Soul Service von fukuyama (Himmel & Hölle) ================================================================================ °*+~-,. II ♥ II .,-~+*° ----------------------- Anm.: Das Zeichen in der Mitte des Titels deutet an, dass das Kapitel aus Sicht eines Himmelsbewohners geschrieben ist. °*+~-,. II ♥ II .,-~+*° „Hey Ryo!“ Ich unterbrach meine leider nutzlosen Übungen im Harfenspiel und warf einen Blick über die Schulter. Mein bester Freund und Mitengel Yugi Muto kam über das Wolkenbett auf mich zugehüpft und die weiche Watte gab unter seinen Füßen leicht nach und federte ihn mit jedem Schritt bzw. Sprung noch ein Stück höher, sodass er, auf meiner Höhe angekommen, eine Art Standsalto machen musste, um zum stehen zu kommen. Das ist hier hoben ein bisschen blöd: man muss nur ein paar schnellere Schritte hintereinander machen und schon ist man gezwungen, herumzuhüpfen. Bei jungen Engeln ist das ganz besonders schlimm - je älter man wird, desto mehr baut der Körper einen Stoff an, der sich Jumostinosteronikum nennt und dafür sorgt, dass man am „Boden“ bleibt. Ältere Engel sind deswegen oft neidisch auf uns jüngere, weil wir, falls der Fall gegeben ist, viel schneller von einem Ort zum anderen kommen mit unseren riesigen Sprüngen, und tja - wir sind halt in der Technologie leider noch nicht so weit wie die Hölle, als dass wir uns mit ihrer Fortbewegung befassen könnten. Ziemlich altmodisch eh hier oben, aber es gefällt mir trotzdem besser als sonst wo. Auf der Erde wären mir die Leute für meine Lebensspanne nun wirklich ein bisschen zu naiv, einfältig und verdorben und von der Hölle wollen wir gar nicht erst anfangen! Doch, hier im Himmel war es wirklich schön. Die Sonne strahlte den ganzen Tag und wenn sie abends unterging, dann war alles in rotes und orangenes Licht getaucht. Außerdem waren die Leute hier oben sehr umgänglich: Man hörte von morgens bis abends nur Gelächter und Gesang und wenn ich mit meinen Aufgaben fertig war, dann ging ich am liebsten auf das Forum der Wolke Null und unterhielt mich mit möglichst vielen Leuten - Freunden und Fremden, einfach allen, die etwas zu sagen hatten. Der Himmel ist sehr einfach aufgeteilt und leicht zu verstehen: In der Mitte unseres riesigen Reiches befindet sich die Wolke Null, auf der Petrus wohnt und die logischerweise auch den Zweck des Mittelpunkts erfüllt. Hier ist das Forum, auf dem sich früh und spät jede Menge Engel herumtreiben, von 100-jährigen bis unseren Ältesten mit 50 000 Jahren. Alle unterhalten sich und lachen. Außerdem befinden sich hier unsere Wasserquellen, unsere Trainingsplätze und alle anderen wichtigen Dinge. Vielleicht finden es manche komisch, dass wir unseren kulturellen und geographischen Mittelpunkt als die Wolke Null bezeichnen, allen voraus wahrscheinlich die Teufel, aber ich finde das eigentlich sehr gut so. Außen um die Wolke Null herum liegen die Wolken 1 bis 144 - und zwar alle in einem exakten Kreis. Das wurde so angelegt (falls es denn angelegt wurde, aber davon gehe ich aus), damit keiner benachteiligt wird. Es gibt hier keine Rangfolge. Wird ein Engel geboren (was ziemlich selten passiert, aber es sterben ja auch selten welche), dann bleibt er die ersten 800 Jahre bei seiner Mutter und darf dann entscheiden, auf welche Wolke er gehen will. Natürlich gibt es mehr als 144 Wolken, aber nur diese sind nummeriert - alle anderen treiben dazwischen herum und manche benutzen sie auch als eine Art vorsintflutliche Rolltreppen. Wolkenspringer werden diese Leute genannt und meistens dauert es sehr lange, bis sie irgendwo ankommen. Aber apropos ankommen: Gerade eben ließ sich mein bester Freund neben mich fallen und machte mit der Bemerkung „Schaffst du es immer noch nicht, die richtige Note zu treffen?“ auf sich aufmerksam. Darauf reagierte nicht nur meine Harfe ein wenig verstimmt, die ein schepperndes metallisches E von sich gab, auch ich war nicht gerade erfreut, seufzte aber statt solcher Misstöne nur. „Ich wüsste wirklich gerne, ob ich auf einer Gitarre besser spielen könnte!“ Bei meinem letzten Ausflug zur Erde (ein Notfall, dem es zu helfen galt; er hielt sich für diesen Menschen Christus) hatte ich zufällig einem Menschen lauschen können, der eine Gitarre spielte und seitdem wünschte ich mir im Geheimen, das auch mal auszuprobieren. Allerdings nur, wenn das nicht mit einem neuerlichen Aufenthalt dort unten verbunden war. Yugi lachte und ließ die Beine aus einem winzig kleinen Loch in meiner Wolke hinunter baumeln. „Ich glaube kaum, dass Petrus dir gerne beim üben dieses Instruments zuhören würde - ihm reicht ja schon die Harfe und die ist original von hier!“ „Da hast du wohl Recht!“, leider, so muss ich sagen, hatte ich nämlich mittlerweile mein fehlendes musikalisches Talent erkannt und obwohl ich immer noch hartnäckig übte, hatte ich die Zuversicht in eine erfolgreiche künstlerische Zukunft als Profimusiker längst aufgegeben. So stellte ich auch jetzt meine Harfe zur Seite und wandte mich meinem Freund zu, der nachdenklich vor sich hin starrte. „Hey, was ist los?“ Es dauerte nur einen Augenblick, bis Yugi reagierte, aber ich wusste, er hatte an etwas anderes gedacht, als er sich wieder gerade aufrichtete, sich fröhlich zu mir umwandte und lächelnd sagte: „Nichts. Ich frage mich gerade, ob du schon weißt, dass Alina von der 7 wieder einen Kuchen backt?“ „Nein! Echt?“ Man sieht es mir dünnen Bohnenstange zwar nicht an, aber ich bin süchtig nach Naschkram aller Arten - und besonders Alinas Kuchen machten mir Entzug unmöglich: Wie sollte ich denn auch leben ohne Rotkäppchentorte und Schwarzwälderkirsch? Mein Freund lachte vergnügt und stieß sich dann mit den Händen ab, um neben mir - der bei Erwähnung von süßen Nahrungsmittel sofort aufgesprungen war und nun ungeduldig auf einem Bein federte - zum Stehen zu kommen. Seine Augen blitzten und er rief: „Wer erster da ist, bekommt die Hälfte!“ Dann setzte er zu einem grandiosen Sprint an, wobei ich ihm natürlich auf den Fuß folgte, wenn es mir auch noch nie gelungen war, gegen ihn zu gewinnen. Sprach man ihn aber auf seine herausragenden Laufkünste an, dann reagierte er schnell verschlossen und einmal hatte mich mit der Antwort „Ich will nicht gut im Laufen sein. Ist es denn schön zu wissen, dass man beim Davonrennen immer der erste sein wird?“ zum Nachdenken gebracht. Diese Antwort klang nicht nach jemandem, der erst 1500 Jahre alt war und noch dazu mein bester Freund, obwohl natürlich alle wussten, was seinem Bruder zugestoßen war. Ich war eigentlich auch relativ sicher, dass er eben an ihn gedacht hatte, als er so gedankenverloren durch dieses Loch auf meiner Wolke gestarrt hatte - obwohl: Meine Wolke war es ja eigentlich gar nicht. Im Himmel gibt es ziemlich viele Engel und einige werden wohl auch schon darauf gekommen sein, dass ziemlich viele Engel nicht auf 144 Wolken passen, wenn jedem eine gehört. (Ich habe früher mal den Anteil der Himmlischen Bevölkerung in Prozent ausgerechnet, der so auf Nomadenleben umsteigen müsste, aber den Zettel hab ich irgendwo verschlammt, also müsst ihr wohl selbst rechnen - oder ihr glaubt mir einfach, dass das unmöglich ist.) Also ist jede Wolke mehr wie eine riesige Wohngemeinschaft, in der normalerweise etwa an die 40 Leute wohnen. Tagsüber sind immer nur ein paar zu Hause, weil man sich hier im Himmel überall herumtreiben kann und wir bis zum Tod eigentlich nie die Neugier verlieren, was wirklich ein großer Vorteil ist, aber abends sind dann alle auf ihrer Wolke und erzählen und lachen und dann irgendwann schlafen wir natürlich auch. Ich wohnte wie schon erwähnt auf der 24 und fast alle meine Mitbewohner hatten mein Alter. Es gab nur zwei, drei wirklich alte Engel und keiner war jünger als 1300 - so gesehen war ich mit meinen 1500 Jahren wirklich noch eines der Nesthäkchen. Es ist eigentlich so, dass ein Engel ne genau weiß, auf welchen die Wolken die anderen Engel so sind, außer man ist gut mit ihnen befreundet. Für den Fall, dass man dringend nach einem anderen Himmlischen sucht, gibt es aber auf dem Forum eine sehr lange Liste, auf der alle Wolken und ihre Bewohner verzeichnet sind und die auch ständig aktualisiert wird. Auf Alinas Wolke wohnten vor allem kleine Familien, also Vater, Mutter rund ein bis zwei Kinder. Alina war die einzige mit vier Kindern und ihr Bruder war der einzige Einzelgänger auf dieser Wolke. Vielleicht hat sich auch jemand gemerkt, was ich über Geburten im Himmel gesagt habe - nämlich, dass so was sehr selten passiert. Daran kann man praktisch ausrechnen, wie alt Alina sein muss. Und man kann ausrechnen, wie viele Jahre ihr für das Studium von irdischen, himmlischen und tatsächlich auch den ein oder anderen höllischen (was sie aber nicht gerne zugibt - doch wer würde das schon?) Kuchenrezepten geblieben sind. Und genau so backt sie auch! Wenn Alina backt, dann muss sie regelmäßig gleich mehrere Kuchen backen, weil sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet und bei ihr dann immer so was wie ein kleines Volksfest stattfindet. Als wir also auf Wolke 7 ankamen, waren da auch schon eine Menge Leute, so das wir geradezu eintauchen konnten und mussten und um ein Haar wären wir Joey entkommen, ihrem jüngsten Sohn. Er ist jetzt gerade einmal 500 Jahre alt und mag uns scheinbar besonders gern. An sich ist das ja ganz schön und Joey ist auch ein richtiger Sonnenschein von seinen nackten Füßen bis zu seinem passenderweise goldenen Haar, aber er kann ziemlich anhänglich werden und das ist dann eher nervtötend. Goldene Haare sind hier oben trotz der gehäuften gegensätzlichen Berichte sehr selten - aber immer noch häufiger als meine Schlohweißen. So weit ich weiß, bin ich der einzige Jugendliche mit weißen Haaren und nur unser ältester hat genauso weiße Haare wie ich. Das macht mich sogar auffälliger als Yugi mit seinen drei Haarfarben; man kann sich also vorstellen, was wir erst mit Joey in Kombination für ein auffälliges Gespann abgeben. Dummerweise findet er uns immer. „Hallo Yugi! Hallo Ryo!“, rief er dann auch schon, kaum das unsere Fußzehen die Wolke berührt hatten und lief lachend auf uns zu. Ich weiß wirklich nicht, was an uns so schrecklich faszinierend ist, als dass ein kleines Kind uns so anhimmeln könnte. „Hallo Joey!“, antworteten wir ihm lächelnd und ließen uns dann Richtung Alinas Quartier mitziehen. Es gibt hier oben keine richtigen Gebäude, außer Petrus’ Residenz und der Kathedrale auf der Wolke T, die aber normalerweise gemieden wurde (Ich verstehe nicht warum, aber ich bin auch fast der einzige, der sich dort relativ gerne aufhält). Alle anderen Engel wohnen in einer Art Zelt oder was sie sich gerade so zurechtschneidern - das verleiht unserem Himmel auch tatsächlich das Flair eines irdischen Campingplatzes, was schon nicht wenige kritisiert haben, wogegen man aber nichts machen kann, da durchschnittliche Wolken einfach nicht fest und stark genug sind, um schwerere Gebäude zu tragen. Sobald mir aber der Kuchenduft in die Nase stieg, konnte ich mich aber nicht mehr mit solchen Gedanken beschäftigen und drängelte mich hinter dem fröhlich von seinen Streifzügen erzählenden Joey her. Im Vorbeigehen grüßte ich einige Leute, die ich kannte und als ich hoch sah, konnte ich zwei Bekannte von mir entdecken, die gerade über unseren Köpfen ein riesiges Plakat ausrollten, dass auch anderen Engeln den Hinweis kundtat, dass Alina heute Kuchen backte. Zu eben jener stieß ich gerade durch und als sie mich erkannte, strahlte sie fröhlich. „Hallo Ryo! Schön, dass ihr zwei gekommen seid, ihr könnt doch sicher ein bisschen darauf achten, dass Joey keinen Blödsinn macht? Ich verliere ihn in letzter Zeit immer so schnell aus den Augen! Ach, und hallo Yugi! Wollt ihr lieber meine neuste Zitruskreation oder den Schokoladenkuchen? Davon hab ich noch ein paar Stücke retten können!“ Alina war eine durchschnittlich große Frau mit langen braunen Haaren, die langsam ergrauten und die sie heute hochgesteckt trug, damit sie ihr beim Backen nicht ins Gesicht fielen. Ihre Wangen waren gerötet und sie hatte ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Noch bevor wir etwas sagen konnten, reichte sie uns zwei Teller: für Yugi ein Stück dieser Zitruskreation, für mich ein Stück Schokoladenkuchen mit Bananenstückchen. Wir grinsten sie an, schnappten uns Joeys kleine Hände und während sie schon den nächsten begrüßte, verschwanden wir wieder in der Menge, um uns irgendwo einen Platz zu ergattern. Joey führte uns sicher zum Südrand der Wolke, wo wir uns niederlassen konnten, ohne auf irgendeinem Schoß zu landen. Mit Joey in der Mitte saßen wir da und aßen unseren Kuchen, der mal wieder hervorragend war. „Und, Joey? Was hast du letzte Woche so getrieben?“, fragte ich zwischen zwei Bissen und musterte den kleinen Blondschopf neugierig. Auch wenn er uns schon oft in Bedrängnis gebracht hatte und wir öfters Baby Sitter spielen durften, mochte ich den kleinen doch und war mir sicher, dass er entweder auf meine oder auf Yugis Wolke ziehen würde, wenn er die Erlaubnis zum Umziehen hatte. Er strahlte mich auch jetzt wieder an und begann dann fröhlich zu erzählen. Nicht selten mussten Yugi und ich uns ein Lachen verkneifen und versuchten erfolglos, wenigstens unser Kichern als Hustenanfall zu tarnen, aber was der kleine alles erlebte, war wirklich unterhaltsam. Beispielsweise hatte er vergangenen Dienstag dem großen Kaiba (das war der Aufseher der Wolken 1 bis 10) einen herrlichen Streich gespielt, der dazu geführt hatte, dass dieser wutentbrannt, mit einem geplatzten ei auf dem Kopf und roter Farbe überall vor Petrus’ Residenz aufgetaucht war und Einlass verlangte, um Joey zu verpetzen. Petrus hatte daraufhin verkünden lassen, er können den großen Kaiba leider nicht empfangen, da die Putzkräfte schon gegangen waren und er weder willens war, bis zum nächsten Tag in einem roten und nach Ei riechenden Palast zu wohnen, noch die Engel zurück zu beordern, weil er ihnen nicht die wohlverdiente Freizeit rauben wollte. Der große Kaiba war daraufhin wutschnaubend abgerauscht, aber Joey musste sich keine Sorgen machen, denn er hatte auf der Stelle jeden an seiner Seite, der ihn sowie den großen Kaiba kannte. Das soll nicht heißen, dass Kaiba nicht beliebt war, aber… nun ja, er war es nicht. Gerade hatte Joey seine Geschichte beendet und wir lachten ausgelassen, da wurde es auf einmal sonderbar still um uns herum. Alarmiert hoben wir drei fast synchron die Köpfe und starrten nach oben, von wo eine schattenhafte Gestalt sich schnell näherte. Augenblicklich waren auch wir still und standen auf, denn das war Rebecca, die Novizin von Petrus und erst musst geklärt werden, ob sie im Auftrag Petrus’ hier war und was er wollte, bevor wir weiter feiern konnten. Es hatte zwar selten ernsthafte Schwierigkeiten gegeben, aber ab und zu waren auch die eben da. Verfolgt von Hunderten Augenpaaren landete Rebecca gar nicht weit von uns (wahrscheinlich, weil dieses Plätzchen noch nicht so belegt war) und faltete ihre Flügel zusammen. Rebecca hatte ebenfalls blondes Haar, allerdings nicht so golden wie bei Joey. Sie war ungefähr in unserem Alter und hatte bereits öfters schon Interesse an Yugi kundgetan, der darauf aber bisher überhaupt nicht eingegangen war. Ich hielt se für einigermaßen sympathisch und hatte festgestellt, dass man sich durchaus interessant mit ihr unterhalten konnte. Was aber wollte sie hier? Ein älterer Engel, der in unserer Nähe stand, trat vorsichtig einen Schritt vor und sagte laut und deutlich (bei Bedarf kann man seine Stimme hier oben wunderbar anschwellen lassen - das macht die gute Akustik, die irgendwann mal von irgendwem wahrscheinlich durch Magie erschaffen worden war): „Sei gegrüßt, Rebecca! Deine Flügel leuchten, so ich sie sehe. Was möchtest du?“ Rebecca erwiderte seinen Gruß höflich und sah sich kurz um, dann ließ auch sie ihre Lautstärke anschwellen und rief: „Ich komme hierher, um euch von Petrus zu künden. Auf sein Geheiß hin haben sich alle Engel im Alter zwischen 1500 und 12 000 Jahren auf dem Forum einzufinden - es ist eine öffentliche Versammlung. Er bittet außerdem um ein Stück deines Kuchens, Alina.“ Daraufhin herrschte erst Stille, dann erhob sich ein lautes Stimmengewirr. Yugi sah mich an und hatte den gleichen irritierten Blick, den ich wahrscheinlich auch im Gesicht hatte. „Lass uns erst Joey zurückbringen!“, schlug ich vor und als er nickte, schlugen wir uns wieder einmal zu Alina durch, die ihren Jungen auch gleich in Empfang nahm. „Wisst ihr, was das soll?“, fragte sie uns ebenfalls leicht irritiert, doch wir konnten nur die Köpfe schütteln. Natürlich hatte Petrus von Zeit zu Zeit etwas zu verkünden, aber es kam selten vor, dass er dafür extra alle auf das Forum berief. Das letzte Mal hatte er das gemacht… als er uns in den Krieg schickte! Yugi kam anscheinend gleichzeitig mit mir die Erkenntnis. Das war erst knapp 1000 Jahre her, wir hatten damals noch nicht kämpfen müssen, allerdings aufmerksam den Berichten von Yugis älterem Bruder gelauscht, als dieser wieder heimkam. Wollte Petrus etwa den Krieg fortsetzen?! „Alina, will er den Krieg wieder anfangen?“, fragte ich alarmiert und sah, wie unsere alte Freundin erschrocken die Augen aufriss: „Himmel, nein! das kann er doch nicht machen!“ Joey sah verwirrt von einem zum anderen. „Was ist Krieg?“ Klar, er war ja auch noch gar nicht geboren, als wir das letzte Mal den Ernstfall gehabt hatten - und normalerweise vermieden wir es von Natur aus, außerhalb der Notwendigkeit darüber zu sprechen. Auf Alinas Zügen lag nun ein Hauch von Zorn. „Das kann er einfach nicht machen! Den Krieg wieder aufnehmen, was für eine blödsinnige Idee! Will er uns alle umbringen, oder was?!“ Vom Tod hatte Joey schon gehört. „Und jetzt schert euch weg! Ich versuche, so bald wie möglich nachzukommen!“ Yugi und ich nickten ihr noch einmal zu, verabschiedeten uns flüchtig von Joey, der wollte, dass wir ihn mitnahmen, und machten uns auf den Weg zu Wolke Null. Kaum ein paar hundert Meter weiter stieß auch schon eine andere Gruppe junger Engel zu uns, von denen ich einige kannte. Genauso wie wir waren sie in Aufregung versetzt und unterhielten sich laut über die Möglichkeit, Petrus würde den Krieg wieder aufnehmen. Ich persönlich konnte mir das irgendwie nicht vorstellen. Eines meiner Hobbys war es, mich in der großen Bibliothek, die sich in der Residenz befand, herumzuschlagen und möglichst viel über die Geschichte des Himmels zu lernen. Ich wusste, dass gerade der letzte Kleinkrieg wieder besonders viele Opfer gefordert hatte und konnte mir einfach nicht vorstellen, warum Petrus jetzt schon wieder einsteigen wollte. Das ergab für mich überhaupt gar keinen Sinn! „Hey Ryo!“, rief in diesem Moment einer der älteren aus unserem ‚Nachbartrüppchen’ und wechselte auf meine Seite, während er eine geschickte Pirouette flog, „Wie siehst du diese Geschichte?“ Ich schüttelte den Kopf und teilte ihm meine oben aufgeführten Überlegungen mit. Viele Leute hier oben wussten, dass ich an Geschichte interessiert war, was für mich durchaus ein Vorteil war. Obwohl ich erst 1500 Jahre zählte, und damit gerade erst aus dem Kindesalter entwachsen war, genoss ich schon eifrig die Vorteile meines Geschichtsstudiums. Ich hatte mir beispielsweise einen eigenen Bibliotheksschlüssel aneignen dürfen. An sich war das einfach nur unnötig, weil die Bibliothek ja sowieso den ganzen Tag für alle Interessierten geöffnet war, aber ich hatte ihn tatsächlich schon ein paar mal benutzen können, wenn ich nachts in dem großen Gebäude herumschlich, um am nächsten Morgen vollkommen übermüdet ins Bett zu fallen. Gerade jenes Gebäude stach mir jetzt ins Auge, als wir uns zum Landeanflug fallen ließen. Vielleicht sind jetzt einige stutzig geworden, weil ich eingangs erwähnt habe, dass wir manchmal wegen unserer schnelleren Fortbewegungsart auf den Wolken beneidet werden, hier aber vom fliegen rede. Es ist so, dass wir nicht oft fliegen - eigentlich nur, um anzugeben oder wenn der Fall es gebietet. Es ist einfach zu aufwendig, die Flügel zu entfalten, wieder anzulegen und sie später vielleicht sauber machen zu müssen. Allerdings erlaubt uns das Fliegen einen eleganten Abgang. Nun ja. Jetzt jedenfalls bremsten wir unseren Sturzflug kurz vor der weichen Wolkenwatte ab (ich glaube, es wurde noch nicht namentlich festgehalten, was sie ist - obwohl wir in der Biologie durchaus einige Fortschritte machen, interessiert sich hier oben kaum einer für Physik) und sanken fast synchron zu Boden, mitten hinein in eine Meer aus Gleichaltrigen. Petrus stand bereits auf der Empore, die sonst immer von jeder Art Redner genutzt werden darf und an seiner Seite flatterte Rebecca - ich wollte gar nicht wissen, wie viel Staub und Dreckteilchen sie heute Abend aus ihren Federn würde bürsten müssen. Der Platz füllte sich stetig mit Himmlischen und bald erhoben sich auch die ein oder anderen Bewohner in die Höhe, um unten mehr Platz zu schaffen. Ich denke, Petrus hat mit dem Auflauf gerechnet, denn er wirkte nicht sehr überrascht. Allerdings ist es schwer, Petrus’ Gesichtszüge überhaupt irgendwie einzuordnen, sowie seine ganze Person ein wenig auffallend ist. Ich bin der Meinung, Petrus muss früher mal ein Vorzeigeengel gewesen sein, jedenfalls hat er einen weißen Rauschebart, weiße Haare und prächtige Flügel. Allerdings trägt er schwarze Kleider, eine riesige Sonnenbrille und dazu meistens eine dunkelblaue (wie sagen die Menschen?) ‚Rappermütze’. Es ist absolut unmöglich, sein wahres Alter zu schätzen, deswegen will ich das hier auch nicht tun, aber seine Stimme klingt immer noch voll, dunkel und sanftmütig. Mit dieser sprach er uns auch jetzt an, kaum dass es ein wenig stiller geworden war: „Meine lieben Himmlischen, liebe Engel, Elfen, Wolkenbällchen und andere wundervolle Geschöpfe! Die Sonne geht auf, wenn sie euch erblickt!“ Ich habe diesen sinnlosen Gruß nie ganz verstanden, aber jedem das seine. Wolkenbällchen sind übrigens wirklich sehr süß! „Ihr alle fragt euch sicher, warum ich eine Versammlung auf dem Forum einberufen habe und ich muss umgehend eure Befürchtung bestätigen: Es geht um den Krieg.“ Es braucht keine besondere Bezeichnung: Der Himmel führt nur einen einzigen Krieg. Entsetztes Murmel setzte rund u mich ein. Yugi schüttelte langsam den Kopf. „Da mach ich nicht mit!“, flüsterte ihn und ich ließ diesen Satz unbeantwortet, weil ich nicht wusste, was ich dazu sagen sollte. Petrus sah sich um und ließ die Botschaft wirken, dann öffnete er wieder den Mund und sprach weiter: „Allerdings ist es nicht so, dass ich euch in den Krieg, in den endlosen Kampf schicken werde.“ Das machte mich stutzig. Wenn er uns nicht in den Kampf schicken wollte… was war der Krieg anderes als ein Kampf? „Ich werde euch erzählen, wie es zu dem kam, was ich euch jetzt näher bringen will! Gestern morgen saß ich gemütlich an meinem Schreibtisch und sah ein paar unverdrossenen Wolkenbällchen bei ihrem Spiel zu, da rief Luzifer nach mir.“ Ein Raunen machte sich breit. Es war bekannt, dass der Yami und Petrus sich gegenseitig irgendwie erreichen konnten, aber keiner von uns wusste, wie das ging. Natürlich fragten wir auch nicht. „Ich war natürlich äußerst überrascht. Ich hatte gehofft, frühestens in tausend, zweitausend Jahren wieder irgendwas aus der Hölle zu hören, aber er bat mich um ein Treffen auf der Erde.“ Auf der Erde?! Das war nun wirklich ein ungewöhnlicher Meeting place, auch wenn man nach nicht allzu langer Zeit sagen konnte, dass es irgendwie der einzig mögliche in dieser Dimension war, der neutral war (Unsere Kämpfe beispielsweise trugen wir normalerweise immer in einer anderen Dimension aus; Nur ganz selten hatten wir mal einen Teufel hier und noch seltener schaffte es ein Engel in die Hölle - außer natürlich den Gefallenen Engeln, aber dieses Thema ist tabu: selbst die Geschichtsschreibung schweigt fast immer über diese Verdammten). „Ich ging also hin, denn auf neutralem Boden darf man einander nicht angreifen, und traf mich mit Luzifer. Und siehe da! Er unterbreitete mir einen Plan, der das ewige Blutvergießen stoppen sollte.“ Stille. Luzifer - der Yami der Hölle - wollte Frieden?! Das konnte ich mir fast nicht vorstellen. „Und dieser Plan sieht vor, dass eine ungerade Zahl an Pärchen - bestehend aus einem Teufel und einem Engel - zur Erde gesandt wird. Dort wird jeweils einem Pärchen ein Mensch zugewiesen, indessen Umkreis sich beide aufhalten müssen. Körperliche Gewalt ist verboten und nur verbale Auseinadersetzungen sind legal. Derjenige des Pärchens, der zuerst handgreiflich wird oder aufgibt, hat verloren. Auf diese Art und Weise können wir endlich eine Entscheidung herbeiführen. Der Sieger - Himmel oder Hölle - wird offiziell anerkannt und vom jeweils anderen geachtet. Danach besteht das Recht der Unantastbarkeit.“ Überraschung überschwemmte das Feld der Zuhörer. Nie im Leben hätte hier einer gedacht, dass der Yami darauf sinnen würde, den Krieg zu beenden! Waren nicht die Teufel Kreaturen des Krieges? Aber dieser Plan! Erst auf die Erde und dann auch noch in Gesellschaft eines Teufels? Ich würde mich garantiert nicht freiwillig melden! Dieser Gedankengang schien auch andere Köpfe heimzusuchen, denn nur ein paar Sekunden später war es totenstill auf dem Forum. Rebeccas Flügel schlugen ungleichmäßiger. „Ich habe für diese Aufgabe schon einige Engel zusammengeschrieben, von denen ich denke, dass sie der Belastung und den Strapazen gewachsen sind. Ich glaube fest daran, dass ich die richtigen gewählt habe und sie dem Himmel zu einem ewig währenden Sieg verhelfen werden. Ich berufe Rebecca in den Kreis derer, die helfen sollen. Trage deine Aufgabe mit Würde!“ Rebeccas Flügel erlahmten. Halb entsetzt drehte sie sich zur Seite und man konnte in ihrem Gesicht lesen wie in einem Buch. Dann fing sie ihren Sturz wieder auf und schwebte wieder ein Stück höher. Arme Rebecca. „Ich berufe Angelina!“ Ein erschrockener Ausruf irgendwo rechts hinter mir. Ja, so ein Mist aber auch. Die Aussicht, mit einem Teufel so nah bei einem Menschen auf der Erde zu ein… würde mich wahrscheinlich zu einer spontanen Ohnmacht treiben - obwohl diese Reaktion schon etwas übertrieben war. Naja, ich bin anfällig und melancholisch. „Ich berufe Yugi Mutou!“ Was?! Yugi?! Ich hoffte nur, er neigte nicht auch zu Ohnmachtsanfällen - nach einem Blick in sein Gesicht: nein, sicher nicht, der war sauer. Es passierte nicht oft, dass Yugi sauer wurde, aber wenn ich daran dachte, was das Schicksal schon mit ihm gemacht hatte… sein Teufel würde als Hackfleisch enden. Das musste voll gruselig sein! Yugi schaute mich an und sagte ruhig: „Ich werde schon siegen!“ Wurde ich gerade leicht hysterisch? „Ich berufe Ryo!“ Die Welt um mich herum wurde schwarz. ---------------------------------------------------------------------------------------- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)