Die Bruderschaft von -Fuu- ================================================================================ Kapitel 1: Kerzenschein ----------------------- Regen prasselte gegen die Fensterfront seines Gemaches. Ein kurzer Luftzug fuhr über ihn hinweg, brachte die kleine, schwach leuchtende Kerze auf seinem Nachttisch zum erzittern. Ein unangenehmer kurzer Schauer durchzuckte den Körper des jungen Mannes. Die kleinen braunblonden Härchen auf seinen sonnengebrannten Unterarmen sträubten sich. André zog die Bettdecke, die seinen Oberkörper bislang nur spärlich bedeckte enger um seinen Körper, drückte sich tiefer in die Matratze seines Bettes, nur um kurz darauf erneut seine Position zu ändern. Geschmeidig drehte er sich auf den Bauch und legte seinen Kopf auf die Arme, die er überkreuzt auf sein Kissen positionierte. Er starrte nun nicht mehr länger die trostlose Zimmerdecke an, sondern fixierte stattdessen die kleine Kerze auf seinem Nachttischchen, die weiter tapfer vor sich hinflackerte und einen warmen, weichen Lichthauch in Andrés Zimmer zauberte. Er horchte in sich hinein, spürte seinen eigenen, stetigen Herzschlag. Absolute Stille herrschte hier in seinem „eigenen“ kleinen Refugium und langsam breitete sich eine unsagbare Ruhe in ihm aus. Nur ganz schwach und gedämpft ließen sich vertraute Stimmen von den Bediensteten ausmachen, und das auch nur wenn er sich sehr konzentrierte. Er starrte in die Flamme der kleinen Kerze, solange, bis ihm die Augen tränten und er sie schließen musste. Die kleine Lichtquelle sah er dennoch als schwache Silhouette vor seinem inneren Auge vorbeitanzen. Ohne es zu beabsichtigen, ganz automatisch wanderten seine Gedanken wieder zu ihr. Schon wieder musste er an sie denken. Ihre meerblauen durchdringenden Augen, die ihn schon seit jeher fesselten, ihn sprachlos machten und ein warmes Ziehen, tief in seiner Brust, verursachten. Schmale, feingliedrige Hände, versehen mit schlanken, langen Klavierfingern, die geschickt einen Degen zu führen verstanden, blitzschnell parieren konnten und schon oft so manchen Widersacher in bodenloses Erstaunen versetzten. Ihr Stimme, die an herrischen Befehlston in den letzten Jahren zugenommen, aber dennoch, in wenigen, kostbaren Augenblick der vertrauten Zweisamkeit nichts an ihrer Sanft- und Einfühlsamkeit verloren hatte. Genauso wundervoll wie aus früheren, unbeschwerteren Zeiten. Zeiten, die einer Ewigkeit gleich kamen. Ihr Ganzes Sein erfüllte ihn und jetzt, wenn er die Augen erneut schloss, sah er nicht länger die Umrisse einer kleinen, unscheinbaren Kerze, sondern Oscar. Stolz, stark und wunderschön, aber auch verletzlich. Tieftraurige Blicke, die er in den letzten Tagen schon so oft bei ihr sah. Ein kurzer, tiefer Seufzer erfüllte den Raum, gefolgt von Papiergeraschel. André beschloss, dass seine augenblickliche „Hochstimmung“ genutzt werden musste, um seine Gedanken, wie so häufig in den letzten Tagen, Wochen, gar Monaten, auf Papier zu Bannen. Auslöser für seine kreativen Phasen, wie er sein Schreiben selbst mit einem Schmunzeln um den Lippen nannte, waren die Tage, in denen Oscar sich noch stärker von ihm distanzierte. Von Fersen war in den Krieg gezogen und André spürte mit jeder Faser seines Körpers wie sehr Oscar an dieser Trennung vom Grafen litt. Wie sie sich in Sorge um ihn grämte. Ein Lächeln oder gar Lachen von ihr gehörten zu den seltenen Kostbarkeiten in Andrés Leben, die, sowie es schien, bald völlig zu versiegen drohten. Der junge Kommandeur der Garde stürzte sich Hals über Kopf in die Arbeit. Immer seltener war Oscar im Anwesen der Jarjayes zu sehen. Sie wirkte noch dünner als sonst und ihre gesunde Gesichtsfarbe tauschte sie ein gegen einen blasgrauen Teint, aus dem die eingefallenen Wangen ganz besonders bedrohlich hervorstachen. André führte die weiße, bauschige Feder schwungvoll über das Papier. Leises gleichmäßiges Kratzen begleiteten jedes geschriebene Wort. Viele Franzosen befanden sich zur Zeit im Krieg. Der Unabhängigkeitskrieg in Amerika hielt die Welt in Atem. Frankreich beteiligte sich bislang passiv am Kriegsgeschehen indem es dem verhassten England Steine in den Weg legte, wo es nur konnte! Waffen, Nahrungsmittel und Kleidung wurden im monatlichen Rhythmus auf Schiffe verfrachtet und auf die große Reise gen Übersee gesandt. Seit geraumer Zeit entwickelte sich der Hafen zu einem stark belebten Umschlagsplatz, mit einer ganz besonderen Anziehungskraft. Ob Arm oder Reich, Jung oder Alt, alles wuselte geschäftig hin und her. Doch seit den letzten Wochen erfüllten nicht nur geschäftiges Treiben und zackige Verladekommandos die warme Sommerluft. Aufschluchzende, verzweifelte Frauen, weinende oder schreiende Kinder, die sich verzweifelt an die Hälse oder Beine ihrer Väter klammerten, durchschnitten die Geräuschkulisse des Alltagsgeschehen und ließen selbst Unbeteiligte nicht länger unberührt. Erst vereinzelt, dann ein immer stärker zunehmender Strom junger Franzosen, entschloss sich nicht länger unbeteiligt und passiv dem Kriegsgeschehen beizuwohnen. Offensiv, für die Gute Sache, die Freiheit, das Ideal der Amerikaner einzustehen und zu kämpfen, das war ihr neu gestecktes Ziel. Viele Männer traten die beschwerliche Reise an, oft mit nicht viel mehr als einer handvoll Träume von einer besseren Zukunft im Gepäck. Die Anzahl der „wahren Edelmänner“, der Adeligen, die sich dazu bereit erklärten, den vertrauten Wohlstand und Reichtum zurückzulassen und dem Tod ins Angesicht zuschauen, war eine lächerlich geschwinde Anzahl. Lediglich vereinzelte Idealisten oder blaues Blut, dass fest davon überzeugt war, als Kriegsheld gefeiert in die Heimat zurückzukehren, ließen Frankreich hinter sich zurück. Meist zählten diese Exoten jedoch zu den verarmten Herrenhäusern und hatten nicht viel zu verlieren. Anders die Beweggründe von Hans-Axel von Fersen. Andrés Blick verdunkelte sich schlagartig als der Name des Grafen durch seinen Verstand huschte. Seine Finger, die das Schreibwerkzeug bislang locker über das Papier führten, umschlossen den Federkiel fester und drückten die Spitze tiefer ins Papier. Seine Knöchel traten bedrohlich weiß hervor. Mit einem Ruck fuhr die Federspitze durch das dünne Pergament und wurde letztendlich vom weichen, baigen Stoff seines Kissens gestoppt. Ein leiser Fluch glitt ihm über die Lippen. Nicht nur das Geschriebene war für die Katz, auch ein kleiner Tintenfleck zeugte von seinem Missgeschick und zierte fröhlich blauleuchtend sein Kissen. „Das dürfte Morgen ein Donnerwetter von Großmutter geben“ dachte er flüchtig. Plötzlich ging ein Ruck durch Andrés Körper. Er schwank seine Beine aus dem Bett, schritt schnellen Schrittes zur Ankleide, warf einen kurzen, prüfenden Blick in den Spiegel, nur um zügig seine Kleindung zurechtzurücken. Obwohl er sich nun seit gut einer Stunde aus dem allgemeinen Trubel und Treiben des Hauses der Jarjayes zurückgezogen hatte, saßen die braune Stoffhose und das weiße, lässig geschnittene Haushemd noch beachtlich gut, keineswegs zerknautsch an seinem Körper. Grund für die plötzliche Unruhe des braunhaarigen Stallburschens war die Erinnerung an den guten 1775er, den André erst gestern im Salon ausgemacht hatte. Es dürstete ihn und er verschuf sich gerne eine kleine Ablenkung von seinen trüben Gedanken auf diese bedeutend angenehmerer Weise. Er huschte zufrieden grinsend durch die Tür, nur um sogleich dieselbe wieder zu öffnen. Das kleine Zimmer schnell durchschreitend, hielt er direkt vor seinem Nachttischchen an, verharrte einen Augenblick, beugte sich hinunter und blies bedacht und vorsichtig die kleine, nun schon fast völlig niedergebrannte Kerze aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)