Bloodcage --- Erste Version von DemonhounD (Vampir-Roman) ================================================================================ Prolog: Prolog* --------------- Man nennt mich Askian Saaris. Mein einst tiefschwarzes Haar ist nun grau, wie der Nebel, der langsam meine Gedanken umhüllt. Grau, wie der Wolkenschleier über einem fernen Horizont, beim Anbruch einer neuen Sonne. Ich sollte weise sein, doch die einzige Weisheit, die mir das Leben mit seinem zuweilen grausamen Schicksal gelehrt hat, ist die, dass jedes strebende Wesen schlussendlich, nach dem Erreichen seiner Ziele, nicht zufrieden mit dem ist was es bekommt. Ich bin nicht anders. Mein Geist ist schwach, wie der eines jeden denkenden Wesens. Als läge die Schwäche der Intelligenz im Streben. Das Streben nach Glück, Hoffnung und Leben brachte mich um den größten Teil meiner Zeit. Ließ mein Vorankommen schleichen und scheitern. Ich bin im Geiste nicht alt, liege auch nicht im Sterben. Aber mit der Zeit bemerkte ich den Verlust all meiner Menschlichkeit mit einer unbeschreiblichen Macht an mir zehren. Nun bricht für mich ein neues Zeitalter an. Ich werde den Fußtritten meiner Vorgänger folgen und all meine so genannten „menschlichen“ Kräfte - Hoffnung, Streben, Liebe, Güte – die so wenig menschlich sind, wie der kalte Winterregen Hoffnung trägt, hinter mir lassen, um meinen vampirischen Instinkten zu folgen und endlich zu Askian werden. Der, der ich schon vor Jahrhunderten hätte sein sollen. Ich habe keine Angst davor. Genau so wenig, wie es mich im Grunde meines Herzens berührt, denn ich lebe schon zu lange um noch wahre Gefühle zu haben. Mein Name ist Michael. Ich wurde geboren, um zu sterben und um meine Bestimmung betrogen, durch den grausamen Kuss eines Vampirs, in einer kalten, regnerischen Winternacht vor 600 Jahren. Ich wollte sterben, bevor ich zu Askian würde. Nun weiß ich, dass mir dieser im Grunde einzige Wunsch meines langen Lebens nicht erfüllt werden wird. Kapitel 1: Kapitel eins* ------------------------ Es ist schwer bei einer Geschichte, wie der Meinen einen Anfang zu setzen, denn der Tag meiner Geburt ist so unwichtig, dass er mir mittlerweile entfallen ist. Ich glaube nicht mehr, dass er oder die Familie, die mich geboren hat einen Bezug zu mir hat. Ich kann mich nicht einmal an das Gesicht meiner Mutter erinnern, oder an das meiner Ziehmutter, denn ich weiß, dass meine leibliche Mutter, sowie auch mein Vater starben, bevor ich alt genug war mich an sie zu erinnern. Ich lief durch eine zugige Straße irgendwo im Bettlerviertel Londons. Mein dünner abgewetzter Stoffmantel, der mehr durch Dreck, als durch Nähte zusammengehalten wurde, wärmte mich nur unzureichend, aber ich hatte bereits aufgegeben zu klagen und schlang meine abgemagerten Arme fester um meinen Unterleib in der irrealen Vorstellung meinen schwachen Körper zumindest am Zittern zu hindern. Am Himmel trieben einige dunkle Wolkenfetzen und es war schon vor einiger Zeit ein fahler Halbmond erschienen, der wenig Licht auf die zugigen Baracken warf in deren Fenstern vereinzelnd Kerzen brannten, die ausnahmslos sterbende oder gestorbene Menschen ins Jenseits geleiten sollten. Ich hatte die Vorstellung, dass die Toten den Weg ins Jenseits durch ein einsames Licht finden konnten schon vor langer Zeit aufgegeben. Genau, wie ich den Glauben an Gott aufgegeben hatte, denn er barg nur eine schmerzhafte Erinnerung an ein Gefühl, das man Hoffnung nennt, in sich. Das Kerzenfeuer jedoch faszinierte mich und schreckte mich zugleich in einer Art ab, die mich an die Kirchenbesuche meiner Kindheit erinnerten. Es war ein Gefühl als würde man einem Geheimnis angehören und etwas sehen, das anderen Menschen verborgen bleibt. So konnte ich nun in jedem Fenster die Zahl der Toten sehen und ermessen, wie schlimm es um dieses Stadtviertel stand. Es waren schon seit langer Zeit mehr Tode als in den vergangenen Wintern. Dies lag nicht nur an der untypischen Eiseskälte, sondern auch an einer Krankheit, die seit vielen Wochen in den Gassen des Slumviertels, abgetrennt von den Adligen und somit nicht des Interesses wert, sein Unwesen trieb. Sie hatte scheinbar auch vor mir keinen Halt gemacht. Meine Temperatur war gestiegen und ich hustete bereits zuweilen stark, sodass mir ein dünner Faden hellen Blutes aus den Mundwinkeln rann. Kundschaft hatte ich schon lange nicht mehr und somit hatte ich schon zu lang nichts mehr gegessen. Nach Tagen voller Hunger und Kälte begann ich langsam zu zweifeln, dass es die Krankheit sein würde, die mich in die Knie zwang, sondern war mir vielmehr bewusst, dass ich verhungern würde, bevor sie sich in meinen Knochen ausbreiten konnte. Wie so oft in meinem folgenden Leben merkte ich, dass der Verkauf meines Körpers letzten Endes sinnlos sein würde. Die Augen eines nahenden Unglücks lagen bereits auf mir. Ich wurde von einem erneuten heftigen Hustenreiz geschüttelt, als ich Schritte hinter mir vernahm und mir ein Schauer den Rücken hinunterlief, der mir klar machte, dass ich nicht der Einzige in dieser Straße war. Eine klare, kalte Stimme erklang hinter mir. „Du befindest dich zu nah bei den Toren, Bettler!“ Ich drehte mich um und sah in das harte Gesicht einer Wache, die wie ein Wesen aus einer fremden Zwischenwelt darauf achtete, dass keiner der niederen Menschen das Tor ins Viertel der Bürger passierte und womöglich Seuchen wie diese im London der wahren Menschen ausbreiten konnte. Auch der Mann vor mir gehörte dieser fremden Welt an, die ich vielleicht nie kennen lernen würde und ihn hatte man passieren lassen, obwohl er unweigerlich dieselbe Krankheit wie ich in sich trug. „Was stehst du noch hier?“, fragte die Torwache, als ich ihn ohne mich zu rühren anstarrte und dabei einen erneuten und heftigeren Husten unterdrückte. „Bitte, Herr! Ich habe Hunger!“ Diese Worte waren so einfach gesprochen. Ich hatte in den gesamten sechzehn Jahren meines Lebens nicht gebettelt. Nun tat ich es, denn obwohl ich noch über einige Münzen verfügte, war Geld in diesem Stadtviertel mittlerweile wertlos. Was mir fehlte war Nahrung. Das wusste ich genau so gut, wie ich den nagenden Hunger in meinen Knochen spürte. Ich brauchte Nahrung und dieser Mann war in der Lage mich zu retten. „Ich kann dein Leiden nur verkürzen!“, die Stimme des Mannes war zischend und ungerührt, als er aussprach, was ich unterschwellig bereits wusste und er wirbelte den Prügel mit einer Hand herum. Meine Augen füllten sich bei der Einsicht, die ich nun bekam mit Tränen – Ich würde sterben. Der Soldat deutete meine Tränen vermutlich fehl und als einen weiteren Trick, um ihn zu erweichen. „Verschwinde!“, herrschte er mich in noch gereizterem Tonfall an, als er ihn ohnehin schon an den Tag gelegt hatte. Doch ich weinte nicht, weil ich ein trotziges Kind gewesen wäre, oder weil mich der Hunger in die Knie zu zwingen schien, sondern ganz einfach, weil ich wusste, dass er Recht hatte. Ich würde sterben, egal, was ich tat. Ich war ein gefangenes Tier, das sich im Käfig seiner eigenen Gefühle wand und plötzlich inne hielt, um zu erkennen, dass alles keinen Zweck mehr hatte. Es heißt, die Hoffnung sterbe zuletzt, aber das ist nicht wahr. In Wahrheit welkt die Hoffnung immer als Erstes und wenn man bereit ist sich nieder zu legen und zu sterben ist sie meist bereits tot. Zu jenem Zeitpunkt war ich nicht bereit zu akzeptieren, aber meine Hoffnung begann langsam zu schwinden. „Mach, dass du Land gewinnst!“ Ich sah den Mann nicht an und drehte mich zum Gehen. Zumindest der kalte Regen hatte nun beinahe aufgehört auf meiner Haut zu stechen. Und urplötzlich wurde mir bewusst, dass mir jemand folgte. Es war eigentlich nicht so, dass ich mir dessen sicher gewesen wäre, aber etwas in meinem Gefühl sagte es mir deutlich und vollkommen unbeirrbar: Ich war nicht alleine. Es war nicht einmal so, dass meine Sinne es mir sagten. Ich hatte nichts gehört, nichts gesehen, nichts gerochen. Es war vielmehr ein Instinkt, den ich lieber nicht beachtet hätte. Mein Geist sagte mir, meine Gefühle würden fehlen, aber wenn ich inne hielt bemerkte ich, dass ich Angst hatte. – Angst vor dem, was da im Dunkel auf mich lauern mochte. Ein wunderschönes Raubtier. Während ich weiter durch die sich mit Nebel füllenden Straßen lief, begann das Gefühl in mir zu erstarken, bis ich beinahe fühlte, wie sich der Blick einer fremden Kreatur in meinen Rücken bohrte. Die Angst vor der Nacht war mir durchaus nicht fremd und ich kannte das seltsame Gefühl der Bedrohung, das aufkommt, wenn man alleine im Dunkeln wandert. - Doch dies war etwas anderes. Es war keine Ahnung mehr, sondern ein wissen, das meine Schritte beschleunigte und mein Herz schlagen ließ, wie die Flügel eines flüchtenden Vogels. Ich beobachtete dich tagelang Askian. Eigentlich war es damals wie heute nicht anders, dass du die Gefahr zwar immer von vornherein sahst, aber deiner Intelligenz zu sehr vertrautest um auf das untrügliche Gefühl zu hören. Du bist immer naiv gewesen. Als ich dich zum ersten Mal sah, standest du vor einem Stadttor. Es war kalt. Der Winter war lange eingebrochen, aber es schien zu kalt für Schnee zu sein und so regnete es ununterbrochen und die prasselnden Tropfen bohrten sich wie Nadeln in die Haut. Dies war einer jener Winter, die scheinbar nur Verachtung für die Menschen übrig haben und er war kalt und unerbittlich, wie auch ich. Dein Leben erschien mir wertlos. Dein Blut war schwach und zu krank, als dass du mir in irgendeiner Art von Bedeutung hättest sein können und dennoch… irgendetwas war in deinen Augen. Etwas, das mich fesselte und so folgte ich dir in jener kalten Winternacht und sah es mehr als ein Spiel. Ich hatte das Slumviertel bis zu jenem Zeitpunkt gemieden und begann langsam schmerzend es zu bereuen, dass ich nicht früher hergekommen war, um dein Blut unzerstört von Krankheit genießen zu können. Ich habe nächtelang versucht mich dagegen zu wehren Gefühle zu haben - So lange Zeit! - und wusste nicht, was mit mir geschah, denn mit den Tagen und Nächten hatte ich vergessen, was es heißt etwas Derartiges zu spüren. Schon als ich dich von fern sah und deinen Lebensfunken aufglühen sah, wollte ich dich sterben sehen und sehen, wie die kostbare Flamme, die man Leben nennt in dir vergeht. Vielleicht erkannte ich in dir einen Gegner, Askian. Du warst so menschlich, so verletzlich, so verachtenswert schwach. Ich kann es bis heute nicht benennen, aber es war da und es schien zwischen uns in der Luft zu stehen, wie eine kaum hörbare Melodie, vermischt mit Angst und Verachtung. Ich wusste bereits an jenem Tag, dass es keinen Ausweg mehr gab und dass wir beide uns in einem Strudel befanden, aus dem wir nie wieder entkommen würden. Du warst mein Verderben. Ich war gespalten, denn ich verachtete deine Menschlichkeit, wie ich es immer tun würde. Warum hatte ich an jenem Tag solch schwächliches Mitleid mit deinem sterbenden Körper? Warum brach deine schreiende Seele für einen kurzen Moment den Fluss der Unendlichkeit, dem ich unterworfen bin? Warum spürte ich deinen Schmerz, wie den eines jeden anderen Menschen, aber Maß nur deinem Leiden Bedeutung bei? Ich wollte dich besitzen. Ich wollte dich ganz für mich formen und ich wollte dich zerstören. - zusammen mit den letzten Resten meiner Menschlichkeit, die ich zu verleugnen suchte. Warum musste ich mich in dich verlieben? Mit den Tagen die ich schlief und den Nächten, in denen ich um mein Leben kämpfte wurde meine Krankheit langsam schlimmer, bis ich bemerkte, dass Hunger und Schmerzen mich in die Knie zu zwingen drohten. Ich weiß nicht mehr genau wie viele Tage mich jenes Wesen verfolgte bis ich zusammenbrach. Ich weiß nur noch, dass ich seit Tagen nichts gegessen hatte, als den Körper einer halbverwesten Ratte, den die Bettler übersehen hatten. Ich lag regungslos auf dem Boden. Wahnsinn und Fantasie hielten mich gefangen und mit einer Mischung aus Hunger und Schrecken dachte ich an den Körper der verhungerten Ratte, denn ich wusste, dass es kaum darauf ankam, ob ich ein Mensch oder eine Ratte war. Mittlerweile war ich ohnehin in einem Zustand, in dem mich die Welt umfing, wie mit einem weichen Mantel und es war mir nicht mehr wichtig. Vermutlich würden letzten Endes die Ratten es sein, die durch meinen toten Körper weiter leben konnten und das war wie ich selbst in meinem Zustand fand ein fairer Tausch, denn schließlich hatten sie mein Leben um einiges verlängert. - Vielleicht hatte aber auch erst der Rattenkörper die Krankheit in meinem Körper verschlimmert. Ich konnte und wollte es nicht wissen. Meine Hoffnung begann zu sterben und als ich an eine harte Steinmauer gelehnt, unfähig mich zu bewegen und schwer atmend auf das Sterben wartete, war sie bereits tot. Dunkelheit begann langsam mich zu umfangen und dann spürte ich eher, als dass ich durch meine fast tauben Sinne spüren konnte, wie sie jemand langsam näherte. Behutsam, wie eine Katze vor dem Sprung. Als würde der Fremde nur auf einen Grund warten seinen Vorstoß aufzugeben. Ich konnte noch etwas riechen. Es war nur ein Hauch, aber bald wurde mir bewusst, dass es sich vielleicht um Rosenöl handelte. Ich stellte mir kurzzeitig die Frage, ob der Tot nach Rosenöl duften mochte. Wenn dem so war, so befand ich, wäre es fast einem Spott meiner Armut gleichgekommen. Ich wollte es sehen. Ich wollte sehen, wie ich starb. Ich versuchte meine Augen zu öffnen und gab auf. Mein Geist, zuerst hell lodernd, wie eine Flamme begann zu schwinden und bevor ich endgültig das Gefühl für die Realität verlor, spürte ich eine Hand in meinem Nacken und ich fühlte eine Flüssigkeit auf meiner Zunge, die mir bekannt vorkam und leicht nach Kupfer schmeckte. Wer bist du? Ich wusste nicht, ob ich wach war, oder träumte und ich registrierte auch nicht wirklich, dass ich ihm mit einer Stimme wie brechendes Glas antwortete: „Michael.“ Meine Ohnmacht was, anders als Einige, die ich bereits zuvor hatte, durchaus nicht traumlos. Ich sah mich selbst als blonden Knaben durch den Gang eines Palastes fliehen. Neben mir standen kunstvoll gewebte Gobeline in Flammen und eine schwarze Rauchwolke begann mich einzuholen, wie ein schwarzer gesichtsloser Drache. Auch hinter dieser Wolke stand der Palast in Flammen. Durch die Augen des Kindes begann ich zurück zu blicken und sah einen schwarz verhüllten Man und ohne zu wissen wieso, wurde mir bewusst, dass es ein Abbild meines Traum-Ichs war, wie ich vielleicht einst sein sollte. Dann stürzte der Junge und wurde vollkommen vom Rauch verhüllt ohne sich gegen den anbrandenden Sturm wehren zu können. – ein Schrei in der Dunkelheit. Langsam begann sich meine Fantasie aufzulösen und ich befand mich nun im Haus meiner einstigen Familie und sah durch meine eigenen Augen. Meine Mutter saß in einem Sessel, nähte und der Mann, der sich mein Vater nannte versuchte mir immer und immer wieder etwas zu erklären. Ich hatte etwas falsch gemacht, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Vielmehr schweiften meine Gedanken ab, als wolle ich ihn nicht verstehen. Der einzige Gedanke, den ich fassen konnte war die Einsicht, dass er sich verhielt wie mein Vater, aber es nie wirklich gewesen war. Es war ein offenes Geheimnis gewesen, dass meine Mutter einen anderen Mann hatte, bevor sie meinen Vater zum Mann genommen hatte. Irgendwie hatte sie immer mir die Schuld daran gegeben, dass ich der Sohn eines anderen Mannes war, mit dem sie nie verheiratet gewesen war. Und schließlich waren sie gestorben. Es war eine schleichende Krankheit, die die Zunge meines Ziehvaters schwarz anschwellen ließ, bevor sein gesamter Körper von schwarzblauen und eitrigen Flecken übersäht war. Meine Ziehmutter war die Letzte, die starb. Sie hatte das Sterben ihrer Kinder gesehen und ihr Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen und bereits vor ihrem Tod verwest. Als ich ihre Augen schloss und mir bewusst wurde, dass ich nicht sterben würde, war ihr Blick hoffnungsvoll und erleichtert. Meine Hoffnung hingegen war geschwunden, denn ich konnte ihnen nicht folgen. Wie durch ein Wunder blieb ich vollkommen von der Pest verschont, während um mich die Menschen starben. So blieb ich alleine und Gerüchte wurden laut ich wäre ein Bote des Unglücks und für die Seuche verantwortlich, obwohl ich nicht der einzig Überlebende war. Das Haus in dem wir lebten gehörte dem Mann für den meine Eltern gearbeitet hatten. Es war ein strenger Herr, denn ich bisher kaum gesehen und nie gesprochen hatte. Er hatte schwarzes Haar und eine Adlernase die von zwei stechenden Augen umrahmt wurde. Seine Statur war muskulös, wirkte aber durch die höfisch übliche Beleibtheit kaum athletisch. Er redete nicht mit dem gemeinen Volk und er schickte einen Trupp Söldner, anstatt mich mit eigenen Händen meinem Schicksal zu überlassen. Das Haus wurde später, wie ich nun weiß einer anderen Familie gegeben. Mein Weg jedoch führte mich in die Stadt und von dort aus direkt in das Viertel der Bettler, wo ich bis zu meinem zwölften Lebensjahr von einer Frau aufgezogen wurde, die in der einzigen Gaststätte des Bettlerviertels arbeitete. Ich wuchs, wurde schön und als die Frau, die ich als eine neue Ziehmutter angenommen hatte befand, dass es Zeit war mein eigenes Geld zu verdienen begann ich zunächst als Kleinkrimineller durch die Straßen zu ziehen. Dies ging jedoch nur solange gut, bis mich eine Wache beim Taschendiebstahl erwischte und mir mit Ermordung drohte. Von diesem Ereignis blieb äußerlich eine Narbe zurück und innerlich ein Gefühl der Ratlosigkeit. Manchmal frage ich mich, wieso ein paar Münzen aus kaltem Metall in den Augen der Menschen einen derart hohen Wert haben können, dass ich gezwungen war meinen Körper für Geld zu verkaufen. Es gab in den Bordellen des Bettlerviertels nie viel Betrieb, aber es reichte zum Leben und da ich schön war und es kaum Männer meines Alters gab, konnte ich leben. Ich hielt mich von den anderen Männern fern, um nicht ihrem Neid zu provozieren und hielt mich so lange im Hintergrund, bis man mich beinahe vergaß. Als ich fünfzehn Jahre zählte begann sich meine Kundschaft auf Männer auszuweiten. Es war mir eigentlich gleich, denn ich hatte gelernt weder nach Gründen, noch nach religiösen Überzeugungen zu Leben. Ich hatte mich mit meinem Schicksal abgefunden. Nicht einmal der Verkauf von Lust konnte mich jemals von hier fort bringen. Die Hoffnung, dass sich ein Reicher in mich verlieben würde und dies zugäbe war denkbar gering. Ich trieb mich in verschiedenen Lusthäusern herum, blieb selten am selben Ort, und für einige Zeit war ich beinahe so etwas wie wohlhabend geworden, da es kaum männliche Vertreter meines Berufes, aber eine Anzahl homosexueller Bordellbesucher gab. Langsam klärten sich meine Gedanken. Die Ereignisse der Vergangenheit rückten in den Hintergrund und die Gegenwart begann sich erneut und schmerzhaft in meinen Knochen bemerkbar zu machen. Ich war so tief gesunken, wie man nur konnte und ich bezweifelte manchmal, dass es noch tiefer kommen konnte. Aber ich würde eines besseren belehrt werden, denn zu dem Zeitpunkt als ich den Tot bereits akzeptiert hatte, besaß ich immerhin noch meine Freiheit. Dieses Wesen der Nacht hatte mir das Leben gerettet und ich war an jenem Morgen in der Lage über mein Leben frei zu verfügen. Oder war ich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr frei? Warum habe ich dich nicht sterben lassen? Du hattest mir eine Wunde zugefügt und mich geschwächt. Warum sehnte ich mich so nach dir, obwohl ich die Menschen und auch dich verabscheute? Ich habe versucht dich zu vergessen, aber du fingst mich mit deinem Leiden. Ich habe tagelang in der Einsamkeit meines Heimes verbracht und versucht dich zu vergessen, bevor ich erneut beschloss dir zu folgen. - Ich folgte dir in der Hoffnung, dass ich irgendwie eine Möglichkeit fände dich zu zerfleischen, aber ich konnte es nicht, weil es mich selbst verletzt hätte. Aus diesem einzigen selbstsüchtigen Grund habe ich dir das Leben mit meiner unheiligen Magie gerettet. Doch wozu? Ich hungerte nach dir! Ich hatte schon tagelang nichts getrunken… Als ich die Augen aufschlug kam es mir vor, als sei die Welt strahlender und das Licht brannte in meinen Augen. Ein tropfen Nachtnebel löste sich vom Dach der Baracke an die ich gelehnt beinahe lag. Ich nahm dieses Ereignis wahr, als wäre es unheimlich wichtig, auch, wenn es unter normalen Umständen völlig bedeutungslos gewesen wäre. Ich hatte auf dem Boden die Nacht verbracht, erinnerte mich aber kaum, wie ich dort hingekommen war. In meinen zerfetzten Erinnerungen war ich durch nebelhafte Straßen geirrt. Auch kamen mir Teile des Traumes in den Sinn und ich fragte mich, wer der Junge, der mir so vertraut war, sein konnte. Ich hatte den Tod nicht bezwungen, aber er war dennoch an mir vorüber gezogen. Ich lebte und allein das war ein Wunder. Ich fing einen erneut fallenden Tropfen mit der Hand auf und nahm ihn zwischen meine aufgesprungenen Lippen. Auch meine Hand war kalt und gesprungen und wirkte weiß vor der dunklen Mauer hinter mir. Ich dachte über das Wesen nach, das mir geholfen hatte. Ich erinnerte mich nur schemenhaft an ihn. Für eine Weile war ich versucht zu glauben, ein Engel habe mir geholfen. Aber Gott hilft den Reichen und denen, die keine Hilfe brauchen. Gott erwartet Dankbarkeit, aber wenn es nötig ist, hilft er nicht. So hatte ich es gelernt und so glaube ich es bis heute. Ich suchte nach anderen Wegen mein Überleben zu erklären und kam bald zu dem Schluss, dass es vollkommen egal sei, was mir geholfen hatte und ob das Wesen nicht vielleicht lediglich in meiner Einbildung existier hatte. Es musste einfach irgendwie weiter gehen. Wenn ich ein paar zusätzliche Wochen gewonnen hatte, musste ich sie nutzen und damit eine Chance bekommen weiter zu leben. Ich stand auf und sah einen einfach gekleideten Mann vollkommen regungslos im Schatten stehen. Er trug einen schwarzen Stoffmantel und lehnte an einer Mauer, die ein Stück weit entfernt von mir stand. Er hatte den Blick leicht nach unten gesenkt und betrachtete ebenfalls die fallenden Tautropfen. Doch in seinen Augen lag weder Neugier noch Interesse. Es war, als ginge eine kühle Berechnung von ihm aus. – Als beobachte er die Tautropfen wie einen potentiellen Feind. „Mein Name ist Siren.“, sagte er vollkommen unvermittelt und sah mich durchdringend an, während ein kalter Windhauch durch sein schütterndes blondbraunes Haar fuhr. Ich wusste nicht, wie ich reagieren oder mich verhalten sollte, denn als der Wind seinen Duft zu mir trug meinte ich, Rosenöl wahrzunehmen und eine Erinnerung der vergangenen Nacht streifte meinen Geist. Auch war etwas an ihm, das mich an den kleinen Jungen aus meinem Traum erinnerte, doch es war vollkommen unmöglich zu benennen, was es war. Ich fühlte mich gleichzeitig abgestoßen und zu ihm hingezogen. So, als würde ich ihn und die Abgründe seiner Seele schon seit ewigen Zeiten kennen. Sein Gesicht kam mir vertraut und gleichzeitig fremd vor. Die flackernden braunroten Augen waren fein Geschnitten, wie auch sein Gesicht und wirkten beinahe katzenhaft. Er war unrasiert, aber dennoch sehr gepflegt und man sah ihm an, dass er nicht hier in die Slums gehörte. Er war ein Fremder, wie ein einsamer Wanderer. Ein wunderschönes menschliches Wesen von katzenhafter Anmut, das sich aus irgendeinem Grund hier verirrt hatte. Ich war mir sicher, dass er ein Adliger war, wenngleich er versuchte es zu verbergen sprach es aus jeder kleinen Bewegung und jedem Wort, dass er aussprach, als wäre es unheimlich kostbar. „Was tut Ihr in dieser Gegend, Herr?“ Ich bemühte mich meine Frage nicht wie einen Vorwurf oder eine Anschuldigung klingen zu lassen und kam mir seltsam kindisch dabei vor. Mein Hals war kratzig und als ich redete drängte sich mir der Vergleich mit einem Raben auf, der versucht einer Nachtigall das Singen beizubringen. Der Mann senkte seine Lider leicht und lächelte, ohne mich ganz aus dem Blick zu verlieren. Als wäre ihm etwas unangenehm und ich wusste, er würde mir nicht antworten. Warum auch? Wir kannten uns nicht. – Bei diesem Gedanken fühlte ich mich aus unerfindlichen Gründen schlecht. Es war eine Vertrautheit in ihm, die sich nicht durch Logik erklären ließ. Ich wollte in diesem Moment fort, aber etwas hielt mich da. – Vielleicht war es Anstand, sich nicht einfach von einem Mann des „reichen Volkes“ abzuwenden. Vielleicht aber auch Unschlüssigkeit vor dem, was mich zu ihm hinzog und dem, was mich gleichzeitig von ihm abstieß. Eine Weile musterte er mich unschlüssig und scheinbar ein wenig schüchtern. Schließlich verhärtete sich sein Blick im Bruchteil einer Sekunde, als würden Wolken über einem spiegelglatten Meer aufziehen. „Eines Tages wirst du mir gehören!“ Sein Blick war bei diesen Worten so kalt und voller Verachtung, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurück machte. Eines Tages wirst du mir gehören! Wieso? Bevor ich diese Frage stellen konnte verschwand er. Er ging nicht etwa weg, sondern löste sich vielmehr in sich selbst auf. Wie eine Vision, oder ein Traum. Ein Geist… Ich hielt dieses Ereignis für einen Streich meines eigenen Bewusstseins. Schließlich war ich immer noch krank und dem Tot vermutlich nicht wirklich entgangen. Ich denke ich befand mich zu jenem Zeitpunkt erneut in seiner Schlinge und konnte ihm nicht entkommen. Der Fremde hatte mein Leben gerettet. Siren. Der Dämon meiner Träume, der mir weismachen sollte, ich würde ihm gehören. Den größten Teil des restlichen Tages verbrachte ich halb fiebrig auf der Suche nach Essbarem. Ich fand nichts. Was war er nur? Warum konnte ich dich nicht töten? Warum konnte ich dich nicht vergessen, wenngleich ich sehr wohl spürte, dass du Untergang und Tod bedeutetest? Wesen wie du tragen einen Hauch des Blutes von Vampiren in sich und sie sind ausgestoßen vom Schicksal. – Wesen des Nichts. Du bist weit weniger wert als ein Mensch und mir doch so teuer, wie die Erinnerung an meinen letzten Tag als Sterblicher. Auch ich war einst nicht mehr als ein Nichts. Ich habe dich verfolgt. Ich habe dich gejagt. Und in meinem Herzen war die Entscheidung bereits in jener kalten Nacht gefallen, an der ich dir zum letzten Mal das Leben gerettet hatte. Das du Abschaum warst und immer Abschaum sein würdest dürfte uns wohl beiden klar gewesen sein, aber ich konnte mich meinen Gefühlen und meiner bedingungslosen Liebe zu dir nicht erwehren. Keine Frau hätte mir je geben können, wonach ich suchte. Keine Liebe von einer Frau gegeben hätte mir jemals etwas wert sein können. Keine Liebe so teuer, wie das von dir gestohlene Herz. Ohne dich wäre ich erneut einsam, so wie auch du. Nun war ich wie du, - gefangen in meinen Gefühlen. Selbstmitleid spürte ich nicht. Dennoch war die Schande etwas zwanghaft zu tun – einem Menschen zwanghaft zu helfen – und mich weder körperlich noch mental unter Kontrolle zu haben war beinahe unerträglich. Ob ich dich nun deswegen liebte, weil du schwächer warst als ich oder gerade deswegen, weil ich dennoch Gefahr an dir spürte, war letztendlich nicht mehr von Belang, als die Stimme meiner Vernunft, die mich von meiner eigenen Torheit überzeugen wollte. Seit ich dich zum ersten Mal gesehen hatte reifte in mir der Wunsch dich zu ändern. Du warst schwach, aber durchaus in der Lage ein perfektes Kunstwerk zu werden. Ein Kunstwerk von mir erschaffen. Ich wollte deine Seele für mich formen, weil ich dich so hätte lieben können ohne Scham dafür zu empfinden, wer du warst. Ich hätte dich achten können ohne zu bemerken, dass mein verinnerlichter Hass gegen Menschen und der damit verbundene körperliche, wie seelische Schutz auf eine harte Probe gestellt wurde. Nie wieder würde ein Mensch es wagen mich zu verletzen. Immerhin hatte ich nun etwas Anderes als Kraftlosigkeit in mir geweckt. Ich begann dich zu jagen! Der Abend bracht herein, wie ein gefiederter Phönix in Rot- und Goldtönen. Ich stand an einer Straße des Hurenviertels und beobachtete, wie die Sonne langsam über die Dächer hereinbrach und alles in ein gleißendes Licht tauchte. Der Anblick war so wunderschön, so klar und rein, dass ich eine Weile alles um mich herum zu vergessen schien. Sogar das Elend, dass um mich herrschte. Es gab keine Arbeit für mich und nicht für die Anderen. Bald lehnte ich mich an eine Hausecke und die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter den Dächern, ohne das es zunächst merklich dunkler wurde. Der Schein schien zu bleiben, obwohl nur noch Schatten vorhanden war. Ich hatte den Blick zur Straße gewand, die den größten Teil und das eigentliche Hurenviertel darstellte. Es war eigentlich kein Stadtviertel, sondern bestand eben hauptsächlich aus dieser einen Straße. Vielleicht war die Tatsache, dass man uns als ausgestoßene Hunde behandelte ja, dass wir diesen Bereich der Stadt als so abgesondert betrachteten, als wäre er ein eigenes Dorf. Wir hatten uns daran gewöhnt, dass es für uns nur diese Welt und nicht die der Reichen gab. Obwohl das Tor, das während der Seuche geschlossen worden war selbstredend in besseren Zeiten offen stand war es doch ein ungeschriebenes Gesetz, dass diese Grenze unüberschritten sein wollte. Es gab kaum jemanden, der sich freiwillig, um die hier grassierende Seuche kümmern würde, es sei denn, sie finge an die Mittelklassengesellschaft oder den Adel zu bedrohen. Hinter mir führte eine dreckige Straße direkt hinter dem Haus her, vor dem ich stand und führte in das so genannte „Viertel der Bettler“. Jener kleine Straßenkomplex war direkt am Stadttor gelegen und somit Ideal für die Bettler, sodass sie dort lungerten und für gewöhnlich nicht in den Bereich der Prostituierten kamen. Es war, als würden zwei Gemeinschaften eng nebeneinander, aber dich nie miteinander leben. Meiner Erinnerung nach starben die Bettler zuerst. Danach folgten ihnen die Huren, denn es gab gerüchteweise im oberen Stadtteil der Adligen ein Bordell, in dem sich wohlhabende und weit besser gepflegte Frauen feilboten. Nun stand ich hier und fühlte mich bei dem Gedanken daran wie ein billiger Ersatz für all jene Leute, die sich das Geld für Edelhuren sparen wollten, oder aus anderen Gründen nicht in das offizielle Bordell konnten oder wollten. Und dennoch würde alles bleiben wie es war. Auch außerhalb der Seuchenquarantäne war ich ein Gefangener dieser Stadt, dieses Viertels, dieser Straße. Hier wo ich stand kreuzten sich die Wege. Der eine ins rote Licht führend, der andere ins Dunkel, wo des Nachts lediglich Straßenräuber lauerten und ich war nichts weiter als ein Tier. Ein wunderschönes, Gefahren umwittertes Tier. Ich hatte dies nicht wirklich gedacht, aber es kam in meinen Geist, als wäre es einer meiner Einfälle. Mir war urplötzlich eiskalt und ich drehte mich fröstelnd in Richtung des dunklen Bettlerviertels. Auch das Licht aus dem Bereich der Huren war mittlerweile verschwunden. Außer einer Leichenkerze in einer verfallenen Hütte rechts von mir konnte ich rein gar nichts sehen. Ich drehte mich erneut um und sah ein paar Prostituierte um Angelegenheiten streiten, die vermutlich Einnahmen und Rechte was Freier anbelangte betrafen. Der Blick einer rothaarigen Schönheit streifte mich, als ihre Kollegin mit einer ausladenden Geste auf mich zeigte und ihr etwas sagte, dass durch die kalte Abendluft nur stückweise zu mir herüber drang. „Wenn du das wirklich denkst, dann kannst du auch ihn und jeden anderen hier fragen…“ Ich lehnte mich ein wenig fester an die Steinmauer, um vor dem kalten Wind geschützt zu sein, der durch die Straßen pfiff. An dieser Stelle an der sich die Straßen kreuzten war er scheinbar besonders stark, doch etwas hielt mich und so beobachtete ich weiter die Frauen, die wie zwei Sukkubi aufeinander los gingen. Ich habe dich gesucht. Ich habe dich verfolgt, Askian. Abrupt drehte ich mich um, erblickte aber wie bereits beim vorigen Blick in die schwarze Gasse lediglich die Flamme der flackernden Grabkerze, die zuckend ein kleines Licht warf, dass der Dunkelheit hoffnungslos unterlegen gegenüberstand. Dennoch war es mir nun, als erkenne ich schlangenartige Schatten und sah plötzlich wieder jenen Mann, - jenes Wesen-, das mir das Leben gerettet hatte. Es kam direkt aus mich zu. Sein Körper schien sich aus dem Schatten zu lösen, als manifestierte er sich direkt daraus und seine Füße schienen beim Gang den Boden nicht zu berühren. Es war beinahe unnatürlich, wie er vollkommen lautlos auf mich zu schlich, als wolle er es vermeiden gesehen zu werden. „Ich habe dir gesagt eines Tages wirst du mir gehören.“, erinnerte der Fremde und doch schien etwas in ihm vor mir zurück zu weichen, obwohl man es nicht erkennen, sondern nur fühlen konnte. „Wer seid Ihr?“ Meine Stimme klang beherrscht, aber seltsam schneidend, was zum einen an meinem Argwohn und zum anderen daran lag, dass ich verzweifelt versuchte mein Zittern zu verbergen, das von Kälte und Angst herrührte. Innerlich fragte ich mich, ob es sich bei diesem Mann um eine ausgeklügelte Halluzination handelte, die mein Körper mir nach Jahren der Einsamkeit eingab, damit ich meinen Verstand zumindest weit genug beisammen hielt, um zu überleben. „Ich bin real.“, war seine Antwort, als habe er meine Gedanken gelesen. „Glaubst du an Gott?“ Diese Frage traf mich vollkommen unvorbereitet und ich wusste nicht, was ich Antworten sollte, da der Anstand ein „Ja.“ von mir verlangt hätte. Der Mann streckte seine weiße feingliedrige Hand aus, um mich am Arm zu berühren. Als wolle er mir beweisen, dass er durchaus real war und sich gleichzeitig von meiner Existenz überzeugen. „Ich bin seine Rache an die Menschheit.“, sagte er und ich verstand zunächst nicht, worauf er sich bezog, da ich vollkommen gebannt war. Etwas in mir fühlte sich bei dem Gefühl jener Berührung gewaltsam zu ihm hin gezogen. Als er seine Hand langsam und scheinbar unbewusst ein Stück meinen Arm herab gleiten ließ, lief mir ein heißer Schauer den Rücken herunter und ich konnte nicht sagen, ob ich seine Berührung genoss oder nicht. „Mein Name ist Siren.“, stellte sich der Dämon ein zweites Mal vor und schlug dabei die halb geschlossenen Augen auf, um seine Aufmerksamkeit von meinem Arm weg und direkt in mein Gesicht zu lenken. Diese Augen. Es war etwas in ihnen, dass aus irgendeinem Grund tiefes Mitleid in mir weckte. Es war sorgfältig versteckt unter einer Maske aus Zorn und Kälte, aber es war unverkennbar vorhanden, dann wurde sein Blick vollkommen glasig und auf einmal erinnerte er mich an eine Leiche. Ich wich ein wenig zurück und sagte: „Du wirst mich nie besitzen.“ Es war nicht einmal unhöflich gesagt, sondern bestimmt. Es war eine der einzigen Wahrheiten, die ich noch kannte, während mich seine rotbraunen Augen langsam fingen und ich versuchte mich nicht zu vergessen. Siren lächelte dämonisch. Er zog eine Goldmünze mit zwei Fingern aus einer Manteltasche und hielt sie glänzend ins Licht. „Wie viele Menschen haben dich schon besessen, Michael? Wie viele? Und wie vielen wirst du noch gehören?“ Er blinzte mich mit einer Mischung aus Fürsorge, Verständnis und reiner Boshaftigkeit an, bevor er schloss: „Ich werde nicht der Erste und nicht der Letzte sein, doch du bist mein Leben und du bist der Erste, der mich zähmen wird.“ Er warf die Münze vor meine Füße. Sie klirrte leise und metallisch, während er sich umdrehte und lautlos in der Dunkelheit verschwand. Ich konnte mich dem Gefühl nicht erwehren, dass er etwas gewollt und nicht getan hatte. Ich wusste nicht, was es gewesen war, aber die Vorahnung hielt mich gefangen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich zitterte. Während er an meiner Seite stand war mir dies nicht aufgefallen, aber nun nachdem er fort gegangen war, kam er mir zu irreal vor, um nicht Furcht erregend zu sein. Hatte er sich nicht als Dämon vorgestellt? Ich hatte weder angst vor Gott, noch vor seinen Dämonen, aber ich hatte Angst den Verstand zu verlieren und das Gefühl dem wäre so. Ich wollte nicht Toll werden, wie die versoffenen Bettler, oder die abgestumpften Messerstecher aus den anderen Vierteln. Ich wollte nicht wirr redend in einer Gosse sterben, wenn die Möglichkeit bestand stattdessen zu verhungern. Ich wollte nicht nach Verwesung und Exkrementen riechend von einem Soldaten des Stadttores getötet werden, der den einzigen Sinn seiner Tat darin fand mein Leiden zu lindern. Ich wollte meinen Verstand nicht verlieren, denn er war das Einzige, was mir niemand nehmen konnte. Ich bückte mich und griff nach der glänzenden Münze. Sie war echt. Ich hätte sie sicher aus Habgier genommen, aber in diesem Fall nahm ich sie ebenfalls, weil sie ein Beweis von Sirens Existenz war. Und während ich den schmuckhaften Gegenstand in der Hand drehte bekam alles einen Sinn. Siren hatte mich mit seinen Worten und seiner Art zu reden verwirrt, weil er der Verrückte von uns beiden war. Letztendlich hatte er wirr gesprochen. Er war der Verrückte, nicht ich. Er war einfach nur irgendein Fremder Irrer, der mich nach stellte, aber harmloser sein mochte, als er sich gab. Warum sollten nicht auch Adlige den Verstand verlieren? Dieser Gedanke wurde von mir noch unterstützt, als ich erkannte, dass es auch eine Erklärung dafür sein mochte, wieso einer des Reichen Volkes durch die Straßen des Bettlerviertels lief, obwohl ein jeder um die Gefahren wusste. Er würde getötet werden oder von seiner Familie geholt, die ihn für viel Geld an irgendeinen unfähigen Nervenarzt geben würden, der nach einigen Jahren der Behandlung nur noch die unheilbare Gemütskrankheit und eines Tages den Tod feststellen konnte. Ich brauchte mich nicht zu fürchten. Er war anziehen. Vielleicht fühlte ich ein wenig für ihn, das mich an Liebe erinnerte, aber ich würde auch dieses Gefühl vergessen. Er war charismatisch und sah mit seinen schütteren Haaren und den braunen mit Gold durchwirkten Augen sehr anziehend aus. Er war in der Tat der schönste Mann, den ich jemals gesehen hatte. Aber das war auch alles. Warum hast du dich geweigert mir zu gehorchten, mir zu folgen. Du, der du ein nichts bist. Ich wollte, dass du mich liebst, so wie ich dich liebte, aber du hast dich geweigert. Etwas an dir war nicht richtig. Ich konnte es nicht akzeptieren und werde es nie akzeptieren können, denn du bist ein niederes Wesen. Warum hast du mich nicht geliebt? Dies war meine fünfte Nacht im Slumviertel Londons. Zwei Nächte habe ich deinen ohnmächtigen Körper gepflegt, obwohl ich dich eigentlich sterben sehen wollte. Ich konnte es nicht zulassen dich gehen zu lassen. Ich habe dich geküsst, aber du hast es in deiner Ohnmacht wohl nicht gespürt. Ich habe deine Wunden verbunden und deine Krankheit gelindert. Ich habe versucht deinen Körper, dessen Lebensfunke beinahe bis zum Erlöschen flackerte am Leben zu erhalten. Nicht aus Freundlichkeit, sondern aus Liebe und aus Eigennutz, denn wärst du gestorben hätte ich dieses Gefühl verloren und es war das einzige, was ich besaß. Es war kostbar, wie ein seltener Wein. Ein derartiges Gefühl ist nicht lebensnotwendig, aber ein Luxus, den man einmal gekostet nicht aufgeben will. Man nannte mich den mächtigsten Magier der Erde. Man nannte mich einen Dämon und es schien mir, als würde mir selbst diese gottgleiche Macht nichts mehr nützen und du würdest dennoch sterben. Aber ich habe dich dem Tot entrissen. Ein erstes Mal. Ich bin ein Dämon. Ich bin eine Geißel. Aber mehr noch als das bin ich ein Wesen, das nach Liebe schreit. Ein Raubtier, das vor Hunger wahnsinnig geworden ist. Aber Wahnsinn und messerscharfer Verstand liegt oft nah beieinander. Vor allem, wenn man eine Macht hat, wie ich sie hatte. Ich war einst wie du! Weder reich noch arm. Voll Gefühl und Güte, die sich später in eine wütende Leidenschaft verwandeln sollte. Eine Leidenschaft, die mir im Weg stand. Vor meiner Erschaffung war ich glücklich und ich habe auch Liebe gekannt. Einst vor langer Zeit, bevor meine Familie in Vergessenheit geriet. Ich wusste schon damals um deine Vergangenheit und ich kannte deinen Namen. Deinen wahren Namen. Ich wusste, dass dein Vater der Landherr war, dem deine Mutter gedient hatte. Mehr noch wusste ich, dass dein Name Askian war und dass dein Vater ein Vampir wie ich gewesen war. Auch du warst ein Raubtier. Ein gottfremdes Wesen, schon immer. Genau, wie ich. Und genau wie ich würdest du zu formen sein. So wie ich es einst war, bevor ich meine Leidenschaft vernichtet habe, die du mich erneut lehrtest. Dieses geschenkte Gefühl würde ich nie mehr verlieren. Aber warum habe ich Angst dich zu berühren? Oder dich zu verletzten? Vielleicht wollte ich dich leiden sehen. Aber nachdem ich dir das Leben gerettet hatte, konnte ich mir nicht mehr vorstellen, dich jemals vollkommen sterben zu sehen. Ich drehte die Goldmünze in der Hand. Ich hatte wahrscheinlich noch nie in meinem Leben etwas Wertvolleres besessen und nun, da der Schock überwunden war, fühlte ich mich glücklich. Die Vorstellung, dass ein Mann wie Siren es sich leisten konnte es einfach wegzuwerfen… Wie vielen Menschen hast du schon gehört? Hatte ich wirklich in all den Jahren nur meinen Körper, sondern vielmehr meine Seele langsam Stück für Stück verkauft? Wie vielen Menschen wirst du noch gehören? In den Bäumen um mich herum glänzten die Regentropfen der vergangenen Tage. In einer trügerischen Sonne, die das kalte Land fast sommerlich erscheinen ließ. Ein wenig wie das Leben, mit einer fröhlichen Atmosphäre, aber hart und kalt und unbarmherzig unter der Oberfläche. Die vorige Nacht erschien mir wie ein seltsamer Traum. Nicht real und doch war der Beweis in meiner Hand. Seit einigen Tagen hatte ich wieder angefangen zu husten und auch mein bereits fast vergangenes Fieber hatte wieder zugenommen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ich mich wieder dem gleichen Kampf gegenüber sehen würde, den ich erst vor wenigen Tagen knapp gewonnen hatte. Dieses Mal würde vielleicht keiner da sein, um mich zu beschützen. Während ich gedankenverloren auf die kleine Goldmünze in meinen Händen starrte, bemerkte ich nicht, wie sich mir jemand von hinten näherte. Erst, als ich unverkennbar einen schweren pfeifenden Atem hörte wurde ich aufmerksam. Ich dachte zunächst, es würde sich bei dem Fremden hinter mir um Siren handeln, aber dieser war stiller und katzenhafter. Ich konnte deutlich die schweren Schritte hören, die mir klar machten, dass der Mann hinter mir Siren um ein Vielfaches überragen musste. Ich drehte mich langsam und etwas furchtsam um. Hinter mir stand nicht ein Mann, sondern drei, denn zwei Weitere kamen aus einiger Entfernung hinzu. Alle trugen schmutzige halb stumpfe Klingen in den Händen. Einer der beiden hinteren war höchstens 12 Jahre alt und unter dem Schmutz kaum als menschliches Wesen zu identifizieren. Ein weiterer schwarzhaariger Mann, hatte ein Hemd um die Hüften geschlungen und grinste höhnisch. Ich wusste, wer sie waren und stöhnte leicht. Der Mann, der mir am nächsten stand, war schon sehr alt für einen Bewohner des Bettlerviertels. Sein haar war braun und das Blut einer beinahe verheilten Kopfwunde verklebte seine Strähnen auf einer Seite, sodass er wie ein zerrupfter Hahn und vermutlich weitaus älter wirkte, als er wirklich war. Sein pfeifender Atem kam daher, dass ihm einige Zähne im Oberkiefer fehlten. „Was für ein hübsches kleines Ding du da doch hast.“, sagte er und machte eine gespielt unschuldige Miene. Er sprach mit Bedacht, als wäre ich ein kleines Kind und seine beiden Gefolgsmänner grinsten höhnisch. „Ich sehe du weißt wer wir sind.“, fuhr er geschäftig fort. Ich nickte. Ich hatte diese Männer nie gesehen, aber ich kannte seinen Ruf in den Gassen. Die Männer waren Straßenräuber und ich brauchte mich nicht erst um zu drehen um zu wissen, dass hinter mir weitere Männer und vielleicht auch Frauen hervortreten würden. Sie machten gemeinsam Raubzug auf Bettler. Ein wenig ertragreiches Geschäft, aber es schien lukrativer als alles andere, was sich leicht aus der besseren Kleidung und der stärkeren Gesundheit aller mich umgebenden Männer schließen ließ. Der Anführer der Bande bemerkte bald, dass ich nichts sagen würde und streckte sein Messer vor. Ich wich ein paar Schritte zurück und steckte das Goldstück in die Tasche meines Mantels. „Denk nicht daran zu fliehen!“, hörte ich eine kratzende Frauenstimme hinter mir sagen und bevor ich mich umdrehen konnte, spürte ich, wie kalter Stahl an meinen Hals drückte und eine raue Hand in die Tasche meines Mantels griff. Die Münze wurde herausgezogen und zu jenem schwarzhaarigen Mann geworfen, der hinter dem Anführer stand. Dieser fing das Kleinod geschickt auf und warf es grinsend noch einmal in die Luft, bevor er es in seinem Geldbeutel verstaute. „Was hast du noch dabei?“, fragte mich der Anführer und ich spürte die Klinge der Frau sofort fester an meinem Hals. Ich wusste, sie würden mir die Wahrheit nicht glauben und überlegte sie hin zu halten. Genau genommen waren sie in der selben Situation wie ich und irgendwie konnte ich es ihnen nicht einmal übel nehmen, dass sie sich den einfachsten aller Berufe ausgesucht hatten. Den nämlich, in dem man Anderen nehmen konnte, was einem nicht in den Schoß fiel. Adlige und Kaufleute machten es ähnlich und gelegentlich hatte ich den Eindruck, dass eigentlich jede Art von Wohlstand nur durch das geschickte ausnehmen von anderer Leute Taschen entsteht. „Ich habe nichts.“, sagte ich schließlich wahrheitsgemäß und das traf nach meinem Verständnis auch zu. Der Anführer jedoch zog eine buschige Augenbraue zusammen. Ich hatte nur eine einzige Sekunde gezögert, bevor ich geantwortet hatte und er missdeutete es ganz offensichtlich. „Nichts?“, fragte er mit dem gewohnten unschuldigen und spöttischen Unterton und setzte nach kurzem Überlegen hinzu: „Was ist mit deinem Mantel?“ Mit leichtem Widerwillen zog ich den Mantel aus und gab ihn an den Anführer. Ich wusste nicht, wie ich in den Lumpen, die ich trug den Winter überleben sollte, aber alles schien besser als sofort zu sterben. Der Alte warf den Mantel an den kleinen Jungen und grinste: „Kannst du haben!“ „War das alles?“ Der Mann schien auf eine ganz bestimmte Antwort zu warten und seine Spielchen begannen mich langsam mehr zu ärgern, als zu erschrecken. Dennoch zwang ich mich ruhig zu bleiben. „Was wollt ihr noch?“, fragte ich kraftlos. „Du bist einer der Nutten, ja?“, fragte der Mann und er spuckte das Wort aus, als würde es mich mit den Ratten gleichstellen mit denen er sein Lager teilte. Ich zuckte kaum merklich mit den Schultern, erwiderte aber nichts. „Ich höre ihr sollt total wild darauf sein euch auszuziehen.“ Die Untergebenen lachten roh. Langsam ahnte ich wohin das ganze führen sollte, doch ich stellte mich unwissend in der Hoffnung ein wenig Zeit zu schinden, um vielleicht doch einen Weg zu finden ihnen zu entkommen. Ich musterte nacheinander noch einmal die drei Männer vor mir. Da sich das Messer von meinem Hals entfernt hatte, könnte ich eine Chance haben wenn… Ich überlegte eine Weile, ob ich mich der Demütigung und dem sicheren Tod aussetzen sollte, indem ich die Kleider auszog und an die Männer gab. Ich wog meine Chancen zu entkommen ab, aber mein Entschluss war bereits gefallen, also schüttelte ich langsam und mit in mir brodelnder Todesangst den Kopf. „Nein.“ Die Straßenräuber schienen leicht überrascht über den plötzlichen Widerstand und eine Weile hörte man gar nichts außer dem Wind, der über die Straße fegte. Dann wurden sie wütend. Ich hatte sie in ihrer Ehre beleidigt und sofort spürte ich wieder ein Messer an meinem Hals. Dieses Mal ritzte es die Haut und ein einzelner Blutstropfen rann mir die Kehle herab. „Dann werden wir deine Kleidung in Streifen von deiner Leiche abschneiden.“ Der Mann sprach nun mit gedämpfter Stimme und in einem dunklen vibrierenden Tonfall. Ich war kurz unschlüssig, dann nickte ich langsam und begann mein Hemd aufzuknöpfen. Ich hatte nicht vor es wirklich zu tun, aber ich hoffte, dass sich eine Möglichkeit zur Flucht gab, wenn mein Hals frei von einem Messer wäre. Ich wurde losgelassen und erneut in die Mitte der vier Personen gestoßen. Ich wusste, dass eine neue Chance nie kommen würde. Ich schloss die Augen und versuchte dann zwischen dem kleinen Jungen und dem Schwarzhaarigen durchzubrechen. Zeitgleich spürte ich einen scharfen Schmerz in der Seite und wusste, dass mich das Messer des Schwarzhaarigen getroffen hatte, ohne Schmerzen zu spüren. Meine Hand fuhr an meine Seite und ich prallte beinahe besinnungslos gegen das ende einer Hauswand, wo ich eine hellrote Blutspur hinterlassend vorbeitaumelte, um mich in eine Gasse zu retten. Ich wusste, dass ich derart verletzt nie entkommen würde. Es würde ein leichtes für die Wegelagerer sein mich einzuholen und die brennende Wunde war tödlich. Urplötzlich stand jemand in meinem Weg und fing mich auf. Mich stützend erklärte Siren in einer herrischen, aber irgendwie schleppenden Stimme: „Dieser Mensch gehört mir. Kehrt um, oder ihr werdet den morgigen Tag nicht erleben.“ Bis auf den kleinen Jungen zeigte sich keiner der Räuber von Siren beeindruckt. Sie schienen vielmehr nicht sicher zu sein, ob sie lachen sollten, oder wütend waren. Schließlich sahen sie einander an und hoben gemeinsam ihre Dolche zu einem erneuten Angriff. Dieses Mal gingen sie auf Siren los, der mir sanft und ohne Eile half mich auf den Boden zu knien, während sich die Straße mit wachsendem Nebel füllte in der Etwas heranzuschleichen schien. Mit einer einfachen Handbewegung schleuderte Siren den Anführer der Gruppe gegen eine nahe Wand, an der sich der Mann wohl das Rückrat brach, denn sein Körper war seltsam verdreht und geknickt, als er auf dem Boden aufkam. Ohne scheinbar darüber nachzudenken griff Siren an seinen Rücken, auf dem ein verziertes leicht geschwungenes Schwert gegürtet war und zog es gegen die herannahenden Erwachsenen. Es gab einen kurzen Kampf, den ich nicht genau beobachten konnte, während ich die stark blutende Wunde mit dem Stoff meines Hemdes stillte. Ich weiß jedoch, dass Siren von Anfang an der Überlegene war und das sein Blick kalt war wie der Tot selbst. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Straße voller Blut war. Während hinter einer Straßenecke zwei weiße Hunde hervorkamen, die wirkten, als haben sie sich geradewegs aus dem Nebel manifestiert, wich der kleine Junge verschreckt und panisch vor Siren zurück. „Willst du Leben?“, fragte Siren mit einem diabolischen Grinsen. Der Junge nickte. „Ja!“ Er war vor Angst heiser und lief nun immer schneller Rückwärts. „Dann renn!“, sagte Siren gelangweilt und sah zu, wie der Junge sich hektisch umdrehte und um eine Straßenecke verschwand. Einige Sekunden vergingen, dann sah der junge Mann auf die Hunde, die ein paar Meter von uns entfernt ausharrten. Er nickte leicht mit dem Kopf und die Tiere blitzten ihn aus ihren roten Augen heraus an und verstanden scheinbar. Mit lautem Knurren setzten sie dem Jungen nach. Ich weiß nicht genau, was dann passiert ist, aber ich erinnere mich an einen Schrei, der für eine ganze Minute oder länger die Gassen erfüllte. Dann war es still. Nach endlosen Sekunden versuchte ich mich aufzurichten und fragte Siren: „War es nötig auch den Jungen zu töten?“ Siren blitze mich verwegen an. Es war ein Blick, den ich selbst in dieser Situation aus irgendeinem Grunde liebte. „Nötig? Nein, aber furchtbar befriedigend.“ Ich verstand seine Brutalität nicht, aber es war mir aus irgendeinem Grunde egal. Er hatte mir erneut das Leben gerettet und dieser tote Junge hatte sein Schicksal genau so gewählt, wie die anderen Straßenräuber. Tief in meinem Herzen wusste ich, dass das nicht stimmte, aber es sich einzureden machte seine Ermordung in diesem Moment erträglich. Deine Zeit war gekommen. Du würdest ohnehin sterben, da die Wunde an deiner Seite zu tief war. Es war lediglich eine Frage wie dein Ende aussehen würde und wie viel deines kostbaren Blutes an den Boden verschwendet sein sollte. Du hattest beinahe gelernt mich zu lieben und ich fragte mich, ob du mich von jenem Moment an noch hättest hassen können. Verstehen konntest du mich nicht, aber eines Tages würdest du – und deine Taten würden sich nicht von meinen unterscheiden. Siren bewegte sich langsam auf mich zu. Mit jener lautlosen Anmut, die mir schon so oft an ihm aufgefallen war. „Ich habe dich verfolgt, - tagelang.“ , sagte er erklärend auf die in mir tobende Frage, woher er immer wusste wo ich mich befand. Er stand nun direkt vor mir und ich roch wieder das Rosenöl und eine Gefahr, die von ihm ausging, wenngleich seine erschreckenden Worte vollkommen ruhig gesprochen waren. Er strich mir langsam mit seiner noch leicht blutigen Hand eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und sah mich an – mir direkt in die Augen. Nachdenklich mit einer Spur von Traurigkeit. Sein Blick war in diesem Moment so menschlich, wie ich es bei ihm nie gesehen hatte und seine Augen so verletzt, wie ich sie nie von einem derart wütenden Wesen erwartet hätte. Er näherte sich mich etwas und strich mit seiner Hand mein Gesicht endlang. Ich war zu überrascht – zu gebannt, um mich zu bewegen, als seine Lippen die Meinen berührten und er mich zärtlich küsste, bevor ich aus meiner Verwirrung erwachen konnte. Meine Hand glitt von der Wunde und ich bemerkte das Blut nicht, das an meiner Körperseite entlang lief. Ich ließ Siren gewähren und erwiderte unbewusst seinen fast verzweifelten Kuss. Ein endloser Kuss, den ich ihm gab ohne etwas dafür zu verlangen. Nicht aus Schuldigkeit, sondern weil ich es wollte. Ich war mit ihm verbunden. Unsere Seelen waren gleich. Ich wollte ihn verstehen. Er lehnte mich gegen eine Wand und strich leicht und ein wenig schüchtern die Konturen meines Körpers nach. Langsam knöpfte er mit einer Hand die obersten Knöpfe meines Hemdes auf und schob es ungeduldig beiseite, während er meinen Hals mit seinen Lippen berührte. Er fuhr mit selbiger Hand meinen Oberkörper entlang zu meinem Rücken und die andere Hand griff zu meinem Nacken. Dann hielt er für den Bruchteil einer Sekunde inne und genoss die Umarmung, die ich vollkommen automatisch mit meinem ganzen Körper erwiderte. Dann gruben sich, bevor ich reagieren konnte seine nadelspitzen Eckzähne tief in meinen Hals. Ich spürte sofort einen dünnen Blutfaden meine Brust herunter laufen und er begann zu trinken. Mich überkam Extase und Schwindel, Schmerz und Leidenschaft. Schließlich trat eine schier unvorstellbare Qual ein, während er mit aller Gewalt von meinem Leben zerrte und ich versuchte ihn abzuschütteln. Die Hand in meinem Nacken drückte mein Genick zusammen, wie ein Schraubstock. Eine Kraft, die ein Mensch von Sirens Erscheinung nie hätte aufbringen können, doch Siren hatte, wie ich nun wusste die Wahrheit gesagt – Er war kein Mensch. Ich schrie vor Schmerzen, während ich langsam schwächer wurde. Meine Stimme erstarb. Meine Bewegungen wurden unkontrollierter und langsam, als wäre die Welt um mich herum zu Eis erstarrt. Die Welt nahm ich nur gedämpft und undeutlich wahr. Aus meinem Schrei wurde ein Stöhnen, aus dem Stöhnen ein Wimmern und ohne, dass der Schmerz erträglicher wurde, verschwamm alles um mich in Dunkelheit, bis ich losgelassen wurde und zu Boden sank. Ich spürte seine Beine unter meinem Kopf und die pulsierende Schlagader seines Handgelenkes an meinen Lippen. Sie war aufgeschnitten und warmes Blut rann über meine Lippen und mein Kinn herab. „Trink!“ Ich öffnete den Mund zu einer Frage und bemerkte eine nach Kupfer und Salz schmeckende Flüssigkeit auf meinen bebenden Lippen. Unwillkürlich musste ich würgen. „Du musst!“ Die Stimme in der ferne kannte ich nicht mehr, doch sie war sanft und leise. Ich wollte schlafen. „Du wirst sterben, aber du wirst das Geschenk begrüßen, dass ich dir mache.“ Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich belustigt. Diese Worte machten keinen Sinn für mich. Es waren Töne, gleich einer unbekannten Musik. Ich gab keine Reaktion von mir und wusste weder was mich erwartet, noch interessierte ich mich dafür, solange ich nur schlafen konnte. Heute weiß ich, dass Tot und Schmerzen keineswegs erstrebenswert sind, selbst, wenn an deren Ende die Aussicht auf die Existenz, wie der Meinen steht. Sterben ist schwerer als man glauben mag und wiedergeboren werden eine Qual. Was folgt ist schlimmer als der Tot. Doch all dies kümmerte mich nun nicht mehr. Immer noch spürte ich Sirens Lippen auf den meinen. Ich wusste das es gut war und das ich genau hier her gehörte, auch wenn ich nicht wusste, was mir widerfahren war. „Hab keine Angst!“ Seltsamerweise begann sich erst nun Panik in mir auszubreiten und ich versuchte mit ungelenken Bewegungen die Person unter mir abzuschütteln und aufzustehen. Ich musste das Blut stillen, dass immer noch aus meiner Seite quoll, doch bevor ich noch einen weiteren Gedanken fassen konnte hatte Siren mich zurück auf seinen Schoß gedrückt und fuhr mit seinen fingern in einer Weise zwischen meine Zähne, die es mir in anbetracht meiner körperlichen Schwäche unmöglich machte den Mund zu schließen. Dann floss sein Blut langsam, aber unaufhaltsam in meinen Körper. Nach wenigen Schlucken spürte ich, dass ich es wollte und dass ich es brauchte. Es war ein schockierendes, aber befriedigendes Gefühl, als durch den Nebel meiner sinne der Gedanke zu mir drang, des ich gerade Sirens Blut trank. Doch es war zeitgleich derartig befriedigend, dass ich kaum die Welle plötzlichen heftigen Schmerzens spürte, die in mir aufstieg, bis sie endgültig und mit aller Macht eintrat. Nun hatte ich nicht einmal mehr die Kraft zu schreien und rollte mich vor Qual zusammengekrümmt auf die Seite in Sirens Arme. Er sagte noch etwas, doch ich verstand es nicht, denn der Schmerz war überall. Er gab mir noch ein letztes Mal das Gefühl zu leben, bevor ich schließlich in sirens Armen starb und in einen tranceartigen Zustand fiel, gegen den sich mein gesamter Körper zu wehren versuchte. Ich war tot und am Leben, ohnmächtig und doch bei vollem Bewusstsein. Unfähig mich zu bewegen spürte ich dennoch, wie Siren mich aufhob. Ich spürte den kalten Luftzug, während er mich aus den Vierteln der Bettler ins oberste Viertel der Adligen brachte und mich nach Stunden des Laufens auf eine weiche Matratze bettete. Doch das allgegenwärtige Gefühl der Schmerzen ließ mich keinen klaren Gedanken in diesem unbeweglichen Zustand fassen. Während ich das Gefühl in mir trug, der Schmerz würde wie ein Wurm durch meinen Körper kriechen und mich zerreißen – auffressen – spürte ich immer wieder das kalte Tuch auf der Stirn mit dem Siren vergeblich versuchte das Fieber zu senken. Und plötzlich war der Schmerz fort und hinterließ nichts als brennenden Durst, der mich durch die Träume des Schlafes begleitete. Kapitel 2: Kapitel zwei ----------------------- Ich war alleine und doch spürte ich Leben pulsierend um mich herum. Ich hörte das Wasser an der Fassade des Hauses herunter rinnen. Ich hörte Regen an die Fensterscheibe aus Glas schlagen. Ich vernahm den leisen, im Zimmer vorhandenen Lufthauch, obwohl er beinahe lautlos war. Ich bemerkte Insekten um mich und hörte, wie ein einzelner Regentropfen durch ein geöffnetes Fenster drang und klirrend, fast glasig auf dem Marmorfußboden zerschellte. Die Umgebung war neu und ungewohnt. Alles war sauber – zu sauber für ein Wesen der Slums. Auf einem kleinen Tisch standen Weingläser aus Kristall, wie ich sie bisher lediglich von zweitklassigen Malereien in den Londoner Pubs kannte. Der Raum war groß und erschien mir so verschwenderisch märchenhaft, dass ich für eine kurze Zeit meine angst und den Schock vergaß und nichts als Bewunderung empfand. Langsam stand ich auf, als könne eine hastige Bewegung die Illusion in der ich mich befand zerstören. Jeder meiner Schritte schien seltsam laut nach zu hallen, was einerseits an der Art des Raumes liegen mochte, andererseits aber durch mein feines Gehör zu erklären war. Meine Beine zitterten leicht und ich fühlte mich schwach und zerbrechlich durch die Ereignisse der vorigen Nacht, wenngleich auf eine gewisse Art vollkommen belebt. Ich strich die Gläser mit meinen Fingerspitzen entlang und hörte ihrem glockenartigen Klingen zu, als ich langsam an ihnen vorbei ging und dabei feststellen musste, dass meine Gangart sich kaum von der Sirens unterschied, denn sie war unbewusst lautlos geworden, um meine feinen Sinne nicht unnötig zu beanspruchen. Meine Schritte führten mich zu einem hohen offen stehenden Fenster und ich blickte vom zweiten Stick des Anwesens auf die Stadt. In der Ferne bemerkte ich eine Kutsche, die ohne Eile auf das Anwesen zukam. Gezogen wurde sie von zwei stolzen und auf unnatürliche Weise wunderschönen weißen Pferden, deren Fell das blasse Mondlicht matt reflektierte. Ich konnte es mir damals nicht erklären, dass ich wusste, dass er dort war, aber ich spürte Sirens Anwesenheit dort und ich wusste, dass er hier her kommen würde. Plötzlich wurde ich von Panik ergriffen. Ich wollte dieses Wesen nicht noch einmal sehen. Ich wollte ihm nicht gegenüber treten um womöglich dieselben Schmerzen der vergangenen Nacht noch einmal zu erdulden. Er mochte ein Dämon sein. Die Strafe Gottes? Vielleicht. Aber diese Bestrafung hatte ich mit nichts verdient. Ich hatte Gott nicht verlassen. Er hatte mich im Stich gelassen. Suchend schaute ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Ich konnte die Treppe die hinter diesem Raum lag kaum benutzen, da mich Siren auf diesem Weg sicher abgefangen hätte, abgesehen davon erkannte ich mit ungetrübtem Verstand, dass ich mich in einem derart großen Anwesen eher verlaufen würde, als einen Ausgang zu finden. Es musste einen Weg geben und wenn schon keinen Weg, dann doch zumindest eine Waffe. Ich hörte ein leises mit meinen Sinnen fast unvernehmliches Knarren, als Siren die Tür mit beiden Händen auf stieß und gewohnt lautlos eintrat. Er wirkte wütend, belebt, fast berauscht und ich fragte mich, wo er gewesen sein mochte. „Wie geht es dir.“, fragte er halb abwesend und doch auf eine Art ehrlich interessiert, während er mit niedergeschlagenen Augen ein paar Spinnweben von einem der Kronleuchter neben der Tür entfernte. Ich lehnte mich unwillkürlich gegen das Fensterbrett des geöffneten Fensters. Die Angst war zurückgekehrt und ich biss meine Zähne aufeinander und versuchte vergeblich mein rasendes Herz im Zaum zu halten. „Du hast dich verändert.“, sagte Siren und kurze Zeit musste ich mich beherrschen ihn nicht anzufahren und zu fragen, wieso er mir nicht etwas Erklärendes zu sagen wusste, dass ich nicht selbst bereits erkannt hätte. Er sah mir in die Augen und wirkte niedergeschlagen. „Ich kann verstehen, dass du Angst vor mir hast. Aber eine Flucht würde es nur schlimmer machen. Es wird einige Jahre brauchen bis du gelernt hast das zu erkennen, was du nun bist.“ Ein paar Jahre in Gegenwart dieses Dings erschienen mir vollkommen inakzeptabel und ich weiß, dass Siren das damals ebenfalls bewusst war. Er machte einen Schritt auf mich zu. „Bleib wo du bist!“, schrie ich und Siren wich brüskiert einen Schritt zurück. „Lass mich in Ruhe!“ Ich wünschte mir damals so sehr mutiger zu sein, doch ich hatte Panik und diese war stärker als jeder Verstand. Ich war in Schmerzen aufgewacht mit einem durst, den ich nicht verstehen konnte und Gedanken, die zu brutal waren, um meiner eigenen Fantasie zu entspringen, mit einer Grausamkeit, vor der ich mich fast mehr fürchtete, als vor Siren. Siren hatte sich bereits mit seinen unmenschlichen Trieben abgefunden und es als normal akzeptiert. Er war kein Mensch, - in keinerlei Hinsicht – und das war für einen Vampir damals wie heute immerhin kein Verbrechen. Siren lächelte und schüttelte den Kopf, als wäre ich ein kleines Kind. Blieb jedoch, wo er war. „Weder bin ich ein Mensch noch du.“, begann er. „Wir sind Dämonen. Wir ernähren uns von dem Blut der Sünder. Deswegen gibt es nichts wovor wir Angst haben müssten.“ Er sagte es mit einer Leidenschaft, die mich nicht daran zweifeln ließen, dass er glaubte, was er sagte. „Dann sind wir Kreaturen des Teufels?“ Ich wusste nicht, ob ich lachen sollte – nicht einmal, ob ich ihm glauben sollte. „Nein. Wir entspringen der Schöpfung Gottes.“, sagte Siren. „Wie kannst du das glauben?“ Meine Augen hatten sich vor Angst mit Tränen gefüllt, aber es gelang mir Siren mit einer einfachen Geste von mir fern zu halten, während ich mich an das Fensterbrett lehnte und den Regen kalt auf meinem Rücken spürte. Siren sah mich durchdringend an, als suche er Verständnis in meinem Blick. Seine stimme war ruhig, als wolle er ein schreckhaftes Tier zähmen und auf eine gewisse Art beruhigte mich seine Gegenwart sehr langsam. „Wenn man von Gott dazu auserwählt ist zu zerstören, sollte man sich nicht gegen diese Bestimmung wehren. Dämonen sind der Schöpfung Gottes entsprungen, wie auch die Menschen. – Und beide kennen nur die Zerstörung.“ Er dachte kurz nach und setzte leise, fast flüsternd hinzu: „Ich kann nicht glauben, dass meine Existenz nicht seinem Willen entspricht, denn ich leben schon zu lange, um sein Fehler zu sein.“ Es war eine so plumpe Art die vielen Morde zu rechtfertigen, die er begangen hatte, um sich selbst am Blut und Reichtum der Lebenden zu bereichern! Nun löste Siren sich langsam aus dem Schatten der Tür und ging auf mich zu. Die Art, wie er geschmeidig und schleichend in meine Richtung ging machte mir innerhalb weniger Sekundenbruchteile bewusst, dass er dieses Mal nicht auf mich hören würde. Es war genug gesagt worden. Ein Teil von mir sehnte sich nach seiner Nähe, ein anderer unendlich stärkerer Teil strebte von ihm weg. Es war eigentlich mehr ein Reflex und heute weiß ich nicht mehr, ob ich mich einfach nur umbringen wollte, oder ob mir schon damals innerlich bewusst war, dass mich der Sprung aus dem Fenster des zweiten Stockwerkes nicht ernsthaft verletzen würde. Die Zeit meines Fallens erschien mir schier endlos, dann fiel ich wie eine Katze auf meinen Fuß und eines meiner Schienbeine, die sofort von einem schrecklichen Schmerz tobten. Um nicht um zu fallen stütze ich meine Hände auf die Steine und in das feuchte Gras unter mir und atmete einige Male hörbar aus, während Regen meinen Nacken herab rann. Urplötzlich erkannte ich etwas schweres heran nahen und sprang bevor ich wusste, was ich tat zur Seite, um einem Hieb mit einem schweren Holzknüppel zu entgehen und sah einen riesenhaften Mann neben mir stehen. Sein Gesicht war von einer breiten Narbe entstellt, die über die zerteilte Höhle dessen fuhr, was vormals sein Auge gewesen sein mochte. Sein verbliebenes starrte mich kalt und tot an, wie ein tiefer ruhiger See bei Nacht und es war keine Gemütsregung zu erkennen, als er ein weiteres Mal nach mir schlug und ich mich gerade noch wegducken konnte. Dieses Mal verfehlte er mich nur um Millimeter und schlug hart durch fliegenden und vollkommen durchnässten Haare. Ich rannte an der Hauswand entlang, ohne genau zu wissen wohin sie mich führen würde und urplötzlich griff eine schneeweiße Hand nach mir und umfing meinen Oberkörper. Er schien wütend und seine glitzernden Augen schienen in der Dunkelheit aufzuleuchten, während er mich mit einem wütenden Schrei gegen die Wand schleuderte. Ich hatte das Gefühl mein Rückrat zerbreche und dachte einen kurzen flackernden Moment an den Anführer der Wegelagerer. Als ich wimmernd vor Siren kniete war ich zu schmerzerfüllt, um mich zu bewegen, doch nicht ernsthaft verletzt. „Wage es nicht mich zu verraten!“, schrie Siren und packte mich am Hals, während er mich an die Wand gedrückt zum aufstehen zwang. „Du gehörst mir. Du bist mein Eigentum!“ Etwas Blut aus einer Wunde an meiner Lippe rann mein Kinn entlang und meine Angst war vollkommen fort. Ein Gefühl der Leere hatte im Platz gemacht. Es gab keine Hoffnung zu entkommen. Ich wusste schon damals, dass er mich liebte. Er hatte solche angst verlassen zu werden, dass er mir nun, da ich selbst von seiner Art – ein Vampir- war nicht mehr als geheimnisumwittert und gottgleich erschien, sondern eher, wie ein Wesen, dass bereits zu viel gesehen und verloren hatte. Langsam wurden Sirens Bewegungen sanfter und er trat einen Schritt zurück, ohne mich los zu lassen. „Versteh doch!“, bat er und senkte dann den Kopf, als erwache er aus einem Traum. „Du musst mich hassen.“ Seine Stimme war so leise, dass ich erst nicht wusste, ob er überhaupt gesprochen hatte. „Nein.“, sagte ich einfach und mit leichtem zittern, weil es die Wahrheit war. Ich konnte ihn nicht wirklich hassen. Es war etwas an ihm und in seinen Augen, dass mich davon ab hielt. Er ließ mich los und eine meiner Hände fuhr zu dem Blut an meiner Lippe, um es ab zu wischen, aber Siren fasste sie wie einen flüchtenden Vogel und zog mich an sich. Er trank das frische Blut an meinem Kinn bis hinauf zu meinen Lippen und verharrte dort eine Weile ohne mich zu küssen. Warum nur konntest du nicht mir gehören? Du würdest bald bemerken, dass kein Vampir jemals frei sein kann. Du würdest auch merken, dass kein Vampir frei sein sollte. Mit deiner menschlichen Schwäche warst du für mich nutzlos und einfach unpassend, aber ich liebte dich. Ich kann bis heute nicht sagen, wieso. Ich konnte mich nicht mehr ändern, dazu war es lange zu spät. Aber ich konnte dich für mich ändern und ich wollte, dass du würdest, wie es jeder meiner Rasse gewesen war, bevor die Menschen uns beinahe ausgerottet und die Herrschaft an sich gerissen hatten, die uns zustand. Die Freiheit blieb uns beiden verwehrt. Mich mit meinen neuen Gedanken und Gefühlen zu Recht zu finden würde mir nie vollständig gelingen und ich würde Zeit meines Lebens versuchen mich vor dem zu schützen und zu verstecken, was nun ein Teil von mir war. Ich hatte sehr viel Neues zu lernen. In diesem Punkt hatte Siren Recht behalten. Es gab nun Leben in mir, wo tot sein sollte und Hass, wo vorher Unsicherheit geherrscht hatte. Der Wechsel meiner Rasse hatte mich viel der Gefühle gekostet, die ich als Mensch gekannt hatte und die ich eigentlich zu jenem Zeitpunkt gebraucht hätte. An ihre Stelle waren neue Gefühle getreten, die sich mit menschlichen Worten kaum richtig umschreiben ließen, wenngleich es auch in ihrer Sprache Worte gibt, die dem nahe kommen was ich spürte. Ich liebte Siren, auch wenn ich ihn fürchtete, wie niemanden sonst und ich hasste ihn, weil er mir dies angetan hatte. Ich beobachtete seinen ruhigen, aber aus irgendeinem Grunde nicht friedlichen Schlaf, während ich ein Stück von ihm entfernt durch einen kleinen Durchgang ins Zimmer trat. Ich war nun konfrontiert mit einem nie gekannten Problem, dass Siren nicht verstehen würde. Ich hatte Reichtum. Er war so lang ersehnt gewesen. Ich hatte mir gewünscht, dass ein Mann wie er kommen würde, um mich gleich einem strahlenden Ritter aus der Armut zu befreien. Nie hatte ich über einen Preis dieses Wunsches nachgedacht und nun, da er sich erfüllt hatte und da ich zu zahlen hatte, schien er mir vielleicht zu hoch. Ich wollte weder zurück, noch so leben, noch sterben. Langsam näherte ich mich dem schlafenden und sah seine Lider unbeständig flattern, wie die Flügel eines Nachtfalters und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn wecken sollte, um ihn vor dem Alptraum zu bewahren. Ich kniete mich neben die rote Liege und sah in sein Gesicht. Ich strich es mit den Fingern nach und er atmete langsam mit geöffnetem Mund aus. Der Herzschlag unter der papierdünnen weißen Haut beruhigte sich und ich beugte mich herab. Zärtlich, um ihn nicht zu wecken küsste ich seine Lippen und nach einer Weile erwiderte er die Berührung und schien in ruhigere Träume zu fallen. Vielleicht war es die Tatsache, dass Siren selbst zu leiden schien, die es in meinen Augen entschuldigte, dass er den Schmerz nicht erkannte, den ich selber fühlte. Ich hätte ihn und seinen Trost ebenso gebraucht, wie er den meinen, aber ich weiß heute, dass er sich nie offenbart hätte und sich weigerte mir den Grund seinen Hasses und seiner Trauer zu nennen, da er Angst hatte die menschlichen Gefühle, die er so sorgsam zu verbergen und zu verleugnen suchte, Preis zu geben. Während Siren mir die dunklen Schatten der Nacht vertraut machte, begann meine Angst zu schwinden. Es gab Zeiten in denen ich sie vergaß. Es gab gelegentlich sogar Momente in denen ich den Gedanken vergaß, dass ich kein Mensch mehr sein konnte. Ich ernährte mich ein Jahr lang von Sirens Blut. Es belebte mich und blieb lange ein Akt der Vertrautheit zwischen mir und meinem Meister. Schon Monate nach meiner Erschaffung begann ich den Geschmack zu begrüßen und der Gedanke Blut zu trinken, der mich zuvor abgeschreckt und angeekelt hatte begann vollkommen alltäglich zu werden. Welche Frauen Siren für dieses Blut getötet hatte begann für mich an Bedeutung zu verlieren und der Tag an dem ich mit Schrecken bemerkt hatte, dass der Grund aus dem Siren jeden Abend verschwand der war, ein blutjunges Mädchen mit seinem Biss aus der Welt zu tilgen, rückte in weite Ferne. Eine Weile lebte ich in Frieden mit Siren und dem was aus mir geworden war. Bis Siren mit eröffnete, dass ich genug seines Blutes getrunken hatte. Er nannte keine Gründe dafür und ich fragte nicht. Zu jagen bedeutete einen Menschen zu töten. Ich wusste, dass es meine Pflicht war und dass diese eine Tatsache, dass ich bisher niemanden getötet hatte mich von allen anderen meiner Art unterschied, aber ich wusste genau so gut, dass ich es nicht können würde. Es war nicht meine Art wie Siren zu jagen. Er ging immer behutsam vor freundlich und vor allem gewählt. Er verstellte sich vollkommen in die Rolle der Adligen und tauchte in ihnen unter, wie einer der ihren. Er war ein Meister darin Frauen zu bezaubern und ich wusste, auch wenn er es nie sagte, dass es ihm ein sadistisches Vergnügen bereitete ihre Lust zu sehen, wenn er sie unter dem Vorwand einer Liebesnacht in eine dunkle Ecke lockte, wo sie sterben würden. Während Siren seine Opfer rücksichtslos tötete, als wären sie weit davon entfernt intelligente Lebewesen zu sein konnte man seinen verinnerlichten Hass gegen Menschen spüren. Warum er sie so sehr hasste erfuhr ich nie, aber er bezeichnete seine Art zu töten als eine der angenehmen Arten zu sterben, da seine ahnungslosen Opfer kaum bemerkten, dass sie starben bis es bereits zu spät war. Zumindest war dies die Regel. Doch wie bei allen Regeln, geschah es auch hier nicht selten, dass Siren einen anderen Weg beschritt. Gelegentlich geschah es, dass er während einer Extase, die ihn beim Blut Trinken befiel den Körper des Menschen vollkommen verstümmelte und auch dies gefiel Siren augenscheinlich. Dennoch achtete er sorgsam darauf ihnen nie eine Möglichkeit zu einem Kreischen oder einem Hilfeschrei zu geben. Dies war vollkommen anders als bei meiner Erschaffung. Im nach hinein erschien es mir eher, als sei Siren darauf aus gewesen mein Schreien zu hören, statt es zu verhindern. Es machte ihm Spaß, wenn ich Schmerzen hatte. Das war seine Art zu lieben. Vielleicht sah er in mir auch seine eigenen verhassten Schwächen und geißelte somit eher sich selber als mich. Im Endeffekt ist es nicht wichtig, wieso er mich quälte. Er tat es. Ein Jahr war ich sein Vampir und nach meinem Fluchtversuch unternahm ich keinen zweiten. Der augenlose Fuhrmann Sirens, der meine Flucht zu verhindern gesucht hatte sprach mich nie auf den Vorfall an. Auch er war ein Mysterium Sirens, das ich nicht genau ergründen konnte. Dieser Mann schien kein Mensch und kein Vampir zu sein. Die Hunde des ersten Abends bekam ich nie zu Gesicht. Doch auch sie schienen ebenso, wie die albinschen Pferde Sirens nicht von dieser Welt zu sein. – Ich fragte Siren nie danach und deswegen entzogen sich mir die Lösungen dieser Mysterien. Ich erinnere mich noch gut an einen Tag im Januar. Es war kalt und die Seuche im Bettlerviertel und meine Vergangenheit dort begannen langsam mir wie ein entfernter Traum zu erscheinen. Wenn ich daran dachte war es mir, als würde ich durch die Augen einer fremden Person auf ein fremdes Leben blicken, dass vollkommen isoliert von meinem geendet hatte. Ich war an jenem Abend vielleicht doch gestorben, auch wenn sich mein Körper sogar noch lebendiger anfühlte, als zuvor. An diesem Tag stand Siren an einem der vielen Balkone des Anwesens für die er eine Schwäche zu haben schien. An das kunstvoll verzierte Geländer gedrückt beobachtete er von hier die Menschen, ein wenig, als wolle er einen Feind sondieren oder aus sicherer Entfernung in der Gruppe untertauchen, die er so verachtete. Ich öffnete leise ein kleines Tor aus verschlungenen Eisenstangen, dass lediglich Schmuck vorhanden war. Siren hatte mich bemerkt, aber er ignorierte mich, wie es seine Art war und nahm einen Schluck einer roten Flüssigkeit aus einem Weinglas, das entweder Rotwein oder Blut enthalten mochte. Ich spürte einen kalten, aber angenehmen Lufthauch durch mein Haar fahren, als der Wind seinen Geruch nach Rosenöl zu mir herüber trug. Ich trat zu ihm, bedacht darauf keinerlei Geräusch zu machen, dass die Stimmung trüben konnte und umarmte ihn sanft von hinten. Sein schlanker Körper schmiegte sich an mich, während er mit geschlossenen Augen meine Aufmerksamkeit genoss und dabei den Eindruck erweckte, das Kristallglas würde ihm jeden Moment entgleiten. Ich öffnete meinen Mund gerade, um meinen Blutdurst an Siren zu stillen, als dieser leicht die Augen aufschlug und „Halt!“, sagte. Ich zuckte ein wenig zurück und sah ihn fragend an, als er sich in meinen Armen umdrehte. „Du kannst dich nicht ewig von meinem Blut ernähren, Askian.“ Er hatte es sich angewöhnt mich mit dem Namen Askian anzureden und dies war nicht mein Name. Siren fuhr mit seiner linken Hand über meine Lippen und ich roch und schmeckte den Alkohol des Weins auf seinen Fingern. Ich verstand ihn nicht. Vielmehr wollte ich ihn nicht verstehen, denn die Worte waren eine versteckte und doch vollkommen eindeutige Aufforderung zum töten und das wollte ich niemals tun. Ich schwieg und Siren, der meine Gedanken wohl erriet, sagte ebenfalls nicht mehr dazu und löste sich aus meiner Umarmung. Dies war die erste Nacht, in der ich die Ausmaße meiner Krankheit deutlich spürte. Ich begann schon kurz vor Mitternacht zu zittern ohne genau zu wissen, wieso. Einige Stunden später hatte ich das Gefühl starkes Fieber zu bekommen und ich wurde blasser. Unter meinen Augen bildeten sich dunkle – mit der Zeit fast schwarze – Ringe. Auch durch einen langen unruhigen Schlaf ermattete die in mir erstarkte Rastlosigkeit nicht und ich begann schier wahnsinnig vor Durst schon am zweiten Abend im Zimmer umher zu gehen, wie ein gefangenes Tier, nur um am darauf folgenden Tag festzustellen, dass alles noch weitaus schlimmer geworden war. Der dritte und der vierte Tag entziehen sich meiner Erinnerung, denn ich habe ihn in einer Halmohnmacht verbracht in der ich die meiste Zeit schlief oder zumindest versuchte zu schlafen. Ich taumelte durch die Gänge des Anwesens, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Ich wollte nach draußen und töten, aber mein Herz wusste, dass dieser Wunsch nicht meinem menschlichen Ich entsprang, sondern etwas viel älterem. Ein Instinkt, den die Urzeit den Vampiren gegeben hatte und der nichts mit meiner Seele gemein hatte. Ich konnte der Bestie nicht nachgeben und dieser Kampf, der mich in die Knie zwang, war gleichsam eine Kraftprobe mit meinem inneren Dämon. Ich bettelte Siren bald nicht mehr um Blut an, da ich wusste, dass es keinen Zweck hatte und bald begann sich mein Verstand aufzulösen und verschwand beinahe vollkommen. Nach fast anderthalb Wochen begannen sich meine Haare grau zu färben. Es war ein langsamer Prozess gewesen, der nun seinen Abschluss fand und nachdem zwei Wochen vergangen waren abgeschlossen war. Meine Haut begann sich blutleer über meine spitzen Wangenknochen zu spannen und meine Bewegungen wurden langsamer. Dies war auch der Zeitpunkt an dem Siren bewusst wurde, dass ich lieber sterben wollte, als meinem inneren Dämon nachzugeben. „Warum bist du nur so stur?“, es war wie am Tag meiner Erschaffung. Seine Worte waren vollkommen sinnleer. Die einzige Wahrheit, die ich kannte war nun Schmerz und Durst. So merkte ich auch nicht, dass Siren mich beinahe geschlagen hätte und auch nicht, dass er weinte. „Willst du sterben?“, diese Frage drang bis an den letzten Funken meines Verstandes, aber ich wusste keine Antwort. Kurze Zeit später schwanden meine sinne vollkommen und ich begann in einen Zustand der Agonie zu verfallen, in dem ich mich selbst aus einem erhöhten Blickwinkel beobachtete. Die Taten dessen, was ich vor wenigen Tagen gewesen war begannen unkoordiniert und zerstreut zu sein, doch brutal. Mein gelöster Sinn war seltsam klar nach so vielen Tagen der Dämmerung und mir kam zum ersten Mal der Gedanke, dass ich vor Durst den Verstand verloren haben konnte. Ein totaler Kontrollverlust, in dem mir nun ein für alle mal klar wurde, dass ich nicht mehr zurück konnte. Mein menschliches Ich hatte die Herrschaft über diesen Körper verloren. Vielleicht war an Sirens Beschreibung, dass wir Dämonen waren ja etwas Wahres. Vielleicht waren wir Wesen der Hölle und vielleicht sollte ich mich dem mir zugeteilten Schicksal ergeben, da es mich schon seit meiner Geburt gegen meinen Willen, aber mit brachialer Gewalt gelenkt hatte. Es hat mich wirklich überrascht. Viele unserer Art beginnen schon in den ersten drei Tagen ohne Blut den Sinn und ihr Selbst zu verlieren. Du nicht, Askian. Vielleicht machte dich das stärker als die meisten unserer schwindenden Rasse. Ohne wirklich zu registrieren, dass ich dich im Stich ließ ging ich. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen dich vor Blutdurst sterben zu sehen. Es war ein seltsam menschlich anmutendes Gefühl von Trauer. Beinahe hätte ich ihm stattgegeben und dich gerettet. Beinah wäre ich wegen einem soiziden Schwächling wie dir zum Menschen geworden. Auf der anderen Seite spürte ich mit deinem unvermeidlichen Tot rechnend eine seltsame Erleichterung, als wäre endlich dieser verhasste Teil meiner Gefühle der Vernichtung nahe und ich selbst meinem unausweichlich nahendem Schicksal entronnen. Auch Wut spürte ich, da du dich mir widersetzt hattest und ich wusste, dass ich dies nicht dulden durfte. Gleichzeitig bewunderte ich dich für deine Selbstkontrolle, die dich vielleicht auf einer gewissen Ebene stärker als mich machte. Ich wollte diese Macht schwinden sehen. Ich wollte sehen, wie du endgültig erkennen solltest, dass du kein Mensch mehr warst. Meine Liebe zwang mich dich retten zu wollen. Es war Glück, dass du dich zu jenem Zeitpunkt, an dem ich beinahe diesem übermächtigen Drang nachgegeben hätte, deinerseits entschieden hattest. Kurze Zeit nach meinem Verlassen spürte ich, dass du endlich verloren hattest. Am Schluss ist der Vampir immer stärker als der Mensch und du würdest sehen, dass sich deine Taten nicht von meinen unterscheiden. Ich sah dich aus dem Haus gehen. Langsam schleppend und doch voller Macht. Taumelnd durstig und nicht ganz die Bestie, die dich beherrschen sollte. Meine Zauber begannen in dir zu wirken. Sie hatten verschlafen und beinahe kriechend ihre Arbeit begonnen und nun, wo du geschwächt warst breitete sie sich wie eine Seuche in deinem Körper aus. Sie würde dich an mich binden. Diese Magie würde dich vollkommen mein machen. Du würdest sehr bald erfahren, was es bedeutete hoffnungslos zu lieben. Du würdest es nie wieder wagen meine Macht zu unterschätzen. „Ich sah dich und ich folgte dir ins Dunkel der Nacht, in das ich dich selbst gezwungen hatte. Ich sah, wie du dein erstes Opfer zerrissen hast und ich weiß dennoch, dass du niemals nachgeben wirst, auch, wenn es dich mit tiefer Befriedigung erfüllte. Oder ist dem nicht so?“ Ich weigerte mich Siren in die Augen zu sehen, als er mir diese Frage stellte. Ich weigerte mich einzusehen, was ich nicht verbergen konnte. Ich war ein Mensch, auch wenn dies nicht mehr meiner Rasse entsprach. Ich spürte die Instinkte in mir, wie einen brodelnden Vulkan. Ich wollte Siren folgen, aber ich wusste, dass es nicht richtig sein konnte. Mein Herz – Meine Liebe – wollte ihm folgen, doch niemals mein Wille nach Recht. Ich konnte mich wehren, solange es meiner Kraft entsprach. Ich konnte daran verzweifeln, doch die Tatsache, dass in mir ein Vampir schlummerte ließ sich nicht länger verbergen. Die Taten meiner vergangenen Nacht würden mir ewig in Erinnerung bleiben und ich konnte sie an jenem Tag nicht abschütteln. Sie waren da und fühlten sich an, wie eine Einbildung. Ich wollte glauben, dass sie nicht real waren. Es war eine tief empfundene Freude gewesen ins Slumviertel zurück zu kehren. Ich hatte den Weg zu jenem Viertel gefunden als wäre ich ihn ein duzend Male gegangen. Ich wusste genau, zu wem ich wollte. Jene Wache, die mich sterben sehen wollte. Jene Wache – jene verhasste Wache, die mir einst den Weg hinaus verwehren wollte. Jene Wache, die mir das Leben hätte retten können. Sie hatte es verdient! Die Gefühle von Wut und Verzweiflung hatte ich für eine Leere eingetauscht, die weitaus destruktiver war als alles, was ich vormals hatte fühlen können. Ich verstand Siren nun besser als jeder andere. Ich wollte ihn sterben sehen. Stattdessen erblickte ich einen jener halb-adligen Männer, die mir ewige Liebe geschworen hatten ein kurzes Stück vor den Stadttoren. Er drückte sich im Schatten wie ein Verbrecher – wie ein Vampir und ich spürte, dass ich die Kontrolle verloren hatte. Es war ganz gleich, was er schwor und wie groß er mir einst erschienen war. Er war nun nichts weiter als ein erbärmlicher Mensch. Er war nicht einmal ein schönes Wesen. Auch er war ein Bewacher des Tores und auch er wollte mich nicht passieren lassen. Er sah mich an, wie ein Reh. In vollkommener Erstarrung als erwarte er den Bogenschuss des Jägers. Doch dieser blieb aus. Ich grüßte ihn aus einem sadistischen Spiel heraus – lediglich um das Gefühl der Begierde noch ein wenig auszureizen, bevor ich ihn zerreißen würde. Er erkannte mich nicht einmal. Warum auch? Ich hatte meine abgewetzte Robe gegen Seidenhemd und Mantel eingetauscht. Ich war sauber. Ich war anders. Er erwähnte das Wort Quarantäne. „Ihr werdet verstehen, Herr.“ Der Geruch seines Blutes drang verführerisch zu mir herüber und zum ersten Mal erschien mir etwas an diesem Mann begehrenswert. Ich lächelte und blickte kurz über meine Schulter zur Seite, als wolle ich mich vergewissern, ob mich jemand beobachtete. In Wahrheit wäre es mir ganz gleich gewesen, wer mich sah. „Natürlich verstehe ich das.“, sagte ich mit einem leichten Anflug von Sarkasmus in der Stimme und selbst in meinen Ohren klang sie verändert und raubtierhaft flüsternd. „Es gibt da nur eine Sache…“ Ich bewegte mich fast schleichend auf den Mann zu, der nun aufmerksam innehielt und seinen einstmals so bedrohlichen Prügel wie einen zerbrechlichen Stock fest umklammerte. Wie hatte ich mich nur jemals vor einer solch jämmerlichen Gestalt fürchten können? „Weder Seuche noch Verletzung“, begann ich. „können mich aufhalten.“ Als ich zu Ende gesprochen Hand, befand ich mich direkt vor dem Soldaten und roch seine Verwirrung und seine Unsicherheit. Ich umfasste beinahe sanft seine linke Hand und erkannte mit einer seltsamen Befriedigung, dass ich auf ihn dieselbe verwirrende Aura ausübte, die Siren auf mich hatte, als ich noch ein Mensch gewesen war. Ich wusste, dass ich ihm gefiel. Mehr als ich ihm jemals gefallen hatte. „Wer seid ihr, Herr?“, fragte er und der Prügel glitt ihm einfach aus der Hand und fiel polternd auf den Boden. Er sah ihm nach, aber ich fing seine Bewegung mit einem einzigen Augenaufschlag ab und sah ihm tief in die Augen. Seine Gedanken lagen klar vor mir, wenn auch in einer abstrakten Weise, die sich nicht mit Worten ausdrücken lässt. Ich verübelte ihm nicht, dass er in mir nicht jenen Slumjungen erkennen konnte, der ich einst gewesen war. Ich selbst sah mich lange nicht mehr als diesen an. Langsam begann ich seine Hand zu zu drücken – solange, bis der Mann in die Knie ging und laut aufschrie und weiter, nur um das Gefühl der totalen Macht zu genießen. Ich spürte Blut an meinen Händen, als ein Knochen splitterte. Seine vollkommen zertrümmerte Hand zuckte leicht und ich sah, dass es gut war. Lass mich sterben, bevor ich mich vergesse und zu Askian werde. Lass mich sterben, solange ich noch Michael bin. Dieser Wunsch blieb unerfüllt und so wurde ich ein erstes Mal vollkommen zu Askian. Ungeduldig entfernte ich den Helm von dem geschockten, leichenblassen Menschen, dessen verdrehte Hand sich nun in meine Handfläche presste. Ich glaube er erkannte, wer ich war, bevor ich seinen Kopf zurück bog und seine Halsschlagader mit einem gezielten Schlag meiner Zähne aufschlitze. Das Trinken erinnerte mich an jenes berauschende Gefühl, wenn ich eng an Sirens Körper gepresst das Blut meines Geliebten trank. Es gab hier nichts Schmerzhaftes als meine eigene schreiende Seele, die nur sehr weit in meinem Unbewussten und kaum wahrnehmbar versagte. Ich trank ohne daran zu denken, dass ich einen Menschen ermordete – ohne zu bemerken, dass dieser Mensch nie einen Fehler gegen mich begangen hatte und ohne reue zu empfinden. Ich trank, bis der Blutstrom aus seinem Körper vollständig versiegte und die Leiche schlaff in meine Arme sank, doch selbst zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht genug. Ich riss seinen Hals mit meinen Krallen auf und suchte nach dem tiefer gelegenen Rest Blut. Als Siren mich fand, hatte ich die Leiche des Wachmannes beinahe vollständig enthauptet. „Es ist gut Askian.“, seine Stimme beruhigte mich, während er selbst in seidiges Mondlicht trat. „Du verlierst dich!“ Diese letzten Worte klangen wie eine Warnung, doch es war mir vollkommen egal geworden Ich war nicht in der Lage zu verstehen. „Komm zurück. Du hast genug Blut getrunken.“ Erst jetzt blitzte ich Siren aus dem Dunkel an und schmetterte den schweren Körper hasserfüllt gegen das Tor. Er rutschte fiel auf den Boden wie eine Marionette ohne Fäden. „Was hast du aus mir gemacht, Siren?“ Meine Gedanken klärten sich, als wäre sirens Befehl genug mich zu beruhigen. Doch in mir brodelte noch etwas, dass ich nie werde benennen können und das meine kraftlos zitternde Stimme lügen strafte. Eine dämonische Leidenschaft. Eine Art Hass, verbunden mit Schmerz und wütender Verzweiflung. Siren lächelte und trat aus dem Mondlicht zu mir ins Dunkel. In den Schatten der Mauer und so nah an meinen Körper. „Askian, man hat dich gehört!“, sagte er. „Wir müssen fort!“ Die letzten Worte hatte er schnell und flüsternd gesprochen, obwohl keine unmittelbare Gefahr bevorstand. „Man wird dich töten!“, sagte er. „So wie deine Familie?“, fragte ich und urplötzlich schien alles für mich einen Sinn zu haben. Ich wusste wieso Siren die Menschen hasste, aber ich wusste nicht, woher. Siren neigte den Kopf leicht, was ein Nicken hätte sein können. „Wir müssen gehen!“ Er klang nun beinahe ein wenig panisch. – Zu viel Panik für das Wesen, das in mir erwacht war. Ich blickte Siren an und meine Augen begannen zu flackern, beinahe im Mondlicht zu leuchten. Ich griff nach der mir hin gehaltenen Hand und schleuderte Siren gegen die Wand und beinahe in die zerfetzte Torwache. „Du bist nicht bei Sinnen!“ Siren sah mich mit einer Fassungslosigkeit an, aus der er sich nicht schnell genug erholte. Es war keine Wut dort. Nur Überraschung. Ich konnte mich nicht mehr zurück halten. Ich wollte Siren eigentlich nicht töten und dennoch versuchte ich es. Ich sprang auf ihn zu und versuchte ihm meine Zähne in den Hals zu schlagen. Dann bemerkte ich einen Schlag, der mich auf den Boden schleuderte und fühlte gleich darauf, wie mich eine riesige Hand am Boden fest hielt, während mein Körper sich noch wehrte. Schließlich erkannte ich den hünenhaften Diener Sirens. Mit verschränkten Armen beobachtete mein Meister das Schauspiel und schiere Mordgier stand in sein Gesicht geschrieben. Langsam erwachte ich aus meiner Besinnungslosigkeit und gab den Widerstand gegen den übermächtigen Riesen auf. Auf ein Kopfnicken Sirens löste er seinen Griff und nun trat Siren auf meinen liegenden Körper zu. Er hatte seine Verwirrung überwunden und die Kraft gefunden zornig zu werden – wenngleich Zorn nicht im Ansatz beschreibt, was er in diesem Moment gefühlt haben mochte. „Verzeiht mir, Meister.“ Das war das erste Mal, dass ich Siren Meister nannte und ich würde es auch in Zukunft nur tun, wenn ich Angst hatte von ihm ein weiteres und endgültiges Mal getötet zu werden. „Was hast du vor?“ Nun begann ich mich aus einem ganz anderen Grund gegen Siren zu wehren. – Ich hatte Todesangst. „Ich werde dich schwächen, ich werde dich foltern, vielleicht werde ich dich töten. Du wirst vor deinem Ende noch lernen, dass man mich nicht leichtfertig angreift.“ Seine Stimme war ein Zischen. Mit leichter Gewalt presste er meinen Kopf zur Seite. Ich drehte meinen Kopf zurück und sah Siren mit vor Angst flackernden Augen an. Siren stöhnte genervt und schlug meinen Kopf mit seiner flachen Hand und unmenschlicher Kraft zur Seite. Bevor ich mich von diesem Schlag erholte spürte ich, wie Siren ein wenig aggressiver als sonst meine Schlagadern aufschlitzte. Es tat nicht weh und gerade das nährte meine Panik, doch ich wehrte mich nicht mehr. Mein Herz schlug schnell wie ein flüchtendes Tier und unterstützte wahrscheinlich meinen Blutverlust. Es dauerte nicht lange, bis meine Sinne schwanden. „Siren, lass mich. Ich will sehen, was mit mir geschieht.“ Dann ließ er los und ich kann mich nicht mehr wirklich an die Geschehnisse erinnern. Ich weiß noch, dass mich die Arme des Fuhrmanns umschlangen und in die Kutsche hoben. Ich erinnere mich, wie Siren dem riesigen Mann einen Befehl zu rief, aber auch, dass ich sogar zu schwach war um die Zusammenhänge der Worte zu erfassen. Ich schlief ein. Nachdem ich aus einer tiefen traumlosen Ohnmacht erwacht war, sah ich Siren an dem Bett sitzen, in dem ich lag. Er hatte seine müde Stirn auf die gefalteten Hände gedrückt und schien somit beinahe in ein Gebet vertieft. Ich wusste nicht, wie ich dies deuten sollte. Er wirkte gekrümmt und niedergeschlagen und ich wusste, dass er nicht bemerkt hatte, dass ich erwacht war. Mein Blick war ein wenig verschwommen und als ich versuchte mich zu bewegen, bemerkte ich, dass meine Hände ans Bett gefesselt waren. Die metallischen Handschellen klirrten bei dieser Bewegung leise und schreckten Siren auf. Eine Veränderung fand an ihm statt. Er öffnete seine müden Augen einen Spalt weit und sah mich mit seinem gewohnten wütend um Hilfe suchenden Blick an. „Was ist passiert?“, fragte ich noch immer halb im Nebel des Schlafes. „Ich sah dich und ich folgte dir ins Dunkel der Nacht, in das ich dich selbst gezwungen hatte. Ich sah, wie du dein erstes Opfer zerrissen hast und ich weiß dennoch, dass du niemals nachgeben wirst, auch, wenn es die mit tiefer Befriedigung erfüllte. Oder ist es nicht so?“, antwortete Siren und richtete sich auf, um mir sanft über die Schulter zu streichen. Ich schwieg, denn ich wusste, dass er eine Lüge erkannt hätte und dass er Recht hatte. Ich würde nie meinem Inneren nachgeben. Zumindest nicht, solange ich noch die Kraft hatte mich menschlich zu fühlen. „Siren, ich liebe dich.“, sagte ich einfach, weil es die einzige Wahrheit war, die ich nun ertragen konnte und wollte. „Du wirst Zeit haben dies zu beweisen, Askian.“, meinte Siren nur und ich fuhr von dieser Zurückweisung erschrocken in die Kissen zurück und gleichzeitig regte sich in mir zum ersten Mal eine Wut über diesen neuen Namen, den Siren mir gegeben hatte. Er war nicht der Meine und ich würde mich sicher nie daran gewöhnen, dass Siren versuchte aus mir jemanden zu kreieren, der ich nicht sein konnte und nicht sein wollte. „Ich bin nicht Askian.“, entfuhr es mir. „Mein Name ist Michael.“ Siren schien über diese Äußerung nicht überrascht und meinte dann. „Deine Menschlichkeit und dein Hang dazu ist wirklich erbärmlich. Du bist ein Vampir und das wirst du eines Tages einsehen müssen. Genau so, wie du akzeptieren wirst, dass dein Name Askian ist.“ Für ihn war das Gespräch beendet und er hatte mit einer Stimme gesprochen, die keine Widerrede duldete und das wusste ich. Ich sah ihn an. Zu schwach um Hass zu empfinden, aber zu trotzig um nachzugeben. „Siren, ich werde mich nicht ändern, weil du es willst.“, begann ich und bemühte mich es nicht als den Vorwurf klingen zu lassen, der es war. Ich sprach es nicht aus, aber der Satz: „Ich lasse mich nicht von dir beherrschen!“ schoss mir durch den Kopf und Siren hatte ebenfalls verstanden, was ich sagen wollte. „Du bist ein Mörder, Askian.“, sagte Siren einfach, aber mit leichtem Anflug von Wut. Wie schnell waren diese Worte gesprochen und wie einfach war zu erraten, dass er es lediglich aussprach, um mich zu verletzen. „Und ohne mich bist du ein Nichts.“ Das Wort „Mörder“ schien langsam durch meinen Geist und tief in meinen Körper zu schleichen und verwandelte sich dort in eine woge brennenden Schmerzes. – „Mörder“. Ich sah Siren unter Tränen an. „Nein!“. Schrie ich. „Das hast du aus mir gemacht! Das bin ich nicht!“ Mein Geliebter lächelte diabolisch und gewinnend. „Ja, das habe ich aus dir gemacht und dein Geist mag vernebelt gewesen zu sein, aber du kannst nicht behaupten, dass du ihn nicht gekannt hast. Du hast es genossen ihn zu zerfleischen. – Du hast ihn ausgesucht. Sie es ein!“ Er war brutal. Er war kein Mensch. Ich schluchzte leicht und zog ein wenig an den Ketten ohne genau zu wissen, wieso. „Ich bin Michael.“, sagte ich dann wieder mit dem Trotz eines Kindes. Siren verdrehte leicht die Augen und schien kurz einem dunklen Gedanken nach zu hängen. Dann fragte er mich: „Wie weit würdest du für diesen Namen gehen, der dir siebzehn Jahre Schmerzen gebracht hat?“ Ich sah Siren an und sagte nichts. Ich wusste nicht, was ich mit dieser Frage tun sollte oder welche Antwort Siren von mir hören wollte. Er erschien mir so verletzlich und ich wollte ihm nicht wehtun. Sein Blick war so wütend, aber auch einsam und unendlich traurig. Wie der Blick einer Person, die alles im Leben verloren hatte und damit die Welt mit Verachtung strafte, die im Endeffekt nur ihm selber schadete. „Siren ich liebe dich, aber ich kann mich nicht einmal für dich vergessen.“, antwortete ich ihm nach einer längeren Pause, in der ich ihn beinahe liebevoll angesehen hatte. „Du wirst sehen, zu was dein Geist im Stande ist, wenn ich ihn für dich seziert habe.“, meinte Siren lediglich mit einer Eiseskälte in der Stimme, wie ich sie bisher lediglich am Tag meiner Erschaffung vernommen hatte. War es nötig ihn zu töten? Nein, aber furchtbar befriedigend. Es hatte schon etwas Niedliches, wie du dich an dein altes Leben geklammert hast. Dennoch konnte ich nicht verantworten, dass du meine Befehle ignoriertest und ich wusste, dass das was ich mit dir gemacht habe nötig gewesen ist. Du warst nicht in der Lage zu vergessen. Vielleicht hat es dir in gewisser Hinsicht zu sehr gefallen Michael zu sein. – Du warst schon immer ein Masochist. Warst du nicht immer ein wenig angezogen vom Schmerz? Hat es dir nicht gefallen unter den Schwingen der Welt zu leiden? Suchst du in deinem Schmerz nicht die Absolution? Du hast dich vor deinem Schicksal versteckt und ich wusste immer, dass es mir mehr schaden würde als dir, wenn ich dein Leben für mich formte. Ich wollte dich nie foltern, aber ich hatte keine Wahl. Dein jämmerliches Versteckspiel – Deine Maskerade um dein eigenes Leben. Ich habe dich weder geschont noch schmerzhafter Bestraft, als es angemessen gewesen wäre. Warum auch? Ich habe genau das getan, was ich schon in der Nacht deiner Erschaffung hätte tun sollen. Im Endeffekt warst du ja nur ein Sklave und ein Nichts, dass sich zu etwas Größerem erheben sollte. Die Antwort war vielleicht eine der schwerwiegendsten, die ich jemals gegeben habe, denn es war nicht die Richtige. Siren hatte etwas von mir erwartet das ich nicht einmal versprechen konnte und anstatt mit seiner gewohnt geduldigen Art langsam seinem Ziel entgegen zu streben hatte ich ihm den Beweis gegeben, dass er schnell handeln musste, um mich nicht zu verlieren. Ich wollte meinen Namen nicht vergessen, also entriss er ihn mir gewaltsam. Ich weiß, dass es Siren nicht gefallen hat mich zu foltern. Genau wie ich wusste, dass mir die Schmerzen auf eine gewisse Weise gut taten, denn ich nahm sie als die Strafe für den Mord, den ich begangen hatte. Doch bald erschien mir diese Bestrafung schlimmer als der Tot des Wachmannes und während ich schrie und heißes Blut meinen Rücken herunter ran, flehte ich Siren an, mir zu vergeben und mich gehen zu lassen. Doch alles was ich tat linderte nicht die Schmerzen die er für mich bereit hielt, während er langsam immer weiter und tiefer schnitt, als habe er keinerlei Gefühle für mich. Man sagt, mit der Zeit der Folter würden die Qualen nachlassen und es heißt zu einem gewissen Zeitpunkt ginge der Geist eines Gefolterten in einen Zustand vollkommener Gefühlskälte über. Vielleicht habe ich diesen Zustand nicht erreicht. Vielleicht hatte Siren auch einen Weg gefunden dies zu verhindern. Seine Magie spann sich langsam und schmerzhaft in meinen Geist, wie eine Armee von Spinnen die von meinen Gedanken und Gefühlen fraßen, als wären sie nie vorhanden gewesen. Ich wehrte mich verzweifelt gegen diese Angst und bemerkte sehr bald dass es keinen Ausweg und keine Absolution für mich gab. Ich wusste, dass Siren heute siegreich sein würde. Er würde einen Teil von mir zu dem formen, was er von mir erwartete. Ich wusste ich würde nie wieder Michael sein ohne, dass er mir dies sagen musste. Eine seltsame Angst überkam mich, dass Siren vielleicht das, was aus mir wurde nicht mehr lieben konnte. Er liebte nur und ausschließlich alles, was mich ausmachte und das war eine der letzten Erkenntnisse, die ich mir zusammen reimte, ehe ich unter Sirens Fluch schwand und er sein Werk fort führte, bis er zu dem Entschluss kam, dass ich wahrscheinlich sterben würde und die dunklen Fäden seiner Magie zogen sich aus meinem Körper zurück. Der Nebel der meine Gedanken umhüllte lichtete sich jedoch und ich war alleine, als ich die Augen auf schlug. Der Ort, an dem ich mich befand war dreckig, wie die Slums, stank aber noch mehr als dieser nach Elend, Leid und Verwesung. Ich lag auf dem Rücken und eine grob in den Felsen gehauene Wand hing bedrohlich über mir und warf im Fackellicht zuckende Schatten. Mein Rücken war taub und tat dennoch höllisch weh. Ich versuchte mit meiner halb tauben Hand an der sich noch die Male der Handschellen abzeichneten an meinen Rücken zu gelangen, um mir ein Bild von meinen Verletzungen zu machen, aber schon, als ich mit einer Hand meine unverletzte Schulter berührte musste ich vor Schmerzen stöhnen. Ich rollte mich auf die Seite und sofort durchzuckte mich ein schrecklicher Schmerz, der mich laut aufschrieen ließ. Niemand schien zu hören. Ich war vollkommen alleine. Ich versuchte mich auf zu richten, sank aber zurück auf den kalten Steinboden, nachdem die Qualen zu stark wurden. Ich zwang mich weiter zu atmen und blieb sehr lange liegen. Wer war ich? Schmerzlich wurde mir bewusst, dass ich es vergessen hatte. Ich erinnerte mich wage, dass mir mein Name einmal viel bedeutet hatte, aber ich konnte mich nicht erinnern jemals einen besessen zu haben. „Siren!“, mein Schrei hallte durch das Gemäuer, wie ein flüchtender Vogel dieses kalten Grabes und wurde nicht beantwortet. Quälend wurde ich mir bewusst, dass mir überhaupt jeder Name entfallen war, abgesehen von diesem einen – Siren. Ich bin der Dämon. Die Strafe Gottes. Sein Name hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt, wie süßer Nektar. Ich spürte langsam, wie die Panik durch meine Knochen zog. – ein Heer aus schwarzer Nacht und ich wusste, dass ich sie nicht zulassen durfte, weil ich meinen Verstand verlieren würde. Doch die anhaltende Einsamkeit besorgte, was die Panik nicht gleich vermochte. Langsam begann sie meinen Verstand zu zerfressen. Zunächst langsam mit der Schüchternheit eines Kindes, das eine neue Süßigkeit ausprobiert und schließlich mit der Gier einer verhungerten Raubkatze – mit aller Gewalt auf mich einstürzend. Ich begann mich an einer mit glitschigem Moos überzogenen Wand hoch zu ziehen und stöhnte schwer bei jeder Bewegung meines zerschnittenen Rückens. Kapitel 3: Kapitel drei ----------------------- Was auch immer geschah Zeit meines Lebens liebte ich Siren und er war der Einzige, der in der Position gewesen wäre mir meinen sterblichen Namen zurück zu geben. Er würde es nie tun… Nach diesem Abend war ich Askian und ich versuchte nicht mehr mich zu wehren. Meine Situation erschien mir besser. Er hatte gesiegt und wurde mein Lehrer, mein Bruder und mein Geliebter. Und viele Monate nachdem ich gelernt hatte Askian zu sein, war ich auch ein Adliger geworden. Siren nahm mich ganz selbstverständlich auf höfische Anlässe mit und das einzig schlechte, das ich fühlte war eine gewisse nagende Langeweile die ich wie ein jeder versuchte irgendwie in oberflächlichen Gesprächen zu ersticken. So erfuhr ich auch Dinge über Siren, die dieser mir nie erzählt hatte. Man sagte Siren nach, er sei ein seltsamer Immigrant aus dem fernen Frankreich, wo es gerüchteweise als schick gelte mit Männern zu schlafen. Ich hört er sei mit einem Schiff gekommen und sei von einem Tag auf den anderen in England aufgetaucht, ohne Reichtum zwar, aber mit einem Glück gesegnet, dass alles erlaubte in den Schatten stellte. Der Besitzer des Anwesens, das ich nun mein Zuhause nannte, Gott hab ihn selig, sei kurz nach der Ankunft des schönen Mannes urplötzlich mit seiner Frau an der Bluterkrankheit verstorben und habe Siren als seinem treuen Geschäftspartner alles hinterlassen. – Gold, Heimat und einige wunderbare hellbraune Araber-Pferde mit deren Zucht und Verkauf ein weiterer Reichtum für Siren in Aussicht stand. Das war alle, was ich über Siren erfuhr und ich machte mir meinen eigenen Reim auf diese Geschichten. Er war ein Mörder genau, wie ich. Aber anders als ich hatte Siren den Sinn für die weltlichen Genüsse nicht verloren. Er war ein leidenschaftlicher Händler, Reiter, Trinker und wie mir bald auffiel auch ein großartiger Geschichtenerzähler. Aus irgendeinem Grunde jedoch vermied er es oft auf private Fragen direkt zu antworten selbst wenn ich ihm diese stellte und ich erkannte auch bald, dass er nicht nur ein guter Erzähler, sondern auch ein ebenso guter Lügner war. Trotz all diesem war die Welt der Sterblichen mein Feind geworden und Siren mein einziger Verbündeter. Ich beobachtete ihn zuweilen aus einem der Fenster heraus, wenn er im Sonnenuntergang durch die Gärten des Anwesens streifte und ich wusste bald, dass er eine geheime Faszination für Rosen zu haben schien, den diese machten den größten Teil der Beete aus und er kümmerte sich selbst um sie, statt die Arbeit den Dienern zu überlassen. Dennoch ging ich nie zu ihm ins freie, denn das Sonnenlicht war mir unangenehm und stechend geworden. Ich jagte schon lange nicht mehr mit Siren gemeinsam. Mein Geliebter hatte erkannt, dass es mir unangenehm war mich mit dem Dämon in mir abzufinden und noch unangenehmer beobachtet zu werden, während ich einen Menschen tötete. Er bemerkte beinahe alles an mir und… „Wo bleibst du?“ Siren stand in der geöffneten Tür jenes Zimmers, in dem ich vor zwei Jahren das erste Mal meine Augen als Vampir geöffnet hatte. Ich saß auf einem der Fensterbretter und wendete meinen Kopf verschreckt in die Richtung aus der die vertraute Stimme zu mir drang. „Was meinst du?“, fragte ich ruhig. Siren ging auf mich zu. Er war eher amüsiert als tadelnd, doch eine sehr leichte Gereiztheit schwang mit, die ich nicht fordern wollte. Dennoch wusste ich, dass in diesem Moment keine Gefahr von ihm ausging. Er schloss mit einer kaum merklich verärgerten Geste das Fenster vor dem ich saß. „Du bist vergesslich.“, meinte er und ein Lächeln, das weder gut noch böse anmutete umspielte seine Lippen. Mir fiel urplötzlich ein, dass Siren noch auf einen gewissen Empfang wollte, dessen Sinn ich ebenso wenig Verstand wie den Grund seiner Existenz. Es ging um Geschäfte, Geschwätz und Sex. Es war eine Feier der wirklichen Adligen, zu denen ich nicht gehörte. Ich seufzte leise. Nach feiern war mir lange nicht mehr zu Mute und ich wusste sehr genau aus welchen Gründen Siren die Adligen und vor allem ihre Frauen aufsuchte. Ihm ging es nicht um Geselligkeit, sondern einzig um Blut. Ich erhob mich und knöpfte mein rotes Hemd auf, während ich auf einen massiven dunklen Schrank zuging. Siren folgte mir langsam und trat lautlos hinter mich. Nachdem ich den letzten Knopf gelöst hatte, schob er sanft den Hemdstoff von meiner Schulter und küsste diese. Ich schloss die Augen und genoss den Schmerz, als er seine Zähne hinein grub und für einen kurzen Moment das warme Blut kostete, Meine Hand hatte die Schranktür bereits halb geöffnet und ich lehnte meinen Kopf nun gegen die Kante. Es war einer dieser einzigen Augenblicke für die mein Herz noch schlug. Nachdem er von mir abgelassen hatte wischte ich mir verwirrt über die schmerzende Stelle und griff nach einem weißen Hemd im Schrank, das ein paar Verzierungen aus Silberfäden trug. Den Stoff empfand ich als leicht kratzend, aber er war bequem und erinnerte mich trotz des erlesenen Stoffes an das Bettlerviertel, dass trotz aller Widrigkeiten vormals meine Heimat gewesen war. Heute erinnere ich mich relativ genau daran, dass ich an eben jenem Abend eine schwarze Hose und das genannte Hemd trug, obwohl es eigentlich für den Verlauf der Zeit nicht wichtig war. Diese Dinge sind mittlerweile zu Staub zerfallen. Nur ich habe mich nicht verändert. Siren sah mich damals relativ offen lächelnd an und aus irgendeinem Grund fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich schön. „Sie sehen dich an.“, flüsterte er mir ins Ohr, als er mich durch die Menge und an den tanzenden Paaren vorbei schob. Ich fröstelte leicht und angenehm, als sein Atem meinen verletzten Nacken berührte und machte einige Schritte vorwärts. Die Stimmung im Saal machte mich schwindelig. „War es so auch in Frankreich?“, fragte ich Siren urplötzlich. „Viel schöner.“, antwortete dieser an sah mich dann scharf von der Seite her an. „Woher weißt du davon?“ „Die Leute reden.“, sagte ich mit einem gewinnenden Lächeln, aber ohne Siren in die Augen zu sehen. Während ich mich umsah fielen mir Fetzenweise verschiedene Eindrücke der mich umgebenden Personen zu. – eine lachende Frau, wein dunkelhaariger Mann, der zu mir herüberschaute, aber sofort den Blick von mir nahm, als ich seinen Blick erwiderte und ein paar Frauen, denen es nichts auszumachen schien, wenn sich meine Blicke mit ihren trafen. Der Saal war vollkommen überfüllt und der Geruch der erlesenen Speisen erzeugte in mir Übelkeit. Siren legte mir einen Arm um die Schulter und zog mich einfach mit. „Genieß es, Askian! Du gehörst hierher!“, sagte er und wie immer hatte er alles was ich fühlte beantwortet. Ich hätte ihm gerne geantwortet, dass es mir nichts ausgemacht hätte, wenn dem nicht so gewesen wäre, aber in diesem Moment wurde ich von einem etwas dicklichen Mann angerempelt, der mich mit einem wütenden Blick maß und dann sofort wieder in der sich hinter mir schließenden Menge verschwand. Urplötzlich fühlte ich mich an meinen letzten Kunden erinnert und ich wusste, dass es dieser Mann gewesen war. Er konnte mich nicht erkannt haben, aber ich hatte plötzlich Angst. Ich verschluckte die Worte, die ich sagen wollte und sah Siren nur an, als er auf eine Gruppe Frauen zu ging und einer der Damen etwas ins Ohr flüsterte. Ich löste mich aus seinem Handgriff und er drehte sich verwirrt um. „Mir ist schlecht.“, meinte ich und drehte mich zum Gehen. Ich wusste, dass es Siren wütend machte, aber es war mir gleich. Ich durchschnitt die Menschenmenge und suchte eine Weile erfolglos nach dem Ausgang. Dabei redete ich mir ein, dass es vollkommen unsinnig sei eifersüchtig zu sein, da diese Frau den Abend niemals überleben würde. Es gelang mir nicht meine Gefühle nieder zu kämpfen. Ich bemerkte, dass mir ein Mann folgte, aber ich beachtete ihn nicht. Ich musste ins Freie. Ich war alleine und Siren war mir nicht gefolgt. Ich hatte keinen Schutz und so floh ich aus der Eingangstür in die Nacht. Ich lehnte mich an eine Tür nahe dem Licht überfluteten Eingang und atmete schwer, als wäre ich gerannt. Ich sog gierig die frische Luft ein, als wolle ich meine Lungen von der Schwere und dem Gestank des Saales reinigen. Dann beruhigte sich mein Herzschlag langsam. Die unbändige Wut war verschwunden. Ich hatte keinen Grund Siren Vorhaltungen zu machen, weil er auf diese einfache Art jagte. Ich spürte den kalten Nebel auf meiner Haut und der von einem leichten Sprühregen durchbrochen wurde und mein Haar durchnässte. Es war still, bis auf den Wind, der durch eine Gasse zu meiner rechten pfiff. Irgendetwas trieb mich hinein in die Dunkelheit, die von ihr ausging. Es war wie ein lautloses Flüstern. Ein Gefühl ohne Namen. Ich wollte mich vor dem Licht verbergen, dass meine Haut verbrannte, seit ich Vampir war. So ging ich langsam in die Gasse und bald befand ich mich in einem dunklen, aber gewöhnlichen Hinterhof und konnte klapperndes Geschirr aus der Küche irgendeines mir fremden Anwesens vernehmen. Ich hielt eine Weile inne und sah mich um. Etwas in mir schien nach Hilfe zu schreien. Es war, wie ein Instinkt, der mir sagte, dass ich in eine Falle getappt war und ich redete mir ein, dieses Gefühl käme von der Dunkelheit. Ich sah in den Himmel gegen den sich bedrohlich die Häuserfassaden reckten und eine kalte mit Nebel verhangende Mondsilhouette schwebte über mir. Dieses Mal waren es meine neu erworbenen Vampirinstinkte, die mich warnten. Es waren Schritte hinter mir, die zu laut waren, um von Siren zu stammen. Mir war, als spürte ich seinen Herzschlag und seine leichte Unsicherheit und ich wusste, dass es ein Mensch war. Er schien mir wenig gefährlich und nicht von der unberechenbaren Kraft, die Siren inne war. Es war einfach nur ein Mensch und dieser Gedankengang meinerseits machte mir meine eigene Arroganz bewusst. „Ich kenne dich!“, sagte er und an dem Geruch, der seinem Körper entstieg merkte ich, dass er getrunken hatte. Ich war mir sicher, dass es einer meiner ehemaligen Kunden war, aber sein Name war mir entfallen. Er hatte mir seine Liebe geschworen, wie so viele und wie so viele stand hinter seinen Worten nichts. Dennoch versetzte mich etwas in Unruhe. „Du kennst mich?“, fragte ich zitternd, nur um das Thema fest zu halten. Ich wusste, dieser Mann kannte meinen Namen und er würde ihn mir sagen. Dieses Mal würde ich ihn festhalten und vor Siren verbergen. Er würde mir nie wieder genommen werden. Für kurze Zeit war ich mir nicht sicher, ob ich das überhaupt wollte. „Ich habe dich geliebt!“, sagte der Betrunkene und machte bedrohlich einige Schritte auf mich zu. „Du hast nur mit mir gespielt!“ Eine Unterstellung, die von seinem Standpunkt aus sogar der Wahrheit entsprach. Doch ich merkte, dass er für mich eine Bedrohung wurde. „Lass mich einfach in Ruhe!“, sagte ich und bemühte mich ruhig und überlegen zu wirken, als ich einen Schritt an ihm vorbei tat, da im Zurückweichen kein Entkommen lag. Eine Panik war in mir gewachsen, die nichts mit diesem Menschen, sondern mit dem, was in mir zu erwachen begann zu tun hatte. Ich hatte keinen wirklichen Blutdurst, also gab es auch keinen Grund diesen Mann zu ermorden. Ich war dem schutzlos aufgeliefert. Ich habe lange Zeit in meinem Leben gewartet und nie wirklich gewusst, was Liebe ist, bis ich dich traf, Askian. Wieso hätte ich dich also verraten sollen? Es gab keinen Grund für mich. Doch diese Art zu jagen war immer die Sicherste und Einfachste gewesen. Ich war wütend, als du einfach weg gegangen bist, aber der Blick mit dem du mich angesehen hattest tat mehr weh als mein Zorn jemals reichen konnte. Ich folgte dir nicht, da du nicht in Gefahr schwebtest. Du warst in der Lage jeden Menschen zu bezwingen, also hattest du meinen Schutz vielleicht weniger nötig, als du zu glauben geneigt warst. Mein Durst trieb mich also mit jener Frau in ein prunkvolles Schlafzimmer. - Roter Samt, auf dem das Blut bald in einer leicht dunkleren Farbe glänzen sollte. Die Frau hatte sich nicht gewehrt, bis es zu spät war und wäre eine willige Geliebte gewesen. Und ich war so vertieft in meinen Blutdurst, dass ich kaum merkte, wie eine leichte Unruhe in mir stieg und das Bewusstsein, dass du in Gefahr sein musstest in mir aufkam. So tötete ich die Frau ohne ihr Blut vollkommen genossen zu haben und begann dich zu suchen. Mein Liebhaber hatte meine Hand ergriffen und ich blickte ihn leicht über meine Schulter an. Sein Name lag mir auf der Zunge, aber ich hatte ihn vergessen. Dieses Mal war es keine Magie, die das bewirkt hatte, sondern einfach nur die Tatsache, dass er nie wichtig gewesen war. Er sah hässlich aus, wenn er betrunken war und ich erinnerte mich, dass er meistens betrunken gewesen war. Sein Körper war vom Reichtum entstellt und dick. Seine fleischige weiche Hand hatte sich um mein Handgelenk gelegt und hielt sie mit Kraft fest. Doch mir war bewusst, dass ich im Stande war alle seine Kraft zu brechen, wenn ich es wollte, denn er war nur ein Mensch. „Wieso lebst du als Hure dieses Versagers?“ Er sprach dies in einem seltsam Mitleiderregenden Tonfall und doch loderte eine Wut über den Ausdruck, den er für den Mann, den ich liebte benutzte in mir auf. „Du hast mich verraten!“ Er steigerte sich immer mehr in diese Sache hinein und drückte mich gegen eine Wand. – Nicht mit der Kraft, die Siren inne war, aber ich wagte nicht mehr mich zu rühren. Etwas in mir begann erneut die Oberhand zu gewinnen – ein Instinkt zur Selbstverteidigung, dem Vampire weit mehr unterworfen sind als Menschen. Ich wusste, dass ich dies nicht zulassen wollte. Ich wollte nicht, dass der Vampir in mir frei würde und das war mir zu jenem Zeitpunkt noch das wichtigste Ziel. Der Dunkelhaarige begann nun an seiner Hose zu nesteln und hatte bald den Gürtel aufgeschnallt. Ich schloss die Augen und schluchzte leise, weil ich erkannte, dass ich nur zwischen zwei Höllenqualen wählen konnte – Den Verstand verlieren, oder die Berührungen dieses Mannes ertragen, der Ekel in mir auslöste. Dass ich die Wahl hatte machte nichts leichter. Der Betrunkene fasste mich grob an den Haaren und der Alkoholgeruch seines Atems schlug mir ins Gesicht. „Ihn töten.“, dachte ich kurz, hielt aber noch eine Sekunde inne, weil mir einfiel, dass er Kinder hatte. Er hatte es mir damals erzählt. Sie würden ohne Vater aufwachsen und vielleicht an dem Ort enden, dem ich entkommen war. Also hielt ich die Augen geschlossen und wartete, was geschehen würde. Nichts passierte. Ich nahm keine Regung mehr wahr. Langsam öffnete ich die Augen und mein Blick begegnete dem des Fremden, dessen Gesicht dicht über dem meinen schwebte. Er starrte mich an und von der Hand, die immer noch meinen Unterarm umklammert hielt ging ein kaum merkliches Zucken aus. Ich sah, wie etwas in seinen Augen, gleich einem zersprungenen Kristall zu brechen schien und es war, als verlören sie allen Glanz, als der Hauch des Lebens von ihnen wich. Blut floss aus seinem Mund wie Rotwein und tropfte auf den Kragen meines weißen Hemdes. Siren stand am Eingang der Gasse und rührte sich nicht. Seine Hand war in der Haltung erstarrt in der er das Schwert geworfen hatte und die Waffe stak wie eine zweite Wirbelsäule im Rücken meines Angreifers. Er wirkte wütend und er hatte mir jede Entscheidung abgenommen. Er bewegte sich auf mich zu und weil ich unfähig war mich zu bewegen zog er die Leiche mit einem Ruck von meinem Körper. Selbst jetzt löste sich die Hand nur widerwillig. Ich stand an der Mauer. Mir war ein wenig schwarz vor Augen, aber ich wollte nicht ohnmächtig werden, damit mein Meister die Schwäche nicht sah, die von mir ausging. Indes schien er sie genau zu kennen und nachdem er den toten Körper auf die Straße hatte sinken lassen richtete er seine im fahlen Mondlicht glänzenden Augen bohrend auf mich. „Idiot!“, schrie er und es war eines der wenigen Male in der ich einen unverkennbaren Akzent in Sirens Stimme zu erkennen glaubte. Er kümmerte sich nicht einmal um den Lärm den er verursachte und dass jemand kommen könnte um zu sehen, was hier vor sich ging. „Wie konntest du dich von einem Menschen besiegen lassen?!“ Er spuckte das Wort „Mensch“ förmlich aus und kurz nachdem er das gesagt hatte traf seine Hand mit Wucht auf meine Schläfe. Es war nur ein kurzer ziehender Schmerz, aber er weckte meine Panik vor Siren, denn ich wusste zu was er im Stande war. „Wer hat je von einem Vampir gehört, der zu schwach war sich einem Menschen zu stellen?!!!“ Dann ließ er plötzlich von mir ab und zog das Schwert mit einem klingenden Ruck aus dem Rücken des Leichnams. Kurz hielt er inne und atmete hörbar aus. Er schien etwas sagen zu wollen, entschied sich aber anders und steckte das Schwert zurück in die Scheide, die auf seinem Rücken befestigt war und durch einen umhangartigen Mantel fast vollkommen versteckt wurde. „Lass uns gehen.“, sagte er etwas ruhiger. Ich blieb, wo ich war. Ich wollte nicht weinen. Am liebsten wollte ich gar nichts tun und nur in ein Grab gelegt werden, um dort zu sterben. Siren hob meinen Kopf mir einer Hand an und wiederholte: „Lass uns gehen, Askian!“, Dieses mal war es nachdrücklicher Gesprochen, aber lange nicht so aggressiv, wie ich ihn einschätzte. „Was tun wir, wenn man uns nach den Leichen fragt?“ , fragte ich, als Siren mich zurück in das Anwesen gebracht hatte. Die Worte fühlten sich schal in meinem Mund an und meine Augen waren starr in keine bestimmte Richtung gewendet und doch unbeweglich auf etwas Fernes gerichtet. Ich versuchte das Zittern zu unterdrücken, das mich kurz nach unserer Heimkehr befallen hatte und es gelang mir nur unzureichend. „Oh…“, sagte Siren und blickte auf seine Fingernägel. „Sie werden es einem Diener in die Schuhe schieben, nehme ich an… Genau wie das mit der Frau.“ „Welche Frau?“ Ich sah Siren an. Er schien sich keine Gedanken darüber zu machen, was mit uns geschehen konnte. Er schien meine Gedanken, wie so oft zu erraten, antwortete aber lediglich auf die gestellte Frage. „Du weißt von wem ich spreche… Ich habe es bei ihr so hergerichtet, dass der Verdacht vermutlich auf einen der Diener fallen wird. Es ist für alles gesorgt, glaub mir.“ Er drehte sich kurz um und sah aus dem Fenster. Dann setzte er mit einem leichten Lächeln hinzu: „Ich bin mir fast sicher, dass sie eben diesen Diener auch für den zweiten Toten verantwortlich machen werden. … Vorausgesetzt, sie finden diesen noch in den nächsten Tagen.“ Er machte eine kurze Denkpause. Dann strich er sich mit der linken Hand das Haar aus dem Gesicht und lachte. „Dieser Hinterhof wird recht selten benutzt und selbst wenn ist er sehr dunkel, auch am Tag. Vielleicht findet man den Körper nicht einmal, bevor er verwesend durch seinen Geruch die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das dürfte bei diesem Wetter noch lange Zeit dauern und niemand wird an uns denken.“ „Aber es fällt doch irgendwann auf, wenn auf jeder Feier zu der du geladen bist eine Frau ermordet wird.“ Siren runzelte die Stirn. Ich wusste, dass er es nicht gerne hörte, wenn ich ihn als Mörder bezeichnete, doch er sagte auch dazu nicht viel und winkte ab. „Es werden eine Menge Leute zu solchen Anlässen geladen.“ Seine Stimme war Befehl genug für mich nichts weiter zu sagen. Alles was Siren sagte waren Ausflüchte und das wussten sowohl ich, als auch er. Siren kümmerte sich nicht darum. – Das war die unausgesprochene Wahrheit. Es war ihm vollkommen gleichgültig, ob jemand sein Geheimnis kannte und ob er alle, die es erfuhren töten musste, oder weiterziehen. Ich neigte sogar dazu anzunehmen, dass diese Einstellung der Grund war, wieso er Frankreich verlassen hatte. Ich schwieg, wie ich es immer öfter in seiner Nähe tat. Ich wollte ihm nichts sagen, um ihm keinen Grund zu geben zornig zu werden und meine Angst vor ihm kannte genauso wenig eine Grenze, wie meine Liebe. „Du warst wütend, als ich die Frau angesprochen habe.“, fragte er plötzlich und kam auf mich zu. Er berührte leicht meinen Oberarm und lächelte auf eine sehr vertraute Art. „Wieso?“ Es war eine Frage, die eigentlich keiner Antwort bedurfte. Aber ich wusste, dass Siren sie aus der seltsamen Eitelkeit eines Liebhabers heraus hören wollte. Ich antwortete nicht, was vielleicht ein Fehler war, denn Siren schloss die Augen und lachte leise, aber nicht bedrohlich. Alles an ihm wirkte vollkommen ruhig – vollkommen liebevoll. „Du denkst, du würdest mich lieben.“, sagte er und antwortete damit sich selber. „Aber erst, wenn du aus Liebe für mich getötet hast werde ich mir dessen wirklich sicher sein. Also töte für mich!“ Ich stockte. War dies etwa ein Befehl? War dies was er wirklich wollte? „Bring mir ein Herz, damit ich es essen kann!“ Sein Blick war manisch und wirr. Seine ruhige Stimme strafte die Grausamkeit dieses Verlangens lügen. Doch als er dies sagte konnte ich ihn nicht einmal dafür hassen. Leichte Übelkeit stieg in mir auf und ich starrte Siren einfach nur an. „Das kann ich nicht.“, sagte ich einfach und unsicher, ob es richtig war die Wahrheit zu sagen, die Siren ohnehin kannte. Er griff in meinen Nacken und fasste mich mit einer Hand so kräftig in die Haare, dass es fast wehtat. Er küsste mich leidenschaftlich und auf eine erschreckend fordernde Art und obwohl es nicht lange währte wusste ich nicht, was ich tun oder sagen sollte, als er aufhörte. In meinem Kopf wirbelten Leidenschaft und Erschrecken durcheinander. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte oder wollte. „Überleg dir was du tust.“, seine Stimme war ein melodisch-ätherisches Flüstern. „Ich kann Himmel oder Hölle für dich sein.“ Ich nickte und vermied es ihn anzusehen, als er fortfuhr: „Und du wirst alles tun, was ich dir sage.“ Es hörte sich nun nicht wie eine Drohung an, denn er sprach es aus, als wäre es eine Tatsache. Vermutlich hatte er mit dem, was er sagte sogar Recht. Du würdest alles für mich tun, das wusste ich, weil dein Herz es mir zu flüsterte. Meine Magie, die sich langsam und unaufhaltsam durch deinen Geist spann verriet mir jedes Gefühl von dir. Aber ich wollte es genau wissen. Ich wollte einen Beweis dafür, dass ich dich nun endgültig bezwungen hatte, denn nur so könnte ich das Gefühl verlieren, dass du mein Untergang sein würdest. Ich wollte glauben, dass uns beiden eine Ewigkeit bevorstehen konnte. Ich wollte glauben, dass meine Vorsehung ein einziges Mal fehlgeschlagen hatte. Ich muss sagen, dass es mich eigentlich wunderte, dass noch im Stande warst mich zu lieben. - Dass du im Stande warst mich zu lieben, wo ich doch derjenige war, der dein Leben in einer Weise verändert hatte, die anfänglich nicht einmal ertragen konntest. Menschen mit deiner Vergangenheit sind selten in der Lage dazu noch wirklich zu lieben. Du hattest viel gesehen, viel erlebt und deine wachsende Zuneigung war meiner so ähnlich, dass auch ich begann mich in diesem einen kostbaren Gefühl zu entspannen. Doch ich spürte auch einen brennenden Hass in dir, der nur größer wurde je länger du den Dämon in die zurück hieltest. Es war diese Gefahr in dir. Ich wusste, du konntest mich lieben und mich töten, oder beides. Was ich nicht vorherzusehen wusste, war den Weg deiner Entscheidung. Ich wusste nicht, was du tun konntest, wenn ich dich mit mir gleichstellte und aufhörte dich als meinen Sklaven zu handhaben. Dass ich dir befahl für mich zu töten hatte viele Gründe. Hauptsächlich aber wollte ich einen Beweis deiner Liebe und deiner Loyalität – und ich wollte mit dir und deinen Gefühlen spielen. Erst dann würde ich wissen, wie gefahrvoll du für mich sein konntest. Ich habe die geliebt und meine Liebe zu dir gehasst. Ich glaubte nicht ernsthaft, dass du der Aufforderung nachkommen würdest. Auf einmal war ich alleine mit meinen Entscheidungen, denn Siren nahm mir nichts ab. Die Frage war auf einmal, was ich wollte und nicht, was ich tun musste. Nach zwei Jahren Gefangenschaft war es für mich unmöglich zu sagen, was ich tun sollte. Ich hatte jede Schicksalswende hingenommen und mich in das System eingefügt, dass Siren mir vorgeschrieben hatte. Ich hatte mich in dieses System gefunden und mich darin wohl gefühlt. Als auf einmal von mir verlang wurde eine Entscheidung zu treffen war es mir nicht mehr möglich damit um zu gehen. Ich fühlte mich auf einmal unendlich einsam. Siren wollte, dass ich ihm die Liebe bewies, die ich fühlte. Er verlangte etwas, das so grausam war, dass mein menschlicher Teil es nie tun konnte. Dennoch war es eine seltsame Tatsache, dass ich ihn nicht enttäuschen wollte. Was er verlangt hatte war nicht ungewöhnlich für einen Vampir, wie ich sie einschätzte. Es passte ins Bild dessen, was ich in meiner vergleichbar kurzen Zeit über sie gelernt hatte. Vampire waren grausam, kaltblütig und auf der anderen Seite voller Leidenschaft und Erotik. Siren war es zu Eigen die Symbolbedeutung verschiedener Handlungen weit mehr ein zu schätzen als es gewöhnliche Menschen taten und auch dies gehörte nun fest zu dem Bild, dass ich mir von meiner Rasse erschaffen hatte. Siren war ein Raubtier. – Genau wie ich. Er hatte sich damit abgefunden. – Und ich war dabei. Ich kann nicht genau sagen, was es war, dass mich in der Nacht, die Sirens Bitte folgte in meine alte Heimat zurück trieb. Vielleicht war es, weil mir in jener Umgebung zumindest der Tot als eine Gesellschaft erschienen war und ich mich einsam fühlte. So betrat ich mehr als 2 Jahre, nachdem ich gestorben war erneut das Bettlerviertel und seine Tore waren weit geöffnet und doch bewacht, als würden sie mich willkommen heißen, denn eine Seuche schien es lange nicht mehr zu geben. Erinnerungen an meinen ersten Mord kamen mir, als ich die Wachen hinter mir ließ und ich stellte mir die Frage, was aus dem Körper des toten Mannes geworden sein mochte und wie sein Name war. Ich dachte auch an die noch weiter entfernte Seuche, dessen Überlebende sich nicht an mich erinnerten, aber mein Name war mir verschleiert, wie er es für immer bleiben würde. „Hier lauert nur der Tot!“, ermahnte mich eine der Wachen und ich hörte seine Stimme lediglich in meinem Rücken. Ich wusste, dass es lediglich meine Kleidung und mein feiner Gang waren, die mich dieses Tor passieren ließen. Ich war so mächtig geworden, wie ich es mir nie erträumt hätte. Und die Stimme dieses einst für mich so mächtig wirkenden Mannes war vollkommen demütig. Es war ein Gefühl, als sei ich zu einem Gott empor gestiegen. Was also trieb mich nur in dieses Viertel zurück? Ich spürte den Blick des Wachmannes noch lange auf meinem Rücken, doch ich drehte mich nicht um. An diesem Ort lag eine unbeschreibliche Kälte, die meine Knochen hinauf kroch wie eine Spinne und ich begann zu frieren kurz nachdem ich um eine Straßenecke gebogen war. Dieses Viertel war tot und dies fiel mir erst nun auf, wo ich ein Fremder hier war. An mein Ohr drang kaum ein Laut und die Stille des Elenden lag über allem, was mich umgab. Es war wie der Übergang in eine chaotischere Welt und das erkannte ich erst nun, wo ich ihr ein Fremder geworden war. Ich zog meinen Mantel fester zu. Das Bettlerviertel schien noch von der Seuche gekennzeichnet. Eigentlich wunderte es mich, dass ich überhaupt etwas Lebendiges sah, dass mir aus alter Zeit bekannt vorkam. Mich jedoch erkannte niemand wieder, denn ich war zu einer anderen Person geworden. Wenn meine Finger über geborstenes Holz und nassen Stein fuhren lag darin keine Vertrautheit mehr, sondern Ekel. Wenn ich die Bettler in den Gossen beobachtete fühlte ich Mitleid und Verachtung, etwas das ich nie gekannt hatte, als ich noch ein Teil dieser Welt war. Langsam begann eine Unruhe Besitz von mir zu ergreifen. Ich erkannte, dass es mir nicht mehr gelang mich zu erinnern, wie es war, sich als Mensch zu fühlen. Ich hatte vergessen, was menschliche Gefühle sind. Ich hatte vergessen, wie angenehm sich die Sonne auf meiner Haut anfühlen konnte und wie schrecklich die angst vor der Dunkelheit war. Ich war eine Perversion meiner Selbst und in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von dem, was ich vormals gewesen war. Die Schmerzen dieses Viertels schienen mir nun fern und auf eine erschreckende Art unbedeutend. Die vergangene Seuche und die Seuche, die hier folgen würde, wie jeder wusste, war nicht mehr das schlimmste der Welt, denn ich hatte neue Schattierungen des Leides gesehen, die ich mir zur Zeit meiner Sterblichkeit nicht einmal hatte ausmalen können. Mein sterbliches Dasein war einfach nicht mehr präsent für mich. – Nicht mehr wirklich. Wie ein vergangener Traum, der einen nur in den Stunden der Nacht streift. Als hätte ich nie unter einer Krankheit wie der Lungenpest gelitten. Als wäre damals ein anderer gestorben und nicht ich, Askian. Als wäre ich schon immer das gewesen was ich nun war und nur die unsterbliche Hülle erinnerte wage an mein voriges Sein. Ich musste an die halb enthauptete Leiche denken und an die blutverschmierten Hände. Menschen waren so einfach zu töten und so leicht zu zerbrechen. Töte für mich! Die Stimme Sirens trug mir der eiskalte Wind zu, der durch die Nacht fegte und mich vor Kälte beinahe erstarren ließ. Es war wieder Winter und hier hatte sich nichts verändert, außer mir selber. War es wirklich nötig den Jungen zu töten? Ja! Das war es und nun, da ich langsam die moralischen Charaktereigenschaften eines Vampirs zu verstehen begann war mir das klar. Der Tot des Jungen war ein Zeichen der Grausamkeit und ein Zeichen der Macht – Ein Symbol der Unbarmherzigkeit gegenüber Feinden. All dies waren die Merkmale, die eine Rasse wie die Vampire Jahrtausende bestehen ließen. Ein geheimes Credo, der in unser aller Herzen sang wie das unausweichliche Schicksal. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Es war mein unausweichliches Schicksal… Ich hatte nun jene Gasse erreicht in der ich gestorben war und vielleicht registrierte ich nun, dass ich hier nach meiner verlorenen Menschlichkeit suchte. Meine Schritte hatten mich hierher gelenkt und ich hätte den Ort vielleicht nicht erkannt, wenn die dunklen Blutflecke nicht noch immer an der Wand des Hauses klebten. Sie waren verblasst und zusammen mit dem restlichen Schmutz in Bedeutungslosigkeit übergegangen. Diese Flecken hätten alles sein können – Erde Dreck oder Witterung. Ich war der letzte Überlebende, der auf ewig wissen würde, dass es Blut war, das diese Wände gefärbt hatte. Irgendwo in dieser Gasse war meine Menschlichkeit gestorben und auf ähnliche Weise verwest, wie die Körper der Angreifer und das zernagte Fleisch des kleinen Jungen, dessen Tot mir immer mehr als Notwendigkeit erschien. War es Notwendig auch den Jungen zu töten? War es notwendig MICH zu töten? Ich war mir nicht mehr sicher. Mit einer energischen Geste wischte ich meine Tränen fort und damit auch jeden weiteren verschwendeten Gedanken an Dinge, die hätten sein können. Mit schnellen Schritten verließ ich die Gasse in eben jener Richtung, aus der ich sie betreten hatte. Es würde mich in die Gasse der Huren führen, dass wusste ich, doch ich wusste auch, dass ich dort nie wieder sein wollte. Auf einmal hörte ich leises Schluchzen aus der Richtung vor mir und ich war mir zunächst nicht sicher, ob es einem Tier oder einem Menschen gehörte. Dennoch war meine Neugier geweckt und ich folgte dem Weg, den ich bereits beschritt, ohne weiter nachzudenken. Etwa zehn Meter von mir entfernt saß ein blutjunges Mädchen. Ich schätzte es auf etwa dreizehn Jahre und Schlamm klebte verkrustet an ihrem Ellenbogen und dem einstmals fahlblonden Haar. Ich nahm an, dass sie mit wachsendem Alter eine sehr schöne Frau geworden wäre, doch alle Form von Schönheit war von ihr abgefallen. In ihren grünen Augen lag nichts als Panik und Schmerz und ihre gebrochene Nase entstellte ihre Gesichtszüge zu einer seltsamen Form. Als sie mich bemerkte hielt sie kurz inne und sah mich furchtsam, aber neugierig an. Ich selbst stand einfach nur in der Gasse und betrachtete sie ohne ein Wort zu sagen. Ich starrte sie an, wie ein Schaulustiger ein exotisches Tier betrachten würde. Ich sah es mit einer leichten Gefühlsregung von Mitleid, ohne eine weitere Handlung zu erzwingen. Plötzlich bewegte sich das Mädchen. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte leise und dieses Mal lautlos. Sie schien keine Notiz mehr von mir zu nehmen. Ich war für sie unwichtig. Vielleicht glaubte sie in mit eine Vision des eigenen Wahns zu erkennen. Ein leichter Luftzug wehte, schien mich zu ihr zu treiben und löste mich aus meiner Erstarrung. So ging ich auf sie zu und beugte mich sehr langsam nieder. Mit den Fingerspitzen strich ich kaum merklich durch ihr Haar und dennoch zuckte sie zusammen und wich ein Stück von mir zurück. Ich hörte ihr Herz schlagen und ich spürte ihre Unsicherheit. Sie wusste nicht, was sie von mir erwarten sollte und ich wusste nicht, was ich von mir selbst erwartete. „Keine Angst.“, sagte ich. „Ich helfe dir…“ Ich will, dass du für mich tötest. Behutsam nahm ich das Mädchen in den Arm und sie schrie leicht und verzweifelt auf, ohne einen versuch zu unternehmen sich meinem Griff zu entziehen. Sie hatte bereits aufgegeben und presste sich wimmernd und weinend an meinen Körper und alles was ich in ihr sah war tiefe Hoffnungslosigkeit, die auch mein eigenes Herz erfüllte. Sie war eine der Todgeweihten dieser Stadt, aber ich konnte ihr nicht so helfen, wie Siren es gekonnt hätte – wie er es mit mir getan hatte. Ich konnte ihr viel zu kurzes Leben nur verkürzen. Sie hatte keine Chance mehr zu leben, da ihr Gesicht entstellt war und ihre Schönheit mit einem Schlag und einem Hieb seinen Wert verloren hatte. Zum stehlen war sie zu schwach. Sie würde sterben und so drückte ich sie noch etwas fester an mich, bevor ich ihr schnell und beinahe schmerzlos den Hals umdrehte. Das Weinen erstarb. Sie sackte sofort tot zusammen. All dies erschien mir so unpersönlich. In dem Moment meines Handels und auch danach konnte ich es weder fassen noch als etwas Schlimmes empfinden. So war es auch nur natürlich, dass ich meine Hand einfach durch ihren Brustkorb stieß. Es war eine derart unmenschliche Kraft, dass ich sie nie hätte steuern können, doch nun war sie in mir, wie sie auch zu jeder Zeit in Siren war. Ich riss ihr das noch langsam pulsierende Herz heraus und stellte fest, dass es vollkommen anders aussah, als all jene, die ich aus Sirens Anatomiebüchern kannte. Meine Gedanken erschienen mir so klar, aber sie waren es nicht. Sie waren analytisch, aber sie lenkten von allem ab, was ich an menschlichen Zügen gelernt hatte. Es war eine andere Moral in mir und dies war das Wesen der Vampire. Ich wusste nun, wie Siren sich fühlen mochte, aber in jenem Moment dachte ich nicht daran. Ich spürte nur Faszination und Ehrfurcht vor all dem, zu dem ich im Stande war. Es war eine Gerechtigkeit in meiner Tat. Zwar hatte ich sie getötet, aber von einem gewissen Standpunkt hatte ich sie allein dadurch vor einem schlimmeren Schicksal bewahrt. Ihr Körper war entstellt. Nun mehr als noch vor wenigen Minuten, doch auch zu Lebzeiten hätte sie nie wieder eine Arbeit in den Slums gefunden. Ihr tot war schnell gewesen und um so vieles gnädiger, als ein langsames Verhungern. Sie würde ihre entstellte Sterbliche Hülle nicht mit in die Hölle nehmen und so riss ich ihr ein kleines hölzernes Kreuz vom Hals. Ich weiß nicht wieso ich es behalten wollte, aber es erschien mir richtig es nicht bei ihr zu lassen. Und nun, als ich mich endlich erhob und mein Werk betrachtete war das Hochgefühl mit einem Schlag vorüber. Sie war tot und ich selbst hatte einmal mehr gemordet. Ich weiß nicht genau, wie lange ich einfach nur da stand und nicht wusste, was ich tun sollte, oder wohin gehen. Ich konnte einfach nicht zu Siren zurück. Ich fühlte einen Schrei in mir aufsteigen und zeitgleich wollte ich vollkommen still sein. Ich wollte weinen, doch ich hatte kein Mitleid verdient, nicht einmal das Mitleid für mich selber. Ich wollte nach Hause und ich hatte keines. Was ich getan hatte war für den Lauf der Welt vollkommen egal und Siren nur all zu Recht. Demnach hätte man behaupten können meine Tat sei nicht schlimm oder sogar richtig gewesen. Das war mein Zwiespalt und ich wusste ganz genau, dass es nach meinen menschlichen Maßstäben falsch war, allein zu erwägen, es könne eine gute Tat sein. Ich war an jenem Abend schlimmer und grausamer gewesen als Siren, denn dieser hatte die Macht leben zu nehmen, aber auch zu geben und neu zu formen, wie es ihm gefiel. – Er war wie Gott. Er hatte die Macht, das Wissen und das Recht. Ich konnte lediglich Leben zerstören und nichts konnte eine Tat wie die meine rechtfertigen, denn ich würde nie gutmachen können, was an diesem Abend geschehen war. Ich konnte ihr das Leben nicht wiedergeben und so konnte ich nichts tun, als ihren toten Blick erwidernd vor ihr zu stehen. Nach schier endloser Zeit unter dem Bann des ausbreitenden Todes floh ich. Ich sprang wie eine Katze auf das Dach eines niedrigen an ein Haus gelehnten Verschlages und da das zerfallene Dach einer gegenüberliegenden Einrichtung nicht all zu fern war, stieg ich auch dort hinauf und weiter, bis ich auf den Dächern über der Stadt rannte, wo ich mir sicher war nicht entdeckt zu werden. Das Blut auf meiner haut war mittlerweile kalt und kühlte meinen Körper in der Kalten Luft ab, wie Eiswasser. Alles an mir schien zu kleben oder verkrustet zu sein. Es war Sirens schuld, dass ich einmal mehr zum Mörder geworden war. Ich war an einem Wendepunkt und ich hatte mich entschieden zu seinem Willenlosen Killer zu werden. Er hatte endgültig gewonnen. Von jetzt an gäbe es nie wieder eine Hoffnung ihm und der Dunkelheit in mir selber zu widerstehen. Ich war schockiert und angewidert und zugleich wollte ich mehr, wie ein Trunksüchtiger. Ich wollte wieder töten. Siren war in meine Gedanken und in meinen Geist eingedrungen und er würde für den Rest meines Lebens in mir sein, denn seine Magie hatte sich zu tief in meine Seele gebrannt. Er würde immer ein Teil von mir sein und meine Liebe zu ihm wuchs nur mit den Qualen, die ich in jener Nacht durchlitt. Liebe war für mich gleichbedeutend mit Hass und Verzweiflung. Ich wusste, dass ich diese Verwirrung verdient hatte. Ich hatte den Tod und das Sterben verdient, so würde ich auf ewig verflucht bleiben. Es wäre so einfach gewesen all meine Fehler und meine Aggressionen jenem Wesen des Vampirs in mir zu zu schreiben. Jedoch war am Ende dieses Tages all mein Streben nach Menschlichkeit vergebens und meine Scharade begann zu bröckeln. Ich war kein Mensch und war es seit dem Tag meiner Erschaffung nie wieder gewesen. Ich war voll und ganz der Vampir, der für jene Taten die Verantwortung zu tragen hatte. Ich würde nie wieder ein Mensch sein können, so sehr ich es auch wünschte und nun hatte ich mich vollends damit abgefunden Askian zu sein, denn der Mensch in mir war schon zu lange gestorben und die Erinnerung an ihn verwest. Es war weder Blutrausch noch Kontrollverlust gewesen, der zur Tötung des Mädchens geführt hatte, sondern Sirens Befehl und mein eigener Wunsch. Ich hatte sie aus Angst und Lust heraus ermordet und als ich mir dieser Tatsache bewusst wurde hielt ich auf den Dächern des Bettlerviertels urplötzlich inne. Langsam erschien eine neue Sonne über den Dächern nahe des Kirchturms von Suveign – jener Kirche, die schon lange bevor das Bettlerviertel hier seinen Platz nahm erbaut wurde und die selbst aus weiter Entfernung unverkennbar dem Verfall Preis gegeben war. Eine Weile beruhigte sich mein Herz und ich dachte über viele unzusammenhängende Dinge nach, während ich eigentlich nichts weiter wollte, als meinen Verstand verlieren, damit er endlich schwieg. Siren erwartete mich bei Tagesanbruch zurück, das wusste ich, aber ich verschwendete keinen leeren Gedanken daran. Das Blut des Mädchens war zu großen Braunroten Flecken auf meiner Haut geworden und mir war, als schlüge ihr Herz noch in meiner leeren Blutbefleckten Hand. – Herzblut, so kostbar, wie die Liebe selbst. Sie war tot, weil ich ein Feigling und ein Monster war. Ich blickte nach unten auf die dämmrigen Straßen und sah wie das Licht durch die Gassen flutete, wie Wasser durch einen vertrockneten Fluss. Das Haus auf dem ich mich befand gehörte zu einer Kneipe und es war höher, als die meisten in diesem Viertel. Ich konnte von hier aus weit in das Viertel der Mittelklassenschicht hineinsehen. Und doch war das einzig Lebendige, das ich auf den Straßen ausmachen konnte eine einzige schwarze Katze, die zwischen den Häusern in einer Gasse jagen mochte. Ich kann nicht sagen, wieso mir eine Träne über das Gesicht lief. Vielleicht war es der Tot des Kindes, oder der Verlust meines Lebens. Vielleicht gab es auch keinen Grund, doch meine Sicht verschleierte sich zunehmend. Ich schloss die Augen und der Boden erschien mir so nah. So verlockend… Bevor ich langsam und kaum hörbar vom Absatz des Daches fiel, meinte ich das Schreien einer Katze zu hören, doch bis auf das leichte Schlagen meines Mantels war alles ruhig und an den Aufprall erinnere ich mich nicht. Kapitel 4: Kapitel vier ----------------------- A ls ich meine Augen langsam zu öffnen versuchte, fühlte ich mich elend, wie lange nicht mehr. Meine Sicht war verschwommen und ich war zu schwach meine Augen wirklich zu öffnen, aber ich nahm die Bewegung einer Person im Raum wahr. Ich roch das süße, warme Blut einer Frau, bevor ich sie sah und ich nahm ihre Bewegung durch den Lufthauch, den sie verursachte wahr. Ausgehend von meinem Arm fühlte ich einen tauben dumpfen Schmerz, der meine ganze rechte Seite zu erfüllen schien. Dies erinnerte mich vage an die Geschehnisse der letzten Nacht, aber ich hatte keinen Bezug mehr dazu. Keine Gefühle mehr. Ich war innerlich kalt geworden und abgestorben. Ich war gefallen… nein, ich hatte mich selbst richten wollen. Ich war gesprungen. „Verdammt.“, wollte ich stöhnen, aber ich brachte nur ein Krächzen heraus, gefolgt von einem Schmerz in meiner rechten Brustgegend. Ich musste mir bei meinem Sturz einige Rippen gebrochen haben. Wie konnte ich nur so dumm sein?, fragte ich mich, als ich mich an meinen ersten Fluchtversuch von Siren erinnerte, bei dem ich ebenfalls einen tiefen Sturz überlebt hatte. Mit hätte klar sein müssen, dass ich es überleben würde. Es wunderte mich allerdings, dass ich nun so verletzt war. Vermutlich lag das an dem unkontrollierten Fall, bei dem ich auf meiner rechten Schulter und dem Genick aufgekommen sein musste, wenn man nach den Verletzungen urteilte. Ich erinnerte mich nun wieder an Siren, der mich sicher schon lange zurück erwartet hätte. Wie sollte ich ihm dies jemals erklären? Ich musste schnellstmöglich zu ihm zurück, denn ich wusste, dass jede weitere Verzögerung seinen Zorn nähren würde und ich hatte Angst. Gleichzeitig fühlte ich mich elend und sehnte mich irgendwie nach seiner Nähe. Nun versuchte ich erneut meine Augen zu öffnen, fand aber, dass ich erneut zu schwach war. Die Frau kam auf mich zu, dass spürte ich genau und bevor die Flüssigkeit, die sie mir geben wollte meine Lippen berührte, spürte ich auch dies. Ich wandte den Kopf zur Seite soweit es mir möglich war und stöhnte leise, als der Schmerz in meinem Arm nur durch die Kopfbewegung wieder einsetzte. „Mein Name ist Nathalia.“, sagte die Fremde und drehte meinen Kopf wieder leicht in die entgegen gesetzte Richtung. Ihre Finger berührten meine Wange und sanft meine Haare und sie waren so warm und tröstend, dass ich am liebsten geweint hätte. Erneut rann Wasser auf meine Lippen und ich trank es dieses Mal. „Du bist in Sicherheit.“, hörte ich wieder die ruhige Stimme, aber in dem Ausdruck den ihre Sprache angenommen hatte bemerkte ich, dass sie annahm, ich würde sterben. „Du bist hier nicht in Gefahr.“ Als Askian sprang und auf den Wegen des Bettlerviertels aufprallte durchzuckte mich ein schrecklicher Schmerz und ich wusste, dass ich zu weit gegangen war. Es war ein drohendes Gefühl des beinahen Verlustes. Es war eine dunkle Vorahnung, die nun stärker denn je meinen Geist Heim suchte, ohne, dass ich etwas gegen sie hätte tun können. Wie glücklich warst du, der du die Zeichen nicht zu deuten wusstest – wie glücklich, denn du konntest dich vor ihnen verschließen. Ich selbst aber war vollkommen hilflos der Zukunft ausgeliefert, die ich zwar vorhersagen, aber doch nie verhindern konnte. Hätte ich etwas tun können, damit es anders geht? Ich weiß es nicht und so blieb ich einfach wo ich war. In meinem goldenen Käfig, den ich nur für mich selbst errichtet hatte. Ich erwartete lange nicht mehr, dass du mich verraten würdest. Die Wunde, die du dir selbst zugefügt hättest wäre zu tief gewesen. Ich hatte dich so in meiner Gewalt, wie du Macht über mich besaßest. Mir war bewusst, dass du versucht hattest deinem Leben ein Ende zu setzen, genauso, wie ich mir klar war, dass all dies meine Schuld war. Ich war vielleicht zu schnell gewesen. Zu weit gegangen. – Und was ich damals wusste, aber nicht wahrhaben wollte war, dass ich dich vielleicht für immer verloren hatte. Meine verklebten Augenlider öffneten sich nur widerwillig und das Erste, das in meine Gedanken kam war Siren. Ich wollte bei ihm sein und seine Hände auf meiner Haut spüren, seinen Geruch einatmen, für ein paar Sekunden den pochenden Schmerz vergessen, der in meinem zertrümmerten Arm tobte. Das Bett in dem ich lag kratzte auf eine angenehme Art und Weise auf meiner Haut. Der Dreck um mich war weit weniger angenehm. Es war, als würde ich nach langer Zeit nach Hause kommen und erkennen, dass es weit weniger gut war, als zunächst angenommen. Der Stoff unter dem ich lag war aus Leinen. Ich war noch in den Slums. Die Erkenntnis durchzog mich mit einer kurzen Befriedigung und gleich darauf mit Enttäuschung. Siren hatte mich nicht gefunden. Er hatte mich nicht gerettet. Irgendwie kam mir der Gedanke, dass ich seine Forderungen vielleicht nicht zu Genüge erfüllt hatte. Hatte ich nicht alles für ihn getan? Wer mochte mich gefunden haben? Meine Sinne waren so vernebelt, das sie abzuschweifen begannen. Es kostete Mühe wach zu bleiben. Meine Augenlider konnte ich nicht einmal öffnen. Vor meinem geistigen Auge tauchte die verstümmelte Stadtwache auf. „Du bist ein Mörder, Askian.“, flüsterte er in einer mir vertrauten Stimme und noch während sie schier unaufhörlich in meinem Kopf wider hallte wusste ich, dass es meine Eigene war. „Siren, wo bist du?“ Auch das hatte ich vermutlich gesprochen. So als wäre ich nicht mehr in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Jede Gefühlsregung musste ausgesprochen werden, um sie zu verarbeiten. Und dann rann auf einmal etwas Kaltes meine Stirn herab. Wasser rann meine Schläfen herab wie kaltes Blut. Etwas Schweres wurde auf meine Stirn gedrückt und gleichzeitig streiften mich die gefeilten Fingernägel und der Geruch einer menschlichen Frau. Obwohl ich meine Lider nicht weit genug öffnen konnte, um sie zu sehen wusste ich, dass sie schön war. „Wer bist du?“ Für einen kurzen Augenblick wusste ich nicht, ob es meine oder ihre Worte waren, doch nach einer kurzen Pause schwebte ihre einschmeichelnde Stimme mit einem leichten irischen Akzent im Raum: „Nathalya.“ Trotz meiner Schmerzen musste ich irgendwie lächeln. „Ein seltsamer Engel.“ Ihr rot gelocktes Haar fiel sanft um ihre Schultern und eine einzelne Strähne hatte sich in ihrem Mundwinkel verfangen. Sie schien spöttisch zu lächeln und all das wusste ich bereits ohne sie je angesehen zu haben. „Wer bist du?“, fragte sie vielleicht zum zweiten Mal. Mein Name? Wie war nur gleich mein Name? Ich besaß ja keinen. „Askian…“, stöhnte ich und versuchte mich aufzurichten – fiel aber zurück in die Kissen, die mir auf einmal unendlich weich und verführerisch vorkamen. Diese seltsame Müdigkeit in mir mochte das sein, was für Menschen den Tod bedeutet. „Askian.“, die Stimme sprach dieses Wort in einer Art aus, die mir einen leichten Schauer über den Rücken jagte. Es war als würde sie dieses Wort selbst kosten und genießen. – Genießen, wie Siren mein Blut getrunken hatte. – Getrunken, wie Siren meinen Namen und mein Leben verschlungen hatte. „Du erinnerst mich an jemanden.“, sagte sie noch, als ich spürte, dass ich nichts tun konnte, um meine Ohnmacht zu verhindern. Es war nicht Sirens Stimme, die in der Dunkelheit nach mir rief, sondern ihre. Obwohl er mich in meinem derzeitigen Zustand in den Träumen verfolgte kam es mir nicht in den Sinn, dass er mich vermissen würde und auch die Frage, wieso er mich nicht suchte kam mir nicht. Zunächst war ich mir nicht einmal bewusst, wer Siren überhaupt war. Ich wusste nur, dass ich ihn liebte. Was auch war, ich blieb vielleicht viele Tage im Haus meiner unbekannten Gastgeberin, ohne, dass er mir gefolgt wäre. Und so war es nur Nathalias Stimme und ihr Name, die immer aufs neue in der Dunkelheit der Halbohnmacht auftauchten und mir bewusst machten, dass ich lebte und leben würde. Es war eine seltsame Sache, dass ich meinen eigenen Körper zerstört hatte und dieser nun von einer Fremden geheilt wurde, die mir nichts schuldig war. Siren konnte mich offensichtlich nur zerstören. Auch darüber machte ich mir keine Gedanken und es kam mir erst sehr viel später in den Sinn. Mein Bewusstsein kam nur langsam schleichend zu mir zurück. Ich hatte das Gefühl schon Monate gelegen zu haben, doch es waren in der Tat nur wenige Tage. Als ich meine Gedanken gesammelt hatte war mein erster Gedanke die Frage, wieso Siren nicht nach mir gesucht hatte. Aus irgendeinem Grund war dies unheimlich wichtig. Es wäre seine Pflicht gewesen. Der zweite Gedanke galt dem Ort an dem ich mich befand. Ein kleines schmutziges Zimmer – offensichtlich in einer Gaststube. Wo war ich? In jenem Augenblick öffnete sich die Tür und meine Retterin trat ein. Während meiner Verletzung war sie mir als Engel erschienen. Nun zeichnete sich ein anderes Bild von ihr. Sie war kein Engel, sondern eine Hure. Sie trug eine enge Korsage, die vielleicht nicht zufällig etwas zu klein war und ihre Körperrundungen auf eine seltsam subtile Art hervorhoben. Alles an ihr schien dreckig, aber doch auf eine gewisse Art und Weise gepflegt, was meine Vermutung bestärkte, dass sie eine der besser gestellten dieses Viertels war. Ich war noch im Bettlerviertel und nun sah ich selber beinahe wieder aus, wie einer, dem nichts geblieben war. Zwar trug ich noch die Kleidung jenes Abends, doch sie starrten vor Schmutz und getrocknetem Blut. – Nie würde ich das pulsierende Gefühl in meinen Händen vergessen, als ich ihr Herz heraus zog. Alles an mir – Meine Haut, meine Kleider, meine Seele – war vollkommen zerrissen. Ich sah beinahe noch mehr nach einem Bettler aus, als sie, aber mein Geist hatte sich geändert. Ich gehörte mit keiner Faser meines Körpers hier her. Als ich an diesem Ort gelebt hatte, war mir nie in den Sinn gekommen, dass ich schmutzig war. Nun fiel es mir auf und es widerte mich an. „Ich bin Nathalya.“, sagte die Frau mit einem Lächeln, dass ich nur erwidern konnte. Dann eine Pause. Irgendwie kam es mir vor, als müsste ich nun etwas sagen. Es war ein unsinniges Gefühl, dass lediglich dadurch hervorgerufen wurde, dass ich als Adliger, die Sprechweise der Adligen übernommen hatte. Es war mir, als müsste ich sprechen, nur um die Zeit zu füllen, aber Bettler haben Besseres mit ihrer Zeit zu tun, als zu plaudern. „Wo bin ich?“, fragte ich nach ein paar weiteren verstrichenen Sekunden, in denen Nathalya begonnen hatte im Zimmer aufzuräumen und den gröbsten Schmutz zu beseitigen. „Dies hier nennt man „Bloodcage“. – Es ist die Kneipe in der ich zu Hause bin.“, antwortete die junge Frau, während sie eine Schüssel mit leicht dreckigem Wasser an mein Bett brachte. Ich biss mir auf die Lippen. Ich war genau an dem Ort, den ich vor Jahren verlassen hatte. Ich selbst hatte auch eine kurze Zeit hier gewohnt und gearbeitet. Ich kannte die Wirtin und ich hatte Nathalya schon einmal gesehen. – Es schien mir so fern. So lange vergangen. „Woher kommt Ihr?“ Nathalyas Stimme durchbrach die Stille und ich konnte nicht antworten, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. War mir meine Vergangenheit schon so zuwider, dass ich nicht einmal wagte zu erwähnen, dass ich ebenfalls von hier kam? Ich sagte nichts und beobachtete die kleinen dreckigen Brocken in dem Wasser und überlegte mit Ekel, ob sie wirklich dachte, dass ich mich mit so etwas waschen konnte. „Ich… es tut mir leid.“ Wieso hatte ich plötzlich das Bedürfnis mich zu entschuldigen? Nathalya runzelte die Stirn und lächelte dann urplötzlich sanft. „Ihr könnt Euch bestimmt nach einem derartigen Sturz an einiges nicht erinnern.“ Ich war froh, dass sie mir diese Ausrede gab, aber aus irgendeinem Grund beschlich mich das Gefühl, dass sie sehr genau wusste, dass es etwas gab über das ich nicht reden wollte und das lieber unangetastet bleiben sollte. Es standen so viele Fragen zwischen uns. „Wie lange habe ich geschlafen?“ Ich richtete mich halb auf und sie fuhr mir mit einem Wasser getränkten Lappen durch das Gesicht. Zuerst fühlte ich Ekel, dann Wohlwollen. Ich genoss die Kühle und die Feuchtigkeit, die sich auf meinem trockenen Gesicht ausbreitete. „Fast drei Tage.“, antwortete Nathalya und ihre Stimme klang so weit entfernt. Ohne meine Reaktion abzuwarten fuhr sie fort. „Ich dachte zuerst Ihr Bein wäre gebrochen, aber es scheint bereits zu heilen.“ Natürlich war es gebrochen, du naiver, dummer Mensch! Zusammen mit meinem Rückrad und den meisten meiner Rippen!!! Der Wutanfall war so schnell gekommen, wie er wieder verebbte und blieb unbemerkt. Ich lehnte mich in die Kissen zurück und ließ es zu, dass sie mich wusch. Es kam mir falsch vor, dass ich mich von einer Frau berühren ließ, aber es kam mir auch falsch vor, dass Siren scheinbar nicht einmal den Versuch unternommen hatte nach mir zu suchen. Es war eine ausgleichende Ungerechtigkeit darin, die mich befriedigte. Ich hatte bereits beinahe aufgegeben dich zu suchen, als ich dich fand. Etwas schien dich vor mir verborgen zu halten und ich war beinahe überzeugt, du wärst gestorben, aber ich wusste, wenn es eine Hoffnung gab dich zu finden, wäre sie im Bettlerviertel, denn dort würdest du am ehesten nach den zerbrochenen Spiegelscherben deiner Vergangenheit suchen. Ich habe die Leiche des Mädchens gefunden und die Brutalität faszinierte mich. Du warst noch weit schlimmer als ich. Das hätte mich eigentlich amüsieren sollen, aber das tat es nicht. Irgendein seltsam nagendes Gefühl hatte sich meiner bemächtigt. Es war etwas, dass ich wie so viele Gefühle lange nicht gespürt hatte. Wenn dir etwas zugestoßen wäre, wäre es auch mir geschehen. Deine Schmerzen wären mein Werk. Wenn du mir nicht verzeihen konntest, wäre der letzte menschliche Rest in mir gestorben. Diesen Zustand nennt man „Sorge“. Wieso hatte ich dies nur jemals vergessen? Ich erinnerte mich kaum, wieso ich vergessen hatte zu fühlen. „Wieso hast du mich gerettet?“ Ich lehnte mich zurück und genoss das Gefühl ihrer Hände auf meinem beinahe bewegungslosen Körper, als sie sanft den staub von mir wusch. „Wieso nicht?“, fragte sie Schulter zuckend. „Nur weil ich arm bin heißt es nicht, dass ich kein Herz habe.“ Ich blinzelte. In ihrer Antwort schwang ein Vorwurf mit. Die Art wie sie das „ich“ betonte kam mir vor, als wüsste sie sehr wohl, dass ich zu den Reichen gehörte und es machte ihre Meinung zu mir deutlich. Anders als ich hatte sie noch ein Herz zu verlieren. „Ich weiß nicht, wie ich mich bei dir bedanken soll…“, antwortete ich. Ich schien es für angebracht ehrlich zu ihr zu sein, aber ich wusste nichts auf ihre Worte zu sagen. „Ich brauche kein Geld.“, sagte sie schnell und wurde dabei etwas rot. Natürlich war das eine Lüge. Sie brauchte es mehr als ich. Dann lächelte sie und berichtigte sich: „Du hast mich ja nicht gebeten dir zu helfen. Demnach bist du mir nichts schuldig.“ Ein leichter Schauer fuhr über meinen Rücken. Eine Pause entstand. „Ich habe dich ja springen sehen. Du wolltest sterben.“, fuhr sie fort. „Es gibt nicht einmal einen Grund für dich Dankbarkeit zu empfinden?“ Sie schlug die Augen nieder. „Wieso hast du das getan?“, fragte ich. Eine leichte Röte stieg in ihr auf. „Es war nur…“ Sie vermied jeden Blick in meine Augen und fuhr fort: „Du solltest nicht dort liegen. Nicht so, verstehst du? Ich hätte dich gesehen und ich wollte nicht jeden Tag deinen verwesenden Körper sehen und mich fragen, ob es nicht falsch war dich liegen zu lassen.“ Sie hatte mir nur aus Eigennutz geholfen und doch tat es gut. Sie dachte, sie hätte mein Leben gerettet, doch als Vampir wäre ich an diesem Sturz nicht gestorben. Doch das wusste nur ich und sie nicht. Sie hatte mich gerettet, ohne Dank zu erwarten. „Damals dachte ich, ich wollte es.“, antwortete ich, bevor ich selbst erkannte, was es eigentlich bedeutete. Mein Handeln war vollkommen irrational gewesen. Ich hätte wissen müssen, dass ich nicht sterbe, aber von all dem abgesehen wollte ich Leben. – Auch mit der Schuld in mir. „Was ist geschehen?“, fragte sie. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte und stockte. „Ich musste etwas tun, das ich nicht wollte.“ Die Junge Frau nickte leicht. „Etwas Schlimmes?“ „Für mich schon.“, antwortete ich. Dann schwiegen wir eine Weile. Es war eine angenehme Stille und doch hatte ich das Gefühl etwas sagen zu müssen. „Ich habe es getan, obwohl ich nicht wollte.“, ich versuchte es wie eine Tatsache klingen zu lassen, doch sogar für sie musste der Selbstvorwurf klar zu hören gewesen sein. „Ich hatte keine Wahl.“, fuhr ich fort und meine Augen füllten sich mit Tränen. Nathalya strich mir mit einer Hand durchs Haar – auf irgendeine Weise fühlte es sich vollkommen unverbindlich an. Sie legte den nassen Lumpen mit dem sie mich gewaschen hatte zurück in die Schüssel. „Das muss wohl der sagenumwobene „goldene Käfig“ sein.“, sagte sie nur und ich verstand nicht. Sie lachte leise und strich sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Tut mir Leid. Es sind die Worte eines Kunden. Er sagte einst, die Reichen wären zwar reicher, aber weniger frei – ein Käfig aus Gold.“ Ich nickte leicht ohne es selbst zu merken. Ich denke ich wusste damals, was er meinte. „Liebe macht uns alle zu Sklaven.“, sagte ich bitter und hob leicht einen Arm. Er knackte etwas, aber von dem einstigen Trümmerbruch war kaum mehr etwas zu spüren, wenngleich es noch Schmerzen bereitete ihn zu bewegen. Ich hatte aber schon vor einiger Zeit bemerkt, dass sich meine Wunden recht schnell schlossen. Bald würde ich in der Lage sein mich vollkommen schmerzfrei zu bewegen. „Es ist schade, dass du so denkst. Liebe sollte frei machen.“, philosophierte die junge Frau und stand auf. „Wie kann man jemanden lieben und ihn einsperren?“ Das ist der Unterschied zwischen Mensch und Vampir, dachte ich in dem Moment. „Ich wollte…“, begann ich, als ich „seine“ Nähe spürte. Ich wusste mit Bestimmtheit, dass es so war und meine Gefühle waren hin und her gerissen zwischen Panik und Freude. „Ich muss gehen“, flüsterte ich und bei dem Klang meiner Stimme ließ Nathalya zurück schrecken. „Du kannst nicht gehen.“, sagte sie beinahe flehentlich und als ich aufstand und meine Beine den Boden berührten durchzuckte sie ein Schmerz, als wären tausend Nadeln in sie gestochen worden – aber sie hielten. Leicht wankend hastete ich zur Tür und blickte mich im Türrahmen noch einmal um. „Es tut mir leid!“ Ich weiß nicht, wofür eigentlich ich mich entschuldigte, aber ich erhielt auch wenig Gelegenheit mir darüber Gedanken zu machen, denn im Flur vor Nathalyas Zimmer stieß ich unvermittelt mit Siren zusammen. Dies war der goldene Käfig. Ich hatte mir bis dahin wenig Gedanken über meine Situation gemacht, doch Nathalya hatte vollkommen Recht. Es war nicht allein die Tatsache, dass ich ein Vampir war, sondern vielleicht auch, das ich reich war, die mich unfrei machte. Es war etwas nicht Körperliches. Vielleicht waren es nur die einfachen Dinge, wie die Meinung anderer Menschen über mich, die mich unfrei machten. Ich war nun zwar nicht mehr arm und ich musste nicht mehr um mein Leben kämpfen, ich wurde nicht in ein Slumviertel verbannt. Aber meine Gedanken waren um so vieles gefangener. Ich hatte nichts mehr zu gewinnen und alles zu verlieren. Ich hatte keinen Grund mehr zu träumen, da ich jeden Traum besaß. „Wieso bist du nicht zurückgekommen?“, herrschte mich Siren an und in seinen Augen erkannte ich die versteckte Sorge um mich, die er aber nie Preis geben würde. Vielleicht war es genau aus diesem Grund. Vielleicht wollte ich nicht zurück, weil ich nicht mit den Geschenken zufrieden war, die ich so lange ersehnt hatte. Vielleicht wollte ich zurück, weil der Traum besser war, als die Realität – und ich hatte verlernt zu Wünschen. Statt dies zu sagen, saß ich auf einem roten Liegesessel und rührte mich nicht. Ich wusste, dass ich vorsichtig sein musste, wenn Siren in einer derartigen Laune war, denn jede Bewegung die ich tat, konnte falsch verstanden werden. „Ich war verletzt.“, sagte ich einfach und es entsprach in jeder Art, in der man es verstehen konnte der Wahrheit. Siren schwieg und drehte mir den Rücken zu. Er hatte verstanden und ich das Gefühl etwas sagen zu müssen, also begann ich: „Wieso hast du mich nicht gesucht?“ Ich wusste, dass Siren traurig war, aber ich wusste nicht wieso. Er stand eine Armlänge von mir entfernt und ich hatte das Bedürfnis ihn zu berühren und zu trösten, aber etwas hielt mich davon ab und so tat ich rein gar nichts. Du weißt, dass du falsch handelst, wieso siehst du das nicht ein?, schoss es mir durch den Kopf. Siren antwortete nicht, obwohl ich mir sicher war, dass er in diesem Moment meine Gedanken las. „Ich liebe dich.“, sagte ich und fühlte dabei nichts als Hoffnungslosigkeit. „Ich weiß.“, antwortete Siren und an seiner gebrochenen Stimme erkannte ich, dass auch sein Herz gebrochen war. Es war nicht meine Schuld, auch das wusste ich. Aber ich wusste auch, dass er mir nie sagen würde, was es eigentlich war. Vielleicht war es einfach nur die Zeit, die ihn so verletzt hatte. Vielleicht hatte Siren zu viele Leben gelebt. Ich stand auf und legte meinen Arm um ihn. Ich erwartete nicht einmal, dass er meine Zärtlichkeit erwidern würde. Leicht zögerlich nahm er meine Hand und berührte sie mit den Lippen, hielt sie fest und schmiegte seinen Körper an mich. Für den Bruchteil einer Sekunde kam es mir beinahe so vor, als hätte ich das vor mir, was Siren gewesen war, bevor er den Verstand verloren hatte. Dann drehte er sich zu mir um und für den Moment war der Zorn aus seinem Blick verschwunden. An Stelle dessen sah ich nun Schmerz und Leidenschaft. Er berührte mit den Fingerspitzen mein Gesicht und fuhr dann meinen Hals herab, bis zu jener Narbe, die er mir vor mehr als zwei Jahren zugefügt hatte. Er hielt für einen Moment inne und berührte dann meine Lippen, als wäre er mit Gedanken weit entfernt. – Als wäre er blind oder nicht sicher, ob ich überhaupt real wäre. Diese Berührung war so unendlich viel mehr als jeder Kuss, Er strich mir durch die Haare – beinahe hektisch. Ich umarmte ihn und drückte ihn an mich und er erwiderte meine Berührung, als suche er Schutz vor den Schmerzen in sich selbst. In Sirens Gesten hatte ich nie derart offensichtlich seine Gefühle lesen können und aus irgendeinem Grund wusste ich, dass es vermutlich das letzte Mal war, dass er so fühlen würde. Er schob mich auf die Liegecouch zu und zwang mich mit sanfter Gewalt unter sich. Über mich gebeugt begann er meinen Hals zu küssen. Ich spürte Zähne an meinem Hals, aber ich hatte keine angst vor ihm. Vielleicht, weil ich der einzige war, den er nicht ohne zu zögern vernichten würde. Nach jenem Abend habe ich mich oft gefragt, was sich verändert hatte. Für einen Moment war ich wieder Mensch, was bedeutete, dass ich mich zu sehr verändert hatte und dass du der Auslöser gewesen bist. Ich bedeckte deinen Körper mit Küssen. Ich strich deinen Körperkonturen nach, als wolle ich die Erinnerung an dich mit in die Hölle nehmen. Und doch war es nun nicht mehr wichtig, was geschehen würde, weil es vollkommen egal war, wer wir jemals waren. Ich liebte dich damals mehr als je zuvor und nichts ändert daran etwas. Nicht einmal die Tatsache, dass ich in diesem Moment schwächer war als du. Als ich erwachte, erhaschte ich im Halbschlaf ein bild von Nathalya. Wieso das so war kann ich genau so wenig sagen, wie, warum der erste Gedanke meines Erwachsens ihr gelten musste. Dann sah ich Siren schlafend neben mir liegen. Ich richtete mich halb auf und betrachtete seinen nur halb von der Decke verhüllten nackten Körper. Zärtlich fuhr ich mit einer Hand in seine Haare. Die Sonne glänzte in ihnen. Ohne ihn zu wecken fuhr ich die vielen feinen Narben mit den Fingern nach, die Jahrhunderte auf seinem Körper hinterlassen und fragte mich, woher sie stammen mochten. Siren war so alt. Er musste Kriege erlebt haben. Hungersnöte. Seuchen. Vielleicht Kämpfe mit anderen seiner Art. Gab es überhaupt Andere? Es musste so sein, denn die Narbe an Sirens Hals war noch weitaus größer als meine. Es wirkte beinahe, als habe ihm sein Erschaffer ein großes Stück Fleisch aus dem Hals gerissen. Vielleicht war diese Narbe auch erst nach seiner Erschaffung entstanden. So wäre die Bissnarbe verschwunden. – Narben unter Narben. Mir kam viel in den Sinn und ich denke, das Meiste wird der Wahrheit entsprochen haben. Doch er hat mir zu keiner einzigen Narbe jemals die Geschichte erzählt und ich hatte gelernt nicht mehr in seiner Vergangenheit zu forschen, da sie für ihn zu schmerzhaft schien. Ich wusste, dass er Tagebuch führte. Ich hätte in die Bibliothek gehen können in denen sich die Folianten seines Lebens mittlerweile auftürmen mochten, aber auch das kam mir nicht in den Sinn. Warmes Sonnenlicht durchflutete das Zimmer und die Bäume vor dem Fenster warfen lange Schatten auf den Boden, die sich mit jedem Windhauch bewegten, wie die Wellen einer sanften Brandung. Ich blinzelte. Immer noch erschien mir die Sonne weit heller als zu jener Zeit in der ich ein Mensch gewesen war. Trotz all den Narben erschien mir Sirens Körper an jenem Morgen als der Schönste, den ich je gesehen hatte. Schließlich öffnete er die Augen. Zuerst schwerfällig, als wollte er den Schlaf noch für einige Sekunden festhalten, um dann schlagartig in die Realität zurück zu kehren. Irgendwie fühlte ich nun, dass der gestrige Abend einer unwiederbringlichen Vergangenheit angehörte. In Sirens Augen lag nun wieder jener kalte Ausdruck. Als hätte schon der Schlaf ausgereicht, die Energie seines Hasses zu erneuern und ein neues Wesen in ihm zu schaffen. Ich hielt seine Hand. Küsste sie und schmiegte sie an mein Gesicht. „Guten Morgen, Herr.“, flüsterte ich. Es erschien mir wie ein uraltes Ritual und ich weiß nicht genau, wann nach meiner Erschaffung ich damit angefangen hatte. Irgendwie ließ mich der Gedanke an Nathalya nicht los. Ich schämte mich und hatte Angst, Siren würde es merken, aber er tat es nicht. Lächelnd, fast noch schlafend griff er nach der Hose, die immer noch neben dem Sofa lag, auf dem wir eingeschlafen waren. Er zog sie über und ging langsam, als würde er mich nicht sehen auf die schwere Ebenholztür zu, die in eines der Badezimmer führte. Als er im Rahmen stand, drehte er sich für den Bruchteil einer Sekunde um. Er war weit von mir entfernt, aber in seinen Augen sah, ich, was er mir so selten sagte – dass er mich liebte. Etwas ging zu Ende. Mich überkam ein unaussprechlicher Drang danach, ihm zu folgen, aber ich blieb, wo ich war, lehnte mich in die Kissen zurück und genoss das Gefühl seiner Liebe für einen Moment. Nathalya… da war sie wieder. Ich musste zu ihr. Wäre ich ein Mensch gewesen, hätte sie mein Leben gerettet. Ich musste zu ihr und mich bei ihr für nichts bedanken. Oder hatte sie mir letztendlich etwas gegeben, das ich nur nicht zu würdigen wusste. … Liebende sollten sich nicht einsperren… Ich schüttelte energisch den Kopf. Ich war selbst noch beinahe im Schlaf und dachte wirr. Langsam stand ich auf. Ich bemühte mich keine Geräusche zu machen, als ich mich anzog und wie ein Schatten durch eine der Türen huschte. Ich fühlte mich wie ein Verbrecher und wusste eigentlich nicht, was den Impuls ausgelöst hatte, dass ich mich fort schlich. Mir wurde allerdings bereits, als ich den kleinen Rosenweg vor der Eingangstür des Anwesens betrat klar, dass Siren mich gesehen hatte. Wie ein Schatten sah er mir aus dem Fenster nach und ich spürte nichts als Dankbarkeit, denn er unternahm keinen Versuch mich auf zu halten. Vielleicht hätte er es tun sollen. Wieder ging ich ins Bettlerviertel. Ich war ohne ein Wort des Abschieds aus dem Anwesen geflohen, weil mich etwas zu Nathalya trieb, Es war etwas, das ich nicht benennen konnte. Es war wie Interesse und Zuneigung. Ich ging in die Kneipe in der sie sich aufhalten musste. Ein Geruch, der wie eine Mischung aus Exkrementen, Alkohol und brennenden Kerzen war, schlug mir entgegen, sodass ich das Gefühl hatte mich übergeben zu müssen. Es war voll in der Kneipe, stickig und während ich mich durch die Menschenmasse zwängte taumelten die betrunkenen Männer gegen mich. Erst, als ich mich fast an der Bar der Schänke befand, fiel mir auf, dass die Menschen mich mit kaum verhaltenen Blicken ansahen. Ich war ein exotischer Vogel außerhalb des Paradieses. Für meine jetzigen Verhältnisse war ich eher nachlässig angezogen, denn ich hatte das Haus in aller Eile verlassen, doch so unverkennbar, wie ich nun ein Raubtier war, so unverkennbar war ich auch ein Adliger geworden. „Michael!“ Eine dickliche Frau mittleren Alters grüßte mich. Sie kam mir bekannt vor, doch ich antwortete nicht, weil es nicht mein Name war. „Askian?! Da war sie. Jene exotische Stimme, die zu der schönen Frau gehörte. Sie war die einzige Person, die ich abgesehen von Siren kannte. Ich drehte mich zu ihr um. „Was suchst du denn hier?“ Nathalyas Stimme war wütend. Sie runzelte die Stirn und zog mich kurz entschlossen auf die knarrende Holztreppe hoch. Sie blickte sich zu der Schankfrau um, die uns mit einem beinahe wohlwollenden Blick beobachtete. Wie eine Mutter, die auf ihre Kinder aufpasste und mich überkam der Gedanke, dass sie sich vielleicht auch als das fühlte, wenn sie auf die Frauen achtete, die hier ihren Körper verkauften. „Du kannst hier nicht so rumlaufen!“ In Nathalyas Worten schwang beinahe so etwas wie Wut. „Sie dich doch an!“, fuhr sie fort ohne mir die Möglichkeit eines Einwandes zu geben. Sie zog mich in ein Zimmer und ließ mich verwirrt stehen, während sie eine unordentlich eingeräumte Truhe leerte. Zum Vorschein kam ein dreckiger Haufen Stoff. „Dort unten wimmelt es von Halsabschneidern und Dieben!“, erklärte sie, während sie wild gestikulierend in dem Haufen wühlte und sich dann in einer kurzen Pause hektisch einige Strähnen auf dem Gesicht warf. „Warum schreist du nicht gleich heraus, dass man dich töten oder entführen soll?“ Sie richtete sich auf und stemmte ihre Hände in die Seiten. „Es tut mir Leid!“, sagte ich und fühlte mich urplötzlich ziemlich dumm. „Das hast du schon einmal gesagt.“, sagte Nathalya und schien sich ein wenig zu beruhigen. Ich wusste kurz nicht, worauf sie anspielte, dann erinnerte ich mich an die letzten Worte, die ich ihr vor meiner überstürzten Flucht gesagt hatte. Nun sollten es also die ersten sein. Was war es nur, dass ich in ihrer Gegenwart ständig das Gefühl hatte mich entschuldigen zu müssen? „Zieh das an!“, befahl die Frau und weiß auf einen unordentlichen Lumpenhaufen zu ihren Füßen. Ich betrachtete die Lumpen und dann Nathalya. Schließlich warf ich mir ein zerfetztes Cape um die Schultern, das mir fast bis zu den Füßen reichte und nach Pferdestall roch. „Du erinnerst mich an jemanden.“, bemerkte Nathalya und fuhr mir mit den Fingerspitzen durch das Gesicht. Es war zu intim für mich. Anders als Sirens Berührungen aber durchaus angenehm. „Deine Augen sind schmaler – das Gesicht etwas reifer, aber…“ Sie schien nachzudenken und lächelte schließlich. „Du erinnert mich an einen Jungen, der einst hier wohnte. Er ist bei der Seuche vor zwei Jahren umgekommen. Sein Name war…“ „Unwichtig!“, fuhr ich ihr über den Mund und die Art wie ich es beinahe erschrocken schrie erschreckte nicht nur Nathalya, sondern auch mich. Sie sah mich fragend an und ich senkte den Kopf: „Verzeih mir.“ Wieso nur sprach ich diese Bettlerin auf einmal an, wie eine Gleichgestellte? „Es gibt nichts zu verzeihen.“, sagte Nathalya und lächelte auf eine undeutbare Art und Weise, die sowohl Glück, als auch Trauer aussagen konnte. „Beantworte mir eine Frage, Askian.“ In der Art, wie sie meinen Namen aussprach lag etwas Falsches. „Wieso besuchst du mich erneut?“ Ich antwortete nicht sofort. Ich wusste es immer noch nicht genau. Unter dem Wunsch mich bei ihr für die Hilfe zu bedanken war etwas anderes, das ich nicht benennten konnte. „Ich wollte dich sehen.“, sagte ich Nathalya lachte und machte eine ausladende Geste auf sich selbst. „Mich?! Ich arbeite heute nicht.“ In der Art, wie sie sprach konnte man erkennen, dass sie es als Scherz meinte. Dennoch senkte ich den Blick und erwiderte nichts. Eine unangenehme Pause entstand. „Wer war der Mann, der ich abgeholt hat?“, fragte Nathalya dann direkt. Woher wusste sie von Siren. „ein Mann in der Bar hat mir gesagt, dass du von einem Adligen mitgenommen wordem bist. – Guraussehend, blonde Haare, unsteter Blick.“, antwortete Nathalya und für einen kurzen Augenblick war ich mir vollkommen sicher, dass ihr meine Gedanken nicht verborgen waren. „Siren.“, sagte ich verwirrt, als würde das alles beantworten – und das tat es auch. „Das ist also der geheimnisvolle Fremde, der von dir verlangt hat etwas zu tun, was du nicht wolltest.“, bemerkte Nathalya und lächelte, bevor sie fort fuhr: „Du hast seinen Namen im Schlaf gesagt.“ Ich war mir sicher, dass ich noch weit mehr als das gesagt haben musste. Ich zögerte mit meiner Antwort. Aus irgendeinem Grund war es für mich vollkommen inakzeptabel, dass diese Frau alles über mich wissen sollte. Sie wusste sicher, dass ich jenen Mann liebte und hatte sich vermutlich unbewusst sogar schon ein Bild von Siren gemacht. Es störte mich, dass es ein derart Negatives sein musste. „Ich wollte dir noch einmal danken.“, sagte ich ausweichend und Nathalya antwortete genau so unbestimmt: „Ich mag dich.“ Eine Weile herrschte wieder nur die schweigende Geräuschkulisse des Bettlerviertels zwischen uns. „ich würde dich gern wieder sehen.“, gab ich zu und schaute dabei an ihr vorbei auf die glaslosen Fenster des Zimmers. „Nicht morgen, aber dann und wann…“ Es war ein seltsames Gefühl meine Zuneigung einem anderen Wesen als Siren Preis zu geben. Mein Herz schlug seltsam schnell. Es war ein Gefühl, dass ich bisher nur von Siren kannte. Es schien beinahe so etwas wie Angst zu sein. – vollkommen unbegründete Angst. Nathalya strich mir mit einer Hand eine Strähne aus dem Gesicht und nahm es in beide Hände. Vor Verwirrung und Schockierung konnte ich mich nicht bewegen, als sie mich küsste und einen endlosen Augenblick ließ ich sie gewähren. Als ich sie wegstoßen wollte, löste sie sich bereits von mir und blieb eine Armlänge von mir stehen. Eine Weile trafen sich unsere Blicke. Dann floh ich aus dem Zimmer. „Du hast deinen Platz vergessen!“, herrschte Siren mich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Tränen rannen über mein Gesicht, aber ich wagte nicht zu schluchzen. Für eine einzige Sekunde hatte ich den Mann betrogen, den ich liebte. „Du hast mich verraten.“, sagte er etwas ruhiger, aber nicht weniger gefasst und hörte auf im Kreis herum zu laufen, wie ein gefangenes Tier. „Vergebt mir.“, ich hielt den Kopf gesenkt, nicht fähig in an zu sehen. Siren hatte es gewusst. Er hatte mich beobachtet, seit ich das Haus verlassen hatte. Ich hätte es wissen müssen. Er hatte alles gesehen und es war vollkommen zwecklos zu leugnen, oder zu erklären. Er ging mit zügigen und aggressiven Schritten auf mich zu. Ich zuckte zusammen, doch statt zurück zu weichen beugte ich mich, kniete nieder und hoffte, der mich erwartende Schmerz würde schnell vorüber gehen. Siren legte eine Hand auf meinen Scheitel und griff in die Haare, zwang mich so aufzusehen und in seine augen, in denen ich Schmerz sah, der sich in lodernem Hass entlud. „Ich liebe sie nicht.“, beteuerte ich. Da traf mich seine Hand im Gesicht. Ich tastete mit einer Hand zu dem schmerzenden linken Auge und sank zu Boden. „Ich weiß.“, sagte Siren beinahe zischend. „Wage es nicht mich zu hintergehen.“ Er drehte sich um und ging mit schnellen Schritten aus dem Zimmer. Ich blieb wo ich war und wagte nicht mich zu bewegen oder zu atmen. Mein Körper schien nund für tausend unvergossene Tränen der vergangenen Jahre entlohnt zu werden. Zwei Jahre Vampir, zwei Jahre Sklave, zwei Jahre Mörder. Zumindest für den Moment wurde es durch das Weinen besser. Mit jedem Schluchzen, das mich schüttelte, schien es mir besser zu gehen. Zumindest für den Moment. Du hast mich verraten! Es war nur dieser Gedanke, den ich fassen konnte, als wäre jeder andere Teil meines eigenen Selbst vernichtet. Ich habe gesehen, wie du sie geküsst hast. Ich habe zugelassen, dass sie dich begehrte, obwohl du mir gehören solltest. Du hast deinen Platz vergessen. Ich glaube, du konntest nicht ermessen, wie es sein kann solchen Schmerz zu fühlen. Verglichen mit deinem Schmerz war meiner die Hölle, denn ich war nicht einmal in der Lage ihn zu verstehen, weil ich so lange gefühlskalt war, dass es mich traf wie eine Woge aus Speeren. Du hattest zwei Jahre, die glücklichsten und qualvollsten deines Lebens. Ich hatte diesen Alptraum schon beinahe zwei Jahrhunderte erlebt, bevor ich dich fand. Eine Zeitspanne, die du dir zu jenem Zeitpunkt nicht einmal vorstellen konntest. Ich hatte dich demselben Schmerz ausgesetzt, wie mich. In der Hoffnung es würde dadurch besser werden. Nun wurde ich mir nur umso mehr meiner eigenen Schwächen bewusst. – Ich würde nicht in der Lage sein, dich für immer zu beschützen. Ich war mir vollkommen sicher, dass Siren mich trotz seiner Liebe umbringen würde, doch nichts dergleichen geschah. Es war, als habe es Nathalya nie gegeben. Zumindest nicht für ihn nicht. Zuweilen tauchte der Gedanke an sie und die vergangene Nacht, die Verwirrung ihrer Nähe, noch in meinen Gedanken auf, wie ein störender Anverwandter. Dennoch verblasste die Erinnerung an ihre Erscheinung während des nächsten Monats und schon wenige Wochen nach dem Streit mit Siren, verlosch jeder Wille daran sie wieder zu sehen in mit. Es war, als sei sie verschwunden, bedeutungslos. Ein weiteres unbekanntes Gesicht im stetig wachsenden und sterbenden Heer der Bettler. Ein Monat verstrich. Mehr als 25 Tage mit mehr als 20 Leichen. Ich hatte aufgehört zu zählen und jagte ganz nach Sirens Art adlige Frauen und Mädchen, die sich in der Annahme einer kurzen Liebesnacht dazu verführen ließen mit mir allein zu sein. Generell war es ein schneller Biss und ein angenehmer Tod. Es war beinahe zu einfach für meinen Geschmack. Oft sind es aber gerade die einfachen Dinge, die am meisten Zerstörungskraft besitzen und so wuchs die Zahl der Witwer und Weisen in England mit jeder Nacht, die ich mein unverdientes Leben in Luxus führen konnte. Eines Tages sah ich Siren mit einem Fremden in unserem Anwesen erscheinen. Er war muskulös und trug seine schwarzen Haare zu einem Zopf aus den Rücken gebunden. Ich machte mit über ihn zunächst keine Gedanken. Er war nichts als ein adliger Geschäftspartner von Siren. Es kam wirklich nicht selten vor, dass Siren solcherlei Männer zu sich einlud, um mit ihnen Verträge abzuschließen, oder ihnen nur zu demonstrieren, dass er mächtig war. Doch als ich in das Zimmer trat, hatte Siren sich über den Fremden gebeugt und seine Hand fuhr am Bein des Fremden entlang. Mir wurde schwindelig und schlecht, bei dem Anblick der beiden ineinander verschlungenen Leiber. Ich hatt die Frauen geduldet, die Siren sich nahm, denn ich wusste, sie gaben ihm nichts, als ihr Blut. Dass er sich nun einen Mann als Opfer nahm, veränderte etwas an der Tatsache, dass sich die beiden küssten. Es war ein Verrat in einem Spiel ohne Regeln. Es verstieß gegen die unausgesprochene Vereinbarung, dass Siren mir gehörte, sowie ich ihm. Ich sah, wie Siren ihm etwas ins Ohr flüsterte und verstand es nicht. Aber die Art, wie er sprach, war so zärtlich, dass es all die Worte, die er mir je in Liebe gesagt hatte zu einem Nichts negierte. – Solche Worte waren nicht für jemand anderen als mir bestimmt. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Irgendwie konnte ich nicht einmal mehr atmen. Siren fuhr mit seinen Lippen am Hals dieses Fremden entlang und die schwarzen Haare berührten sein Gesicht. – Der Fremde hatte schwarze Haare. So wie ich. An der Art, wie sich Siren bewegte wusste ich, dass es ihm Spaß machte. Ich war hin und her gerissen zwischen meiner machtlosen, ohnmächtigen Wut und dem Drang einfach wegzugehen und abzuwarten, bis Siren den Mann getötet hatte. Würde er ihn überhaupt töten?` Für den Bruchteil einer Sekunde entstand in meinem Kopf ein Szenario. Was war, wenn Siren gar nicht vorhatte, diesen Herren zu ermorden oder sein Blut zu trinken? Siren küsste den Hals des Mannes und öffnete leicht den Mund. Seine Zähne blitzen auf. All das sah ich kaum, denn mein Blick war verschleiert. „Verdammter Idiot!“, schrie ich und schleuderte das Erste, was ich greifen konnte auf den Boden. Es war eine Wasserkaraffe von einem nahegelegenen Schrank und sie zerbrach in duzende von glitzernen Scherben auf dem Marmorboden. Siren hob erschrocken den Kopf und der Mann wirkte ertappt. Ich drehte mich um und rannte durch die hallen des Anwesens ins Freie. Ich wollte nicht mit Siren reden, oder ihm in die Augen sehen. Ich wusste, was er sagen würde und ich gab ihm tief in meinem Herzen sogar Recht. Ich war sein Sklave. Siren war mir nichts schuldig, so auch nicht die Treue. Siren war ein Vampir und wie sollte er in einer Welt, wie dieser anders an Blut gelangen, als auf diese Weise? Fremde Menschen einfach auf der Straße anzufallen war zu Schwierig – das Risiko einer Entdeckung zu groß. Was also hätte Siren machen sollen? Was aber hätte ich denken können? Ich liebte ihn. Ich hatte ihm alles gegeben und war nur für ihn zum Mörder geworden. Das Einzige, was ich dafür verlangt hatte, war etwas Treue und Liebe. Es schien mir, als wäre ich betrogen worden und war es vielleicht. Siren war sich meiner Liebe sicher und ich war mir sicher sie nicht verdient zu haben. Ich hatte solche Angst von ihm belogen und verführt zu werden, wie jedes seiner Opfer. Siren war ein Spieler. Vielleicht war ich nur seine Marionette. Das war der Grund, wieso ich an jenem Abend fort ging und Siren folgte mir weder, noch beobachtete er mich. Das waren die größten Fehler, die wir beide je begangen haben. Kapitel 5: Kapitel fünf ----------------------- Wie lang hatte ich das Gefühl vergessen „man selber“ zu sein? Es war so lange her, dass ich mich nicht einmal daran erinnern konnte, wer ich einmal gewesen war. Ich hatte geglaubt mich nie wieder zu verändern, nachdem ich gestorben bin. Mein Körper würde nie altern, keine Falte würde mein Gesicht entstellen und meine zarten Hände würden ewig schlank und schneeweiß sein, wenn sie den Körper einer todgeweihten Frau entlang fuhren, der ich vorlog, sie wäre mehr für mich, als ein kurzes und blutiges Abenteuer. Mein Gesicht würde ewig von jenen kupferroten Agen entstellt werden, die mich mehr als alles andere, als ein Wesen kennzeichneten, dass nicht in diese Welt gehörte. Lediglich der Ausdruck hinter den Lidern begann sich zu verändern. Sie waren kraftlos und leidenschaftslos geworden und von einer stechenden Art, die ich von Siren kannte. Nun spiegelten sich ebenfalls der Ausdruck maßloser Trauer in ihnen wieder und ich verstand nicht einmal, wieso ich derart traurig war, als ich auf dem Grund des Kupferbechers in die schwarz spiegelnde alkoholische Flüssigkeit starrte. Ein Teil meines Gesichtes wurde in ihr wieder gespiegelt und mir gefiel nicht, was ich sah. Es war nicht logisch sich verraten zu fühlen. Siren hatte nichts anderes getan als das, was er seit Jahrhunderten vor meiner Zeit getan hatte. Er hatte gejagt. Er hatte mich nicht einmal verraten. Wieso fühlte ich mich also so? Ich wusste, dass er mich allein für meine neuerliche überhastete Flucht aus dem Anwesen töten konnte. Was noch schlimmer war, war das Bewusstsein, dass es durchaus sein gutes Recht und meine Schuld sein würde, wenn es geschah. Ich war es immerhin, der durch seine Flucht einen Verrat begangen hatte. Ich war es, der in einer Slumkneipe saß und sich betrank, um nicht mehr denken zu müssen. Ich war in die Robe des Bettlers gekleidet, die ich vor zwei Monden von Nathalya bekommen hatte. Ich und nicht Siren saß hier in der Hoffnung eine Frau wieder zu sehen, für die ich keine Liebe empfand. „Michael?“ Es war die Wirtin. „Mein Name ist ASKIAN!“, versetzte ich ihr gereizt und sie taumelte zurück, als wäre ein Schlag in meinen Worten gewesen. Dann nahm sie den geleerten Becher vor mir und sah mich entschuldigend an. Sie ging und brachte einen vollen Becher zurück, ohne, dass ich es hätte verlangen müssen. Nach einer Stunde war es beinahe ein Ritual geworden. In ihrem Blick lag eine Mischung aus Wut und Verständnis über meine Worte. „Sie ist oben.“, sagte die Wirtin sichtlich bemüht ihrer Stimme nicht die Emotionen anmerken zu lassen. Ich kam bitter zu dem Schluss, dass ich mich in einem Punkt über Nathalya getäuscht hatte. Es war mir vorgekommen, als könnte diese Frau direkt durch mich durch sehen. Nun fiel mir mit einer beinahe bitteren Genugtuung auf, dass es scheinbar niemandem schwer fiel zu erraten, was ich im Sinn hatte. Jeder wusste, was ich wollte, außer mir selber. Ich lachte und wusste selbst nicht genau wieso. Ein leichter Schwindel hatte sich meiner bemächtigt. Ich wusste, ich würde dich verlieren. Ich wusste es und ich habe nichts getan. Wieso? Wieso erwartete ich, dass du von dir aus zurückkehren würdest, obwohl ich nicht daran zweifelte, dass du es nicht tun würdest? Wieso war mir das auf einmal so wichtig? Wieso wollte ich deine Liebe? Ich begann zu fühlen, wie ein Mensch, in dem Wissen, dass mich das töten würde. Es wurde mir langsam egal. Ein einsames Leben wäre weit grausamer gewesen hätte ich es weiterführen müssen, nachdem du fort sein würdest. „Wieso bist du hier her gekommen?“ Nathalya sah mich nicht an, aber ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ich selbst stand in der Tür und hatte mich an den Rahmen gelehnt. Ich wusste, dass ich betrunken war und versuchte krampfhaft und erfolglos es mir nicht anmerken zu lassen. „Ich wollte dich wieder sehen.“, sagte ich und hoffte, dass sie es zumindest meiner Stimme nicht anmerken würde, oder zu viel in diese Worte hinein interpretieren mochte. „Ich hatte schon geglaubt…“ Sie stockte und lächelte. Aus irgendeinem Grund drehte sie sich weg und ihre rotbraunen Locken fielen in sanften Kaskaden über ihre weißen Schultern. Nun sah sie mich erneut an und ich sah keine Wut und keinen Vorwurf in ihrem Blick. Es war nichts in ihrer gesamten Art, das mich hätte zurückschrecken lassen. Es war nichts an ihr, dass mich an Siren erinnerte. Ich musste nun auch lächeln. „Du dachtest, ich wäre wütend, oder zu geschockt, um jemals zurück zu kommen.“, schloss ich. „Ja.“ Sie senkten den Blick und wurde auf einmal ernst. „Es ist sehr lange her, seit wir uns zuletzt gesehen haben.“ Ich unterbrach sie: „Es lag nicht an dir, ich…“ „Doch.“ Nathalya’s Lippen verzogen sich zu einem gespielten Grinsen. „Doch, es lag an mir.“ Eine kurze Pause und ich trat einige Schritte auf sie zu, als sie fort fuhr: „Und weißt du: Es tut mir wirklich Leid.“ Sie sprach es trocken aus, aber ein leichtes zittern in ihrer Stimmer verriet ihre innere Erregung. Ihre Wangen glühten rot und sie trug ein einfaches rotes Kleid, das mit einem simplen, aber edel wirkenden Gürtel an der Hüfte zusammen geschnürt war. Ich berührte sanft den Stoff an ihrem Arm und überlegte beinahe schon aus Gewohnheit, um welche Art Stoff es sich handeln mochte. „Es ist zu rau für eine derart weiche Haut.“, schoss es mir durch den Kopf, als ich bemerkte, dass sie mich aufmerksam beobachtete. Schnell zog ich die Hand zurück und blickte ertappt zu Boden. „Warum bist du hier?“, fragte sie. Ich überlegte kurz, ob ein Vorwurf in ihrer Stimme lag und fand kein Zeichen dafür. „Braucht ein Freund einen Grund, um Sehnsucht zu haben?“, fragte ich und biss mir gleich darauf heftig auf die Zunge. Es war eine jener Antworten, die ich einem Opfer gegeben hätte. Es war eine Antwort, wie sie nur für Frauen gemacht war, die ich ermorden würde. Das Schlimmste aber war, dass sie keine Wahrheit enthielten. Ich hatte mich nicht nach ihr gesehnt. Ich wollte mich an Siren rächen, indem ich sie wieder sah, und genau aus dem Grund war ich hier. Ich war hier, weil ich instinktiv gewusst hatte, dass ich ihn so am meisten verletzen konnte. – Allein sie wieder zu sehen und ihren Geruch an mir zu haben würde ihn beinahe Wahnsinnig machen und ich wollte ihn wütend und gebrochen sehen. Was ich nun mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wut auf mich selber bemerkte war, dass Nathalya meinen Worten Glauben schenkte. – Schlimmer war, dass sie sich darüber freuen mochte. Dann drehte sie sich von mir weg zum Fenster. Es lag keine Feindseeligkeit in ihrer Geste, aber ich hatte das Gefühl, dass sie letzten Endes doch erkannt hatte, dass ich mir lediglich der gewöhnten Sprache der Adligen bedient hatte, die schön, aber oft übertrieben ist. Nathalya muss gewusst haben, dass wenn meine Wortwahl schon nicht lügnerisch, so doch übertrieben war. Sie blickte aus dem glaslosen Fenster auf das Treiben unter ihr in der Gasse. Die Sonne war bereits untergegangen und bis auch das Leuchten von der Gaststätte in der wir und befanden schlug uns eine schwarze Wand aus kalter Nacht entgegen. Ohne es zu wissen war ich dicht hinter sie getreten und ich roch das Blut, das unaufhörlich in ihren Venen pulsierte. Ich stellte mir vor, wie ich ihren Hals entlang strich, ihre Lippen berührte und ihre weiche Haut liebkoste, bevor ich ihr die Kehle zerreißen würde. Schlagartig zwang ich mich zur Vernunft. Die Vorstellung war zu real gewesen und zu greifbar. Der Geruch ihres Blutes blieb, doch war nichts geschehen. Ich durfte Nathalya nicht töten. Es hieße Siren Recht zu geben. Ein Teil meines Ichs versuchte mir einzureden, dass es richtig wäre ihm zu dienen. Es war ein Teil, der viel älter war als ich selber. Es war der verfluchte Teil meines vampirischen Ichs. „Nathalya.“, meine Stimme erstarb beinahe und ich fühlte mich, als würde ich den Kampf verlieren. Ich versuchte mit aller Macht mich selbst zu zähmen und etwas in mir sträubte sich dagegen. Ruckartig drehte sich die Frau zu mir um und ich spürte den leichten Lufthauch ihrer Bewegung genau so, wie ich das leichte Rascheln ihrer Kleidung vernahm und für einen einzelnen Moment ihre Lider wie Schmetterlingsflügel flattern sah. Sie strich mir mit einer Hand über den rauen Stoff an meinem Oberarm. „Du hast dazugelernt.“, sagte sie, während sie weiter mit ihrer Hand die Stofffetzen an meinem Oberkörper entlang fuhr. Ich spürte einen seltsamen schauer meinen Körper herunterschießen und schloss die Augen. Meine Gedanken waren nicht mehr klar. Eigentlich war mir zu diesem Zeitpunkt schon alles egal. Zärtlich nahm sie mein Gesicht in beide Hände und ihre warme Haut fühlte sich an wie jene Sonne, die mein Gesicht nie wieder streicheln würde. Sie zog mein Gesicht zu sich herab. Ich ließ sie gewähren. Ich wollte ihr Blut mehr denn je und ich wusste, dass ich nun jeden Kampf verloren hatte. Ihre Lippen berührten die meinen. Eine kurze Berührung und nicht mehr. Als hätte sie Angst, ich könnte erneut vor ihr fliehen. Stattdessen erwiderte ich ihre Berührung und dachte an nichts mehr als Blut, während ich versuchte mich zu wehren. Ich fuhr ihren schlanken schneeweißen Hals entlang und spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann. Dann wurde mein Kuss zunehmend fordernder und wilder. Ich fühlte kaum, wie sie mich auf das Bett mit dem unordentlich zusammengeworfenen Haufen Decken zuschob. Sie zog mich zu sich herunterund ich stützte mich mit beiden Armen ab, als sie sich hinlegte. Eine Hand fuhr ihren Körper entlang, begann ihre weiche Brust zu streicheln und ungeduldig den blutroten Stoff beiseite zu schieben. Wie Seide glitten die Träger ihre Schultern herab und entblößten Hals, Schultern und Brust. Ich küsste die Seite ihres Gesichtes und fuhr mit meinen Lippen den Hals entlang. Es war die gewohnte Bewegung, aber etwas hielt mich davon ab den Biss auszuführen, den ich mir so sehr sehnte. Als ich sanft die leicht nach inen gewölbte Fläche ihrer Schlüsselbeine küsste wusste ich, dass ich sie wollte. – nicht ihr Blut. Die einsamen Gänge der Villa hallten nach, als ich durch die Hallen des Anwesens schritt. Dies hatte ich mir aufgebaut. Mein Königreich begann zu verstauben und zu enden, wie alles enden musste. Die Stadt, die unter den Fenstern aus Glas glänzte und lebte war so gut wie mein, da ich alles mit ihren Bewohnern tun konnte, was mir zu tun beliebte. In der Hand hielt ich einen Schlüssel. Er golden, doch vermutlich aus einem weit weniger edlen Material. Niemand hörte jene Schritte, die ich Stockwerk um Stockwerk tat, bis ich an einer letzten mit Samt ausgelegten Treppe stand und mich scheute die Stufen zu betreten. Wieso sollte ich es überhaupt tun? Etwas trieb mich dort hinauf. Etwas begann an meinem Herzen zu nagen und eine seltsame Melancholie hatte mich befallen. Ich kann es nicht anders ausdrücken – ich war traurig. Tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich auf die eine oder andere Art sterben würde. Tief in meinem Herzen hatte sich etwas geregt und ich bemerkte es eher mit Furcht, als mit der gewohnten Wut. Ich war nicht mehr vollkommen kalt. Es war ein Gefühl, das ich nicht benennen konnte und das sich stetig in mir regte und mich folterte. Vielleicht war es Mitleid? Nein. Es ging weit tiefer. Ich schritt Stufe um Stufe empor und begann zu zählen. Die Stufen erschienen mir wie verlorene Sekunden eines endlosen Lebens. Jede Sekunde breitete sich die Frage in meinem Kopf aus, wie eine giftige Krankheit. „Warum hast du das getan, Siren?“ Am Ende der Treppe lag eine Ebenholztür. Vollkommen schwarz und das Schloss glänzte unnatürlich hell. Es trug die Farbe des Schlüssels und wie ich wusste, war dies kein Zufall. Der Schlüssel selbst hatte an seinem Ende die Form eines Kleeblattes und als ich das gezackte Ende in das Schloss senkte und die Hand ausstreckte zögerte ich. Wieso tust du dies? Ich streckte die Hand aus, wollte den Schlüssel drehen, aber hielt inne, als ich den Modergeruch wahrnahm. Hätte ich zu einem früheren Zeitpunkt genau so reagiert? Irgendwie genoss ich das Gefühl, das mein Herz zerriss und dessen Namen ich nicht kannte. Mit einem Anflug von hohn auf meine eigene Schwäche ergriff ich den Schlüssel nun und drehte ihn betont leichtfertig. Die Tür schnappte auf. Wie von Geisterhand öffnete sie sich einen Spalt weit und die alten Metallscharniere stöhnten auf, wie nach einem langjährigen Schlaf. Ich war nicht in diesem Raum gewesen, seit ich aus Frankreich hierher gekommen war. Aus irgendeinem Grund war es mir nie auch nur in den Sinn gekommen hier aufzuräumen, oder zumindest einen Blick hinein zu tun. Mit der Zeit hatte ich vergessen, dass dieser Raum überhaupt existierte. Wieso hatte ich mich heute daran erinnert und nicht an einem anderen Tag? Wieso hatte ich das getan? Ich stieß die Tür auf. Ich war der Antwort nahe. Dunkelheit schlug mir entgegen, wie der Schleier einer Witwe im Morgennebel eines kalten Winterabends. Der Geruch des Todes lag über diesem Ort und mit einem seltsamen zögern des Bedauerns wurde mir bewusst: Dieses Gefühl in mir war Reue. Sofort stieg eine Welle wütender Eitelkeit in mir auf. Wie konnte ich es wagen mich derart herab zu lassen und Reue für Menschen zu empfinden? Diese Wesen waren – vollkommen wehrlos. Trauer kämpfte nun jedes Gefühl nieder und ich blieb vollkommen still. Meine Augen gewöhnten sich langsam an das matte Dunkel und wie unter einer Samtdecke lag grau und fremd der alte Raum vor mir. Ein Schlafzimmer war es, mit einem roten Teppich, wie ich mich erinnerte. Ich hatte ihn gesehen, als ich aus Frankreich hierher kam, doch nun hatte die Dunkelheit jede Farbe verschluckt. Er war grau, wie der Rest des Raumes. Einzig die Flecken, die in dunklerem grau erschienen, ließen vermuten, dass hier einst Blut geflossen war. Über dem Teppich stand ein Bett mit einem Himmel, dessen zerfetzter Stoff wie die Fahne eines Standartenträgers im Lufthauch wehte und bei den Leichen eine grausame Totenwache hielt. Ich trat in die Stille des Raumes ein und sofort wurde mein Körper von der matten Trostlosigkeit der Nacht ergriffen. Ich bemerkte nicht, wie sich in meinen Augen Tränen sammelten, die ich seit Jahrhunderten nicht mehr vergossen hatte. Ich mied den Blick auf das Bett. Ich war nicht bereit dazu zu sehen, was ich selbst getan hatte. Mir wurde von dem Geruch übel. Dennoch konnte ich auch nicht mehr zurückgehen, denn die Tür, die nun aufgestoßen war, konnte nur hier wieder verschlossen werden. Ich ging an der Kommode vorbei auf das offene Fenster zu. Auch dies war seit nun beinahe sechs Jahren nicht geschlossen worden. Ein paar Scherben lagen auf dem Boden und zerbrachen knirschend unter meinen Schuhsohlen ein weiteres Mal. Ich befühlte das Loch in der Scheibe. Es war ein Andenken an einen längst vergangenen Sturm, in dem niemand im Raum gewesen war, der das Fenster hätte schließen können. Mein Zeigefinger fuhr eine der dornenartigen Scherben im Rahmen nach und ich schnitt mich, ohne den Schmerz zu fühlen, bevor das Blut aus der Wunde trat und ein Tropfen auf den staubigen Boden fiel. Ich schob sanft den Vorhang zur Seite und ließ das Licht eines beinahe vollen Mondes in den Raum fluten. Ich empfand eine Befriedigung bei der Betrachtung der nahezu runden und doch unvollständigen Lichtscheibe am Himmel. Sie war unvollkommen, wie alles Leben, das sich unter ihr abspielte. Ich drehte mich um. Zunächst fiel mein Blick auf die goldenen Kämme, auf der Kommode hinter der sich ein Spiegel befand. Dann erstarrte ich, als mein Blick auf diesen fiel und ich die verwesenden Leichen auf dem Bett gewahr wurde. Irgendwie hatten sie in meiner Vorstellung ausgesehen, als wären sie unangetastet, wie am Tag ihres Todes – nur durch die klaffenden Wunden in der Kehle als Leichen zu deuten. Mir war nie der Gedanke gekommen, was Zeit und ein offenes Fenster mit den Körpern der alten Hausbesitzer anrichten konnte. Sie lagen noch da, wie ich sie zurück gelassen hatte und waren doch vollkommen verändert. Die Frau in einem einstmals weißen Kleid, das stellenweise so sehr mit getrocknetem Blut getränkt war, dass es schwarz schien. Der Mund des Mannes klaffte auf, wie zu einem letzten Todesschrei. Als ich ihn zurück ließ, war er geschlossen! In meiner Panik fuhr ich zum Bett herum und war mir vollkommen sicher, dass er sich in meiner Abwesenheit bewegt haben musste. Seine leeren Augenhöhlen starrten mich an und es war nicht zu übersehen, dass irgendein Tier, vielleicht ein Rabe, an seinem Gesicht und den fleckigen aufgequollenen Händen gefressen haben musste. Ich hielt mich am Fensterrahmen fest und spürte nicht, wie ich mir die Hand zerschnitt, als ich erkannte, dass der Mund nicht offen stand, sondern lediglich die Lippen von den Knochen genagt worden waren. Eine kurze Ohnmacht befiel mich. Zu kurz, um mich in die Knie zu zwingen, aber lange genug, um mir einen Traum zu schicken, in dem sich die kalte Hand des Mannes mit unnatürlich ruckartigen Bewegungen aus den Kissen hervorstreckte. Nun konnte ich meine Panik nicht mehr zügeln. Ich wollte nicht an den Körpern vorbei, die mich aus dem Spiegel und vom Bett aus von allen Seiten anstarren würden. Dennoch konnte ich nicht bleiben. Ich schloss die Augen und hastete mit einem einzigen schnellen Satz aus dem Raum. Ich schmiss die Tür hinter mir zu und versuchte den Schlüssel zu drehen, unfähig mein Zittern zu verbergen. Wieso hatte ich sie getötet und nicht einfach fortgejagt? Wieso war ich nicht einfach in Frankreich geblieben? Als ich zum dritten Mal versuchte den Schlüssel zu drehen, schnappte das Schloss endlich zu. Ich zog die Hand zurück und riss den Schlüssel dabei heraus. Er fiel scheppernd zu Boden. Ich unterdrückte den Impuls ihn aufzuheben, ohne mir dessen bewusst zu sein und stolperte die Treppe herunter. – Taumelte die Gänge endlang und weiter, bis ich durch die Stockwerke hinunter in die große Eingangshalle kam. Ich wollte raus und bekam keine Luft mehr. Als Askian mich fand, lag ich auf dem Steinboden unter der Treppe und rührte mich nicht mehr. Ich wusste nicht, was geschehen war, aber ein Teil von mir registrierte sofort, dass Siren körperlich eigentlich gesund war. Der Gedanke, dass er von der Begebenheit zwischen mir und Nathalya erfahren hatte, kam mir und mir wurde erst heiß, dann schneidend kalt. Ich sah mich noch, wie ich der Schlafenden über das zerzauste Haar strich. Es hatte die Farbe getrockneten Blutes gehabt. Ich ließ einige Goldstücke auf der Kommode zurück und verließ das Zimmer, wie ein Verbrecher oder schlimmer noch: Als wäre ich nichts weiter als ihr Freier gewesen – und ich wusste ich war mehr für sie. Doch die Gedanken an diese Dinge erreichten nur einen unbewussten Teil meines Denkens, denn vor mir lag Siren und rührte sich nicht. Ich wusste nicht, was genau geschehen war und ein Anflug von Panik schlich sich in mein Herz. Ich legte meine Hand auf seine Stirn und bemerkte, dass er meine Berührung spürte, denn er bewegte sich leicht und unruhig. Sein Körper war zu warm. – Ihm musste kalt sein. Nachdem ich nun den ersten Teil meines Schocks überwunden hatte, begann mein Denken praktischer Natur zu werden. Ich stand auf und ging mit schnellen Schritten hinüber in den Wohnbereich. Ich war zu schwach, um siren zu tragen, aber ich musste ihn warm halten. Also kam ich mit einer Decke zurück und versuchte so gut es ging den Ohnmächtigen damit zu umwickeln. Dann setzte ich mich eine Weile neben ihm und strich durch seine schweißnassen Haare. Sie hingen wild in seinem Gesicht. Er atmete hörbar aus, aber erwachte nicht. Ich schüttelte ihn leicht und bekam wieder keine erkennbare Reaktion. Kurze Zeit blickte ich mich hilflos im Haus um, dann stand ich auf. Dieses Mal führte mich mein Weg ins Kutschenhaus. Ich war nicht wirklich überrascht, dass Sirens Kutscher wie eine Statue in dem fahrbereiten Wagen saß und mich mit ernster Miene musterte, als wäre ich ein Eindringling. Ich wollte mich gar nicht fragen, was für eine Art Wesen er sein mochte, aber aus meinen flüchtigen Begegnungen mit ihm wusste ich immerhin, dass er ein Sklave Sirens und kein Mensch war. Siren hätte nie einen Menschen für sich arbeiten lassen und sei er auch noch so fähig. Ebenso die kaltblütigen Pferde schienen mir unnatürlich und erinnerten wegen ihrer blassen Färbung und der blutroten Auge an die beiden Hunde, die Siren am Tag meiner Erschaffung auf den kleinen Jungen gehetzt hatte. Mir wurde kalt bei dem Gedanken daran, doch ich fing mich, als ich den bohrenden Blick des Kutschers auf meiner Haut spürte. Sein Gesicht war hart, beinahe grobschlächtig und eine breite Narbe lief an seiner linken Gesichtshälfte herunter. Das tiefschwarze Auge unter der Narbe schien blind und erinnerte an einen Obsidian - Vielleicht war es auch einer - Organischen Ursprunges schien es nicht zu sein. Der Riese schien unter dem schwarzen Mantel weniger muskulös als er war. „Du!“, sagte ich und versuchte meine Stimme so herrisch wie irgend möglich klingen zu lassen. Es gelang mir in Anbetracht der Umstände recht gut, dennoch lächelte der Kutscher höhnisch, als er meine Unsicherheit und sie Angst in meiner Stimme hörte. Er wusste nicht, dass es nicht ihm galt und meine Wut auf ihn wuchs. „Ich brauche dich! Steig ab!“, sagte ich. Der Mann grinste breit und sein fauliger Atem schlug mir entgegen. „Nur mein Herr und Meister kann mir Befehle erteilen!“, kam die Antwort und seine Hände fassten die Zügel fester. Für einen kurzen Moment glaubte ich, er wolle gleich die Pferde antreiben. „DEIN HERR braucht dich!“, zischte ich und war kurz versucht diesem Mann auch noch den Rest seines ohnehin zerstörten Gesichtes zu zerkratzen. Das Lächeln indes erstarb. Ich wusste, dass ich nun die Oberhand hatte. Ein kurzer Blickwechsel und dann stieg er ab, um mir ins Haus zu folgen. Als er Siren sah, musste ich nichts mehr sagen. Der Kutscher hob ihn mit einer beinahe liebevollen Geste auf, als habe sein Meister kein Gewicht und stieg die Treppen zu den Schlafkammern hinauf. Im Gehen murmelte er, ohne sich umzudrehen: „Mach dir keine Gedanken. Mein Meister ist stark, aber bisweilen verträgt er sein eigenes Wesen nicht mehr. Es geschieht nicht oft, aber manchmal braucht er ein paar Tage Ruhe, bevor er wieder…“ Seine Worte danach verstand ich nicht mehr, doch ich wusste, das der letzte Teil des Satzes „…bevor er wieder ein Monster sein kann.“ Lauten mussten. Ich blieb eine Weile am Fuß der Treppe stehen. – Verwirrt über meinen eigenen Gefühlswandel und verwirrt über das veränderte Verhalten des Kutschers mir gegenüber. Hätte der Mann mir nicht gehorcht, hätte ich ihn getötet – wohl eher versucht ihn zu töten, denn obgleich ich ein Vampir war bezweifelte ich, dass ich seiner Stärke hätte beikommen können. Was war nur in mich gefahren? Ich gab mir die Antwort gleich darauf selber: Ich hatte Durst. Da ich den Abend… bei Nathalya verbracht hatte, obwohl ich hätte trinken sollen, war ich nun nahe daran die Beherrschung über mich zu verlieren. Was auch immer Siren widerfahren war, ich war mir sicher, es hatte mit meiner Untreue zu tun. Weiter ging mein Denken damals nicht und ich hätte vermutlich nicht einmal, wenn man es mir gesagt hätte, geglaubt, dass Siren lediglich seine eigenen menschlichen Gefühle nicht vertragen konnte. Er erwachte erst in den Abendstunden. Ich lag an seine Brust gepresst auf dem Bett und schlief beinahe, als er langsam begann sich zu regen. Sofort war ich hell wach und beobachtete, wie er seine verklebten Lider scheinbar unter Auferbietung all seiner Kräfte öffnete. In seinem Blick lag Fieber und reine Hoffnungslosigkeit. Mich beschlich einmal mehr das Gefühl, dass er um meinen Verrat wusste, aber ich sagte nichts, sondern beobachtete ihn nur schweigend. Er öffnete kurz den Mund, um etwas zu sagen, verstummte dann aber. Ich strich ihm durch das Haar und über das offene Hemd und bemerkte, dass sein Fieber nicht gesunken war. Eine Schleiereule zerriss die Stille und die Augen meines Meisters fielen erneut zu. Sein Fieber sank am folgenden Tag nicht. Auch seine Stimme hatte er nicht wieder gefunden. Er trank von mir und ich jagte für zwei, während er immer wieder von Alpträumen geschüttelt wurde. Ich weckte ihn zunächst aus diesen, bis ich erkannte, dass es keinen Zweck hatte und, dass er die Kräfte, die ihm dieser unruhige Schlaf brachte brauchen würde. In der dritten Nacht trieb mich der Durst erneut hinaus und ich beauftragte den Kutscher auf Siren Acht zu geben. Er folgte meinem Ruf bereitwillig und ohne Zögern. Ansonsten wartete er wie gewohnt im Kutschenhaus. Als ich in das Anwesen zurückkehrte, war Mitternacht lange um. Ich hatte das Haus in einem roten Hemd bekleidet verlassen, das nun von unzähligen dunklen Flecken übersäht war. Es war mir vollkommen gleichgültig. Gegenüber meinen Opfern hatte ich mit den Jahren jedes Gefühl verloren. Ich bemerkte Nathalya zunächst nicht, als ich den Empfangsbereich betrat. Sie hatte sich auf ein königsblaues Liegesofa an der hintersten Ecke des Raumes gesetzt und wirkte seltsam deplatziert in ihrer Leinengewandung. Ihre Augen waren tief und ich spürte, wie ich errötete, als ich an die Nacht mit ihr dachte, die nie hätte geschehen dürfen. „Ich wollte dir dies zurückbringen.“, meinte sie und holte einen Beutel mit Goldmünzen hervor. „Ich will sie nicht.“ Das letzte hatte sie mit einer Bestimmtheit gesprochen, die keinen Gegenspruch erlaubte. „Wie hast du mich gefunden?“, fragte ich und schloss den Mantel über den Blutflecken. Sie registrierte die Bewegung und sagte nichts, obwohl ich das Gefühl hatte, dass sie wusste, was es war. Stattdessen antwortete sie: „Es ist nicht schwer dich zu finden.“ Ihr Lachen klang hohl und trocken. „Askian und Siren sind selten in London und noch seltener hier.“ Sie machte eine ausladende Bewegung, die mich, den Raum und das ganze Viertel der Reichen einschloss. „Warum bist du gekommen?“, fragte ich sie und blieb in einiger Entfernung von ihr stehen – unschlüssig, was nun zu tun sei. Nathalya jedoch schritt auf mich zu und als sie auf meiner Höhe war, sagte sie: „Genügt es nicht, dass ich Sehnsucht nach einem Freund hatte?“ Sie sah an mir vorbei. Es war keine Lüge in ihrer Stime und meine Kehle wurde vollkommen trocken. Die Frau schien kurz zu überlegen, ob sie die Klinke des Hauseinganges greifen sollte, doch dann drehte sie sich noch einmal um und sagte zitternd. „Weißt du, Askian… Ich bin mir bewusst, dass du mich niemals lieben kannst.“ Sie schwieg und obwohl sie mir den Rücken zugewandt hatte wusste ich, dass sie weinte und ich spürte trotz allem etwas Warmes von ihr ausgehen. „Das ist nicht meine und nicht deine Schuld.“ Nun schluchzte sie und ich wäre gerne zu ihr gegangen, um sie zu trösten, doch das, was zwischen uns vorgefallen war, versperrte mir jeden Weg zu ihr, sodass ich nur stehen bleiben konnte, um rein gar nichts zu tun. „Aber ich liebe dich.“, sagte Nathalya und im Bruchteil einer Sekunde wurde ich mit bewusst, wie sehr ich mich vor diesen Worten gefürchtet hatte und das genau sie der Grund waren, wieso ich so früh von ihr gegangen war, um sie nie wieder zu sehen. Mein Blick streifte den kleinen Lederbeutel, der auf dem Tisch neben dem Liegesofa lag. Ich hatte es ihr gegeben, damit sie aus den Slums rauskommen konnte. Wieso nahm sie es nur nicht an? Zuneigund und Sorge und mein eigenes schlechtes Gewissen kämpften um die Vorherrschaft meiner Gefühle. „Ich…“, begann ich und drehte mich zu Nathalya um. Sie stand noch immer weinend zwischen mir und der Tür ins Freie. Der Bann war gebrochen. Ich ging auf sie zu und schloss sie in die Arme. Sie krallte sich an mich, doch es war keine Leidenschaft in dieser Umarmung, sondern nichts als Trauer. Ich wusste, dass ich sie nie wieder sehen wollte. Sie weinte lange und als ihre Tränen versiegten, sah ich sie zu mir und lächelte leicht. „Danke.“, sagte sie und strich mir über die Wange. Auf ihrer Hand erkannte ich Spritzer halb getrockneten Blutes und fuhr über mein Gesicht. Ich wusste nicht, ob sie erkannt hatte, dass es Blut war, aber sie musste es die ganze Zeit gesehen haben. Was mochte sie denken? Sie schien weder argwöhnisch, noch überrascht. Sie drehte sich nur um und öffnete die Tür. „Lebwohl, Askian.“, sagte sie „Wir werden uns nicht wieder sehen, oder?“ Ich nickte leicht, doch Nathalya sah es nicht. Dennoch wiederholte sie meine Geste mit einer seltsamen Befreiung. Ich musste erkennen, dass ich selbst mich nicht freier fühlte. Eher beengt. Die Tür schloss sich mit einem leisen klicken und Nathalya ließ mich alleine in der großen Halle zurück. „Verzeih mir, Askian.“, meine Stimme klang schwach. Sie klang derart schwach, dass ich mich vor mir selber schämte. „Wieso verzeihen?“ „Weil ich dich hätte töten sollen.“, antwortete ich und versuchte mich zu regen. Ich erinnerte mich vage an eine Reihe von unzusammenhängenden Alpträumen. Eine Hand, die sich nach mir ausstreckte, ein Todesschrei und das bleiche Gesicht des Verwesenden, dessen Augenhöhlen mich aus der Dunkelheit heraus belauerten. Dies alles war Realität. Askian blieb mit einer Antwort schuldig, aber ich spürt seine Hände auf meinem Körper. Auf eine gewisse Art und Weise war das tröstend. Irgendetwas an ihm war anders. Schlagartig kam mir das Bild des zerschellenden Kruges zu Bewusstsein. Es schien so lange her zu sein, aber wir hatten nie darüber reden können. Er hatte mich verlassen. Er war mein Eigentum. Askian hätte das nicht wagen dürfen. Ich versuchte mich auf zu richten, aber seine Hände hielten mich zurück. – drückten mich in die Kissen. Eine Welle blinder Wut stieg in mir auf. Wie konnte er sich anmaßen mich so zu behandeln und mir mit seinen Gesten Vorschriften zu machen. Ich fasste seine Hand. Sogar mir kam der Händedruck vollkommen kraftlos vor, dennoch schien er die Feinseligkeit der Geste deutlich zu spüren, denn er zog die Hände zurück. „Was ist los? Was ist dir passiert, Siren?“ Keine Antwort. Ich war mir sicher, dass er hätte antworten können, aber er wollte es nicht. Es musste etwas mit mir zu tun haben? – Womit auch sonst? Ich war mir vollkommen sicher, dass er wusste, was mit mir und Nathalya passiert war. Ich hatte mir oft vorgestellt, was ich sagen würde, wenn er mich darauf ansprach. Letzten Endes führte mich jedes dieser simulierten Gespräche zu nur einem Schluss: Siren würde verlangen, dass ich Nathalya tötete. Er würde dafür sorgen, dass sie ihm nie wieder schaden konnte. „Es tut mir so leid und ich weiß, das sollte es nicht.“ Sirens Stimme war so verändert. Er war vollkommen im Fieberwahn gefangen und schien zugleich menschlicher, als je zuvor. Ich wusste nicht, wie ich auf ihn reagieren sollte. Als ich am nächsten Abend erwachste, war Siren bereits aufgestanden. Er trocknete sich die Haare mit einem schneeweißen Tuch und auf seiner Haut glitzerten Wassertropfen in der untergehenden Sonne. „Du bist wach?“, fragte er und ein befremdliches Lächeln huschte über sein Gesicht, um sofort aus seinen Zügen verbannt zu werden. „Was ist dir geschehen?“ Ich stellte diese Frage mittlerweile beinahe scvhon aus Gewohnheit und erwartete auch dieses Mal nicht mehr eine Antwort zu erhalten. Siren schwieg erwartungsgemäß und sah in die Äste eines Baumes vor dem Fenster. Ich stand auf. „Lass mich dir helfen!“, flehte ich und nahm ihm das Tuch aus der Hand, um seinen Rücken ab zu trocknen. Er genoss es und mir machte es nichts aus, dass er nicht sprach. Da solche Augenblicke zwischen uns selten waren, vergaß auch ich alles, was uns umgab. Dennoch schien sein schweigen zu sagen: „Du kannst mir nicht helfen. Niemand kann das.“ Ein seltsamer Schauer überkam mich und mir wurde auf einmal vollkommen bewusst, dass außer mir und Siren niemand mehr da war. Es war eher ein beängstigendes Gefühl, denn ich wusste, dass Siren nie eine weitere Person an meiner Seite dulden würde. Ich war alleine. Ich redete mir ein, dass ich auch Nathalya in den Jahrhunderten vor mir und Siren vergessen würde – schon diese Zeit machte mir Angst. Urplötzlich hielt Siren mir den Lederbeutel hin. „Was ist das?“ Seine Stimme war nicht schneidend, aber die Worte hatten etwas Bedrohliches, trotz der Ruhe mit der sie gesprochen wurden. Ich hatte vergessen den Beutel aus der Eingangshalle zu entfernen. „Ich…“, ich hielt inne. Ich wollte ihn nicht anlügen, aber die Wahrheit wäre noch un-erträglicher. „Ich weiß es nicht.“, sagte ich und schlug die Augen dabei nieder. Siren lachte höhnisch und seine Stimme war wie die kalte Luft, die nun durch das Fenster zu strömen schien. Etwas an Siren hatte nun wieder die Kontrolle. Er war wieder der Mann den ich kennen und lieben gelernt hatte. Er hatte nichts Menschliches an sich. Er ging ein paar Schritt um mich herum – katzenhaft – nach Art eines Raubtieres, das seine Beute beäugt, bevor es sie zerreißt. Ich wusste, nun hatte ich nichts mehr zu meiner Verteidigung zu sagen. Wenn er es vor einigen Sekunden nicht vermutet hatte, so wusste Siren nun mit Bestimmtheit, dass ich ihm etwas verschwieg. Wie weit sein Wissen ging würde ich, so wusste ich, vermutlich bald erfahren. „Der Fuhrmann sagte etwas von einer Frau, die ins Anwesen gekommen ist.“ Ich stockte. Das hatte ich nicht erwartet. Ich hatte mir wieder und wieder vorgestellt unter welchen Umständen Siren es erfahren würde, aber ich hätte nie vermutet, dass der Kutscher der Auslöser sein würde. Ich sah Trauer in Sirens Blick, Wut und Argwohn. Dieses Mal war all dies nicht unbegründet. Ich wagte nicht irgendetwas zu tun. „du wirfst mir vor, ich hätte dich verraten.“, begann Siren und seine Stimme wurde aggressiv und unberechenbar böse. „Doch DU bist der Verräter!“ Er schrie jetzt und war den Beutel auf den kalten Steinboden. Klirrend rollten einige Münzen davon. Er drehte sich um und zu meiner Überraschung hörte ich, dass er kaum wahrnehmbar schluchzte, bevor er sich wieder fing. „Es ist diese Hure, oder?“ Er wusste alles und ich wusste genau, was er dachte. Wieso konnte es nicht wenigstens eine Adlige sein? Er trat auf mich zu und ich spürte den ersten Schlag gar nicht, bevor mich der Zweite zu Boden warf. Ich kniete vor Siren, unfähig etwas zu sagen, oder mich zu bewegen. Meine Gedanken waren verwirrt und unklar. Eine Träne rann mein Gesicht herab, ohne, dass ich wirklich traurig war. „Was ist es nur, dass ich ständig das Verlangen habe, dir Schmerzen zu zu fügen?“, fragte ich leise, ohne genau zu bemerken, dass ich den Gedanken aussprach. Siren zog mich grob am Kinn hoch. „Wieso hasst du mich nur so sehr, wo ich dein Leben gerettet habe?“, fragte er und obwohl ich eine Antwort darauf hätte geben können, schwieg ich. Es würde bald vorbei sein. Auf die eine oder andere Art. Blut rann mein Gesicht herab. Du gehörst mir! Schmerzlich wurde mir bewusst, dass, sollte ich jetzt sterben, niemand um mich trauern würde. Sollte ich jetzt sterben wäre mein Leben bestenfalls bedeutungslos. Ich liebe dich so sehr, dass es mir Schmerzen zufügt. „ Du bist vollkommen kalt.“, sagte ich tonlos unter dem Pochen in meinem schmerzenden Kopf. Siren ließ mich zu Boden und schlug mir erneut ins Gesicht. Dieses Mal spürte ich den Schmerz deutlich. „Ich bin ein Vampir.“, sagte Siren. „Halte mich nicht für einen Menschen!“ Ich war hin und hergerissen zwischen Liebe und Angst. Ich hätte ihm so gerne geholfen, oder ihm zumindest vertraut, aber ich wusste, dass Siren seinem Stolz einen Tempel erbaut hatte und niemand würde diesen niederbrennen, nicht einmal ich. „Du bist mein Eigentum.“, sagte Siren und hatte nun seine gesamte Stärke zurück erlangt. Ich wusste, dass er Recht hatte. „Du hast diesen Körper von mir.“ Er hob mich erneut auf die Beine und fuhr mir beinahe liebevoll über die Brust. „Ich habe dir einen Namen gegeben.“ Er schlich um mich herum in ich dachte kurz daran, dass er mich vermutlich in diesem Moment töten würde. Der Messerstich, den ich in meinem Rücken erwartet hätte, blieb aus. Siren blieb hinter mir stehen und ich wagte nicht mich zu rühren. „Sogar deine Gedanken beherrsche ich.“ Wage es nicht mich zu hintergehen. Ich wusste, dass er Recht hatte. „töte sie.“, sagte Siren und ich sah, dass er sich zusammenriss, um nicht zu weinen. Ich sah es und verstand nicht einmal, wieso. „Töte sie, oder ich werde dich vernichten.“ Er sprach, als wäre er innerlich vollkommen tot. Er entfernte sich und seine Stimme hallte dröhnend in meinem Kopf nach. Mein Gesicht fühlte sich an, als wäre es vollkommen zertrümmert, aber der Blick in den Spiegel verriet mir, dass außer einigen Kratzern und Blutergüssen kein Schaden entstanden war. Ich befühlte einen der kleineren sich langsam ausbreitenden Ergüssen auf meinem rechten Wangenknochen und zuckte leicht, bei dem Schmerz, der mich durchfuhr. Seit den Tagen meiner Erschaffung, seit ich noch nicht gelernt hatte mit Siren umzugehen, hatte mich mein Geliebter nicht mehr verletzt. Seltsam klar wurde mir plötzlich bewusst, dass ich Sirens Befehl nicht nachkommen würde. Kapitel 6: Kapitel sechs ------------------------ Ich behandelte die Schwellung unter meinem rechten Auge. Siren war fort. Ich wusste, dass er noch irgendwo in der Villa sein musste, aber sie war groß genug, dass ich keine Gefahr lief ihn zu treffen, wenn er denn nicht wollte. Dennoch suchte ich ihn aus irgendeinem Grund. Mein Weg führte mich in die oberen Etagen und ich blieb eine Weile an den Fenstern stehen, um die Stadt zu beobachten, die scheinbar friedlich unter mir lag. Mir wurde klar, dass dieses Haus wohl eines der höchsten in der Umgebung sein musste. Vielleicht einen Kilometer entfernt sah man ein zweites, das dieses vielleicht überragen mochte. Es war ein seltsames Gefühl der Macht, dass sich in mein Herz schlich und doch wusste ich, dass ich all meine Macht vermutlich verspielt hatte. Ich würde nie wieder in Sirens Gunst stehen. Schließlich erreichte ich einen der größeren Wohnräume. „Wo warst du?“, fragte Siren vollkommen unvermittelt, während er im Halbschatten die Blätter einiger Rosen berührte – scheinbar vollständig in Gedanken versunken. Er lag auf einem roten Sofa, das reich verziert beinahe den Eindruck eines Thrones erweckte. „Ich war hier.“, sagte ich und blieb stehen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht nie wieder die Möglichkeit erhalten würde, ihn um Verzeihung zu bitten. Dennoch konnte ich nichts Anderes tun, als gebannt auf seine Finger zu starren, die mit einer leichten Unruhe über die Blätter der Pflanze strichen. Siren war ein Wesen von unendlicher Schönheit, unsterblich und grausam, wenn er konnte. Ich senkte meinen Kopf leicht. Würde ich ihn jetzt um Verzeihung bitten, würde er einen Weg finden mir weit größere Schmerzen zu zufügen, als er bereits hatte. Schließlich legte Siren die Rose neben sich auf eine der Armlehnen und stand auf. Mit eleganten Schritten bewegte er sich auf mich zu und fuhr mit einer Hand in meinen Nacken, als wolle er mein Genick brechen. Sein schneidender Blick bohrte sich schier in meine Augen und ich konnte ihm nicht standhalten. Als ich weg sah, hob er meinen Kopf mit einer zugleich zärtlichen und wütenden Bewegung. Er sah auf den Bluterguss unter meinem Augen und schien für den Bruchteil einer Sekunde inne zu halten. „Ich habe dich geliebt.“, sagte er und verbesserte sich sofort. „Ich liebe dich.“ Ich wusste, dass er nun das Opfer war und nicht mehr ich. Siren war ein Gefangener seines Selbst. Irgendwie wusste ich, dass ich nichts Schlimmeres hatte tun können, als seinen Stolz derart zu verletzen. Wesen wie Siren besitzen nicht viel mehr als Stolz. Unsterblich gibt es nur ihn und den Körper, der fortbesteht. „Was war mit dir, als ich dich in der Halle gefunden habe?“, fragte ich, denn ich musste es wissen. Siren konnte nicht meinetwegen zusammen gebrochen sein. Er hatte zu jenem Zeitpunkt nicht sicher gewusst, was geschehen war, also musste etwas anderes geschehen sein. „Spar dir dein Mitleid!“, schrie er auf einmal in einem Anfall von Wut, den ich nicht hatte kommen sehen und schleuderte mich herum auf die rote Samtcouch. Ich versuchte mich wieder auf zu stemmen, aber Siren war schneller und packte meinen Arm grob. „Dieses Mal nicht!“, herrschte ich in halb trotzig, halb angsterfüllt an und machte mich auf einen Schlag gefasst. Siren presste meinen Arm mit Gewalt gegen die schwere eiserne Lehne und kümmerte sich nicht darum, dass die Rose herunterglitt. Ich schrie vor Schmerzen auf. „Warum hast du mich verraten?“ Es war eine stille Genugtuung für mich, Siren derart gebrochen zu sehen. Es war schmerzhaft für mein menschliches Ich, aber der sadistische Geist Sirens hatte mittlerweile auch mich in seinem Griff. Dieses Mal war Siren es, der die größeren Schmerzen spürte und vielleicht war er es immer gewesen. Heute würde er verlieren und nicht ich. Ich hatte im den Rest seines schwarzen Herzens gebrochen und verbunden damit vielleicht auch mein Eigenes. „Warum?“, Siren wiederholte seine Frage und ließ meine Hand los. Dann sank er kraftlos ein Stück entfernt neben mich auf das Sofa. Ich suchte seine Nähe, wollte seinen Arm berühren, aber er stieß mich fort. „Es tut mir Leid.“, sagte ich und hatte nun endlich ausgesprochen, was ich schon seit Stunden sagen wollte. - Und wieder war er der Sieger, während ich versuchte nicht schon wieder zu weinen. „Ich will nur wissen, warum.“, fragte Siren wieder, aber wir beide wussten, dass er es eigentlich nicht wissen wollte. Sein Körper kam mir urplötzlich so alt vor und sein Geist war es wohl auch. Schließlich gab er meiner unausgesprochenen bitte nach Berührung nach und strich mir durch meine unordentlichen Haare. Ich schmiegte meinen Kopf an seine Brust und seine Hände fuhren unter mein Hemd. Ich ließ zu, dass sie den Konturen meines Oberkörpers folgten, über die leicht hervorstechenden Rippen und über meine Brust. „Wenn du sie nicht tötest, werdet ihr beide sterben.“, sagte er und nahm meinen Kopf, um mich anzusehen und meine Lippen mit den seinen zu Berühren. [...Hier folgt nun eine explizite Szene, die ich der Welt ersparen möchte, um die ff jugendfrei zu halten... ;-) ] Ich schmiegte mich in dem Wissen bei ihm an, dass ich jetzt nicht mehr zurück konnte und jede Entscheidung, die ich nun fällen mochte für immer mein untotes Leben zeichnen würde. Egal, was ich tat, ich würde es bereuen. Unter diesen Gedanken schlief ich an Sirens Seite und in seinem Armen ein. Ich lasse dich niemals gehen. Tötest du sie nicht, vernichte ich euch beide. Ich erwachte ruckartig aus einem Alptraum und weder Siren, noch die Trunkenheit des Vorabends war noch zu spüren. Licht durchflutete den Raum, doch das Sofa, auf dem ich noch immer lag, war im Schatten der mich umgebenden Wände. Über mich war ein halb durchsichtiges Tuch gebreitet. Zu dünn, um mich zu wärmen, aber es verbarg meinen nackten Körper zumindest halb. Ich fühlte mich auf einmal vollkommen alleine. Ich würde heute zu Nathalya gehen und ich würde sie töten. Und wenn – Mein Gedankengang wurde jäh unterbrochen, als ich daran dachte, mit ihr zu fliehen. Siren hatte mir mein Herz geraubt, aber bestand nicht die Möglichkeit, dass ich es eines Tages zurück erhalten konnte? Schließlich gab ich den verbotenen Gedankengang auf. Fliehen konnte keine Möglichkeit sein. Siren würde mich finden, egal, wo ich war und vielleicht würde ich dann derjenige sein, der von seinen Fehnhunden zerrissen würde. Wenn du sie nicht tötest, tu ich es. Nathalya war dem Tod geweiht. Wenn sie nicht durch mich stürbe, dann durch Siren und selbst, wenn ein Wunder geschähe, hätte sie als Mensch eine nur sehr geringe Lebenserwartung. Im Slumviertel würde diese um vieles verkürzt sein. So erging es den Huren. Ich richtete mich auf und griff nach dem Hemd, das über der Lehne des Sofas lag. Ich zog mich an und dachte nach. Dies war ein ganz normaler Tag. Er hatte nichts Heroisches und nichts Schreckliches an sich. Es war vollkommen einfach – vollkommen normal. Siren war mein Meister, ich hatte ihm zu dienen und ich WÜRDE dies auch tun. Ich griff nach dem Messer und verstaute es in meinem rechten Stiefel. Dein Verrat wog so schwer auf meiner Seele, wie nur hundert Jahre Einsamkeit dies tun konnten und ich dachte alles, woran ich zu glauben begonnen hatte, würde zusammen brechen. Du würdest mich nie mehr hintergehen. Du würdest es nicht wagen. Allein durch den Tod dieser Frau würde meine Seele geheilt werden. Ich begann langsam zu ermessen, was ich mir selbst eingehandelt hatte, als ich begonnen hatte, Gefühle für dich zu entwickeln und Mitleid zu empfinden. Ich war schwach geworden – verletzlich. Wie nicht anders zu erwarten, hattest du die Gelegenheit mich zu zerstören wahrgenommen und genutzt, so, wie es jeder Mensch und jeder Vampir getan hätte, denn sie alle sind von einer zerstörerischen Rasse. Wir bringen kaum Leben hervor, das nicht so zerstörerisch, wie wir selber sind wäre. In den Jahren meines Daseins habe ich viel gesehen. Ich sah den Lauf der Sterne sich verändern und den Abendstern in unendlicher Langsamkeit seinen Standort verändern. Ich sah Kriege und wenige Zeiten des Friedens. Ich habe Heilige und Sünder gesehen, sowie heilige Sünder, denn im Prinzip gibt es keinen Mensch, der sündenfrei ist. Die meisten, die sich als Heilige bezeichnen sind Heuchler. Man nannte mich auch „Geißel der Menschheit“ und sagte mir nach die Pest über alle Länder zu bringen. In Wahrheit habe ich nur ein Gespür dafür entwickelt, wann die nächste käme, denn mit Seuchen ist es, wie mit Kriegen: In der einen oder anderen Form kehren sie immer wieder zurück, Wenn sie einmal gekommen sind, wüten sie beim zweiten Mal nur noch schlimmer.. – So sah ich ganze Reiche zu Staub zerfallen. Man nannte mich „die Rache Gottes an die Sünder“, aber ich habe oftmals keinen Unterschied zwischen schuldig und so genannter Unschuld gemacht. Schuld dagegen ist ohnehin nur der Beschönigte Ausdruck für das Verhalten, dass der Ethik entspricht. Ethik aber ist veränderlich, wie alles in der Welt und so kann morgen Unschuld sein, was heute Sünde ist. Wahrheit gibt es bei der Auslegung von solchen Worten wie „Sünde“ und „heiliger Pflicht“ ohnehin selten. Mord ist einmal gottgewollt und ein anderes Mal Sünde. – Menschen sind so kompliziert und unverständlich. Eines hatte sich aber nie geändert und das war, dass ich beim kleinsten Anflug von Schwäche immer zu zahlen hatte und ich wusste, dass ich schwach war und einen Fehler gemacht hatte, wenn man mich angreifen konnte. So wurde ich zu Siren und sogar ich habe mich verändert, bis ich glaubte keine Gefühle mehr zu haben und innerlich endlich gestorben zu sein. Ich liebte Askian noch immer, als habe sich der Dorn einer Rose in mein Herz gebohrt und ich verblutete daran so sinnlos, wie die Nachtigall. Ich beobachtete ihn sehr genau in dem Wissen, dass ich ihn und mit ihm die letzten Reste meiner Seele töten würde, wenn er nur einen Anflug von Zaudern – einen Anflug von Verrat – zeigen würde. Ich hatte bereits zu lange gelebt, um mich von einem sentimentalen Gefühl töten zu lassen. Oder? Ich hatte viele Male geliebt und Verrat erfahren und damals, wie zu jenem Zeitpunkt, wusste ich, dass jedes denkende Wesen dazu neigt Liebe immer als die eine Große anzusehen. In Wahrheit wird sie vom Wind zerstreut, wie Eiskristalle in einem Schneesturm. Es gibt nichts Ewiges und nichts Beständiges für ein Wesen, das die Unsterblichkeit besitzt und so hielt ich Askian gefangen, wie das Leben, das gleich einem Knaben mit kindlicher Naivität versucht dich zu zähmen. Mit langsamen Schritten näherte ich mich Nathalya. Die Tür war nicht geschlossen, also trat ich lautlos ein und sie hörte mich nicht einmal. Katzenhaft schlich ich mich heran. Ich musste nur behutsam vorgehen und mein Messer würde ihren schlanken Körper durchstoßen, bevor sie mich sah. Noch viel wichtiger war, dass ich ihre Augen nicht sehen musste. Mittlerweile hatte ich duzende von Frauen getötet, aber aus irgendeinem Grund hatte ich ihnen nie in die Augen sehen können. Dieses leichte Flackern und das Innehalten jeder Pupillenbewegung, wenn die Seelen den Körper verlässt, war unerträglich. Wieder und wieder hatte ich mir auf dem Weg hierher ausgemalt, wie es sein würde, wenn Nathalyas Augen brechen würden und wenn der matte Glanz des Todes in ihnen erscheinen würde. Ich hatte so lange nach einem Ausweg gesucht, dass ich mir beinahe sicher war, es nicht tun zu können. Nun, da ich beinahe hinter ich stand und ihren vertrauten Duft wahrnahm, ihren Köper hätte berühren können, wenn ich es gewollt hätte, wurde ich in diesem Gedanken nur bestärkt. Sie bürstete ihr langes seidiges Haar und es schimmerte im matten Mondlicht. Ich bemerkte, dass sich eine einzelne graue Strähne von ihrem Scheitel über den Rücken zog. Ich dachte an die zarten Muskeln unter dem Kleid. An dem Abend, als ich ihr näher war als nun, war ich mit meinen Händen durch ihre Haare gefahren, ohne diese graue Strähne zu bemerken. „So gibt es doch ein wieder sehen?“, fragte sie auf einmal, ohne sich um zu drehen. Es klang weder vorwurfsvoll, noch glücklich. Eher, als wäre es eine jener Tatsachen, die man nun einmal nicht von der Hand weisen kann. Warum also beschönigen? Ich ließ das Messer in meiner Hand zwischen den Kleidern verschwinden. Es war ein Impuls aus dem einfachen Gedanken heraus, dass ich, würde ich nun zustoßen, mein untotes Leben lang davon verfolgt würde. Für die Ewigkeit hätte ich das nicht ertragen können. Der Kamm fuhr ein letztes Mal, durch das Meer aus roter Seide und mein Entschluss sie zu töten, hatte auch mein aktives Bewusstsein verlassen. „Ich will mit dir fortgehen.“, sagte ich und Nathalya hielt in der Bewegung inne. Dann legte sie den Kamm auf den Fenstersims. „Was sagst du da?“ Sie klang, als würde ihr Atem stocken und sie drehte sich zu mir um. „Es gibt nichts, was uns beide hier hält.“, gab ich zur Antwort und fühlte zum ersten Mal, dass ich Recht hatte. Trotz meiner Liebe zu Siren, wollte ich mittlerweile nichts weiter, als ihn hinter mir lassen – ihn vergessen -, um vielleicht irgendwann mein Herz wieder zu finden. „Warum willst du das?“, fragte sie. Auf einmal schien sie Dunkelheit und Kälte auszustrahlen. Hoffnungslosigkeit – ein unbändiger Schmerz, der mich erstarren ließ. „Ich liebe dich.“ Es war eine Lüge, aber ich hatte keine Antwort. Nathalya schnitt mir jeden Gedanken ab. „Man kann sein Herz nur einmal vergeben. Glaub nicht, dass ich dich kritisiere, weil deines einem Mann gehört, aber spiel nicht mit mir, wie du es mit Anderen tust!“ Ihre Stimme war so schneidend und voller Argwohn, dass sie wie eine Waffe auf mich wirkte. Ich erstarrte. Ich hatte keine Ahnung, wie viel sie wirklich von mir und meiner Rasse wusste. Ich schwieg eine Weile und dann sagte ich die Wahrheit: „Wenn Liebe ein Gefühl grenzenlosen Vertrauens und Mitleids ist, dass mich dazu veranlasst, dich vor allem schützen zu wollen, dann liebe ich dich.“ Nathalya schwieg und schien nach zu denken. Ich wusste, dass sie mir nicht glauben konnte, aber sie hatte sich gewünscht ähnliche Worte von mir zu hören. Dennoch war sie auf der Hut vor mir. Auch sie hatte Niederlagen und Enttäuschungen erlebt. „Und würdest du mich lieben, obwohl ich ein Mörder bin?“, fragte ich mit einem kalten Unterton in der Stimme, nur um zu erfahren, was sie bereits wusste. Sie ging nicht auf die Frage ein. Dann sah sie auf das Messer unter meinen Kleidern und hielt inne. „Was ist zwischen euch vorgefallen?“, fragte sie. Nun war ich es, der keine antwort gab, denn ich sah, dass Nathalya wusste, was sie wissen musste und es auszusprechen hätte es nicht besser und nicht Verwerflicher machen können. „Mein Herz gehört dir.“, sagte sie leichthin, als würde sie einen Schwur leisten, den einzuhalten sie sich nicht erträumen konnte. Dann umarmte sie mich und lehnte ihren Kopf an meinen Hals. Ich zuckte bei dieser Berührung unwillkürlich zusammen und sie sah auf. Es war, als würde sie direkt durch mich hindurch sehen. Bis auf den tiefsten Grund meiner Seele und sie kannte das Herz, das ich an Siren verloren hatte. „Wenn ich dich bitte, mit mir zu fliehen, würdest du mir folgen?“, fragte ich sie und strich ihr leicht, kaum spürbar, durch das seidige Lockenhaar. „Würdest du mir folgen, wenn ich dich bitte meine Frau zu werden – an einem Ort, wo wir beide neu beginnen können?“ Zum ersten Mal seit langer Zeit war ich von Hoffnung erfüllt und ich genoss den kurzen Moment, den ich hatte, bevor Zweifel es zerstörten. Ich weiß nicht, ob ich vor meinen Gefühlen davon laufen wollte, oder vor Siren. Vermutlich vor Beidem, denn in vielen Fällen waren diese Begriffe für mich gleichbedeutend. Ich wusste, dass Siren nur Leid für mich bereit hielt, also gab es keinen vernünftigen Grund mein Leben mit ihm zu verbringen. Selbst wenn mir innerlich bewusst war, dass ich diese Entscheidung für immer bereuen würde. Ich war mir sicher, dass Siren nicht fühlen konnte und keine echte Liebe für mich empfand. Ich wusste nicht, wie falsch ich das sah. Wie sehr wünschte ich mir, ich könne zurück in eine Zeit, in der ich weder Nathalya noch Siren kannte. Ich war kein Vampir und kein Mensch mehr. Mein Herz schlug nicht. Ich tötete um zu überleben und Vampire tun es aus einem anderen Grund. Wenn ich an Siren dachte und an die Lust in seinem Blick, als er den fremden Adligen hatte töten wollen, wurde mir klar, dass Vampire aus einem anderen Grund morden. Nathalya stieß sich sanft von meiner Brust ab und ein leichter Wind, der durch das geöffnete Fenster drang, spielte in ihrem Haar, welches in der späten Sonne glänzte, wie Kupfer. „Würdest DU mich lieben?“, fragte sie. Ich überlegte. Ich wollte sie nicht anlügen – nicht nachdem wir uns so viel Wahrheit erzählen konnten. „Ich würde alles dafür geben.“, sagte ich in einem Ton, der ein Versprechen enthielt. Nathalya nickte und schien zufrieden. Sie hatte erwartet, ich würde sie anlügen, aber ich hatte dies aufgegeben, nachdem ich erkannt hatte, wie viel mehr sie eine einfache Wahrheit beeindrucken konnte. „Dann triff mich in einer Stunde in Saint Suveign.“, schloss sie. Ich nickte. Ich kannte die verfallene Kirche gut. Auch, wenn ich sie nie wirklich betreten hatte. Natürlich wusste ich, dass Nathalya nicht viel mit zu nehmen hatte, aber sie war Jahre hier zu Hause gewesen und sie brauchte Zeit. Ich gewährte sie, obwohl es mich mit Unruhe erfüllte. Siren konnte meine Gedanken hier sicher nicht lesen, dazu war er zu weit entfernt. Oder nicht? Ich war mir nicht mehr sicher. Ich würde vielleicht neu leben und eine neue Zukunft haben. Weitab von Siren. Wieso erfüllte mich das mit so wenig Befriedigung? „Dann wird dein Leben also hier und heute enden!“ Ich führte das Weinglas an meine Lippen und trank aus. Es war schwer und irgendwie süßlich. Die Sonne strahlte durch das geöffnete Fenster, aber es hatte zu regnen begonnen und ein paar Tropfen liefen das Fenster herab, aus dem ich blickte. Von hier aus sah man das Bettlerviertel nun nur schemenhaft, beinahe verschwand es nun an einem jener Horizonte, die nur Städten zu Eigen sind und weit weniger frei wirken als der Horizont eines Feldes oder freien Meeres. Ich goss ein neues Glas ein, trank aber nicht. Mein Blick hatte sich an den Flug einiger aufsteigender Vögel geheftet, die um den verfallenen Turm von Saint Suveign kreisten, um dann in einer eleganten Kurve hinter den Häusern zu verschwinden. Mir blieb genug Zeit meine nächsten Schritte zu planen, wenn es mir nur darum ging Askian zu töten. Allerdings war mein Verstand nicht klar und ich wollte das Leid in seinen Augen sehen bevor er starb. Dies machte erforderlich, dass ich mich gleich auf den Weg machte. „Hab keine Angst, Askian. Er wird kommen.“ Ich fuhr zusammen und verstand zunächst nicht, von wem Nathalya gesprochen hatte. Verwirrt dachte ich an Siren und an sein Versprechen, bis ich registrierte, dass Nathalya den Geistlichen meinte, auf den wir erst kurz, aber schon zu lange warteten. „Ich habe ihm mehr als einmal geholfen. Er wird kommen…“ Sie umschloss meine rechte Hand mit ihrer und blinzelte im Licht des bunten Glasfensters, das seltsamerweise die Verarmung dieses Stadtviertels nahezu unbeschadet überstanden hatte. Ich konnte mir gut vorstellen in welcher Angelegenheit Nathalya diesem Mann geholfen hatte und der Gedanke war mir zu Wider, die Hilfe eines Geistlichen zu fordern, der sich nicht einmal an seine eigenen Vorschriften des Zölibates hielt. Dennoch war er, wie Nathalya versicherte, der einzige, der uns unbemerkt aus der Stadt bringen konnte. Nathalya hatte nicht viel über die näheren Umstände verloren. Ich konnte mir aber eine relativ genaue Vorstellung machen, denn es war in den Slums kein Geheimnis, dass „der Abt“, wie sie ihn nannten, Schmuggler in die Stadt und wieder hinaus brachte. Dies war auch einer der Gründe, wieso er es trotz seines Reichtums vorgezogen hatte hier zu leben. „Hab keine angst.“ Nathalya deutete meinen missbilligenden Blick wohl falsch. „Warum tun wir dies?“, fragte ich geistesabwesend. Sie zuckte leicht mit den Schultern, als wisse sie es selber nicht. In Wahrheit war es aber eher ein Zusammenzucken bei dem Gedanken daran, dass ich meinen Entschluss jederzeit ändern konnte. Vielleicht war dieser Gedanke auch das, was ich mir selber in diesem Moment sagte. Dann drehte sie sich zu mir um und suchte meinen Blick. Warum tat ich dies? Vermutlich aus dem einfachen Grund, weil eine Flucht mit Nathalya ein Symbol war - Ein Symbol dafür, dass ich Siren nicht mehr gehörte. So würde ich mich ewig als Verräter und Feigling fühlen. Eigentlich flog ich, obwohl ich hätte bleiben sollen. Obwohl ich eigentlich nicht fliehen sollte, entschloss ich mich, es zu tun, weil es keine Option gab, die mir in diesem Moment weniger unangenehm erschien. Letztendlich ist Nathalya vollkommen sinnlos gestorben. Ich spürte ein leichtes Knacken und einen Ruck durch meinen, sowie ihren Körper fahren, als Sirens Schwert uns gleichermaßen durchbohrte und in einer Letzten innigen Umarmung fing. Ich glaube, sie hatte keine Schmerzen, abgesehen von einer Angst des nahenden Todes, der auf ihrem Gesicht zu lesen war. Ich weiß nicht, was nach dem Ende kommt, aber es war ein Ausdruck, der mir sagte, dass ihre Seele kein Paradies, keine Hölle, kein neues Leben und keinen Frieden fand. In ihrem Gesicht lag wie so oft kein Vorwurf, aber sie war meinetwegen gestorben. Langsam ging ich in die Knie und zog dann das Schwert, das mich und ihre leere, leblose Hülle durchbohrte mit einem Schrei heraus. – Ich war mir nicht sicher, ob ich nun sterben musste. „Ich kann dich nicht gehen lassen!“, durchbrach die Stimme meines Meisters die Stille und Siren schien in diesem Moment sehr wohl zu wissen, dass er einen Fehler gemacht hatte. In seiner Stimme war ein leichtes Zittern zu vernehmen und ich verzieh im dieses Mal nicht. Ich hatte ihm zu viel vergessen. Ich hatte den Verlust meines Lebens und meiner Seele verziehen. Es war genug. Nun hatte er mir auch den einzigen Menschen genommen, der mir etwas bedeuten konnte. Nathalya hatte Recht gehabt. Ich liebte Siren weit mehr, als ich sie jemals hätte lieben können, aber mehr als alles andere wollte ich endlich wieder frei sein. „Lass mich endlich frei!“ wütend hallte mein schrei durch das hohe Gewölbe und schien wie ein eingesperrter Vogel einen kurzen Augenblick von den Wänden zurück geworfen zu werden. Siren wirkte mittlerweile schwach auf mich und beinahe zerbrechlich. „Bleib bei mir.“ Ich war es nicht gewohnt, ihn flehen zu sehen. Er schien nicht mehr gegen mich kämpfen zu wollen, aber wenn er an diesem Abend einen größeren Fehler getan hatte, als Nathalya zu töten, dann war es der, dass er sich mit dem Tonfall seiner Stimme auf eine geringere stufe gestellt hatte. Ich wollte sein Genick brechen. Wie ein wütender Wolf, der die Herrschaft über das Rudel fordern wollte, ging ich mit schnellen unbarmherzigen Schritten auf ihn zu – sein eigenes blutiges Schwert in der Hand haltend. „Askian, bleib wo du bist!“, schrie Siren und hatte sich offensichtlich wiedergefunden. Dazu war es aber längst zu spät. Ich verlangsamte meinen Schritt nicht. Wenn es einen Moment in meinem Leben gibt, an dem es mich erfüllt hätte einfach ins Koma zu fallen, war es dieser und eigentlich befand ich mich auch in einer Art Wachtraum gefangen. Ich hatte jede Kontrolle verloren und es schien mir alles so irreal und schrecklich, um Realität zu sein. Ich war nun wie eine Marionette ohne Fäden und doch konnte ich mich bewegen und entscheiden. Er, der vorgab mich zu lieben, hatte mir die größte wunde zugefügt, indem er meine einzige Freundin getötet hatte. Nun erst konnte ich ermessen, wie schwer mein eigener Verrat für Siren gewesen sein mochte, aber es kam mir erst viel später in den Sinn. Was nun zählte, war allein seine Tat. Im Endeffekt konnte ich ihn aber schon damals nicht hassen. Ein Vampir aber braucht keinen Hass, um einfach nur töten zu wollen. „Warum tust du das?“ Siren schien zu schreien, wenngleich er flüsterte. Der Schock ging tief. Was er in meinen Augen sehen mochte, war das, was er zwei Jahre befürchtet hatte. Irgendwie hatte auch ich immer gewusst, dass ich ihn eines Tages töten wollte. Ich konnte nie anders, als im Schmerzen zufügen zu wollen. Als ich ihn gegen den Altar schleuderte, stürzte ein voller Weinkelch um und färbte sein weißes Hemd blutig rot. „Du verlierst dich!“, sagte er und er hatte dieses Mal Recht. Wie sehr wusste ich, dass ich mich eigentlich die ganze Zeit über verloren hatte und diese Art von Manie lediglich eine härtere und klarere Schattierung davon war. „Askian!“ Ich umfasste seine Kehle fast klauenartig mit einer Hand und legte ihn über den Altar. Ich trank. Trank sein Blut vermischt mit dem Wein auf seiner Haut und spürte wie die Macht meines Erschaffers durch meine Adern floss, wie am Tag meiner Erschaffung und in den Wochen danach. Ich lächelte Siren schwach und irrsinnig an, denn er wusste, dass er den Kampf heute, ganz gleich auf welche Weise verlieren würde. Ich glaube heute, er hat sich nicht gewehrt, um mein Leben zu retten. Damals hielt ich es für ein weiteres Zeichen seiner eigentlichen Schwäche. Weder Siren und ich hatten noch Worte füreinander. Wir hatten uns alles gesagt. Wir waren unseren gemeinsamen Weg gegangen, solange er dauerte. Die Erzählung war erzählt. Der Faden der Lachesis war gesponnen. Also schnitt ich durch. Ich sah weder hin, noch realisierte ich in jenem Augenblick sofort, was passiert war und was ich getan hatte. Das Messer mit dem ich Nathalya hatte töten wollen war in meiner linken Hand. Ich blickte ausdruckslos mit einem Anflug von Trauer und Liebe in Sirens sterbende Augen, die noch kurz aufflackerten und dann zu erlöschen schienen. Sein Körper war noch nicht tot, aber die Ewigkeit lag nun endlich hinter ihm. Ich sah hinter der fast wütenden Fassade Erleichterung. Endlich konnte er das Grab betreten, das in seinem Inneren schon Jahrhunderte offen lag. Ich vergoss keine Träne, aber meine Traue beinhaltete Reue und mein eigenes Sterben. Vielleicht war Siren nicht gestorben. Vielleicht hat er in diesem Moment nur den Körper getauscht und wurde ein Teil von mir. Endlich und zu spät verstand ich, wieso er fühlte, wie er es tat. Endlich wusste ich, wie es sich anfühlte ein wirkliches Monster zu sein – und wie es ist, sich vollkommen tot zu fühlen. Es war zu spät, aber ich wusste, dass nur ich ihn davor hätte retten können und nun zog mich der Strudel mit sich, der zuvor Siren erfasst hatte. Als er zusammensackte registrierte dies eigentlich nur ein winziger Teil von mir und es erschien mir als vollkommen logische Handlung ihm die Brust mit dem eigenen Schwert zu durchstoßen und ihn so an den Holzaltar zu nageln. – wie ein groteskes Bild der Maria, die einen unsichtbaren, sterbenden Jesus beweint. Er war zu schwach, um noch etwas zu sagen und ich konnte nicht mehr reden. Ich wollte mit ihm sterben. Als ich den Kerzenleuchter umwarf und die vielen staubigen und zerfetzten Gobeline und Vorhänge der Kirche Feuer fingen, wollte ich nichts weiter als sterben. Doch selbst dazu war ich nicht in der Lage. Ich verließ die stark brennende Kirche und hustete stark, während mich Sirens Schreie in die Nacht begleiteten. Es waren keine angsterüllten Schreie. – nicht einmal anklagend oder erleichtert klangen sie. Sie waren vielmehr seelenlos und ohne jeden Ausdruck – ohne Gefühl. Als wäre es ihm eigentlich egal gewesen. Als ich später auf der Anhöhe vor der Kirche saß, hinter der sich der weitläufige Friedhof befand, fragte ich mich, ob Siren das Feuer vielleicht überstanden hatte, so wie ich vor Monaten den Sturz vom Dach der Gaststätte. Ich fragte mich, ob er mir folgen würde, aber ich ging nicht zur Kirche zurück, um nach zu sehen. Er hatte mich frei gegeben. Nicht als seinen Vampir, der ich war, sondern als seinen Sklaven. So trennten sich unsere Wege, sei er nun tot oder lebendig. Es war eine kalte Nacht und es regnete ohne Unterlass. Der Mond stand beinahe voll und die imperfekte Scheibe tauchte die Häuser hinter der Kirche in einen matt blauen Schein. Das Feuer über der ausgebrannten Kirche hatte die anderen Häuser erfasst, erstickte nun aber langsam. Es war, als wären wir einander nie begegnet. So ist es mit allen vergangenen Dingen und nur die Erinnerung gibt uns das Gefühl nicht jeden Tag neu geboren zu werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)