Ein Käfig aus Glas von sayomi ================================================================================ Kapitel 3: Gefühle die ich nicht kenne -------------------------------------- Kapitel 3 - Gefühle die ich nicht kenne Am nächsten Morgen wachte Kai früh auf. Bis zum Frühstück war noch mindestens eine Stunde Zeit und auch Ray schlief noch tief und fest. Kai stand auf, setzte sich vor dem Bett seines Freundes auf den Boden und betrachtete ihn. Ihnen beiden waren furchtbare Dinge widerfahren und doch hatten sie bis zum jetzigen Zeitpunkt durchgehalten. Sie hatten sich gegenseitig von ihren Erlebnissen erzählt und niemand anderes wusste darüber bescheid. Vielleicht war nun ein neuer Abschnitt in ihrer beider Leben angebrochen; eine Zeit in der sie beide nicht mehr einsam waren und nicht mehr leiden mussten. Ja, vielleicht. Der Tag verging schnell und es ereignete sich nichts Erwähnenswertes. Abend saßen sie beide in ihrem Zimmer und Kai hörte Musik während Ray etwas in ein kleines Buch schrieb. Der Russe interessierte sich zwar dafür, aber der andere verbarg es vor ihm. Also gab er sich damit zufrieden. Als der Chinese fertig war gab Kai seinen Minidiscman zur Seite und lächelte ihn freundlich an. Ray erwiderte diese Geste und setzte sich zu dem anderen auf den Boden. Sie sahen sich einfach an, verstanden sich wie schon so oft ohne Worte. Zögernd rutschte Ray neben den Russen und nur sehr vorsichtig lehnte er sich an diesen. Ihre Schultern und Köpfe berührten sich, mehr nicht, und dennoch war dieser Körperkontakt ausreichend. Mehr wollte Ray nicht und das wusste und akzeptierte Kai. Für ihn selbst waren Berührungen ebenfalls fremd und unangenehm, doch nicht auf die gleiche Art und Weise wie es bei Ray der Fall war. Wie lange sie so da saßen wussten sie nicht, doch irgendwann wurden beide von der Müdigkeit ins Bett getrieben. Es war mittlerweile März geworden. In der Schule wurde es immer stressiger, denn in einem Monat fingen die Prüfungen an. Die Lehrer wiederholten eifrig den Stoff des Jahres, brachten noch schnell letzte Dinge ein und waren ebenfalls sehr damit beschäftigt die ganzen Testunterlagen vorzubereiten. Ray war in der Schule sehr gut und verbrachte viel Zeit damit, Kai allerhand zu erklären. Vor allem in Mathematik tat sich der Russe schwer, doch wenn der schwarzhaarige Junge es ihm erklärte, schien alles viel einfacher und verständlicher zu sein. Wieder saßen sie nachmittags beieinander und lernten eifrig, jedoch jeder für sich. Kai brütete über seinem Mathematikbuch während Ray sich noch einmal in Geschichte schlau machte. Dem Russen wollte die Wahrscheinlichkeitsrechnung einfach nicht in den Kopf und er verstand nicht, wie man immer auf diese unmöglichen Ergebnisse kommen konnte. Schließlich wurde es ihm zu dumm und er ging einfach zu Ray um diesen um Hilfe zu bitten. Er zupfte an dessen Hemd und dieser wandte auch sofort den Kopf. *Was ist?* fragte er den Russen. *Hilfst du mir?* *Ja* Wie schon so oft holte Kai sein Buch und reichte es dem Chinesen. Dieser sah schnell durch was der andere nicht verstand und schrieb dann alles auf. Kai beugte sich hinunter um zu sehen was Ray schrieb und als dieser sich ihm wieder zuwandte, trafen ihre Blicke aufeinander. Ihre Gesichter waren einander sehr nahe, zu nahe. Beide stutzten und sahen sich in die Augen. Etwas Seltsames lag in der Luft dass sich keiner der Jungen erklären konnte und genauso wenig wussten sie mit der Situation umzugehen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern bis Ray den Zettel ruckartig hochhob und Kai in die Hand drückte, der Blickkontakt stand jedoch noch. Dann jedoch wandte Kai sich so schnell ab wie er gekommen war und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. Er las sich Rays Erklärung durch und versuchte krampfhaft sich darauf zu konzentrieren, doch so ganz wollte es ihm nicht mehr gelingen. Immer wieder huschten seine Augen zu Ray und immer öfter passierte es, dass sich ihre Blicke neuerlich kreuzten. Den restlichen Tag sprachen sie nichts mehr miteinander, doch goldgelb und rubinrot hatten mehr Kontakt als sonst. Abends kam plötzlich wieder so eine Situation zustande die Ray sowie Kai emotional überforderte. Ray war eben aus der Dusche gekommen und stand bloß mit Handtuch um die Hüften im Bad als Kai eintrat. Nicht, dass dies das erste Mal der Fall gewesen wäre doch an diesem einen Tag schien plötzlich alles anders zu sein. Sie starrten sich an und rührten sich keinen Millimeter. Das Atmen war das einzig hörbare Geräusch binnen mehreren Sekunden. Dann legte Ray einen rauschenden Abgang hin, oder genauer gesagt er versuchte es. Er wollte schleunigst aus dem Badezimmer verschwinden, doch da er nasse Füße hatte und der Boden gefliest war rutschte er durch das schnelle Tempo aus und wäre ganz sicher hart aufgeprallt, hätten ihn da nicht plötzlich zwei starke Arme aufgefangen. Ihre Haut berührte sich, denn Kai trug nur Boxershorts. Ein seltsames Gefühl machte sich in dem Russen breit als er dem anderen so nahe war und diesem ging es nicht anders. Ray rappelte sich so schnell wie möglich auf und verließ endlich das Zimmer. Kai stand noch einen Augenblick da bevor er sich auf sein eigentliches Vorhaben besann und selbst unter die Dusche stieg. Als er sich die Haare trocknend ins Zimmer kam hatte Ray sich bereits ins Bett gekuschelt und war bis zur Nasenspitze zugedeckt. In den folgenden Tagen gaben beide sich Mühe solch unangenehme Situationen zu vermeiden und es gelang ihnen recht gut. Den sich häufenden Blickkontakt hatten sie jedoch nicht unter Kontrolle, es schien dabei aber auch ihr kleinstes Problem zu sein. Immer öfter huschte auch ein Lächeln über die Lippen der Jungen während sie sich tief in die Augen blickten. Noch konnten sie sich diese seltsamen Gefühle und Reaktionen nicht erklären, doch auch das sollte sich bald ändern. Kai wachte auf da ihm die Sonne ins Gesicht schien. Es war Sonntagmorgen und er hatte an diesem Tag nur eines geplant: faul sein. Also drehte er sich auf die andere Seite und schloss die Augen, einschlafen konnte er aber dennoch nicht mehr. Er stand auf und fluchte auf Russisch vor sich hin, während er ins Badezimmer verschwand. Als er zurückkam saß Ray aufrecht im Bett und lächelte Kai an. Er selbst lächelte zurück, blieb aber stehen. Das Shirt das er beim schlafen trug warf er auf seine Decke, angezogen hatte er sich im Bad. Ray stand nun seinerseits auf, ging auf den Russen zu und blieb etwa einen halben Meter vor diesem stehen. „Guten Morgen“, begrüßte Kai ihn schließlich. Ray nickte. Irgendetwas veranlasste den Chinesen dazu Kai einfach nur tief in die Augen zu sehen und der Russe wurde davon ein wenig verunsichert. Es lief ihm jedes Mal ein Schauer über den Rücken wenn sie beide einander so ansahen. Seit ein paar Tagen lief das so, trotzdem wusste der Russe einfach nichts damit anzufangen. Er hatte aber immerhin knapp 17 Jahre seines Lebens in Russland verbracht und hatte dort in Einsamkeit gelebt, woher also sollte er auch wissen was für ein Zwischenmenschliches Gefühl sich in ihm jedes Mal breit machte, wenn er Ray ansah. Ohne Vorwarnung näherte dieser sich dem anderen noch einmal, berührte die Lippen Kais sehr sachte und sehr kurz mit seinen eigenen, bevor er an dem Russen vorbeihuschte und ins Badezimmer ging. Kai stand verdutzt, verwirrt und erstarrt mitten im Raum. ‚Was… sollte das…?’ Der blau-grauhaarige hatte den ganzen Vor- und Nachmittag über im Garten verbracht und dachte über den kurzen Kuss von Ray nach. Es konnte doch nicht ernsthaft das bedeuten, was er vermutete. Es konnte und durfte irgendwie nicht sein, außerdem hatten dazu er und Ray viel zu viel Angst vor Nähe und konnten nicht vertrauen. Nein, es konnte einfach nicht sein… Am frühen Abend betrat Kai erst wieder das Zimmer. Er schnappte sich sein Lieblingsbuch von seinem Schreibtisch und legte sich auf sein Bett. Ray war nicht da und das war Kai im Moment mehr als nur Recht. Er begann zu lesen und als er nach ein paar Minuten neuerlich umblätterte lag plötzlich ein kleiner Zettel zwischen den Seiten. Ohne das er wusste warum, zitterten seine Finger als er nach dem kleinen Stück Papier griff. Die Schrift darauf war eindeutig Rays und er musste es mehrmals lesen bevor ihm dessen Bedeutung klar wurde. ~you can try to resist, try to hide from my kiss but you know that you can’t fight the moonlight~ (du kannst versuchen zu widerstehen, versuchen dich vor meinem Kuss zu verstecken aber du weißt, das du das Mondlicht nicht bekämpfen kannst) Der Russe fragte sich ob der Chinese wohl noch einen Zettel in sein Buch gesteckt haben könnte und tatsächlich fand er ein paar Seiten weiter einen zweiten. ~deep in the dark you surrender your heart but you know that you can’t fight the moonlight~ (tief in der Dunkelheit verschließt du dein Herz aber du weißt, dass du das Mondlicht nicht bekämpfen kannst) Wieder blätterte er weiter und ein drittes Stückchen Papier fiel ihm entgegen. ~no matter what you do, the light is gonna get to win~ (egal was du tust, das Licht wird gewinnen) Dieser Zettel war nun der letzte gewesen. Das Buch hatte er bereits zur Seite gelegt und die drei Botschaften lagen nun vor ihm. Immer wieder sah er sie an, las er sie durch, aber er konnte es einfach nicht glauben. Das Zufallen der Zimmertür riss ihn aus seinen Gedanken und er sah auf, erblickte direkt goldgelbe Augen die ihn etwas verunsichert ansahen, denn Ray hatte die Zettel bereits bemerkt. „Was hat das alles zu bedeuten…?“, fragte Kai leise, „…erklär es mir, bitte…“ Der Chinese sah ihn eine Weile zögernd an doch dann setzte er sich zu ihm und überlegte. Er blickte Kai direkt an, versank augenscheinlich in dem dunklen rot. Schließlich entschloss er sich wie schon so oft für die Aufschreib-Methode und schrieb ein Wort nach dem anderen auf je eine Seite eines kleinen Blockes. Dann setzte er sich gegenüber von Kai auf dessen Bett und blickte ihn an. Den Block hielt er vor sich, so dass der Russe es lesen konnte. ~Vertrauen~ Kai nickte und Ray blätterte um. ~Zuhören~ Wieder ein Nicken und eine Handbewegung folgte. ~Nähe~ Kai merkte dass all dies nach und nach beschrieb was sich zwischen ihnen im Laufe der Zeit entwickelt hatte. Ray zögerte bevor er dem Russen das nächste Blatt zeigte. ~Liebe~ Der Junge starrte dieses Wort vor sich an. Er hatte schon so oft darüber gelesen, hatte gehört dass andere so etwas empfanden doch er selbst hatte nicht im Geringsten Ahnung über dieses Gefühl das sich Liebe nennt. „Meinst du…“, begann Kai, brach jedoch ab. Er wagte noch nicht einmal die Frage zu Ende zu stellen doch Ray schien diese auch so zu kennen. Das letzte Mal blätterte er um. ~Lass es uns versuchen~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)