Blues Brother von abgemeldet (Kaiba x Joey) ================================================================================ Kapitel 5: Besuch ----------------- Die Sonne schien durch das Fenster in mein Zimmer. Sie schien mich gnadenlos quälen zu wollen. Konnte sie mich nicht schlafen lassen? Und dann klingelte es auch noch so unangenehm neben mir. Hatte sich die gesamte Welt gegen mich verschworen? Warum konnte ich nicht einfach weiterschlafen? Das war doch sowieso viel gesünder, als früh am Morgen aufzustehen. Ich hatte mal irgendwo gelesen, dass ein Mensch mindestens acht Stunden Schlaf brauchte, bei mir wären das dann sicherlich so um die zwölf oder so... Immerhin liebte ich es zu schlafen. Außerdem war ich gester zu spät ins Bett gegangen... Unwillig streckte ich eine Hand unter meiner Decke hervor und tastete unkoordiniert nach dem Gerät meiner Folter. Als ich es gefunden hatte, machte ich es aus. Ich musste mich stark beherrschen, um das Teil nicht gegen die nächstbeste Wand zu pfeffern. Aber dann müsste ich mir schon wieder ein neues kaufen... Meine Ohren entspannten sich wieder in der angenehmen Stille, die nun auftrat. Wie herrlich konnte eigentlich Stille sein? Ziemlich, wie ich feststellte. Ich zog meine Hand wieder unter die Decke, drehte mich um und kuschelte mich in die Decke. Ich war gerade wieder dabei in die Welt meiner Träume abzudriften, als mir eine Tatsache schmerzlich bewusst wurde: Ich musste aufstehen, immerhin wurde ich in der Schule erwartet – mehr oder weniger jedenfalls. Wer hatte sich eigentlich ausgedacht, dass die Schüler zu so einer unverschämt frühen Uhrzeit in der Schule sein mussten? Der gehörte doch nur erschlagen! Wussten die denn nicht, dass sie mich damit quälten? Anscheinend nicht, denn ansonsten hätten sie sicher etwas dagegen unternommen – obwohl, wohl eher nicht, denn wen kümmerte es schon, dass die gesamte Schülerschaft geschweige denn Joey Wheeler zu so einer teenagerverachtenden Uhrzeit aufstehen musste? Richtig, niemanden. Als ich mich verschlafen in meinem Bett aufsetzte, mir den Schlaf aus den Augen rieb, mich streckte und einmal herzlich gähnte, sah ich auf meinen Wecker und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass ich noch genug Zeit hatte, um mich fertig zu machen und sogar noch vor dem ersten Schulklingeln in der Schule anzukommen. Ich musste krank sein, dass ich einmal rechtzeitig aufwachte, aber was soll’s? Wunder gab es immer wieder. Ich stand also mühsam, grummelnd und voller Unlust auf, um mich für die Schule fertig zu machen, allerdings nicht, ohne mir dabei Zeit zu lassen, die ich ausnahmsweise einmal hatte. Ich kam doch tatsächlich pünktlich in der Schule an. Das nannte ich ein Wunder. Und erst die Gesichter meiner Freunde, als ich eine Viertelstunde – hallo?? Eine Viertelstunde!! – vor dem ersten Klingeln ankam. Sie sahen mich ziemlich ungläubig an, als sie sahen, wie ich durch die Tür kam und ich sie verschlafen begrüßte. „Was machst du denn schon hier?“, fragte mich Tea sofort. „Ich finde es auch schön, dich zu sehen“, erwiderte ich und unterdrückte ein Gähnen. „Ist das denn so ungewöhnlich, dass ich mal pünktlich komme?“, fragte ich sie, immer noch nicht viel wacher. „Sogar sehr“, meinte nun Yami. „Man, ich bin halt ausnahmsweise mal aufgewacht“, grummelte ich und ließ mich müde auf meinen Stuhl sinken. Ich war es wirklich noch nicht gewohnt zu arbeiten, denn sonst wäre ich jetzt sicherlich nicht so müde. Ich wäre quicklebeindig und würde wie ein Bekloppter irre durch die Klasse hüpfen. Aber das tat ich nicht. Stattdessen saß ich hier wie ein Untoter, eine Mumie oder ein Zombis, vorzugsweise, auf meinem Platz und versuchte krampfhaft nicht wieder in das Reich der Träume abzudriften. „Bist du müde?“, fragte Tea. „Wie kommst du nur darauf?“, fragte ich sie sarkastisch. War die echt so blöd oder tat sie nur so? Ich meine, das sah man mir doch auf drei Meilen an!! „Ist ja gut. Kein Grund, mich gleich so anzufahren“, meinte sie leicht beleidigt, doch das war mir im Moment ziemlich egal. Statt mich bei ihr zu entschuldigen, bettete ich meine Arme auf meinen Tisch, den Kopf darauf und schloss die Augen. Ein Glück, dass ich heute Abend nicht arbeiten musste. Das würde ich sicherlich nicht überleben... Ich döste schon einige Zeit vor mich hin, als auf einmal meine Ruhe durch eine von mir definitiv als Missklang eingeordnete Stimme gestört wurde: „Na, Köter? Zu wenig geschlafen?“ „Was geht dich das an, Kaiba?“, fragte ich ihn gereizt, jedoch sah ich nicht ein, warum ich meinen Kopf von meinen Armen heben und meine Augen öffnen sollte, nur um ihn anzusehen. Ich meine, diese hässliche Visage sah doch keiner freiwillig – von ein wenig... naja, ziemlich vielen Mädchen einmal abgesehen. Und ich gehörte ganz sicher nicht zu denen, die ihn freiwillig ansahen, erst recht nicht so früh am Morgen. Dazu war ich noch viel zu müde. Vermutlich zog er gerade eine seiner Augenbrauen hoch, weil ich nicht wie sonst giftig wurde. Ich ignorierte seine Stichelei und döste stattdessen weiter vor mich hin, nicht gewillt, mich diesem Stress schon auszusetzen. Dazu würde es noch Gelegenheit genug geben. Ich dachte schon, er hätte es aufgegeben, mich reizen zu wollen, denn er sagte eine lange Zeit gar nichts, bis er dann schließlich meinte: „Hast wohl gestern zu lange auf einer Müllkippe nach was zu Essen gesucht. Würde mich bei dir ja nicht wundern. Und, hast du viele deiner Artgenossen getroffen?“ Mit einem Mal war ich hellwach, sprang auf und ging Kaiba an den Kragen. „Erstens: Ich bin kein Hund, verdammt noch mal!“-ich ignorierte einfach mal, dass er mich nicht direkt als Köter, Hund oder dergleichen bezeichnet hatte-„Und zweitens: Was zum Henker fällt dir eigentlich ein? Nur, weil nicht jeder so ein reicher Pinkel wie du sein kann, ist er doch nicht gleich so bettelarm, dass er auf einer Müllhalde was Essbares suchen muss! Und noch was: Selbst wenn es so wäre, dann würde ich dir das garantiert nicht auf die Nase binden! Und jetzt verzieh dich, bevor ich mich vergesse!“ Damit ließ ich ihn los und wollte mich schon wieder setzen – insgeheim war ich ziemlcih stolz auf meine Rede, auch wenn mir das in meinem müden Zustand nicht bewusst war – als er auch schon weitermachte: „Ich habe nie gesagt, dass du ein Hund bist, du bist ein Köter. Wenn du nicht nach was zu Essen gesucht hast, was hast du dann auf der Müllkippe gemacht? Mit anderen Kötern gespielt? Und das lässt dein Kindergarten zu? Ich dachte, der würde besser auf dich aufpassen...“ Gab es eine Stufe unter abfällig? Wenn ja, dann hörte sich Kaiba im Moment so an. „Verdammt, wenn du so versessen darauf bist, zu erfahren, was ich gestern gemacht habe, dann sag ich dir’s halt. Ich war arbeiten! Und jetzt lass mich bloß in Ruhe!“ Ich wollte mich schon wieder auf meinen Stuhl sinken lassen – zum zweiten Mal, wohlgemerkt – als Kaiba mich wieder provozierte: „Ach, du und arbeiten? Und das aus deinem Mund? Das ist ja ganz was neues. Und mal davon abgesehen: Wer würde schon freiwillig einen vollkommen verflohten Straßenköter für sich arbeiten lassen? Du bist doch sowieso zu nichts fähig, außer vielleicht Wachhund zu spielen, alles andere überfordert doch deinen IQ.“ „KAIBA!“ Ich wollte mich gerade auf ihn stürzen, als der Lehrer unseren Klassenraum betrat. Das Stundenklingeln hatte ich ganz überhört... War wohl zu sehr darin vertieft, mich mit Kaiba zu streiten. Aber wenn ich nur daran dachte, was er mir schon wieder an den Kopf geschmissen hatte... Der Kerl brachte mich doch wirklich jedes Mal wieder zur Weißglut!! Argh!! Jetzt hatte er den Bogen echt überspannt. Ich wollte ihn eigentllich schön eine Runde vermöbeln und meine Wut an ihm auslassen, die er so schön aufgebaut hatte, und dann kam ich nicht dazu! Verdammter Mist aber auch! Mal davon abgesehen, dass sich Kaiba vermutlich nicht so einfach von mir verprügeln lassen würde... Auch wenn er nicht so aussah, so glaube ich doch, dass er ziemlich stark war. Ob der wohl ins Fitnessstudio ging? Allein die Vorstellung war schon genial. Kaiba in Sportklamotten. Von tausenden und abertausenden Frauen umgeben, die ihn anschmachteten, sodass er gar nicht erst dazu kam, etwas zu tun. Dieser Gedanke war einfach nur herrlich. Vor allem, da ich wusste, dass er es hasste, wenn er von Mädchen und Frauen >belästigt< wurde, wie er es sicher so schön ausdrücken würde. Da mischte sich doch wieder meine Schadenfreude ein und lachte Kaiba im Stillen aus. „Mister Wheeler! Was machen sie da? Es wird sich nicht in der Klasse geprügelt. Generell wird sich nicht geprügelt. Dafür verbringen sie die gesamte Stunde vor der Tür“, wies der Lehrer mich zurecht und holte mich so aus meinen Gedanken. „Aber“, setzte ich an, doch ich wurde sofort unterbrochen: „Keine Widerworte. Und jetzt raus“, entgegnete er und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Tür. Mit hängendem Kopf verließ ich die Klasse. //Die Woche fängt ja schon gut an, ganz hervorragend!// Kurz bevor ich die Klasse verließ, fiel mein Blick kurz auf Kaiba. Er hatte ein selbstgefälliges Grinsen aufgesetzt. Ohhh, dieser...! Das hatte er mit Absicht getan! Aber irgendwann, das schwor ich mir, würde ich ihm alles zurückzahlen, was er mir angetan hatte! Wie lange das noch dauern würde, war mir zwar nicht bekannt, aber allein der Gedanke baute mich wieder ein wenig auf. Ich stand also die gesamte Stunde vor der Klasse, konnte von innen nur gedämpftes Gemurmel hören. Da kam ich schon einmal pünktlich und dann das! Was konnte ich dafür, wenn Kaiba es absolut witzig fand, mich zu ärgern? Gut, ich durfte mich nicht provozieren lassen, aber er fing doch immer an! Und außerdem hatte ich ein feuriges Temperament! Da konnte ich nichts für! Ich konnte es nicht unterdrücken, selbst wenn ich es versuchen würde, würde es immer wieder hervorbrechen! Und Kaiba fing immer an! Warum wurde also nicht der einmal vor die Tür geschickt? Warum immer ich? Lag es daran, dass ich generell einfach von keinem Lehrer gemocht wurde? Oder doch eher daran, dass keiner Kaiba so eine Tat zutraute? Oder hatten die Lehrer Angst, dass sie verklagt werden würden, wenn sie Kaiba vor die Tür schicken würden? Vermutlich lag es an allen drei Punkten... Die Welt war so ungerecht...! Ich hasste ihn! Warum konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich meine, was würde er schon verlieren, wenn er mich einmal – einmal, verdammt! – nicht ärgern würde! Aber nein! Der Herr dachte ja gar nicht daran, mich einmal in Ruhe zu lassen! Wenn ich nur einmal die Gelegenheit hätte, ihn so richtig vor versammerlter Schülerschaft zu blamieren, ich würde sie schamlos ausnutzen! Das machte er doch auch ständig mit mir! Also, warum sollte ich das nicht auch tun dürfen? Mal davon abgesehen, dass sich mir nie so eine Gelegenheit bot... Irgendwann ging dann aber auch die erste Stunde rum, sodass ich das Privileg hatte – oder auch nicht – wieder in den ehrenvollen Matheunterricht zurückzukehren. Montags hatten wir immer eine Doppelstunde in den ersten beiden Stunden, sodass ich jetzt Herrn Takeshi, der mich rausgeworfen hatte, ertragen musste... „Wir waren so frei, mit dem Vergleichen der Hausaufgaben solange zu warten, bis auch sie wieder unter uns sind, Joey.“ Ich verfluchte ihn innerlich. War das eigentlich normal, dass er mich eben, als er mich rausgeworfen hatte, noch mit meinem Nachnamen angesprochen hatte und jetzt mit meinem Vornamen? Der Kerl wollte doch irgendetwas, das konnte ich spüren. Allein schon seine Art, wie er mit mir sprach, ließ mich misstrauisch werden. Und so konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn noch ein zweites Mal innerlich zu verfluchen. „Und womit habe ich diese Ehre verdient?“, konnte ich mir nicht verkneifen. Vermutlich war das mein Todesurteil, aber das war mir egal. „Ich habe mir gedacht, dass sie, da sie ja anscheinend zu viel überflüssige Energie haben, die Hausaufgabe an die Tafel schreiben können.“ Woher wusste ich jetzt nur, dass so etwas in der Art kommen würde? Zweifellos wartete er jetzt sicherlich darauf, dass ich sagen würde, dass ich die Hausaufgaben nicht haben würde – so wie sonst auch immer in Mathe – doch da hatte er sich geschnitten! Aber sowas von! Ich suchte in meiner Tasche nach meinem Matheheft und schlurfte nach vorne, als ich es gefunden hatte, wohl wissend, dass sie höchstwahrscheinlich falsch war, aber ich wollte ihm eins auswischen, indem ich ihm zeigte, dass ich etwas gemacht hatte – wenn auch falsch... Fakt war doch, dass ich etwas hatte, und das zählte. Herr Takeshi sah mich ziemlich verdutzt an, als ich mich zur Tafel begab, sagte jedoch nichts. Innerlich grinste ich breit. Ich verspürte den starken Drang, ihm die Zunge rauszustrecken, doch ich konnte es gerade noch so verhindern. Das wäre sicherlich nicht gut gekommen. Das hätte er bestimmt mit Nachsitzen bestraft, wenn nicht sogar mit einem Besuch bei dem Schuldirektor. Als ich mich wieder setzte, flüsterte mir Tristan eine Frage zu: „Hey, Alter, wie kommt’s, dass du mal die Hausaufgaben hast?“ Ich zuckte mit den Schultern und meinte: „Ich hatte vor meiner Arbeit nichts zu tun.“ „Den Ansatz haben sie erfasst, aber danach wird es falsch“, sagte mein Mathelehrer. Innerlich zuckte ich mit den Schultern. War mir doch egal, er konnte mir auf jeden Fall keine sechs für nicht gemachte Hausaufgaben reinwürgen. Den Ansatz hatte ich richtig? Mehr, als ich erwartet hatte... Wer brauchte schon Rekonstruktionsaufgaben? Ich meine, es reichte doch vollkommen aus, wenn man plus und minus rechnen konnte, eventuell noch mal und vielleicht noch geteilt, aber den ganzen anderen Schwachsinn, den sie einem im Matheunterricht versuchten beizubringen, war doch vollkommen überflüssig. Ich meine, wofür brauchte man später im Leben noch einmal Rekonstruktionsaufgaben? Oder Extremwertaufgaben? Nie wieder, es sei denn natürlich, man wollte Mathelehrer werden, was bei mir mit hundertprozentiger Sicherheit nicht der Fall sein würde. Mir lief schon ein Schauer über den Rücken, wenn ich nur daran dachte! Ich schaffte es irgendwie, den gesamten Tag hinter mich zu bringen. Dabei überraschte ich meine Lehrer und Freunde immer wieder, denn ich hatte in jedem Fach meine Hausaufgaben gemacht, mehr oder weniger richtig zwar, aber ich hatte sie gemacht. Zu meiner Verwunderung blieb Kaiba für den Rest des Tages ruhig. Hatte er sein Tagesziel schon erreicht oder was? Reichte es ihm, dass er es geschafft hatte, dass ich aus dem Unterricht flog, noch ehe er begonnen hatte? Seit wann genügte ihm denn eine einzige Demütigung meinerseits an einem Tag? Normalerweise nutzte er doch jede Gelegenheit, um mich runter zu machen, am besten auch noch vor Publikum. Oder hatte ich nicht nur meine Lehrer und Freunde damit überrascht, sondern auch ihn? Ihn regelrecht sprachlos gemacht? Den gesamten Schultag über war ich ziemlich stinkig auf ihn zu sprechen, noch stinkiger als sonst, und das wollte schon etwas heißen, doch ich würde nach der Schule Besuch bekommen. Die Vorfreude auf meinen Besuch besserte meine Laune wieder soweit auf, dass meine Freunde keine Angst haben mussten, dass ich ihnen an die Gurgel ging, wenn sie mich ansprachen. Ich hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Sie war sicher gewachsen seit dem letzten Mal. Ob sie sich sehr verändert hatte? Und wenn ja, zum Guten oder zum Schlechten? Ob wir uns immer noch so gut verstanden wie früher? Als es dann endlich erlösend klingelte, packte ich meine Sachen noch schneller als sonst und war noch früher weg als normalerweise, wenn die Schule aus war. „Wo willst du denn hin?“, rief mir Tristan hinterher. Schon am Türrahmen angekommen antwortete ich: „Zu meiner Schwester gehen, die vor der Schule auf mich wartet.“ „Deine Schwester ist hier?“, fragte Tea neugierig. Ich nickte und wollte eigentlich schon weiter, als Yugi fragte: „Wir können doch gemeinsam zu ihr gehen. Wir haben sie schließlich auch schon lange nicht mehr gesehen.“ Eigentlcih wollte ich meine Schwester so schenll es nur ging sehen, wartete aber trotzdem ungeduldig auf den Rest. Jaja, was tat man nicht alles für Freunde? Und gerade heute schienen sie sich unwahrscheinlich viel Zeit zu lassen. Konnten die sich nicht einmal beeilen? Das war ja nicht zum Aushalten! Ich wollte sie endlich sehen, verdammt!!! „Der Köter trifft also seine Köterschwester wieder“, hörte ich es aus einer Ecke des Klassenzimmers. Mit wenigen Schritten hatte ich ihn durchquert, packte Kaiba am Kragen – wie schon einmal an diesem Tag – und drückte ihn nicht gerade sanft gegen die Wand. „Beleidige mich so oft du willst, aber lass meine Schwester da gefälligst raus. Und wenn nicht, dann wirst du es bereuen.“ Was bildete der sich ein? Ich meine, ich beleidigte doch auch nicht Mokuba – gut, das lag vielleicht auch daran, dass ich ihn mochte... Wenn Kaiba es nur auf mich abgesehen hatte, konnte ich damit leben, aber wenn er jetzt auch noch anfing, Serenity in den Dreck zu ziehen, konnte der was erleben – die Tatsache vollkommen übergehend, dass ich ihm eigentlich nichts entgegen zu setzen hatte. Körperlich zwar schon, aber in allen anderen Abschnitten des Lebens nicht, wie es mir schmerzlich bewusst wurde. Außerdem würde er mich vermutlich verklagen, wenn ich ihm nur ein Härchen krümmen würde. Er würde mich vermutlich so hoch verklagen, dass ich bis an mein Lebensende für seine Entschädigung arbeiten musste... „Ich geh schon mal vor, mir ist die Luft hier zu dick“, meinte ich zu meinen Freunden und verschwand auf dem Gang. Kaiba war doch auch den gesamten restlichen Tag ruhig gewesen – wenn man natürlich von unserer morgendlichen Diskussion absah – warum riss er also jetzt wieder seine Klappe auf, wo es um meine Schwester ging? Am liebsten würde ich ihm einmal so richtig eine reinhauen, aber wegen dem vorhin schon genannten Punkt der Verklagung sollte ich das lieber nicht tun, es sei denn, ich wollte wirklich, dass ich bis ich alt, verschrumpelt und weiß der Geier was noch alles war, arbeiten wollte. Meine Freunde brauchten nicht lange, bis sie ihre Sachen gepackt hatten und zu mir auf den Gang traten. „Nimm’s dir nicht so zu Herzen, was Kaiba gesagt hat. Ignorier ihn am besten einfach“, versuchte Yugi mich aufzumuntern. Ich grinste ihn an und erwiderte: „Ich denk schon gar nicht mehr dran. Ich meine, hallo?? Das ist Kaiba! Warum sollte ich mir das zu Herzen nehmen, was er sagt? Und außerdem bin ich schon viel zu aufgeregt, meine Schwester endlich wiederzusehen.“ Wir tauchten in den Strom der Schüler ein, der, genauso wie wir, bloß raus aus der Schule wollte. Als wir dem Tor immer näher kamen, reckte ich meinen Kopf immer weiter in die Höhe, um nach meiner Schwester Ausschau zu halten. Ich hoffte, sie so schneller zu sehen. Und tatsächlich: Am Tor konnte ich ihren Haarschopf sehen. Ich stieß einen Freudenschrei aus und rannte wie ein von einer Wespe gestochener auf sie zu. Meine Freunde haben mir bestimmt komische Blicke zugeworfen, das tat jedenfalls der gesamte Rest der Schüler, aber was soll’s? Ein paar Meter vor meiner Schwester wurde ich langsamer und blieb schließlich ganz stehen. Sie hatte sich nicht verändert. Sie hatte immer noch ihre langen hellbraunen Haare und war noch genauso groß wie noch an unserem letzten Treffen – gut, ihre Oberweite war vielleicht ein wenig gewachsen, aber hey, sie war in der Pubertät, da geschahen solche Sachen halt. Ihre Klamotten waren die gleichen wie sonst auch immer. Sie sah ein wenig verängstigt aus; ihr schien diese Menschenmenge nicht sehr zu gefallen, wer konnte es ihr verübeln? Sie kannte sich hier immerhin nicht aus. Und die ganzen Gesichter, die an ihr vorbeizogen, waren ihr auch alle unbekannt. Da durfte man ruhig Angst haben, sie war immerhin erst 14 (wie alt ist die eigentlich?). Deswegen erstaunte es mich noch mehr, dass unsere Mutter ihr erlaubt hatte, alleine mit dem Zug zu fahren. Sie hätte ja immerhin auf der Fahrt von irgend so einem wahnsinnigen Kindervergewaltiger >weggeschnappt< werden können. Aber ich kannte meine Schwester ja. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Vermutlich lag Serenety unserer Mutter so lange in den Ohren, bis es ihr auf die Nerven ging. Jetzt stand meine Schwester hier, alleine, verängstigt. Doch dann entdeckte sie mich plötzlich, ihr Gesichtsausdruck erhellte sich und sie kam auf mich zugerannt. Mittlerweile waren die meisten der Schüler schon weg, sodass sie bzw. ich als ihr großer Bruder keine Angst haben musste, dass sie mit irgendjemandem zusammenstieß. Als sie bei mir ankam, warf sie sich mir in die Arme, lachte laut, ein Funkeln trat in ihre Augen und sie brachte mich mit ihrem vielen Schwung aus dem Gleichgewicht, das ich jedoch schnell wiederfand. „Ich hab dich ja so vermisst, Brüderchen!“, meinte sie in meinen Armen und lachte immer noch. „Ich dich auch, Schwesterchen. Wie lange ist das jetzt schon her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben?“ „Ein Jahr, dreizehn Tage, sechs Stunden, 48 Minuten und 32 Sekunden.“ Ich sah mit einem undefinierbaren Blick auf sie herab. „Sooo genau wollte ich es jetzt auch nicht wissen.“ Sie musste mich ja richtig vermisst haben, wenn sie sogar die Sekunden gezählt hatte – Hallo??? Die Sekunden!!! Sie lachte wieder glockenhell und meinte: „Ich weiß, aber ich wollte dein bedröppeltes Gesicht sehen, wenn ich dir das sage.“ Ich schenkte ihr einen weiteren undefinierbaren Blick. Serenity war schon irgendwie seltsam, oder? „Das heißt, die Zahl stimmt nicht?“, fragte ich. „Doch, ich habe die Tage bis zu unserem nächsten Wiedersehen gezählt. Weißt du, zu Hause ist es so langweilig. Mama erlaubt mir nichts. Ich darf noch nicht mal bei einer Freundin übernachten, wenn es nach ihr gehen würde. Mit dir kann ich stattdessen machen, was ich will. Es ist immer so lustig mit dir. Mit dir mache ich immer so abgefahrene Sachen, die ich sonst nie machen würde.“ Ich grinste sie verschlagen an und erwiderte: „Wozu sind große Brüder denn sonst gut, wenn nicht mit ihnen seltsame Aktionen zu machen? Außerdem kennst du mich doch. Ich war noch nie die Unschuld vom Lande.“ Sie lachte wieder und meinte: „Ja, ich weiß. Wenn dem nicht so wäre, wäre mein Leben wirklich vollkommen langweilig. Ich würde nur Spießerverwandte haben. Ich erinnere an das Baden im Schwimmbad bei Nacht – mit einem Eimer Farbe bewaffnet. Ich will nicht das Gesicht des Bademeisters am nächsten Tag gesehen haben. Der war sicherlich nicht sonderlich begeistert, als er festgestellt hat, dass sein gesamtes Wasser auf einmal rot war.“ Ich grinste schelmisch und wollte eigentlich etwas erwidern, doch plötzlich räusperte es sich hinter mir. Ich drehte mich um und entdeckte meine Freunde, die dem ganzen Schauspiel stumm gefolgt waren. „Oh, deine Freunde sind ja auch hier“, meinte Serenity begeistert. „Wir haben uns ja auch nicht mehr lange gesehen!“, meinte sie, ließ von mir ab und ging zu meinen Freunden. Yugi trat auf sie zu und meinte: „Da hast du Recht. Ich hab dich vermisst.“ Sie lächelte ihn herzlich an und meinte: „Ich dich auch.“ Dann schloss sie ihn in die Arme und wandte sich dann Tristan und Tea zu. Tristans Blick begann zu funkeln, als meine Schwester ihn umarmte. Ich beobachtete ihn mit Argusaugen. Das hatte ich ja beinahe vergessen. Tris stand ja voll auf meine Schwester. Ich seufzte innerlich. Nicht, dass ich dachte, dass er meiner Schwester etwas tun würde, was sie nicht wollte, aber sicher konnte man sich nie sein, immerhin war er ein pubertierender Teenager, der nur von seinen Hormonen gesteuert wurde... Das erinnerte mich doch wieder daran, dass ich das ja auch war. Ich seufzte ergeben. Jaja, das Leben eines Teenies war schon nicht einfach... Auch wenn die Erwachsenen das immer behaupteten. Die hatten ja keine Ahnung! In Gedanken legte ich eine Hand an mein Kinn. Allerdings war ich nicht so wie Tristan, wie mir gerade wieder auffiel. Der hatte bei sich zu Hause ziemlich viele Playboys mit irgendwelchen nackten Frauen rumliegen, von denen er voll heiß wurde. Mich ließen die jedoch vollkommen kalt. Das war ziemlich seltsam, ich weiß. Ich war schließlich ein Junge und sollte von sowas total angemacht werden... dem war nur nicht so. Aber was sollte ich machen? Ich konnte doch nicht erzwingen, dass ich von irgendwelchen halbnackten – naja gut, wohl eher so gut wie nackten bis hin zu ganz nackten – Frauen, die hundertpro alle eine Schönheitsoperation hinter sich hatten und grottenschlecht geschminkt waren, erregt wurde, oder? Ich meine, das kann’s doch nicht sein. War das seltsam? Vermutlich schon... Immerhin waren alle anderen Jungs aus meiner Klasse auf so eine >Vollblutfrau< um sie zu zitieren, scharf – ausgenommen natürlich Yugi, der zählte nicht, der stand ja schließlich auf den Pharao... Aber was hatte das bei mir zu bedeuten? Sehr seltsam... Ich beschloss, diesen sehr anstrengenden Zwist auf später zu verlegen und mich lieber meiner Schwester und meinen Freunden zu widmen. „Du bist also der Pharaoh? Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen. Joey hat viel von dir erzählt.“ Ein Lächeln stahl sich auf Yamis Züge. „Die Freude ist ganz meinerseits. Du bist immer noch so schön, wie bei unserer letzten Begegnung.“ Auf Serenitys Gesichtszüge legte sich ein fragender Ausdruck. „Wir haben uns schon mal gesehen?“, wollte sie wissen. Yamis Lächeln wurde größer und er meinte: „Ich dich schon, du mich auch, aber unbewusst, denn bei unserer letzten Begegnung habe ich mir ja noch den Körper mit Yugi geteilt.“ „Das stimmt also, was mein Bruder gesagt hat? Ich habe immer gedacht, dass er mich auf den Arm nehmen wollte, als er mir das erzählt hat.“ „Hey!“, ließ ich empört verlauten. „Ich würde niemals lügen! Naja, fast nie“, verbesserte ich mich, nachdem Tea mir einen strafenden Blick zugeworfen hatte. „Und dich würde ich schon gar nicht anlügen“, meinte ich an meine Schwester gewandt. Nach dieser herzlichen Begrüßung machten Serenity und ich uns auf den Weg, immerhin wollten wir heute noch so einiges machen. Auf dem Weg zu mir nach Hause – schließlich wollte ich nicht die ganze Zeit meine Tasche mit herumschleppen und andere Klamotten wollte ich mir auch anziehen – fragte ich Serenity: „Sag mal, hast du dir irgendwas bestimmtes vorgestellt, was wir heute machen sollen?“ Sie überlegte eine Weile, dann schüttelte sie den Kopf. Ein unsicheres Grinsen stahl sich auf meine Lippen. „Hast du dann etwas dagegen, mit mir gemeinsam einen Anzug zu kaufen?“ Meine Schwester sah mich mit großen Augen an. „Wozu brauchst du denn einen Anzug?“ Ach, stimmt ja, da war ja was... Ich hatte ihr bis jetzt gekonnt verschwiegen, dass ich arbeiten ging, ganz besonders, dass ich dabei sang. Absicht? Ja, und wie!!! „Naja, weißt du, ich gehe arbeiten und für die Stelle brauche ich einen.“ „Und wann hattest du vor, mir das zu sagen?“, fragte sie mich und sah mich vorwurfsvoll an. //Eigentlich nie, das ist mir immer noch peinlich.// Mein Blick schweifte zu ihr ab und ich musste feststellen, dass sie eingemuckelt war. Sie hatte ihre Unterlippe schmollend nach vorne geschoben und ihre Arme veschränkt. //Allerdings bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mir eine Notlüge aus dem Ärmel zu ziehen, um sie wieder gnädig zu stimmen – und soviel dazu, dass ich meine Schwester nicht anlügen würde...// Ich zuckte mit den Schultern und meinte: „Weiß nicht, ich hatte in letzter Zeit so viel zu tun...“ Ihre vorwurfsvolle Miene glättete sich ein wenig, doch sie fragte immer noch ein wenig eingeschnappt: „Und als was arbeitest du?“ Augenblicklich konnte ich spüren, wie sich eine leichte Röte auf mein Gesicht legte. Verlegen stotterte ich rum, ohne wirklich auf den Punkt zu kommen: „Naja, weißt du, also... das ist so...ähm...“ „Na was denn nun?“, fragte sie, als sie sich vor mich gestellt hatte und sich neugierig, wenn auch bedrohlich – meine Schwester war 14! Und ich hatte Angst vor ihr? – vor mir aufbaute. Sie sah mir ungeduldig in die Augen. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Kaum zu glauben, dass sie es wirklch schaffte, mir Angst einzujagen. Ich druckste herum, war nicht gewillt, ihr zu antworten. „Joeeeeeeeeeeey!“ Man könnte meinen, sie wäre fünf Jahre alt – so verhielt sie sich jedenfalls... Wie ein kleines Kind, das nicht bekam, was es wollte. Ich sah zur Seite und sagte dann widerwillig: „Ich singe.“ Stille. Hatte ich etwas falsches gesagt, dass sie dazu nichts von sich gab? Das war doch nicht normal! Sonst gab sie immer Kommentare von sich, jedenfalls, wenn sie mit Personen zusammen war, die sie kannte, denn bei Fremden war sie viel zu schüchtern. Mir blieb also nichts anderes übrig, als ihr ins Gesicht zu sehen, um zu erfahren, was mit meiner Schwester los war. Ich blickte also mehr als unwillig auf und zuckte überrascht zusammen. Sie strahlte wie ein Honigkuchenpferd! Was war denn jetzt kaputt? Kurzschlussreaktion oder so? „Das ist doch wunderbar! Das du dich endlich mit deiner geilen Stimme traust...!“ Ich sah sie ungläubig an. Hatte ich mich verhört? „Was...?“ „Du hast eine tolle Stimme, das wusste ich schon immer. Ich habe gehofft, du würdest irgendwann einen Job annehmen, bei dem du deine Stimme brauchst.“ „Aber...“, setzte ich an, wurde jedoch sofort von meiner Schwester wieder unterbrochen: „Ach komm schon, Joey! Ich bin deine Schwester! Glaubst du im Ernst, dass mir noch nicht aufgefallen ist, dass du gerne singst? Gerne und gut?“ Ich überlegte. Eigentlich ja nicht. Wie schon gesagt, sie war meine Schwester und wusste dementsprechend recht gut, was ich gerne machte und so. Ich seufzte. „Du hast Recht.“ Ein überdimensional großes Grinsen schlich sich auf ihre Züge und sie meinte: „Ich weiß. Lass uns jetzt deinen Anzug aussuchen gehen.“ Ich nickte und wir setzten uns in Bewegung. „Dann musst du mir aber noch ein wenig mehr über deine Arbeit erzählen, sonst weiß ich ja gar nicht, wie dein Anzug in etwa aussehen muss, damit er in die Umgebung passt“, meinte sie. Da hatte sie schon wieder Recht. Also erzählte ich ihr, was ich denn jetzt genau suchte und nach meiner Erklärung nickte sie verstehend mit dem Kopf. „Ok, ich weiß schon, was du suchst, glaub mir.“ Das gute an meiner Schwester war, dass sie, obwohl sie erst vierzehn war, schon einen guten Sinn für Mode und dergleichen hatte. Oder lag das einfach nur daran, dass sie ein Mädchen war und die das sowieso alle wussten? War ja eigentlich auch egal, hauptsache, meine Schwester konnte mich in Sachen Anzug beraten. An diesem Nachmittag hatten wir viel Spaß, auch wenn ich nicht sonderlich gerne Shoppen ging. Ob das daran lag, dass ich männlich war? Keine Ahnung. Ich hatte schon vier Anzüge angehabt, doch an jedem hatte meine Schwester etwas auszusetzen. Er saß zum Beispiel nicht richtig an den Schultern – sie meinte, dass er da spannen würde, doch als ich mich im Spiegel ansah, konnte ich nichts dergleichen sehen. Frauen halt, da musste ich nichts weiter zu sagen. Ich widersprach ihr schon gar nicht erst. Erstens wollte ich sie nicht verärgern und zweitens wusste sie, was sie tat. Ich vertraute ihrem Urteil. Als ich jedoch feststellte, dass der fünfte Anzug komplett rosa war, kam dieses Vertrauen stark ins Schwanken. „Serenity, was soll das werden?! Glaubst du im Ernst, dass ich das Teil anziehen werde? Geschweige denn, dass das mein Chef akzeptieren würde?“, fragte ich sie geschockt. Warum hatte meine Schwester nur vor, mich in die Haut eines Schweins zu stecken? Die gleiche Farbe hatte sie immerhin. Und schon wieder hatte sich ein riesiges Grinsen auf ihre Züge geschlichen. „Glaubst du im Ernst, dass ich so einen verdrehten Modegeschmack habe? Ich will nur mal sehen, wie das aussieht. Ich will meinen Spaß mit dir haben! Komm schon, du musst das Teil ja nicht kaufen, nur mal anprobieren! Ich werd’s auch keinen erzählen.“ „Aber... Aber das Teil ist rosa!“ Jetzt wurde ihr Grinsen geradezu diabolisch. „Ich weiß!“ „Ich zieh das Teil nicht an!“ „Ach komm schon! Sei kein Spielverderber! Nur zum Spaß!“ Ich seufzte. Warum konnte ich meiner Schwester eigentlich keinen Wunsch abschlagen? „Gib schon her, das Teil. Aber komm nicht auf den Gedanken, dass ich das noch mal machen würde“, sagte ich ein wenig genervt. Jetzt lächelte sie mich an. „Ok. Ich suche derweil schon mal nach einem anderen Anzug für dich.“ Grummelnd zog ich mich in meine Unkleide zurück. Warum tat ich mir das noch gleich an? Ach ja, weil sie meine Schwester war. Warum hing ich nur so sehr an ihr, dass ich mich freiwillig für sie demütigte? Ich kam schon wenige Augenblicke später wieder aus der Umkleide und präsentierte mich meiner Schwester. Die machte aus irgendwelchen Gründen ziemlich große Augen. „Was denn? Seh ich so dämlich aus?“, fragte ich sie ein wenig neugierig und stellte mich vor den Spiegel. „Das würde ich nicht unbedingt sagen, es macht dich...“ Sie schien nach dem richtigen Wort zu suchen, währenddessen musterte ich mich in dem Spiegel. „Schwul?“, fragte ich sie gerade heraus. „Ja, das ist der Ausdruck, den ich gesucht habe“, meinte sie grinsend. Was war da denn so lustig dran? Wollte sie etwa einen schwulen Bruder? Hatte ich schon einmal erwähnt, dass meine Schwester ziemlich seltsam war? Ich sah mich weiter im Spiegel an. Der Anzug legte sich perfekt an meinen Körper und betonte meine Linien. Dabei kam meine schlanke Figur zur Geltung, machte mich gleichzeitig ziemlich feminin, wie ich feststellte. Das Teil machte mich wirklich schwul! Hilfe!!!! Auf einmal fing meine Schwester an laut zu lachen. „Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte ich sie ein wenig genervt. „Du solltest mal dein Gesicht sehen! Generell einfach deine ganze Haltung. Zum Lachen, echt!“ Ich warf im Spiegel einen Blick auf mein Gesicht, meine Haltung und tatsächlich, es sah ziemlich angeekelt und abgenervt aus. Naja, der Anzug war immerhin PINK!!!! Jetzt ließ ich es mir jedoch nicht nehmen, mit überdimensional großem Hüftschwung auf meine Schwester zu zu gehen und sie anzulächeln. Dabei bewegte ich mich ziemlich lasziv, glaube ich. Keine Ahnung, ob dem so war, weil ich mich eigentlich nicht so fortbewegte, außer vielleicht mal irgendwann unbewusst, aber an sonsten nie. Warum sollte ich auch? Ich hatte bis jetzt ja noch keinen Grund dazu gehabt... Man könnte mich schon als verrückt ansehen, immerhin machte ich hier gerade mehr oder weniger meine eigene Schwester an... Aber naja, sie war doch selbst schuld, mir so ein gräßliches Teil anzudrehen. Da musste sie jetzt auch die Konsequenzen tragen! Ich wollte schließlich auch meinen Spaß haben! Als ich dann vor ihr zum Stehen kam, posierte ich vor ihr. Die eine Hand an der Hüfte, die andere in den Haaren. Ging’s mir hier eigentlich noch ganz gut? Ich meine, der ganze Laden sah mich schon ziemlich seltsam an. Wer konnte es ihnen schon verübeln? Ich meine, man hatte nicht jeden Tag einen Wahnsinnigen in seiner Nähe... „Was gefällt dir denn nicht an meiner Haltung? Ist doch alles in Ordnung damit. Sieht doch sexy aus.“ Ich sah sie verführerisch an, fuhr mit der Hand, die in meinen Haaren war, meine Wange hinunter bis zu meinen Lippen, stirch mit meinen Fingern darüber und mein Zeigefinger verharrte auf den ihnen. Ich sah sie verspielt und unschuldig an. Stand ich eigentlich unter Alkoholeinfluss? Ich meine, kein normaler Mensch würde so etwas im Beisein anderer machen! Schon gar nicht, wenn er die nicht kannte und die einen dann für einen halten konnten, der aus der Irrenanstalt entflohen war! Plötzlich fing meine Schwester laut an zu lachen. Das musste wohl ein sehr seltsames Bild abgegeben haben. Ich stellte mich wieder normal hin und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Du solltest Schauspieler werden, Brüderchen. Das war echt oskarreif.“ Ich lachte auf und meinte: „Lieber nicht. Da würden sich bloß alle die Augen vergiften, wenn sie mir zusehen würden, wie ich mich zum besten geben würde.“ Ich grinste sie an. „Krieg ich jetzt bitte einen anderen Anzug? Ich hasse rosa. Ich dachte, dass hätte ich jetzt schon oft genug erwähnt.“ „Achso, ja, hier“, sagte sie und drückte mir den nächsten in die Hand. Ich lächelte ihr dankbar zu und verschwand damit wieder in der Umkleide. Nach kurzer Zeit kam ich wieder heraus und sah meine Schwester unsicher an. Der Anzug gefiel mir ganz gut, allerdings wusste ich nicht, wie Serenity das sehen würde. Der Anzug war komplett schwarz, genau wie der, den mir Carlos auch schon gegeben hatte. Sie sah mich kritisch an und ging einmal um mich herum, um mich auch von allen Seiten betrachten zu können. Als sie wieder vor mir zum Stehen kam, meinte sie: „Wenn du jetzt auch noch die richtigen Schuhe und eine Fliege hättest, wärst du perfekt.“ Ich sah sie ungläubig an und konnte nicht fassen, was ich da gerade gehört hatte. Es hätte mir gereicht, wenn sie zufrieden gewesen wäre, aber dass das gleich zu einem >perfekt< wurde, war ja geradezu ein Wunder, sie war immerhin eine ziemlich kritische Person und war demzufolge auch nicht leicht zufrieden zu stellen. Kurz entschlossen winkte sie eine der Verkäuferinnen heran, die durch den gesamten Laden wuselten – ich glaube, die ganzen Verkäuferinnen haben mir schon die ganze Zeit interessierte Blicke zugeworfen, seit ich den Laden betreten hatte. „Wie kann ich ihnen behilflich sein?“, fragte sie und schenkte uns ein Lächeln – oder besser: Es sollte eigntlich an uns beide gerichtet sein, doch ich bemerkte genau, dass sie nur mich die ganze Zeit ansah. Ich schätzte sie auf etwa dreißig. Und genau wie die Frauen im Club warf sie mir sehr eindeutige Blicke zu. Ich musste wirklich heiß in dem Teil aussehen... „Haben sie schwarze Schuhe da, die zu diesem Anzug passen? Und eine passende Fliege?“, fragte meine Schwester. Die Verkäuferin musterte mich kurz – was sie, wie gesagt schon die ganze Zeit getan hatte – nickte dann und verschwand, nur um kurze Zeit später mit Schuhen und Fliege zurück zu kommen. „Ich denke, die müssten passen“, meinte die Verkäuferin und lächelte mich schon wieder an. Hatte die irgendwie eine Zerrung in ihren Gesichtsmuskeln oder warum sah sie mich die ganze Zeit an? Ich meine, wenn das mal kurz gewesen wäre, ok, wenn sich daraus allerdings ein Dauergrinsen entwickelte, ging einem das irgendwann auf die Nerven, so wie das gerade bei mir der Fall war. „Zieh das alles mal an, Brüderchen“, sagte Serenity und duldete keine Widerworte – nicht, dass ich welche geben wollte. Also schlüpfte ich in die Schuhe, die zu meiner Verblüffung wie angegossen passten und legte mir die Fliege um. Dann trat ich vor den Spiegel und ich konnte mir ein anerkennendes Pfeifen nicht verkneifen. „Das ist gut. Das nehmen wir. Zieh dich um, Joey. Du darfst mich zum Dank auch zum Essen einladen.“ Ich seufzte. Meine Schwester war ja soooooo selbstlos. Wenn ich diesen Gedanken laut ausgesprochen hätte, hätte man den Sarkasmus vermutlich gar nicht überhören können... „Ja, wenn es denn sein muss“, erwiderte ich. Sie grinste und meinte, als ich schon wieder in der Umkleide verschwunden war: „Tu doch nicht so, du hast doch auch Hunger.“ Stimmt, aber das würde ich ihr nicht sagen. Das würde sie mir sonst nur den Rest des Tages vorhalten. „Und außerdem: Wann sehen wir uns denn mal? Da kannst du deine kleine Schwester ruhig mal einladen. Davon geht die Welt nicht unter. Dann können wir uns dann alles mögliche erzählen, was wir in der vergangenen Zeit gemacht haben.“ Nachdem ich also den Anzug bezahlt hatte – es war nur bei einem geblieben, immerhin wurde ich erst am Ende des Monats bezahlt und hatte dem entsprechend noch nicht wirklich viel Geld, außer meinem Taschengeld, das ich ziemlich unregelmäßig bekam und deswegen auch nur recht spärlich war – und er mir mitsamt der Schuhe und der Fliege eingepackt worden war, gingen meine Schwester und ich zusammen in ein Café, um dort etwas zu essen. Das Anzuganziehen hatte ziemlich lange gedauert und deswegen konnte man das Essen schon als Abendessen betrachten. Während wir aßen, erzählten wir tatsächlich viel. Was wir die vergangene Zeit gemacht hatten und wie es uns ergangen war. Serenity erzählte, dass ihre Mutter mit ihrem Freund schluss gemacht hätte, da dieser sich wohl als ziemlich hinterhätlig herausgestellt hatte. Er hatte sich erst bei unserer Mutter eingeschleimt und hatte sich dann mit irgendwelchen anderen Frauen getroffen. Irgendwie gönnte ich ihr das. Nicht, dass ich besonders schadefreudig gewesen wäre – ok, das war jetzt eine Lüge, aber das ignorierte ich gekonnt – aber ich fand, dass es ihr aus einem mir unbekannten Grund ganz recht geschah... „Wann geht denn dein Zug zurück nach Hause?“, fragte ich Serenity, als wir fertig waren und wir uns erhoben. Sie sah auf ihre Armbanduhr und meinte: „In zweieinhalb Stunden.“ Ich sah auf meime eigene Uhr und stellte fest, dass es halb sieben war. „Na dann habe ich ja noch genug Zeit, um dir meine Arbeitsstelle zu zeigen. Ich habe heute zwar frei, aber ich möchte meinen Anzug da einschließen. Ich hab schließlich keinen Bock, drei Tage in der Woche im Anzug durch halb Domino zu latschen. Da komm ich mir wer weiß wie dumm vor.“ Serenitys Augen leuchteten auf, als ich sagte, dass ich ihr meine Arbeitsstelle zeigen würde. Sie war richtig gespannt und wollte sie unbedingt sehen. Schon den ganzen Nachmittag hatte sie mich ausgefragt, wie der Nachtclub denn aussah und wie meine Kollegen und so wären. Jetzt, wo ich ihr den Club zeigen würde, platzte sie fast vor Neugierde. Als wir vor dem Club ankamen, drehte ich mich zu meiner Schwester um und sagte: „Hör zu, wenn wir da jetzt gleich reingehen, dann bleib auf jeden Fall bei mir. Wenn du nämlich verloren gehst, kann ich dir kein Alibi geben, warum du denn im Backstagebereich bist. Also, bleib in meiner Nähe.“ Sie nickte und klammerte sich an meinen linken Arm, in der rechten trug ich die Tüte mit dem Anzug. Ich führte sie zum Hintereingang und kramte den Schlüssel dafür aus meiner Hosentasche hervor, um eben diesen aufzuschließen. Wir betraten gemeinsam den Club, Serenity immer noch an meinem Arm. „Hey, Joey, was machst du denn hier?“, hörte ich auch gleich eine mir bekannte Stimme fragen. „Du hast doch heute frei, oder habe ich was verpasst?“ Vor uns stand Kitian, die mich irritiert musterte. „Und wer ist das Mädchen an deinem Arm? Hast endlich doch ne Freundin aufgegabelt, oder was?“ Ich grinste sie an und erwiderte: „Das ist meine Schwester Serenity. Sie besucht mich heute, weil sie sonst bei unserer Mutter wohnt. Serenity, das ist Kitian.“ Etwas verschüchtert trat Serenity aus meinem Schatten und musterte Kitian. Ihr offenes Verhalten hatte meine Schwester wohl doch ein wenig eingeschüchtert. „Joey hat schon so einiges von dir erzählt“, meinte sie schließlich. Die ältere zog eine Augenbraue hoch und fragte: „Was denn alles? Ich hoffe, nur gutes.“ Jetzt grinste meine Schwester. „Naja, so einiges, aber ob das nur gutes war...“ Kitian begann nun ebenfalls zu grinsen. Langsam machten mir die beiden Angst. Das sah ganz so aus, als ob sich die beiden auf Anhieb gut verstehen würden. „Jetzt möchte ich es aber genauer wissen“, meinte meine Kollegin. Gerade, als Serenity ansetzen wollte, unterbrach ich sie und fragte: „Ist doch nicht so wichtig, oder? Ich meine, das tut doch jetzt eh nichts zur Sache.“ „Joeeeeeeey!! Ich will gefälligst wissen, was du ihr erzählt hast!!“ „Ach, naja, weißt du...“ „Es war nichts, das dich in einem schlechten Licht hat dastehen lassen“, unterbrach mich meine Schwester. „Auch wenn er zweifellos eben dies versucht hat. Aber mit seinen Schilderungen von dir, was du ihm schon alles angetan hast, hat er dich mir eher sympathisch gemacht. Ich meine, wer ärgert denn meinen Bruder, wenn ich nicht da bin? Das muss doch auch von irgdendwem übernommen werden, sonst kann er noch in Ruhe leben und das kann ich doch nicht zulassen!“ Ihr Grinsen wurde immer breiter, ebenso das von Kitian. „Du bist mir sympathisch“, meinte Kitian, bovor sie sich wieder an mich wandte: „Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast, noch dazu so eine nette“, meinte Kitian. „Du hast nicht nach ihr gefragt. Und bis jetzt hatte ich keinen Grund von ihr zu erzählen“, erwiderte ich mit einem Schulterzucken. „Ist Carlos da?“, fragte ich sie dann. „Klar, der ist doch immer da.“ „Ich meine, wo er ist.“ „Achso, ich glaube, in seinem Büro, wieso?“ „Ich hab hier etwas“-ich raschelte mit meiner Tüte-„das ich einschließen möchte.“ Kitian zog eine Augenbraue hoch und wollte sofort wissen, um was es sich bei der Tüte handelte. „Anzug. Ich sollte mir doch einen anschaffen.“ Kitian grinste. „Ich freu mich schon, dich darin zu sehen. Und Toshie garantiert auch.“ „Bleib mir bloß mit dem weg. Wenn ich ihn und seine Phasen nicht noch mal ertragen muss, bin ich glücklich! Wenn er mich in Ruhe lässt, versteht sich. Aber vermutlich würde ich schon allein bei seinem Anblick Zustände bekommen!“, meinte ich genervt. „Wir gehen dann jetzt mal zu Carlos. Wir sehen uns morgen.“ Kitian nickte und wuselte davon. „Ich mag sie“, sagte Serenety. Da wär ich jetzt nicht drauf gekommen, wo sie es doch schon gesagt hatte... Ich lächelte sie an und erwiderte: „Ich auch.“ Vor Carlos’ Büro angekommen klopfte ich an. Ein einfaches „Herein“ ertönte von innen. Ich öffnete die Tür und trat, gfolgt von meiner Schwester, die jedoch hinter mir blieb, ein. „Joey, was machst du denn hier? Du hast doch heute frei!“ „Ich finds auch schön, dich zu sehen. Nein, jetzt mal im Ernst, das weiß ich doch. Glaubst du wirklich, dass ich vergessen würde, dass ich heute frei habe? Ich bin nur hergekommen, um meinen Anzug vorbeizubringen.“ „Deinen Anzug?“, fragte er verwirrt. Ich deutete auf die Tüte und meinte: „Ja, den hab ich heute mit meiner Schwester, die hinter mir steht,“-einen schnellen Wink hinter mich machend-„gekauft.“ Ich trat einen Schritt zur Seite, sodass Carlos einen guten Blick auf sie hatte. „Guapa“, sagte er, stand auf und kam auf uns zu. Bei seinem Wort musste ich grinsen. So ungefähr jeder, der meine Schwester sah, fand, dass sie schön war. Ich war ja mal gespannt, was sie später für einen Mann heiraten würde. Ob der vom Schönheitsgrad mit meiner Schwester mithalten konnte? Ob das einer wäre, der in ihre Schönheit vernarrt wäre? Oder doch was ganz anderes? Wer wusste das schon? Irgendwie war ich ja schon neugierig... Carlos griff nach der Hand meiner Schwester und hauchte einen Kuss darauf. Okaaaaaaaaaaay, jetzt benahm er sich eindeutig nicht wie ein Spanier... Eher wie so ein Typ aus dem Land mit den Baguettes. Verdammt, wie hießen die noch gleich? Ich lernte doch ihre verdammte Sprache! Wie hießen die denn nochmal??? Ach ja, Franzosen. Er benahm sich wie ein Franzose! Ich bin Asiat (ist der das wirklich? Oder is er Halbamerikaner, oder sowas???), da muss ich nicht unbedingt wissen, was alles für seltsame Völkchen in Europa leben, mal von den Spaniern abgesehen. Nur um das klar zu stellen! Das ich auch französisch lernte und somit eigentlich auch von den Franzosen wissen musste, ignorierte ich mal wieder gekonnt. Generell war das, glaube ich, das beste, was ich konnte. Im Ignorieren war ich unschlagbar. Hah! Sogar besser als Mister-ich-bin-zu-gut-für-diese-Welt!!! Höchstwahrscheinlich jedenfalls... Vielleicht sollte ich ihn mal zu einem Duell im Ignorieren herausfordern... „Cómo te llama, mi preciosa (wie heißt du, meine wunderschöne)?“, fragte er meine Schwester. „Man, Carlos, sie spricht kein Spanisch, also brauchst du sie auch gar nicht erst auf Spanisch anzusprechen! Sie heißt Serenity.“ „Was ein schöner Name!“ Jetzt wandte er sich wieder meiner Schwester zu und fragte: „Willst du mich heiraten und anschließend ganz viele Kinder mit mir haben?“ „Carlos, sie ist VIERZEHN!!!“, wies ich ihn freundlich – wer’s glaubt – auf ihr Alter hin. Prompt ließ er ihre Hand los, schüttlete den Kopf und meinte: „Es tut mir leid, ich weiß auch nicht, was da plötzlich in mich gefahren ist. Normalerweise mache ich so etwas nicht.“ Er schien echt geknickt zu sein. Wer konnte es ihm verübeln? Immerhin war er sonst immer sehr beherrscht und hatte seine Gefühle im Griff. Und das, obwohl er Spanier war! Die waren doch für ihr Temperament bekant! „Ist schon gut“, sagte nun meine Schwester das erste mal etwas in Carlos’ Anwesenheit. „Ich bin so etwas gewohnt“, fügte sie hinzu und lächelte ihn an. Er schüttelte den Kopf und meinte: „Du verstehst das nicht. Normalerweise tue ich so etwas nicht.“ Ihr Lächeln wurde breiter. „Ich kenne viele Männer, die so was eigentlich nicht tun, doch irgendwie verändern sie sich alle in meiner Anwesenheit. Das ist ganz normal.“ Er seufzte. „Komm mit, Joey, ich zeige dir dein Schließffach, wo du deine Sachen einschließen kannst“, sagte er zu mir, um höchstwahrscheinlich von diesem Thema wegzukommen. Nachdem ich meine Sachen in den Spind gepackt hatte, meinte Carlos zu mir: „Vergiss die Zahlenkombination nicht!“ Als wenn das so wichtig wäre. Ich meine, Carlos wusste die doch auch, also warum machte der sich so ins Hemd? Wenn ich sie vergessen sollte, konnte ich doch einfach zu ihm gehen, oder nicht? „Nee, ich doch nicht! Sag mal, Carlos, darf ich meiner Schwester noch den Club zeigen?“ Ich sah ihn bittend an. Immerhin hatte ich meiner Schwester versprochen, dass ich ihr meine Arbeitsstelle zeigen würde. Sagte er jetzt nein, wie stand ich denn dann da? „Wenn du mir hoch und heilig versprichst, dass ihr nicht auffallt. Wie du weißt sind meine Gäste alle gut angezogen. Wenn ihr so underdressed die Aufmerksamkeit auf euch zieht, wirft das kein gutes Licht auf meine Bar.“ „Ich schwöre es. Wir werden uns im Schatten halten, sodass wir nicht auffallen.“ „Ok, von mir aus. Aber nur, wenn ihr wirklich nicht auffallt.“ Ich nickte und meinte: „Wir sehen uns morgen. Bis dann.“ „Ja, bis dann.“ Danach wandte er sich meiner Schwester zuu und sagte: „Ich hoffe, dass wir uns wieder sehen, mi preciosa. Deine Schönheit ist eine Augenweide für meine armen, kranken, alten, schwachen Augen.“ Okaaaaaaaaaaay... Jetzt übertrieb er es aber! Ich meine, er war höchstens 30! Er tat ja gerade so, als ob er schon den größten Teil seines Lebens hinter sich hatte. Er hörte sich so an, als wenn er ein 87 ¾ Jahre alter Opi wäre, der seinem vergangenen Leben hinterher trauerte! //Ob er verheiratet ist?//, schoss mir die Frage durch den Kopf. //Und wenn ja, hat er Kinder?// Wie kam ich denn jetzt auf diese Gedanken? „Es war mir eine Freude, dich kennen gelernt zu haben“, erwiderte meine Schwester mit einem Lächeln. „Und keine Sorge, wir sehen uns bestimmt wieder. Man trifft sich immer zweimal im Leben.“ „Ich werde es mir merken“, meinte Carlos, bevor wir verschwanden. Als wir auf dem Gang waren und schon etwas Entfernung zwischen uns und das Büro meines Chefs gebracht hatten, fragte Serenity: „Ist dein Boss immer so drauf? Der ist voll komisch! Und was hat der da die ganze Zeit gebrasselt? Ich kann kein Spanisch.“ Man konnte ihr ihre Verwirrung regelrecht aus dem Gesicht ablesen, und das sagte ich, der nun wirklich keine Ahnung von Empathie und diesem ganzen Spaß verstand. „Eigentlich nicht. Du musst ihn wirklich beeindruckt haben, dass er sein Temperament so hat gehen lassen. Das macht er normalerweise nicht. Du weißt eigentlich nie, was er grade denkt... Voll undruchsichtig, der Typ... Das eine mal hat er dich nach deinem Namen gefragt. Und mit diesen kleinen Anhängseln an seine Sätze hat er dich immer angesprochen. Das hat immer so etwas wie >meine hübsche< oder >meine wunderschöne< geheißen... Stimmt es, dass du ein paar Männer kennst, die in deiner Gegenwart ganz anders werden, als sie normalerweise sind?“ Sie nickte und meinte: „Ja, zu Hause. Ein paar Bekannte von Mutter. Und dann ein paar Jungs aus meiner Klasse.“ Bekannte von unserer Mutter? Das mussten doch dann ziemlich alte Säcke sein, im Vergleich zu meiner Schwester. Was waren das für perverse Alte, die sich an einem kleinen Mädchen aufgeilten? Gut, Mutter würde sicherlich nicht zulassen, dass sie ihr etwas tun würden – mir schwirrte da noch dieser Satz von Serenity im Kopf herum, dass unsere Mutter sie am liebsten noch nicht einmal bei einer Freundin übernachten lassen würde – aber bei den Jungs in ihrer Klasse? Wer konnte das schon wissen? Es konnte schließlich nicht die ganze Zeit ein Lehrer an ihrer Seite sein, um auf sie aufzupassen. Schon recht nicht auf dem Schulweg. Da konnten Sachen passieren...! Konnte man das Beschützerkomplex nennen? „Nimm dich vor ihnen in Acht“, warnte ich meine Schwester, hielt jedoch die Besorgnis aus meiner Stimme heraus. „Wieso?“, fragte sie mich und sah mich aus großen, neugierigen Augen an. Wie naiv konnte man eigentlich sein? Ich meine, das musste ihr doch einfach auffallen, dass die alle etwas von ihr wollten! Wie gutgläubig konnte man eigentlich sein??? „Tu’s einfach.“ „Ich weiß zwar nicht warum, aber wenn du dich dann besser fühlst, versprech ich es dir.“ Zusammen mit meiner Schwester betrat ich also durch die Tür, durch die bei meinem Vorsingen auch Jonny gekommen war, die sich neben der Bühne im Schatten befand, den Saal und tatsächlich, er war – mal wieder – voll mit Leuten, die schick angezogen waren. Serenity sah, neugierig wie sie nun mal war, über meine Schulter um einen Blick auf die Gäste erhaschen zu können. „Boah, und vor solchem Publikum singst du?“, fragte sie flüsternd, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wofür ich ihr sehr dankbar war. Ich nickte und meinte: „Dafür der Anzug.“ „Cool.“ Als meine Schwester genug gegafft hatte – anders konnte man das echt nicht nennen – schlichen wir durch die dunklen Passagen des Clubs, die hauptsächlich aus Ecken und Rändern des Clubs bestanden, damit ich meiner Schwester alles zeigen konnte. Als wir schließlich an der Bar ankamen, da ich Serenity die ja auch zeigen musste, schließlich gehörte die dazu, entdeckte ich meinen zu Fleisch gewordenen Alptraum: Toshie. „Hey, Joey-Schätzchen! Wie geht’s denn so? Und wer ist deine reizende Begleiterin? Deine Freundin?“, fragte er mich sofort, als er mich entdeckt hatte. „Hallo, ja, ganz gut. Das ist meine Schwester Serenity. Serenity, das ist Toshie. Er scheint irgendwie auf mich zu stehen. Frag mich nicht warum, ich hab keine Ahunng. Und damit eins klar ist, Toshie: hör auf, mich >Joey-Schätzchen< zu nennen! Das ist ja eklig!“ „Serenity also. Man sieht, dass ihr miteinander verwandt seid.“ Er schenkte ihr ein großes Lächeln. „Du hast einen ganz reizenden Bruder, weißt du das?“, fragte Toshie. Sofort lächelte meine Schwester und erwiderte: „Ja, ich weiß. Willst du was von ihm?“ „Jetzt fang du nicht auch noch damit an!“, empörte ich mich. „Ja, er ist so niedlich.“ War das die Möglichkeit? Die beiden ignorierten mich! „Aber du bist auch nicht zu verachten. Du bist sogar ziemlich ansehnlich. Wie alt bist du?“ Meine Schwester lachte glockenhell und meinte: „Vierzehn.“ „Also denk gar nicht erst, dass du eine Chance hast! Du bist viel zu alt für sie! Nur über meine Leiche!“, warf ich ein. Sofort heftete sich Toshies Blick auf mich: „Und wie willst du das verhindern? Würdest du dich für deine Schwester opfern und dich mir hingeben? Außerdem wäre es doch viel zu schade, wenn du sterben würdest. Wem könntest du dich denn dann hingeben?“ „Na dir ganz sicher nicht. Satan persönlich vielleicht.“ Toshie sah mich ungläubig an, dann fing er auf einmal laut an zu lachen. „Der war gut. Aber jetzt mal im Ernst: Wem würdest du dich sonst hingeben? Ich meine, damit ich deine Schwester nicht anrühre, könnte es schon mal sein, dass ich mich an dir vergreife. Wer der stärkere von uns beiden ist, wissen wir ja, nicht wahr?“ Er sah mich vielsagend an. Angst? Jaaaaaa. Was dachte sich dieser Psycho eigentlich? Ich meine, der wollte mir nicht wirklich gerade drohen, oder? „Ach, und du glaubst, dass mir so ein kleiner Ausrutscher wie letztens noch mal passiert? Ich war nur überrascht über deine Aktion, dass ist alles. Wäre ich darauf vorbereitet gewesen, wäre das alles nicht passiert.“ Serenitys Augen waren währenddessen immer größer geworden. Ein Wunder, dass sie ihr noch nicht aus dem Kopf gefallen waren. „Was war denn da zwischen euch passiert?“, fragte sie schließlich. „Ach, nichts besonderes“, wehrte ich gleich ab. Ich war nicht wirklich scharf darauf, dass meine Schwester erfuhr, dass mich Toshie einfach so ohne mich zu fragen fast geküsst hätte! Und dass ich mich da wie ein kleines Mädchen aufgeführt hatte... Nicht zu fassen, wenn ich da jetzt zurück dachte! „Dein Bruder war Wachs in meinen Händen“, erklärte ihr Toshie. Serenity sah ihn ungläubig an. Und ich? Ich starrte ihn mit Todesblicken an. Wenn Blicke töten könnten... Toshie würde jetzt sicher in der tiefsten Hölle schmoren! „Wie schon gesagt: Wenn ich darauf vorbereitet gewesen wäre, dann hätte ich mich zur Wehr setzen können!“, verteidigte ich mich, doch Toshie schien mich absichtlich zu ignorieren, denn er sagte: „Wir hätten uns beinahe geküsst. Ich konnte schon spüren, dass dein Bruder ganz heiß geworden ist.“ Nein? Was verzapfte der da für einen Schwachsinn???? Langsam wurde ich echt sauer. Ich meine, erstens entsprach das ganze nicht der Wahrheit – jedenfalls nicht hundertprozentig. Oder glaubte der ehrlich, dass ich mich freiwillig von irgend so einem Typen abschlabbern ließ, den ich gerade mal fünf Minuten kannte? – und zweitens brauchte meine Schwester nichts über meinen schwulen Mitarbeiter und seine versauten Aktionen zu wissen, die er ganz zufällig auch noch mit mir abzog, unfreiwillig, versteht sich. Das war doch nicht das richtige Thema für ein junges Mädchen! „Toshie, wenn du nicht gleich damit aufhörst, so einen Müll zu fabrizieren, dann können wir das gerne draußen klären!“ Toshies Blick begann zu leuchten, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen vor Freude, doch würde man wirklich glücklich sein, wenn man eine Herausforderung zum Prügeln bekam? „Au ja, Schatzi. Dann können wir gleich da weiter machen, wo wir von Kitian unterbrochen wurden!“ Jetzt hatte er das Fass wirklich zum Überlaufen gebracht! Ich lief vor Zorn regelrecht rot an. Das konnte ich zwar nicht sehen, aber fühlen. Mir wurde ganz warm. Als ich Toshie anfuhr, hatte ich Mühe, meine Stimme im Zaum zu halten, immerhin sollten wir ja keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen: „Ich warne dich, Toshie. Wenn du nicht gleich aufhörst, so einen Schwachsinn zu fabrizieren, dann werde ich wirklich wütend. Und dann hast du definitiv nichts mehr zu lachen.“ Ich funkelte ihn bedrohlich an. Toshie wollte gerade etwas erwidern, als er von meiner Schwester unterbrochen wurde: „An deiner Stelle würde ich aufhören ihn zu provozieren. Er kann sich gut prügeln, auch wenn er das anscheinend bei euerer letzten Begegnung nicht gemacht hat. Weißt du, er war nämlich mal in einer Straßengang und da der Vizeboss. Sie haben sich jeden zweiten Tag mit einer anderen Gang geschlagen, sodass ich jedes Mal Angst um ihn haben musste. Aber er hat diese Kämpfe immer überstanden, als einer, der trotz seiner vielen Kämpfe einer derer war, der am wenigsten verletzt war. Also pass lieber auf, was du tust.“ Ich starrte Toshie immer noch ziemlich sauer an. Toshie hingegen warf mir einen musternden Blick zu, bis er meinte: „Ist das so? Das wird ja immer interessanter! Ich will dich haben, Joey! Ich will dich unbedingt haben!!“ Ich wollte eigentlich etwas giftiges erwidern, doch stattdessen atmete ich einmal tief ein und beruhigte mich wieder einigermaßen. „Nicht in tausend Jahren“, erwiderte ich gelassen. „Schade eigentlich. Aber ich werde es immer wieder versuchen. Du wirst sehen, am Ende gehörst du doch mir“, meinte Toshie grinsend. „Träum weiter.“ Wir verbrachten noch einige Zeit im Club und unterhielten uns normal mit Toshie – ja, mit Toshie, so unwahrscheinlich es auch klingen mag. Doch dann mussten wir irgendwann los, damit ich Serenity noch rechtzeitig zum Bahnhof bringen konnte. Unsere Mutter würde mich killen, wenn Serenity den Zug verpassen würde! Und um ehrlich zu sein, da hatte ich keine Lust drauf. Wir verabschiedeten uns also vom Rest und verließen den Nachtclub durch den Hintereingang. Wir hatten uns ein wenig mit Toshie verquatscht, deswegen waren wir jetzt auch spät dran. Normalerweise würde ich solche kleinen Gassen nie gemeinsam mit meiner Schwester nehmen, wie wir es gerade taten, denn die waren für sie viel zu gefährlich – wer wusste schon, was da alles für Verrückte lauern konnten, die es auf sie abgesehen haben könnten – doch blieb uns im Moment nichts anderes übrig, da diese Gassen Abkürzungen waren, und wir somit noch rechtzeitig am Bahnhof ankommen würden. Der einzige Haken an der Sache war jedoch, dass die Straßen wie schon gesagt klein waren. Und ziemlich dunkel, denn es dämmerte schon und auch die Beleuchtung – gab es denn welche – brachte nichts, da die zum größten Teil kaputt war. Ich wusste, dass es für meine Schwester ziemlich gefährlich war, immerhin war sie ein hübsches Mädchen, aber ich konnte nichts anderes machen, als sie durch diese Straßen zu bringen. Außerdem hoffte ich, dass meine Anwesenheit irgendwelche Spinner einschüchtern würde. Manche kannten mich noch von damals, als ich noch in der Gang war, auch wenn das schon zwei Jahre her war. Einen Joey Wheeler vergisst man nicht so einfach. Vor allem nicht, wenn er der Hauptgrund – neben dem Boss und ein paar anderen Gangmitgliedern – für Knochenbrüche und derlei Späße war. Meine Schwester klammerte sich nervös an meinen Arm und sah sich ein wenig ängstlich um. Ihr waren diese Gassen deutlich unangenehm. Wer konnte es ihr verübeln? Das war schon ziemlich beängstigend. Normalerweise würde ich solche Straßen auch nicht benutzen, auch wenn ich wusste, wie ich mich wehren konnte. Wenn ich nämlich wirklich überfallen werden sollte und meine Gegner deutlich in der Überzahl waren, so konnte ich nichts gegen sie tun und ich musste mich wohl oder übel verprügeln lassen. Deswegen mied ich es eigentlich, solche Straßen zu nehmen. Man konnte wusste nie hundertprozentig, ob man sicher war. Aber es waren ja nur noch drei Straßen, dann kamen wir auf die große Hauptstraße – mit gaaaaaaaanz vielen Leuten – und die war direkt am Bahnhof. Ich sah meine Schwester schon so gut wie in Sicherheit, als es doch geschah. Drei Typen traten aus dem Schatten und stellten sich uns in den Weg. „Sieh an, sieh an, was haben wir denn da?“, sagte der Mann in der Mitte der drei. Er war der kleinste der Bande – er war einen Kopf kleiner als seine Gefährten – schien jedoch der Anführer zu sein. „Ein Mädchen“, sagte der Typ links von ihm. Es war ein relativ bulliger Typ und eher in der Kategorie Schrank einzuordnen, genauso wie der dritte im Bunde. Die beiden schienen sich nicht sonderlich zu unterscheiden, wenn man mal von ihren unterschiedlichen Haarfarben absah. Die einen waren giftgrün gefärbt, die anderen feuerrot. Dass mir diese Farben nicht aufgefallen waren... Peinlich, peinlich... Schließlich waren sie so eine Art Signalfeuer und eigentlich fielen sie einem sofort ins Auge – mir aber anscheinend nicht... An sonsten schienen sie sich nicht sonderlich viel zu unterscheiden, Muskelmasse war die gleiche. „Was du nicht sagst, Ed. Ein ziemlich süßes noch dazu. Aber sie ist in Begleitung. Was machen wir also mit ihm?“, fragte der Anführer seine beiden Gefährten mit einem dreckigen Grinsen. Dieses Mal antwortete der andere: „Aus dem Weg räumen.“ Und nun zierte auch sein Gesicht ein Grinsen. Das Grinsen des Anfüherers wurde noch breiter und er meinte: „So ist es. Schnappt ihn euch.“ Während die beiden Schränke auf uns zugerannt kamen – das musste man sich einmal bildlich vorstellen, auch wenn das noch so wenig zu unserer ernsten Situation passte, aber sich vorzustellen, wie zwei Schränke auf einen zugerannt kamen, war schon lustig... – sagte ich zu Serenity: „Bleib immer hinter mir und aus deren Reichweite.“ Sie nickte nur hinter mir, doch das konnte ich trotzdem aus den Augenwinkeln sehen, und ließ mich los. „Wenn sie dir zu nahe kommen, dann renn weg“, fügte ich noch hinzu. Dann ging es los. Der erste der Schränke wollte nach mir fassen, doch ich duckte mich unter seinen Armen hindruch, um ihm in den Bauch zu treten. Der Tritt war nicht ohne, hatte ziemlich viel Power, und selbst der Schrank spürte das. Er griff sich vor Schmerzen mit beiden Händen an den Magen und krümmte sich vor Schmerz am Boden zusammen. Selbst Schuld, man legte sich halt nicht ungestraft mit einem Joey Wheeler an! Ich war währenddessen zu dem anderen übergegangen. Der beäugte mich misstrauisch, immerhin hatte ich seinen Kollegen mit einem einzigen gezielten Tritt zu Boden befördert. Das sah man mir nicht an, das wusste ich. Ich war immerhin nicht der größte, und Muskeln konnte man bei mir auch nicht unbedingt sehen, erst recht nicht in diesem Halbdunkel. Doch die Tatsache, dass ich seinen Kollegen niedergestreckt hatte, ließ den anderen anscheinend nicht schlauer werden, denn er stürmte jetzt geradewegs auf mich zu. Amateur... Ich trat gekonnt einen Schritt zur Seite und ließ den Schrank somit ins Leere laufen. Ich drehte mich um, um ihm hinterhersehen zu können und in der Hoffnung, dass er in die nächstbeste Wand hineinlief, doch leider war dem nicht so. Er konnte kurz vor ihr stoppen. Das hätte mir einiges an Arbeit erspart. Aber nein, so viel Glück hatte ich ja nicht. Alles musste man selber machen! Er drehte sich – für seine Verhältnisse – ziemlich schnell wieder um – er war schließlich ein Schrank und die waren aufgrund von Masse und Größe nicht so schnell... das hört sich jetzt doch echt so an, als wenn ich ein Mathefanatiker wäre! Was definitiv nicht der Fall war! – und fixierte mich aus seinen kleinen Augen, die mich mittlerweile mehr als nur wütend ansahen. Konnte ich da was für, wenn der so erbärmlich war? Sicher, er war stark und konnte einem bestimmt, wenn er einen erst einmal zu fassen bekam, das Leben schwer machen, doch um mich zu kriegen, musste er früher aufstehen. Er musste mehr tun, als nur versuchen, mit roher Gewalt an sein Ziel zu kommen. Oder glaubte der im Ernst, ich würde mich vor ihn hinstellen und mich von ihm fertig machen lassen? Da musste er aber definitiv früher aufstehen! Er kam wieder auf mich zugerannt. Anscheinend war er nicht sehr lehrnfähig, sonst würde er den gleichen Fehler nicht noch einmal machen. Dieses Mal würde ich ihm nicht ausweichen. Ich ballte meine rechte zur Faust. Der Schrank streckte seine Arme im Lauf nach mir aus. Wenn ich hier nicht langsam fertig werden würde, würde Serenity bestimmt ihren Zug verpassen. Sie musste doch zum Bahnhof. Ich wich also seinen Händen aus und rammte ihm meine Faust direkt ins Gesicht. Es gab ein ekliges Knacken zu hören. Der Gorilla schrie vor Schmerz auf, hielt seine eventuell gebrochene Nase – ganz sicher, ob sie nun gebrochen war oder nicht, war ich mir nicht – und verlor sofort das Interesse an mir, um sich seinem Schmerz zu widmen. Ich hatte also die beiden Schränke fertig gemacht. Der eine wand sich noch auf dem Boden, der andere hielt sich das Gesicht. Jetzt drehte ich mich zu dem Anführer um. Der musterte mich still. Ob er das schon die ganze Zeit gemacht hatte? Wenn ja, dann wusste er jetzt sicher in etwa, wie ich kämpfte. Dann hätte er mich sicherlich mit Leichtigkeit besiegen können. „Willst du dich auch mit mir anlegen? Oder muss ich erst das gleiche mit dir wie mit deinen Schränken machen?“, fragte ich ihn ernst. Eigentlich hatte ich ja keine Lust, mich auch noch mit ihm befassen zu müssen, wenn er mir jedoch keine andere Wahl lassen würde, müsste ich wohl doch. „Bis jetzt hat es noch niemand geschafft, die beiden so schnell und auch noch unbeschadet zu besiegen. Du kommst mir bekannt vor. Wer bist du?“, fragte er. Diese Frage schien ihn schon die ganze Zeit zu beschäftigen. „Früher war ich als >Howling Wolf< bekannt“, erwiderte ich. Das war mein Name in der Gang gewesen, bzw. mein Name, den mir meine Gegner gegeben hatten. Ich habe keine Ahnung, wie die darauf gekommen sind, aber ist ja auch egal. Vielleicht hatten sie mich mit einem Wolf verglichen, der vor seiner Jagd den Mond um Erfolg anheulte? Diese Idee war allerdings ziemlich schwachsinnig, immerhin heulten Wölfe doch nicht den Mond an, um um Erfolg zu beten. Oder etwa doch? Ich muss zugeben, ich habe keine Ahnugn, was das Verhalten von Wölfen angeht... Ist ja auch egal. Ich hätte nie gedacht, dass ich den Namen noch einmal aussprechen würde, damit hatte ich eigentlich schon abgeschlossen... Die Augen des dritten Typen weiteten sich. „Howling Wolf? Der von Akira (frei erfundener Ganganführer^^)?“ Ich nickte. Der Typ schien zu überlegen. Gut war allerdings, dass er von mir gehört hatte. Das ließ mich hoffen, dass er meine Schwester und mich gehen ließ, weil er keine Lust hatte, sich mit mir anzulegen. „Ok, geht. Ich lasse euch in Ruhe. Aber wagt es nicht, noch einmal hier lang zu kommen. Das könnte sonst ziemlich schmerzhaft für euch enden“, meinte er endlich. Seine Augen glitzerten gefährlich, das konnte ich sogar hier im Halbdunkel sehen. Klar, wer’s galaubt! Der hatte nur riesigen Schiss vor mir! Sonst hätte er uns nie und nimmer laufen lassen! (ich hasse es, Prübelszenen zu schreiben, die hören sich bei mir immer so bescheuert an...) Ich sah auf die Uhr an meinem Handgelenk. „Oh, verdammt! Komm Serenity! Wir müssen uns beeilen! Dein Zug kommt gleich!“ Damit griff ich nach dem Handgelenk meiner Schwester und rauschte an den beiden sich immer noch vor Schmerz windenden und ihrem Anführer vorbei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)