Ein Käfig aus Glas von sayomi ================================================================================ Kapitel 2: Worte die niemand hört --------------------------------- Kapitel 2 - Worte die niemand hört Ray hatte ihn auf die Beine gezogen und führte ihn zum Bett, auf welches Kai sich dann auch setzte. Er beobachtete den Chinesen dabei, wie er Block und Stift holte und sich dann ihm gegenüber auf den Boden setzte. Seine Körperhaltung war zwar lockerer als zuvor, doch in seinen Augen sah man immer noch Verunsicherung und eine Spur von Angst. „Was…?“, begann Kai, doch Ray deutete ihm still zu sein. Dann hielt der schwarzhaarige Junge seine Hände vor sich und begann langsam immer wieder dieselben Zeichen zu machen; nach einem kurzen Augenblick verstand Kai auch was Ray wollte und er machte die Zeichen nach. Jedes Mal wenn Ray fand, dass Kai es richtig machte, schrieb er auf den Block was er eben „gesagt“ hatte. Er brachte dem Russen somit die Gebärdensprache bei. Sie verbrachten den gesamten Nachmittag damit zu üben und abends konnte Kai schon einfache Fragen stellen und auch darauf antworten. Er hätte nicht gedacht, dass er so etwas je lernen würde, doch mittlerweile fand er die Idee Rays richtig gut. So konnten sie sich besser verständigen und vielleicht würde er Ray auch einmal dazu bringen richtig zu sprechen, wer wusste das schon. In dieser Nacht blieb Kai von Albträumen verschont. Die nächste Woche verging recht schnell und die beiden Jungen übten jeden Tag. Kai lernte sehr schnell; eine Begabung die er wohl seinem Großvater zu „verdanken“ hatte. Ray wurde gegenüber dem anderen zwar offener, ließ sich aber von Kai immer noch nicht anfassen und schwieg sich auch über seine Vergangenheit aus. Der Russe hatte ihn mehrmals darauf angesprochen doch Ray meinte dann immer nur, er habe jetzt keine Lust mehr sich zu unterhalten und kehrte Kai schließlich den Rücken zu. Wieder einmal war genau dies geschehen und Ray lag scheinbar schlafend auf seinem Bett. Er hatte die Arme auf der Brust verschränkt und die Augen geschlossen doch Kai wusste ganz genau, dass Ray noch wach war. Da in so einem Moment nichts den Chinesen dazu bewegen konnte den anderen wieder zu beachten, wandte Kai sich dann immer seinen Schulaufgaben zu und lernte. Irgendwann würde er es schon schaffen diese Informationen aus Ray herauszubekommen. Er wurde leicht an der Schulter gezogen und wachte davon auf. Verwirrt blickte er sich um und merkte, dass er über seinem Heft wohl eingeschlafen war. Er drehte sich um und sein und Rays Blick trafen aufeinander. Keine Sekunde später jedoch grinste der Chinese breit und blickte Kai vergnügt an. *Was?* fragte er ihn mithilfe der Gebärdensprache. *Du hast Tinte auf der Wange* Verwundert blickte er Ray an, sprang dann auf und lief zum Wandspiegel. Und tatsächlich, über seine linke Wange schlängelten sich ein paar Worte über japanische Literatur. Schnell lief er ins Bad und versuchte es abzuwaschen, doch zu seinem bedauern war die schwarze Tinte wasserfest; lediglich ein bisschen blasser wurden die Schriftzeichen. Das hatte er ja wieder toll hinbekommen; jetzt durfte er ein paar Tage mit Literatur im Gesicht rumlaufen. Er wollte sich eben umdrehen, als er Rays Gesicht im Spiegel ausmachte und dieser ihm ein kleines Fläschchen hinhielt. „Was ist das?“ Ray antwortete nicht sondern holte aus einem kleinen Schrank ein bisschen Watte, tränkte diese mit der Flüssigkeit aus dem Fläschchen und strich damit dann über Kais Wange. Die Tinte begann sich zu lösen und Kai griff nach der Watte um selbst weiterzumachen, doch bei dieser Bewegung berührte er Rays Hand und dieser ließ ruckartig von dem Russen ab. Die Watte hatte er losgelassen und sie war ins Waschbecken geplumpst. „Tut mir Leid“, sagte er schnell. Ray nickte nach ein paar Sekunden, drehte sich um und verschwand wieder in ihrem Zimmer. Sich selbst wegen dieses Missgeschicks verfluchend holte er den Wattebausch aus dem Becken und brachte das zu Ende, was Ray begonnen hatte. Als seine Wange schließlich wieder sauber war verließ er ebenfalls den Raum um dem Chinesen wieder Gesellschaft zu leisen, doch dieser war nicht mehr da. ‚Wo ist er bloß hin?’ Nachdenklich zog Kai sich bis auf die Boxershorts aus, ging sich noch schnell die Zähne putzen und verschwand dann unter seiner Decke. Das Licht ließ er brennen, denn schlafen wollte er sowieso nicht bis Ray zurückkam. Er musste zugeben, dass er sich um den anderen sorgte, obwohl dies so gar nicht seine Art war. Nach einer Stunde kehrte Ray auch ins Zimmer zurück und riss Kai aus seinem Dämmerschlaf. Kai tat als ob er schliefe und beobachtete wie Ray das Licht ausschaltete und zu seinem Schreibtisch ging. Das Mondlicht strahlte ihn dabei an, es war beinahe Vollmond, und zeichnete seine Konturen weich nach wodurch er noch lieblicher und anmutiger wirkte. Der schwarzhaarige schrieb noch ein paar Sachen bis er sich schließlich ebenfalls umzog, noch einmal ins Bad verschwand und sich dann schlafen legte. Am nächsten Morgen erwachte Kai durch lautes Gerumpel das, wie er feststellte, von Ray veranstaltet wurde. Dieser rückte ein paar Möbel herum und war so in seiner Arbeit vertieft dass er nicht einmal merkte, wie Kai sich neben ihn stellte. Erst als dieser ihn leicht am Ärmel zog wurde er auf den Russen aufmerksam. *Guten Morgen*, begrüßte Ray ihn dann jedoch sofort. „Morgen Mondlicht…“, antwortete Kai gelassen. *Wie hast du mich genannt?* „Mondlicht.“ *Warum?* „Weil du geheimnisvoll und gleichzeitig schön bist wie das Mondlicht, deshalb.“ Kai wusste nicht, warum er das gesagt hatte aber er bereute es, als er Rays Gesichtsausdruck sah. Doch wider seinen Erwartungen spielte der Chinese das Spiel mit. *Okay… Sonnenschein.* „Sonnenschein?“, fragte der blau-grauhaarige verwirrt über diesen Kosenamen nach. Ray nickte nur und schien nicht daran interessiert zu sein weitere Erklärungen abzugeben. So kam es, dass sie sich von da an mit „Mondlicht“ und „Sonnenschein“ ansprachen. Wieder waren ein paar Wochen ins Land gezogen und die beiden Jungen hatten sich zu wirklich guten Freunden entwickelt. Wenn jemand Ray dumm anmachte, bekam er es sofort mit Kai zu tun und der Chinese half dem anderen dafür in der Schule. Von ihren männlichen Klassenkameraden wurden sie gemieden, doch das störte sie nicht weiter. Die Mädchen hingegen bewunderten das stille Duo und hätten alles dafür getan, um einmal mit ihnen ausgehen zu können. Kai und Ray gaben jedoch jedem einzelnen Mädchen einen Korb und schienen es noch nicht einmal in Erwägung zu ziehen, mit einem auszugehen. Eines Abends kam Kai aus der Dusche, wickelte sich ein Handtuch um die Hüften und ging ins Zimmer um sich anzuziehen. Als er seine Kleider aus dem Schrank holte wandte er Ray, der auf der Couch saß und las, den Rücken zu. Bevor Kai überhaupt realisierte was los war, spürte er wie jemand sanft über seinen Rücken fuhr, oder genauer gesagt die feinen Narben nachzeichnete. Sie waren nicht mehr als dünne weiße Linien aber dennoch deutlich zu erkennen. Der Russe wusste, dass Ray es war der ihn anfasste und dennoch wurde er sehr unruhig. Er drehte sich langsam um und sah dann in goldgelbe Augen die ihn mitleidig ansahen. *Woher sind die?* „Ist das denn so wichtig?“ Ray nickte. „Wieso?“ *Weil ich dich mag* Verwirrt sah er ihn einen Moment an, doch dann begann er ihm alles zu erzählen. Von seinem Leben in Russland, seinem Großvater und wie sehr er alles dort gehasst hatte. *Deshalb bist du hier?* „Genau. Aber sag Mal… würdest du mir erzählen, was dich immer so traurig macht? Ich meine, jetzt kennst du mein Geheimnis ja auch.“ Hoffnungsvoll sah Kai den schwarzhaarigen an und als dieser ihm tief in die Augen blickte nickte er sehr leicht. *Ich schreibe es auf* Es dauerte ziemlich lange, doch dann reichte Ray ihm den Block und Kai begann zu lesen. ~ Vor über einem Jahr war ich einmal in der Stadt unterwegs, in der ich damals gewohnt habe. Ich habe immer wieder dieselben zwei Männer gesehen, wie sie sich herumgetrieben und alles beobachtet haben. Und dann habe ich einmal beschlossen ihnen zu folgen. Sie sind in ein Leerstehendes Haus am Stadtrand gegangen und dort habe ich dann gehört wie sie darüber gesprochen haben die große Kohlefabrik in die Luft zu sprengen. Ich wollte dann so schnell wie möglich weglaufen, hab’ dabei aber ein paar Schachteln umgeworfen und sie wurden auf mich aufmerksam. Ich konnte ihnen zwar entkommen aber erkannt hatten sie mich trotzdem. Zwei Tage später gab es dann diese riesige Explosion durch die meine Eltern gestorben sind und ich mein Gehör verloren habe. Ich wollte eben ins Haus um einen Krankenwagen zu rufen, als ich von jemandem gepackt und in ein Auto gedrängt wurde. Naja, das waren die beiden Männer die ich einmal belauscht hatte. Sie haben nach mir gesucht und mich schließlich auch gefunden. Wir sind dann ins Ausland geflogen, ich glaube nach Kambodscha. Ich war dann acht Monate bei ihnen und in dieser Zeit kamen sie immer wieder und haben mich Missbraucht. Alle möglichen Phantasien lebten sie an mir aus und sie zwangen mich immer dazu vor Lust zu Stöhnen oder vor Schmerz zu Schreien, das turnte sie an. Als eben diese Acht Monate vorüber waren stürmte die Polizei das kleine Haus und befreite mich aus ihrer Gefangenschaft. Die beiden wurden Lebenslang hinter Gitter gebracht und mich hat man hier her geschickt. ~ Kai starrte den Zettel an und konnte es nicht fassen. Der Text wirkte zwar unheimlich kühl und sachlich, doch er konnte deutlich sehen, wie schwer es Ray gefallen war dies auf Papier zu bringen, denn die Schrift war sehr zittrig. Nur langsam blickte Kai auf und sah seinem Freund in die Augen. Als könne dieser seine Gedanken lesen nickte er bloß traurig und setzte sich neben ihn. - Warum sprichst du nicht? - Ray zögerte einen Augenblick und dachte wohl darüber nach, ob er überhaupt eine Antwort geben sollte. Doch dann raffte er sich auf und fasste nach dem Stift. ~ Sie haben meine Stimme schmutzig gemacht, deshalb ~ - Aber ich würde sie gerne einmal hören - ~ Vielleicht irgendwann einmal. Lass uns jetzt schlafen gehen. ~ Kai stimmte zu, also legten sie sich beide in ihre Betten und versuchten zu schlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)