Vermisst von Mono-chan (letztes Kapitel ist hochgeladen :-)) ================================================================================ Kapitel 20: Vertrauen --------------------- Mitten in der Nacht fuhr Tsubasa im Bett hoch, schweiß gebadet und völlig außer Atem. Ein paar Sekunden lang starrte er in die Dunkelheit vor ihm, dann tastete er nach dem Lichtschalter. Als die Nachttischlampe aufflackerte, verschwand die Klammer, die sich um seine Brust gelegt hatte, fast sofort. Dennoch dauerte es noch eine ganze Weile, bis sich seine Atmung wieder beruhigte. Zu seiner eigenen Überraschung stellte er fest, dass er am ganzen Körper zitterte, und unwillkürlich verkrampften sich seine Hände in die Bettdecke. Wie er diese Albträume hasste! Eigentlich hatte er gehofft, hier endlich mal wieder eine Nacht durchschlafen zu können, nachdem er sich am späten Nachmittag so wohl gefühlt hatte, aber da war das Zimmer auch noch hell gewesen. Jetzt, im Dunkeln, konnte er absolut keine Konturen mehr ausmachen, und er kannte den Raum nicht.....es war fast genauso wie im Keller. Deprimiert ließ er sich wieder ins Kissen zurück fallen. Wie zum Teufel sollte das weitergehen? Wenn er sich schon nicht zuhause wohl fühlte und woanders auch nicht.....? Hoffentlich wurde alles besser, wenn seine Eltern aus dem Urlaub da waren, dann fühlte er sich vielleicht zumindest in seinem eigenen Zimmer wieder sicher. Unwillkürlich blickte er auf die Uhr. Halb drei! Na wunderbar.....mitten in der Nacht! Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er jetzt nicht mehr viel Schlaf finden würde. Wenn es wenigstens gegen sechs gewesen wäre, dann musste Sanae bald zur Schule und wäre vielleicht schon wach gewesen. Er sehnte sich nach ihrer Nähe. Aber jetzt wecken konnte er sie auf gar keinen Fall. Im Nachhinein bereute er es bitter, die Nachttischlampe nicht von Anfang an angelassen zu haben. Aber dafür war es zu spät, jetzt war er wach. Nach ein paar Sekunden schlug Tsubasa die Bettdecke zurück und stand auf. Eigentlich war es unhöflich, in fremden Häusern einfach so rumzulaufen, aber er brauchte etwas Bewegung. Hier liegen und die Zimmerdecke anstarren machte ihn noch wahnsinnig. Leise verließ er das Zimmer und zuckte prompt wieder leicht zusammen. Der Gang war auch dunkel, natürlich. Damit hätte er eigentlich rechnen müssen. Ärgerlich über sich selbst setzte er seinen Weg etwas schneller fort. Zum Glück kannte er sich einigermaßen aus, immerhin hatte er Sanae in der Vergangenheit schon oft besucht. Ihre Zimmertür war noch geschlossen, das ganze Haus war still. Kein Wunder um diese Uhrzeit. Insgeheim musste er sich jedoch eingestehen, dass er gehofft hatte, in ihrem Zimmer Licht zu sehen, aber alles blieb dunkel. Tsubasa schüttelte über sich selbst den Kopf und tastete sich die Treppe nach unten. Was war denn in letzter Zeit nur mit ihm los? Er fühlte sich völlig durcheinander, und das nicht erst seit der Entführung – obwohl es seitdem noch stärker geworden war. Gerade, als er völlig in seine Gedanken vertieft um die Ecke bog, prallte er mit jemandem zusammen. Es schepperte, Glas klirrte auf dem Boden, und sein Gegenüber schrie erschrocken auf. Tsubasa fuhr zurück. Diese Stimme....? „Sanae?“ „Tsubasa! Meine Güte, hast du mich erschreckt.....“ Das Licht flammte auf, und in der Tat sah sich Tsubasa Sanae gegenüber, die genauso geschockt aussah wie er selbst. „Was machst du denn hier um diese Uhrzeit?“, wollte er perplex wissen und ignorierte sein heftig hämmerndes Herz. „Dasselbe könnte ich dich fragen.“ Sanae atmete tief durch. „Ich wollte nur ein Glas Wasser aus der Küche holen....und du?“ Ihr Blick wurde besorgt. „Hast du wieder schlecht geträumt?“ Woher zum Teufel wußte sie das schon wieder?! „Ich....ja.....ist halb so wild, ich konnte nur nicht mehr schlafen.“, wich er aus. „Warum hast du kein Licht gemacht?“ „Das mache ich nie, ich hab mir schon früher den Spaß gemacht und bin im Dunkeln durchs Haus geschlichen.“ Sanae lächelte leicht. „Das war immer ein riesiges Abenteuer....“ Tsubasa konnte sich das fast bildlich vorstellen – Sanae als kleines Kind mit einer Taschenlampe und aufgeregt leuchtenden Augen. Er unterdrückte ein Lächeln. „Ja, das passt zu dir.“ Sanae räusperte sich und bückte sich, um die Scherben aufzusammeln. Tsubasa wurde sich bewußt, dass sie seinetwegen anscheinend das Wasserglas hatte fallen lassen. „Oje.....tut mir leid.“ „Schon gut, ist nicht so schlimm....Wollen wir uns ins Wohnzimmer setzen? Ich kann Tee machen. Nach dem Schrecken bin ich erst mal wach.“ Tsubasa zögerte. „Und die Schule? Ich will nicht, dass du meinetwegen auch noch übermüdet bist....“ „Quatsch. Erstens ist da mit Garantie nichts interessantes, und zweitens bin ich jetzt wach, wie gesagt. Geh du schon mal vor, ich komme gleich nach. Oder willst du lieber wieder ins Bett?“ Tsubasa schüttelte stumm den Kopf, und Sanae lächelte. „Dachte ich's mir doch.“ Sie trug die Scherben in die Küche, und Tsubasa blickte ihr einen Moment lang gedankenverloren hinterher. Dann folgte er ihrer Anweisung und ging ins Wohnzimmer. Lange warten musste er nicht, es dauerte nur wenige Minuten, bis Sanae sich zu ihm gesellte, ein Tablett mit zwei Tassen, einer Teekanne und Gebäck vor sich herbalancierend. „So. Jetzt können wir es uns gemütlich machen.“ Sie stellte das Tablett ab und setzte sich neben ihn. „Ist schon ewig her, dass ich um die Uhrzeit hier unten war.“ „Warum? Hast du das auch immer gemacht als Kind?“ „Nur wenn meine Eltern unterwegs waren und ich oben nicht schlafen konnte.“ Sanae reichte ihm eine der dampfenden Tasse. „Hier habe ich mich fast immer sicherer gefühlt als in meinem Zimmer, weil ich dann gleich gehört habe, wenn sie nach Hause gekommen sind.“ Tsubasa nickte und wärmte sich die Hände an dem heißen Tee, antwortete aber nicht. „Vor was hattest du Angst als Kind?“, wollte Sanae neugierig wissen. „Keine Ahnung, so wirklich kann ich mich nicht daran erinnern. Ich weiß nur, dass ich häufig mitten in der Nacht wach geworden bin, weil ich mir eingebildet habe dass mein Vater heim kommt. Dann hab ich meine Mutter geweckt und keine Ruhe gegeben, bis sie mit mir gemeinsam nachgesehen hat.“ Sanae blickte ihn von der Seite an. „Du hast ihn oft vermisst, oder?“ „Unterschiedlich. Ich meine, ich kenne es gar nicht anders.....er war meistens über sechs Monate unterwegs und dann ein – zwei Wochen zuhause. Eigentlich bin ich es ja gewohnt.“ Sanae nickte und ein paar Sekunden schwiegen beide. „Die wievielte Nacht kannst du jetzt meinetwegen nicht schlafen?“, wollte Tsubasa dann leise wissen, und Sanae hätte beinahe ihren Tee verschüttet. „Was?“ „Ich sehe dir an, dass du müde bist. Du bleibst nur meinetwegen auf, oder?“ „Ähm....“ Sanae wurde rot. „Es ist kein Problem....wirklich nicht. Ich finde es schön....“ Sie brach ab und trank hastig von ihrem Tee. Tsubasa schwieg, und Sanae gab sich nach kurzem Zögern einen Ruck. „Wovon hast du geträumt?“, wollte sie unsicher wissen. Tsubasa reagierte zuerst nicht, und einen Moment lang befürchtete sie schon, eine Grenze überschritten zu haben, aber dann stellte er seine Tasse auf den Tisch. „Dasselbe wie immer.“; meinte er leise, ohne sie anzusehen. „Ich bin in einem dunklen Raum, kann mich nicht bewegen und nicht schreien, und jemand wirft ziemlich laut eine Tür ins Schloss....und dann ist gar nichts mehr. Oft wache ich auch von dem Türknall dann auf....“ Sanae wußte nicht wirklich, was sie darauf antworten sollte. Genau genommen war sie ziemlich überrascht, dass er ihr das einfach so erzählt hatte. Nach kurzem Zögern stellte sie ihre Tasse auf den Tisch und tastete erneut nach seiner Hand. Im ersten Moment zuckte er leicht zusammen, dann erwiderte er den Händedruck, und sie stellte verwundert und besorgt fest, dass er wieder leicht zitterte. „Ich weiß gar nicht, was ich die letzten Tage ohne dich gemacht hätte.“, meinte er nach wie vor leise und brachte sie damit erst aus der Fassung. Zum Glück sah er sie immer noch nicht an, sonst hätte er jetzt wohl gesehen, dass ihr Gesicht die Farbe einer überreifen Tomate annahm. „Das habe ich dir doch heute abend schon einmal gesagt.“; meinte sie schließlich und schaffte es, ihre Stimme halbwegs normal klingen zu lassen. „Du musst dich nicht dafür bedanken, ich habe es gerne gemacht....“ „Gerade deswegen.“ Sein Griff um ihre Hand verstärkte sich, und Sanae zwang sich, ruhig zu bleiben. Hoffentlich merkte er ihr nichts an.... „Ich würde mir an deiner Stelle nicht zu viele Gedanken um diese Träume machen.“; meinte sie hastig. „Das legt sich bestimmt wieder....“ „Wenn es nur die Träume wären....“ „Was?“ Sanae blickte ihn verwirrt, dann besorgt an. „Was meinst du damit, Tsubasa?“ „Ich komme mir vor wie ein Feigling. Nicht nur, dass ich plötzlich Angst im Dunkeln habe, ich traue mich ja auch kaum in die Nähe von unserem Keller....“ „Du bist kein Feigling!“, meinte Sanae entsetzt. „So was darfst du nicht mal denken! Ich meine, das alles ist doch völlig normal in deiner Situation....ich weiß nicht mal, ob ich mich an deiner Stelle überhaupt schon in das Haus getraut hätte.“ Sie ließ seine Hand los, packte ihn statt dessen an den Schultern und zwang ihn, sie anzusehen. „Du bist kein Feigling.“, meinte sie eindringlich. „Glaub mir, Tsubasa!“ „Sanae....“ Ein paar Sekunden lang schien die Zeit still zu stehen.....dann fuhren beide erschrocken zusammen, als es von der Tür her leise klingelte. „Was....?“ Sie wandten sich um und entdeckten eine kleine getigerte Katze, die sich durch den Türspalt gezwängt hatte und sich nun neben einer großen Bodenvase ausgiebig putzte. Das kleine Glöckchen um ihren Hals hatte das Geräusch verursacht. „Genau das meine ich.“, meinte Tsubasa leicht bitter. „Quatsch, ich bin genauso erschrocken wie du.“ Sanae stand auf und hob die Katze auf den Arm, bevor sie wieder zu Tsubasa zurück kam und sich neben ihn setzte. „Ich hab auch ganz vergessen, dir zu erzählen, dass wir einen neuen Mitbewohner haben. Meine Eltern haben sie vor drei Wochen adoptiert, und sie ist noch ziemlich scheu, so dass sie sich gerne irgendwo versteckt. Darf ich vorstellen: Yoshi.“ Yoshi schnurrte wohlig, als Sanae sie hinter den Ohren kraulte, und auch Tsubasa streckte die Hand aus, um sie zu streicheln. Nach ein paar Sekunden musste Sanae plötzlich kichern. „Ich habe übrigens geträumt, ich wäre eine Maus.“ „Eine Maus?“, wiederholte Tsubasa perplex und starrte sie an. „Ja, eine Maus. Mit einer roten Schleife um den Hals. Und ich bin auf Yoshi geritten....“ Tsubasa konnte nicht anders, er musste lachen. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“ „Na ja....nicht ganz. Die Schleife war erfunden.“, gestand Sanae grinsend. *** Tsubasa wurde geweckt, als das Sonnenlicht durch das große Wohnzimmerfenster direkt auf das Sofa fiel. Er blinzelte benommen und rieb sich über die Augen – und wurde sich im nächsten Moment bewußt, dass Sanae direkt neben ihm saß und sich im Schlaf an ihn gekuschelt hatte. Prompt erstarrte er leicht. Au weia.....anscheinend waren sie beide irgendwann auf dem Sofa eingeschlafen. Was jetzt? Er konnte sich nicht rühren, ohne zu riskieren, dass sie dabei aufwachte. Genau genommen wußte er auch nicht, ob er sich überhaupt rühren wollte. Es war bei weitem nicht unangenehm.... In der nächsten Sekunde rief er sich zur Ordnung. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es bereits kurz vor sieben war, und ab halb acht konnte der Schlüsseldienst auftauchen. Er musste nach Hause, und Sanae würde zu spät zur Schule kommen......wobei, wäre das so schlimm? Immerhin hatte sie sich seinetwegen die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, da war es sicher besser, wenn er sie schlafen ließ. Wenn sie rechtzeitig zum Unterricht wach wurde, in Ordnung, wenn nicht, dann war es Schicksal und sie konnte sich dann den Tag über ausruhen. Blieb nur noch die Frage, wie er aufstehen konnte, ohne sie dabei zu wecken. Er sollte sich auch besser beeilen, sonst wurden womöglich noch ihre Eltern wach und er wollte sich nicht vorstellen, was die sagen würden, falls sie sie zu zweit auf dem Sofa entdeckten. Vorsichtig löste er sich aus ihrer Umklammerung und schaffte es tatsächlich nach mehreren Minuten, aufzustehen. Dann schob er ihr behutsam ein Sofakissen unter den Kopf und blickte sich suchend um, bis er schließlich eine dünne Wolldecke entdeckte, die er über ihr ausbreitete. Sanae kuschelte sich etwas mehr zusammen und schlief dann seelenruhig weiter. Tsubasa lächelte und trug das Tablett noch in die Küche, bevor er so leise wie möglich zurück ins Gästezimmer ging, um seine Sachen zu holen. Er musste sich beeilen, damit er noch Geld von der Bank holen konnte. Zum Glück hatten seine Eltern ihm die Scheck-Karte dagelassen..... Er schrieb Sanae eine kurze Nachricht, damit sie Bescheid wußte, und legte sie auf den Couchtisch. Unwillkürlich blickte er wieder zu ihr hinüber. Sie schlief nach wie vor tief und fest und sah richtig zufrieden aus. Nach kurzem Zögern strich er ihr behutsam ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und bemerkte, dass sich bei seiner Berührung ein kleines Lächeln über ihrem Gesicht ausbreitete. Er spürte, dass sein Herz schneller zu schlagen begann, riß sich aber zusammen. Rasch hob er seine Tasche vom Boden auf und verließ leise das Haus. Auf halbem Wege begann er bereits zu rennen. Die Bewegung und die frische Morgenluft taten unheimlich gut und machten ihn munter. Erst jetzt wurde Tsubasa bewußt, wie sehr ihm in den letzten Tagen der Sport gefehlt hatte. Aber Fußballtraining kam im Moment noch nicht in Frage, dazu musste er erst einmal wieder seine Gedanken ordnen. Das wichtigste war, dass er diesen Typen zur Rechenschaft ziehen konnte, alles andere musste warten. Hoffentlich hielt Sanae ihr Versprechen und führte ihn am Nachmittag zu der Stelle, an der alles passiert war..... Als Tsubasa sein Haus erreichte, verlangsamte er seine Schritte. Das mittlerweile vertraute beklemmende Gefühl kroch wieder in ihm hoch. Hoffentlich erwartete ihn nicht wieder irgendeine böse Überraschung wie beim letzten Mal. Aber zumindest hing kein Zettel an der Türklingel, und die Haustür sah geschlossen aus. Als Tsubasa die Einfahrt empor ging und dabei bereits seinen Schlüssel suchte, stolperte er jedoch plötzlich über etwas und wäre beinahe hingefallen. „Was zum....?“ Verwirrt blickte er sich nach der Ursache um. Auf der geteerten Einfahrt lag ein faustgroßer Stein. Wo kam der denn her?! Gestern war er definitiv noch nicht da gewesen. Verwirrt hob er ihn auf und drehte ihn um. Dann erstarrte er. Auf einer Seite klebte getrocknetes Blut. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)