Ein Käfig aus Glas von sayomi ================================================================================ Kapitel 1: Reise in die Vergangenheit ------------------------------------- Kapitel 1 - Reise in die Vergangenheit Eine Woche war er nun schon in dem Internat und Ray hatte ihn noch keines Blickes gewürdigt. Waren sie gemeinsam im Zimmer lag der Chinese auf seinem Bett und ignorierte die Anwesenheit des anderen vollkommen. Kai hatte mehrmals versucht mit Ray zu sprechen doch dieser drehte sich immer so, dass er den Russen nicht sehen konnte. Schließlich hatte Kai es aufgegeben ihm näher kommen zu wollen und wartete einfach ab, was geschehen würde. Es war Sonntag und Kai schlief noch tief und fest, als ihn ein lautes Schluchzen aus seinen Träumen riss. Erschrocken sah er sich um und blickte direkt in Rays tränenüberströmtes Gesicht; der Junge hatte die Augen zwar geschlossen, war aber an sich dem Russen zugewandt. Kais Herz zog sich bei diesem Anblick zusammen denn trotz dem schmerzlichen Ausdruck war Ray verdammt süß. Kai gab sich einen Ruck und stand auf, kniete sich vor den anderen und berührte leicht seinen Arm. Durch die Berührung zuckte Ray zusammen und riss die Augen auf. Angsterfüllt starrte er Kai an und rückte ganz auf die andere Seite des Bettes. „Was ist mit dir? Warum weinst du?“ Ray starrte ihn weiter an und Kai dachte schon, er bekäme keine Reaktion doch dann begann der schwarzhaarige Junge wieder, sich mit Gesten auszudrücken. Kai hatte die Gebärdensprache nie gelernt und konnte so mit den wenigen Zeichen auch nichts anfangen. Entschuldigend schüttelte er den Kopf und sah Ray weiter an. „Tut mir Leid… ich verstehe dich nicht…“ Kurz sah der Chinese ihn noch an, doch dann wandte er sich ruckartig ab und hatte anscheinend nicht vor, Kai noch einmal zu beachten. Dieser seufzte und setzte sich auf sein eigenes Bett, seinen Blick ließ er auf dem anderen Jungen ruhen. ‚Was ist bloß los mit dir, Ray…?’ Kai beschloss sich wieder hinzulegen, immerhin dämmerte es erst, es war also noch genug Zeit bis zum Frühstück. Er schloss die Augen und fiel kurz darauf in einen unruhigen Schlaf. ~+~ … ~+~ Kai saß an seinem Schreibtisch und lernte eifrig Geschichte. Sein Großvater hatte ihm wieder einmal eine Menge neuer Bücher gebracht, die er bis zum Abend durchgearbeitet haben musste. Würde er das nicht schaffen…nein, darüber wollte er gar nicht nachdenken. Er seufzte. Er würde all diese Bücher niemals schaffen, es waren einfach zu viele und sein Großvater wusste das ganz genau. Mit einem leisen Knarren ging die Tür seines Zimmers auf und der alte Mann trat auch schon ein. „Kai?“, fragte er mit seiner kalten Stimme. „Ja?“, antwortete er gehorsam. „Bist du fertig?“ Die Frage, vor der er sich graute war soeben gestellt worden. Der kleine Junge atmete noch einmal tief durch, sah aber nicht von seinen Büchern auf. „Nein. Verzeih, Großvater.“ Ein paar Sekunden herrschte Stille, bevor der alte Mann sich wieder regte und aus dem Zimmer ging. „Du weißt was das heißt. In zehn Minuten Kai!“ Ängstlich sah der blau-grauhaarige Junge auf die Uhr; wenn er pünktlich war, wäre es vielleicht nicht ganz so schlimm. Er zog sich sein Hemd und seine Socken aus und tapste mit blankem Oberkörper und nackten Füßen aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Sein Weg führte ihn in den Keller zu einem kleinen Raum, in dem sein Großvater bereits wartete. „Du kennst die Sache ja schon.“ Kais Großvater wies mit der Hand zu einem Balken der quer durch das Zimmer verlief. Der Junge kniete sich davor auf den Boden und legte die Hände auf das Holz. Der alte Mann kam sofort und band die Handgelenke seines Enkels daran fest. Kai schloss wieder die Augen und begann, schneller zu atmen. Obwohl er es schon so oft erlebt hatte, überkam ihn jedes Mal eine unbändige Panik. Bevor er noch weiter nachdenken konnte, spürte er schon den ziehenden Schmerz auf seinem Rücken und das knallen des Gürtels hallte in seinem Kopf nach. Immer wieder schlug sein Großvater zu, doch seiner Kehle entrang kein Laut; das hatte er sich bereits abgewöhnt. Stumm rannen die Tränen über seine Wangen und tropften auf seine Brust. Er spürte wie das Blut sich seine Wege über die Haut auf seinem Rücken bahnte, doch der alte Mann dachte nicht daran, aufzuhören. Immer wieder und immer fester schlug er zu. ~+~ … ~+~ Kai setzte sich auf und atmete schnell und stoßweiße. Auf seiner Stirn stand der Schweiß und die alten Narben auf seinem Rücken schienen unheimlich zu schmerzen, so real war das eben erlebte gewesen. Er hatte diesen Traum mindestens einmal die Woche und jedes Mal hatte er das Gefühl, dass es schlimmer wurde. Seine Vergangenheit verfolgte ihn, so sehr er sich auch wünschte ihr entfliehen zu können. Er stand auf und ging ins Badezimmer um zu duschen, doch als das kühle Wasser über seinen Körper prasselte verlor er seine Kontrolle endgültig und sank weinend in sich zusammen. Er hatte noch nie mit jemandem etwas über seine schreckliche Kindheit erzählt und noch nie war er einem Menschen nahe gewesen oder hatte Liebe gespürt. Er konnte einfach nicht mehr. Die Erzählungen über Rays Vergangenheit hatten ihn schwer erschüttert und nun holte ihn all der alte Schmerz wieder ein. Seine Tränen vermischten sich stet mit dem Wasser der Dusche und er begann heftig zu zittern. Die Augen geschlossen haltend merkte er nicht, wie jemand das Badezimmer betrat. Erst als der Duschvorhang zur Seite geschoben wurde und kalte Luft sich um seinen Körper legte sah er wieder auf und blickte in goldgelbe Augen die ihn, wie schon so oft, traurig anblickten. Ray begann wieder ihn mit der Gebärdensprache anzureden, besann sich aber gleich eines besseren und reichte Kai zitternd seine Hand. Langsam fasste der Russe nach dieser und ließ sich aus der Dusche ziehen; das Wasser hatte er mit einem schnellen Handgriff abgeschalten. Während Ray auf den mit Wasserdampf überzogenen Spiegel schrieb holte Kai sich ein großes Badetuch und wickelte sich darin ein. Er sah zu Ray und dann auf das Geschriebene von diesem: ~ Wie heißt du? ~ Kai musste leicht Lächeln, hatte der andere doch tatsächlich mit ihm zu sprechen begonnen. - Kai - schrieb er darunter. ~ Ich heiße Ray ~ Der Platz auf dem Spiegel wurde knapp und so hatte Kai eine Idee, das „Gespräch“ fortzuführen. Er wollte das eben angefangene nicht sofort wieder verlieren. Er fasste vorsichtig nach Rays Hand, welcher bei der Berührung zwar leicht zusammenzuckte, es jedoch zuließ. Er zog den Chinesen hinter sich zurück ins Zimmer und wies ihm, sich aufs Bett zu setzen. Er selbst holte von seinem Schreibtisch einen Block und einen Stift. - Willst du ein bisschen reden? - Dann reichte er es dem schwarzhaarigen Jungen und wartete gespannt eine Antwort ab. ~ Ja ~ - Und worüber? - ~ Dich ~ - Was willst du denn wissen? - ~ Alles ~ Kai dachte einen Moment nach, bevor er wusste was er darauf nun antworten sollte. - Nur, wenn du mir auch etwas von dir erzählst - Nach langem zögern antwortete Ray. ~ OK ~ Am Abend lag Kai nachdenklich in seinem Bett. Sie hatten noch eine Weile hin und her geschrieben, hatten festgestellt, dass Kai bloß drei Monate älter war als Ray, dass sie beide nicht in Japan geboren waren und dass sie auch so viele gemeinsame Hobbys hatten. Vielleicht könnten sie sich doch noch anfreunden und der Russe spielte immer noch mit dem Gedanken, alles über Ray herauszufinden. Mit diesen Gedanken schlief er nach einer Weile ein. ~+~ … ~+~ Zitternd lag der kleine Junge mit grau-blauen Haaren auf dem Boden und litt unerträgliche Schmerzen. Sein Großvater hatte ihn, wie jedes mal, einfach in dem Kellerraum liegen gelassen. Kai weinte; bestimmt flossen die salzigen Tränen nun schon seit Stunden über seine Wangen, doch er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Schließlich gelang es ihm doch, sich aufzurichten und er schleppte sich mühsam in sein Zimmer zurück. In dem großen Wandspiegel besah er sich dann seinen Rücken… er sah einfach nur schrecklich aus. Unzählige Narben die durch die Schläge entstanden waren und dazu kamen dutzende neue Wunden. Seine Haut klebte aufgrund des angetrockneten Blutes immer noch und er fühlte sich sehr unwohl. Er schlüpfte unter die Dusche und obwohl es in den Platzwunden sehr brannte, ließ er das kühle Wasser darüber rinnen. Als er dann in seinem Bett lag, konnte er sich kaum zudecken, weil sogar dieser leichte Druck ihn zusammenzucken ließ. Bis er einschlafen konnte, malte er sich wieder aus wie er eines Tages weggehen würde, in ein fernes Land. Er wäre dort endlich alleine und könnte glücklich werden, bräuchte nicht mehr in Angst leben. Der nächste Tag war angebrochen und er saß am großen Esstisch. Es war Mittagszeit und sie aßen stumm und ohne einander anzublicken; doch obwohl sie keinerlei Gedankengut austauschten, ahnte Kai, dass sein Großvater die Quälereien des letzten Tages genossen hatte… und er hasste ihn dafür. ~+~ … ~+~ Kai wachte auf, ließ die Augen jedoch geschlossen. Warum nur quälte ihn die Vergangenheit nun auch noch so penetrant in seinen Träumen? Nach weiteren fünf Minuten konnte er sich aufraffen aufzustehen und sich anzuziehen. Als er aus dem Bad kam war es auch gerade Zeit zum Frühstück. Ray war anscheinend schon gegangen, denn dessen Bett war leer. Kai trottete die Gänge entlang und die Stufen hinunter, bis er in dem großen Raum mit den unzähligen Tischen und Stühlen ankam. Er setzte sich zu Ray, denn obwohl sie nie miteinander gesprochen hatten, hatte sich diese eine Sache eingebürgert. Kai genoss die Nähe des anderen und diesen schien es nicht zu stören. Während dem Essen hing jeder seinen Gedanken nach und auch beim Weg zurück ins Zimmer zeigten sie kein Interesse an der Anwesenheit des anderen. Der Unterricht verlief wie üblich: Kai war zu schlecht gelaunt um viel mitzuarbeiten und starrte lieber mit eisigem Blick aus dem Fenster. Anfangs hatten die Lehrer noch versucht, ihn dazu zu bringen aufmerksam zu sein doch selber ihnen war es nach einer Zeit zu bunt geworden. Sollte Kai eben selbst sehen, wie er die Prüfungen bestehen wollte. Ray arbeitete im Stillen für sich. Er bekam den Stoff stets schriftlich und musste zu diesem ein paar Fragen beantworten, die ebenfalls auf seine Unterlagen geschrieben wurden. Er tat dies sehr gewissenhaft und vertiefte sich jedes Mal sehr in seine Arbeit. Nachmittags saßen Kai und Ray in ihrem Zimmer und machten Hausaufgaben. Es war seltsamerweise von Anfang an für beide selbstverständlich gewesen, das Kai den Stoff mithilfe von Rays Unterlagen nachholte, obwohl sie nicht miteinander gesprochen hatten. Sie konnten sich anscheinend auch ohne Worte verständigen. Als Kai fertig war legte er sich auf die Couch, die sich ebenfalls in ihrem geräumigen Zimmer befand und schloss die Augen. Einen Arm hatte er in seinem Nacken liegen, der andere war auf seinem Bauch platziert. Er hörte wie Ray sich bewegte, auf ihn zukam und schließlich neben ihm stoppte. Kai nahm ebenfalls war, wie der Chinese schneller zu atmen begann und schließlich nach seiner Hand fasste. Erschrocken riss er die Augen auf und sah direkt in Rays, die ihn verunsichert anblickten. Was nun geschah hatte Kai wirklich nicht erwartet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)