichten. Seine dürren Hände waren blutverschmiert, Hautfetzen klebten an Stellen, wo sie nicht hingehörten, als hätte er versucht, sich aus unsichtbaren Fesseln zu befreien. Seine Beine traten in alle Richtungen aus, er streckte sich, um sich dann wieder zusammenzuziehen und immer wieder schrie er vor Angst und Schmerzen, die Yamai nicht nachvollziehen konnte. Speichel floss ungehindert aus seinem Mund, weil er es nicht zu schaffen schien, ihn zu schließen. Mit aller Kraft hielt Yamai seine blutigen Hände fest und drückte sie hinter Takashis Kopf in den Wäschesack, damit er sich nicht weiter verletzen konnte und legte sich quer über ihn um ihn festzuhalten, bis er sich wieder beruhigen würde. Dass er dabei ein Knie, dem er inzwischen mangels Geduld und mit viel Mühe eine Hose übergestreift hatte, in die Seite bekam, merkte er kaum. Mit einer Mischung aus Mitleid und Ekel sah er Takashi an, der schreiend und zappelnd unter ihm lag und unter furchtbaren Wahnvorstellungen zu leiden schien. Die Erinnerung an den Spaß, den es ihm einst gemacht hatte, Takashi zu schikanieren, schien plötzlich so fern und er verlor jede Lust, diesen jämmerlichen Wurm noch weiter zu quälen. Dieses vertraute Pochen, das auf so geheimnisvolle Weise ein Gefühl der Geborgenheit bei ihm auslöste, er liebte es. Genau aus diesem Grund hatte er sich immer so gern an Jessie geschmiegt, seinen Kopf an ihre Brust gelegt und ihrem Herzschlag zugehört. Es war einfach so beruhigend. Es gab sogar Momente, in denen sie so seine Wut besänftigen konnte: sie hätte ihn einfach beim Schopf gepackt, herumgewirbelt und sich seinen Kopf mit einer Brachialgewalt gegen die linke Brust gerammt, bis dieser Dickschädel abkühlen würde. Auch jetzt spürte er, wie sein eigener Herzschlag sich beruhigte und das Zittern nachließ. Sein Schweiß trocknete allmählich und sein Körper entspannte sich. Nur diese grauenvollen Kopfschmerzen mochten ihn nicht so recht verlassen. Der Boden unterm Hintern fühlte sich diesmal überzeugend echt an und auch seine Füße mussten nicht länger nach Halt suchen. Er lag wieder – aus der Realität betrachtet „noch immer“ – auf den Wäschesäcken im Wäschelager, hier gab es weder Seile, noch gewalttätige Schmutzwäsche. Allmählich spürte er auch die Hand im Hinterkopf, die sein Ohr an diesen unbekannten Herzschlag drückte und die andere, linke Hand, die seine Rechte am Handgelenk festhielt. Hatte er jemanden angegriffen? Erst jetzt spürte er die durchaus realen Schmerzen, die er sich selbst zugefügt haben musste, als er versucht hatte, aus einer imaginären Zwangsjacke auszubrechen. Langsam, vorsichtig, öffnete er die Augen. War dies eine weitere – äußerst kuriose – Halluzination oder lag er tatsächlich halb auf Yamai, der seinen Kopf an sich drückte und seine Hand hielt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)