Wüstenblume von abgemeldet (Zwischen Glamour und Gosse) ================================================================================ Kapitel 1: Splitter ------------------- „Der nächste Termin ist Haruno Sakura, Sir“, las der Mann von seinem Klemmbrett ab. „Haruno? Das ist doch dieses Topmodel. Wieso hat die denn zugesagt?“ Der andere, etwas ältere Mann, fummelte an seinen Goldkettchen herum und rückte seine Fliegerbrille zurecht. Dabei war es in seinem spärlich beleuchteten Büro alles andere als hell. „Die will wahrscheinlich den Kick haben, ist vielleicht gelangweilt von dieser Mauerblümchenart.“ Der mit dem Klemmbrett lachte höhnisch und trat aus dem kleinen Büro. „Wir werden sehen. Wir werden schon sehen.“ Sakura studierte den Stadtplan. Gerade heute hatte sie ihrem Chauffeur frei gegeben. Dabei wusste sie genau, welcher Termin heute anstand. Doch selbst die Tatsache, dass sie keinerlei Orientierung hatte, hatte sie nicht davon abgehalten dem jungen Mann freizugeben. Wie hätte sie das denn verantworten können? Heute Morgen kam er völlig aufgeregt in ihr Büro, das normalerweise nur in Notfällen betreten werden durfte. Er erklärte ihr mit wild herumfuchtelten Händen, dass seine Frau in den Wehen lag. Ohne ein weiteres Wort sagen zu können unterbrach Sakura ihn mit einer Handbewegung und schrieb eine Notiz auf ihren Zettel. Als der aufgeregte 20 Jährige nach einer halben Minute noch immer dastand, sah seine Chefin auf und blickte ihn verwundert an. „Was machen Sie denn noch hier? Verschwinden sie. Ihre Frau bleibt nicht ewig in den Wehen.“ Erleichtert faltete er die Hände und stürmte aus ihrem Büro. Sakura musste lächeln. Wie schön es sein musste, wenn man eine Familie hatte. Sie hatte eine Familie, das schon. Doch nachdem sie vor drei Jahren ihr Elternhaus verließ und gegen den Willen ihrer Eltern bei dieser Agentur anfing, hatte sie kein Wort mehr von ihnen gehört. Ihr großer Bruder, Kouta, war vor fünf Jahren nach Amerika gegangen. Er wollte eine Ausbildung als Chirurg beginnen. „Ob er es geschafft hat? Und was er nun wohl tut?“, flüsterte Sakura und wischte sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel. Sie beugte sich wieder über den Stadtplan und suchte diese Straße. Nur noch eine Stunde, dann hatte sie diesen Termin. Doch dass sie diese Zeit auch einhalten konnte war für sie außer Frage. Natürlich war sie ein Star. Sie war eines der best bezahltesten Models in Japan. Sie war beliebt, hübsch, klug und immer freundlich. Zumindest vor der Kamera. Sakura blickte kurz in den Himmel und ein Schwall der Erinnerungen überkam sie. Wie hatte das alles eigentlich angefangen? „Nagisa! Nagisa! So warte doch!“ Ein junger Mann rannte seiner Freundin nach. „Nagisa, ich-“ Eer drehte seine Freundin um, doch anstatt der braunen starrten ihn verwunderte grüne Augen an. „Ja bitte?“, fragte Sakura verwundert, als der Junge, etwa in ihrem Alter, sie noch immer an einem Arm festhielt. „Oh, tut mir Leid. Ich habe dich verwechselt“, sagte er nur kurz und lief weiter. Verdutzt starrte sie ihm nach. Sakura erschrak, als er sich schlagartig umdrehte und zu ihr zurücklief. „Mein Name ist Sasuke Uchiha. Komm mal vorbei, du hast ein hübsches Gesicht.“ Mit diesen Worten reichte er ihr eine Visitenkarte und war nach kurzer Zeit im Gedrängel der anderen Menschen verschwunden. Unbewusst hatte sie einen älteren Mann gefragt, wo dieses Studio sei. Er hatte sie erst nur angewidert angesehen, doch als sie fragte, was los sei, erklärte er ihr den Weg. Sakura fragte sich, was an einem kleinen Werbespot so schlimm sei. Denn genau das hatte man ihr gesagt. Vor genau einer Woche hatte sie ein Angebot in ihrem Briefkasten, der davon eigentlich immer überquoll. Diesmal waren nur dieses und eines für ein Fotoshooting für einen Kalender dabei. Ein Werbespot war eigentlich genau das was sie derzeit wollte. Immer nur Fotos, das war ihr zu eintönig. Und die große Modenschau in Mailand war erst in drei Monaten. So hatte sie zugesagt, ohne sich genauer zu erkundigen, was das denn nun für ein Film sei. Dass da nur die Bezeichnung kurzer Film stand war ihr zwar klar gewesen, aber sie hatte gleich eine Werbung hineininterpretiert. Bei ihrer Zusage fragte sie sich selbst in Gedanken, ob sie wohl übermütig wurde. Doch als sich die nette Stimme der Sekretärin gemeldet hatte, war das alles wie weggeflogen. Sie hatte schon mehrere Bewerbungen von guten Managern erhalten, doch entgegen ihrer Modelkolleginnen, von denen die meisten einen Manager besaßen, wollte sie alleine entscheiden was sie annahm und was nicht. Auch wenn sie wusste, dass ihre Vorstellungen von Managern übertrieben war, sie hatte keine Lust noch einmal unter der Fuchtel von jemandem zu stehen. Das Jahr bei dieser Agentur war ihr genug gewesen. Auch wenn sie da sehr gute Freundinnen gefunden hatte. Ino und Hinata lachten, als Sakura mal wieder fix und fertig von einem Fotoshooting nach Hause kam. Die drei wohnten in einem der Apartments, die ihnen die Agentur zur Verfügung stellte. Sie war seriös und vor allem gut zu den Models. Trotzdem störte Sakura die Tatsache, dass sie es nicht selbst in der Hand hatte. Die Models und ihre Informationen waren in Karteien vermerkt und wurden von den Klienten ausgewählt. Und genau das störte sie. „Wie war der Shoot?“, wollte Ino wissen und nahm Sakuras Tasche ab. „Anstrengend. Aber der Fotograph war total nett.“ „Für was war das denn noch schnell?“, mischte sich auch Hinata ins Gespräch ein. „So ein Eyeliner von L’Oreal Paris.“ Ino trat an sie heran und wischte ihr den Rest des schwarzen Striches am Augenlied weg. „Das merkt man.“ „Hör auf damit, Sakura!“, mahnte sie sich selbst und drückte die Klinke des Studioeinganges hinunter. Wieso schwelgte sie in Erinnerungen? Sie hatte doch alles was sie wollte! Mit Top Designern war sie befreundet, sie hatte einen Haufen Geld, jeden Tag überflutete sie ein Schwall von Anfragen um ihre Person. Modenschauen, Fotoshootings, Werbespots, alles war dabei. Und dennoch, sie hatte nicht das was sie wollte. Aber was wollte sie denn nun? Um ehrlich zu sein, sie hatte keine Ahnung. „Miss Haruno?“, drang eine Männerstimme zu ihr durch. „Kommen Sie bitte mit. Wir haben schon alles vorbereitet.“ Sakura ging ohne ein Wort zu sagen mit dem zwielichtig aussehenden Mann mit. Er hatte mindestens eine Tube Haargel in seiner Mähne. Doch auf das achtete sie nicht. Stattdessen fragte sie: „Um welches Spot handelt es sich eigentlich?“ „Spot? Wer hat hier von Werbung gesprochen? Die Rede war von einem kleinen Film. Und den drehen wir.“ „Und um was geht es da?“ Dass sie in diesem Moment so leichtgläubig wie die Unschuld persönlich klang, war ihr gar nicht bewusst. „Das ist ja lustig!“, schmunzelte der Mann und zeigte auf ein Plakat vor ihnen. Sakura kniff die Augen zusammen, um es besser erkennen zu können. War das etwa…? „Sie drehen hier Pornos?“ „Richtig.“ „Tut mir Leid, aber das wusste ich nicht-“, begann sie, wurde aber unterbrochen. „Das macht nichts, es ist ganz leicht.“ „Nein, Sie verstehen mich falsch! Pornos drehe ich nicht!“ „Stell dich nicht so an, Kleine.“ „Kleine?! Hören Sie mal, ich bin eines der best verdienendsten Models in Japan! Und lassen Sie mich los!“ Sie versuchte sich aus dem fester werdenden Griff des Mannes zu befreien, doch er war um einiges stärker als sie. „Dann muss ich dich wohl auflockern!“ Er zerrte sie in einen der Räume und schloss ab. Sakura drängte sich an die Wand und suchte verzweifelt einen Ausgang. Was ihr nun bevorstand war ihr klar. Der Mann kam auf sie zu und versuchte ihr das T-Shirt vom Leib zu zerren. Sie konnte sich nicht wehren. Sie war schon nur mehr in ihrer Unterwäsche, ihre übrige Kleidung lag auf dem Boden. Er drängte sie auf die schäbige Bank und versuchte ihren Büstenhalter zu öffnen. Plötzlich ging die Türe auf und jemand stand im Raum. Das Licht vom Flur überflutete den dunklen Raum. Der Mann, der noch vor kurzen auf Sakuras Becken gesessen hatte erhob sich hastig und ging aus dem Raum. „Immer machst du mir alles kaputt“, zischte er zu dem jungen Mann und rempelte ihn an. Sakura bedeckte ihren Körper so gut es ging. Der junge Mann, der auf sie zuging, bückte sich und drückte ihr ihre Kleidung in die Arme. „Danke“, hauchte sie und wischte ihre Tränen von den Wangen. „Vielen Dank.“ „Schon gut. Und jetzt verschwinde. Das ist kein Ort für ein Mädchen wie dich.“ Er sah sie ausdruckslos an und wandte ihr den Rücken zu. Erleichtert, aber immer noch völlig aufgelöst, verließ sie im Eiltempo die schäbigen Studios. Erst jetzt, da sie auf der anderen Straßenseite stand und auf das Gebäude starrte, fiel ihr auf, dass es dreckig du heruntergekommen war. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wie konnte sie bloß so naiv und leichtgläubig sein? Sie wollte nur noch nach Hause. Kapitel 2: Wiedersehen ---------------------- Der Regen prasselte unaufhörlich auf die wenigen Menschen nieder, die sich hinausgewagt hatten oder auf dem Nachhauseweg waren. Die meisten hatten einen Schirm dabei, der sich schützend über sie spannte und sie vor dem Nasswerden schützte. Sakura saß auf einer der Bänke am Hauptplatz. Hinter ihr war der Springbrunnen ausgeschalten worden, dennoch hörte sie das Plätschern des Wassers. Die dicken Regentropfen fielen auf die vorhin noch so ruhige Wasseroberfläche und verursachten kleine Wellen. Seit mehr als einer halben Stunde saß sie nun da. Selbst als es vor wenigen Minuten zu regnen begann und die Menschen um sie herum schlagartig aufstanden, um nach Hause zu eilen, blieb sie hier sitzen. Sie hoffte, dass der Regen dieses schmutzige Gefühl wegwaschen würde. Doch das saubere Gefühl blieb aus. Stattdessen schienen die schweren Regentopfen auf dem Schmutz, der auf ihrer Haut saß, abzuperlen. Alles Geld der Welt konnte ihr nun nicht helfen. Was sie brauchte war ein richtiger Freund. Nicht diese hohlen Gestiken, die freundlich aber distanziert von ihren Modelkolleginnen kamen. Sie alle interessierten sich doch nur für ihre eigene Karriere, und dafür würden sie alles tun. Sakura kramte ihre Geldbörse aus ihrer Diortasche. Ihr Blick blieb auf ihren perfekten Händen haften. Die wunderschön lackierten Fingernägel, kurz und gerade gefeilt, mit zartrosa Nagellack lackiert. Auf dem linken Daumen befand sich ein silbern glänzendes Nageltatoo. Sie hob ihre Hand auf Augenhöhe und betrachtete das filigrane, zierliche Muster. Es waren kleine Rosen, verbunden durch einen dünnen Strich der sich rechts herumschlängelte. Wie lange hatte sie sich nicht mehr selbst betrachtet? Zu lange. Das Lob und die Komplimente um ihren perfekten Körper schüttelte sie immer ab und meinte, dass jeder das mit ein wenig Training erreichen könne. Doch dem war nicht so. Sie musste jeden Tag hart trainieren und auf Vieles verzichten – Pommes Frites, Schokolade oder Sake war noch das Geringste. Langsam fuhr sie mit ihrer zarten Hand zu ihrem Gesicht. Die andere kramte einen kleinen Spiegel hervor und klappte ihn gekonnt auf. „Sakura, was ist bloß aus dir geworden?“, fragte sie sich selbst, als sie vergeblich den Glanz in ihren Augen suchte. Sie steckte den Spiegel wieder weg und zog aus ihrer Geldtasche eine Visitenkarte. Sakura wusste noch genau, wie er ihr die Karte gegeben hatte. „Du willst uns wirklich verlassen, Sakura?“, fragte Sasuke Uchiha enttäuscht. Er war der Sohn des Inhabers der Agentur ‚Model Magic’. Bei dieser Agentur hatte alles angefangen. Nagisa, seine Sekretärin und feste Freundin, hatte es ihr gesagt als Sakura fragte, was Sasuke eigentlich genau hier machte. Trotz der Tatsache, dass Nagisa in kurzer Zeit eine sehr gute Freundin geworden war, konnte sie ihre Gefühle Sasuke gegenüber nicht ausschalten. Er war ein Jahr älter als sie, damals siebzehn. „Ich würde mit Nagisa Schluss machen, das weißt du.“ Sasuke war in ihr Zimmer gekommen. Ino und Hinata saßen im Wohnzimmer und hatten den Fernseher laut gedreht. Sie wussten um ihre Mitbewohnerin und ihrem Verhältnis zum Juniorchef. „Sasuke, du weißt, dass ich hier nicht weiter komme. Ich möchte die Welt sehen. Und das was zwischen uns war, das müssen wir vergessen.“ Sie lehnte sich an seine Brust und spürte seine Arme um ihren Oberkörper. „Ich will nichts vergessen.“ „Ich doch auch nicht. Aber dann müssen wir es wenigstens für uns behalten. Wenn das rauskommt, dann wird dich dein Vater rausschmeißen. Und Nagisa wird dich verlassen.“ „Das ist mir egal.“ „Sasuke! Stell dir vor, was das für meine Karriere bedeuten würde. Wenn das an die Öffentlichkeit kommt, dass ich ein Verhältnis mit dem Sohn meines Chefs hatte. Außerdem ist es gegen die Regeln.“ „Ich werde kein Wort darüber verlieren. Um unser beider Willen. Aber du weißt“ – er drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand – „dass du mich immer anrufen kannst. Egal weshalb oder wann.“ Sasuke hob Sakuras Kinn an und sah ihr tief in die Augen. „Versprich mir, dass du nicht so wie andere Models endest.“ „Was meinst du?“ „Die meisten vergessen zu leben und werden magersüchtig. Sie nehmen Drogen und konsumieren jeden zweiten Tag so viel Alkohol, dass sie sich übergeben und es zur Routine machen, weil sie damit abnehmen. Versprich mir, dass du nie vergisst, wer du wirklich bist. Und wenn du drohst abzustürzen, dann ruf mich an.“ „Okay.“ Sie tippte die Privatnummer ein, doch schon bei der dritten Zahl hörte sie auf und löschte die Ziffern am Display. Ihr Stolz baute eine Blockade. Sie durfte keine Schwäche zeigen. Nicht in diesem Zustand. Wann hatte sie Sasuke denn das letzte Mal gesehen? Das war vor zwei Jahren, als sie die Agentur verließ um Karriere zu machen. Was hatte sie erreicht? Sie war berühmt, beliebt, begehrt, erfolgreich und wunderschön. Doch wie sah sie jetzt aus? Wie sah sie im normalen Leben aus? Sakura war nicht mehr als ein seelisches Wrack. Die tränennassen Augen waren rot und verquollen. Was würde Sasuke sagen, wenn er sie nun so sehen würde? Galt sein Angebot denn noch immer? Vielleicht war er schon längst verheiratet, hatte Kinder oder hatte eine neue Handynummer. „Wie ist es bloß soweit gekommen?“, schluchzte Sakura und ließ den Kopf hängen. Der Regen prasselte noch immer erbarmungslos auf die Straße, doch plötzlich spürte sie keine nassen Tropfen mehr auf ihre Haut fielen. „Ich weiß es nicht, Süße“, erklang eine leise Stimme. Sakura blickte auf. Sie sah die blauen Augen Inos, die einen Schirm schützend über Sakuras Kopf hielt. Dahinter erblickte sie Hinatas dunkelblaue Haare. Die Blonde reichte ihr die Hand und half ihr sanft auf. Sakura umarmte sie zaghaft und begann dann hemmungslos zu weinen. Es waren Freudentränen, aber auch Tränen der Verzweiflung und der Müdigkeit. „Komm mit, Sakura. Wir bringen dich nach Hause“, hörte sie Hinatas Stimme und ließ sich von den beiden zu sich nach Hause bringen. „Da vorne“, flüsterte Sakura und deutete auf eine der Villen. „Du hast es echt zu was gebracht“, bemerkte Ino und drückte Sakura fester an sich. Als sie eintraten ließ sich Hinata die Küche zeigen, Ino ging mit ihrer Freundin in ihr Schlafzimmer. Dort setzten sich die beiden jungen Frauen auf das große Doppelbett. Sakura stand sofort wieder auf und öffnete den Schrank. Sie zog ein paar Kleidungsstücke hinaus und warf sie neben Ino aufs Bett. „Wo willst du denn hin?“ „Ich komme gleich wieder“, rief Sakura um die Ecke, als sie auf dem Weg ins Bad war. Schon wieder könnte sie sich ohrfeigen. Immer wenn jemand anderer in ihrer Nähe war tat sie so fröhlich. Dabei wollte sie einfach nur weinen oder sich beschweren. Und wer war dafür besser geeignet als die besten Freundinnen? Doch wieso konnte sie es nicht? Das warme Wasser auf ihrem Gesicht brachte sie auf andere Gedanken. Doch, sie konnte. Sie war nicht stark, sie tat immer nur so. Doch Ino und Hinata würden es verstehen, dass Sakura auch nur ein Mensch war. „Hier“, sagte Sakura und warf zwei Decken auf Ino. „Ihr bleibt doch sicherlich ein paar Tage, oder?“ Ino nickte und kuschelte sich in eine der Decken ein. Trotz dieses heißen Sommers war es an diesem Tag sehr kalt. „Wenn du nichts dagegen hast.“ Hinata kam nach wenigen Minuten aus der Küche und drückte ihren beiden Freundinnen eine Tasse Tee in die Hand. Sie selbst nahm einen Schluck und kuschelte sich neben Sakura in das Deckenmeer. Sakura drückte die warme Tasse an ihre Brust und atmete tief durch. „Was ist passiert?“, fragte Ino nach kurzem Schweigen. Sakura blickte auf und erzählte den beiden jungen Frauen von diesem Angebot und der Vergewaltigung, die sie fast erleben hätte müssen. Hinata umarmte sie und wiegte sie hin und her. „Du Arme. Ich kann dich verstehen.“ „Es ist nicht nur das, Hinata. Es ist alles hier. Ich habe alles, was sich eine junge Frau wünschen kann. Eine große Villa, ich kenne sämtliche große Labelchefs persönlich, habe jede Woche eine Anfrage für irgendeine große Modenschau oder ein Shooting mit Chanel oder Dolce und Gabbana. Und trotzdem bin ich nicht glücklich. Ich kann nicht mit Schlabberklamotten auf die Straße gehen, kann mich nicht amüsieren und vor allem darf ich nicht das machen, was mir Spaß macht. Ich meine, modeln macht mir Spaß. Aber ich darf keine fetten Sachen essen, muss immer toll aussehen, habe fast keine Freizeit.“ „Lasst uns den Alltag einfach vergessen, zumindest für ein paar Tage“, flehte Hinata und wurde von Ino durch ein lautes: „Gruppenkuscheln!!“ bestärkt. Kapitel 3: Interview -------------------- Die Tage vergingen wie im Flug. Bald stand Hinata im Vorzimmer der großen Villa. Mit Tränen in den Augen verabschiedeten sich die jungen Frauen voneinander. Hinata musste nach New York fliegen, sie hatte morgen ein Fotoshooting für eine Designermarke. Nach drei Tagen verließ auch Ino ihre Freundin. Sie hatte versprochen für einen befreundeten Künstler Modell zu stehen. „Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, ihr habt mir mal gezeigt, dass das Leben auch schöne Seiten außerhalb des Berufs hat. Danke.“ Sie umarmten sich, doch dann hupte das Taxi, das für die Blondine bestimmt war. Als Sakura die Türe schloss fiel ihr Blick auf ein Foto das sich dem Regal befand. Die Kamera machte ununterbrochen Klickgeräusche und die rosahaarige junge Frau fühlte sich pudelwohl. Es war ihr erstes professionelles Shooting. Sie sollte für einen Bikini werben. Er war weiß, ihre absolute Lieblingsfarbe. Ihre Mutter hatte sie immer belehrt, weiß sei doch keine Farbe. Dennoch liebte sie dieses Unschuldige. Es hatte einen gewissen Reiz für sie. „Gut so, Sakura. Dreh dich ein bisschen nach rechts, ja, gut so! Weiter! Das ist perfekt!“ lobte der Fotograf. Ob es stimmte oder nicht wusste Sakura nicht, aber das angenehme Wasser am Strand von Otaru ließ sie vergessen, dass das hier ein Shooting war. Vielleicht war das der Grund für das Lob des Fotographen. Ihr Blick schweifte unbewusst in die Ferne, sie bekam einen sehnsüchtigen Ausdruck in den Augen. Als sie das bemerkte schüttelte sie den Kopf. Sie sollte doch lächeln. „Was machst du denn da?! Lass diese Sehnsucht doch in den Augen, das ist wunderbar!“, rief der Fotograf. „Was ist denn das, Sasuke?“, fragte Sakura, als sie das kleine Geschenk auspackte. „Das soll dich daran erinnern, was deine Träume und Ziele sind.“ Sie stockte und lächelte dann freudig. Es war ein eingerahmter Abzug ihres ersten Bildes. Ihr erster Auftrag. Diese Sehnsucht in den Augen sollte sie ewig daran erinnern, dass auch sie nur ein Mensch mit Träumen war. „Genau, meine Träume. Und für die lohnt es sich zu kämpfen!“, sagte sie entschlossen und setzte sich auf den Heimtrainer, der im Keller stand. Sie hörte erst wieder auf in die Pedale zu treten, als das Telefon läutete. Elegant stieg sie von dem Gerät herunter und ging ins Wohnzimmer, wo ihr Handy lag. „Büro von Haruno Sakura.“ Eine junge Frauenstimme meldete sich. „Guten Tag, Miss Haruno. Mein Name ist Ayama Nika, ich bin die Sekretärin von Miss Kishima. Sie lässt fragen, ob sie in zwei Tagen zu einem Interview bereit wären.“ „Was denn für ein Interview und für wen?“ „Oh, ich vergaß! Miss Kishima ist Chefredakteurin der Serie Made in Japan.“ Made in Japan war eine sehr erfolgreiche Sendung, die jede Woche einen neuen nationalen Star interviewte. Natürlich nur erfolgreiche und berühmte, die ihren Ursprung in Japan hatten. „Wir werden ihnen ganz normale Fragen stellen. Wie ihnen ihre Arbeit gefällt, ob sie mit ihrem Leben zufrieden sind. Wir haben aber keine vorbereiteten Fragen. Das alles soll sehr spontan gehalten werden und ehrliche Meinungen und Antworten von den Stars hervorbringen.“ Sakura zögerte einen Moment. Doch wieso eigentlich nicht? Sie war so entspannt und voll neuem Elan wie schon lange nicht mehr. „Okay. Sie sagten in zwei Tagen?“ „Ja, ich weiß. Es ist sehr kurzfristig, aber wir wollten Sie eigentlich im einstündigen Sommerspecial haben. Da das Special nun leider abgesagt wurde, wollten wir Sie unbedingt noch dieses Monat unterbringen.“ Diese Ausführung gefiel Sakura zwar nicht besonders, aber dennoch sagte sie zu. „Sakura, du bist nach Kyoko Maruma das erfolgreichste Model in ganz Japan. Mit deinen neunzehn Jahren bist du noch sehr jung, Kyoko ist dagegen schon ein alter Hase. Dennoch bist du auch international erfolgreich. Wie fühlt sich das an?“, fragte Mika, eine der jungen Moderatorinnen. Generell war das Set sehr jugendlich. Rote und orange Polster lagen auf den gelben Sesseln und ein ebenfalls roter Teppich zog sich über den Boden. „Es ist toll immer wieder andere berühmte Leute kennen zu lernen. Ich bewundere sehr viele Designer und Modelkolleginnen. Es ist immer eine Ehre und ein großes Vergnügen, auf verschiedenen Partys eingeladen zu sein, auf die nur Prominente kommen. Ich habe mir von ihnen schon viele Tipps geholt. Auch Kyoko habe ich schon getroffen. Sagen Sie ihr bloß nicht ins Gesicht dass sie ein alter Hase ist.“ „So war das doch nicht gemeint.“ „Ja, ich weiß. Aber es ist wundervoll. Die meisten Leute blicken zu einem auf, dabei bin ich nur 1,63.“ Sakura lachte. „Was ist an den Gerüchten dran, dass du mit Miseru Kouta liiert bist?“ „Der Frontsänger dieser Newcomerband? Nein, da ist nichts dran. Er ist doch erst siebzehn und außerdem will ich mich noch auf meine Karriere konzentrieren.“ „Also ist noch nichts mit Familieplanung?“ „Um Gottes Willen! Nein! Ich bin doch erst neunzehn.“ Langsam gingen ihr die lästigen Fragen der Moderatorin auf die Nerven. Doch mit der nächsten Frage hat sie nicht gerechnet. „Es gibt ein paar Leute die behaupten, dich in einem Pornostudio gesehen zu haben. Ist das wahr?“ Sakura stockte. Was sollte sie darauf sagen? Doch sie konnte doch auch nicht mit einer ausweichenden Antwort kommen, das würde die noch verdächtiger machen. Sie hätte sich doch nicht für dieses Interview entscheiden sollen. „Nun, ich war dort. Ich bekam vor ein paar Wochen ein Angebot von diesen Studios. Aber ich dachte, dass es sich lediglich um einen Werbespot handelt. Von pornografischen Szenen und Filmen wusste ich nichts.“ „Hast du trotzdem gedreht?“, hakte dieses junge Ding nach. Wie alt war sie denn? Höchstens fünfzehn oder sechzehn. Wie konnte sich dieses Mädchen das erlauben? „Natürlich nicht! Ich bin doch keine Pornodarstellerin!“, entrüstet schüttelte Sakura den Kopf. „Das klingt so abwertend.“ „Ich finde diesen Beruf unzumutbar. Ein jeder der diese Schmuddelfilme dreht gehört doch verhaftet. Ich finde es unverantwortlich, wenn sich junge Menschen vor der Kamera zu solchen Szenen zwingen.“ „Wechseln wir das Thema. Hast du jemals mit Uchiha Sasuke geschlafen?“ „Wie bitte?!“ Sakura rutschte ein Stück vor. Ihre Augen weiteten sich. „Es gibt Gerüchte, dass du mit dem Sohn deines ehemaligen Chefs ein kleines Techtelmechtel gehabt haben sollst.“ Die Moderatorin zwinkerte mit einem Auge und grinste verschwörerisch. „Komm schon, mir kannst du es doch sagen.“ „Also ich weiß nicht, wer dir das erzählt hat, aber das ist eine verdammte Lüge! Niemals habe ich mit Sasuke geschlafen. Seine feste Freundin war eine meiner besten Freundinnen, ich hätte Nagisa nie hintergangen“, schrie sie aufgebracht und stand wütend auf. „Das Interview ist beendet!“ Keine Minute später befand sie sich auf der Straße vor dem Sender. „Welches verdammte Plappermaul konnte seine Klappe nicht halten?“, fragte sie sich selbst und hastete in den Park. Schon wieder brach sie in Tränen aus, als sie sich auf der Parkbank niederließ. „Verflucht!“, schrie sie. Alle anderen Leute sahen sie verwundert an. Die meisten jüngeren Mädchen und Jungs erkannten sie. „Nein, Mina! Lass sie lieber“, hörte Sakura ein paar der Mädchen flüstern. „Aber sie ist doch der Star! Ich möchte ihr wenigstens einmal die Hand schütteln“ beschwerte sich ein schwarzhaariges Mädchen. Sakura wischte sich die Tränen aus den Augen und zog ihren treuen Spiegel aus der Tasche. Sie warf einen prüfenden Blick auf ihr Gesicht und erhob sich von der Bank. Sie ging auf das Mädchen zu und reichte ihr die Hand. „Hi, ich bin Sakura.“ Woher sie diese ruhige und freundliche Stimme hatte wusste sie nicht. Schüchtern ergriff Mina ihre Hand und schüttelte sie leicht. „Keine Sorge, ich bin nicht aus Glas“, bemerkte Sakura, als sie die Hand des Mädchens kaum spürte. Sie lächelte und ging weiter. Noch einige Sekunden konnte sie die aufgeregten Stimmen der drei Mädchen hören. „Oh mein Gott! Sakura Haruno hat mir die Hand geschüttelt! Verdammt!“ „Mann, ich wollte auch einmal!“ „Wieso bekommst immer du das Beste ab?!“ Sakura lächelte in sich hinein, doch als sie nach einer Stunde wieder in ihrem Haus war, überkamen sie abermals die Tränen. Und wie so oft setzte sie sich auf ihren Heimtrainer und strampelte in die Pedale, als ob sie diese für alles verantwortlich machen wollte. „Wieso könnt ihr mich nicht einmal in Ruhe lassen?!“, schrie sie und begann schneller zu treten. Kapitel 4: Vergangenheit und Zukunft ------------------------------------ Als Sakura nach drei Stunden von ihrem Heimtrainer stieg schwankte alles. Die Umgebung um sie herum verschwamm und sie musste sich festhalten. Eine Hand fasste sich an den Kopf, die andere langte nach irgendetwas fest Verankertem. Doch sie erwischte nichts und fiel hin. Ihr Kopf schmerzte und etwas pochte gegen ihren Fuß. Beim kläglichen Versuch sich festzuhalten bekam sie nur den Heimtrainer zu fassen, so weit sie sich erinnern konnte. Anscheinend war sie bei ihrem Sturz mit so viel Schwung gefallen, dass sie das Gerät mit sich gezerrt hatte. Nun lag es schmerzhaft auf ihrem Fuß. „Verflucht!“, fluchte sie leise, sie hatte kaum Kraft. Vor zwei Tagen hatte sie das letzte Mal geschlafen und etwas Anständiges gegessen. Die Anstrengung durch das ständige trainieren hatte sie zusätzlich geschwächt. Kein Wunder, dass ihr Kreislauf schlapp gemacht hatte. Abermals verließen sie die Kräfte. Sie hatte die Anstrengung und die Aufregung der letzten Wochen gefährlich unterschätzt. Es wurde wieder schwarz vor ihren Augen. Der Schmerz ließ allmählich nach und versank dann in der unendlichen Dunkelheit, die Sakura überkam. „Nur noch zwei Minuten!“, rief einer der Manager der großen Modenschau. „Macht euch fertig, Girls!“ Sakura sah sich um. Was machte sie hier? Alles um sie herum war hektisch, viele wunderschöne Mädchen in ihrem Alter hechteten von einem Ende des Raumes zum anderen. Sie sah an sich selbst herunter, ihre vorher so bequemen Trainingsklamotten waren weg. Sie hatte ein hautenges, gelbes Kleid an. Es war kurz, gerade einmal das Nötigste wurde verdeckt. Eine knielange, knallenge schwarze Satinhose verdeckte den Rest. Sie ging zu einem der Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Ihr Gesicht war noch etwas rundlicher, sie war erst sechzehn oder höchstens kurz vor ihrem siebzehnten Geburtstag. Eine dicke Schicht von grellen sonnengelb wechselte am oberen Lied mit zartem rosengelb. Ihre Lippen waren in einem sanften rosè Ton angestrichen. „Wow“, säuselte sie und fuhr sich leicht über ihre Wangen. „Sakura, Schätzchen, hör doch auf! Du verschmierst ja alles!“ Einer der Stylisten nahm ihre Hand und führte sie weg von ihrem Gesicht. „Chèry! Du bist die nächste!“ Der Manager zerrte sie zum Ausgang des Backstagebereiches. Ein roter Vorhang verzierte den Ausgang. Eine Lautsprecherstimme ertönte und begrüßte die Zuschauer neben dem Laufsteg. „Und nun, verehrte Gäste, genießen Sie die Show!“Sakura war in ihrem Element. Auf den hochhackigen Schuhen bewegte sie sich besser als in Tennislatschen. Sie lief, auch wenn sie nicht wusste wieso und warum sie hier war. Das Publikum jubelte. Sie war wieder im Umkleideraum gleich hinter dem Laufsteg. Inzwischen war ihr egal was sie hier machte. Sie hatte Spaß, sie lief sorglos und wurde von Minute zu Minute fröhlicher. „Perfekt“, lobte sich eine Stylistin, als sie schnell das Make-up erneuerte und ihr in das neue Outfit half. Diesmal war es ein weites, grünes Kleid. Die Schminke war nun grün, die Lippen verführerisch pink. Das Kleid hatte fast dieselbe Farbe wie ihre Augen. Noch ein letztes Mal sah sie sich in den Spiegel. Der alte Glanz war wieder da.Sie war wieder fröhlich bei ihrer Arbeit, bei dem was sie tat. Ein letztes Mal wechselte Sakura ihr Outfit und ging auf den Laufsteg. Sie hatte den finalen Auftritt, durfte als große Sensation hinaus. Wegen ihr waren alle Leute gekommen, das spürte und wusste sie. Wie ein Engel oder eine Fee schwebte sie voller Eleganz über den Laufsteg, versprühte ihren Charme und lieferte den gierigen Fotografen eine volle Minute mit bezaubernden Posen. Die Gäste, die großteils reich oder berühmt oder beides waren, klatschten begeistert. Nur wegen ihr, nur wegen Sakura. Der Designer schritt im schnellen, festen Schritt über den Laufsteg und blieb ganz vorne stehen: „Meine Damen und Herren, verehrte Gäste! Das war meine neue Kollektion. Und ich weiß, dass es nie so ein großer Erfolg gewesen wäre, wenn meine bescheiden gearbeitete Kleidung nicht von diesen wunderschönen Models vorgeführt worden wäre. Und mein besonderer Dank geht an meinen Engel, meine Muse, meine Fee und meine Geheimwaffe! Sakura Haruno!“ Sie hörte ihren Namen und ging selbstsicher auf den Laufsteg. Immer noch hatte sie das wunderschöne rote Kleid an. Sie war stolz, dass sie es tragen durfte. Während sie zu diesem Designer vorging überfiel sie urplötzlich das Gefühl, als habe sie dieses ganze Szenario schon einmal erlebt. Immer mehr Erinnerungen überkam sie – es war wie ein Déjà-vus. Doch was würde nun passieren? Immer wieder riss ihr Faden ab diesem Zeitpunkt ab. Sie war bei Mirato, so hieß der Designer, wenn sie sich recht erinnerte, angelangt. Sie wusste auch wieder, wieso sie bei so einer großen Schau mitlief und gerade sie das Herzstück der Vorführung war. Mirato war der große Bruder von Koutas Freundin. Kouta war Sakuras großer Bruder. Er, ihr Bruder, hatte den Designer auf seine Schwester aufmerksam gemacht und Sakura hatte ihm von Anfang an sehr gefallen. Er traute ihr diese große Aufgabe zu und beide fanden sich auf Anhieb sympathisch. Mirato nahm Sakuras Hand und hielt sie hoch. Die Fotografen drängelten, um die besten Plätze zu bekommen, auch jetzt nach der großen Show. Ohne Vorwarnung riss er seine Perle, so nannte er Sakura immer, rum und umarmte sie. So dachte sie. Doch es wurde keine Umarmung, sondern ein tiefer, leidenschaftlicher Kuss. Sakura mochte ihn, aber sie liebte ihn nicht. auch er hatte immer beteuert, dass er nur an einer Freundschaft interessiert sei. Doch um der Publicity Willen ließ sie es geschehen und schlang ihren Arm um seinen Nacken. Er hatte vor der Show sogar Andeutungen gemacht, dass nach ihrem letzten Lauf eine Überraschung auf sie warte, die den Fotografen sicher gefallen würde. Sie genoss das Blitzlichtgewitter. Fast zehn Sekunden lang lieferten Mirato und Sakura den Fotografen und dem Publikum eine gewaltige Show, dann ging alles ganz schnell. Sakuras Augen waren geschlossen, sie konzentrierte sich auf ihren Gesichtsausdruck und den perfekten Fuß-Flip. Ein Mann in der vierten Reihe stand auf und zielte mit einer Waffe auf die beiden Küssenden. Das Publikum begann zu schreien, der Designer und das Model ließen voneinander ab. Sakura sah die Waffe, und auch wohin er zielte. Sie begann zu schreien, wollte Mirato mit sich wegzerren. Ein Schuss ertönte, Blut spritze auf ihre perfekte Haut, beschmutze ihr Kleid und ihre aufgesteckten Haare. Sakura hatte noch immer Miratos Arm gepackt, plötzlich wurde sein Körper schwer. Sie sah zu ihm und fing seinen leblosen Körper so gut es ging auf. Er war zu schwer für sie, deswegen sackte sie auf die Knie. Sakura umarmte seinen Körper und hoffe, dass sie jeden Moment wieder aufwachte. „Nein! Nein!“, kreischte sie mit zitternder aber lauter und verzweifelter Stimme. Wie eine Zauberformel wiederholte sie dieses Wort und hoffe, dass er sie fröhlich ansehen und einen seiner blöden Sprüche anbringen würde. Doch ein Lebenszeichen blieb aus. Ein Mann nahm ihre Schultern und wollte sie aufzerren, doch sie klammerte sich an Miratos leblosen Körper als wäre er eine Rettungsboje. Noch einmal drang ein verzweifelter Schrei durch die ebenfalls ängstlich schreiende Menge. „Nein! Mirato-san! Tu mir das nicht an! Bitte nicht!“ Dann sackte sie über seinem Körper zusammen und erlebte wie in Trance wie sie ein starker Mann aufzerrte und weg brachte. Der Bodyguard, der sie nach hinten brachte, legte Sakura seine Jacke um die freien Schultern. Ihre Modelkolleginnen sahen aufgelöst zu ihr und ihm. „Was ist denn passiert? Wir hörten Schreie!“, fragte ein braunhaariges Mädchen, während sie Sakura leicht tätschelte und besorgt betrachtete. Der Mann schüttelte den Kopf. „Mirato-sama wurde eben erschossen.“ Allen Mädchen war der Schock anzusehen, die meisten hatten Tränen in den Augen. „Sakura-san, ist mit dir alles in Ordnung? Du bist auch voll Blut!“ „E-Es“, sie schluckte und brach wieder in Tränen aus. „Es geht mir gut, keine Sorge,“ schluchzte sie und lehnte sich an die Schulter des braunhaarigen Mädchens an. „Was ist genau passiert?“, wollte das Mädchen wissen. Ihre Stimme war leicht zittrig und sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum. Der Bodyguard begann alles so harmlos wie möglich zu erklären. „Mirato-sama und Sakura-san standen vorne am Posiersteg und haben sich für den Beifall des Publikums bedankt. Plötzlich ist einer der Zuschauer in der mittleren Reihe aufgesprungen. Dann gab es einen Schuss und Mirato-sama ist zu Boden gegangen. Ich habe Sakura-san dann sofort hierher gebracht.“ „Aber wieso tut jemand so etwas?!“, rief die Braunhaarige, die einen Arm um Sakura gelegt hatte. Ein Mann betrat den Backstagebereich. „Mein Name ist Inspektor Wakashi. Ich bearbeite diesen Fall. Miss“ – er sah auf seinen Notizblock – „Haruno. Ich weiß, dass das sehr schwer für Sie ist, aber dürfte ich Ihnen ein paar Fragen stellen?“ Sakura nickte kurz und führte den Inspektor in ihre Garderobe. Kapitel 5: Gefallener Engel --------------------------- Der Mann setzte sich und zog seinen Stift hinter dem Ohr hervor. „Also, Miss Haruno.“ Sakura saß völlig aufgelöst da. Einer ihrer besten Freunde wurde gerade ermordet, als sie einen Showkuss inszeniert hatten. Während sie sich küssten hatte ein Verrückter ihn erschossen. Und dieser Inspektor saß seelenruhig da und schrieb etwas auf seinen verdammten Block. Aber er machte auch nur seinen Job. „Können Sie mir schildern, was draußen passiert ist?“ Sakura nickte und legte die Jacke des Bodyguards ab. Das rote, lange Kleid schmiegte sich eng und wunderschön an ihren Körper. Der Inspektor musterte sie für eine Sekunde und sah ihr dann in die Augen. „Darf ich vielleicht aufstehen? Ich fühle mich im sitzen nicht sehr wohl“, fragte Sakura und stand auf ohne eine Antwort abzuwarten. „Natürlich“, sagte der Mann überflüssiger Weise. Sakura atmete tief durch und lehnte sich an die Wand ihrer Garderobe. „Ich bin gerade meinen letzten Lauf gelaufen.“ „In diesem Kleid?“ „Ja. Nach der Zusatzeinlage am Posiersteg bin ich wieder Backstage gegangen und habe gewartet bis Mirato-san meinen Namen aufrief. Als er das dann getan hat bin ich noch mal raus und habe mich neben ihn gestellt. Er hat meine Hand genommen und sie hochgehalten. Wir haben uns beim Publikum bedankt und dann haben wir und geküsst.“ „Sie beide waren ein Paar?“ „Nein. Aber Mirato-san wollte auf die Titelseite und außerdem dachte er, dass das dem Publikum gefallen könnte. Ein Showkuss eben.“ „Und Sie waren sich fremd?“ Sakura schüttelte den Kopf. „Nein. Mein großer Bruder hat eine feste Freundin und Mirato-san ist ihr großer Bruder. Wir kannten uns und waren befreundet.“ „Was ist dann passiert?“ „Als wir uns geküsst haben fingen die Leute auf einmal an zu schreien. Ich habe dann zur Seite ins Publikum gesehen und einen Mann in den mittleren Reihen gesehen.“ „Wie ist er Ihnen aufgefallen?“ „Würden Sie mich bitte ausreden lassen?!“ In ihren Augen sammelten sich erneut Tränen. Sakura ergriff ein Taschentuch von ihrem Schminktisch und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Er hat gestanden und mit einer Waffe auf uns gezielt. Ich wollte wegrennen und habe Mirato-sans Handgelenk genommen. Aber auf einmal-“ Sie schluchzte. „Auf einmal ist sein Körper ganz schwer geworden und er ist nach unten gesackt. Ich wollte ihn auffangen, aber er war zu schwer für mich. Dann bin ich auf die Knie gegangen und habe geschrieen. Einer der Bodyguards hat mich nach hinten in den Backstagebereich geführt. Und dann kamen Sie.“ Sakura öffnete die Augen. Sie sah sich um, erkannte aber nicht viel. Die weißen Wände wirkten sehr steril und auch die weiße Bettdecke ließ keinen Zweifel, dass sie in einem Krankenhaus war. „Was?“ Sie schreckte auf. Erst jetzt sah sie wieder halbwegs klar. Sofort wurde sie wieder aufs Bett gedrückt. „Was mache ich hier?“ Wie oft hatte sie diesen Satz schon im Fernsehen gehört und sich gedacht: Was ist denn das für eine Frage? Wie blödsinnig. Und nun stellte sie sie selbst. Die Krankenschwester, die sie zurück ins Bett gedrückt hatte, ließ sie los. „Miss Haruno, Sie sind im Krankenhaus. Wissen Sie ihren Vornamen?“ „Ja, natürlich. Ich heiße Sakura Haruno. Wieso bin ich hier?“ „Sie wurden von ihrem Chauffeur im Keller Ihres Hauses gefunden. Sie hatten wohl einen Kreislaufkollaps. Ist Ihnen schlecht? Haben Sie irgendwelche Beschwerden?“ „Nein. Aber ich bin durstig.“ Die Frau wies eine Hilfsschwester an, ein Glas Wasser zu holen. Dann wandte sie sich wieder ihrer Patientin zu. „Ein solcher Zusammenbruch ist nicht zu unterschätzen. Sie sollten sich noch etwas ausruhen. Und, dürfte ich mir zwei Fragen erlauben?“ Sakura nickte nur kurz. „Sie haben im Schlaf immer das Wort ’Nein’ geschrien. Sie haben auch geweint. Hatten Sie einen Alptraum?“ „Eher ein verdrängtes Ereignis geträumt. Es geht schon wieder.“ „Und, auch wenn es nicht angebracht ist, aber könnte ich für meine Tochter ein Autogramm haben?“ „Ähm…“ Sie überlegte kurz und nachdem sie ihre Gedanken geordnet hatte, nickte sie. Ihre Fans waren ihr immerhin wichtig. „Vielen Dank. Wissen Sie, meine Tochter, Makoto, sie ist auch bei Model Magic. Ruhen Sie sich lieber aus, Miss Haruno. Ich sehe später nach Ihnen.“ Vier Tage später saß Sakura in ihrem Auto. Sie hatte ihrem Chauffeur mindestens achtzig Mal gedankt, bis dieser schließlich meinte, er würde sie aussetzte, wenn sie noch einmal das Wort ’Danke’ sagen würde. Dieser Dank waren zwar ehrlich gemeint, dennoch fühlte sie sich leer und kaputt. Sie wollte nur noch nach Hause. Kurz nachdem sie endlich die Türe geschlossen hatte rutschte sie am Holz der Buchentüre hinunter. Sakura hatte immer noch ihre Tasche um, die Schuhe und die Jacke an, dennoch saß sie fast eine Stunde an die Türe gelehnt da und weinte. Nach unendlich langer Zeit wagte sie es aufzustehen, musste sich aber sofort an dem Schuhregal anhalten um nicht umzufallen. Ihr wurde kurz schwarz vor Augen, dann fiel ihr Blick auf das Foto ihres ersten Auftrages. Sakura streifet die Schuhe ab, schmiss die Chaneljacke achtlos in eine Ecke und nahm das gerahmte Foto neben dem Festnetztelefon vom Tisch. Ebenso achtlos wie die Jacke zuvor landete die teure Tasche in einer Ecke ihres Schlafzimmers. Sakura stellte das Foto auf den Tisch und sah sich in ihrem Zimmer um. Langsam und gründlich, wie sie es schon lange nicht mehr getan hatte. Und da erblickte sie sie. Für einen kurzen Moment schien ihr alles absurd, doch je intensiver sie darüber nachdachte, desto besser erschien ihr diese Lösung. Zögerlich und überlegend schritt sie mit nackten Füßen über das Parkett, sie schlich wie eine Katze, wollte von keinem gehört werden. „Wie albern“, schluchzte sie und sah sich um. Auch wenn es absurd war, dass sie sich in ihrem eigenen Haus so leise bewegte, sie wollte kein Risiko eingehen. Immer näher kam sie der kleinen Box, die mit ihrem unscheinbaren Braun nicht sehr hervorstach. Diese wenigen Sekunden kamen ihr vor wie eine halbe Ewigkeit, doch schließlich erreichte sie den Schreibtisch, über dem ein Bücherregal hing. Vorsichtig nahm sie das Holzkistchen und ging zurück zum Bett. Sie starrte es an, immer noch leise weinend und schluchzend. „Scheiße, Sakura! Reiß dich zusammen“, mahnte sie sich selbst und atmete tief durch. In dieser Sekunde schloss sie mit ihrem alten Leben ab. Nichts würde mehr so sein wie es war, aber wen würde das schon stören. Ihre Freunde waren mit ihren eigenen Karrieren beschäftigt und ihre Eltern wollten nichts mehr von ihr wissen. Ihr Bruder war ja auch nicht da und Sasuke, den konnte sie wohl schlecht anrufen oder gar treffen. Bevor sie die unscheinbare Box, auf der Nur für Notfälle stand, öffnete, sah sie noch einmal auf das Foto, das nun auf dem kleinen Nachtkästchen stand. Sie nahm es und strich mit dem Fingerrücken sanft über den silbernen Metallrahmen. Nagisas Worte hallten in ihren Ohren. Es war der Tag vor dem großen Chanelauftrag. Sakura war aufgeregt, sie war nervös und hatte Angst, es nicht zu schaffen, kläglich zu versagen. Nagisa hatte sie auf die Seite genommen und ihr fürsorglich die Hände auf die Schultern gelegt. Ihr verständnisvoller Blick durchdrang Sakura förmlich. „Sakura-chan, hör zu. Süße, du darfst nie, hörst du, nie im Leben aufgeben. Du hast einen Traum. Dein Traum ist es, ganz groß rauszukommen. Und dafür musst du kämpfen. Da draußen ist das offene Meer, da schwimmen viel schlimmere Fische rum als Haie. Wenn du als kleiner Thunfisch da draußen überleben willst, dann musst du dich durchbeißen, auffallen und perfekt sein. Ende nicht so wie ich. Ich wollte auch Model werden. Und nun sieh mich an! Ich versauere hier als blöde Sekretärin. Ich bin die Freundin eines Typen der mich alle zwei Minuten betrügt.“ Bei diesen Worten sah Sakura weg. Ihr schlechtes Gewissen Nagisa gegenüber ließ sie fast weinen und ihr die Wahrheit erzählen, dennoch hatten sich Sasuke und sie geschworen, es niemanden zu erzählen. Und so sollte es auch bleiben. „Aber ich werde ihn verlassen. Und ich werde kündigen und irgendwo ganz neu anfangen. Noch habe ich die Chance meinen Traum zu verwirklichen, ich bin doch erst achtzehn!“ Bei diesen Worten stiegen ihr Tränen in die Augen. „Sakura, was ich damit sagen will: Glaub an dich und an deine Träume. Mach das, was du für richtig hältst. Und lass dich nicht unterkriegen.“ Nagisa reichte Sakura ein Sektglas, sie selbst nahm auch eines. „Auf unsere Träume!“, sagte sie. „Auf unsere Träume!“, wiederholte Sakura und stieß mit ihr an. „Auf unsere Träume“, murmelte Sakura und öffnete das Kästchen. Sie zog eine kleine Plastiktüte hervor. Der Deckel lag mit der Außenseite nach oben neben ihr. Abermals las sie den Text. „Oh ja, das ist ein Notfall.“ Sie hob die Tüte mit weißem Inhalt auf Augenhöhe, dabei fiel ihr Blick auf ein Foto, das an der Wand hing. Es zeigte ihren Bruder und sie im Garten ihres Elternhauses. „Jetzt sieh mich nicht so an! Du bist nur ein Foto“, schimpfte sie ihren Bruder. Mit zitternder Hand leerte sie das weiße, sorgfältig zermahlte Pulver auf die Oberfläche ihres Nachttisches. Es war eine kalte Nacht, dennoch lief Sakura wie im Hochsommer herum. Sie wartete auf ihren Chauffeur, der sich anscheinend zu verspäten schien. Kira, eine flüchtige Freundin, kam auf sie zu und stellte sich neben sie. Sie war um zwei Jahre älter als Sakura damals. Junge zwanzig hatte sie auf dem Konto. Kira war schon seit über fünf Jahren im Modelgeschäft, sie hatte ihrer jungen Kollegin immer mit Rat und Tat beiseite gestanden. „Hör zu Kleine“, begann sie und wandte ihr makelloses Gesicht Sakura zu. „Ich denke, du bist nun reif dafür.“ „Wofür?“, fragte Sakura nach. „Mensch, Mädel! Du bist echt naiv und unschuldig. Wie süß. Ich meine das hier.“ Sie hielt eine kleine weiße Tüte hoch. „Im Geschäft geht es oft hart zu. Wenn ich mal ’ne Pause brauch’, dann zieh’ ich mir das rein. Manchmal finden sogar richtige Partys statt, wo man sich das Zeug mit anderen reinziehen kann.“ „Das ist…?“ „Richtig. Das ist der beste Stoff, den du derzeit auf dem Markt bekommst.“ „Aber, ich kann doch keine Drogen nehmen!“ „Das ist harmlos. Aber gute Qualität. Ich brauche das nicht mehr. Ich bin auf fixen umgestiegen, das gibt ’nen heftigeren Kick. Aber für Einsteiger ist das das Richtige. Warte, ich zeig dir wie du’s drehst.“ Wie es ihr Kira damals gezeigt hatte, drehte Sakura sich aus speziellem Papier, das sich auch in der Box befand, ein Röhrchen. Sakura sah noch einmal das Foto an, dann beugte sie sich hinunter. Kapitel 6: Ein neues Leben -------------------------- Farben, überall Farben. Sie schienen sie verleiten zu wollen. Doch zu was? Sakura nahm alles intensiver wahr. Der Kasten war nun nicht mehr hellbraun, sondern hatte einen Farbton zwischen Okka und Sand. Sie hatte zu wenig Farbwörter, um alles beschreiben zu können, was sich ihr darbot. War es Einbildung oder die erste Wirkung der Drogen? „Was soll denn das?“, fragte sie sich selbst. Für eine Anfängerin hatte sie um einiges zu viel von dem Lysergsäurediethylamid erwischt. LSD. Doch das war ihr nun egal. Um nichts auf der Welt wollte sie dieses Glücksgefühl hergeben. Überglücklich schmiss sich Sakura auf ihr Bett und rollte sie von der einen auf die andere Seite. Sie lachte und sprang wieder auf. Unwillkürlich schlängelte sich das schlechte Gewissen in ihr Bewusstsein, dennoch kam es nicht ganz durch. Wie aufgekratzt sprang sie durch die Wohnung, vom Wohnzimmer in die Küche. Dort nahm sie sich ein Glas Cola und schluckte es gierig hinunter. Wie lange hatte sie dieses köstliche Getränk schon nicht mehr getrunken? Zu lange! Wieso es überhaupt in ihrem Kühlschrank stand war ihr egal. Sie wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Als sie eine der vielen CDs einlegte und wild tanzte und sang verschüttete sie das Getränk. Selbst als sie ausrutschte und hinfiel lachte sie und rappelte sich wieder auf. Es entlockte ihr nur ein „Hoppla“. Dann sprang sie wieder quietschvergnügt herum. Wie lange dieses Gefühl andauerte wusste sie nicht, aber es war viel zu schnell vorbei. Als sie aufwachte war die Welt ganz anders. Ihr Kopf dröhnte und sie wankte stark. Wie lange hatte sie bloß geschlafen? Nach einem kurzen Blick auf die Uhr erschrak sie. „Dreizehn Stunden? Ich habe dreizehn Stunden geschlafen? Mein Gott! Das Zeug zieht mächtig.“ Sie fasste sich an den Kopf und versuchte das Hämmern gegen ihre Schädeldecke auszublenden. Doch leider hörte es nicht auf. Was war passiert? Langsam kamen die Erinnerungen zurück. Wo war denn dieses Glücksgefühl? Diese Hochphase und diese Fröhlichkeit? Wieso hatte sie das nicht mehr? Warum waren da nur mehr dieses Hämmern und diese depressive Stimmung in ihrem Bewusstsein? Sie wusste es nicht, doch was sie wusste war eines: Was auch immer das verursachte hatte, sie wollte mehr. Sie wollte noch einmal so unbeschwert durch die Wohnung hüpfen und herumtoben. Ihr Blick blieb auf der braunen Box haften. Sie war offen und lag auf ihrem Bett. Die Tüte lag auf dem Nachkästchen, leer. Daneben ein halb entfaltetes Röhrchen aus braunem Papier. „Ich habe“, begann sie, doch ihr fehlte die Kraft um es zu sagen. Es zu sagen bedeutete, dass es wahr war. Und wenn es wahr war, dass sie, Sakura Haruno, Drogen genommen hatte, dann-. Sie brach ihre Gedanken ab und beendete sie mit einem Satz, den sie selbst nicht von sich kannte. Und wenn es wahr war, dass sie, Sakura Haruno, Drogen genommen hatte, dann konnte das den anderen scheißegal sein. Den Drogen war es zu verdanken, dass sie glücklich war. Und die Drogen sollten ihr ein zweites und ein drittes und ein viertes Mal dazu verhelfen sich noch mal so zu fühlen. An diesem Tag rief sie Kira an. „Hey Kleine! Klar kann ich dir die Adresse besorgen. Warte kurz, ich such sie.“ Kira legte den Hörer auf eine Oberfläche. In der anderen Leitung knackte es, als sie das tat. Sakura überlegte, ob es das Richtige war, doch die Adresse von dieser Bar zu haben, hatte noch keinen ins Gefängnis gebracht. So weit sie das wusste. „Sakura? Bist du noch dran?“, unterbrach Kiras Stimme ihre Überlegungen. „Ja, ich bin noch dran.“ Kira sagte ihr die Adresse durch. „Frag nach Jason und sag, dass dich Kira schickt. Er wird dir was geben, was dir gefallen wird. Vertrau mir.“ „Danke, Kira. Ich bin dir was schuldig.“ „Hey, ich hab meine Aufgabe erfüllt.“ Diese Worte ärgerten Sakura, immerhin war es keine tolle Aufgabe, junge Mädchen anzustiften, Drogen zu nehmen. Sie sah darüber hinweg und legte auf. Sie hatte alles mitgeschrieben und heftete den Zettel an die Pinwand, die sonst nur mit Telefonnummern und Adressen von Studios oder Fotografen übersäht war. Der Zettel stach besonders heraus. Er war der einzige, der keine Visitenkarte war. Doch bevor Sakura diesem Jason einen Besuch abstatten wollte, ging sie ins Bad und holte Kopfschmerztabletten aus ihrer umfangreichen Hausapotheke. Sie duschte sich und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Erst jetzt, wo die warmen Strahlen der Dusche auf sie herabperlten, wurde ihr ihr bescheuertes Leben klar. Sie hatte ein Ereignis verdrängt, bei dem einer ihrer besten Freunde ums Leben kam. Und zwar so gut, dass sie sich erst wieder durch einen Traum daran erinnerte. Bis jetzt hatte sie nur aus Verzweiflung geweint. Doch nun weinte sie aus Wut. Wut auf diesen Mann, der Mirato erschossen hatte. Ihr wurde bewusst, dass er tot war. Zum zweiten Mal wurde ihr klar, dass sie diesen wunderbaren Menschen namens Mirato nie wieder sehen würde. Und noch einmal musste sie diesen Schmerz erleiden. Der zuständige Inspektor betrat Sakuras Haus, nachdem sie ihn hereingebeten hatte. Sie ahnte schon, dass etwas nicht stimmte. Was würde er ihr sagen wollen? Würde sie es überhaupt wissen wollen? „Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee, Tee?“ „Nein danke, Miss Haruno. Der Grund, wieso ich sie hier in Ihrer Residenz stören muss, ist folgender: Wir wissen nun mit Sicherheit, wieso der Mann auf ihren Freund geschossen hatte.“ „Wirklich?“ Sakura war aufgestanden und ans Fenster getreten. Sie konnte bei so etwas nicht still sitzen. „Wieso?“, hakte sie nach, als Inspektor Wakashi nicht antwortete. Er räusperte sich und fuhr fort: „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass der Schuss nicht ihm galt.“ „Was? Aber wem denn dann?“ Wie blöd ihre Frage klang wurde ihr erst jetzt bewusst. „Etwa…?“ „Miss Haruno, der Schuss galt Ihnen.“ Sakura rutschte ein Stück nach unten. Sie legte ihren Kopf zwischen ihre Hände. Kleine Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln. „Aber wieso?“ „Wir können nur spekulieren. Aber wir vermuten, dass der Mann, der auf sie beide geschossen hat, ein Fan war. Von ihnen. sagt Ihnen der Begriff fanatisch etwas?“ „Ja, natürlich.“ „Dieser Fan war einer von dieser Sorte. Wir haben sein Haus durchsucht. Überall waren Bilder von Ihnen. Er hatte sich die Unterwäsche und Bikinis gekauft, die Sie auf den Werbefotos anhatten. Als er Sie dann sah, als sie einen anderen küssten, da ist er ausgerastet. Wissen Sie, es gibt zwei Sorten von fanatischen Fans. Die einen bringen die Männer an der Seite ihrer Geliebten um. Sie hoffen, dass sich die begehrte Person doch noch für ihn entscheidet. Den anderen ist klar, dass sie der begehrten Person niemals nahe sein können. Sie handeln nach de Prinzip: Wenn ich sie nicht haben kann, dann soll sie keiner haben.“ Sakura rannen immer mehr stumme Tränen an den Wangen herab. Doch der Ermittler sprach ungerührt weiter. „Der Mann, der auf Sie schoss, war einer von der letzten Sorte. Doch er traf nicht, da er kein geübter Schütze war. Er hatte nicht einmal einen Waffenschein. Deswegen ging der Schuss daneben und traf statt dem eigentlichen Ziel den Mann an Ihrer Seite.“ Sie fragte nicht, wie der Mann hieß, denn sie würde es noch früh genug vor Gericht erfahren, wenn sie sich dazu entschloss, eine Aussage zu machen. Der ganze Schmerz der vergangenen, verdrängten Ereignisse kam wieder hoch. Erst jetzt war sie sich sicher, dass sie zu dieser Party gehen wollte. Nie wieder wollte sie Leid empfinden. Was sie wollte war Glück und Fröhlichkeit. Ein unbeschwertes Leben. Und genau das konnten ihr die Drogen liefern. Was sie genau genommen hatte, wusste sie nicht. Aber es war ihr egal. Die Aussicht auf einen weiteren kurzen Moment der Freude war einfach zu verlockend. Das Wasser hörte auf, auf ihre Haut zu prasseln. Aus der Dusche trat eine selbstbewusste, entschlossene junge Frau von neunzehn Jahren, die in wenigen Stunden bei einer der beliebtesten Partys der Drogenszene ging. Sie schritt zum angelaufenen Spiegel. Nachdem Sakura mit der Handfläche eine Spur des Dampfes, der am Spiegel haftete, weggewischt hatte, betrachtete sie sich ausgiebig. Ihre Augen hatten wieder Glanz. Nicht den alten, erwartungsvollen und strahlenden. Dennoch war da der Ansatz von Schimmer zu erkennen – matter und lange nicht so schön wie der alte, trotzdem war es Glanz, der in den grünen Augen vorhanden war. Und den hatte sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Kapitel 7: Ein glückliches Ende? -------------------------------- Stunden hatte Sakura gebraucht, doch nun stand sie perfekt gestylt vor dem Eingang der Bar. Sie atmete tief durch und öffnete die Türe. Ein Schwall von Stimmen und Musik überfiel sie, doch das war nichts Außergewöhnliches. Die meisten Clubs, in denen sie Stammgast war, waren so laut. Sie schritt zielstrebig durch den relativ großen Raum. Sakura hatte Mühe durch das dichte Gedränge zu kommen. Dass so viele Menschen hier waren, hatte sie nicht gedacht. Aber wenn es so viele machten, dann konnte es doch nicht so schlecht sein. Was für eine naive Einstellung, von der sie genau wusste, dass es Blödsinn war, aber was hatte schon Logik? Sie verwarf die zweifelnden Gedanken und stellte sich an die Bar. Ein smarter Barkeeper ging zu ihr. „Oh, ein neues Gesicht. Kira hat mir schon von dir erzählt. Ich bin Jason.“ Er reichte ihr die Hand und lächelte Sakura süßlich an. „Freut mich. Mein Name ist Sakura.“ „Ich weiß, ich kenne dich. Meine kleine Schwester redet dauernd von dir. Du bist ihr großes Vorbild. Kira meinte, ich soll dir was Besonderes verordnen.“ Er deutete auf eine Türe hinter ihm, die zwischen den Regalen mit Flaschen stand. „Komm mit und hab keine Angst. Ich beiße nicht.“ Er zwinkerte ihr spitzbübisch zu und hielt ihr die Türe höflich und zuvorkommen auf. Sakura ging um die Theke herum und betrat den Raum. „Ich bin übrigens aus Amerika, genau wie Kira. Deswegen der komische Name, falls du dich wunderst.“ „Keine Sorge, mein Bruder ist in Amerika. Er hat mir früher sehr oft geschrieben und Leute mit Namen wie Kelly oder Jack erwähnt. Ich bin schon einiges gewöhnt.“ Ihr Lachen war nervös und hohl, seines offen und ehrlich. „Ich sollte dir noch ein paar Regeln erklären, hör gut zu.“ Jason sah sie durchdringend an. „Was wir hier machen bleibt unter uns. Klar? Keiner darf was erfahren, außer er ist hier Stammgast.“ Sakura nickte. „Der Preis für ein Kan, das ist übrigens unsere Einheit, ist fünfhundert Yen. Wenn du Mitglied bist, dann nur mehr dreihunderz Yen.“ „Das ist aber billig. Und wie viel Gramm hat ein Kan?“ Sie tat gekonnt so, als würde sie sich auskennen. Jason durchschaute es sofort, ließ sich aber nichts anmerken. „Ein Kann beinhaltet zwanzig Gramm. Wenn du ’ne Große willst, dann zahlst du siebenhundert oder fünfhundert, das ist dann fünfzig pro Tüte. Würde ich dir aber nicht empfehlen, sind schon einige dran gestorben, die meinten, es auf einmal nehmen zu müssen. Aber hey, wenn die Leute das wollen. Sie meisten sind sowieso suizidgefährdet. Die sind am Abgrund und setzten sich hier den Todesschuss. Aber das ist nicht mein Problem.“ „Und was ist so speziell an dem Zeug von Kira?“ „Ganz einfach, es ist aus besonderer Kultur. Die meisten werden aus so was gemacht.“ Jason deutete auf ein Pflänzchen auf dem Abstelltisch an der Wand. „Aber die Deluxeversion ist von Kanada importiert.“ „Ich dachte Jamaika sei der Ort der Drogen.“ „Weit gefehlt, Schätzchen. Die kanadische Flagge hat nicht umsonst ein solches Blatt auf der Flagge.“ „Das ist doch eine Art Ahornblatt oder so, nicht?“ „Ja schon, aber du kennst die Pflanzen von dort nicht. Die haben ne ganz neue Version gezüchtet. Haut echt rein. Ich gebe dir das erste Kan gratis, wenn du bei uns Mitglied wirst, okay?“ „Deal.“ Sakura reichte ihm die Hand und bekam ein kleines, harmlos aussehendes Kärtchen. Es war einfach weiß mit schwarzer Schrift. Darauf war eine Adresse in Osaka und eine Telefonnummer, die höchst wahrscheinlich nicht existierte. Keine fünf Minuten später trat sie aus dem ziemlich ruhigen Raum und ging auf die Tanzfläche. „Viel Spaß, Kleine!“ rief ihr Jason noch nach, doch ob sie es noch hörte wusste er nicht. Es folgten viele weitere Abende auf diesen Partys. Sakura fand schnell neue Freunde und wenn jemand fragte, was für ein Club das sei, dann nannte sie es schlicht und einfach Tanzbar. Weiter fragte dann auch keiner nach, so gut war sie mit keinem befreundet. Erst war es nur jede Woche, dann wurde es öfters. Nach nur zwei Monaten kam sie jeden Abend hierher. Sie war ausgelassener bei der Arbeit, anfangs. Doch nach wenigen Wochen kamen die ersten Depressionen, wenn sie nicht auf einem Trip war. Sie konnte sich nicht konzentrieren, machte oft Fehler und vergaß die Namen ihrer Auftraggeber. Und schon nachdem sie fünf Wochen hindurch regelmäßig dieses Zeug nahm, brauchte sie eine Auszeit von ihrem Job. Von diesem Tag an ging sie jeden Abend in diese Bar, wechselte bald auf die Nadel um. Jeder kannte sie hier, jeder mochte sie und inzwischen bekam sie Sonderrabatte, manchmal auch ein paar Kan oder Spritzen gratis. Wenn Not am Mann war und Jason auf eine ’Auktion’ musste, sprang sie als Barkeeperin ein, verteilte die Tütchen, Spritzen und drehte Joints selber, um sie den Stammkunden zu verkaufen. Es war ein neues Leben, ein besseres Leben und keiner konnte sie davon abhalten hierher zu gehen. Hier waren ihre wahren Freunde. Leute, die dasselbe durchmachen mussten wie sie. Gestresste Schauspieler, genauso abgerutschte Models wie sie, verzweifelte junge Menschen, die alle dasselbe Schicksal teilten. Ein kaputtes Leben. Dass das alles nicht gesund und auch noch illegal war, das war ihnen allen egal. Wer wusste schon, wann der nächste Verrückte kam und sie im Supermarkt oder in der U-Bahn abknallte? Und bis dieser Tag kam, wollten alle ihr Leben genießen. Die Tage vergingen, wurden zu Wochen und die Wochen wurden zu Monaten und ehe sich Sakura versah waren acht Monate um. Acht glückliche Monate, in denen sie in erst größeren, dann fast keinen Abständen mehr high war. Und sie bereute nichts. Dass ihre Augen nur mehr glänzten, wenn sie wieder zum Schuss ansetzte oder einen neuen Joint drehte, war ihr egal. Sie war abhängig, nicht mehr und nicht weniger. Ihre Haare waren ungepflegt, stumpf und hatten seit Monaten keinen Friseur mehr gesehen. Sie waren fettig, trotz des regelmäßigen Waschens. Sie trug keine dezente Schminke mehr, nur noch auffallendes, grelles Make-up. Doch sie erntete Lob, sei es für ihre gute Arbeit hinter der Bar, sei es für die perfekten Joints, die sie nun drehen konnte, oder auch für ihr Aussehen. Denn trotz ihrer Ungepflegtheit war sie immer noch wunderschön. Man konnte sagen was man wollte, sie war einfach von der Bahn abgekommen. Und trotz ihrer Dauertrips, trotz ihrer fettigen, schlaffen Haare, ihr Gesicht war immer noch so hübsch wie eh und je. Es war ein ganz normaler Tag, eigentlich. Sakura betrat um ein Uhr mittags die Bar und half Jason, der inzwischen einer ihrer besten Freunde war, den Ausschank herzurichten. In den wenigen Momenten in denen beide nicht high waren, führten sie ernste Gespräche, wie normale Menschen. „Sag mal, Sakura, ist es für deine Fans nicht komisch, dass du dich seit knapp sechs Monaten völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hast?“ „Vielleicht. Aber ich habe ein paar Boulevardblättern in einem Interview gesagt, dass ich eine Auszeit brauche. Auf unbestimmte Zeit. Die denken alle, dass ich irgendwo in Malibu Beach herumliege und einen Long Island Ice Tea nach dem anderen trinke.“ Sie seufzte. „Was ist denn los?“ „Ich mache mir Sorgen um meine Zukunft.“ „Das sagst du jeden Tag. Aber am Abend ist die das alles wieder egal.“ „Du hast Recht, ich mache mir zu viele Sorgen. Der nächste Verrückte wartet ja schon hinter den Dosensuppen, nicht?“ „Ja.“ So unbeschwert geredet und gelacht hatte Sakura schon lange nicht mehr. Aber heute war schließlich ihr Geburtstag. „Zwanzig Jahre hab ich nun erst an der Backe“, sagte sie und wischte ein Cocktailglas ab. „Und?“ meinte Jason, der mit der defekten Bierausschankanlage kämpfte. „Und mein Leben ist total im Eimer. Ich nehme Drogen, bin meist high und wenn einmal nicht, dann bin ich entweder depressiv oder alkoholisiert. Das ist nicht normal.“ „Stimmt, aber es ist ein tolles Leben.“ „Na ja, das glaube ich erst wieder wenn ich mir einen Schuss setzte.“ Für sie klang das alles so selbstverständlich, aber in Wahrheit wusste sie, was sie hier tat. Und es war ihr nicht so egal wie sie immer behauptete. Sakura hoffte nur, dass die Zeit, bis die ersten Gäste kamen, um mit ihr den Beginn eines neuen Trips einzuleiten, schnell vergehen würde. Die ersten Gäste kamen gegen acht Uhr. Sogar mit Geschenken. Immerhin hatte Sakura heute einen Runden. „Herzlichen Glückwunsch, Shi!“, gratulierte ihr eine ihrer besten Freundinnen. Shi war in der Zeit ihr neuer Spitzname geworden. Es war die Ableitung von Shihan, was soviel hieß wie Lehrer, Vorbild oder großer Meister. „Danke, Nana! Wie nett.“ Sie legte das Geschenk auf den Tisch und umarmte Nana. Ihr Freund, Umino, war auch dabei. Auch ihn umarmte sie, dann packte sie das Geschenk aus. „Ihr seid so dumm!“, stellte sie gestellt empört fest. Sakura hielt sich das schwarze T-Shirt mit dem Hanfblatt an. Es ging ihr gerade einmal bis zur Hüfte. „Los! Zieh es an!“, forderte Nana sie auf und die Rosahaarige verschwand hinter einer Türe. Nach wenigen Minuten kam sie mit dem Shirt wieder raus. Es stand ihr ausgezeichnet. Die Tatsache, dass es ein Hanfblatt abbildete störte sie nicht. Eine Stunde später war die Party wieder einmal im vollen Gange. Sakura tanzte mit Nana ausgelassen, sie war einmal mehr in ihrem jungen Leben high. Und es war ein tolles Gefühl. Ein Neuankömmling betrat die Bar. Es war ein Mann, nicht älter als sie selbst, schwarzes Haar und dunkle Augen. Sein Blick suchte die Umgebung ab und entdeckte die Person, wegen der er hier war. Ohne zu überlegen ging er im schnellen Schritt auf sie zu. Achtlos rempelte er die tanzenden Leute an, um möglichst schnell den Raum durchqueren zu können. Er stand nun hinter ihr. Entrüstet, dass es keine Lüge war, was ihm seine Freunde erzählt hatten, ergriff er ihren zierlichen Arm und drehte sie grob zu sich um. „Sakura! Was machst du denn hier zum Teufel?!“ Er konnte ihren erbärmlichen Anblick nicht fassen. Die fettigen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, freie Sicht auf das neue T-Shirt. Sie war auch noch stolz darauf, dass sie solches Zeug nahm. Als er in ihr Gesicht blickte, erkannte er zwar die ursprüngliche Schönheit, dennoch entdeckte er auch diesen glasigen Blick aus ihren Augen, die ihn ausdruckslos anstarrten. Sie brauchte einige Zeit, bis die Drogen es zuließen, dass sie den jungen Mann erkannte, dann rief sie freudig: „Sasuke-kun! Ich bin froh dich hier zu sehen!“ „Ich bin aber nicht froh dich hier zu sehen, Sakura! Was machst du hier?!“ Er schüttelte sie und sah sie fassungslos an. „Ob du es glaubst oder nicht“, ihre Stimme klang ernst. „Ich bin glücklich hier. Ich habe hier wahre Freunde gefunden, klar? Sie haben dasselbe durchgemacht wie ich und verstehen mich!“ Ohne dass sie es gemerkt hatte, hatte sie Sasuke nach draußen gezerrt. „Ich bringe dich nach Hause. Wo wohnst du?“ „Ich weiß es nicht mehr.“ „Was soll das heißen?!“ Aufgebracht zwang er sie, in seinen Wagen zu steigen. Obwohl sie sich heftig wehrte, zeigten die Drogen ihre Wirkung und ließen sie schlaff und kraftlos werden. „Sasuke-kun! Ich bin auf einem Trip, klar? Ich weiß gar nichts mehr!“ Ihre Stimme wurde wieder ernst, auch wenn sie noch immer auf dem Beifahrersitz wankte. „Ich bin froh, dass ich deinen Namen noch weiß. Und bis die Wirkung nachlässt, bin ich so. Finde dich damit ab. Du bist nicht mein Vormund.“ „Und wie lange dauert das?“ Sasuke sah ein, dass es keinen Sinn hatte, gegen sie zu reden, er musste verständnisvoll sein, wenn er Informationen wollten. „Ich hab das letzte Zeug vor einer halben Stunde eingeworfen – glaub ich. Es wird also noch eine Stunde dauern. Es war stark.“ „Wieso kannst du dann normal mit mir reden, wenn du komplett high bist, oder wie auch immer man das nennt?“ „Da merkt man, dass du keine Ahnung hast. Die Drogen lösen ein Glücksgefühl aus. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich bin bei vollem Bewusstsein, nicht so wie wenn ich betrunken wäre. Aber das Leben erscheint einem viel besser und lebenswerter. Bis dich ein Verrückter hinter den Suppendosen abknallt.“ „Was?“ „Nichts, schon okay. Wo fahren wir hin?“ „Zu mir. Da du mir nicht sagen kannst, wo du wohnst muss ich eben eine Notlösung finden.“ Die Wohnung war stilvoll, aber dennoch etwas unpersönlich eingerichtet. So genau sah Sakura das nicht, denn Sasuke führte sie gleich in sein Zimmer. Er gab ihr Schlafsachen von ihm und ließ sie mit den Worten „Das Bad ist links am Ende des Flurs“ alleine zurück. Alles war unbewusst an ihr vorbei gezogen. Das Gespräch mit Sasuke, die Autofahrt, selbst die Tatsache, dass Sasuke auf einmal da war. Es wurde ihr erst jetzt alles bewusst, als sie sich im Zimmer umsah. Sie spürte, wie die Wirkung der Drogen langsam nachließ. Sie waren etwa eine dreiviertel Stunde gefahren. Selbst das harte Zeug hielt nicht mehr lange in ihrem Körper an, das machte ihr Sorgen, jetzt wo sie langsam wieder klar im Kopf wurde. Todmüde ließ sich Sakura ins Bett fallen und kuschelte sich in die dicke Decke. Nachdem sie die Augen geschlossen hatte, verschwendete sie keinen Gedanken mehr an ihre jetzige Situation. Keine Minute später war sie eingeschlafen. Das Klappern von Geschirr weckte Sakura wieder und veranlasste sie dazu, die Augen zu öffnen. „Was ist denn los?“, fragte sie mit verlegter, noch schläfriger Stimme. Sasuke stellte ein Tablett mit einer Auswahl an Frühstück aufs Bett neben sie. „Ich wusste nicht was du magst, also habe ich dir einfach all das gemacht was ich kann. Spiegelei, Toast, Obst, Orangensaft, Kaffee, Tee und Wasser. Mehr ist leider bei meinen Kochkünsten nicht drin. Tut mir leid.“ „Sasuke-kun…“ Sie sah ihn verwundert an. „Wieso verwöhnst du mich so? Bist du nicht sauer auf mich?“ „Natürlich bin ich sauer! Aber ich wollte, dass du gestärkt für meine Standpauke bist.“ Schüchtern griff Sakura nach einem Toastbrot und biss ab. „Ähm…möchtest du vielleicht auch etwas?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich hatte schon einen Tee, aber danke.“ Er stand auf und verließ das Zimmer. „Iss in Ruhe, ich komme in einer Stunde wieder.“ Sakura sah beschämt zur Seite. Auch wenn er schon längst aus dem Raum verschwunden war. Nachdem sie noch einmal vom Toast abgebissen hatte, legte sie ihn weg und stand auf. Sie konnte nichts essen, schon seit Wochen aß sie nichts Anständiges mehr. Sie ergriff ihre Sachen und ging ins Bad. Sakura wollte vor Sasuke nicht so aussehen, nicht vor ihm. Die anderen, ihre anderen Freunde, die sahen genauso aus. Bei ihnen war das egal, sie waren wie sie. Aber Sasuke war gepflegt, durchtrainiert und perfekt gekleidet. Und was war sie? Ungepflegt, abgemagert und angezogen wie eine billige Hure. So wollte sie ihm gegenüber nicht auftreten. Sakura betrat das Bad und sah sich um. Seit einer Woche duschte sie sich wieder, wusch sich die Haare anständig und schnitt die kaputten Spitzen notdürftig ab. Im Sommer vor 5 Jahren hatte sie kurze Zeit bei ihrer Cousine in einem Friseurladen gearbeitet. Verzweifelt suchte sie Schminke, fand aber ihren Erwartungen entsprechend nur Männerdeodorant und Rasierwasser. Doch sie sah wieder einigermaßen okay aus. Die Tatsache, dass sie dicke Augenringe vom Schlafentzug der letzten Monate hatte und ihre Haut schlaff und blass war, ignorierte sie. Ja, an alledem waren diese scheiß Drogen Schuld! Aber was konnte sie dafür? Ihr Körper verlangte es, ihre Seele brauchte es. Sie war abhängig, voll und ganz. Sie konnte sich nicht wehren, konnte nichts dagegen tun. Wenn sie auf einem ihrer Trips war, dann konnte sie fröhlich sein, lachen und Spaß haben. War sie nüchtern überkamen sie Depressionen und Weinkrämpfe. „Sakura?“, hörte sie Sasuke rufen. Sie verscheuchte diese blöden Gedanken und trat aus dem Bad. „Ich bin hier.“ Sakura ging auf ihn zu. Sie hatte wieder ihr schwarzes T-shirt mit dem Hanfblatt an. Die weite Schlabberhose ließ zum Glück nicht erahnen, was für streicholzdünne Schenkel sie hatte. Ganz im Gegensatz zu ihren Armen, die von zwei kurzen Ärmeln bedeckt wurden. „Sakura, ich hab dir was Neues zum anziehen besorgt, damit kannst du nicht rumlaufen. Ich hoffe du magst Gucci.“ Er warf ihr eine dunkelbraune Dreiviertelhose, ein schlichtes weißes Spaghettiträgershirt und einen cremefarbenen, dünnen Blazer zu. Schon lange hatte sie keine Markenklamotten mehr angesehen, geschweige denn angehabt. Ohne ein weiters Wort verschwand sie abermals im Bad und kam, mit provisorisch aufgesteckten Haaren und der Kleidung, die ihr Sasuke gegeben hatte, wieder raus. Sasuke lehnte lässig am Türstock zu seinem Schlafzimmer und musterte sie. „Besser. Viel besser. Und jetzt mach dich auf eine Standpauke gefasst, Sakura.“ Er ging ins Schlafzimmer und Sakura folgte ihm. Er wies sie an sich aufs Bett zu setzen und ließ sich neben ihr nieder. „Sasuke-kun, es tut mir leid, ehrlich!“ „Ich weiß es.“ „Aber das alles, das hat mir wenigstens für ein paar Stunden das Gefühl von Freude gegeben und hat mein Leben lebenswert gemacht.“ „Sakura, was ist passiert?“ Sie fing an zu erzählen. Der Anfang allen Übels, die Fastvergewaltigung, das Interview, der Zusammenbruch und die wieder hochgekommenen Erinnerungen dieses Mordes. von der braunen Box und ihrem ersten Mal, als sie die Drogen genommen hatte, das Gefühl der Glückseeligkeit und Hoffnung, dass nun alles besser werden würde. Am Ende ihrer Erzählung hatte sie kleine Tränen in den Augenwinkeln. Sasuke sah sie eindringlich an. Dann hob er langsam seine Hand und wischte ihr eine Träne weg. Bevor sich beide versahen, waren sie in einen innigen, leidenschaftlichen Kuss versunken. Sasuke fuhr mit seiner Hand über ihre Hüften und hob sie auf seinen Schoß. Sie drückte ihn langsam nach hinten während er ihre Weste langsam über ihre schmalen Schultern streifte. Sasuke küsste ihren Hals, beide wollten mehr als das. Nach wenigen Minuten lagen ihre Kleidungsstücke auf dem Boden, die beiden Besitzer innig umschlungen im Bett. Erst jetzt sah er, wie dürr Sakuras Köper war. Er war vorsichtig und behutsam, er hatte Angst, dass er etwas zerbrechen könnte. Alles andere war ihm aber nun egal. Dass er Sakura eigentlich einen Vortrag halten wollte, hatte er vergessen. Es zählte nur das Hier und Jetzt. „Das war die beste Standpauke, die ich bisher hatte“, meinte Sakura und schmiegte sich noch enger an Sasukes muskulösen Körper. „Und die Kleidung hätte ich auch nicht kaufen müssen.“ Sakura musste lächeln. Trotz ihrer schweren Situation konnte sie das noch. Es war einem Wunder gleichzusetzen. „Was ist mit Nagisa?“ „Nagisa? Sie ist vor zwei Jahren mit einem anderen nach Los Angeles abgehauen.“ „War es schlimm für dich?“ „Na ja, wie man es nimmt. Wie lebten nur mehr nebeneinander her, schon seit Monaten, doch keiner hat sich getraut es dem anderen zu sagen. Bis sie den Entschluss gefasst hat, nach Amerika zu gehen und noch einmal als Model anzufangen.“ Es tat gut mit ihm zu reden. Doch es gab etwas, was sie wissen musste. „Sasuke? Wieso wusstest du, dass ich in dieser Bar war?“ „Nagisa hatte ein Verhältnis mit dem Cousin von Jason, diesem Besitzer. Über vier Ecken hat sie es dann erfahren. Sie war genauso schockiert wie ich, als sie es mir am Telefon erzählt hat. Ihr wart doch gute Freundinnen. Hör zu, Sakura. Ich mag dich, aber wir müssen etwas gegen deine Sucht tun. Zusammen.“ Kapitel 8: Alles vergessen -------------------------- „Verdammt, Sasuke, du hast gesagt, du liebst mich!“, schrie Sakura aufgebracht, wobei wütend ihren Gemütszustand eher beschreiben würde. „Du wolltest mir helfen von den Drogen loszukommen!“ „Sakura, gestern war gestern und heute ist ein neuer Tag.“ Sasuke war ganz ruhig, saß auf einem der Küchenstühle und nahm einen Schluck von seinem Tee. Die Sonne kitzelte Sakura in der Nase und ließ sie in den Armen von Sasuke erwachen. Sie hatte mit ihm geschlafen. Fassen konnte sie es erst jetzt, als sie seinen starken Körper unter ihrem Arm spürte. Einschlafen konnte sie nun nicht mehr und der junge Mann an ihrer Seite war noch tief im Land der Träume. Sie beschloss, ihm eine kleine Freude zu bereiteten und suchte die Küche. Kochen konnte sie zwar nicht wirklich gut, bei ihr Zuhause machte das ihre Diätköchin, aber sie versuchte es. Und so schlimm roch es dann auch nicht mehr in der Küche, nachdem sie die verbrannten Omeletts in den Biomistkübel gekippt hatte. Eine halbe Stunde später stand Sasuke hinter ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Er nahm ein paar Teller und Gläser aus dem Schrank und stellte sie auf den kleinen Esstisch, der gerade einmal für zwei Personen reichte. „Sakura, ich muss dir was sagen“, begann er, nachdem er den ersten Schluck Kaffee genommen hatte. Sakura sah von ihrem Teller auf und blickte ihn aus ihren grünen Augen an. „Was ist denn?“ „Du musst hier verschwinden.“ „Was?“ „Heute kommt dieser Typ von Armani um den Vertrag zu verlängern, da kann ich keine drogensüchtige Biafra im Haus haben!“ Sakura fuhr auf: „Verdammt, Sasuke! Du hast gesagt, du liebst mich!“ Enttäuscht und zugleich furchtbar sauer rannte sie aus der Küche und hob ihre wenigen Sachen vom Boden des Schlafzimmers auf. Sie funkelte Sasuke an, er lehnte nur lässig und ruhig am Türrahmen. Rasend vor Wut rauschte Sakura an ihm vorbei, rempelte ihn mit Absicht stark an und knallte die Eingangstüre hinter sich zu. Dass sie noch immer die Sachen anhatte, die Sasuke ihr gegeben hatte wurde ihr erst jetzt bewusst. Sie wollte sie waschen und zurückschicken, sobald sie zu Hause angekommen war. „Hohlen Sie mich bitte ab. Ich stehe vor dem Espritgeschäft in der Nähe der Uchiha Residenz.“ Ohne ein weiteres Wort beendete sie das Telefonat mit ihrem Chauffeur und sah gen Himmel. War das gerade alles wirklich passiert? Als sie in Sasuke Armen aufwachte, wurde ihr erst richtig bewusst, dass es keine Illusion gewesen war. Keine Einbildung, dass Sasuke sie in der Bar aufgegriffen, sie im Vollrausch zu sich nach Hause gebracht und schlussendlich mit ihr eine wundervolle Nacht verbracht hatte. Und das war nun alles vorbei? Was war mit seinen Worten von Liebe und dass sie zusammen gegen Sakuras Sucht kämpfen würden? Das hatte er alles gesagt, weil sie es hören wollte. Er hatte sie auf Wolke Sieben schweben und dann, als er das bekommen hatte was er wollte, hinunterfallen lassen. Nicht einmal den kleinen Finger hatte er ausgestreckt, als sie sich verzweifelt am Rand der Wolke festgeklammert hatte. Nach einer halben Stunde kam endlich ihr schwarzer Porsche. Sie hatte lange darauf sparen müssen, aber als sie endlich den Sprung in die Topmodelliga geschafft hatte, war es kein großer Aufwand mehr. Jetzt hatte sie ihn und war nur einmal damit gefahren. Sie war eine gute Autofahrerin gewesen, war mit Leichtigkeit durch die Praktische gekommen. Ihr Fahrlehrer hatte sie mehrmals gelobt. Sakura drückte dem Mann, der aus ihrem Auto stieg, einen Geldschein in die Hand. „Ist es für Sie okay, wenn Sie sich ein Taxi nach Hause nehmen?“ Er nickte. „Kein Problem, Miss.“ „Und nehmen Sie sich für die nächsten paar Wochen bezahlten Urlaub, Ihre Frau wird sicher froh sein, wenn Sie bei Ihrem Sohn zuhause sind.“ Mit diesen Worten nahm Sakura ihrem Chauffeur die Autoschlüssel ab, die er ihr entgegen hielt und stieg in ihr Auto ein. Sanft fuhr sie mit ihrer Hand über das Lenkrad, dann über die Gangschaltung. Sakura atmete tief durch und steckte den Schlüssel ins Zündloch. „Kupplung, Gang und dann Gas“, erinnerte sie sich, dann startete sie und fuhr los. Autofahren konnte sie noch immer. Und nach dem ersten Kilometer bog sie auf die Autobahn ab und stieg aufs Gas. Sie wollte nur mehr weg, einfach irgendwohin, wo man sie nicht kannte, wo ihr keiner wehtun konnte. Die Tachoanzeige schoss in die Höhe, blieb erst über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit stehen. Die Bäume, die neben der Autobahn standen, verschwommen zu einem sanften Grün. Die Geschwindigkeit beruhigte Sakura, sie atmete tief ein und aus. Endlich konnte sie klare Gedanken fassen. Sie ging vom Gas und bog an der nächsten Ausfahrt auf die Landstraße ab. Der Staub, der ihr Auto nun befiel, hätte sie vor wenigen Monaten noch gestört, aber jetzt genoss sie einfach nur die Freiheit. Frei von Gedanken und Pflichten, frei von Menschen. Das schwarze Auto wurde langsamer, fuhr auf einen kleinen Grünstreifen neben der Straße und blieb stehen. Sakura stieg aus und trat heftig gegen einen Baum. „Verdammt!“, schrie sie laut und langgezogen. Ein paar Vögel flogen von ihren Nestern weg. Sie hämmerte gegen denselben Baum und lehnte sich schließlich erschöpft gegen die morsche Rinde. Anscheinend musste der große Baum in seinem langen Leben schon vielen verzweifelten Models zur Seite stehen. Sakura lachte sarkastisch über diesen albernen Gedanken. Sie setzte sich hin und legte den Kopf zwischen ihre Knie, die sie mit ihren Armen gänzlich umschlang. Ein paar Minuten saß sie so da, einsam und allein. Dann kamen die Gedanken an das Geschehene wieder. Sie richtete sich auf, klopfte den Schmutz von der Designerhose und zupfte ihren Blazer zu Recht. Sakura stieg wieder in ihren Wagen ein und fuhr los. Sie wollte nur noch nach Hause. Eine Stunde später sperrte sie die Türe zu ihrem Haus auf. Das Hausmädchen hatte die Post schon auf den Küchentisch gelegt. Es war mehr als sonst, viele Glückwunschkarten. Abfällig musterte sie die Karten und Briefe. Es war doch alles nur hohle Heuchelei, damit sie in der Öffentlichkeit gut dastanden. Sakura legte ihre Tasche auf den Küchentisch und warf sich in ihr Bett, wo ihr sonst immer die Tränen kamen. Doch heute, wo sie doch endlich die befreienden Tränen weinen wollte, blieben sie aus. Wieso? Hatte sie schon zu viel geweint? Oder war sie einfach stärker geworden? So sehr sie es auch versuchte, es bildete sich nichts, nicht einmal ein winziges Tränchen im Augenwinkel. Die nächsten Wochen lebte sie wie in Trance. Sie ging wieder in die Bar zu Jason und Nana, war wieder auf einem Trip nach dem anderen. Trotzdem blieb dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, wenn sie high war, weg. Es war wieder eine dieser Nächte an denen einer der Stammgäste Geburtstag hatte. Es wurde spät, später als sonst. Um sechs Uhr früh löste sich die Feiergemeinschaft auf. Sakura ging sofort ins Schlafzimmer. Sie zog ihre Kleidung aus und betrachtete sich im Spiegel. Dicke Augenringe hatten sich unter ihren Augen gebildet, sie war nur mehr Haut und Kochen. Mit einer Hand konnte sie fast ihren Oberschenkel umfassen. Ihre Arme waren wie Streichhölzer, nur viel zerbrechlicher. Sie blickte ihr Spiegelbild emotionslos an. „Bald hast du es hinter dir, Sakura“, meinte sie nur. Vor drei Monaten hatte sie mit Sasuke geschlafen. Seit diesem Tag ging es noch rapider bergab als zuvor. Wäre er bloß nicht in ihr Leben getreten! Sie kippte in ihr Bett. Es läutete an der Türe. Sie ging nicht hin, heute nicht. Sie wollte keinen sehen. Niemanden. Doch der Besucher ließ nicht locker. Nach zehn Minuten reichte es Sakura. Sie warf den Polster beiseite und stand genervt auf. Haustürterror hatte ihr gerade noch gefehlt. Es war gerade einmal elf Uhr und schon musste sie sich mit irgendwelchen Irren herumschlagen. „Gehe Sie weg!“, schrie sie durch die schwere Holztüre. Zurück kam ein Hämmern. Und eine vertraute Stimme. „Kura-chan! Mach auf!“ Sie überlegte kurz, es gab nur eine Person, die sie ’Kura’ nannte. Sie lief in die Küche, ergriff hektisch den Schlüssel und sperrte ungeduldig auf. Sie wollte zwar vor wenigen Minuten niemanden sehen, doch mit ihm hatte sie nicht gerechnet. Als sie die Türe endlich auf hatte, sprang sie dem Mann davor in die Arme. „Ich wusste, dass du zurückkommst!“ Auch er umarmte sie und rief freudig: „Ich dachte schon, du würdest mich nicht mehr sehen wollen.“ „Blödsinn! Gut siehst du aus!“ „Du aber nicht. Was ist denn los mit dir?“ „Erst erzählst du mir, wie es in Amerika war. Dann kommt meine Geschichte.“ Kouta sah sich um und pfiff. „Du wohnst echt gut, Schwesterchen.“ „Musste auf hart dafür arbeiten. Also, erzähl. So ein alter Mann wie du hat doch sicherlich viel erlebt.“ „Hey! Vierundzwanzig ist nicht alt! Du hast ja auch schon zwanzig im Brett. Ach ja, alles Gute zum Geburtstag. Ich hab übrigens gestern angerufen, aber du warst nicht da.“ Ihr Bruder erzählte alles. Von seinem ersten Ausbildungsjahr als Chirurg, wie er ein Angebot der besten Klinik in ganz New York bekommen hatte – einfach alles. Die Trennung von seiner Freundin, der Schwester von Mirato, ließ er auch nicht aus. Bei diesem Thema stockte er. Beide sagten nichts. Nach einer Minute ergriff Sakura das Wort. „Kouta-nii, du bist der einzige, der immer zu mir gehalten hat. Ich muss dir was sagen.“ Nun war sie an der Reihe. Sie erzählte alles. Das wunderschöne Anfangsjahr, wie sie das erste Mal mit Sasuke geschlafen hatte, ihr Ausstieg aus der Agentur. Nach fast einer Stunde kam sie zu dem Punkt, an dem sie ich beichten musste, dass sie in die Drogenszene gerutscht war. „Kura-chan, wir müssen etwas dagegen tun! Morgen gehen wir zu einer Suchtberatungsstelle.“ „Nein!“ „Was?“ „Nein! Ich will nicht. Dort sind meine wahren Freunde, diejenigen, die dasselbe durchmachen mussten wie ich. Sie verstehen meine Situation und ich habe das Gefühl, dass ich als Person dort verstanden werde.“ Sie klang wirklich ernst, obwohl sie genau wusste, was sie für Blödsinn redete. „Sakura, es ist illegal und lebensgefährlich! Du kannst daran sterben!“ „Na und? Das ist mit egal. Mein Leben hat schon aufgehört, als ich in diese Agentur reingekommen bin. Damals habe ich es nur nicht gemerkt. Du verstehst das nicht! Ich bin kaputt! Ich bin ein seelisches Wrack! Sieh mich doch nur einmal an! Sie stand auf und hob ihr Shirt ein wenig an. „Ich bin abgemagert, leide unter akutem Schlafmangel und bin nur mehr ein Häufchen Elend!“ „Nein, Sakura. das bist du nicht. Du bist krank. Verstehst du das?! Du bist magersüchtig und drogenabhängig. Du hast nichts, was man nicht mit einer Therapie beheben könnte!“ Sakura sah ihn ausdruckslos an. Plötzlich wurde ihr schwindelig, ihr Bruder konnte sie gerade noch einmal auffangen. „Nur ein Schwächeanfall, keine Sorge, das habe ich öfters.“ „Wir müssen zum Arzt mit dir, Sakura.“ Der Arzt betrachtete Sakura ausführlich und lange. „Als Model muss man natürlich immer dünn sein, aber das ist unverantwortlich Ihrem Kind gegenüber!“ „K-Kind?!“, fragte Sakura empört. „Welches Kind?!“ „Herzlichen Glückwunsch, Miss Haruno. Sie sind schwanger. Aber auf jeden Fall sollten sie zu einer Ernährungsberatungsstelle gehen.“ „Ich bin was?! Das ist nicht möglich!“ „Keine Sorge, Miss Haruno“, beschwichtigte er sie. „Ich stehe unter Schweigepflicht. Sie haben sich ja vom Modelleben eine Auszeit genommen.“ „Ja…klar.“ Wie in Trance starrte sie auf den Boden des Behandlungszimmers. „Ich würde Ihnen dringend empfehlen zu einer Ernährungsberatungsstelle zu gehen, sie sehen gar nicht gut aus. Ich denke, Sie sind magersüchtig. Nun müssen Sie unbedingt an Ihr Kind denken.“ Der Arzt legte seien Hand auf die von Sakura. „Bitte.“ Sakura nickte nur. Sie war geschockt, gleichzeitig aber froh, dass sie der Arzt nicht nach Drogen gefragt hatte. Bevor er noch die Gelegenheit dazu bekommen würde, stand sie auf und ging aus dem Untersuchungszimmer. „Danke, Herr Doktor.“ Kouta wartete draußen. „Was hat er gemeint?“ Ihr Blick war glasig, doch seit Monaten hatten sich wieder winzige Tränen in ihren Augen angesammelt. „Ich bin schwanger.“ „Sakura?“ „Ich bin schwanger. Verdflucht, Kouta! Ich bin schwanger. Im dritten Monat, nehme ich an.“ „Von wem denn?“ Entsetzt starrte Kouta seine Schwester an. Er wusste, dass sie eine Schwangerschaft nicht verkraften würde. „Sasuke Uchiha.“ „Von diesem Mistkerl? Ich mach ihn kalt!“ „Nein! Du sagst ihm nichts. Ich werde dieses Kind bekommen. Für eine Abtreibung ist es sowieso zu spät.“ Kouta ging mit seiner Schwester zu ihrem Wagen. „Ich fahre.“ Sie nickte nur abwesend. Was konnte das Leben bloß noch für sie bereithalten? Sie wollte es nicht wissen. Aber nun musste sie stark sein. Für sich selbst und ihr Baby. Das nahm sie sich auf der Heimfahrt vor. Das Handy läutete. Es war Jason. „Was gibt’s denn?“, fragte sie unschuldig aber ein wenig erschöpft. Sie wusste, wieso er anrief. Seit einer Woche war sie schon nicht mehr in der Bar gewesen. „Hey, Sakura. Wir machen uns schon Sorgen. Wo warst du die ganze Zeit? Sie haben dich doch nicht eingebuchtet, oder?!“ „Dann würde ich nicht abheben, Jay. Ich werde auch in Zukunft nicht mehr kommen.“ „Wieso? Was ist passiert?“ „Ich bin schwanger.“ Jason stutzte und sagte erst nichts. Dann schluckte er. „Herzlichen…Glückwunsch?“ fragte er zaghaft und hoffte, dass er das Richtige gesagt hätte. Sakura bedankte sich trocken und legte auf. Sie wollte dieses Leben nicht mehr. Zumindest nicht, das es jemand mitbekam. Ihr Bruder hatte seinen Rückflug abgesagt und kümmerte sich so gut es ging um sie. Jeden Tag versuchte er sie dazu zu bewegen, dass sie eine Entziehungskur machte, doch sie blockte nur ab. Heimlich zog sie abends fast jeden Tag ein Päckchen. Zumindest hatte sie schon aufgehört zu fixen. Das redete sie sich immer wieder ein. Schnupfen würde sie sich auch noch abgewöhnen, alleine, ohne die Hilfe von irgendeiner Suchtberaterin. Sie versuchte zumindest, daran zu glauben. Das Läuten an der Türe holte sie aus ihrer Traumwelt zurück. „Ich gehe!“, rief sie ihrem Bruder zu, der schon vom Arbeitszimmer hinunterlaufen wollte. Er hatte, wie üblich, recherchiert. Jede freie Minute suchte er nach Beratungsstellen und zeigte sie Sakura, doch zwingen konnte er sie nicht dahin zu gehen. Dennoch ging Kouta runter. Er wollte wissen, wer etwas von Sakura wollte. „Was willst du?“ „Mich entschuldigen.“ Sasuke stand in der Tür und sah sie traurig an. Ob es gespielt war oder nicht, wusste sie nicht, aber schon lange traute sie den Leuten nicht mehr. „Ich war ein Idiot. Darf ich vielleicht erst einmal reinkommen?“ Misstrauisch musterte Sakura ihren Besuch und ließ ihn dann rein. Sie konnte ihn immerhin noch rausschmeißen. Kouta beschloss, sich erst im Hintergrund zu halten. Er setzte sich auf die Stiegen und lauschte dem Gespräch, wer da mit seiner Schwester sprach wusste er ja nicht. Sie hatte ihm nicht erzählt wie Sasuke aussah. „Und wer sagt, dass ich dir verzeihe?“, fragte Sakura schnippisch. „Das verlange ich auch nicht. Ich will nur dass du weißt, dass es mir furchtbar Leid tut. Ich weiß, es war egoistisch und dumm.“ Sakura lehnte sich mit wütendem Blick zurück. „Saudämlich war das von dir. Du hast mir versprochen, dass du mir hilfst. Und nachdem du mit mir geschlafen hast, hast du mich fallen gelassen ohne mit der Wimper zu zucken.“ Kouta wurde hellhörig. War dieser smarte Typ etwa der, der mit seiner Schwester geschlafen hatte und sie dann rausgeschmissen hatte? „Es tut mir Leid, Sakura!“ „Steck dir deine Entschuldigung sonst wo hin, Sasuke!“ Kein Zweifel. Als sein Name gefallen war, wusste Kouta, dass er es war. Seit sie ihm erzählt hatte, was vorgefallen war, hatte er das Bedürfnis, diesem Sasuke den Hals umzudrehen. Ohne zu überlegen stand er auf. Als er das Wohnzimmer betrat, stand Sasuke auf. Er streckte ihm die Hand entgegen. „Hallo, mein Name ist Sasuke-“ Weiter kam er nicht, denn Sakuras Bruder hatte ihn schon am Kragen gepackt und gegen die Wand gedrückt. „Du bist also der Arsch, der meine Schwester geschwängert hat, ja?!“, schrie er. „Schwanger?!“ Sasuke dachte, er habe sich verhört. Sakura war aufgesprungen und legte eine Hand auf Koutas Schulter. „Kouta-nii, lass gut sein! Bitte!“, rief sie, doch er reagierte nicht. „Ich mach dich kalt, du mieser Dreckskerl!“ Er hatte Sasuke losgelassen. „Hey, ich wusste nicht, dass sie schwanger ist!“ Ohne zuzuhören ballte Kouta seine Faust und schlug zu. Sasuke taumelte gegen die Wand, konnte sich aber schnell wieder fangen. „Kouta!“, schrie Sakura. Das nächste was sie mitbekam war die Schwärze vor ihren Augen, dann blieb sie ohnmächtig am Boden liegen. Kouta ließ von Sasuke ab und lief zu seiner Schwester. „Sakura-chan! Sakura-chan!“ Auch Sasuke eilte zu ihr. Er griff nach seinem Handy und wählte die Nummer des Notarztes. Kapitel 9: Einsehen ------------------- Als Sakura die Augen öffnete, sah sie zwei verschwommene Gesichter. Sasuke und Kouta atmeten erleichtert auf. „Endlich bist du wach, wir dachten schon, du schläfst ewig.“ Sasuke lächelte sie leicht an. Sie lächelte zurück. „Was ist mit meinem Baby?“, fragte sie, als sie halbwegs wach war. Kouta legte seine Hand auf ihren Bauch. „Dem geht’s Gott sei Dank gut, aber du hattest großes Glück.“ Eine junge Ärztin betrat das Zimmer. „Würden Sie beide uns für einen Moment alleine lassen? Ich muss etwas mit Miss Haruno besprechen“, sagte sie und drängte die beiden hinaus. Als die Männer das Zimmer verlassen hatten, setzte sich die Ärztin auf den Sessel neben Sakuras Bett. „Geht es denn dem Baby gut?“ „Genau darüber muss ich mit Ihnen reden. Der Sturz hat dem Baby weniger geschadet, als Ihre Lebensweise. Ihre Lage ist sehr ernst.“ Die hübsche Ärztin sah sie durchdringend an. „Wir haben einen Bluttest gemacht. Sie nehmen seit langem Drogen. Wie lange genau?“ Sakura sah nicht weg, sie antwortete nur tonlos: „Sei knapp einem Jahr.“ „Ich kann verstehen, dass sie als Model viel Stress haben, Miss Haruno.“ Sie wurde unterbrochen. „Bitte, nennen Sie mich Sakura. Ich habe dieses Miss Getue so satt.“ „Sakura, natürlich haben Sie viel Stress und dass Sie in eine Magersucht geraten sind ist für uns Ärzte bei einem solchen Beruf nichts Ungewöhnliches, aber Sie müssen aus diesem Lebensstil raus! Ihrem Baby zu Liebe.“ „Sie können mich nicht dazu zwingen.“ „Doch, kann ich. Solange Sie meine Patientin sind habe ich die Verantwortung für Ihr Wohlbefinden. Und in diesem Leben fühlen Sie sich nicht wohl, das merkt man Ihnen an.“ Sie legte ihre Hand auf Sakuras Bauch. „Tun Sie es für Ihr Baby. Sehen Sie es als Wink von Gott, dass es bis jetzt überlebt hat. Trotz dieser schweren Situation. Wenn Sie das Baby verlieren, dann werden Sie in einen noch tieferen Abgrund stürzten, glauben Sie mir.“ Erst jetzt sah Sakura zur Seite. Dauernd sprach man von ihrem Baby, dauernd ging es um das Baby. Und wer scherte sich um sie? Niemand, das konnte sie sich gleich auf die Stirn tätowieren. Unbewusst hatte sie ihre Gedanken ausgesprochen. Die Ärztin sah sie an. „Nun einmal von Frau zu Frau. Jeder denkt, dass einer Schwangeren ihr Baby das Wichtigste ist. Bei einer normalen Frau stimmt das auch, aber Sie sind nicht normal. Sie sind krank, körperlich. Jeder will nur das Beste für Sie, Sakura. Und da dieses Vorurteil einer Schwangeren noch immer in den Köpfen der Menschen verankert ist, versuchte Sie jeder über Ihr Baby zu erreichen. Es geht jedem hier um Sie.“ Sakura blickte die junge Frau wieder an. „Die beiden Herren da draußen scheinen sich nicht sonderlich gut zu verstehen, aber sie haben sich kein einziges Mal gestritten, während sie hier waren. Die beiden waren zu besorgt um Sie. Besonders der junge Herr mit den schwarzen Haaren, ich denke er hieß Uchiha.“ „Sasuke war besorgt? Um mich?“ Die Ärztin lächelte. „Ja, allerdings. Er hat sich schwere Vorwürfe gemacht. Ich denke, er liebt Sie sehr. Ich weiß nicht, was zwischen Ihnen beiden vorgefallen ist, oder wieso Sie sich zerstritten haben, aber er war sehr besorgt. Alle fünf Minuten hat er nach Ihnen gefragt. Und ein Kollege hat ihn auf der Toilette gehört, wie er meinte, er müsse sich noch unbedingt bei Ihnen entschuldigen.“ „Ehrlich?“ Das erste Mal in ihrem Leben war ihr bewusst, dass es Leute gab, die sich ehrlich um sie sorgten. Auch wenn sie sie davor noch kaltblütig abserviert hatten. In diesem Moment war ihr das egal. „Sakura, wollen Sie nun eine Entziehungskur machen?“ Sie nickte. „Ja, ich denke schon.“ „Sakura-chan!“ Eine aufgeregte junge Frau riss die Türe auf. Ino hatte ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und einen baigen Hosenanzug an. Sie sah aus wie eine Businessfrau. Was hatte sie denn in der Zeit seit ihrem letzten Besuch bloß getan? Schnell legte sie ihre schwarze Tasche auf den Tisch zu den vielen Genesungsgeschenken und umarmte Sakura. „Ich bin so froh dich zu sehen, Süße!“ Nach dieser stürmischen Begrüßung betrat Hinata das Zimmer. Auch sie hatte sich verändert. Nun trug sie ihre Haare etwas länger, um ihren immer noch zierlichen Körper schlang sich ein dezentes dunkelblaues Abendkleid. Sie legte ihre Handtasche neben die von Ino und setzte sich auf Sakuras Bett. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht!“, sagte sie und umarmte ihre Freundin. „Was machst ihr denn hier, Mädels?“, fragte Sakura verwundert. „Und wie seht ihr denn aus?“ Ino drehte sich einmal im Kreis und präsentierte ihr neues Outfit. „Als ich gemerkt habe, dass das Modelbusiness nichts für mich ist, habe ich eine Ausbildung zur Designerin gemacht. Ich habe jetzt meine eigene Modelinie! Und Hinata….“ „Ich bin auch ausgestiegen. Ich denke ich hatte nicht genug Biss dazu, um erfolgreich zu sein. Ich bin dazu viel zu schüchtern. Also hab ich angefangen Jura zu studieren. Aber as war auch nichts, und dann wurde mir bewusst, dass ich in der Modewelt bleiben möchte. Und Ino hat mir dann einen Job als ihre Assistentin angeboten. Da konnte ich nicht nein sagen.“ Die beiden Mädchen setzten sich zu Sakura ans Bett. Dass sie aussah wie ein Häufchen Elend sprachen sie nicht an. Von ihren Drogenproblemen wussten sie zwar, wollten es aber Sakuras Version hören. „Aber wieso wusstest ihr, dass ich hier bin?“, wollte sie nun wissen. „Sasuke hat mich angerufen“, meinte Ino. „Ich war gerade beim Stoffeinkauf und Hinata war mit ihrem Freund auf den Weg zu einer Gala. Wir haben uns dann sofort in den nächsten Flieger gesetzt und sind hierher geflogen. Wir haben uns solche Sorgen gemacht!“ Ino hatte kleine Tränen in den Augen. Sie freute sich so, ihre Freundin wohlauf zu sehen. „Wie geht’s dir denn jetzt?“ Statt zu antworten fuhr sich Sakura sanft über ihren Bauch. Unter der Decke sah man es zwar nicht genau, aber ein kleines Babybäuchlein verriet Sakuras Zustand. „Nein, oder?!“, riefen Hinata und Ino freudig. „Das ist ja toll, Sakura-chan!“, fügte Hinata noch hinzu. „Sakura-chan? Willst du uns erzählen, was passiert ist, nachdem wir wieder weg waren?“ Sie nickte. Ein drittes Mal erzählte sie nun ihre bemitleidenswerte Geschichte. „In zwei Tagen werde ich hier entlassen. Dann gehe ich zu einer Suchtberatungsstelle, zwei Mal die Woche. Und ich mache eine Esstherapie, damit ich lerne, wieder normal zu essen. Ich bin so froh, dass wenigstens ihr den richtigen Weg gefunden habt.“ Die Türe ging auf. Sasuke trat ein. „Mädels, könntet ihr mich bitte kurz mit Sakura alleine lassen?“ Die beiden sahen sich an und gingen dann grinsend aus dem Zimmer. Sasuke setzte sich auf den Sessel neben Sakuras Bett. Er sah auf den Boden, dann wanderte sein Blick zu ihrem Bauch. „Darf ich?“, fragte er zaghaft. Sakura legte die Decke beiseite und nickte. Langsam und behutsam legte er seine Hand auf ihre kleine Kugel. „Man kann noch nicht allzu viel fühlen, aber ich glaube, manchmal dreht es sich“, bemerkte Sakura. Sie sah ihn an, in diesem Moment dachte sie, dass Sasuke ein guter Vater sein würde. Sofort schüttelte sie den Kopf. Er würde sicherlich nicht heile Familie mit ihr spielen. „Was ist denn?“ „Ach, nichts.“ „Und wie alt ist es?“ Sasuke sah ihr tief in die Augen, wandte den Blick aber wieder ab. „Inzwischen viertes Monat.“ „Sakura…“ Er nahm den Blickkontakt wieder auf. „Es tut mir alles so Leid. Aber ich war gestresst, enttäuscht vom Leben und habe einfach überreagiert. Ich weiß, dass ich das alles nicht rückgängig machen kann. Aber wenn ich es könnte, dann würde ich es tun.“ „Das kannst du aber nicht“, sagte Sakura wehmütig. „Aber ich kann versuchen dir zu verzeihen.“ Er nahm ihre Hand. „Es ist schrecklich, dass es erst so ein schlimmes Ereignis gebraucht hat, damit ich erkenne, dass du mir das Wichtigste bist in meinem Leben. Ich habe mir solche Vorwürfe gemacht. Ich hatte Angst, dass ich dich nie wieder sehen würde. Nie wieder dein Lachen hören und deine süße Stimme hören würde. Ich wollte, dass du weißt, dass ich damals nicht gelogen habe. Es war mein voller Ernst, dass ich dich liebe. Das musst du mir glauben.“ „Und das meinst du diesmal ernst? Ich weiß nicht, ob ich dir dieses Mal vertrauen kann.“ „Ich weiß, aber ich möchte, dass du glücklich wirst. Ob mit mir oder nicht. Aber wenn du mich immer noch liebst, dann werde ich das alles mit dir durchstehen. Das verspreche ich dir.“ Sakura sah ihn erstaunt an. Es war das Schönst, was jemals jemand zu ihr gesagt hatte, aber große Reden schwingen konnte er schon immer. „Was sagt mir, dass du es diesmal ernst meinst?“ Er nahm ihre Hand und führte sie zu ihrem Herz. „Das hier.“ Sasuke nahm nun auch sanft ihre andere Hand und legte sie auf ihren Bauch. „Und das.“ Liebevoll sah er sie an. „Sakura. Ich liebe dich. Und ich will der Mann an deiner Seite sein.“ Sakura hatte ihn schon immer geliebt, das war ihr nun klar. Denn wenn er sie nun so ansah, dann konnte sie ihm nichts böse sein. Auch wenn er sie vielleicht wieder verletzten würde, das Risiko war es wert. Denn würde er es wirklich ernst meinen, dann hätte sie einen wunderbaren Hauptgewinn. Liebe und Vertrauen. „Dann bleib bei mir bis zum Ende.“ „Nicht bis zum Ende, sondern für immer.“ Zärtlich küsste er sie. „Ich liebe dich, Kura-chan.“ Kouta betrat das Zimmer. „Ich habe diesem Deppen erlaubt, dich so zu nennen.“ Er grinste und hob den Daumen. „So ein Mistkerl wie ich dachte ist er gar nicht, er hat sich echt Sorgen gemacht. Wahrscheinlich hat er auf dem Klo sogar geheult.“ „Na und?! Ich bin eben kein gefühlskalter Eisklotz!“, sagte Sasuke beleidigt und dachte im selben Moment: „Verdammt, er hat mich erwischt!“ „Ja, nicht mehr“, bemerkte Sakura. „Zum Glück.“ Sie küsste ihn erneut und fing sich einen düsteren Blick von ihrem Bruder ein. „Ganz trau ich die immer noch nicht, Mistkäfer.“ „Kannst du bitte aufhören, mich dauernd zu beschimpfen?“, beschweret sich Sasuke. „Nein, dua Kröte.“ Kouta trat näher an ihn heran. Sein Gesicht war keinen Zentimeter mehr von Sasukes entfernt. Er blickte ihn böse an. „Und wenn du Scheiße baust, Mistkäfer, dann versenk ich dich in einer Morastgrube.“ Sakura beschloss, die beiden Männer lieber in Ruhe zu lassen und winkte ihre beide Freundinnen herein. Es dauerte lange bis Sakura von den Drogen loskam. Trotzdem war die Schwangerschaft war ein einziger Vorteil. Sie aß wieder mehr, was auch großteils der hervorragenden Therapie von ihrer Essberaterin und den wachsamen Augen ihrer Freunde zu verdanken war. Vor ein paar Monaten hatte sie noch gedacht, dass alles aus sein würde. Ihr Leben war ein einziger Trümmerhaufen gewesen, doch zusammen mit den helfenden Armen ihrer fürsorglichen Umgebung konnte sie es wieder aufbauen. „Sasuke-kun, fahr doch schneller!“ „Willst du etwa, dass ich den Porsche zu Schrott fahre?“, keifte Sasuke und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Sakura seufzte laut und stellte dann fest: „Schau, da! Eine Schnecke hat uns überholt!“ „Reg dich ab!“ Ino lehnte sich genervt zurück und flüsterte Hinata zu: „Das Kind tut mir jetzt schon Leid.“ „Ruhe auf den billigen Plätzen!“, rief Sakura nach auf die Rückbank. „Ihr könnt gleich aussteigen!“ „Das wagst du nicht! Wir sind mitten auf der Autobahn!“ „Ja, und hier ist eine Geschwindigkeit von 130 Kilometer pro Stunde erlaubt. Sasuke, du fährst gerade einmal 90! Wenn du nicht sofort aufs Gas steigst, dann lass mich fahren!“ „Ich lasse doch keine Hochschwangere fahren!“ „Ich will aber gerne noch in unserem neuen Domizil ankommen, bevor die Wehen einsetzen!“ „Du bist doch gerade einmal im sechsten Monat!“ „Ja und?! Wenn du so weiterfährst dann geht sich das locker aus.“ Sakura hatte beschlossen, ein neues Leben anzufangen. In einer neuen Stadt, weg von dieser verdammten Insel, Hokkaido, wo sie das alles erlebt hatte. Sie hatte ihr Haus verkauft, ihre Sachen gepackt und war mit Sasuke, Hinata und Ino mit dem Schiff nach Honshū gefahren. Am Hafen in der Nähe von Ise hatten sie dann ihr Auto abgeholt und waren seit zwei Stunden auf den Weg nach Osaka, wo Ino ihre Boutique hatte und ein neues Leben für Sakura beginnen würde. Weit weg von Drogen, Pornogeschäften und Magersucht. Denn ihre wahre Berufung, war das Leben als Mutter. Epilog: Die Blume der Wüste --------------------------- Die letzten Vögel zwitscherten, die Bäume verloren langsam ihre Blätter. Der Park in der Nähe von Sakuras kleiner Villa erstrahlte in wunderschönen Herbstfarben. Manchmal fühlte sie sich einsam, so wie früher. Aber dann waren da Ino, Sasuke oder Hinata, die sie trösteten und in den Arm nahmen. Es waren Menschen, die sie wirklich liebten und schätzten. Keine Heuchlerinnen und Schleimer, die nur auf Erfolg und Ruhm aus waren. Sie hatte alles erlebt, alles ertragen und alles gemeistert. Auch wenn es Schwierigkeiten gab, das leidvolle Leben war, jetzt im Nachhinein betrachtet, nicht so schlecht gewesen, denn anders hätte sie nie die einfachen Sachen des Lebens schätzen gelernt. Sie freute sich, wenn eine Blume blühte oder die Sonne schien. Hinata hatte einmal im Spaß Wüstenblume zu ihr gesagt. „Die Wüstenblume kann nur in der Wüste gedeihen, wo widrigste Bedingungen herrschen. Doch trotz dieses anstrengenden Daseins ist sie die schönste Blume der Welt, denn sie blüht nicht einfach, sie hat eine Geschichte.“ Sakura hatte damals nur gelacht und genickt. Aber im ernsteren Nachdenken fand sie Gemeinsamkeiten, so verrückt es auch klingen mochte, zwischen ihr und dieser Blume. „Im Herbst kannst du mit Weiß nichts falsch machen“, war Inos Leitsatz für diese Jahreszeit. Es war wie eine Entschuldigung Gottes. Sakura hatte mit Ino und Hinata als gleichwertige Partnerin ihr gemeinsames Modelabel Yukata zu einem internationalen Erfolg gemacht, ihre Ehe mit Sasuke lief nach den paar Startschwierigkeiten nur mehr perfekt und ihre Tochter, Yuka – es war reiner Zufall dass sie so wie die kurze Form des Labels hieß – war zuckersüß. Nach Inos Leitsatz zog sich Sakura weiße Lederstiefel und einen weißen, dünnen Mantel an. Sie musste lächeln, als sie sich selbst so betrachtete. Für Mode war sie immer noch zu haben. Ihre Haare und Augen hatten wieder ihren ursprünglichen Glanz zurück. Sie streifte sich eine, wie sollte es auch anders sein, weiße Baskenmütze über die Haare und sperrte die Türe auf. „Ich geh mit dem Hund spazieren!“ Die vierjährige Yuka lief auf sie zu. „Ich gehe mit!“, rief sie begeistert mit ihrer bezaubernden Stimme. Sakura nahm sie an die Hand, die andere griff nach der Leine für den Collie. „Ich auch!“, rief nun auch Sasuke, nahm ihr die Leine wieder ab und hakte sich bei seiner Frau ein. Im Park war einiges los. Viele Studenten lernten schon jetzt für die Zwischenprüfungen, Liebespaare gingen Hand in Hand durch die braun-gelb-rote Baumalle. „Mami, wenn ich groß bin, dann werde ich ein berühmtes Model!“, quiekte Yuka und sah ihre Mutter aus den grünen Augen an. „Schätzchen, willst du nicht lieber Ärztin werden?“ „Nein!“ „Was ist mit Anwältin?“ „Nö!“ „Tierpflegerin?“ Yuka schüttelte den Kopf. „Friseurin?!“ „Nie im Leben!“ „Verkäuferin?“, fragte Sakura mit teils gespielter, teils echter Verzweiflung. „Vergiss es!“ „Lehrerin?“ „Auf keinen Fall!“ „Architektin?!“ „Nicht in diesem Leben!“ „Papageizüchterin?“ „Mama!“ „Tut mir Leid. Was ist mit-“ „Mum!“ „Oder vielleicht-“ „Mum!!“ Die Wüstenblume muss erst Schwierigkeiten meistern, um gedeihen zu können. Dafür erblüht sie danach in voller Schönheit. 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