Namenlos von Ekolabine (Wenn Puppen tanzen) ================================================================================ Kapitel 7: Das Händlerviertel ----------------------------- Langsam entstiegen sie dem Abwassersystem wieder. Der Weg nach draußen führte sie über die alte Kathedrale auf dem Marktplatz. „ERSTMAL MÜSST IHR RAUSFINDEN; WO SICH DER EINSAME WOLF AUFHÄLT.“ Die war die erste Anweisung gewesen. „ES GIBT EINE PERSON IN DER STADT, DIE ÜBER ALLES UND JEDEN BESCHEID WEISS“, hatte ihnen Frau Offenbarung erklärt, „DURCH IHREN BERUF IM BEREICH DER HANDELSGILDE.“ „Sie reden von Mora Blubbwitsch, nicht wahr?“, hatte Trauernder Clown sie gefragt. „GENAU. SIE IST WOHL EIN ALLBEKANNTER GEHEIMTIPP.“ „Jeder weiß genau, dass sie eine alte Tratschtante ist.“ Verschwiegene Doppel-Lilly zupfte sich die Fusel vom Kleid. Da liefen sie nun wieder durch die dreckigen Gassen Marseilles. Die Stadt verschwand bereits in der Dämmerung. Wenn es Nacht war, war Marseille nicht zu sehen. Stadt und Bewohner verschwanden einfach im Dunkel, denn Marseille lag umhüllt von Bergen in einem Tal, die ihre Schatten in der Nacht über ganz Marseille warfen. „Sollen wir heute noch zu Mora gehen?“ Verschwiegene Doppel-Lilly zog ihren alten Mantel fester um sich, „es wird bald Nacht und mir ist kalt.“ „Das ist eine dumme Ausrede.“ Trauernder Clown beschleunigte seine Schritte. „Du hast bloß keine Lust Mora zu sehen.“ „Gar nicht wahr.“ Verschwiegene Doppel-Lilly schnaufte empört ein. „Vielleicht. Möglich. Sie ist einfach ein altes Tratschweib.“ „Sie weiß wo Einsamer Wolf ist. Und damit Schluss.“ So liefen sie weiter. Vorbei an der Villa von Mary Sue und Gary Stue, weiter über den Marktplatz mit dem Pfeiler, bis hin zum Händlerviertel. Hier waren die Häuser allesamt krumm aneinander gequetscht. In jeden war ein Laden. Manche Händler hatten ihre Stände draußen auf der Straße zusätzlich noch aufgebaut, sodass alles wie ein wirres Labyrinth voller Gegenstände wirkte. Hier und da riefen Händler und Händlerinnen ihre Gegenstände zum Verkauf aus. „Unnützes Zeug. Kauft unnützes Zeug.“ „Leckere Delikatessen. Frisch von der Mülldeponie.“ „Heute ganz exklusiv: teure Schnäppchen. Nur heute!“ „Wollt ihr eure Kinder loswerden? Kauft mein mordendes Spielzeug. Frisch aus der Fabrik.“ Und so ging das weiter. An manchen Läden musste man einen riesigen Bogen machen, denn die Verkäufer rannten einfach raus und zogen einen mitrein. Da verschwanden hier und da Passanten von der Straße. Wurden einfach ins Dunkel des Ladens gezogen. Später tauchen sie dann wieder auf, jedoch entweder voll von irgendwelchem Kruscht oder völlig zerschlissen und zerkratzt. Trauernder Clown und Verschwiegene Doppel-Lilly kämpften sich mühsam durch. Immer auf der Hut vor den Händlern. Endlich standen sie dann vor Mora Blubbwitschs Laden. Er quetschte sich stark hervor zwischen den beiden anderen Häusern, die vergeblich versuchten, den kleinen bunten Laden zu ersticken. Wie Unkraut wuchs Moras Laden dem Himmel empor. Hier und da hatte sie noch einen Turm angebracht, der nun krumm zur Straße hin hing. Die Wand war voll bunter Farben ohne jegliches Muster. So als hätte man einfach mal mit einer Farbe angefangen zu streichen, bis auf Einmal die Farbe leer war und man dann einfach die nächste nahm und schief weitermalte. Über dem Eingang hing ein riesiges Schild mit der Inschrift: „Mora Blubbwitsch Zucker- und Schokodelikatessladen. Diebe werden gefressen!“ Schleunigst betraten die beiden Puppen den Laden. Von innen erklang es auch sofort: „Herzlich willkommen in meinem Zucker- und Schokodelikatessladen. Karies und Bauchschmerzen sind garantiert.“ Hinter dem Tresen, welcher umwimmelt von lauter kleinen Püppchen war, stand Mora Blubbwitsch. Sie war eine Puppe der Reihe Blubbwitsch. Neben ihr gab es noch ihre Schwestern Nora, Cora, Zora, Jora, Lora und Pora, aber die war bereits kaputt. Mora war eine Moorhexe, deren Körper hauptsächlich nur aus Holzstöcken bestand. Einfache Verarbeitung. Nur Kopf und Hände waren aus edlem Porzellan gefertigt worden. Ihr Kleid bestand aus mehreren Stoffschichten. Unten lugten die Stelzen, die ihr als Beine dienten, hervor. In Blau- und Grüntönen war das Kleid gescheckt und die Ärmel hatten das Muster einer blau schwarz gestreiften Schlange. An ihrem Hut, sowie an dem Zopfende ihres orange gelben Haares, hingen große Wassertropfen. Und überall in ihrem Kleid ragten Blätter, Moos und Äste hervor. Jedoch das Abartigste waren ihre Augen. Versteckt hinter einer schwarzen Maske, stachen sie hervor. In ihnen brannte immer braunes Feuer auf orange getünchtem Hintergrund. Ja, das war Mora. „Ah, mein kleiner Freund und seine Frau, die Hexe.“ Sie lächelte freundlich ihnen entgegen. „Kinder, Mora Blubbwitsch hat jetzt wichtigere Kunden zu bedienen. Ich muss mich jetzt um das Liebespaar dort kümmern.“ Die Püppchen, die davor noch völlig interesselos Süßigkeiten in sich hineingestopft hatten, drehten sich plötzlich alle neugierig um. Dann mit einem Ruck wie von Zauber- bzw. Teufelshand rannten sie auf das Ehepaar zu. „Boah.“ Machte ein kleiner brauner Teddybär. „Ein echtes Ehepaar. Wie lang seit ihr schon verheiratet?“ Trauernder Clown fühlte sich mit einem Mal richtig bedrängt, antwortete deshalb mit qualvoller Stimme: „Fast zehn Jahre.“ „Coooool!“ Machten alle Püppchen zusammen. „Duuuuuuuu, Onkel Clown, wie ist das so? Das Küssen?“ Nun aber war allerhöchste Eisenbahn. Trauernder Clown fühlte sich wie ein Vater, der seine Kleinen aufklären musste und das konnte er gar nicht gut. „Ich weiß nicht. Hab ich noch nie gemacht“, antwortete er deshalb nur verlegen und wollte sich schon wegdrehen. „Komm schon, Onkel Clown…“ Die kleinen Puppen drängten sich um die beiden. Trauernder Clown sah sich unsicher um und blickte schließlich Hilfe suchend zu Verschwiegene Doppel-Lilly. Diese trat vor, lächelte leicht und sagte schließlich: „Na gut, ich verrate es euch, aber danach ist Schluss für heute und ihr geht alle in eure Schubladen!“ Natürlich willigten die kleinen neugierigen Puppen ein und so setzte sich die Hexe auf einen Schemel und begann zu erklären… „Küssen“, sie machte eine bedeutungsvolle Pause, „das ist eine nasse und widerliche Sache.“ Alle Puppen holten erschrocken tief Luft. „Aber“, sie zeigte mit dem Finger nach oben, „das wirklich abartige daran ist, dass ihr es dennoch tun wollt. Ihr könnt es nicht lassen, seid darin gefangen, könnt nicht ausbrechen und wollt es auch gar nicht.“ Sie blickte finster in die Runde. „Es ist ein Fluch.“ Dann lächelte sie wieder. „So, ich hab es euch verraten. Nun aber ab ins Bett.“ „Jaaa!“, riefen die kleinen Püppchen und rannten gemeinsam einer Woge gleich aus dem Laden. Draußen auf der Straße schrieen die anderen Passanten vor Panik auf, denn niemand erahnte die Püppchenmenge, die sich nun da draußen ergoss. Man hörte nur noch das Gemurmel der Kleinen: „Das war voll abgefahren.“ Trauernder Clown stand erleichtert auf und atmete tief ein. „Kinder, ein Plage nicht wahr?“ Mora trat vor den Tresen. „Du solltest Püppchenhorterin werden, Verschwiegene Doppel-Lilly. Du kannst mit den Kleinen umgehen.“ Verschwiegene Doppel-Lilly streckte Mora nur die Zunge raus. „Bäh, du weißt ganz genau, dass ich Kinder hasse.“ Sie drehte sich um und schlang ihren langen Schal ein paar Mal um den Hals. „Mora, wir brauchen wichtige Informationen von dir.“ Trauernder Clown blickte ernst drein. „Es geht um Einsamer Wolf.“ Mora schaute ernst auf. Plötzlich lief sie eilend an Trauernder Clown vorbei und schloss die Türe des Ladens ab. „Wollt ihr einen Tee?“ „Nein, Informationen.“ „Die kriegt ihr. Einsamer Wolf ist gerade das heißeste Thema in Marseille. Im Abwassersystem auf jeden Fall.“ Mora pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Hier oben auf den Straßen Marseilles weiß natürlich keiner was davon.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)