Die Nische in der Bibliothek von Roter_Panda (Snape x Lily (kurz: Snily)) ================================================================================ Kapitel 10: Der Held der Stunde ------------------------------- Severus betrachtete die Knöchel seiner rechten Hand. Sie schmerzten noch leicht vom Schlag auf Angus McMillens Gesicht. An drei Stellen, wo die Haut am dünnsten ist, waren Blutgefäße aufgeplatzt. Severus öffnete die Hand und ballte sie wieder zu einer Faust, sodass sich die verletzte Haut brennend auseinanderzog. Der junge Slytherin verzog dabei keine Miene – es war ein beinahe wohltuender Schmerz. Denn er war mit dem Gedanken verbunden, dass McMillen einen stärkeren Schmerz als er verspürte. Er atmete tief ein und aus und schaute auf die große Tür, die ihm gegenüber lag. Dahinter verbarg sich der Krankensaal von Madam Pomfrey, die sich gerade mit Lily unterhielt. Severus wollte dabei nicht stören und hatte den Raum verlassen, nachdem er Lily in die Obhut der erfahrenen Krankenschwester gegeben hatte. Nach dem sprichwörtlichen Zusammentreffen zwischen Severus und McMillen waren er und Lily noch eine Weile nach dem Vorfall im Innenhof verblieben, bis sich Lily einigermaßen beruhigt hatte. Severus‘ Wut, die er zuvor McMillen gegenüber verspürt hatte, hatte zu diesem Zeitpunkt dem Gefühl der Hilflosigkeit und Überforderung Platz gemacht. Lily war völlig aufgelöst gewesen und er war sich seiner Machtlosigkeit bewusst geworden. Wie er nun einige Zeit zum Reflektieren hatte, schwand auch dieses Gefühl zugunsten der Empfindung ‚Verwirrung‘. Er wusste nicht mehr, was er fühlte oder gar fühlen sollte. Er konnte nicht mehr abwägen, welches Verhalten nun angebracht wäre. Und am meisten beschäftigte ihn sein eigenes Handeln wenige Minuten zuvor. Nicht nur, dass er jemand anderes geschlagen hatte – er hatte Körpernähe zugelassen und sogar selbst herbeigeführt, die ihm schon lange nicht mehr in der Form zuteil geworden war. Nachdenklich schaute er auf die Tür des Krankensaales. Sollte er vielleicht Lilys Freundin Emilie holen? Aber… wie sah sie gleich nochmal aus? Er kannte sie natürlich, aber sonderlich in Erinnerung war sie ihm nicht geblieben. Hatte sie nicht dunkelbraune Haare? Grübelnd schaute er an die Decke und versuchte, sich zu erinnern. In dem Moment, als ihm langsam das Gesicht der Freundin wieder einzufallen schien, öffneten sich die Tore zu Madam Pomfreys Reich. Die Krankenschwester im mittleren Alter kam auf Severus zu und sprach in leisem Ton zu ihm. „Es geht der jungen Miss Evans soweit wieder gut. Sie litt unter einem kleinen Schock – ganz normal und verständlich nach einem solchen Vorfall. Bei einem solchen Rüpel können einem die Emotionen schon einmal durcheinander geraten. Gut, dass Sie an Ort und Stelle waren, Mr Snape. Ich denke, ich werde jetzt in eine spontane Pause gehen. Mr McMillen wird wohl oder übel auf eine Behandlung warten müssen, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Sie warf ihm ein verschmitztes Zwinkern zu. Dann fiel ihr Blick auf seine noch zur Faust geballte Hand. „Soll ich nicht doch mal danach schauen?“ Severus schüttelte den Kopf und schaute sie direkt an. „Danke, Madam Pomfrey. Mir geht es gut. Ich brauche nichts, das ist halb so--- Lily!“ Sein Blick glitt an der Krankenschwester vorbei. In diesem Moment folgte Lily Madam Pomfrey aus dem Krankensaal und ging mit einem leicht verlegenen Lächeln auf Severus zu. Ihren Umhang, den sie draußen im Hof noch getragen hatte, trug sie nun über den Arm geworfen. Mit der anderen Hand strich sie sich unbehaglich über den Oberarm. Sie wendete sich an Madam Pomfrey: „Vielen Dank für das Gespräch mit Ihnen. Ich denke, ich darf gehen?“ Madam Pomfrey nickte bestätigend und kehrte zurück in den Saal, woraufhin sich die Türflügel hinter ihr schlossen. Lily und Severus standen sich gegenüber und wussten beide nicht so recht, was sie sagen sollten. Vereinzelt versuchten beide, einen Satz anzufangen, ließen es dann aber doch. Schließlich trafen sich ihre Blicke, welche ihre Sprachlosigkeit zum Ausdruck brachten. Es schien fast, als würden sie die Luft anhalten. Mit einem Mal fing Lily an, zu lachen und ließ ihre Anspannung fallen. Severus konnte diesen Gefühlsausbruch nicht ganz nachvollziehen und wartete ab, bis sich Lily erklärte. Diese wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. „Entschuldige, es ist nur… ich kann nicht anders. Hast du McMillens Gesichtsausdruck gesehen? Direkt nachdem du ihn geschlagen hattest? So fassungslos habe ich ihn noch nie gesehen.“ Sie lachte nochmals kurz auf. „Ich meine, dieser Gesichtsausdruck war doch irgendwie Gold wert, oder?“ Abwartend und einen weiteren Lacher unterdrückend schaute sie Severus an. Dieser sah die kleinen Lachfalten an ihren Augen und das schiefe Grinsen, das seit einer Woche ständig ihm galt (was ihm immer noch ein Rätsel war) – und musste ebenfalls lachen. „Ja, irgendwie… Du hast Recht. Das war wirklich Gold wert!“, konnte er zwischen dem Lachen noch hervorbringen. Es war fast schon paradox und irgendwie nicht er selbst. Hier stand er und lachte ausgelassen mit Lily Evans – einem Mädchen, das ihm vorher höchstens durch ihre schulischen Leistungen in Zaubertränke aufgefallen war. Er schien gar nicht mehr er selbst zu sein. Oder… war er davor nicht er selbst und jetzt begann er, endlich sein wahres Ich zu entdecken? – ‚Was für ein verrückter Gedanke‘, schoss es ihm durch den Kopf. Lily bekam ihren Lachanfall unter Kontrolle und versuchte mit einer Hand auf der Brust, nach Atem zu schöpfen. Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder ernster, aber man merkte, dass ihr das Lachen gut getan hatte. „Severus, ich möchte dir noch danken.“ Sie kam einen Schritt näher und legte eine Hand auf seinen Oberarm. „Danke, dass du für mich da gewesen---“, sie korrigierte sich, „dass du für mich da bist.“ Ihr Blick fiel auf seine Hand, die vom Schlag verletzt war. Zögernd griff sie danach und ließ den Blick darauf gesenkt. „Dass du für mich mutig gewesen bist.“ Severus war dies alles unangenehm – es war eine ganz automatische Reaktion. Er hatte nichts Besonderes getan. Er wollte diesen Dank nicht. „Ich bin nicht mutig. Das bin ich nicht“, widersprach er und entzog ihr seine Hand. Konnten sie nicht lieber wieder über ihr Zaubertrankprojekt sprechen? Bei solchen Gesprächsthemen fühlte er sich deutlich wohler. Sein Einspruch klang forscher, als er es beabsichtigt hatte. Lily lächelte und legte den Kopf schief. „Vor einer Stunde bist du aber mutig gewesen.“ An Severus‘ zu Boden gerichteten Blick merkte sie, dass er nicht darüber reden wollte. Sie hatte ihren Dank ausgedrückt und wusste sehr genau, dass in Severus mehr steckte, als alle und womöglich er selbst ahnten. Irgendwann würde er das auch erkennen. Aber nun war es wohl das Beste, das Thema zu wechseln, entschied sie. Verschwörerisch senkte sie ihre Stimme: „Gehen wir also heute Nacht ins Gewächshaus?“ Severus schien aus seiner Starre zu erwachen. Kurz räusperte er sich. „Der Plan bleibt bestehen. Wir treffen uns am besten nach dem Abendessen beim Schuppen mit den schuleigenen Besen. Dort können wir uns verstecken, bevor die Ausgangssperre beginnt und Filch auf Patrouille geht. Bring die Liste und eine Tasche mit!“ Er ließ sich den Plan mit einem Nicken seitens Lilys bestätigen. Er überlegte, zögerte und setzte dann doch an: „Ähm, Lily, wie geht---“ „LILY!!“, schrie Emilie ganz aufgebracht, unterbrach damit Severus und rannte ganz aus der Puste den Gang hinunter auf die beiden zu. „Oh, meine arme Lily! Susan hat mir gerade erzählt, was passiert ist. Ich hab alles stehen und liegen lassen. Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung?“ Besorgt nahm sie Lily in den Arm, um sie kurz darauf eine Armlänge auf Abstand zu schieben, damit sie sie von oben bis unten auf Verletzungen oder sonstige Anzeichen auf ihr widerfahrenes Unheil hin untersuchen konnte. „Dieser Angus kann was erleben, wenn er mir über den Weg läuft! So eine hinterlistige, dreckige, verabscheuungswürdige, wertlose Ratte!“ Emilie hörte in ihrem Redeschwall gar nicht mehr auf. Lily versuchte, sie beschwichtigend zu unterbrechen. „Emilie, es ist alles in Ordnung. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich hatte Hilfe.“ Sie warf Severus einen Blick zu, den er nicht so recht deuten konnte. „Severus hat McMillen eine verpasst.“ Wieder huschte ihr bei dem Gedanken ein Grinsen übers Gesicht. „Er hat WAS?!“, rief Emilie fassungslos und blickte nun auch zu Severus. „Mann oh Mann, alter Schwede! Das hätte ich dir gar nicht zugetraut, Snape!“ Mit offenem Mund und ungläubigen Blick bedachte sie Severus, bis ihr ihre guten Manieren wieder einfielen. Sie räusperte sich, löste sich von Lily, die sie immer noch an den Schultern gepackt hatte, und drehte sich zu Severus. Dieser fühlte sich wegen der plötzlichen Aufmerksamkeit erneut recht unwohl in seiner Haut und wünschte sich, er könnte jetzt schon alleine apparieren… und dass Apparieren in Hogwarts möglich wäre… Emilie schien in diesem Moment alle Vorurteile über Bord zu werfen – Lily hörte fast regelrecht das platschende Geräusch im Wasser. Ihre Freundin streckte die Hand aus. „Danke, Snape. Das hat der Dreckskerl verdient. Du bist…“, sie überlegte, „ein feiner Kerl. Ja, doch, ein feiner Kerl. Da hat Lily Recht.“ Sowohl Lily als auch Severus schauten sie mit perplexem Blick an. ‚Ein feiner Kerl‘?! Lily überlegte, wann sie das je so in der Form zu Emilie gesagt haben soll. Sie musste schmunzeln. Aber ja, es stimmte. Severus hingegen wusste gar nicht, wie man auf eine solch direkte Bemerkung reagierte. Er reichte Emilie zögernd die Hand und nickte lediglich. Das sollte fürs erste genügen, beschloss er. Emilie schien damit ebenfalls zufrieden zu sein. Sie legte beschützend einen Arm um Lilys Schultern und wandte sich bereits zum Gehen. „Wenn du erlaubst, ich werde Lily jetzt entführen und etwas ablenken. Ihr beiden seht euch heute Abend ja wahrscheinlich eh wieder in der Bibliothek. Dann bin ich jetzt mal dran.“ Sie zwinkerte Severus zu, was ihn vollends aus der Bahn warf. „Äh, ja. Genau. In der Bibliothek. Dann also… bis später, Evans.“ Etwas verdattert blickte er den beiden Mädchen hinterher. Lily warf kurz mit einem entschuldigenden Achselzucken einen Blick zurück und verschwand dann um die Ecke. Severus blieb noch einige Momente dort stehen und grübelte über das eben passierte nach. Gedankenverloren betrachtete er seine Hand, deren leichte Schmerzen er erst jetzt wieder bemerkte. Langsamen Schrittes begann er den Weg zurück in seinen Gemeinschaftsraum, ohne den Blick von der Hand zu lösen. Es war eigenartig… aber er meinte noch immer die Berührung durch Lilys Finger spüren zu können. Sie hatten sich warm und weich angefühlt. Wie die Umarmung, als sie wenige Augenblicke zuvor im Innenhof gestanden hatten. Severus hielt inne und ihm kam ein verrückter Gedanke in den Sinn, dem er allerdings zustimmen musste. Er musste zugeben, es war ein angenehmes Gefühl gewesen. Und das verwirrte ihn umso mehr. Denn er spürte, dass er diese Wärme gerne wieder fühlen würde… ~~*~~ James schlenderte grübelnd durch die Gänge, die zum Portrait der Fetten Dame und somit zu den Gryffindor-Gemeinschaftsräumen führten. Er war auf dem Rückweg vom Nachmittagsunterricht in den wohlverdienten Feierabend. Seine Gedanken waren bei seiner süßen, wunderbaren Lily. Wenige Stunden zuvor hatte er sie beim Spaziergang im Innenhof beobachtet. Ihre anmutige Gestalt und ihre wunderschönen roten Haare hatten im reinen Weiß des Schnees geradezu bezaubernd ausgesehen. James hielt inne und schaute andächtig an die Decke. Dieser Gedanke war geradezu poetisch gewesen – ein lyrisches Meisterwerk. Schnell zog er ein Stück Pergament aus seiner Tasche hervor und notierte sich den lyrischen Erguss. Dieser würde sich vorzüglich für einen Brief an Lily eignen. Siegesgewiss grinsend packte er Pergament und Bleistift wieder ein. Seine Gedanken kehrten wieder zu Lily im Schnee zurück. Er wäre gerne zu ihr gegangen, um mit ihr ein unverfängliches Gespräch anzufangen und so nach und nach ihre Liebe zu gewinnen. Allerdings war ihm dann am anderen Ende des Innenhofes Snape aufgefallen. Die Versuchung war einfach zu groß gewesen und er hatte sich auf den Weg gemacht, um der Hakennase ein wenig das Leben schwer zu machen. Snape hatte allerdings den nahenden James bemerkt und war in einen Gang geflüchtet. James war sich sicher gewesen, dass er den Slytherin dort würde stellen können, doch als er in den Gang bog war Snape verschwunden gewesen. Er hatte ihn noch eine Weile in den umliegenden Gängen gesucht – ohne Erfolg. Als er in den Innenhof zurückkehrte, war Lily bereits nicht mehr da gewesen. James seufzte bei diesem Gedanken. Das war wirklich ein frustrierender Mittag gewesen. Nicht nur, dass er selbst die Chance verpasst hatte, mit Lily in romantischer Atmosphäre zu sprechen, er hatte darüber hinaus auch noch Snape verloren. Schlimmer konnte der Tag nicht werden. Sein einziger Lichtblick war der Abend – sicher würden die beiden sich wieder zum Lernen treffen. Er schlug mit der rechten Faust in seine linke Handfläche – das war DIE Idee! Er würde Lily einfach folgen und so ihren geheimen Treffpunkt erfahren. Warum war ihm das nicht früher eingefallen?! Mit sich und seiner Genialität selbst zufrieden setzte er den Weg in den Gemeinschaftsraum fort. Als er am Portrait der Fetten Dame ankam, unterhielt sich diese gerade aufgeregt mit einem älteren Zauberer im Nachbargemälde: „… das war eine reine Heldentat wie sie im Bilderbuch steht, wenn Sie mich fragen. William von Godswill vom Gemälde kurz vorm Kerkereingang hat mir berichtet, dass er in dem jungen Mann schon immer viel Potential gesehen habe. Mumpitz, wenn sie mich fragen. William möchte sich jetzt nur profilieren als wahrer Menschenkenner…“. James räusperte sich und sagte das diesjährige Passwort: „Rosa Einhornhuf“, aber die Fette Dame beachtete ihn nicht. „… er hat ihm einfach so ins Gesicht geschlagen“, berichtete die Fette Dame dem älteren Zauberer, ohne eine Notiz von James zu nehmen. Eine jüngere Hexe im Gemälde über der Fetten Dame mischte sich in das Gespräch mit ein: „Also ich habe sogar gehört, dass er ihn mit einem Zauberspruch gegen den nächsten Baum geschleudert hätte.“ Die Fette Dame reagierte auf die unhöfliche Einmischung und die in ihren Augen erfundene und haarsträubende Einzelheit unwirsch. „Ach, was wissen Sie denn schon, Agathe!“, bellte sie nach oben und warf einen vielsagenden Blick zum Zauberer, mit dem sie sich gerade unterhalten hatte. „Agathe neigt immer so sehr zu Übertreibungen…“, flüsterte sie ihm zu und deutete eine Drehbewegung ihres Zeigefingers an ihrer Stirn an. James räusperte sich nochmals lauter und sagte erneut das Passwort. Fast in Zeitlupe drehte die Fette Dame ihren Kopf zu James. Die Unhöflichkeiten in den letzten Minuten begannen ein Ausmaß anzunehmen, welches die höchste Toleranzgrenze der Fetten Dame zu erreichen drohte. „Was willst du?“, presste sie hervor. „Ich möchte in den Gemeinschaftsraum“, knirschte James zurück, der ebenfalls kurz vorm Verlust seiner Geduld stand. Die Fette Dame schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Passwort?!“ James schnaufte. „Das hab ich doch schon zwei Mal gesagt!“ In Gedanken fügte er hinzu: ‚Du alte Schnepfe!‘ – aber er wusste, dass er das nicht sagen durfte, wenn er dieses Schuljahr nochmal in den Gemeinschaftsraum und zu den Schlafsälen gelangen wollte. Die Fette Dame richtete sich auf und schaute mit erhobenem Haupt auf James hinab. Sie genoss ihre Machtstellung gegenüber den Schülern und setzte diese zu gerne ein. „Passwort?!“, wiederholte sie, innerlich kichernd. James seufzte und murmelte: „Rosa Einhornhuf.“ Augenblicklich schwang das Portrait zur Seite und öffnete somit den Weg in den Gemeinschaftsraum. Als James in den Durchgang trat hörte er noch, wie die Fette Dame zum Zauberer sagte: „Potter wird zum Beispiel nie so vorbildlich sein wie der junge Severus Snape…“ Kurz hielt James inne. Hatte er das gerade richtig gehört?! Redeten die über Snape?! Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Sicherlich hatte er sich nur verhört. Im Gemeinschaftsraum war allerdings auch ein aufgeregtes Treiben unter den Schülern, ähnlich dem zwischen der Fetten Dame und den Gemälden darum herum. Viele hatten die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten miteinander. In einer Ecke des Raumes schien ein Junge seinen Freunden eine Geschichte zu erzählen. Er demonstrierte eine der Szenen an seinem Kumpel, indem er so tat, als würde er ihm ins Gesicht schlagen. Kopfschüttelnd wendete sich James davon ab. Er fand Sibylle, die in seinem Quidditch-Team war, lesend in einem der Ohrensessel. „Hey Sibylle!“, er setzte sich auf eine der Armlehnen und beugte sich zur ihr runter. „Weißt du, was hier gerade abgeht?“ Sibylle klemmte einen ihrer Finger zwischen die Seiten und klappte das Buch zu. „Hast du das nicht mitbekommen?! Das ist Gesprächsthema Nummer Eins seit zwei Stunden. Und zumindest bei uns in Gryffindor ging es um wie ein Lauffeuer.“ Nachdem James unwissend den Kopf geschüttelt hatte, fuhr sie fast verschwörerisch erzählend fort. „Angus McMillen aus Ravenclaw hat Lily Evans heute Mittag im Innenhof bedrängt und“, sie senkte die Stimme, „sexuell belästigt. Heftig, oder? Ich hätte nie gedacht, dass so etwas mal in Hogwarts passieren würde…“ James sackte das Herz in die Hose. Er hatte sie doch mittags im Innenhof gesehen! Warum war ihm das nicht aufgefallen?! Er hätte ihr doch helfen können! Langsam dämmerte es ihm: Er hatte lieber Snape gejagt, anstatt Lily zur Seite zu stehen. Mit schmerzverzogenem Blick lehnte sich James leicht zurück. Er hätte ihr Retter sein können, aber er war lieber dummen Jungenstreichen nachgegangen… Sibylle sprach weiter: „Aber das ist noch nicht alles! Du ahnst niemals, wer ihr geholfen hat!“ James bekam allerdings so langsam eine üble Vorahnung. Hatten sich die Gespräche der Fetten Dame etwa auf diesen Vorfall bezogen…?! „Lily hat Angus in die Hand gebissen. Und dann hat Severus Snape – du weißt schon, der aus Slytherin – er kam gerade dazu und hat Angus mit Wucht ins Gesicht geschlagen. Bam! Amanda hat erzählt, dass überall Blut gewesen sei. Sie hat es mit eigenen Augen gesehen. Ist das nicht irre?! McGonagall hat Angus dann zu Dumbledore gebracht. Der kann aber was erleben…“ James hörte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zu. Wie in Trance stand er auf und begab sich zu seinem Lieblingsplatz am Fenster. Snape hatte Lily gerettet. Und er selbst hatte versagt. Er blickte in den Raum und sah, wie alle aufgeregt weiter über den Vorfall zu tuscheln schienen. Und nun war Snape der Held der Stunde. James hätte dieser Held sein sollen. James und nicht der dreckige Snape! Der Held in den Augen aller und vor allem für Lily. Vor Ärger stöhnend schlug sich James gegen die Stirn und raufte darauf seine Haare. Das wäre eine einmalige Chance gewesen und er hatte sie versäumt. Da fiel ihm ein… Er hielt in der haarraufenden Bewegung inne und suchte aufgeregt mit den Augen den Gemeinschaftsraum ab. Wo war eigentlich Lily?! Wie ging es ihr? Sie musste doch am Boden zerstört sein. Vielleicht konnte er ihr tröstend zur Seite stehen? Doch im Gemeinschaftsraum war sie nirgends zu sehen. Schnell eilte er wieder zur lesenden Sibylle zurück. „Sibylle, wo ist Lily?!“ Diese schaute von der erneuten Störung leicht genervt auf. „Emilie ist mit ihr unterwegs und lenkt sie etwas ab, soweit ich weiß. Ich schätze dass sie vorm Abendessen nicht wieder hier her kommen. Fängt ja auch gleich an...“ Seufzend ließ James die Schultern hängen. Und nun? Was sollte er tun? Sein Blick glitt wieder durch den Gemeinschaftsraum. Er konnte die Rumtreiber nirgends entdecken. „Sibylle, wo sind Sirius, Remus und Peter?“ Sibylle stieß James genervt von der Armlehne runter. „Mensch, James, bin ich die Auskunft oder was?! Ich führe kein Verzeichnis über die An- und Abwesenheit aller Gryffindors. Geh und such sie gefälligst selbst.“ Demonstrativ hob sie ihr Buch auf Augenhöhe, um James damit deutlich zu machen, dass sie für weitere blöde Fragen nicht verfügbar sei – wenn er schon nicht den neusten Tratsch mit ihr bereden wollte. Denn als sie diesen erzählen wollte, hatte er sie ja eiskalt ohne ein Wort sitzen lassen. James ging mürrisch in Richtung des Durchgangs. Warum waren denn heute alle so pampig zu ihm?! Und was war bitte eine „Auskunft“?! Das musste wieder irgend so eine Muggelerfindung sein. Er schüttelte den Kopf und schob den Gedanken beiseite. Jetzt musste er erstmal seine Rumtreiber finden, damit sie ihm gefälligst halfen. Irgendwo mussten die Nichtsnutze ja sein. ~~*~~ Sirius lehnte sich auf der Steinbank zurück und legte den linken Arm auf die Rückenlehne – direkt hinter Olivia, die neben ihm saß. Es dämmerte bereits leicht, sodass der Innenhof und der darin liegende Schnee in ein angenehmes oranges Licht geworfen wurden. Mit einem Schlenker seines Zauberstabes ließ er einen Schneeball auf einen etwas entfernt vorbei laufenden Zweitklässler aus Ravenclaw fliegen, sodass dieser am Hinterkopf getroffen wurde. Olivia kicherte. Auch sie vollzog mit ihrem Zauberstab eine Bewegung, sodass sich der Schnee um den rechten Fuß des Schülers herum nach oben aufbaute, fest wurde und somit das Bein gefangen hielt. Fluchend versuchte der Schüler, sich zu befreien, scheiterte aber an dem Versuch. Zum Glück des Jungen kam gerade Professor Flitwick vorbei und half dem Jungen aus seiner Misere. Sirius lachte. „Herrlich, Olivia! Mit dir kann man seinen Spaß haben!“ Olivia grinste daraufhin. „Mit dir aber auch, mein lieber Sirius“, sagte sie und drehte sich etwas mehr zu ihm um. „Ach ja, kann man das?“, fragte Sirius. Seine Hand, die zuvor lässig auf der Banklehne gelegen hatte, spielte nun mit einer Strähne ihres Haares. Olivia lachte kurz auf. „Natürlich! Ich finde selten jemanden, der verbal mit mir Schritt halten kann. Dass du dann auch noch ein Meister der Streiche bist – wie ich – versüßt die Zeit mit dir umso mehr.“ „Ich kann aber auch noch mehr als nur Streiche spielen.“ Sirius schwang den Zauberstab und murmelte ein paar Worte, woraufhin etwas des umliegenden Schnees aufgewirbelt wurde und wie frisch fallender Schnee auf sie hernieder fiel. In den Schneeflocken reflektierte leicht das Licht des beginnenden Sonnenuntergangs. Sirius grinste, denn er wusste, welchen romantischen Wert eine solche Atmosphäre hatte – es war ein perfekter Moment. Er musste zugeben, dass selbst ihn die Atmosphäre bewegte und sein Herz schneller klopfen ließ. Er hörte auf, mit Olivias Strähne zu spielen und strich stattdessen über ihre Wange. Langsam kam er ihr näher. Olivia ließ das nur zu gern geschehen und ein wissendes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Schnelle Schritte störten den Moment und im nächsten Augenblick stand James Potter vor den beiden. „SIRIUS! Hier bist du! Ich habe dich schon überall gesucht!“ Der verzauberte Schnee fiel mit einem Mal auf die beiden runter, sodass sie dick mit diesem bedeckt waren. Zähne knirschend drehte sich Sirius zu James um. Auch Olivia warf James einen bösen Blick zu, der hätte töten können. James schien das alles nicht zu kümmern. „Potter, was WILLST du?!“, fauchte Sirius. „Ich brauche deine Hilfe! Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich brauche einen teuflisch guten Plan, der idiotensicher ist“, sagte James und lief vor den beiden auf und ab. Sirius half Olivia, ihre Haare und ihren Mantel von dem vielen Schnee zu befreien. „Geht es um Lily und-oder Snape, James?“ James blieb abrupt stehen und schaute ihn verständnislos an. „Natürlich geht es um die beiden. Um wen denn sonst, Sirius?! Manchmal stellst du wirklich eigenartige Fragen.“ Sirius half Olivia nun, aufzustehen und klopfte auch sich den Schnee von der Kleidung. „Dann wirst du ohne meine Hilfe auskommen müssen, James. Ich bin dein Freund, ja. Und das werde ich auch immer bleiben. Ich bin auch immer sofort dabei, wenn du neue Streiche ausgeheckt hast. Aber in letzter Zeit ging es bei dir immer um Lily hier, Lily da und Snape hier, Snape da. Wir anderen sind nebensächlich. Deine Aktion gerade eben beweist es mal wieder. Das Fass ist so kurz davor, überzulaufen, James! Es reicht so langsam.“ Demonstrativ griff er nach Olivias Hand. „Ich möchte jetzt auch etwas Zeit für mich. Versuch das, alleine hinzubekommen, James. Und wenn du es alleine nicht schaffst, Lily für dich zu gewinnen – ja, dann ist sie vielleicht nicht die richtige für dich. Oder du nicht der richtige für sie. Wie auch immer. Wir sehen uns dann beim Essen!“ Verdattert blieb James alleine im Innenhof stehen und schaute zu, wie ihn einer seiner besten Freunde im Stich ließ. Was war heute denn nur los?! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)