Bloodcage --- Erste Version von DemonhounD (Vampir-Roman) ================================================================================ Kapitel 4: Kapitel vier ----------------------- A ls ich meine Augen langsam zu öffnen versuchte, fühlte ich mich elend, wie lange nicht mehr. Meine Sicht war verschwommen und ich war zu schwach meine Augen wirklich zu öffnen, aber ich nahm die Bewegung einer Person im Raum wahr. Ich roch das süße, warme Blut einer Frau, bevor ich sie sah und ich nahm ihre Bewegung durch den Lufthauch, den sie verursachte wahr. Ausgehend von meinem Arm fühlte ich einen tauben dumpfen Schmerz, der meine ganze rechte Seite zu erfüllen schien. Dies erinnerte mich vage an die Geschehnisse der letzten Nacht, aber ich hatte keinen Bezug mehr dazu. Keine Gefühle mehr. Ich war innerlich kalt geworden und abgestorben. Ich war gefallen… nein, ich hatte mich selbst richten wollen. Ich war gesprungen. „Verdammt.“, wollte ich stöhnen, aber ich brachte nur ein Krächzen heraus, gefolgt von einem Schmerz in meiner rechten Brustgegend. Ich musste mir bei meinem Sturz einige Rippen gebrochen haben. Wie konnte ich nur so dumm sein?, fragte ich mich, als ich mich an meinen ersten Fluchtversuch von Siren erinnerte, bei dem ich ebenfalls einen tiefen Sturz überlebt hatte. Mit hätte klar sein müssen, dass ich es überleben würde. Es wunderte mich allerdings, dass ich nun so verletzt war. Vermutlich lag das an dem unkontrollierten Fall, bei dem ich auf meiner rechten Schulter und dem Genick aufgekommen sein musste, wenn man nach den Verletzungen urteilte. Ich erinnerte mich nun wieder an Siren, der mich sicher schon lange zurück erwartet hätte. Wie sollte ich ihm dies jemals erklären? Ich musste schnellstmöglich zu ihm zurück, denn ich wusste, dass jede weitere Verzögerung seinen Zorn nähren würde und ich hatte Angst. Gleichzeitig fühlte ich mich elend und sehnte mich irgendwie nach seiner Nähe. Nun versuchte ich erneut meine Augen zu öffnen, fand aber, dass ich erneut zu schwach war. Die Frau kam auf mich zu, dass spürte ich genau und bevor die Flüssigkeit, die sie mir geben wollte meine Lippen berührte, spürte ich auch dies. Ich wandte den Kopf zur Seite soweit es mir möglich war und stöhnte leise, als der Schmerz in meinem Arm nur durch die Kopfbewegung wieder einsetzte. „Mein Name ist Nathalia.“, sagte die Fremde und drehte meinen Kopf wieder leicht in die entgegen gesetzte Richtung. Ihre Finger berührten meine Wange und sanft meine Haare und sie waren so warm und tröstend, dass ich am liebsten geweint hätte. Erneut rann Wasser auf meine Lippen und ich trank es dieses Mal. „Du bist in Sicherheit.“, hörte ich wieder die ruhige Stimme, aber in dem Ausdruck den ihre Sprache angenommen hatte bemerkte ich, dass sie annahm, ich würde sterben. „Du bist hier nicht in Gefahr.“ Als Askian sprang und auf den Wegen des Bettlerviertels aufprallte durchzuckte mich ein schrecklicher Schmerz und ich wusste, dass ich zu weit gegangen war. Es war ein drohendes Gefühl des beinahen Verlustes. Es war eine dunkle Vorahnung, die nun stärker denn je meinen Geist Heim suchte, ohne, dass ich etwas gegen sie hätte tun können. Wie glücklich warst du, der du die Zeichen nicht zu deuten wusstest – wie glücklich, denn du konntest dich vor ihnen verschließen. Ich selbst aber war vollkommen hilflos der Zukunft ausgeliefert, die ich zwar vorhersagen, aber doch nie verhindern konnte. Hätte ich etwas tun können, damit es anders geht? Ich weiß es nicht und so blieb ich einfach wo ich war. In meinem goldenen Käfig, den ich nur für mich selbst errichtet hatte. Ich erwartete lange nicht mehr, dass du mich verraten würdest. Die Wunde, die du dir selbst zugefügt hättest wäre zu tief gewesen. Ich hatte dich so in meiner Gewalt, wie du Macht über mich besaßest. Mir war bewusst, dass du versucht hattest deinem Leben ein Ende zu setzen, genauso, wie ich mir klar war, dass all dies meine Schuld war. Ich war vielleicht zu schnell gewesen. Zu weit gegangen. – Und was ich damals wusste, aber nicht wahrhaben wollte war, dass ich dich vielleicht für immer verloren hatte. Meine verklebten Augenlider öffneten sich nur widerwillig und das Erste, das in meine Gedanken kam war Siren. Ich wollte bei ihm sein und seine Hände auf meiner Haut spüren, seinen Geruch einatmen, für ein paar Sekunden den pochenden Schmerz vergessen, der in meinem zertrümmerten Arm tobte. Das Bett in dem ich lag kratzte auf eine angenehme Art und Weise auf meiner Haut. Der Dreck um mich war weit weniger angenehm. Es war, als würde ich nach langer Zeit nach Hause kommen und erkennen, dass es weit weniger gut war, als zunächst angenommen. Der Stoff unter dem ich lag war aus Leinen. Ich war noch in den Slums. Die Erkenntnis durchzog mich mit einer kurzen Befriedigung und gleich darauf mit Enttäuschung. Siren hatte mich nicht gefunden. Er hatte mich nicht gerettet. Irgendwie kam mir der Gedanke, dass ich seine Forderungen vielleicht nicht zu Genüge erfüllt hatte. Hatte ich nicht alles für ihn getan? Wer mochte mich gefunden haben? Meine Sinne waren so vernebelt, das sie abzuschweifen begannen. Es kostete Mühe wach zu bleiben. Meine Augenlider konnte ich nicht einmal öffnen. Vor meinem geistigen Auge tauchte die verstümmelte Stadtwache auf. „Du bist ein Mörder, Askian.“, flüsterte er in einer mir vertrauten Stimme und noch während sie schier unaufhörlich in meinem Kopf wider hallte wusste ich, dass es meine Eigene war. „Siren, wo bist du?“ Auch das hatte ich vermutlich gesprochen. So als wäre ich nicht mehr in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Jede Gefühlsregung musste ausgesprochen werden, um sie zu verarbeiten. Und dann rann auf einmal etwas Kaltes meine Stirn herab. Wasser rann meine Schläfen herab wie kaltes Blut. Etwas Schweres wurde auf meine Stirn gedrückt und gleichzeitig streiften mich die gefeilten Fingernägel und der Geruch einer menschlichen Frau. Obwohl ich meine Lider nicht weit genug öffnen konnte, um sie zu sehen wusste ich, dass sie schön war. „Wer bist du?“ Für einen kurzen Augenblick wusste ich nicht, ob es meine oder ihre Worte waren, doch nach einer kurzen Pause schwebte ihre einschmeichelnde Stimme mit einem leichten irischen Akzent im Raum: „Nathalya.“ Trotz meiner Schmerzen musste ich irgendwie lächeln. „Ein seltsamer Engel.“ Ihr rot gelocktes Haar fiel sanft um ihre Schultern und eine einzelne Strähne hatte sich in ihrem Mundwinkel verfangen. Sie schien spöttisch zu lächeln und all das wusste ich bereits ohne sie je angesehen zu haben. „Wer bist du?“, fragte sie vielleicht zum zweiten Mal. Mein Name? Wie war nur gleich mein Name? Ich besaß ja keinen. „Askian…“, stöhnte ich und versuchte mich aufzurichten – fiel aber zurück in die Kissen, die mir auf einmal unendlich weich und verführerisch vorkamen. Diese seltsame Müdigkeit in mir mochte das sein, was für Menschen den Tod bedeutet. „Askian.“, die Stimme sprach dieses Wort in einer Art aus, die mir einen leichten Schauer über den Rücken jagte. Es war als würde sie dieses Wort selbst kosten und genießen. – Genießen, wie Siren mein Blut getrunken hatte. – Getrunken, wie Siren meinen Namen und mein Leben verschlungen hatte. „Du erinnerst mich an jemanden.“, sagte sie noch, als ich spürte, dass ich nichts tun konnte, um meine Ohnmacht zu verhindern. Es war nicht Sirens Stimme, die in der Dunkelheit nach mir rief, sondern ihre. Obwohl er mich in meinem derzeitigen Zustand in den Träumen verfolgte kam es mir nicht in den Sinn, dass er mich vermissen würde und auch die Frage, wieso er mich nicht suchte kam mir nicht. Zunächst war ich mir nicht einmal bewusst, wer Siren überhaupt war. Ich wusste nur, dass ich ihn liebte. Was auch war, ich blieb vielleicht viele Tage im Haus meiner unbekannten Gastgeberin, ohne, dass er mir gefolgt wäre. Und so war es nur Nathalias Stimme und ihr Name, die immer aufs neue in der Dunkelheit der Halbohnmacht auftauchten und mir bewusst machten, dass ich lebte und leben würde. Es war eine seltsame Sache, dass ich meinen eigenen Körper zerstört hatte und dieser nun von einer Fremden geheilt wurde, die mir nichts schuldig war. Siren konnte mich offensichtlich nur zerstören. Auch darüber machte ich mir keine Gedanken und es kam mir erst sehr viel später in den Sinn. Mein Bewusstsein kam nur langsam schleichend zu mir zurück. Ich hatte das Gefühl schon Monate gelegen zu haben, doch es waren in der Tat nur wenige Tage. Als ich meine Gedanken gesammelt hatte war mein erster Gedanke die Frage, wieso Siren nicht nach mir gesucht hatte. Aus irgendeinem Grund war dies unheimlich wichtig. Es wäre seine Pflicht gewesen. Der zweite Gedanke galt dem Ort an dem ich mich befand. Ein kleines schmutziges Zimmer – offensichtlich in einer Gaststube. Wo war ich? In jenem Augenblick öffnete sich die Tür und meine Retterin trat ein. Während meiner Verletzung war sie mir als Engel erschienen. Nun zeichnete sich ein anderes Bild von ihr. Sie war kein Engel, sondern eine Hure. Sie trug eine enge Korsage, die vielleicht nicht zufällig etwas zu klein war und ihre Körperrundungen auf eine seltsam subtile Art hervorhoben. Alles an ihr schien dreckig, aber doch auf eine gewisse Art und Weise gepflegt, was meine Vermutung bestärkte, dass sie eine der besser gestellten dieses Viertels war. Ich war noch im Bettlerviertel und nun sah ich selber beinahe wieder aus, wie einer, dem nichts geblieben war. Zwar trug ich noch die Kleidung jenes Abends, doch sie starrten vor Schmutz und getrocknetem Blut. – Nie würde ich das pulsierende Gefühl in meinen Händen vergessen, als ich ihr Herz heraus zog. Alles an mir – Meine Haut, meine Kleider, meine Seele – war vollkommen zerrissen. Ich sah beinahe noch mehr nach einem Bettler aus, als sie, aber mein Geist hatte sich geändert. Ich gehörte mit keiner Faser meines Körpers hier her. Als ich an diesem Ort gelebt hatte, war mir nie in den Sinn gekommen, dass ich schmutzig war. Nun fiel es mir auf und es widerte mich an. „Ich bin Nathalya.“, sagte die Frau mit einem Lächeln, dass ich nur erwidern konnte. Dann eine Pause. Irgendwie kam es mir vor, als müsste ich nun etwas sagen. Es war ein unsinniges Gefühl, dass lediglich dadurch hervorgerufen wurde, dass ich als Adliger, die Sprechweise der Adligen übernommen hatte. Es war mir, als müsste ich sprechen, nur um die Zeit zu füllen, aber Bettler haben Besseres mit ihrer Zeit zu tun, als zu plaudern. „Wo bin ich?“, fragte ich nach ein paar weiteren verstrichenen Sekunden, in denen Nathalya begonnen hatte im Zimmer aufzuräumen und den gröbsten Schmutz zu beseitigen. „Dies hier nennt man „Bloodcage“. – Es ist die Kneipe in der ich zu Hause bin.“, antwortete die junge Frau, während sie eine Schüssel mit leicht dreckigem Wasser an mein Bett brachte. Ich biss mir auf die Lippen. Ich war genau an dem Ort, den ich vor Jahren verlassen hatte. Ich selbst hatte auch eine kurze Zeit hier gewohnt und gearbeitet. Ich kannte die Wirtin und ich hatte Nathalya schon einmal gesehen. – Es schien mir so fern. So lange vergangen. „Woher kommt Ihr?“ Nathalyas Stimme durchbrach die Stille und ich konnte nicht antworten, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. War mir meine Vergangenheit schon so zuwider, dass ich nicht einmal wagte zu erwähnen, dass ich ebenfalls von hier kam? Ich sagte nichts und beobachtete die kleinen dreckigen Brocken in dem Wasser und überlegte mit Ekel, ob sie wirklich dachte, dass ich mich mit so etwas waschen konnte. „Ich… es tut mir leid.“ Wieso hatte ich plötzlich das Bedürfnis mich zu entschuldigen? Nathalya runzelte die Stirn und lächelte dann urplötzlich sanft. „Ihr könnt Euch bestimmt nach einem derartigen Sturz an einiges nicht erinnern.“ Ich war froh, dass sie mir diese Ausrede gab, aber aus irgendeinem Grund beschlich mich das Gefühl, dass sie sehr genau wusste, dass es etwas gab über das ich nicht reden wollte und das lieber unangetastet bleiben sollte. Es standen so viele Fragen zwischen uns. „Wie lange habe ich geschlafen?“ Ich richtete mich halb auf und sie fuhr mir mit einem Wasser getränkten Lappen durch das Gesicht. Zuerst fühlte ich Ekel, dann Wohlwollen. Ich genoss die Kühle und die Feuchtigkeit, die sich auf meinem trockenen Gesicht ausbreitete. „Fast drei Tage.“, antwortete Nathalya und ihre Stimme klang so weit entfernt. Ohne meine Reaktion abzuwarten fuhr sie fort. „Ich dachte zuerst Ihr Bein wäre gebrochen, aber es scheint bereits zu heilen.“ Natürlich war es gebrochen, du naiver, dummer Mensch! Zusammen mit meinem Rückrad und den meisten meiner Rippen!!! Der Wutanfall war so schnell gekommen, wie er wieder verebbte und blieb unbemerkt. Ich lehnte mich in die Kissen zurück und ließ es zu, dass sie mich wusch. Es kam mir falsch vor, dass ich mich von einer Frau berühren ließ, aber es kam mir auch falsch vor, dass Siren scheinbar nicht einmal den Versuch unternommen hatte nach mir zu suchen. Es war eine ausgleichende Ungerechtigkeit darin, die mich befriedigte. Ich hatte bereits beinahe aufgegeben dich zu suchen, als ich dich fand. Etwas schien dich vor mir verborgen zu halten und ich war beinahe überzeugt, du wärst gestorben, aber ich wusste, wenn es eine Hoffnung gab dich zu finden, wäre sie im Bettlerviertel, denn dort würdest du am ehesten nach den zerbrochenen Spiegelscherben deiner Vergangenheit suchen. Ich habe die Leiche des Mädchens gefunden und die Brutalität faszinierte mich. Du warst noch weit schlimmer als ich. Das hätte mich eigentlich amüsieren sollen, aber das tat es nicht. Irgendein seltsam nagendes Gefühl hatte sich meiner bemächtigt. Es war etwas, dass ich wie so viele Gefühle lange nicht gespürt hatte. Wenn dir etwas zugestoßen wäre, wäre es auch mir geschehen. Deine Schmerzen wären mein Werk. Wenn du mir nicht verzeihen konntest, wäre der letzte menschliche Rest in mir gestorben. Diesen Zustand nennt man „Sorge“. Wieso hatte ich dies nur jemals vergessen? Ich erinnerte mich kaum, wieso ich vergessen hatte zu fühlen. „Wieso hast du mich gerettet?“ Ich lehnte mich zurück und genoss das Gefühl ihrer Hände auf meinem beinahe bewegungslosen Körper, als sie sanft den staub von mir wusch. „Wieso nicht?“, fragte sie Schulter zuckend. „Nur weil ich arm bin heißt es nicht, dass ich kein Herz habe.“ Ich blinzelte. In ihrer Antwort schwang ein Vorwurf mit. Die Art wie sie das „ich“ betonte kam mir vor, als wüsste sie sehr wohl, dass ich zu den Reichen gehörte und es machte ihre Meinung zu mir deutlich. Anders als ich hatte sie noch ein Herz zu verlieren. „Ich weiß nicht, wie ich mich bei dir bedanken soll…“, antwortete ich. Ich schien es für angebracht ehrlich zu ihr zu sein, aber ich wusste nichts auf ihre Worte zu sagen. „Ich brauche kein Geld.“, sagte sie schnell und wurde dabei etwas rot. Natürlich war das eine Lüge. Sie brauchte es mehr als ich. Dann lächelte sie und berichtigte sich: „Du hast mich ja nicht gebeten dir zu helfen. Demnach bist du mir nichts schuldig.“ Ein leichter Schauer fuhr über meinen Rücken. Eine Pause entstand. „Ich habe dich ja springen sehen. Du wolltest sterben.“, fuhr sie fort. „Es gibt nicht einmal einen Grund für dich Dankbarkeit zu empfinden?“ Sie schlug die Augen nieder. „Wieso hast du das getan?“, fragte ich. Eine leichte Röte stieg in ihr auf. „Es war nur…“ Sie vermied jeden Blick in meine Augen und fuhr fort: „Du solltest nicht dort liegen. Nicht so, verstehst du? Ich hätte dich gesehen und ich wollte nicht jeden Tag deinen verwesenden Körper sehen und mich fragen, ob es nicht falsch war dich liegen zu lassen.“ Sie hatte mir nur aus Eigennutz geholfen und doch tat es gut. Sie dachte, sie hätte mein Leben gerettet, doch als Vampir wäre ich an diesem Sturz nicht gestorben. Doch das wusste nur ich und sie nicht. Sie hatte mich gerettet, ohne Dank zu erwarten. „Damals dachte ich, ich wollte es.“, antwortete ich, bevor ich selbst erkannte, was es eigentlich bedeutete. Mein Handeln war vollkommen irrational gewesen. Ich hätte wissen müssen, dass ich nicht sterbe, aber von all dem abgesehen wollte ich Leben. – Auch mit der Schuld in mir. „Was ist geschehen?“, fragte sie. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte und stockte. „Ich musste etwas tun, das ich nicht wollte.“ Die Junge Frau nickte leicht. „Etwas Schlimmes?“ „Für mich schon.“, antwortete ich. Dann schwiegen wir eine Weile. Es war eine angenehme Stille und doch hatte ich das Gefühl etwas sagen zu müssen. „Ich habe es getan, obwohl ich nicht wollte.“, ich versuchte es wie eine Tatsache klingen zu lassen, doch sogar für sie musste der Selbstvorwurf klar zu hören gewesen sein. „Ich hatte keine Wahl.“, fuhr ich fort und meine Augen füllten sich mit Tränen. Nathalya strich mir mit einer Hand durchs Haar – auf irgendeine Weise fühlte es sich vollkommen unverbindlich an. Sie legte den nassen Lumpen mit dem sie mich gewaschen hatte zurück in die Schüssel. „Das muss wohl der sagenumwobene „goldene Käfig“ sein.“, sagte sie nur und ich verstand nicht. Sie lachte leise und strich sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Tut mir Leid. Es sind die Worte eines Kunden. Er sagte einst, die Reichen wären zwar reicher, aber weniger frei – ein Käfig aus Gold.“ Ich nickte leicht ohne es selbst zu merken. Ich denke ich wusste damals, was er meinte. „Liebe macht uns alle zu Sklaven.“, sagte ich bitter und hob leicht einen Arm. Er knackte etwas, aber von dem einstigen Trümmerbruch war kaum mehr etwas zu spüren, wenngleich es noch Schmerzen bereitete ihn zu bewegen. Ich hatte aber schon vor einiger Zeit bemerkt, dass sich meine Wunden recht schnell schlossen. Bald würde ich in der Lage sein mich vollkommen schmerzfrei zu bewegen. „Es ist schade, dass du so denkst. Liebe sollte frei machen.“, philosophierte die junge Frau und stand auf. „Wie kann man jemanden lieben und ihn einsperren?“ Das ist der Unterschied zwischen Mensch und Vampir, dachte ich in dem Moment. „Ich wollte…“, begann ich, als ich „seine“ Nähe spürte. Ich wusste mit Bestimmtheit, dass es so war und meine Gefühle waren hin und her gerissen zwischen Panik und Freude. „Ich muss gehen“, flüsterte ich und bei dem Klang meiner Stimme ließ Nathalya zurück schrecken. „Du kannst nicht gehen.“, sagte sie beinahe flehentlich und als ich aufstand und meine Beine den Boden berührten durchzuckte sie ein Schmerz, als wären tausend Nadeln in sie gestochen worden – aber sie hielten. Leicht wankend hastete ich zur Tür und blickte mich im Türrahmen noch einmal um. „Es tut mir leid!“ Ich weiß nicht, wofür eigentlich ich mich entschuldigte, aber ich erhielt auch wenig Gelegenheit mir darüber Gedanken zu machen, denn im Flur vor Nathalyas Zimmer stieß ich unvermittelt mit Siren zusammen. Dies war der goldene Käfig. Ich hatte mir bis dahin wenig Gedanken über meine Situation gemacht, doch Nathalya hatte vollkommen Recht. Es war nicht allein die Tatsache, dass ich ein Vampir war, sondern vielleicht auch, das ich reich war, die mich unfrei machte. Es war etwas nicht Körperliches. Vielleicht waren es nur die einfachen Dinge, wie die Meinung anderer Menschen über mich, die mich unfrei machten. Ich war nun zwar nicht mehr arm und ich musste nicht mehr um mein Leben kämpfen, ich wurde nicht in ein Slumviertel verbannt. Aber meine Gedanken waren um so vieles gefangener. Ich hatte nichts mehr zu gewinnen und alles zu verlieren. Ich hatte keinen Grund mehr zu träumen, da ich jeden Traum besaß. „Wieso bist du nicht zurückgekommen?“, herrschte mich Siren an und in seinen Augen erkannte ich die versteckte Sorge um mich, die er aber nie Preis geben würde. Vielleicht war es genau aus diesem Grund. Vielleicht wollte ich nicht zurück, weil ich nicht mit den Geschenken zufrieden war, die ich so lange ersehnt hatte. Vielleicht wollte ich zurück, weil der Traum besser war, als die Realität – und ich hatte verlernt zu Wünschen. Statt dies zu sagen, saß ich auf einem roten Liegesessel und rührte mich nicht. Ich wusste, dass ich vorsichtig sein musste, wenn Siren in einer derartigen Laune war, denn jede Bewegung die ich tat, konnte falsch verstanden werden. „Ich war verletzt.“, sagte ich einfach und es entsprach in jeder Art, in der man es verstehen konnte der Wahrheit. Siren schwieg und drehte mir den Rücken zu. Er hatte verstanden und ich das Gefühl etwas sagen zu müssen, also begann ich: „Wieso hast du mich nicht gesucht?“ Ich wusste, dass Siren traurig war, aber ich wusste nicht wieso. Er stand eine Armlänge von mir entfernt und ich hatte das Bedürfnis ihn zu berühren und zu trösten, aber etwas hielt mich davon ab und so tat ich rein gar nichts. Du weißt, dass du falsch handelst, wieso siehst du das nicht ein?, schoss es mir durch den Kopf. Siren antwortete nicht, obwohl ich mir sicher war, dass er in diesem Moment meine Gedanken las. „Ich liebe dich.“, sagte ich und fühlte dabei nichts als Hoffnungslosigkeit. „Ich weiß.“, antwortete Siren und an seiner gebrochenen Stimme erkannte ich, dass auch sein Herz gebrochen war. Es war nicht meine Schuld, auch das wusste ich. Aber ich wusste auch, dass er mir nie sagen würde, was es eigentlich war. Vielleicht war es einfach nur die Zeit, die ihn so verletzt hatte. Vielleicht hatte Siren zu viele Leben gelebt. Ich stand auf und legte meinen Arm um ihn. Ich erwartete nicht einmal, dass er meine Zärtlichkeit erwidern würde. Leicht zögerlich nahm er meine Hand und berührte sie mit den Lippen, hielt sie fest und schmiegte seinen Körper an mich. Für den Bruchteil einer Sekunde kam es mir beinahe so vor, als hätte ich das vor mir, was Siren gewesen war, bevor er den Verstand verloren hatte. Dann drehte er sich zu mir um und für den Moment war der Zorn aus seinem Blick verschwunden. An Stelle dessen sah ich nun Schmerz und Leidenschaft. Er berührte mit den Fingerspitzen mein Gesicht und fuhr dann meinen Hals herab, bis zu jener Narbe, die er mir vor mehr als zwei Jahren zugefügt hatte. Er hielt für einen Moment inne und berührte dann meine Lippen, als wäre er mit Gedanken weit entfernt. – Als wäre er blind oder nicht sicher, ob ich überhaupt real wäre. Diese Berührung war so unendlich viel mehr als jeder Kuss, Er strich mir durch die Haare – beinahe hektisch. Ich umarmte ihn und drückte ihn an mich und er erwiderte meine Berührung, als suche er Schutz vor den Schmerzen in sich selbst. In Sirens Gesten hatte ich nie derart offensichtlich seine Gefühle lesen können und aus irgendeinem Grund wusste ich, dass es vermutlich das letzte Mal war, dass er so fühlen würde. Er schob mich auf die Liegecouch zu und zwang mich mit sanfter Gewalt unter sich. Über mich gebeugt begann er meinen Hals zu küssen. Ich spürte Zähne an meinem Hals, aber ich hatte keine angst vor ihm. Vielleicht, weil ich der einzige war, den er nicht ohne zu zögern vernichten würde. Nach jenem Abend habe ich mich oft gefragt, was sich verändert hatte. Für einen Moment war ich wieder Mensch, was bedeutete, dass ich mich zu sehr verändert hatte und dass du der Auslöser gewesen bist. Ich bedeckte deinen Körper mit Küssen. Ich strich deinen Körperkonturen nach, als wolle ich die Erinnerung an dich mit in die Hölle nehmen. Und doch war es nun nicht mehr wichtig, was geschehen würde, weil es vollkommen egal war, wer wir jemals waren. Ich liebte dich damals mehr als je zuvor und nichts ändert daran etwas. Nicht einmal die Tatsache, dass ich in diesem Moment schwächer war als du. Als ich erwachte, erhaschte ich im Halbschlaf ein bild von Nathalya. Wieso das so war kann ich genau so wenig sagen, wie, warum der erste Gedanke meines Erwachsens ihr gelten musste. Dann sah ich Siren schlafend neben mir liegen. Ich richtete mich halb auf und betrachtete seinen nur halb von der Decke verhüllten nackten Körper. Zärtlich fuhr ich mit einer Hand in seine Haare. Die Sonne glänzte in ihnen. Ohne ihn zu wecken fuhr ich die vielen feinen Narben mit den Fingern nach, die Jahrhunderte auf seinem Körper hinterlassen und fragte mich, woher sie stammen mochten. Siren war so alt. Er musste Kriege erlebt haben. Hungersnöte. Seuchen. Vielleicht Kämpfe mit anderen seiner Art. Gab es überhaupt Andere? Es musste so sein, denn die Narbe an Sirens Hals war noch weitaus größer als meine. Es wirkte beinahe, als habe ihm sein Erschaffer ein großes Stück Fleisch aus dem Hals gerissen. Vielleicht war diese Narbe auch erst nach seiner Erschaffung entstanden. So wäre die Bissnarbe verschwunden. – Narben unter Narben. Mir kam viel in den Sinn und ich denke, das Meiste wird der Wahrheit entsprochen haben. Doch er hat mir zu keiner einzigen Narbe jemals die Geschichte erzählt und ich hatte gelernt nicht mehr in seiner Vergangenheit zu forschen, da sie für ihn zu schmerzhaft schien. Ich wusste, dass er Tagebuch führte. Ich hätte in die Bibliothek gehen können in denen sich die Folianten seines Lebens mittlerweile auftürmen mochten, aber auch das kam mir nicht in den Sinn. Warmes Sonnenlicht durchflutete das Zimmer und die Bäume vor dem Fenster warfen lange Schatten auf den Boden, die sich mit jedem Windhauch bewegten, wie die Wellen einer sanften Brandung. Ich blinzelte. Immer noch erschien mir die Sonne weit heller als zu jener Zeit in der ich ein Mensch gewesen war. Trotz all den Narben erschien mir Sirens Körper an jenem Morgen als der Schönste, den ich je gesehen hatte. Schließlich öffnete er die Augen. Zuerst schwerfällig, als wollte er den Schlaf noch für einige Sekunden festhalten, um dann schlagartig in die Realität zurück zu kehren. Irgendwie fühlte ich nun, dass der gestrige Abend einer unwiederbringlichen Vergangenheit angehörte. In Sirens Augen lag nun wieder jener kalte Ausdruck. Als hätte schon der Schlaf ausgereicht, die Energie seines Hasses zu erneuern und ein neues Wesen in ihm zu schaffen. Ich hielt seine Hand. Küsste sie und schmiegte sie an mein Gesicht. „Guten Morgen, Herr.“, flüsterte ich. Es erschien mir wie ein uraltes Ritual und ich weiß nicht genau, wann nach meiner Erschaffung ich damit angefangen hatte. Irgendwie ließ mich der Gedanke an Nathalya nicht los. Ich schämte mich und hatte Angst, Siren würde es merken, aber er tat es nicht. Lächelnd, fast noch schlafend griff er nach der Hose, die immer noch neben dem Sofa lag, auf dem wir eingeschlafen waren. Er zog sie über und ging langsam, als würde er mich nicht sehen auf die schwere Ebenholztür zu, die in eines der Badezimmer führte. Als er im Rahmen stand, drehte er sich für den Bruchteil einer Sekunde um. Er war weit von mir entfernt, aber in seinen Augen sah, ich, was er mir so selten sagte – dass er mich liebte. Etwas ging zu Ende. Mich überkam ein unaussprechlicher Drang danach, ihm zu folgen, aber ich blieb, wo ich war, lehnte mich in die Kissen zurück und genoss das Gefühl seiner Liebe für einen Moment. Nathalya… da war sie wieder. Ich musste zu ihr. Wäre ich ein Mensch gewesen, hätte sie mein Leben gerettet. Ich musste zu ihr und mich bei ihr für nichts bedanken. Oder hatte sie mir letztendlich etwas gegeben, das ich nur nicht zu würdigen wusste. … Liebende sollten sich nicht einsperren… Ich schüttelte energisch den Kopf. Ich war selbst noch beinahe im Schlaf und dachte wirr. Langsam stand ich auf. Ich bemühte mich keine Geräusche zu machen, als ich mich anzog und wie ein Schatten durch eine der Türen huschte. Ich fühlte mich wie ein Verbrecher und wusste eigentlich nicht, was den Impuls ausgelöst hatte, dass ich mich fort schlich. Mir wurde allerdings bereits, als ich den kleinen Rosenweg vor der Eingangstür des Anwesens betrat klar, dass Siren mich gesehen hatte. Wie ein Schatten sah er mir aus dem Fenster nach und ich spürte nichts als Dankbarkeit, denn er unternahm keinen Versuch mich auf zu halten. Vielleicht hätte er es tun sollen. Wieder ging ich ins Bettlerviertel. Ich war ohne ein Wort des Abschieds aus dem Anwesen geflohen, weil mich etwas zu Nathalya trieb, Es war etwas, das ich nicht benennen konnte. Es war wie Interesse und Zuneigung. Ich ging in die Kneipe in der sie sich aufhalten musste. Ein Geruch, der wie eine Mischung aus Exkrementen, Alkohol und brennenden Kerzen war, schlug mir entgegen, sodass ich das Gefühl hatte mich übergeben zu müssen. Es war voll in der Kneipe, stickig und während ich mich durch die Menschenmasse zwängte taumelten die betrunkenen Männer gegen mich. Erst, als ich mich fast an der Bar der Schänke befand, fiel mir auf, dass die Menschen mich mit kaum verhaltenen Blicken ansahen. Ich war ein exotischer Vogel außerhalb des Paradieses. Für meine jetzigen Verhältnisse war ich eher nachlässig angezogen, denn ich hatte das Haus in aller Eile verlassen, doch so unverkennbar, wie ich nun ein Raubtier war, so unverkennbar war ich auch ein Adliger geworden. „Michael!“ Eine dickliche Frau mittleren Alters grüßte mich. Sie kam mir bekannt vor, doch ich antwortete nicht, weil es nicht mein Name war. „Askian?! Da war sie. Jene exotische Stimme, die zu der schönen Frau gehörte. Sie war die einzige Person, die ich abgesehen von Siren kannte. Ich drehte mich zu ihr um. „Was suchst du denn hier?“ Nathalyas Stimme war wütend. Sie runzelte die Stirn und zog mich kurz entschlossen auf die knarrende Holztreppe hoch. Sie blickte sich zu der Schankfrau um, die uns mit einem beinahe wohlwollenden Blick beobachtete. Wie eine Mutter, die auf ihre Kinder aufpasste und mich überkam der Gedanke, dass sie sich vielleicht auch als das fühlte, wenn sie auf die Frauen achtete, die hier ihren Körper verkauften. „Du kannst hier nicht so rumlaufen!“ In Nathalyas Worten schwang beinahe so etwas wie Wut. „Sie dich doch an!“, fuhr sie fort ohne mir die Möglichkeit eines Einwandes zu geben. Sie zog mich in ein Zimmer und ließ mich verwirrt stehen, während sie eine unordentlich eingeräumte Truhe leerte. Zum Vorschein kam ein dreckiger Haufen Stoff. „Dort unten wimmelt es von Halsabschneidern und Dieben!“, erklärte sie, während sie wild gestikulierend in dem Haufen wühlte und sich dann in einer kurzen Pause hektisch einige Strähnen auf dem Gesicht warf. „Warum schreist du nicht gleich heraus, dass man dich töten oder entführen soll?“ Sie richtete sich auf und stemmte ihre Hände in die Seiten. „Es tut mir Leid!“, sagte ich und fühlte mich urplötzlich ziemlich dumm. „Das hast du schon einmal gesagt.“, sagte Nathalya und schien sich ein wenig zu beruhigen. Ich wusste kurz nicht, worauf sie anspielte, dann erinnerte ich mich an die letzten Worte, die ich ihr vor meiner überstürzten Flucht gesagt hatte. Nun sollten es also die ersten sein. Was war es nur, dass ich in ihrer Gegenwart ständig das Gefühl hatte mich entschuldigen zu müssen? „Zieh das an!“, befahl die Frau und weiß auf einen unordentlichen Lumpenhaufen zu ihren Füßen. Ich betrachtete die Lumpen und dann Nathalya. Schließlich warf ich mir ein zerfetztes Cape um die Schultern, das mir fast bis zu den Füßen reichte und nach Pferdestall roch. „Du erinnerst mich an jemanden.“, bemerkte Nathalya und fuhr mir mit den Fingerspitzen durch das Gesicht. Es war zu intim für mich. Anders als Sirens Berührungen aber durchaus angenehm. „Deine Augen sind schmaler – das Gesicht etwas reifer, aber…“ Sie schien nachzudenken und lächelte schließlich. „Du erinnert mich an einen Jungen, der einst hier wohnte. Er ist bei der Seuche vor zwei Jahren umgekommen. Sein Name war…“ „Unwichtig!“, fuhr ich ihr über den Mund und die Art wie ich es beinahe erschrocken schrie erschreckte nicht nur Nathalya, sondern auch mich. Sie sah mich fragend an und ich senkte den Kopf: „Verzeih mir.“ Wieso nur sprach ich diese Bettlerin auf einmal an, wie eine Gleichgestellte? „Es gibt nichts zu verzeihen.“, sagte Nathalya und lächelte auf eine undeutbare Art und Weise, die sowohl Glück, als auch Trauer aussagen konnte. „Beantworte mir eine Frage, Askian.“ In der Art, wie sie meinen Namen aussprach lag etwas Falsches. „Wieso besuchst du mich erneut?“ Ich antwortete nicht sofort. Ich wusste es immer noch nicht genau. Unter dem Wunsch mich bei ihr für die Hilfe zu bedanken war etwas anderes, das ich nicht benennten konnte. „Ich wollte dich sehen.“, sagte ich Nathalya lachte und machte eine ausladende Geste auf sich selbst. „Mich?! Ich arbeite heute nicht.“ In der Art, wie sie sprach konnte man erkennen, dass sie es als Scherz meinte. Dennoch senkte ich den Blick und erwiderte nichts. Eine unangenehme Pause entstand. „Wer war der Mann, der ich abgeholt hat?“, fragte Nathalya dann direkt. Woher wusste sie von Siren. „ein Mann in der Bar hat mir gesagt, dass du von einem Adligen mitgenommen wordem bist. – Guraussehend, blonde Haare, unsteter Blick.“, antwortete Nathalya und für einen kurzen Augenblick war ich mir vollkommen sicher, dass ihr meine Gedanken nicht verborgen waren. „Siren.“, sagte ich verwirrt, als würde das alles beantworten – und das tat es auch. „Das ist also der geheimnisvolle Fremde, der von dir verlangt hat etwas zu tun, was du nicht wolltest.“, bemerkte Nathalya und lächelte, bevor sie fort fuhr: „Du hast seinen Namen im Schlaf gesagt.“ Ich war mir sicher, dass ich noch weit mehr als das gesagt haben musste. Ich zögerte mit meiner Antwort. Aus irgendeinem Grund war es für mich vollkommen inakzeptabel, dass diese Frau alles über mich wissen sollte. Sie wusste sicher, dass ich jenen Mann liebte und hatte sich vermutlich unbewusst sogar schon ein Bild von Siren gemacht. Es störte mich, dass es ein derart Negatives sein musste. „Ich wollte dir noch einmal danken.“, sagte ich ausweichend und Nathalya antwortete genau so unbestimmt: „Ich mag dich.“ Eine Weile herrschte wieder nur die schweigende Geräuschkulisse des Bettlerviertels zwischen uns. „ich würde dich gern wieder sehen.“, gab ich zu und schaute dabei an ihr vorbei auf die glaslosen Fenster des Zimmers. „Nicht morgen, aber dann und wann…“ Es war ein seltsames Gefühl meine Zuneigung einem anderen Wesen als Siren Preis zu geben. Mein Herz schlug seltsam schnell. Es war ein Gefühl, dass ich bisher nur von Siren kannte. Es schien beinahe so etwas wie Angst zu sein. – vollkommen unbegründete Angst. Nathalya strich mir mit einer Hand eine Strähne aus dem Gesicht und nahm es in beide Hände. Vor Verwirrung und Schockierung konnte ich mich nicht bewegen, als sie mich küsste und einen endlosen Augenblick ließ ich sie gewähren. Als ich sie wegstoßen wollte, löste sie sich bereits von mir und blieb eine Armlänge von mir stehen. Eine Weile trafen sich unsere Blicke. Dann floh ich aus dem Zimmer. „Du hast deinen Platz vergessen!“, herrschte Siren mich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Tränen rannen über mein Gesicht, aber ich wagte nicht zu schluchzen. Für eine einzige Sekunde hatte ich den Mann betrogen, den ich liebte. „Du hast mich verraten.“, sagte er etwas ruhiger, aber nicht weniger gefasst und hörte auf im Kreis herum zu laufen, wie ein gefangenes Tier. „Vergebt mir.“, ich hielt den Kopf gesenkt, nicht fähig in an zu sehen. Siren hatte es gewusst. Er hatte mich beobachtet, seit ich das Haus verlassen hatte. Ich hätte es wissen müssen. Er hatte alles gesehen und es war vollkommen zwecklos zu leugnen, oder zu erklären. Er ging mit zügigen und aggressiven Schritten auf mich zu. Ich zuckte zusammen, doch statt zurück zu weichen beugte ich mich, kniete nieder und hoffte, der mich erwartende Schmerz würde schnell vorüber gehen. Siren legte eine Hand auf meinen Scheitel und griff in die Haare, zwang mich so aufzusehen und in seine augen, in denen ich Schmerz sah, der sich in lodernem Hass entlud. „Ich liebe sie nicht.“, beteuerte ich. Da traf mich seine Hand im Gesicht. Ich tastete mit einer Hand zu dem schmerzenden linken Auge und sank zu Boden. „Ich weiß.“, sagte Siren beinahe zischend. „Wage es nicht mich zu hintergehen.“ Er drehte sich um und ging mit schnellen Schritten aus dem Zimmer. Ich blieb wo ich war und wagte nicht mich zu bewegen oder zu atmen. Mein Körper schien nund für tausend unvergossene Tränen der vergangenen Jahre entlohnt zu werden. Zwei Jahre Vampir, zwei Jahre Sklave, zwei Jahre Mörder. Zumindest für den Moment wurde es durch das Weinen besser. Mit jedem Schluchzen, das mich schüttelte, schien es mir besser zu gehen. Zumindest für den Moment. Du hast mich verraten! Es war nur dieser Gedanke, den ich fassen konnte, als wäre jeder andere Teil meines eigenen Selbst vernichtet. Ich habe gesehen, wie du sie geküsst hast. Ich habe zugelassen, dass sie dich begehrte, obwohl du mir gehören solltest. Du hast deinen Platz vergessen. Ich glaube, du konntest nicht ermessen, wie es sein kann solchen Schmerz zu fühlen. Verglichen mit deinem Schmerz war meiner die Hölle, denn ich war nicht einmal in der Lage ihn zu verstehen, weil ich so lange gefühlskalt war, dass es mich traf wie eine Woge aus Speeren. Du hattest zwei Jahre, die glücklichsten und qualvollsten deines Lebens. Ich hatte diesen Alptraum schon beinahe zwei Jahrhunderte erlebt, bevor ich dich fand. Eine Zeitspanne, die du dir zu jenem Zeitpunkt nicht einmal vorstellen konntest. Ich hatte dich demselben Schmerz ausgesetzt, wie mich. In der Hoffnung es würde dadurch besser werden. Nun wurde ich mir nur umso mehr meiner eigenen Schwächen bewusst. – Ich würde nicht in der Lage sein, dich für immer zu beschützen. Ich war mir vollkommen sicher, dass Siren mich trotz seiner Liebe umbringen würde, doch nichts dergleichen geschah. Es war, als habe es Nathalya nie gegeben. Zumindest nicht für ihn nicht. Zuweilen tauchte der Gedanke an sie und die vergangene Nacht, die Verwirrung ihrer Nähe, noch in meinen Gedanken auf, wie ein störender Anverwandter. Dennoch verblasste die Erinnerung an ihre Erscheinung während des nächsten Monats und schon wenige Wochen nach dem Streit mit Siren, verlosch jeder Wille daran sie wieder zu sehen in mit. Es war, als sei sie verschwunden, bedeutungslos. Ein weiteres unbekanntes Gesicht im stetig wachsenden und sterbenden Heer der Bettler. Ein Monat verstrich. Mehr als 25 Tage mit mehr als 20 Leichen. Ich hatte aufgehört zu zählen und jagte ganz nach Sirens Art adlige Frauen und Mädchen, die sich in der Annahme einer kurzen Liebesnacht dazu verführen ließen mit mir allein zu sein. Generell war es ein schneller Biss und ein angenehmer Tod. Es war beinahe zu einfach für meinen Geschmack. Oft sind es aber gerade die einfachen Dinge, die am meisten Zerstörungskraft besitzen und so wuchs die Zahl der Witwer und Weisen in England mit jeder Nacht, die ich mein unverdientes Leben in Luxus führen konnte. Eines Tages sah ich Siren mit einem Fremden in unserem Anwesen erscheinen. Er war muskulös und trug seine schwarzen Haare zu einem Zopf aus den Rücken gebunden. Ich machte mit über ihn zunächst keine Gedanken. Er war nichts als ein adliger Geschäftspartner von Siren. Es kam wirklich nicht selten vor, dass Siren solcherlei Männer zu sich einlud, um mit ihnen Verträge abzuschließen, oder ihnen nur zu demonstrieren, dass er mächtig war. Doch als ich in das Zimmer trat, hatte Siren sich über den Fremden gebeugt und seine Hand fuhr am Bein des Fremden entlang. Mir wurde schwindelig und schlecht, bei dem Anblick der beiden ineinander verschlungenen Leiber. Ich hatt die Frauen geduldet, die Siren sich nahm, denn ich wusste, sie gaben ihm nichts, als ihr Blut. Dass er sich nun einen Mann als Opfer nahm, veränderte etwas an der Tatsache, dass sich die beiden küssten. Es war ein Verrat in einem Spiel ohne Regeln. Es verstieß gegen die unausgesprochene Vereinbarung, dass Siren mir gehörte, sowie ich ihm. Ich sah, wie Siren ihm etwas ins Ohr flüsterte und verstand es nicht. Aber die Art, wie er sprach, war so zärtlich, dass es all die Worte, die er mir je in Liebe gesagt hatte zu einem Nichts negierte. – Solche Worte waren nicht für jemand anderen als mir bestimmt. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Irgendwie konnte ich nicht einmal mehr atmen. Siren fuhr mit seinen Lippen am Hals dieses Fremden entlang und die schwarzen Haare berührten sein Gesicht. – Der Fremde hatte schwarze Haare. So wie ich. An der Art, wie sich Siren bewegte wusste ich, dass es ihm Spaß machte. Ich war hin und her gerissen zwischen meiner machtlosen, ohnmächtigen Wut und dem Drang einfach wegzugehen und abzuwarten, bis Siren den Mann getötet hatte. Würde er ihn überhaupt töten?` Für den Bruchteil einer Sekunde entstand in meinem Kopf ein Szenario. Was war, wenn Siren gar nicht vorhatte, diesen Herren zu ermorden oder sein Blut zu trinken? Siren küsste den Hals des Mannes und öffnete leicht den Mund. Seine Zähne blitzen auf. All das sah ich kaum, denn mein Blick war verschleiert. „Verdammter Idiot!“, schrie ich und schleuderte das Erste, was ich greifen konnte auf den Boden. Es war eine Wasserkaraffe von einem nahegelegenen Schrank und sie zerbrach in duzende von glitzernen Scherben auf dem Marmorboden. Siren hob erschrocken den Kopf und der Mann wirkte ertappt. Ich drehte mich um und rannte durch die hallen des Anwesens ins Freie. Ich wollte nicht mit Siren reden, oder ihm in die Augen sehen. Ich wusste, was er sagen würde und ich gab ihm tief in meinem Herzen sogar Recht. Ich war sein Sklave. Siren war mir nichts schuldig, so auch nicht die Treue. Siren war ein Vampir und wie sollte er in einer Welt, wie dieser anders an Blut gelangen, als auf diese Weise? Fremde Menschen einfach auf der Straße anzufallen war zu Schwierig – das Risiko einer Entdeckung zu groß. Was also hätte Siren machen sollen? Was aber hätte ich denken können? Ich liebte ihn. Ich hatte ihm alles gegeben und war nur für ihn zum Mörder geworden. Das Einzige, was ich dafür verlangt hatte, war etwas Treue und Liebe. Es schien mir, als wäre ich betrogen worden und war es vielleicht. Siren war sich meiner Liebe sicher und ich war mir sicher sie nicht verdient zu haben. Ich hatte solche Angst von ihm belogen und verführt zu werden, wie jedes seiner Opfer. Siren war ein Spieler. Vielleicht war ich nur seine Marionette. Das war der Grund, wieso ich an jenem Abend fort ging und Siren folgte mir weder, noch beobachtete er mich. Das waren die größten Fehler, die wir beide je begangen haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)