Wie früher... [beendet am 6.11. ^^] von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Der Tag vergeht schleppend und als ich endlich nach Hause komme, bin ich zum Umfallen müde. Trotzdem oder gerade deswegen, fühle ich mich gut, ausgepowert aber auf eine gewisse Weise glücklich. Nach dem Vorfall während des Interviews schienen alle das Bedürfnis gehabt zu haben, eine Normalität vorzuspielen und die Tatsache zu vergessen, dass ich auf diese letzte Frage nicht geantwortet habe. Deine Reaktion wird ihnen diese Antwort vielleicht schon gegeben haben. Ahnen sie etwas? Ich habe das dumme Gefühl, dass sie bereits alles wissen. Nachdem wir am Abend noch gemeinsam Essen gegangen sind, bin ich von dort aus zu Fuß nach Hause. Meine Füße schmerzen in den Schuhen, die ich schon den ganzen Tag trage, aber dieser lange Spaziergang durch die verschiedenen Gegenden Tokyos war beruhigend und eine Wohltat für mein aufgewühltes Gemüt. Zwar knurrt mein Magen, da ich dort kaum etwas gegessen habe, aber davon abgesehen fühle ich mich wohl. Langsam mache ich mir jedoch Sorgen da in etwas abzurutschen. Dass sich meine Selbstverletzungen jetzt nicht mehr nur äußerlich auf mehr oder minder oberflächliche Schnitte beschränken, sondern nun auch meinen ganzen Körper betreffen. Hungern ist schließlich auch eine Art von Selbstverletzung. Oder nicht? Ich verspüre nicht das Bedürfniss zu Essen, der Hunger ist mehr eine nebensächliche Empfindung, die sich leicht ignorieren lässt. Ich stelle mich auf den Balkon von dem aus ich eine gute Aussicht auf die umliegenden Blocks habe und zünde mir eine Zigarette an. Es ist schon fast stockdunkel, der Wind ist noch immer kalt, aber wenigstens hat der Regen im Laufe des Tages aufgehört. Gerade fühle ich mich wie in einer Art Traum gefangen. Es ist nicht unbedingt ein Albtraum. Die Ereignisse folgen so schnell aufeinander, dass das letzte kaum abgeschlossen scheint wenn wir bereits wieder auf dem Weg zum nächsten sind. Auftritte und Studioarbeiten geben sich die Klinke in die Hand. Im Frühjahr und Sommer stehen unsere ersten Auftritte in Europa an, die Arbeiten am neuen Album gehen in die letzten Runden. So wie es aussieht wird der Stress in den nächsten Monaten immer mehr werden, was eine gute Voraussetzung ist unsere Probleme zu verdrängen. Andererseits werden wir während der Tour fast Tag und Nacht aufeinander sitzen und kaum eine freie Minute haben. Das bedeutet wohl auch, dass ich selten mit dir allein sein werde. Gute Aussichten? Oder bahnt sich da etwa schon eine versteckte Sehnsucht an? Unten vor dem Haus fährt ein Auto vor, ein dunkelroter Porsche, der mir nur zu bekannt ist. Allein die Farbe wäre schon genug gewesen um an dich zu denken, doch der Wagen bleibt in einer recht engen Parklücke stehen, die Tür schwingt auf und heraus kommst du. Habe ich etwas anderes erwartet? Welche Entschuldigung hast du heute, um bei mir zu übernachten? Immerhin bist du nicht kurz vorm Verhungern, durchnässt vom Regen oder überfallen worden. Obwohl ich dir schon öffnen könnte, warte ich bis du klingelst. Selbst nachdem das Geräusch durch die Wohnung bis zu mir hinaus auf den Balkon klingt, warte ich einige Augenblicke wie erstarrt. Etwas sagt mir, dass dieser Abend nicht so harmlos verlaufen wird wie der gestrige. Aber habe ich überhaupt etwas dagegen einzuwenden? Wenn, dann würde ich dir jetzt nicht einmal die Tür öffnen, aber ich tue es, gehe langsam in den Flur und drücke einige Sekunden auf den elektrischen Türöffner, der ein leises Summen von sich gibt. Deine Schritte hallen im Treppenhaus bis zu mir hinauf. Wie immer benutzt du den Fahrstuhl nicht, Fahrstühle jagen dir Angst ein. Sie sind eng und können jeden Moment stecken bleiben. Du hast Angst er würde dann abstürzen. Manchmal denke ich, du siehst zuviele Filme. “Warum ziehst du eigentlich nicht gleich bei mir ein, Daisuke?”, frage ich, als du um die Ecke kommst und versuche meine Stimme dabei unbekümmert und heiter klingen zu lassen. Meine Schauspielkünste versagen offensichtlich wieder kläglich. Doch du lächelst mich an. Ein leichtes Lächeln, das nicht einmal deine Zähne zeigt, sodass es mir schon beinah unheimlich vorkommt. “Ist das eine Einladung?” Du gehst ohne zu zögern an mir vorbei und wartest nicht einmal darauf, dass ich dich herein bitte. “Seit wann brauchst du sowas wie eine Einladung?”, grummle ich und schließe die Tür. Du bist schon im Wohnzimmer angelangt – die Balkontür steht immernoch offen und lässt die kühle Brise von draußen herein – und siehst dich interessiert um, als wärst du noch nie in deinem Leben hier gewesen. Es scheint für dich auf einmal alles andere als belastend, dass ich deine Gefühle nicht erwidere. “Da du ja schon von allein hergefunden hast, findest du sicher auch etwas zu trinken, wenn du Durst hast.”, schlage ich dir vor und du nickst nur abwesend. Wo bist du mit deinen Gedanken? Wenn du mit ihnen sowieso so weit weg bist, warum bist du dann hergekommen? Du brauchst mich wohl kaum zu Nachdenken. Ich schließe erst einmal die Balkontür, setze mich dann aufs Sofa und zünde mir eine weitere Zigarette an. Du stehst noch einen Moment wie verstarrt da, setzt sich schließlich neben mich. “War ziemlich stressig heut, hm?” Dass du jetzt so wie selbstverständlich ein ganz normales Gespräch beginnst, kommt mir komisch vor und spornt mein Misstrauen an diesem Abend noch viel mehr an. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein und du willst nur einen netten Abend mit mir verbringen. “Ja... danke, Die. Wegen heute morgen bei dem Interview, meine ich.”, füge ich hinzu, als du mich etwas verwirrt ansiehst, dann grinst du und wuschelst mir durch die Haare. “Ist doch klar, Kyo-chan! Ich konnte dich doch nicht diesen Wilden ausgeliefert lassen.” Mit einem leisen Knurren quitiere ich diese Bezeichnung, spare mir jedoch eine Zurechtweisung. Heute bin ich viel zu müde, um noch so eine nichtige Auseinandersetzung anzuzetteln, die im Grunde ja eh nichts ändern wird. “Was steht die nächsten Tage noch an?” Ich versuche das Gespräch am Laufen zu halten. Und ich weiß wirklich nicht genau, was die nächste Zeit im Einzelnen an Arbeit auf uns zukommt. So reden wir noch einige Zeit über dies und das, meistens belangloses, das wir beide bald wieder vergessen werden und rauchen eine Zigarette nach der anderen. Normalerweise versuche ich möglichst nicht in der Wohnung zu rauchen und das klappt für gewöhnlich auch ganz gut, da ich sowieso selten zu Hause bin, aber heute ist es mir egal – morgen früh werde ich einfach kräftig durchlüften. Kurz vor Mitternacht, macht sich eine erdrückende Müdigkeit in mir breit. Den Kopf an dein Schulter gelehnt, ist mein Blick in die Ferne gewandert, während du mir etwas über deine Familie erzählt hast. Jetzt schweigen wir beide und mir fallen schon fast die Augen zu. So müde bin ich, dass ich mich nicht einmal mehr gegen deine Hand wehre, als du mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichst. “Geh ins Bett, Kyo.”, schlägst du vor und hörst dich kein wenig erschöpft an. “War ein langer Tag.” Ich nicke nur und stehe auf. Decke und Kissen liegen noch von letzter Nacht neben dem Sofa, aber so wie du aussiehst, wirst du noch einige Zeit nicht schlafen. Meine Muskeln protestieren schmerzhaft, mein Nacken ist völlig verspannt. Vielleicht sollte ich vor dem Schlafen doch noch unter die Dusche, das warme Wasser wird mit Sicherheit nicht schaden und so kann ich morgen früh länger im Bett bleiben. Also hole ich mir nur frische Boxershorts aus dem Kleiderschrank und verschwinde wortlos ins Bad. Ein Blick ins Wohnzimmer verrät mir, dass du dich keinen Zentimeter vom Fleck bewegt hast und offenbar nicht mal merkst was ich mache. Wieder einmal schlägt das Gewohnheitstier in mir durch und die Tür bleibt nur angelehnt. Ich bin zu müde um mir über dich noch Gedanken zu machen, zumal du sowieso gerade in deiner eigenen Welt versunken bist. Die Klamotten achtlos in eine Ecke geschmissen, stelle ich mich erleichtert unter den heißen Wasserstrahl, schließe entspannt die Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)