Die Nische in der Bibliothek von Roter_Panda (Snape x Lily (kurz: Snily)) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 74 --------------------- Die stickige feuchte Luft ließ die hohen gothischen Fenster beschlagen. Der Geruch von verbranntem Holz und gekochten Tiergedärmen zog sich in die Kleidung und war noch nach geschlagenen zwei Stunden unerträglich. Professor Slughorn, Lehrer in Zaubertränke, teilte die Schüler in Zweiergruppen für die Hausarbeit für die nächsten Wochen ein. Die Sechstklässler stöhnten bei den vorgegebenen Themen. Eine einzige Feder kratzte über ein Pergament und schrieb eifrig mit. Lily Evans tunkte unermüdlich die Federspitze ins Tintenglas und notierte alle Themen. Zaubertränke war nicht nur ein Fach für sie. Es war ihr Hobby. Professor Slughorn blieb vor ihr stehen. „Miss Evans. Recherchieren Sie bitte dieses Mal nicht über alle Themen. Die Referenten sollen mehr über ihr eigenes Thema wissen, nicht Sie, Evans.“ Er schüttelte seufzend den Kopf. Es war wohl zwecklos. Lily würde ja doch nicht auf seine Bitte – oder eher Befehl – hören. Er schaute auf seine Liste. „Sie arbeiten dieses Mal mit Snape. Kapitel 74 im Buch. Daran dürften selbst Sie eine Weile zu knabbern haben.“ Lily ließ die Feder sinken. Sie sollte mit Severus Snape zusammenarbeiten? Sie verkniff sich ein Grinsen. Natürlich hatte sie gemerkt, dass Snape gut in Zaubertränke war. Genauer genommen waren er und sie die Klassenbesten. Sie hatte schon die ganze Zeit darauf gewartet, mit ihm zu arbeiten. Neugierig schaute sie zu ihm herüber. Er hing mit seiner Hakennase im Buch und durchblätterte anscheinend bereits Kapitel 74. Lilys Freundin Emilie lästerte des öfteren über seine strähnigen Haare. Aber Lily war das irgendwie nie so wirklich aufgefallen – oder es hatte sie nie gestört. „Black, hören Sie auf Ihre Feder in Pettigrews Nase zu stecken. Wir sind nicht mehr im Kindergarten“, durchbrach Slughorns Stimme die Unruhe im Raum. „Können wir jetzt weitermachen?“ Als es draußen auf dem Gang läutete, wurden erleichtert Bücher zugeschlagen. Der Unterricht war endlich zu Ende. Unter lautem Geschwätz verließen die Schüler das dunkle Klassenzimmer. Lily packte langsam ihre Sachen in ihre Tasche und blätterte nebenher in Kapitel 74, als plötzlich jemand vor ihr stehen blieb. Sie blickte auf und schaute in Severus' bleiches Gesicht. Er sagte eine ganze Weile nichts und betrachtete sie mit dem Auge, welches nicht von langen schwarzen Haaren verdeckt war. „Heute. Nach dem Abendessen. In der Bibliothek.“ Er wartete. Lily nickte verwirrt, woraufhin Severus aus dem Klassenzimmer verschwand. „Evans!“, ertönte plötzlich Professor Slughorns Stimme. „Würden Sie bitte meinen Unterrichtsraum verlassen? Gleich kommt die nächste Klasse.“ Erst jetzt bemerkte Lily, dass sie die letzte im Raum war und verließ diesen so schnell sie konnte. „Und ich erwarte exzellente Arbeit von Ihnen und Snape, damit das klar ist!“, rief ihr Slughorn noch hinterher. Der Gemeinschaftsraum der Gryffindors war voller lärmender Schüler. Einige Grüppchen waren noch über Hausaufgaben gebeugt, während ein großer Rest sich vor dem schwarzen Brett versammelt hatte. In vier Tagen sollte der erste Termin des Schuljahres für Hogsmead sein und jeder Schüler, der mit durfte, trug sich stolz unter den neidischen Blicken der Jüngeren in die Liste ein. James Potter saß am Fenster des Gemeinschaftsraumes und blickte hinaus auf die dunkle Herbstlandschaft. Dicke Wolken hingen am Himmel und warteten darauf, den ersten Schnee fallen zu lassen. Nachdenklich kaute James auf seiner Unterlippe. Seine linke Hand ließ er durch die Haare gleiten und verwuschelte diese noch mehr, als sie es ohnehin schon waren. Sein Stück Pergament war immer noch leer. Wie musste er einen Brief verfassen, um bei Lily Evans Eindruck zu schinden? Peter Pettigrew kam dazu und kratzte sich hinterm Ohr. „Und?“ James legte das Pergament zur Seite. „Hast du etwas raus gefunden?“ „Ja“, grinste Peter. „Steven Mimphis hat heute Mittag eine Abfuhr bekommen. Und Charles Collins aus der Siebten wurde von ihr geohrfeigt, weil er sie angemacht hat.“ James verzog sein Gesicht. „Autsch! Lily ist echt schwer zu kriegen. Sie macht es einem nicht leicht. Gute Arbeit, Peter.“ „Aber unsere Ratte erwähnte noch nicht das Aktuellste“, mischte sich Sirius Black ein und setzte sich dazu. „Wie, das Aktuellste? Etwa noch einer, der an sie ran will?“, fragte James nach. „Das wäre schwierig. Ist ja immerhin schon fast jeder Zweite hinter Lily her... Nein, nein...“ Sirius lachte. „Etwas, das dir, lieber James, nicht gefallen wird. Lily darf zwei Wochen mit Snape zusammen arbeiten.“ „Was?“, schrie James und sprang auf. Die Gespräche im Gemeinschaftsraum wurden unterbrochen und einige Augenpaare richteten sich auf den Schwarzhaarigen. „Kümmert euch um euren eigenen Mist!“, motzte James, woraufhin die Gespräche weitergeführt wurden. Er setzte sich wieder und riss an seiner Feder herum. „Dieser verdammte Slughorn. Der hat sie zusammen gesteckt, richtig? So ein Vollidiot! Arme Lily... Mit Snape. Das ist... das ist... ARGH!“ Er riss an seinen Haaren und hielt dann plötzlich inne. „Wo ist sie?“ „Wer? Lily?“ Peter kratzte sich wieder hinterm Ohr. „Ja. Nein. Ich meine die Karte.“ „Ach so. Die hat Remus. Der besorgt die Antworten für die Hausarbeit in Hellsehen.“ Sirius lehnte sich zurück. James konnte im Thema „Lily“ schon fast nervig sein. „Und wann kommt er wieder?“, fragte James. Peter rettete derweil die schon halb zerrupfte Feder aus dessen Händen. Sirius zuckte die Achseln. „Verdammt.“ James ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. „Ohne den Rumtreiber kann ich Lily nicht finden...“ Nach dem Abendessen waren nur noch wenige Schüler in der Bibliothek. Als Lily schwer bepackt mit ihren Zaubertrankbüchern durch die hohe Eichentür trat, verschwanden nun auch die letzten Sonnenstrahlen aus dem Saal, sodass Miss Winsdam, die Bibliothekarin, ihren Zauberstab schwang und so die Kerzen und Lampen entzündete. Sie warf Lily einen bösen Blick zu, der unmissverständlich ausdrückte, dass sie jeglichen Lärm in der Bibliothek nicht duldete. Diese Drohung bekam jeder beim Betreten des hohen und verwinkelten Saales zu spüren. Lily ignorierte den Blick und ging an der Bibliothekarin vorbei. Langsam passierte sie jeden Gang und hielt Ausschau nach Severus. Wie jeden Tag war er nicht beim Abendessen gewesen, was wohl auch der Grund seiner dürren Statur war, also müsste er bereits im Saal sein. Nur konnte ihn Lily an keinem der Tische finden. Verwirrt blieb sie stehen und durchsuchte mit den Augen nochmal den Raum. Nirgends war ein schwarzer Haarschopf zu sehen. Plötzlich trat jemand aus dem Gang neben ihr. Severus schaute sie ruhig an, machte eine Kopfbewegung, mit der er andeutete ihm zu folgen und verschwand in einem der Gänge zwischen den Bücherregalen. Ohne ein Wort zu sagen, führte er Lily an Regalen mit veralteten Schulbüchern vorbei zu einer kleinen Ecknische am Ende des Ganges mit einem kleineren Tisch und drei Stühlen, die unter einem schmalen Fenster ihren Platz gefunden hatten. „Ich wusste gar nicht, dass es hier hinten noch so eine Ecke gibt“, erwähnte Lily erstaunt und setzte sich an den Tisch. „Gut so.“ Severus hielt inne. „Ich meine... Ich bin hier hinten, damit mich keiner... stört.“ Er schaute auf die Regale aus denen die Bücher wohl schon seit langer – sehr langer – Zeit nicht mehr hervorgeholt wurden. „Finde ich toll“, durchbrach Lily die Stille und wurde überrascht von Severus angeschaut. „Ich hab auch lieber meine Ruhe wenn ich lerne. Oft verzieh ich mich dazu in ein leeres Klassenzimmer. Im Gemeinschaftsraum ist es unerträglich, zu arbeiten oder sogar zu lernen...“ Doch Lily wusste, worauf Severus auch anspielte. Sie wusste, dass er nicht sehr beliebt war bei anderen Schülern. Sie erinnerte sich zum Beispiel an den Vorfall im letzten Sommer nach den ZAG-Prüfungen, als James Potter und Sirius Black Severus auf der Wiese fertig gemacht hatten. Und auch an andere Vorfälle in denen die beiden Severus keine Ruhe gelassen hatten. Leider erinnerte sie sich außerdem daran, dass er sie damals nach den ZAG-Prüfungen mit „Schlammblut“ beschimpft hatte. Natürlich hatte sie das verletzt, allerdings wusste sie auch, dass das zum Sprachgebrauch der Slytherins gehörte. Severus starrte auf eine der fliegenden Kerzen. „Das Thema. Hast du es dir schon angeschaut?“ Lily nickte. „Ja. Es gibt einige knifflige Stellen, die aber durchaus zu lösen sind. Was mich irritiert hat, war nur ein Teil... Moment. Das war...“ Sie schlug das Buch auf und blätterte. „Hier irgendwo muss es stehen...“ „Die verfallende Umkehrung“, murmelte Snape und setzte sich. „Darüber bin ich auch gestolpert. Und ich kann mich auch nicht daran erinnern, es je irgendwo gelesen zu haben.“ Er überlegte, schnappte sich sein eigenes Buch und blätterte in dem Kapitel. „Und weißt du, was mich noch stutzig macht?“ „Dass dieser Trank keine genaue Funktion zu haben scheint“, antwortete ihm Lily, ohne weiter darüber nachdenken zu müssen. Auf dieses Problem war auch sie gestoßen. „Das heißt, wir müssen auch das herausfinden“, schlussfolgerte Snape und klappte das Buch zu. „Ja...“ Lily lehnte sich zurück. „Das verstand Slughorn also unter einer 'exzellenten Arbeit'.“ Remus betrat den Gemeinschaftsraum und schmiss einen Stapel Pergamente vor Sirius auf den Tisch. „Vergiss es. Ihr werdet mich nicht noch einmal dazu bringen, eure Hausaufgaben zu besorgen. Macht sie gefälligst selbst, wie jeder andere anständige Mensch auch.“ Sirius lachte. „Aber Remus, das wäre doch viel zu langweilig.“ Er überlegte kurz. „Und zu anstrengend. Außerdem sind wir nicht anständig.“ Er lachte herzhaft und schlug Remus auf die Schulter. „Hab Dank.“ “Remus!“, schrie James und stürzte die Treppen runter auf den Neuankömmling zu. Er zog ihn zur Seite und zischte: „Wo ist die Karte?“ Remus gab ihm das gewünschte Objekt, was der Schwarzhaarige auch sofort öffnete. In der Bibliothek war niemand außer Miss Winsdam. Ein kleines Pünktchen namens Severus Snape befand sich im Slytherin-Gemeinschaftsraum und ein Lily Evans-Pünktchen hielt sich auf der Mädchentoillete auf. „Mist!“, fluchte James. „Zu spät.“ Kapitel 2: Erwischt... ---------------------- Am nächsten Morgen stand nach dem Zaubertränkeunterricht Severus wieder vor Lily. Emilie, die neben ihr saß, starrte mit einer Mischung aus Ekel und Angst zu ihm hoch. Doch Severus ignorierte sie vollkommen. Ohne weitere Ausführungen murmelte er: „Wie gestern“, wartete auf eine Bestätigung seitens Lily und verschwand wieder ohne ein Wort. Lily konnte über ein solch ungewöhnliches Verhalten nur den Kopf schütteln. Und irgendwie stahl sich ein Grinsen auf ihr Gesicht. Emilie starrte Severus hinterher und packte nun auch wie Lily ihre Sachen ein. „Sag mal, ist es eigentlich schlimm?“ „Was?“, entgegnete Lily und versuchte ihre Notizen aus dieser Stunde zu sortieren. „Na, mit Snape zusammen zu arbeiten. Der ist doch wirklich etwas gruselig und... eklig.“ Lily seufzte. „Ganz ehrlich. Ich weiß nicht, was ihr alle ständig gegen ihn habt. Naja, stimmt schon, dass er etwas... nagut, sehr introvertiert ist und hin und wieder ein wenig eigenartig, was sein Verhalten betrifft, aber ansonsten ist er ein guter Schüler und ist überaus begabt. Es ist kein bisschen schlimm mit ihm zu arbeiten. Er nimmt das Thema sehr ernst, was man ja auch sollte.“ „Aber er ist... Severus eben“, versuchte Emilie ihre Bedenken zu erklären. „Na und? Ist das ein Grund, nicht mit ihm arbeiten zu können?“ Sie schnappte sich ihre gepackte Tasche und verließ schnellen Schrittes den Raum. Sie hatte ihre beste Freundin lieb und ansonsten war Emilie ein toller Mensch... Nur ihre Meinungen über andere Menschen, die sich dann auch noch nur auf Vorurteile stützten, waren das Allerletzte. Traurig dachte Lily daran, dass bezüglich Severus fast jeder an der Schule sich auf Vorurteile verließ. James schlenderte mit einer schlechten Laune, die selbst Dementoren vertrieben hätte, durch die Gänge des Schulgebäudes. Lässig spielte er mit seinem Zauberstab und verhexte jeden Schüler, der seiner Meinung nach eine zu gute Laune hatte. Remus, der ebenfalls wie der Schwarzhaarige kein Zaubertränke mehr hatte, verwandelte jedes Opfer von James zurück und entschuldigte sich für seinen Kumpel. James grummelte. „Wenn ich doch nur noch in Zaubertränke wäre... Dann würde ich wenigstens mitbekommen, was dort so abgeht.“ Er schwang den Zauberstab und verwandelte eine Zweitklässlerin in einen Affen. James setzte sich auf eine Fensterbank und trommelte mit seinem Stab gegen das Fensterglas. „Wo bleiben nur Sirius und Peter?“ Remus zuckte die Achseln und verzauberte eine umher wuselnde Maus zurück in einen Viertklässler. „Vielleicht wurden sie ja aufgehalten“, überlegte Remus und durchwühlte derweil seine Tasche nach seinem Arithmatikbuch. „Mist. Ich habe mein Buch im Gemeinschaftsraum vergessen. Ich geh es schnell holen.“ „Aber es gibt doch gleich Abendessen. Hol's später!“, beschwerte sich James und zielte auf einen Erstklässler. „Nein, ich brauche es jetzt. Ich muss Professor Obelt noch was wegen meinem Referat fragen“, entgegnete Remus und rannte den Gang zurück. „Oh mann...“, brummelte James und schaute dem Erstklässler hinterher, der ihm entwischt war. Er holte mit dem Zauberstab Schwung, um eine andere Erstklässlerin zu erwischen, als plötzlich jemand seine Hand runter drückte. Der neue Hausmeister Filch starrte ihn zornig an. „Vergiss es, mein Junge. Du kommst mit zu deiner Hauslehrerin.“ Er packte James am Kragen und zog ihn hinter sich her. „Nur weil ich neu hier bin, braucht ihr Rotznasen gar nicht glauben, alles anstellen zu dürfen.“ „Aber ich habe doch gar nichts gemacht!“, beschwerte sich James und versuchte sich loszureißen. „Klappe, Potter. Deine Rumzauberei habe ich nun schon lange genug mit ansehen müssen“, grummelte Filch und stieß die Tür zu McGonagalls Büro auf. „Professor, hier ist wieder Potter.“ Ein teuflisches Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. „Jetzt ist es soweit, oder? Jetzt!“ Professor McGonagall seufzte und betrachtete James, der gerade von Filch auf den Stuhl gegenüber des Schreibtisches gedrückt wurde. „Ja, jetzt ist es wohl soweit, Argus.“ Sie seufzte. „Professor, ich habe nichts gemacht!“, behauptete James und wusste sofort, dass sie ihm nicht glauben würde. „Potter, Sie brauchen erst gar nicht zu lügen. Vorhin war Amanda aus der Ersten bei mir und hat mir berichtet, dass sie das urplötzliche Verlangen hätte, einen Baum hochzuklettern und Bananen zu essen.“ Sie seufzte und massierte ihre Schläfen, wodurch ihr kurze rote Strähnen ins Gesicht fielen. „Potter, ich weiß nicht, was ich mit Ihnen machen soll. Das ist schon wieder die dritte Verwarnung. Sie dürfen andere Schüler nicht einfach so verhexen, wie es Ihnen gefällt! Dritte Verwarnung: Das bedeutet Nachsitzen.“ „Und kein Abendessen“, fügte Filch grinsend hinzu. „Das bedeutet aber auch kein Aufhängen an den Daumen und kein Auspeitschen, Argus“, ergänzte Professor McGonagall. Filch seufzte enttäuscht. James verzog das Gesicht. Kein Abendessen... Dabei hatte er einen riesigen Hunger. McGonagall wandte sich wieder an James. „Potter, Sie gehen jetzt sofort mit Mr. Filch in den Pokalraum und werden dort die Pokale und Medaillen putzen und polieren. Bitte lernen Sie endlich etwas aus dieser Lektion.“ Beim Abendessen saß Remus allein. Ihn wunderte das kaum. James und Sirius schafften es immer wieder, Probleme zu bekommen. Und wo James oder Sirius waren, da war auch Peter. Remus erwartete seine Kumpels nicht vor 22 Uhr zurück. Lily rannte mit ihrer Tasche bepackt den Gang entlang zur Bibliothek. Sie war schon etwas spät dran. Am Tag zuvor hatten sie und Severus noch nichts Neues über ihren Trank heraus gefunden. So hatten sie sich erstmal darauf konzentriert, das Wichtigste aus Kapitel 74 zu schreiben. Jedoch waren sie noch nicht ganz fertig mit dieser mühseligen Aufgabe. Als Lily nach hinten in die kleine Nische kam, war Severus gerade dabei, im Kapitel zu blättern. „Weißt du was schwierig wird?“ Lily setzte sich an den Tisch. Severus wartete nicht einmal auf eine Antwort. „Die Zutaten sind nicht klar benannt. Sie sind umschrieben.“ „Das liegt daran, dass dieses Kapitel eine Kopie eines historischen Dokuments ist.“ Lily beugte sich zu ihm hinüber und zeigte in seinem Buch auf die Quellenangabe. „Schau mal wann dieses Dokument verfasst worden ist. Zu der Zeit waren zum Beispiel die meisten Kräuter nur unter verschiedenen Namen bekannt, die sich je nach Region änderten. Außerdem-“ Sie zeigte auf den Namen des Verfassers, wobei ihr Kopf fast gegen den von Severus stieß, „ist der Verfasser sehr ungebildet gewesen. Ich habe mich ein bisschen über ihn schlau gemacht. Ein Wunder, dass er überhaupt schreiben konnte.“ Sie lehnte sich wieder zurück und betrachtete ihre bisherigen Notizen. Sehr weit waren sie bis jetzt nicht gekommen... James saß an einem Pokal aus dem Jahr 1883 und versuchte eine Verfärbung des Bleches wegzukriegen. Vorsichtig schaute er sich nach Filch um und überlegte, ob er es wagen sollte, den Zauberstab zu benutzen. Langsam wanderte seine Hand zur Innentasche seines Mantels. „Na-na, Potter. Denk noch nicht mal daran, den Zauberstab zu benutzen“, zischte Filch, ohne von seiner Zeitung aufzuschauen. James fluchte leise vor sich hin und widmete sich wieder der Politur. Er wusste, dass irgendwo Severus mit Lily lernte. Und er konnte erstens nicht weg und zweitens hatte er den Rumtreiber nicht dabei. Schlimmer konnte es gar nicht kommen. Sirius und Peter öffneten behutsam die Einmachgläser mit den Drachen- und Schlangenaugen. „Und nichts verschütten!“, warnte Slughorn und paffte an seiner Pfeife. „Und für die Zukunft: Bei MIR werden keine Hanfblätter stibitzt, Mr Black und Mr Pettigrew.“ Sirius betrachtete seufzend das lange Regal voller gefüllten Einmachgläser, die sie noch umzutopfen hatten. Beim nächsten Mal würde er sich nicht beim Klauen erwischen lassen. Im Gemeinschaftsraum der Gryffindor war wieder einiges los. Viele ältere Schüler und vor allem diejenigen, die zum ersten Mal mit durften, schwärmten über den bevorstehenden Besuch in Hogsmeade. Jüngere Schüler gaben den Älteren Einkaufslisten für den Süssigkeitenladen. Remus saß in einer Ecke an seinen Hausaufgaben für Zauberkunde. Unauffällig ließ er seinen Blick auf die Karte des Rumtreibers gleiten, die in seiner Schultasche lag. Wäre James hier, hätte er sie sicher schon benutzt, um Snape und Lily hinterher zu spionieren und Severus weiter das Leben schwer zu machen. Remus hatte schon längere Zeit darüber nachgedacht. Er fasste einen Entschluss und schob die Karte des Rumtreibers tiefer zwischen einige Pergamente in seine Tasche. James sollte sich Mühe geben, wenn er Lily kriegen wollte. Lily blätterte im „Almanach der Gebirgskräuter“ und betrachtete jedes Bild. Irgendwo musste es doch ein rötliches Gras mit drei Ähren geben. Sie betrachtete nochmal ihre Liste. Fünf Kräuter hatte sie schon gefunden. Neben ihr hörte sie das anhaltende Kratzen der Feder. Severus fasste während sie suchte den Brauungsvorgang zusammen. Als sie durch das Kapitel mit giftigen Kletterpflanzen stöberte, fiel ihr Blick auf einen Artikel über eine gelbliche efeuähnliche Pflanze mit rosa Blüten. „... führt bei Einnahme zur sofortigen irreversiblen Amnesie. Neue soziale Kontakte werden im Bruchteil einer Sekunde wieder vergessen. In der Antike glaubte man, der gefleckte Schierling sei ein Gegenmittel dagegen, bis Todesopfer eintraten. Daraufhin wurde jener als Tötungsmittel eingesetzt (siehe SOKRATES). Seitdem wurde kein Gegengift für die Amnesie gefunden. Das Gewächs wurde verboten und 1832 in der freien Natur ausgerottet. Zwei letzte Exemplare sind im Kräutergewächshaus des Bildungsinstituts in---“ Etwas berührte Lily an der Schulter. Total aus ihrer Gedankenwelt gerissen, schreckte sie auf und sah Severus neben sich, der sie durch ihre heftige Reaktion erschrocken ansah. Lily lächelte etwas verlegen. „Oh, tut mir leid, ich war so in Gedanken.“ „Ich... hab's gemerkt“, antwortete Severus und zog eine Augenbraue hoch. „Ich versuche seit zwei Minuten dich anzusprechen... Ich wollte nur sagen, dass es Zeit wäre. Es ist schon fast Mitternacht.“ „Schon?“, gab Lily überrascht von sich und schaute auf ihre Uhr. „Tatsächlich. Naja, machen wir dann Schluss für heute.“ Als sie sich auf dem Gang trennten, schaute Severus nach wenigen Metern noch einmal zu Lily zurück. Irgendwie... Er schüttelte den Kopf und ging weiter. James nickte wieder über einem der Pokale ein. Filch grunzte. „Ok, Potter. Du kannst ins Bett. Aber: Morgen nach dem Abendessen erscheinst du wieder hier, verstanden?! Und dann machst du den Rest.“ Er grinste vergnügt und ging. James richtete sich mühevoll auf. Schlaf hatte er jetzt bitter nötig. Slughorn klopfte seine Pfeife aus. „Black, Pettigrew. Sie können gehen. Aber: Morgen sind Sie um die gleiche Zeit wieder hier.“ Sirius und Peter schlurften aus dem Raum. Als Lily sich leise in ihr Bett legte, regte sich ihre Freundin im anderen Bett. „Lily?“, flüsterte Emilie. „Mm?“ Eine Pause folgte. „Es tut mir leid“, murmelte Emilie. „Ist okay“, entgegnete Lily. In Gedanken jedoch fügte sie hinzu: „Sag das nicht mir. Sag es lieber Severus.“ Kapitel 3: Nur noch eine! ------------------------- Die Schulglocke dröhnte ungewöhnlich laut im Schulgang. Schüler rannten zu ihren Klassenzimmern. Lily wurde von einigen angerempelt, doch sie dachte gar nicht daran, ihr Schlendern zu beschleunigen. Professor Bizkins trippelte auf ihren hohen Absätzen an ihr vorbei. Die Rothaarige gähnte herzhaft. Sie hatte ganz vergessen, dass der Unterricht in Hellsehen ausfiel, da Madame Genevoix sich eine Grippe eingefangen hat, was sie sogar vorige Woche vorhergesagt hatte... Lily betrachtete sich in einem der Fenster. Ihre Haare waren irgendwie noch ziemlich durcheinander und unter den Augen hatte sie kleine Ringe, da sie in der Nacht nicht richtig hatte schlafen können. Halbe Schulklassen stürmten an ihr vorbei. Erstklässler waren auf der Suche nach ihrem Klassenzimmer. Lily wollte gerade weitergehen, als jemand nach ihrem Umhang griff und sie in eine Nische zog. Severus stand ihr gegenüber. Er wollte etwas sagen, schaute sie dann aber verwirrt an. „Hast du schlecht geschlafen?“ „Äh ja...“, gab Lily etwas durcheinander zu und strich sich eine Strähne hinters Ohr. „Mmh...“ Snape schaute sie nochmal kurz mit dem einen Auge an, das nicht mit Haaren bedeckt war. „Ich wollte nur sagen, dass ich heute Abend entweder gar nicht oder ziemlich spät in die Bibliothek kommen werde. Ich habe was zu erledigen.“ Lily nickte. Severus wandte sich zum Gehen, als er noch mal stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. „Leg dich vielleicht nochmal hin. Du hast doch zwei Freistunden.“ Dann ging er. Lily stand da und dachte nach. Eine Dame in einem gelb-pink gestreiften Kleid drehte sich in ihrem Gemälde zu ihr um. „Hören Sie auf den jungen Mann, Fräulein. Sie bräuchten wirklich Schlaf.“ Ein älterer Mann mit Bart und Brille nickte im nächsten Bild. „Äh... danke“, murmelte Lily verwirrt. Verwirrt darüber, dass ein Gemälde ihr Tipps gab oder darüber, dass Severus sich Gedanken über sie gemacht hat, wusste sie im Moment wohl selber nicht so ganz. „Remus, wir sind so müde!“, jammerten James, Sirius und Peter beim Mittagessen im Chor. Mit Mühe versuchten sie, die Augen offen zu lassen. „Das kommt davon, wenn ihr immer Ärger machen müsst“, belehrte sie Remus und machte sich Kartoffeln auf den Teller. Er fühlte sich schwach und kränklich – Kein Wunder, denn am Dienstag würde wieder Vollmond sein. Plötzlich hörte James auf, zu nörgeln. Lily war vom Tisch aufgestanden und ging auf die Tore der großen Halle zu. Der Schwarzhaarige wollte gerade aufspringen, um ihr zu folgen, als schon Angus McMillen aus Ravenclaw ihr hinterher sprintete und nun auch die Halle verließ. James seufzte. Sirius lachte auf und schmatzte: „Krone, du bist einfach zu langsam.“ Lily ging den Gang entlang, als plötzlich hinter ihr Schritte zu hören waren. Verwundert drehte sie sich um. Angus, der größte Macho aller Zeiten, rannte auf sie zu. „Hey Lily!“, raunte er und blieb vor ihr stehen. „Bye Angus“, entgegnete sie kühl und wollte gehen, doch Angus hielt sie an der Hand fest. „Geh mit mir aus, Lily.“ „Nein.“ „Ach komm schon. Hab dich nicht so“, flüsterte er und zog sie zu sich ran. „Lass mich in Ruhe, Angus!“ „Ach, ich liebe es, wenn du meinen Namen sagst“, hauchte er und wollte sie küssen. Lily stieß ihn weg und ohrfeigte ihn. „Du Schwein!“ Eilig rannte sie weg. Von solchen Typen hatte sie nun wirklich die Nase voll. Glauben, sie dürften sich alles erlauben. Angus hielt sich die Wange und schaute ihr hinterher. Wütend spuckte er auf den Boden. „Ich krieg dich noch, du Schlampe.“ Beim Abendessen sah James Lily wieder aufstehen und den Saal verlassen. Er dachte an die Lektion vom Mittagessen und wollte sofort aufstehen und ihr hinterher rennen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Filch grinste ihn wieder schadenfroh an. „Mach den letzten Bissen, Potter. Die Pokale schreien nach dir.“ Er packte ihn wie am Tag zuvor am Kragen, zerrte ihn hoch und schleppte ihn mit sich. Verzweifelt rief James Remus zu: „Moony, du musst sie für mich finden! Such nach ihnen und sag mir wo sie sind!“ Remus legte die Hände hinter die Ohren und tat so, als würde er ihn nicht verstehen. Im nächsten Moment war James hinter der nächsten Ecke verschwunden. Remus wandte sich an Sirius und Peter. „Habt ihr verstanden, was er gesagt hat?“ Die beiden blickten auf. Sirius gab ein „Hä?“ von sich und Peter fragte, wo James plötzlich hin sei. Remus schüttelte den Kopf und sagte, dass nichts sei. Froh darüber, dass seine Freunde schon das ganze Abendessen über von Professor Slughorn abgelenkt waren, der ihnen grinsend und an der Pfeife paffend vom Lehrertisch aus zuwinkte, machte sich Moony wieder über sein Abendessen her. Tatsächlich war nach dem Abendessen kein Severus in der kleinen Nische, sodass Lily alleine saß und weiter nach Kräutern suchte. Nach und nach stapelten sich die Bücher vor ihr. Immer wieder schlug sie enttäuscht ein Lexikon zu, in dem nur das stand, was sie bereits wusste. Irgendwann wurden die Kerzen und Lampen entzündet. Draußen wurde der Verbotene Wald immer dunkler und wirkte mehr und mehr unheimlicher. Die peitschende Weide, die von der Bibliothek aus zu sehen war, wog sich im stürmenden Wind. Mit der Zeit verließen auch die letzten Schüler die Bibliothek, um ihre Freizeit in den Gemeinschaftsräumen zu verbringen. Lily saß immer noch in ihrer kleinen Nische und blätterte durch Lexika und Lehrbücher. „Ich wusste, dass du noch hier bist.“ Sofort drehte sich Lily um. „Hi Severus!“, strahlte sie den Neuankömmling an. „Warum arbeitest du noch? Es ist schon elf Uhr durch.“ Lily grinste, wurde aber auch ein wenig rot. „Ich... ach, es macht gerade so Spaß und ich war so fasziniert von alldem.“ Sie klopfte auf einen Stuhl neben sich. „Komm. Schau was ich entdeckt habe.“ Severus zögerte, setzte sich schließlich dann doch zu ihr und betrachtete ihre Ergebnisse. Sie hatte schon sehr viel heraus gefunden. Ein ganzes Pergament war von ihr beschriftet. Die Namen der Zutaten, Aussehen und ihre Eigenschaften. Sie hatte sogar hinzugefügt, wo man sie finden kann. „Mir fehlt nur noch eine Zutat“, erklärte Lily glücklich und zeigte auf die Beschreibung der gesuchten Zutat im Buch. „Ich habe schon die ganzen Bücher hier durchgesucht, aber ich kann es nicht finden. Obwohl,...“ Sie schlug eines der Lexika auf. „Die Beschreibung hätte ganz gut auf das hier gepasst, wenn da nicht---“ Severus schlug das Lexikon vor ihrer Nase zu. „Severus! Was soll das?“, fragte sie verwirrt. Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. „Du arbeitest zu viel.“ Lily sah ihn an, als würde die Welt untergehen, als er den Zauberstab schwang und die Bücher zurück an ihren eigentlichen Platz flogen. „Schau mich nicht so an, Evans.“ Er packte Lilys Sachen in ihre Tasche. „Man sollte es nicht übertreiben. Lass uns morgen nach der letzten Zutat suchen.“ Sie nickte langsam und stand auf. Als sie durch die menschenleere Bibliothek gingen (menschenleer - ausgenommen von Miss Winsdam, die noch an ihrem Schreibtisch saß und einen Roman laß), hielt Severus die von Lily angefertigte Liste noch in der Hand. „Kann ich die mitnehmen? Damit ich es mir genauer anschauen kann.“ Lily nickte. „Klar, mach ruhig.“ Nachdem sie sich draußen im Gang getrennt hatten drehte sich Severus noch mal um. „Hey Evans!“ Lily schaute verwirrt zurück. „Gute Arbeit!“, rief Severus mit einem ungewohnten Grinsen und winkte mit dem Pergament. Im nächsten Moment war er hinter der nächsten Ecke verschwunden. Als Snape in den leeren Gemeinschaftsraum der Slytherins kam, ging er direkt in den Waschraum, um sich bettfertig zu machen. Nachdenklich putzte er sich die Zähne. Wie Lily verbissen über den Lexika gesessen hat... dieses Bild ging ihm irgendwie nicht aus dem Kopf. Er musste zugeben, dass ihr Verhalten ihn stark an sein Eigenes erinnerte. Es war unglaublich, wie viel an Informationen sie herausgefunden hatte. Und wie stolz sie über ihre Ergebnisse war. Ihm kam das Bild der strahlenden Lily wieder in den Kopf. Er schaute im Spiegel auf sein grinsendes – schon fast eher lächelndes – Gesicht. Unwillkürlich ließ er die Zahnbürste fallen. Kapitel 4: Der erste Schnee --------------------------- Severus betrachtete misstrauisch seine Mitschüler in Verwandlung. Nicht, dass sie ihn vorher je interessiert hätten, aber heute... heute waren sie... komisch. Professor McGonagall verwandelte wieder den Schweinebraten in ein Schaf, um es ein paar Schülern ein weiteres Mal zu zeigen. Severus ignorierte das Schaf, das er schon längst vor sich hatte. Täuschte er sich, oder beobachteten ihn alle? Hatten manche etwa auch gesehen, was er an sich erst im Waschraum bemerkt hatte? Immer noch etwas irritiert fasste er sich ins Gesicht. Das Lächeln vom gestrigen Abend war zum Glück verschwunden. Und doch... Er schaute wieder um sich. Und doch hatte er das Gefühl, dass alle es besser wüssten. Als Severus nach dem Unterricht durch die Schulflure ging, kam ihm eine Gruppe Mädchen aus Hufflepuff entgegen. Urplötzlich fingen sie an zu grinsen und zu kichern. Wut kam in Severus hoch. Machten die sich etwa über ihn lustig? Grummelnd ging er an ihnen vorbei und eilte auf die nächste Jungentoilette. Erleichtert schaute er in den Spiegel. Kein Grinsen oder Lächeln war dort zu sehen. „Beruhige dich, Severus“, redete er sich zu. Das gab's doch nicht! Er machte sich wegen diesem einen eigenartigen Lächeln ja noch verrückt!! Vielleicht, ja vielleicht hatte er sich ja auch nur versehen. Das musste es sein. Es war recht dunkel im Waschraum gewesen und die Müdigkeit hatte auch schon an ihm gezerrt. Er hatte sich einfach nur versehen. Und tatsächlich schien danach alles wie vorher. Seine Mitschüler gingen ihren eigenen Tätigkeiten nach und beachteten ihn so wenig wie zuvor. Selbstzufrieden – das aber nach außen hin natürlich nicht zeigend – ging Severus in die große Halle zum Mittagessen. Jetzt war wieder alles in Ordnung. „Was meinst du damit, sie ist weg?!“, donnerte James und ging im Jungenschlafzimmer der 6. Klasse auf und nieder. Remus saß geduckt auf seinem Bett, während Peter ängstlich James zusah und Sirius mit einem eigenartigen Grinsen sich lässig gegen die Wand lehnte. „Willst du damit sagen, du hast sie VERLOREN?“ Der Schwarzhaarige lief vor Wut und Verzweiflung rot an. „Ich glaube, sie lag zwischen den Hausaufgaben, die ich Dumbledore gestern Abend zum Korrigieren gegeben habe“, antwortete Remus mit einer Unschuldsmiene. James hielt inne und meinte dann ruhig: „Das ist nicht dein Ernst. Komm, rück sie raus und verarsche uns nicht länger!“ Er streckte die Hand aus und wartete ungeduldig. Unruhig schaute er aus dem Augenwinkel zu Peter und Sirius, wobei der letztere den Kopf schüttelte. „Das... ist wirklich dein Ernst?“, fragte James und hielt die Hand immer noch hin. Remus nickte langsam. Ungläubig ließ sich James aufs Bett neben seinen Kumpel fallen. „Aber... Wie soll ich Lily ohne die Karte finden?“ Sirius trat zu ihm. „So, wie jeder andere Normalsterbliche auch. Benutz deine Beine und deine Augen und geh sie suchen.“ James nickte wie in Trance und schleppte sich geknickt aus dem Schlafsaal. Peter folgte ihm eifrig. Sobald die beiden draußen waren, ließ sich Remus erleichtert nach hinten aufs Bett fallen und starrte die Decke an. Sirius grinste ihn an. „Ich hätte nie gedacht, dass du zu so etwas Fiesem fähig sein würdest, Remus.“ Er lachte. „Gratuliere! Du hast es wirklich geschafft, James dazu zu bringen, sich für eine Sache anstrengen zu müssen!“ Remus konnte sich ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen. "Und wo ist sie wirklich?", fragte Sirius. "Glaubst du echt, ich würde dir das sagen?!" „Gehen wir noch einmal alles durch“, schlug Lily vor und fing an, ihre Liste mit der aus dem Buch zu vergleichen. Severus schaute ihr dabei zu. Nahm er einmal in Erwägung, dass das am letzten Abend wirklich ein Lächeln gewesen sei... Was war dann am Vortag nur passiert, durch das er hatte grinsen müssen? Hatte er eine gute Bemerkung gemacht? Oder hatte sie? Hatte es irgendein Gedanken von ihm gegeben, der ihm Gefallen hatte? Irgendein amüsanter oder genialer vielleicht? Nein, dergleichen wäre ihm im Gedächtnis geblieben. Was war es nur gewesen? „Severus? Hey, Severus!“ Eine Hand schüttelte ihn aus seinen Gedanken. „Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte Lily ihn und zeigte auf ihre Liste. „Es fehlt wirklich nur noch diese eine Zutat!“ Das musste es sein! Die Tatsache, dass sie schon so weit waren, musste am Vortag in ihm Glücksgefühle ausgelöst haben. Etwas Anderes konnte es gar nicht sein! Für Lily unerwartet stand er auf und zog sie vom Stuhl. „Dann lass uns nach der letzten Zutat suchen!“ Inzwischen war es in der Bibliothek recht leer. Die Schüler freuten sich auf das bevorstehende Wochenende und die Hogsmeade-Priviligierten nahmen letzte Bestellungen entgegen. Es wurde gerätselt, wann es wohl das erste Mal in diesem Winter schneien würde. Die Wolken wurden immer dicker und schwerer. Zwischen den Regalen für Zaubertränke und Kräuterkunde wurden die Kerzen immer kleiner und nur noch wenig Wachs blieb für die restliche Nacht übrig. „Also die Pflanze in dem Buch, das ich Gestern hatte, war es nicht“, erklärte Lily und ging suchend neben einem Regal her. Severus, der auf der anderen Seite des Regals suchte, schaute sie durch eine Lücke hinweg an. „Woher weißt du das jetzt so genau?“ Lily blieb zögernd stehen und schaute ihn verlegen durch die Buchlücke an. „Ich... ja, weißt du... gestern Abend, nachdem du um die Ecke verschwunden warst... bin ich noch einmal in die Bibliothek gerannt. Ich habe gewusst, dass wenn ich nicht nachschauen würde ob es die richtige Pflanze war, dann hätte ich nicht schlafen können.“ Severus schaute sie wenige Sekunden an. Dann schüttelte er den Kopf und ging weiter. „Du spinnst.“ Lily wusste erst nicht, ob sie diese Bemerkung als etwas Gutes oder etwas Schlechtes auffassen sollte. Schließlich entschied sie sich einfach dafür, weiter zu suchen. Severus auf der anderen Seite beschäftigte jedoch etwas vollkommen Anderes. Was Lily hatte nicht sehen können, war, dass sich etwas in seinem Gesicht geregt hatte, nachdem sie von ihrem kleinen nächtlichen Ausflug erzählt hatte. Verwirrt betastete er sein Gesicht. Er hatte deutlich gespürt, wie seine Mundwinkel gezuckt hatten und wie in ihm etwas hatte hoch kommen wollen. Dieses Gefühl hatte er schon lange nicht mehr... Er hatte schon lange nicht mehr gelacht. Noch mehr schockierte es ihn, dass ihm ihre Geschichte gefallen hatte! Oder hatte sie ihm gefallen? „Severus?“, fragte Lily und riss ihn aus seinen Gedanken. Etwas durcheinander schaute er sie an. Er war am Ende des Regals angekommen, dort stehen geblieben und hatte es gar nicht bemerkt. „Irgendwie bist du heute nicht so ganz bei der Sache, Severus“, meinte Lily und betrachtete ihn kritisch. „Sollen wir für heute lieber Schluss machen?“ Severus schüttelte den Kopf. „Ich war nur... in Gedanken“, murmelte er. Nachdenklich betrachtete er die Buchreihen. „Und wo sollen wir jetzt genau nach dieser Pflanze suchen?“ Lily strich sich die Haare aus dem Gesicht und pfiff zischend die Luft durch die Zähne. „Tja, ich habe keine Ahnung“, gab sie zu, lehnte sich gegen das Regal und dachte nach. Auch Severus dachte nach. Aber wohl über ein völlig anderes Thema. In Gedanken betrachtete er die Rothaarige und spürte wieder, wie seine Mundwinkel zuckten. Unauffällig drehte er den Kopf weg und strich mit den Händen über sein Gesicht. Verdammt! Was war nur los? „Ich hab's!“, rief Lily plötzlich und ignorierte den empörten Hinweis von Miss Winsdam, dass Ruhe in der Bibliothek herrschen sollte. „Er hat Wasser erwähnt! Aber so, wie er es in den Text eingebaut hat, klang es zuerst wie eine kleine Nebensächlichkeit, die auch nichts mit der Pflanze zu tun hat. Aber das ist es gerade nicht! Wenn man den Satz richtig auseinander nimmt, dann erkennt man, dass es eine wichtige Information ist. Das, was wir suchen, ist eine Wasserpflanze! Eine Wasserpflanze, Severus!“ Sie griff nach seiner Hand und zog ihn weiter zu den Regalen für Wasserbiologie. Severus zuckten wieder die Mundwinkel. Jedoch bemerkte er dies nicht, denn er hatte nur noch die kurz bevorstehende Lösung vor Augen. „Hast du schon was gefunden, Severus?“, fragte Lily und erhaschte einen Blick zu ihm durch die Bücherlücken. „Nein, gar nichts“, antwortete er betrübt. Jegliches Siegesgefühl, das sie anfangs verspürt hatten, war verschwunden. Seit einer halben Stunde durchforsteten sie nun schon zig Bücher über Wasserbiologie und Wasserkräuterkunde, aber alles hatte sich bis jetzt als Fehlanzeige entpuppt. „Oh, Alan Geflic!“, murmelte Lily und zog ein Buch aus der Reihe. „Der Mann ist einfach nur genial! Er war derjenige, der rausgefunden hat, dass der sonst als giftig geltende Russchwanz-“ „Diese schwarze Pflanze, die nur an den Klippen im Atlantik wächst?“, fragte Severus dazwischen. „Genau die! Nimmt man den Russchwanz in einer ganz bestimmten Menge, nicht mehr und nicht weniger zu sich, dann wirkt er nicht hochgradig giftig, sondern hat eine besondere Heilwirkung, die sonst kein anderes Gewächs hervorbringen kann.“ Nachdenklich betrachtete sie das Buch und schob es wieder ins Regal. „Aber das Ministerium verbietet die Anwendung des Russchwanzes. Obwohl es so vielen Menschen helfen könnte. Denk mal an die ganzen armen Menschen, die im St. Mungo liegen und denen man nicht helfen kann. Aber eigentlich... Nein, es ist zu gefährlich. Nur ein halbes Gramm zu viel und der Russchwanz führt zum Tod.“ Severus musste grinsen. Natürlich wusste er vom tödlichen Russchwanz, der gleichzeitig heilend sein kann. Aber sie war so begeistert, davon zu erzählen... Moment. Er musste grinsen? „Das gibt es doch nicht!“, brodelte Lily vor sich hin und kam zum Ende der Buchreihe. „Was gibt es nicht?“, fragte Severus und ließ das Grinsen endlich verschwinden. Das ganze Rumgegrinse wurde ihm allmählich unheimlich... Er erreichte nun auch das Ende der Buchreihe. Lily lehnte sich gegen ein Wandregal und gähnte kurz. „Es gibt hier kein einziges Buch von Ferdinand Whimp. Ich suche seit zwei Jahren nach seinem Buch über tödliche und heilende Zaubertränke. Aber das Buch wird nicht mehr gedruckt. Keine Ahnung warum... Severus, was ist los?“ Der Schwarzhaarige schaute auf das Regal hinter ihr und zog die Augenbraue zusammen - soweit man das an der einen zu sehenden Braue beurteilen konnte. Plötzlich packte er Lily und zog sie zu sich her. Nur eine halbe Sekunde später polterten zig Bücher vom Regal und prasselten wie bei einem Wasserfall herunter. Ein verrücktes Lachen ertönte und ein Geist kam aus dem Regal. Irre lachend schwebte er eilend davon, nicht ohne Miss Winsdam vorher noch einmal geärgert zu haben. „Verdammter Peeves“, grummelte Severus, ließ Lily los und machte sich daran, die Bücher einzuordnen. Lily stand etwas verdattert da und betrachtete die Massen an Büchern, die nun vor ihr lagen. Kurz zuvor war sie da noch gestanden. Hätte Severus sie nicht weggezogen... Zögernd machte auch sie sich daran, die Bücher aufzuräumen. „Danke.“ Severus schaute sie verwirrt an. „Für was?“ Nach einem Moment lächelte sie und schüttelte den Kopf. „Ach nichts.“ Während sie Buch für Buch wieder einordneten durchblätterte Lily einige Exemplare, stieß hin und wieder auf interessante Artikel und fragte Severus etwas, das immer mit „Wusstest du, dass...?“ anfing. Anfangs antwortete Severus noch sehr einsilbig („Ja.“ oder „Nein.“), aber nach und nach ging er auf die Themen ein und stellte selbst „Wusstest du, dass...?“-Fragen. Auf diese Weise erfuhren sie, dass sie gemeinsam eine ganze Menge wussten. Und je länger sie sich unterhielten, desto interessanter wurden die Gespräche oder die Themen. Severus fiel auf, dass Lily oft lachte. Immer wenn einer von ihnen den Satz des Anderen beendete, lachte sie und strich sich die Haare wieder hinters Ohr. Sollte er das etwa auch machen? Über alles lachen und ständig irgendwas an den Haaren herumfummeln? Potter machte das auch. Und - das fiel ihm gerade auch noch ein – die meisten anderen Mädchen und manche Jungs auch. Sollte er das auch machen? Er verstand das alles irgendwie nicht. Warum musste man über alles lachen? Irgendwann sprang Lily plötzlich auf und rannte zum Fenster. „Severus, es schneit! Schau doch!“ Tatsächlich fielen große weiße Schneeflocken vom Himmel und bedeckten nach und nach die Ländereien von Hogwarts. Der verbotene Wald bekam ein weißes Dach und auch auf die peitschende Weide setzten sich die Flocken. Nicht nur Lily stand in diesem Moment am Fenster. Einige Schüler in Hogwarts betrachteten begeistert den ersten Schnee. Doch Severus hatte etwas ganz Anderes entdeckt. „Lily, ich habe unsere Pflanze gefunden!“, rief er und zeigte auf das dicke Buch, das in seinem Schoss lag. Überrascht schaute Lily ihn an. Nicht nur darüber überrascht, dass sie nun die Lösung ziemlich zufällig gefunden hatten. Mehr darüber, dass Severus sie zum ersten Mal mit dem Vornamen angesprochen hat. Kapitel 5: Hogsmeade -------------------- Endlich war Samstag. Die Schüler erwarteten sehnsüchtig das Frühstück, nach dem es endlich nach Hogsmeade gehen sollte. Die Jüngeren nutzten den freien Tag und tobten im Schnee, während die Älteren noch versuchten, auf die Schnelle ein Date zu bekommen. Grübelnd saß James im Schlafsaal seiner Klassenstufe. Remus laß in einem Schulbuch, während Sirius und Peter sich gegenseitig ein paar Kissen um die Ohren hauten. „Mensch, Moony!“, beschwerte sich Sirius und nahm Peter in den Schwitzkasten. „Du bist dir doch sicherlich darüber im Klaren, dass heute Samstag ist. Ein freier Tag. Ein schulfreier Tag!“ „Natürlich, Sirius. Und du bist dir auch sicherlich darüber im Klaren, dass wir demnächst Prüfungen haben.“ Sirius verwarf das mit einer Handbewegung. „Leute, ich muss mich konzentrieren!“, beschwerte sich nun James und nahm seinen beiden Kumpels die Kissen weg. „Wie soll ich Lily beschatten und aus Snapes dreckigen Fingern reißen, wenn ich doch ganz Anderes zu tun habe?“ „Was hast du denn zu tun?“, fragte Peter und zog seine Klamotten zurecht. „Wir gehen nach Hogsmeade. Da heißt es, sich zu betrinken, was sonst? Außerdem hab ich keine Lust, irgendwo draußen zu warten und zu frieren. Aber trotzdem muss ich doch wissen, was bei Lily los ist!“ Stille legte sich über den Raum. Remus seufzte und sagte ohne von seinem Buch aufzublicken: „Warum benutzt du nicht einfach einen Mithörer?“ „Einen Mithörer?“, fragten die anderen Drei im Chor. „Mensch Jungs, ihr solltet mehr in Zauberkunde aufpassen!“ Er stand auf, ging ans Fenster und griff blitzschnell nach einem kleinen Käfer. Etwas murmelnd schwang er den Zauberstab, woraufhin aus dem einen Käfer zwei wurden - einer in Rot, der andere mit einer schwarzen Färbung. Beide streckte er James entgegen. „Den roten steckst du dir ins Ohr und den schwarzen bringst du irgendwo bei Lily unter. Vielleicht auf den Umhang, oder so.“ „Und dann?“, fragte James und betrachtete die zwei erstarrten Käfer. „Dann... kannst du alles hören, was in Lilys Umgebung gesprochen wird. Der Käfer bei ihr hört alles mit und der Käfer in deinem Ohr gibt dir alles wieder.“ „Das ist ja schlau!“, rief Peter und starrte begeistert die Käfer an. „Das ist wirklich praktisch“, gab Sirius zu. „Bestimmt benutzen Reporter und Detektive solche Mithörer.“ „Eher selten“, entgegnete Remus. „Sie haben nämlich einen Haken. Du kannst nicht erkennen wer was sagt. Es wird nur die Sprechinformation weitergegeben, aber nicht die Stimmhöhe oder Stimmlage.“ Er schaute zu James. „Aber sollte Lily mit Snape was unternehmen, wirst du es sicherlich erkennen.“ „Klasse!“, rief James, sprang auf und schnappte sich die Käfer. „Gehen wir zum Frühstück!“ Im Speisesaal war ein Lärm wie es ihn nur selten zu hören gab. Vor lauter Aufregung bekamen die meisten Erst-Hogsmeadeler kaum einen Bissen runter. Die Rumtreiber waren die letzten, die zum Frühstück kamen. Manche der jüngeren schauten ihnen hinterher. Sie waren auf ganz Hogwarts berüchtigt und bekannt wie ein bunter Hund. Auch einige der Mädchen warfen den dreien heimliche Blicke zu. Ein Vierter? Peter Pettigrew? Ach, der war nur „der“, der das Glück hatte, den drei Göttern Gesellschaft leisten zu dürfen. Remus galt zwar nicht als Taugenichts. Dafür aber als intelligenter und nicht unattraktiver Typ. Außerdem war er ruhig und mysteriös und darauf standen nun eben die Mädchen. Während die vier an den Tischreihen vorbei liefen, schubste James Peter unauffällig, woraufhin dieser auf Lily und Emilie fiel. Schnell sprang der Schwarzhaarige hinterher und zog den dicklichen Jungen von den Mädchen weg. Unauffällig befestigte er dabei den schwarzen Käfer an Lilys Umhang. „Verzeiht diesen ungehobelten Angriff meines Freundes auf euch, werte Damen. Ich werde dafür sorgen, dass das nie wieder passieren wird“, säuselte James und verbeugte sich. „Verzieht euch einfach“, sagte Lily deutlich genervt, während Emilie verlegen kicherte. Als die Jungs schließlich an ihren Plätzen saßen, wollte James sich den Käfer schon ins Ohr stecken, als Remus ihn davon aber abhielt. „Da gibt es noch was. Die Funktion des Mithörers hält nur zwei Stunden an. Aktiviere ihn erst, wenn du sie aus den Augen verlierst.“ James nickte und steckte den Käfer in die Hosentasche. Während er sich über das Frühstück her machte, warf Peter ihm einen düsteren Blick zu. Warum musste James ihn immer überall schlecht machen? Unruhig rutschte Emilie auf der Bank hin und her. Schon den ganzen Morgen warf sie ein Strahlen in die Runde. „Emilie, jetzt iss doch bitte was“, versuchte Lily sie zu überreden. „Es geht nicht! Ich bin doch so aufgeregt.“ Der Grund dieses Aufruhrs war Dean Stephew aus der 7. Klasse. Er, der Grund der schlaflosen Nächte Emilies und das Hauptthema all ihrer Gespräche, hatte sie tatsächlich am Vorabend um ein Date am Hogsmeadetag gebeten. Emilie konnte in der Nacht kaum schlafen und hatte auch Lily um den Schlaf gebracht, indem sie ständig nur von ihm geredet hatte. Das ständige Quieken hatte auch die anderen drei Mädchen aus ihrem Schlafsaal wach gehalten, sodass die Mädchen der 6. Klasse am Gryffindortisch wegen Schlafmangel eine äußerst schlechte Laune hatten – Emilie ausgeschlossen. Ein Schrei riss Lily aus ihren Gedanken. Durch eine ungeschickte Bewegung hatte Emilie ihr Glas Orangensaft umgeworfen. Der klebrige Fruchtsaft hatte sich über den halben Tisch verteilt und tropfte schließlich in nicht geringen Mengen auf Emilies Umhang. „Lily, was soll ich denn jetzt machen?“, jammerte Emilie und begutachtete ihren Umhang. „Ich habe keinen anderen Wintermantel. Und so-“, sie hob den nassen Teil des Mantels hoch, „kann ich unmöglich zum Date mit Dean!“ Lily schwang ihren Zauberstab woraufhin die Flüssigkeit verschwand – aber die Klebrigkeit blieb. Sie seufzte. „Wir tauschen. Wenn wir draußen sind gebe ich dir meinen und ich nehme deinen Umhang, ok?“ Die Luft draußen war eisig kalt. Alles war von einem blendend weißen Schnee bedeckt. Die Oberfläche des Sees war zugefroren und der Hüter der Hogwartsländereien klopfte wie jeden Winter Schilder ans Ufer, die das Schlittschuhfahren strengstens untersagten, da das Kratzen und Schieben den Kraken wütend machte. Der verbotene Wald schien seine Finsternis verloren zu haben und sah wie ein normaler ungefährlicher Wald aus. Lärmend verließen Schüler das Schloss und begaben sich auf den Weg in Richtung Hogsmeade. Mit Vorfreude beschleunigten die meisten die Laufgeschwindigkeit und redeten über die Läden, die sie noch unbedingt besuchen wollten. Die Drei Besen war wohl das am meisten erwähnte Ziel. James zählte ein weiteres Mal sein Geld. „Das reicht für ein paar Süßigkeiten und für mindestens 5 Butterbiere.“ Grinsend steckte er das Geld wieder ein. Sirius legte einen Arm um seine Schulter. „Was jetzt? Nur 5 Butterbiere? Das ist viel zu wenig, mein Guter. 7 müssen schon drin sein.“ James nickte mit gespielt wichtiger Miene. „Da hast du Recht, Sirius.“ „Müsst ihr euch immer besaufen?“, fragte Remus genervt und betrachtete die Landschaft. „Genau. Ich will auch nicht so viel trinken...“, murmelte Peter. „Was ist los, Dicker?“, rief James und drehte sich zu Peter um, der sich nach den Ansichten James' soeben geoutet hatte. „Bist du ein Mädchen oder was?“ Peter lief rot an. „N-nein!“ „Also wirst du dich wohl mit uns betrinken“, legte James fest und ging mit Sirius weiter. Finster schaute Peter ihm hinter her. Hogsmeade war in ein strahlendes Weiß gehüllt. Von den Läden stieg dunkler Rauch aus den Schornsteinen. Die Bäckereien und Konditoreien lockten mit herrlichen Düften und aus den Drei Besen drang flotte Musik. Die Modeboutiquen stellten ihre besten Stücke in den Schaufenstern aus und der Honigtopf warb mit den leckersten Süßigkeiten wie Berty Bots Bohnen, Schokofröschen, Quacksalberpillen und Flippfloppzungen. Die Schüler aus Hogwarts stürzten sich in die Cafés und die Läden. Aufgeregt umarmte Emilie Lily. „Wie ich dich kenne, wirst du wohl in Sams Bücherladen und Schreibwarenhandel gehen“, sagte die Schwarzhaarige mit einem Grinsen. „Jopp“, antwortete Lily und lächelte. „Dir wünsch ich viel Glück mit Dean.“ „Danke. Oh, ich bin ja so aufgeregt. Warte lieber nicht auf mich. Ich weiß nicht, wie lange das gehen wird. Bist du später in den Drei Besen?“ „Ach, ich weiß noch nicht... Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Kommt drauf an, ob ich noch Lust dazu habe.“ „Na ja... Ich hoffe, du wirst dich nicht langweilen.“ Emilie umarmte ihre beste Freundin und betrat das Café, in dem sie Dean treffen sollte. Lily stand noch etwas verloren da und schaute um sich. Überall waren fröhliche Schüler, die sich mit ihren Freunden einen schönen Tag machten. Unentschlossen ging sie schließlich in Sams Bücherladen. Sie würde schon irgendetwas Interessantes finden... Der Nachmittag verging und James saß an seinem fünften Butterbier. Lachend und grölend saßen er und seine Freunde in einer Ecke in den Drei Besen und tranken auf ihr Wohl. Schon sehr angeheitert erzählte Sirius von seinen Streichen aus den Sommerferien. Remus, der erst bei seinem zweiten Bier war und sich aus der Party etwas raushielt, beugte sich zu James. „Hörst du sie schon ab?“ „Was?“ „Ob du Lily schon mit dem Mithörer belauschst?“ „Oh scheiße!“, rief James und schmiss fast seinen Krug um. „Das habe ich total vergessen!“ Hastig steckte er sich den roten Käfer ins Ohr. Nachdem er eine Weile in die Luft gestarrt hatte, wurde er plötzlich käsebleich. „Was ist?“, fragte Remus und betrachtete besorgt seinen Kumpel. „Sie... sie... flirten!“ Remus nahm den Käfer an sich und steckte ihn sich ins Ohr. Tatsächlich! Sirius und Lily... Das hatte er ehrlich gesagt nicht erwartet. Trotzdem grinste er. „Weißt du, dass ich dich schon immer total süß fand?“ „Ach... hör auf.“ „Nein wirklich... Ich hatte mich nur nie getraut dich anzusprechen.“ Irgendwie kam ihm das falsch vor. Das konnten doch nie im Leben Lily und Snape sein! Panisch holte sich James den Käfer wieder zurück. „Ich muss sie finden und das verhindern, was kurz bevor steht!“ Hektisch sprang er auf und taumelte ein bisschen. „James, du bist betrunken!“ „Mir egal“, entgegnete James und stürmte aus dem Pub. Remus rannte ihm hinterher. Und Sirius und Peter? Die bemerkten gar nicht, dass die beiden weg waren. In Panik rannte James etwas unkoordiniert durch Hogsmeade. Remus verfolgte ihn so gut es ging und versuchte, ihn zu beruhigen, doch der Schwarzhaarige hörte ihm gar nicht erst zu. „Im Hintergrund ist Geschirrgeklapper zu hören, also müssen sie im Café sitzen.“ Taumelnd bog er um die nächste Ecke in Richtung Madam Puddifoot's Café. „I-ich... habe eine Frage...“,stotterte es in seinem Ohr. „Darf ich dich... küssen?“ „ARGH!“, schrie James und blieb stehen. „Was ist, was ist?“, fragte Remus außer Puste. „Snape will sie küssen!“ Er eilte die letzten Meter zum Café weiter und stürmte in den beheizten Raum. Panisch schaute er um sich. Nirgends war eine Lily oder ein Snape zu sehen. Er entdeckte die Freundin von Lily – Emma oder so ähnlich hieß sie – und beschloss, diese zu fragen. Was er jedoch nicht sah, war, dass sie und Dean kurz davor waren, sich zu küssen. Er stolperte gegen den Tisch und rief hektisch: „Emma! Wo ist Lily?“ „W-was?“, stotterte Emilie, nachdem sie und Dean auseinander geschreckt waren. „Wo. Ist. Lily?“ „James, du Idiot! D-du... Du hast gerade den schönsten Moment meines Lebens zerstört!“ Zitternd fing sie an zu weinen. „Wo ist Lily, Emma?!“, rief James noch einmal. Dean nahm die weinende Emilie in den Arm und schnauzte James an. „Potter, du bist betrunken! Verschwinde endlich!“ „Wo ist Lily?“ James wurde von einem Hünen gepackt und rausgeworfen, der für das Café arbeitete. Remus, der lieber draußen gewartet hatte, half ihm, aufzustehen. Er hatte die Szenerie von draußen aus beobachtet, und so etwas hatte er sich schon gedacht. James hatte wohl im Speisesaal den Käfer aus Versehen an Emilie angebracht. Snape würde nie so reden, wie es dieser Dean getan hatte. James war verzweifelt und da half nur eines: Butterbier. Die Glocke an der Tür klingelte leise, als Lily Sams Schreibwarenhandel verließ und in den Schnee hinaus trat. Ihre Umhängetasche hing schwer von neuen Pergamenten, neuer Tinte und zwei Fachbüchern über ihrer Schulter. Die Straße war mittlerweile leerer geworden. Der Hogsmeadetag neigte sich dem Ende zu und da ging fast jeder in die Drei Besen, um gemütlich zum Abschluss etwas zu trinken. Lily dachte an den dunklen, stickigen, mit Rauch gefüllten Schankraum und beschloss, sich das nicht mehr anzutun. Alleine machte das sowieso keinen Spaß. Schlendernd ging sie die Kaufpassage entlang und betrachtete die ausgestellten Waren in den Schaufenstern. Kitsch und Werbungen für Geschenkideen für das bevorstehende Weihnachtsfest häuften sich. Den Kopf schüttelnd ging Lily weiter. So viel Stress und Trubel um ein Fest, das für Gemütlichkeit stehen sollte. In Gedanken versunken verließ sie Hogsmeade und folgte der Landstraße, die zur Schule zurück führte. Um sie herum erstreckte sich eine weiße Landschaft, die zart und zerbrechlich schien. Sanft rieselten wieder kleine Schneeflocken vom grauen Himmel und verliehen der Welt etwas Beruhigendes und... Zauberhaftes. Plötzlich ertönten hinter ihr Schritte im Schnee. James ließ betrübt den Kopf hängen, sodass seine Nasenspitze fast den Rand seines Kruges berührte. In den Drei Besen herrschte reges Treiben. Überall saßen kleine Grüppchen von Hogwartsschülern, die den Rest ihres freien Tages feierten. Die Bewohner des Dorfes mieden grundsätzlich den Hogsmeadetag der Schüler, sodass kein unbekanntes Gesicht zu sehen war. „Wo 's nu' 'ily?“, murmelte James vor sich hin und hielt sich an seinem Krug Butterbier fest. Remus ignorierte das immer noch anhaltende Gejammer seines Freundes und beobachtete die Menge vor sich. Peter saß in der Ecke der Nische, in der sie sich befanden, und schien kurz vorm Einschlafen zu sein. Um Sirius hatten sich drei Mädchen versammelt, die er genugtuend mit einem charmanten Grinsen empfing. Andere Mädchen saßen ein wenig entfernt von den Jungs und betrachteten besorgt James. Wie konnte ein so charmanter Junge nur so unglücklich wirken? Remus schüttelte den Kopf. Dass ein eigentlich so schöner gemütlicher Tag immer so enden musste... Sie hob den Krug und nippte an ihrem Butterbier. Schüchtern schaute sie unauffällig durch ihre Haare hinüber zu Remus. Doch dieser beachtete nur die Mädchen – die um einiges schöner waren als sie – vom Nachbartisch. Warum musste sie auch so hässlich sein? „Hallo Severus“, begrüßte Lily überrascht die auf sie zukommende Person, die sogar im dicken Winterumhang dürr aussah. In dem hellen Weiß des Schnees wirkte Severus noch bleicher als sonst. „Gehst du auch schon zurück?“ Severus blieb vor ihr stehen. „Äh... ja. Ich... musste nur wenige Besorgungen in Hogsmeade machen.“ „Und in die Drei Besen gehst du nicht?“ „Du doch auch nicht.“ Alles wirkte so ruhig. Der Schnee fiel sanft auf die weiße Landschaft. Plötzlich drang lautes Gelächter von Hogsmeade bis hinauf zu dem Weg, auf dem die beiden standen. „Ach, wozu auch?“, seufzte Lilly. „Ist doch eh nur stumpfsinniges Betrinken. Da habe ich Besseres mit meiner Zeit und meinem Geld anzufangen.“ Sie betrachtete verträumt die schneebedeckten Felder und Wälder, die sie umgaben. „Schau es dir nur an, Severus! Ist es nicht wunderschön?“ Schweigend betrachteten sie zusammen das Bild das sich ihnen bot. „Ich liebe den Schnee. Er hüllt die Welt in einen Mantel und wir können nur erahnen, was darunter verborgen ist. Und dann, wenn wir es vor Ungeduld kaum aushalten können, passiert es einfach. Es wird Frühling und alles ist grün. Ich finde es so schön, wenn nach und nach kleine grüne Knospen an den kahlen Bäumen zu sehen sind. Es ist, als würde der Schnee der Natur erlauben, über den Winter eine Pause zu machen.“ Sie lachte und konnte ihren Blick wieder nicht von der Schneedecke nehmen. „Lily?“, unterbrach Severus sie vorsichtig in ihrem Schwärmen. Nachdem sie sich von der Natur abwenden konnte, öffnete er seine Tasche, zog ein schweres Buch daraus hervor und gab es Lily. „Du kannst es haben, wenn du willst.“ Erstaunt betrachtete sie den Einband. 'Ferdinand Whimp – Zaubertränke zum Töten und Heilen' stand in geschwungenen Buchstaben auf dem schon sehr abgenutzten Buchdeckel. „Es sind ein paar handschriftliche Skizzen und Notizen von mir drin, aber die sollten dich nicht stören“, sagte Severus und betrachtete das Buch. „Ach, und der Einband ist schon ein bisschen ramponiert, aber---“ „Severus! Wie... ich meine... woher...?“ „Wir haben noch ein zweites Exemplar zu Hause. Dieses hier habe ich geschenkt bekommen, aber ich habe es schon so oft gelesen, dass ich es nicht mehr---“ Eine stürmische Umarmung von Lily unterbrach ihn in seiner Erklärung. „Oh Severus! Ich habe so lange nach diesem Buch gesucht. Vielen lieben Dank!!“ Überglücklich betrachtete sie das Buch und blätterte darin ein wenig. Severus derweil war ein wenig... verwirrt. Hatte sie ihn gerade tatsächlich umarmt? So nah war ihm seit Jahren schon keiner mehr gewesen... „Severus?“ „Ja?“ Erschrocken drehte er sich zu ihr um. „Gehen wir gemeinsam zurück zum Schloss?“ Kapitel 6: Das Kapitel der unwichtigen Nebencharaktere ------------------------------------------------------ Am Sonntag Morgen war es in der Großen Halle so laut wie noch nie. Der Hogsmeadetag lag den Schülern noch frisch in der Erinnerung… Oder schwer in den Gliedern. Stöhnend versuchte James, den Lärm um sich herum zu ignorieren. Kreidebleich im Gesicht saß er am Frühstückstisch und bekam doch keinen Bissen runter. Auch Sirius saß etwas abwesend da und schien, mit dem Spiegelei vor sich telepathisch Kontakt aufnehmen zu wollen. „Du brauchst dich gar nicht beschweren, James“, entgegnete Remus, als ihm James’ Gejammer über dessen Kopfschmerzen zu viel wurde. „Es hat dich niemand gezwungen, Butterbier in solchen Mengen zu trinken.“ James zog die Augenbrauen zusammen und schien zu überlegen, ob dies wirklich der Fall gewesen war. Munter aß Peter sein Frühstück. Er war froh, dass er am vorherigen Abend nach dem ersten Butterbier so getan hatte, als würde er schlafen, damit er nicht mehr hatte trinken müssen. Nach einer Weile meinte James, dass er sich gleich wieder hin legen würde. Remus musste ein erleichtertes Aufatmen unterdrücken. Er hatte schon befürchtet James’ Jammern vom vorherigen Abend weiter anhören zu müssen. Mit einem Blick auf seine Uhr verabschiedete er sich und ging in die Bibliothek. Sirius saß gelangweilt im Gemeinschaftsraum und starrte auf die weiße Schneelandschaft hinter dem Fenster. Warum musste James gerade heute so fertig sein?! Die Lehrer hatten ihnen großzügiger Weise wegen des Hogsmeadetages weniger Hausaufgaben als sonst gegeben. Und was macht James? Säuft sich zu, als wäre die Welt untergegangen. Da fiel Sirius plötzlich ein: Was war eigentlich passiert? Ab einem bestimmten Punkt war seine Erinnerung irgendwie sehr… verschwommen. Seufzend erhob er sich aus seinem Sessel und ging zum Portraitloch. Irgendwo im Schulgebäude würde er schon ein Opfer finden, das er ärgern könnte. Von den sehnsüchtigen Blicken, die ihm so manches Mädchen im Raum hinterher warf, merkte er nichts. Und als er jemanden umrempelte, der aus dem Portraitloch gestiegen kam, drehte er sich nicht einmal nach diesem um – so schlechte Laune hatte er. Emilie betrachtete sich im Spiegel der Mädchentoilette. Ihre Augen waren immer noch rötlich und ihre Haare sahen aus, als hätte sie die Nacht damit verbracht Purzelbäume zu schlagen. Wütend schlug sie wieder aufs Waschbecken. Dieser verdammte James! Er hatte ihr den schönsten Tag in ihrem Leben versaut. In Hogsmeade war nicht mehr viel los gewesen. Dean hatte sie zwar getröstet, wie kein anderer sie je hätte trösten können, und seine Hand auf ihrem Rücken hatte einen Schauer nach dem anderen durch ihren Körper gejagt. Aber das Gefühl, das sie kurz vor James’ Störung gemeinsam hatten, kam während des restlichen Tages nicht wieder. Betrübt hatte sie an diesem Morgen alles Lily erzählt. Diese hatte ihr nur gesagt, sie solle doch mit Dean noch mal reden, aber Emilie wusste - sie wusste es einfach - dass Dean sicherlich nicht mehr mit ihr reden wollte. Sicherlich dachte er jetzt von ihr, dass sie eine Heulsuse sei und eine ganz unausstehliche Person. Sie wusste es einfach! Anders konnte es nicht sein!! In schweren Gedanken vertieft, kehrte sie zurück in den Gemeinschaftsraum. Kaum als sie drin war, stürmte jemand an ihr vorbei aufs Portraitloch zu und schubste sie aus Versehen. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte nach hinten, als sich zwei Arme um sie schlossen. „Da bist du ja!“ Verdutzt blickte sie hoch in Deans lächelndes Gesicht. Dean half ihr auf. „Ich habe dich den ganzen Morgen gesucht! Komm mal mit!“ Er griff nach ihrer Hand und zog sie raus aus dem Gemeinschaftsraum hinter sich her. „Dean, was-“ „Komm einfach mit! Ich möchte dir etwas zeigen!“ Überrumpelt mit dieser Situation wehrte sich Emilie kaum gegen diese Entführung und ließ sich von Dean führen. In einer engen Wendeltreppe, die hoch zur Eulerei führte, bat Dean sie, die Augen zu schließen. Schüchtern kichernd folgte sie seiner Bitte und ließ sich weiterhin vorsichtig von ihm führen. Als ein eisigkalter Wind ihr ins Gesicht wehte, trat sie reflexartig näher an den wärmenden Körper Deans heran, um kurz danach zu merken, was sie da tat und einen Schritt zurück zu gehen. „Oh, tut mir leid. Ich habe vergessen, dass du gar keinen Mantel trägst…“, murmelte Dean und blieb zögernd stehen. „Ach, d-das macht nichts“, sagte sie mit einem Lächeln und versuchte weiterhin die Augen geschlossen zu halten. Als er einen Arm um sie legte und sagte: „Komm, nur noch ein paar Schritte“, wusste sie, dass auch er lächelte. Remus ging suchend durch die Bücherreihen. Irgendwo musste doch das Buch sein, das ihm Professor Obelt geraten hatte. Nachdem er das Regal nun schon drei Mal abgesucht hatte, seufzte er und zog seinen Zauberstab. „Accio Buch ‚William Shork – Verwandlung hin und her’.“ „Hey!“, kam plötzlich ein aufgebrachter Schrei. Remus stürzte aus dem Gang und sah ein eigenartiges Szenario vor sich. Ein schwarzhaariges Mädchen versuchte verzweifelt, ein Buch festzuhalten, das in der Luft flog und zappelte. Schließlich wand sich das Buch aus ihrem Griff, woraufhin das Mädchen vornüber auf den Boden fiel. Lachend fing Remus das auf ihn zukommende Buch auf und half dem Mädchen, aufzustehen. „Tut mir leid. Hab nicht gewusst, dass du das Buch hast.“ Ein bisschen ängstlich schaute das Mädchen ihn an. Sie war für ein Mädchen recht groß (fast so groß wie Remus) und wirkte durch ihre Größe noch hagerer, als sie es ohnehin schon war. „Was machst du mit dem Buch?“, fragte Remus und zeigte auf ihre Schmierzettel, die auf dem Tisch vor ihnen verteilt lagen. „I-ich… lerne.“ „Aus dem Buch hier?“, fragte Remus überrascht. „Bist du nicht aus der 5.? Das ist Stoff für die 7.!“ „I-ich weiß“, sagte sie mit gesenktem Kopf, vermied somit den Blickkontakt, und schob ein paar Zettel zusammen. „Aber es ist so langweilig in meinem Kurs in Verwandlung. Was wir da machen ist so einfach…“ Hastig packte sie ihre Sachen zusammen. „D-du kannst das Buch haben. Ich… muss weg.“ Ohne ihn noch einmal anzusehen drehte sie sich um und wollte gehen, als Remus sie noch an der Schulter festhielt. „Hey, warte! Wir können das Buch doch gemeinsam benutzen! Ich muss nur hin und wieder etwas darin nachschauen.“ Verwirrt schaute sie ihn an, als er sich setzte. „O-ok…“ Langsam setzte sie sich hin und holte zögernd ihre Notizen raus. „Du bist aus Ravenclaw, richtig?“, fragte Remus, während er in dem Buch blätterte. „Ja.“ „Und wie heißt du?“ Er schaute sie an. Sie zögerte. „… Trudy.“ „Freut mich.“ Er reichte ihr die Hand und lächelte. „Ich bin Remus.“ „Du kannst die Augen jetzt wieder öffnen“, flüsterte Dean, als er sie an die richtige Stelle führte. Es war überwältigend, was sich Emilie nun bot. Die Landschaft unter ihr war ganz in weiß gehüllt und die Sonne ließ den Schnee glitzern, sodass er wie ein Teppich aus Diamanten wirkte. Emilie konnte von dort oben Hogsmeade ausmachen und der Verbotene Wald schien sich meilenweit in die Ferne zu erstrecken. Selbst die peitschende Weide wirkte durch den funkelnden Schnee friedlich. „Oh, Dean. Das ist wunderschön. Wieso ist mir das nie aufgefallen? Ich bin so oft hier oben.“ Strahlend drehte sie sich zu ihm um. „Danke sehr. Es ist echt---“ Mit klopfendem Herzen hielt sie inne. Sie hatte erst gar nicht gemerkt, dass sie so nah beieinander standen. Dean lächelte, legte eine Hand an ihre Wange und kam näher... Die Eulen kreischten. Einige flogen aus der Eulerei und direkt auf Dean und Emilie zu. Erschrocken duckten sich die beiden, um den Tieren auszuweichen. In der Eulerei lachte Peeves irre (wie auch sonst?) und wirbelte weiter um die verschreckten Eulen. „Schnell, weg von hier“, sagte Dean, griff nach Emilies Hand und zog sie die Treppen wieder runter. Unten im sicheren Gang seufzte sie. Irgendwie war es wie verhext. Schlecht gelaunt verließ Sirius das Schloss. Nirgends war jemand Geeignetes, den er hätte ärgern können. Als er das Gelände betrat musste er erst einmal blinzeln. Das helle Weiß des Schnees blendete seine Augen, die an das Dunkle innerhalb des Schlosses gewohnt waren. Zögernd blieb er stehen. So, jetzt war er draußen, aber was sollte er nun machen? Als er über das Gelände schaute, stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht. War das dort hinten nicht Snape? Vergnügt rannte er auf ihn zu. Das würde einen Spaß geben. Ein Kreischen ließ ihn während des Rennens nach hinten schauen. Jemand hatte die Eulen verschreckt, die nun aus der Eulerei flohen. Sirius prallte gegen etwas und fiel rückwärts auf den Boden. Wütend schaute er auf. Ihm Gegenüber saß ein blondes Mädchen, das ihn genauso wütend anfunkelte. „Sag mal, kannst du nicht aufpassen, wo du hinrennst, du Depp?“ „Wo ich hinrenne?“, schnauzte Sirius zurück. „Wer ist denn in mich reingerannt?“ Was fiel der eigentlich ein? „Garantiert nicht ich, Großmaul.“ „Ziege!“ „Vollidiot!“ „Hexe!“ Eine Pause folgte. Sauer betrachtete das Mädchen Sirius und schien nachzudenken. Sie schüttelte den Kopf, lachte und warf Sirius einen Schneeball an den Kopf. Sirius grinste und warf einen zurück. „Wie heißt du?“ „Olivia Calsen.“ Sirius half ihr, aufzustehen. „Ich bin Sirius.“ Traurig betrachtete Emilie die Gemälde, während sie und Dean den Gang zurück schlenderten. Irgendwie schien das Schicksal etwas gegen sie zu haben. Es war zum Verzweifeln. „Mir reicht’s!“ Verwirrt drehte Emilie sich zu Dean um. Das hatte sie sagen wollen! Dean ging den letzten Schritt auf sie zu, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste Emilie. Na endlich. Der Schnee unter seinen Füßen knirschte, als Severus über das Hogwartsgelände ging. Noch während er zu Lily trat und ebenfalls nach oben sah, sagte er: „Ich hab gewusst, dass du hier bist.“ Lily lachte und bestaunte weiterhin aus sicherer Entfernung die peitschende Weide, die hin und wieder den Schnee von ihren Zweigen schüttelte. „Ich wusste gar nicht, dass der Saft ihrer Blätter und Zweige für viele Heiltränke gebraucht wird.“ Severus musste ein bisschen schmunzeln. „Zweites Kapitel?“ „Ja!“, strahlte Lily, „Ich bin schon im dritten.“ Das hatte er sich gedacht. Bestimmt hatte sie die halbe Nacht in dem Buch geschmökert. „Wie kommt es, dass du alleine bist?“ Lily schaute Severus verwirrt an, der auf seine Lippe biss. Das war ihm jetzt rausgerutscht. „Ich meine... Wo ist deine Freundin? Wollt ihr den freien Tag nicht zusammen verbringen?“ Lily seufzte und scharrte mit ihren Füßen im Schnee. „Ach... Emilie hat gerade nur ihren Dean im Kopf und hängt wahrscheinlich mit ihm rum...“ Ein wenig erschrocken schaute sie zu Severus. „Ich meine... es ist nicht so, dass ich es ihr nicht wünschen würde. Nein, ich freu mich auch für sie, aber... es ist halt... ja.“ Ihr Blick schweifte über die Hogwartsländerein. Eine unangenehme Stille überfiel die beiden. Severus überlegte angestrengt, was er passendes sagen könnte, als ihn plötzlich etwas hart an der Schulter traf. Weißer Schnee fiel von seinem Mantel, als er auf die Stelle sah. Lily stand grinsend da und knetete bereits einen weiteren Schneeball. „Angst, Severus?“ „Angst? Vor einem Mädchen?“ Grinsend bückte er sich und nahm ebenfalls eine Hand voll Schnee. Verwundert schaute Remus aus dem Fenster, als die Lampen in der Bibliothek erleuchtet wurden. „Schon so spät?“, fragte Trudy, die ebenfalls verwundert aufsah. „Anscheinend...“ Remus lächelte. „Ich denke, wir haben heute genug gelernt... Demnächst müsste es auch Abendessen geben.“ „Trifft sich gut. Ich habe Hunger wie ein Wolf.“ „Äh... ja. Ich... auch.“ Etwas verlegen packte Remus seine Sachen ein. Trudy verräumte das Buch. Als sie zurückkam blieb sie ein wenig unschlüssig am Tisch stehen. Remus musste lächeln und sagte: „Sollen wir zusammen zum Abendessen gehen? Lange kann es ja nicht dauern.“ „G-gerne.“ Auf Trudys blassem Gesicht färbten sich die Wangen ein wenig rot. „Ich bringe dir dann die Mitschriften am besten Morgen“, meinte Remus plötzlich, als sie zusammen den Gang hinunter zur großen Halle schlenderte. Zuvor hatte sie ihm erzählt, dass sie den Unterricht in ihrer Klasse langweilig fände. Remus hatte ihr angeboten, Mitschriften vom Stoff aus der höheren Klasse auszuleihen. „Danke!“, strahlte Trudy. „Also morgen wieder in der Bibliothek?“, fragte Remus und lächelte. „Geht klar!“ Glücklich ging Trudy fast wie in Trance den Gang weiter, als sie bemerkte, dass Remus an einem der Fenster stehen blieb. „R-Remus? Alles in Ordnung?“ Geistesabwesend starrte Remus in die Nacht hinaus. Es war fast Vollmond... Nur noch zwei Tage... „Remus?“ Erschrocken dreht er sich vom Fenster weg. Trudy stand direkt vor ihm und schaute ihn besorgt an. „Was ist denn los?“ „N-nichts. Ich dachte nur... ich hätte eine Fledermaus gesehen.“ Misstrauisch schaute sie ihn an. „Das ist hier aber nichts Ungewöhnliches...“ Remus grinste. „Sie war aber pink.“ Lachend ging er weiter. „Äh... WAS?“ Verwirrt rannte sie ihm hinterher. Remus lächelte sie an. „Scherz. Nur ein Scherz, Trudy.“ Lachend gingen sie weiter bis zur Großen Halle, als plötzlich Trudy vor der hohen Eichentür stehen blieb. „D-du solltest vielleicht lieber ohne mich da rein gehen.“ Remus schaute sie irritiert an. „Warum denn?“ „Es... Ich... Tu es einfach. Glaub mir, das wäre besser so.“ Und bevor er etwas sagen konnte, verschwand sie in einer Gruppe von Schülern, die gerade in die Große Halle marschierte. Lachend ließ sich Lily neben Severus in den Schnee fallen. Sie beide waren total außer Puste und wohin man auch nur sah, hatten sie Schnee an sich kleben. Severus grinste und blickte gedankenverloren in den Sternenhimmel. Lily schaute ihn von der Seite her an. „Weißt du was?“ „Mmh?“ „Es ist ungewohnt, dich lachen zu sehen. Es steht dir. Warum machst du das nicht öfter?“ „Äh... ich...“ Etwas erschrocken schaute er zu Lily, die jedoch bereits wieder zum Himmel sah und hoch zeigte. „Schau, der große Wagen!“ Severus überkam ein Lächeln. Er schaute ebenfalls hoch zum Sternenbild. Eigentlich, so dachte er, könne er sich daran gewöhnen... Glücklich betrachtete Lily den Himmel. Grinsend lugte sie zu Severus. Sie war froh, dass jemand bei ihr war. Sie war froh, dass Severus bei ihr war. Kapitel 7: Montags geht's weiter -------------------------------- Gedankenverloren schaute Remus am nächsten Tag beim Frühstück zum Ravenclawtisch. Warum wollte Trudy nicht, dass sie zusammen in die große Halle gingen? Trudy saß beim Frühstück etwas verloren abseits von den anderen aus ihrer Klasse. Einige Jungs sahen ständig zu ihr rüber und grinsten böse. Was ging bei denen ab? „Sie ist ein wirklich wundervolles Mädchen!“, meinte plötzlich Sirius zu seinen Kumpels. „Blond. Schlank. Olivia heißt sie.“ James grummelte. „So ein Mist. Ich scheine gestern ja einiges verpasst zu haben. Wie habt ihr euch kennen gelernt?“ „Sie... nein ich. ... äh.“ Sirius schien zu überlegen. „Wir sind ineinander gerannt. Und haben uns gleich prächtig verstanden.“ „Ja und? Läuft was?“, fragte James und holte sich mehr Rührei. „Tja... Werde ich heute Abend heraus finden.“ Sirius grinste vielsagend vor sich hin und die Unterhaltung erstarb. Nach einer Weile meinte James: „Hey Remus. Du siehst gar nicht gut aus. Morgen wieder der runde Tag, nicht?“ Remus nickte und aß sein Marmeladenbrot. Er fühlte sich immer schwächer... Als er wieder zum Ravenclawtisch sah, war Trudy schon gegangen – als einzige. „Hallo Sirius.“ Olivia lehnte draußen an der Eichentür zur Großen Halle, als die Rumtreiber den Speisesaal verließen. „Hallo Olivia“, entgegnete Sirius. Während er sie grinsend anschaute, sagte er wie beiläufig zu seinen Freunden: „Leute, ihr könnt ja schon ohne mich voraus gehen, oder?“ Kopfschüttelnd, beziehungsweise grinsend, gingen die drei anderen ohne ein weiteres Wort weiter. Olivia stieß sich von der Wand und schlenderte auf Sirius zu. „Willst du mich deinen Freunden nicht vorstellen?“ Sirius steckte seine Hände in die Hosentaschen und grinste. „Wozu? Du kennst sie doch schon und sie wissen jetzt, dass du Olivia bist.“ Die Blondine lachte und blieb vor Sirius stehen. „Was hast du heute Abend vor?“ „Oje... da treffe ich mich mit einem total heißen Mädchen, tut mir leid. Keine Zeit.“ „Aha, und wie ist sie so?“ Die beiden schlenderten den Gang weiter in Richtung der Unterrichtssäle. Als nächstes hatte er Verteidigung gegen die dunklen Künste. „Na ja. Sie hat eine ziemlich spitze Zunge und kann sehr hitzköpfig sein.“ „Und wann triffst du dich so mit ihr?“ Sirius grinste. „Nach dem Abendessen auf dem Astrologieturm.“ „Aha. Na dann, viel Spaß dabei.“ Olivia sah ihre Freundinnen, die zur Toilette gingen. „Ich muss weiter. Bis später.“ „Bis später.“ Grinsend schaute Sirius ihr hinterher. Plötzlich drehte sich Olivia noch mal zu ihm um und rief über den Gang hinweg: „Du findest mich heiß?“ „Absolut!“, rief Sirius zurück und ging – abermals mit einem Grinsen vom einen bis zum anderen Ohr – den Gang weiter. In Verteidigung gegen die dunklen Künste herrschte eine resignierte Stimmung, wie es die Schüler länger nicht mehr verspürt hatten. In dieser Stunde hatten sie begonnen, ungesprochene Zauber zu lernen. Viele liefen bei dem Versuch rot an, andere schienen an Verstopfung zu leiden. Frustration breitete sich wie eine Welle im Unterrichtssaal aus. Nur selten schienen Erfolge in Reichweite zu sein. Gelangweilt hielt James Sirius seinen Zauberstab entgegen. Sein Gegenüber versuchte angestrengt und mit rotem Kopf ihn zu entwaffnen. „Sirius, hör auf. Du bekommst ja keine Luft mehr.“ Sirius holte tief Luft und schnaufte. „Ich bekomme diesen Mist einfach nicht hin.“ „Wer bekommt den schon hin?“ „Lily zum Beispiel.“ Ruckartig drehte sich James zu der Rothaarigen um, die Emilie regelmäßig entwaffnete. In Gedanken verloren versuchte diese es erst gar nicht, einen Schutzschild aufzubauen. James seufzte. „Sie ist eine Ausnahme.“ Kritisch betrachtete Sirius seinen Freund. „Wie läuft es eigentlich in ‚Operation Lily’?“ „Schlecht“, grummelte James und legte seinen Kopf auf die kühle Tischplatte. „Ohne die Karte des Rumtreibers bin ich ziemlich aufgeschmissen.“ Sirius zog die Augenbrauen hoch. „Hast du schon mal in der Bibliothek nachgeschaut?“ „Warum denn in der Bibliothek?“ Sirius schüttelte den Kopf. „Mensch, James. Wo würdest du denn für ein Referat lernen?“ „Äh...“ Trudy sah überrascht auf, als der Stuhl neben ihr zurück geschoben wurde. Ungläubig schaute sie Remus an. „Du bist wirklich gekommen?!“ Der Braunhaarige setzte sich. „Warum hätte ich nicht kommen sollen?“ Mit roten Wangen schaute Trudy wieder in ihr Buch. „Ich... Ich war nicht besonders freundlich gestern Abend.“ „Und was war der Grund dafür?“ Zögernd blickte Trudy zu Remus auf. „Es... Ich...“ Seufzend ließ sie den Kopf hängen. „Warum sitzt du beim Essen allein?“ Trudy schüttelte den Kopf und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. „Und warum saßt du in Hogsmeade in den drei Besen allein?“ Erschrocken schaute sie zu Remus. „Du hattest mich bemerkt?“ „Natürlich hab ich das. Es sitzt nicht oft jemand dort ganz allein an einem Tisch.“ In diesem Moment rollte die erste Träne über Trudys Wange. Ohne den Blick von Remus zu nehmen stammelte sie: „E-es tut mir leid... Ich-Ich bin nicht sehr beliebt und ich...“ Sie senkte den Kopf. Remus schüttelte den Kopf und wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Sein Arm zuckte kurz hoch, als wolle er eine Hand auf ihre Schulter legen. Er unterbrach die Bewegung und ließ die Hand schlussendlich unsicher durch sein Haar streichen. Er seufzte. Leicht lehnte er sich vor, damit er von unten in Trudys Gesicht schauen konnte. „Nein, ich muss mich entschuldigen. Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen... Deshalb wolltest du also nicht, dass wir gemeinsam in die Große Halle gehen.“ Trudy nickte und wischte sich die Tränen weg. „Mensch, Trudy.“ Remus lächelte. „Du denkst einfach zu viel. Wenn sich jemand einfach so mit dir unterhält und sogar ein weiteres Treffen ausmacht, dann ist es ihm egal, was andere über dich denken oder sagen.“ Zögernd schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Remus lächelte ihr aufmunternd zu und versuchte dann, das Thema zu wechseln, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Er zog seine Schulmappe zu sich her. „Schau, das machen wir gerade in Verwandlung. Und das hier ist Fachliteratur, die mir McGonagall mal gegeben hat.“ Trudy beobachtete ihn glücklich, wie er einzelne Pergamente ordnete. Er hatte sie bemerkt... Leise schlich James durch die Bibliothek. Er mogelte sich an Miss Winsdam vorbei und schlüpfte in eine Ecke, von der aus er die Schülertische beobachten konnte. Weiter hinten sah er sogar Remus, der sich in diesem Moment an einen Tisch setzte. Sirius hatte gar nicht mal so unrecht... Wo konnte man besser für ein Referat lernen, als in der Bibliothek? Doch, warum konnte er dann nirgends Lily oder den verdammten Snape entdecken? Lilys wundervoll glänzendes und geschmeidiges Haar würde er in jeder Menschenmenge ausmachen können – selbst bei Nacht und mit verbundenen Augen. James kam ein Geistesblitz. Zwischen manchen Bücherregalen waren auch Tische untergebracht. Neugierig ging er also jeden Gang entlang – auf der Suche nach der Frau seiner Träume. Doch an keinem dieser Tische war Lily zu finden. Enttäuscht lehnte er sich schließlich gegen ein Bücherregal. Wo konnten sie sonst sein? Gerade, als er gehen wollte, fiel ihm auf, dass er diese Abteilung gar nicht kannte. Überall waren alte Bücher, die so aussahen, als hätte man sie seit Jahrhunderten nicht mehr hervor geholt. Aber... der Gang ging ja noch weiter. Stutzend folgte James ihm. Konnte es etwa sein, dass dort hinten...? Aufgeregter denn je ging er die alten Bücherregale entlang – gespannt darauf, was ihm am Ende wohl erwarten würde. Seine Schritte wurden schneller und energischer. Das musste es sein! Hier mussten sie stecken. Da! Er sah ein Licht durch die Bücherreihen blitzen. Erhitzt bog er um die letzte Ecke und erwartete schon Lilys schönes Gesicht zu sehen... Doch die drei Stühle, die er unter dem Fenster fand, waren leer. Geknickt betrachtete James den leeren Tisch. Hier war niemand. Wer hätte auch Lust, ständig durch die staubigen Regale zu gehen, um hier her zu kommen? Frustriert steckte James die Hände in die Hosentaschen und verließ die Bibliothek... und hatte bereits die leere Nische vergessen. „Eigentlich müssen wir ja nur noch herausfinden, was diese verfallende Umkehrung ist und dann sind wir fertig“, dachte Lily laut nach und beugte sich mehr über die Mauer, um am Turm, auf dem sie standen, herunter schauen zu können. Hin und wieder flog eine Eule über ihnen hinweg, die auf Futtersuche war. Sie befanden sich hinter der Eulerei auf einer Art Terrasse. Severus schaute auch nach unten. „Ja, dann sind wir fertig.“ Lily spuckte runter in die Tiefe. „Eigentlich schade.“ „Dass wir schon fertig sind?“ „Ja. Mir hat es Spaß gemacht.“ „Mir auch.“ Severus spuckte ebenfalls runter. Nach einer Pause lachte Lily einfach los. „Was ist?“, fragte Severus. „Ich komme mir nur gerade vor, wie ein kleines Kind. Von weit oben runter zu spucken – das habe ich schon lange nicht mehr gemacht.“ Severus fiel mit ins Lachen ein. Nachdenklich schaute er über die Ländereien von Hogwarts. Der Verbotene Wald wirkte unheimlich wie eh und je... „Na ja, es muss ja noch nicht vorbei sein...“ „Die Kindheit?“, fragte Lily und grinste. „Nein, unser Projekt.“ „Wie meinst du das?“ Severus drehte sich nicht zu ihr um, sondern starrte immer noch in die Nacht hinaus. „Wie wäre es, wenn wir den Trank selber brauen?“ „Bitte was?“ Severus grinste geheimnisvoll, drehte seinen Kopf zu Lily und schaute sie verschwörerisch an. „Wir brauen den Trank auf eigene Faust. Vielleicht finden wir sogar auf diese Weise heraus, was es mit dieser verfallenden Umkehrung auf sich hat...“ An dieser Stelle muss man erwähnen, dass nachdem in den 40er Jahren Schüler sich selbst verschwinden ließen, als ihr Versuch misslang, einen Zaubertrank selbst zu brauen, das Selbstbrauen in Verbindung einer Hausaufgabe abgeschafft worden ist. Die in Hausaufgaben vorkommenden Tränke durften nur noch vom Zaubertranklehrer oder unter seiner Aufsicht gebraut werden. Die Schüler fand man übrigens zwei Wochen danach wieder, als die Wirkung des Trankes nachgelassen hatte. Lily überlegte. „Aber wie kommen wir an die Zutaten heran?“ Severus schaute demonstrativ zum Wald. „Du willst in den Verbotenen Wald.“ Lily stutzte und trat näher an Severus heran. „Du willst in den Verbotenen Wald?!“ „Warum nicht?“ „Aber... Es ist... verboten.“ „Das macht es doch gerade so interessant.“ Severus grinste schief. Lily überlegte eine Weile, währenddem nur das Rascheln der Eulen in der Eulerei zu hören war. Hin und wieder krächzte einer der Vögel. Aus dem Wald schallten merkwürdige Geräusche herüber. „Wann?“ „Übermorgen. Morgen ist Vollmond – da wird man uns zu schnell sehen.“ „Abgemacht.“ Nun grinste auch Lily. „Sehen wir uns morgen wieder?“, fragte Trudy mit einem schüchternen Lächeln, als sie zusammen den Gang entlang schlenderten. Es war schon spät und beide spürten bereits, wie die Müdigkeit auf sie drückte. „Tut mir leid.“ Remus sah sie entschuldigend an. „Ich habe Sirius versprochen, ihm morgen Abend in Geschichte zu helfen...“ „Oh... na dann...“ Unbeholfen sah Trudy in eine andere Richtung. Hätte sie das doch nur nicht gefragt! Peinlicher konnte es ja gar nicht werden... „Aber wie wäre es in der Mittagspause?“, fragte Remus plötzlich. „Wir könnten uns ja nach dem Essen treffen.“ Zögernd schaute er zu Trudy und konnte ebenfalls nicht verhindern, dass seine Wangen leicht rot wurden. „Das würde ich gerne!“, strahlte Trudy und konnte gerade noch einen fröhlichen Hüpfer unterdrücken. „Super!“ Remus blieb unsicher stehen. „Ich meine... äh...“ Verwirrt strich er sich durch die Haare. „Ich... Ja. Freut mich. Also morgen nach dem Mittagessen?“ „OK.“ Lächelnd ging Remus den einen Gang entlang, der zum Gryffindorturm führte. Trudy blieb noch stehen und schaute ihm hinterher, bis er außer Sicht war. Jubelnd machte sie einen Freudensprung. Aus Angst vor lauter Glück zu platzen, rannte sie einfach los. Sie wusste nicht, wohin sie ging – sie wollte einfach nur rennen. Er wollte sie wiedersehen! Er wollte sie treffen! Er wollte seine Zeit mit ihr verbringen! ... Remus hatte sie bemerkt!! Plötzlich trat jemand in ihren Weg, sodass sie gegen die unbekannte Person prallte. „Na, wen haben wir denn da?“ Gehässig grinsend schaute Filch auf die arme Trudy herunter. Seine Katze Mrs Norris schlängelte um seine Beine und starrte mit ihren unnatürlichen Augen zu dem Mädchen herauf. „So spät und auch noch rennend... Das riecht schwer nach Nachsitzen, junge Dame. Morgen Abend. Bei mir im Büro. Schön viel Papierkram.“ Grinsend ging Filch weg. Dicht gefolgt von seiner Katze. Als er weg war, fing Trudy an zu lachen. Sie war so glücklich, dass nichts ihrer guten Stimmung anhaben konnte. Remus hatte sie bemerkt... Kapitel 8: Vollmond ------------------- In der Mittagspause des darauffolgenden Tages – einem verschneiten Dienstag – saßen Severus und Lily wieder in ihrer Lieblingsnische und brüteten über ihrem Zeitplan. „Ich würde sagen,“, so fing Severus an, „Wir sollten erst schauen, was wir in den Gewächshäusern finden können. Manche Sachen findet man sicherlich nur im künstlichen Anbau. Außerdem müssen wir dann auch nicht so lange im Wald bleiben, um zu suchen.“ „Bin genau deiner Meinung“, entgegnete Lily. „Das machen wir dann am besten Morgen. Ich wette Professor Lewis ist bei Vollmond in den Gewächshäusern – manche Pflanzen öffnen sich ja nur dann.“ „In Ordnung.“ Severus schrieb die bisherige Planung auf. Lily wippte mit ihrem Stuhl. „Wusstest du, dass Lewis nicht mehr lange bleibt? Nur noch drei Jahre oder so, dann bekommt Hogwarts einen neuen Lehrer für Kräuterkunde.“ „Na ja... er ist ja auch schon ziemlich alt...“ „Mmh...“ Lily schaute in ihre Unterlagen. „Und laut Buch muss der Trank 12 Stunden vor sich hin kochen. Also könnten wir doch Samstag Abend anfangen und Sonntag Morgen ist er fertig.“ „Geht klar.“ Severus schrieb es auf. „Also dann am Donnerstag in den Wald?“ „Am Donnerstag in den Wald.“ Severus notierte es. „Bist du Freitag Abend eigentlich auch im Apparierkurs?“ „Ja.“ Severus hielt inne. Fast hätte er das auch aufgeschrieben. Lily zögerte und hörte auf, mit dem Stuhl zu wippen. „Bist du schon mal appariert?“ Severus drehte sich zu ihr vollends um. „Ja. Mit meiner Mutter.“ „Wie... wie ist das so?“ Unsicher schaute sie ihn an. Severus überlegte. „Na ja... Wie soll ich das beschreiben? Es ist... unangenehm.“ „Tut es weh?“ Erschrocken schaute sie ihn an. „Nein! Nein, nein, keine Angst.“ Severus war kurz vorm Verzweifeln. So hatte er das jetzt nicht gemeint. „Es ist, als ob dich jemand zusammen drücken und dann auseinander ziehen würde. Oder... als ob dich jemand durch einen Schlauch ziehen würde.“ Als er Lilys panischen Gesichtsausdruck sah, musste er lachen. „Aber meine Mutter sagt, man würde sich daran gewöhnen und dann wäre es nur halb so schlimm.“ Lily nahm diese Information erleichtert auf und fing wieder an, mit dem Stuhl zu wippen und an die Decke zu starren. Severus indessen durchblätterte ein Lexikon, das er erst vor ein paar Tagen entdeckt hatte. In der Bibliothek war mittlerweile einiges los. Auch einige aus ihrer Klasse befanden sich auf der Suche zwischen den Regalen nach einer Lektüre, die ihnen bei ihrem Referat helfen könnte. Lily spickte durch die einzige Lücke in den Regalen – die sie selbst eingebaut hatte, um die anderen ein bisschen beobachten zu können - und verfolgte das Geschehen. „Steven sucht im völlig falschen Regal.“ „Wo sucht er denn?“, fragte Severus ohne von seinem Buch aufzuschauen. „Im Bereich der Zaubertränke für angewandte Zaubertranktheorie.“ „Ganz falsch“, seufzte Severus. „Der muss für den Viteratrank in den Bereich für Kriminalarbeit mit den Büchern über Auroren.“ Lily grinste. „Du schreibst dir die Themen auch auf?“ Severus lachte leise auf. „Die haben so was von billige Themen.“ Lilly lehnte sich wieder zurück und stubste eine der noch nicht brennenden Kerzen an, die in der Luft schwebten. „Ich hab sie schon alle nachgeschlagen. Slughorn hat ihnen einen Haufen von so offensichtlichen Tips gegeben...“ Severus lachte. Es überraschte ihn immer wieder, wie sie sich doch ähnelten. Er selbst hatte an einem Abend – der, an dem er etwas „zu erledigen gehabt hatte“ – alle Themen ausgearbeitet und Fachliteratur dazu gefunden. Ihn aus seinen Gedanken reißend, merkte er plötzlich, wie ihm die Haare aus dem Gesicht gestrichen wurden. Erschrocken sah er Lily in die Augen, die mit einer Hand den seitlichen Vorhang vor seinem rechten Augen lüftete. „Tschuldige, ich wollte nur sehen, ob das Auge auch existiert.“ Ein Lächeln breitete sich auf ihren Gesichtszügen aus – eher fast schon ein Grinsen. „Wie bitte?“, fragte Severus, der total aus dem Konzept gerissen war. „Siehst du auf dem Auge überhaupt was?“ „Äh... ja.“ Lily lachte. „Warum versteckst du dich? Ist doch viel schöner, wenn man dir in die Augen schauen kann...“ Lächelnd lehnte sie sich wieder zurück und starrte durch die Regale. „Ich glaube, Steven hat’s jetzt endlich kapiert.“ Ungläubig betrachtete Severus sie von der Seite. Jetzt tat sie schon wieder so, als wäre gar nichts gewesen... Etwas verlegen richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Lexikon. Hin und wieder spickte er grinsend zu Lily, die mittlerweile mit einem Lächeln im Gesicht kleine grüne Vögel in die Luft zauberte. Lily war einfach... unbeschreiblich. „Du hast eine Strafarbeit bekommen?“ Remus schaute Trudy ungläubig an, als sie zusammen im Atrium saßen. Trudy lachte. „Ja. Filch hat mich erwischt, als ich gestern Abend durch die Gänge gerannt bin.“ „Tut mir leid...“, murmelte Remus. „Hätte ich nur mehr auf die Uhr geachtet...“ „Dir braucht doch gar nichts leid zu tun. Mir hatte es gestern... sehr gefallen.“ Schüchtern schaute sie zögernd zu Remus, der sie anlächelte. „Mir hat es auch gefallen.“ Plötzlich war Gelächter im Innenhof zu hören. Hinter einem Baum traten vier Jungen aus der 5. hervor. Sie kamen auf Trudy zu und lachten gehässig. „Hey Trudy“, rief einer von ihnen. „Hey Trudytrud“, rief ein anderer. Auf einmal fingen alle an wie Wölfe zu jaulen. Nur hin und wieder wurde das Heulen von einem Lachen unterbrochen. Remus sah die Jungen erschrocken an. Wussten sie etwa...? Trudy sprang auf, nahm Remus bei der Hand und zog ihn mit sich weg. Ohne ein weiteres Wort flüchtete sie mit ihm in ein leeres Klassenzimmer. Zögernd ließ sie seine Hand los und schaute beschähmt zur Seite. „Es... tut mir leid. Ich wollte nicht, dass so etwas passiert...“ Remus war zu verwirrt, um auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. „Wie... ich meine... woher wissen die, dass ich... woher weißt du...?“ Trudy schien sein Gestammel nicht zu hören. „Ich... heiße überhaupt nicht Trudy...“ Remus hörte mit dem Versuch auf, seine Gedanken zu ordnen. Erstaunt schaute er Trudy – oder eher die angebliche Trudy – an, die sich auf einen der Tische setzte. „Was? Aber... wie heißt du dann?“ Trudy holte tief Luft und murmelte schließlich mit gesenktem Blick: „Wolftrud“ Die Stille, die sich daraufhin im Raum ausbreitete war erdrückend. Trudy machte sich schon auf das Gelächter bereit... „Und was ist so schlimm daran?“ Verstört schaute Trudy auf. „Was so schlimm daran ist? Wolf-trud. Verstehst du? WOLF-trud! Ich meine... Meine Eltern haben eine Schwäche für ungewöhnliche Namen. Leider haben sie nicht daran gedacht, dass Kinder böse sein können...“ Remus zuckte mit den Schultern. „Ja und? Ist doch nur ein Name.“ Überraschung konnte man es schon gar nicht mehr nennen, was nun auf Trudys Gesicht zu sehen war. Obwohl sich nach und nach ein Lächeln auf ihren Lippen bildete, sah man, dass sie mit den Tränen kämpfe. Das hatte bisher noch niemand zu ihr gesagt. „Sie sagen alle, dass ich ein Wolf sei. Aber das stimmt nicht. Remus, das stimmt nicht!“ Remus dachte nicht weiter nach – er nahm sie in die Arme. „Natürlich stimmt das nicht.“ Gelangweilt saßen Sirius, James und Peter an diesem Mittag im Aufenthaltsraum von Gryffindor. Es hätte zwar etwas zu tun gegeben, aber das waren Hausaufgaben. Und die waren nicht dazu da, in der Freizeit gemacht zu werden. James spielte mal wieder mit dem Schnatz, den er nach dem Quidditchtraining hatte mitgehen lassen. Sirius starrte in die Luft und konnte nicht mehr aufhören, zu grinsen. Am nächsten Tag würde er sich wieder abends mit Olivia treffen. Plötzlich wurde es im Gemeinschaftsraum lauter. Eine Gruppe Mädchen aus ihrer Jahrgangsstufe kam herein und kicherte laut. Eines der Mädchen hieß Marlen Merie. Sie war das schönste und (neben Lily) auch das begehrteste Mädchen der Stufe. Ihr Vater war geborener Franzose, weshalb sie nach Ferien, die sie Zuhause verbrachte, immer mit einem leichten französischen Akzent sprach. Marlen hatte James und Sirius entdeckt und schwebte mit einem charmanten Lächeln auf sie zu. „James, Sirius, schön euch zu sehen.“ „Guten Abend“, erwiderte James höflich und grinste frech. „Ich gebe am Wochenende eine kleine vorweihnachtliche Party. Ihr beiden seid natürlich eingeladen.“ „Vielen Dank“, antworteten beide wie im Chor. „Ich melde mich noch mal bei euch.“ Mit einem süßen Kichern drehte sie sich um und schwebte davon. Sirius und James gingen wieder an ihre „Freizeitbeschäftigungen“, als hätte es gar keine Störung gegeben. Nur Peter war hibbelig geworden, als Marlen sich über den Sessel, in dem er saß, und über ihn hinweg gebeugt hatte, um mit den beiden zu reden. Aufgeregt schaute er ihr hinterher. Sicherlich war er auch mit eingeladen von diesem wunderschönen blonden Mädchen, das wie ein Engel schien. James bemerkte Peters Nervösität und schätzte sie genau richtig ein. „Oho! Da hat sich unser Peter anscheinend verguckt.“ Er lachte. Sirius schaute auf. „Bitte was?“ „Marlen, Marlen, die schöne Marlen.“ Peter wurde rot und schüttelte den Kopf. Er brachte einfach kein Wort raus. „Peter, soll ich sie fragen, ob sie mit dir ausgehen möchte?“ James grinste und war bereits dabei, aufzustehen. Peters Kopf glich schon einer Tomate, als er erschrocken keuchte: „Nein! Nein, tu das nicht!“ Aber James war schon unterwegs zu Marlen. Peter sah ihm um die Sessellehne gebeugt erschrocken hinter her, wie er mit Marlen sprach. Marlens Gesichtsausdruck war zuerst erstaunt. James zeigte ihn Peters Richtung. Als sie ihren Kopf zu ihm wandte, versteckte er sich wieder hinter seinem Sessel. Kurz darauf hörte er sie schallend lachen. „Non! Jamais!“ Peter schaute James nicht an, als dieser zurück kam und ohne etwas zu sagen wieder mit seinem Schnatz spielte. Peter nahm sich vor, erst wieder aus seinem Sessel zu klettern, wenn niemand mehr im Raum war. „Was hast du jetzt für Unterricht?“, fragte Trudy als sie nach der Mittagspause den Gang entlang schlenderten. „Verteidigung gegen die dunklen Künste. Und du?“ „Verwandlung.“ Sie schmunzelte. „Wir werden uns erst morgen wieder sehen. Ich muss danach schon zum Nachsitzen.“ „Du schaffst das schon“, munterte Remus sie auf. Sie zuckte mit den Schultern. „Wenigstens muss ich nichts putzen oder so. Er hat mir mit Papierarbeit gedroht. Wird schon gehen.“ Sie lächelte Remus an. „Also dann bis morgen?“ „Bis morgen.“ Remus lächelte zurück. Vergnügt ging sie den Gang weiter zum Klassenzimmer für Verwandlung. Remus schaute ihr hinterher. Sein Blick wanderte zu einem der Fenster. Die Sonne stand schon sehr tief. Er ging noch zu Verteidigung gegen die dunklen Künste, um sich danach in den Gemeinschaftsraum von Griffondor zu schleichen, wo James, Sirius und Peter bereits mit dem Unsichtbarkeitsmantel auf ihn warteten. Nun mussten sie unbemerkt zur peitschenden Weide gelangen. Trudy machte sich auf den Weg zu Filchs Büro. Verwandlung war vorbei und sie musste jetzt ihre Freistunden bis nach dem Abendessen mit Papierkram verbringen. Sie hatte keine Lust, aber ihr gemeinsamer Abend mit Remus vom vorherigen Tag war es wert. Als sie kurz vor Filchs Büro war, hörte sie ein großes Getöse. Filch fluchte laut und schien, wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch zu sein. Neugierig rannte sie zu dem Lärm, um zu erfahren, was passiert war. Filch rauschte an ihr vorbei und war tiefrot vor Wut. Fluchend murmelte er etwas, aus dem eindeutig der Name des Poltergeistes Peeves herauszuhören war. Plötzlich bemerkte er sie und blieb abrupt stehen. „Was suchst du denn hier? Keinen Unterricht?“, fragte er genervt. „Ich sollte zu Ihnen ins Nachsitzen kommen“, entgegnete sie etwas verwirrt. Er machte ein Geräusch, das sich nach Fauchen anhörte und grummelte: „Vergiss es. Hab anderes zu tun.“ Damit verschwand er, verfolgt von seiner treuen Katze. Überrascht von dieser Wende musste Trudy lachen. Dann würde sie Remus doch beim Abendessen sehen können. Sie wollte gerade gehen, als sie den Sonnenuntergang bemerkte. Sie stellte sich ans Fenster und beobachtete den rosaroten Himmel, der sich über den verbotenen Wald erstreckte. Es war wunderschön. Sie beobachtete, wie der Schnee in den letzten Sonnenstrahlen funkelte. Doch da entdeckte sie etwas. Irgendetwas stimmte da nicht. Sie schaute genauer hin. Der Schnee wurde aufgewirbelt. Sie schaute zum Wald. Die Bäume waren ganz ruhig. Kein Windchen ging draußen. Sie schaute wieder auf den aufwirbelnden Schnee. Plötzlich erschien Remus. Sie blinzelte. Das konnte nicht sein. Sie schaute wieder hin. Doch, es war eindeutig Remus... der auf einmal wieder verschwand – so schnell wie er erschienen war. Mit den Augen folgte sie dem wirbelnden Schnee der sich wie ein Pfad über das Schulgelände bis hin zur peitschende Weide zog. Was hatte Remus dort zu suchen? Und warum war er unsichtbar? Die Weide bewegte ihre starken Äste. Trudy bekam Angst. Der aufwirbelnde Schnee – Remus – bewegte sich auf den gefährlichen Baum zu! Was hatte er vor? Ihm würde noch etwas passieren. Doch mit einem Mal erschlafften die Äste der Weide. Sie wurde ganz ruhig und bewegte sich nicht mehr. Trudy hatte das Gefühl, ihr würden die Augen aus dem Kopf fallen. Was war denn da passiert? Der unsichtbare Remus bewegte sich weiter auf die Weide zu und... verschwand vor ihren Wurzeln. Ohne nachzudenken rannte Trudy los. Sie musste wissen, was da vor sich ging. Ohne Mantel stürmte sie in die kalte Abendluft auf das schneebedeckte Schulgelände. Tatsächlich erkannte sie Fußspuren im Schnee die zur peitschenden Weide führten. Aber es waren mehrere! Sie folgte ihnen bis hin zur Weide. Sie war immer noch ruhig. Vorsichtig näherte sie sich den Wurzeln. Hier hörten die Fußspuren auf. Und zwar genau vor einem Spalt zwischen einer Wurzel und dem Boden. Sie beugte sich zu der Öffnung und lauschte. Sie meinte Stimmen zu hören. Ohne weiter einen Gedanken zu verlieren rutschte sie in die Öffnung und befand sich kurz darauf in Dunkelheit. „Lumos.“ Vor ihr lag ein langer niedriger Gang, der nun von ihrem Zauberstab erhellt wurde. Wo führte er nur hin? „Oje, heute scheint es richtig schlimm zu sein, Remus“, flüsterte Sirius, als sie unter dem Unsichtbarkeitsmantel über den Schnee zur peitschenden Weide gingen. „Mir geht es auch nicht wirklich gut“, murmelte Remus und hatte Mühe, gerade zu laufen. Ihm wurde immer schwindliger. „Soll ich dir helfen?“, fragte Sirius, doch Remus winkte ab. „Das bisschen Weg schaffe ich noch.“ Doch in diesem Moment stolperte er zur Seite und trat aus dem Unsichtbarkeitsmantel hervor. „Verdammt, hol ihn wieder rein!“, rief James, der versuchte den Mantel über den dreien zu halten. Peter huschte bereits als Ratte neben ihnen her. Sirius half Remus wieder unter den Mantel und hielt ihn den restlichen Weg fest. Die vier Freunde trafen kurz vor Mondaufgang in der Heulenden Hütte ein. Sirius, James und Peter verwandelten sich in Animagi, um mit Remus auf den Vollmond zu warten. Bald schon zeigte er seine Wirkung. Doch in dieser Nacht war etwas eigenartig. Der in ein Werwolf verwandelte Remus schnüffelte in der Luft, als würde er etwas Fremdes riechen. Er stürmte auf die kleine Öffnung zu, die zum Tunnel führte, doch er war zu groß um durchzukommen. James drängte ihn zurück während Sirius als Hund durch die Luke schlüpfte und sich im Tunnel zurück in einen Menschen verwandelte. „Halte ihn zurück, James. Ich schaue nach, was da ist.“ Trudy tastete sich weiter den dunklen Gang entlang. Schützend hielt sie den leuchtenden Zauberstab vor sich. Nervös biss sie auf ihrer Lippe herum. Wohin führte nur dieser Gang? Es war – so schien ihr - eine Ewigkeit vergangen, als sie vor sich plötzlich Schreie hörte. Geschockt lies sie den Zauberstab fallen und befand sich daraufhin wieder im Dunkeln. Was ging dort vor? Fluchend tastete sie den Boden ab. Ein solches Missgeschick sollte einer Hexe nun wirklich nicht passieren. Kurz darauf durchbrach ein eigenartiges Knurren die Stille. Trudys Herz begann zu rasen. Was war da mit ihr in diesem Gang? Und wie weit war es von ihr entfernt? Konnte es sie riechen? Und vor alledem: Was hatte Remus mit der Sache zu tun? Wo war er? Zitternd suchte sie weiter nach ihrem Zauberstab. Irgendwo musste er doch sein! Einige Meter vor ihr hörte sie plötzlich jemanden reden: „Halte ihn zurück, James. Ich schaue nach, was da ist.“ James? Und das war doch gerade eben Sirius! Aber, wo war Remus? Vor ihr begann ein Zauberstab aufzuleuchten. Erschrocken starrte sie in Sirius‘ überraschte Gesicht. „Du? W-was machst du hier?“ Sirius hatte eine Weile gebraucht, um die Situation zu realisieren. Trudy sprang auf. „W-wo ist Remus? Ich habe ihn gesehen. Er ist hier in den Gang gegangen. Wo ist er?“ Sirius ignorierte ihre Fragen. „Was suchst du hier verdammt?“ Ungläubig schaute er sie an. „Du kannst hier nicht bleiben. Geh sofort den Gang zurück!“ „Wo ist Remus?“ Sirius ging auf sie zu. „Remus ist nicht hier. Du musst dich irren. Er ist nicht hier. Geh zurück!“ „Er ist hier!“ Trudy verstand nicht, warum er sie anlügte. Sie hatte ihn doch gesehen! Was sollte das Ganze? „Geh ZURÜCK!“, wetterte Sirius sie an. Hinter ihm war plötzlich wieder ein Knurren und ein Rumpeln zu hören. „W-was ist dort?“, fragte Trudy und ging auf das Geräusch zu. „Da ist nichts. Geh zurück!“ „Remus ist dort!“ Trudy rannte los. Sie musste wissen, was dort ist. Sie musste wissen, wo Remus ist. Sirius hielt sie fest, als sie an ihm vorbei rennen wollte. „Du kannst da nicht hin, verdammt! Geh endlich zurück!“ „Lass mich los! Ich muss wissen, wo Remus ist.“ Verzweiflung begann sie zu packen. „Geh zurück!“ Sirius wusste nicht, was er machen sollte. Im Bruchteil einer Sekunde erfüllte den Gang ein ohrenbetäubendes Krachen. Holz zerbarst und Steine brökelten irgendwo hinter ihnen. Ein Rumpeln und ein furchteinflösendes Knurren folgte. James schrie aus der Richtung: „Sirius, pass auf! Er ist durch die Öffnung gebrochen!“ „Was?“ Sirius Gesichtfarbe schwand. Er packte Trudy und stieß sie weg. „Renn! Los, verschwinde!“ „W-was?“ Ungläubig beobachtete sie, wie Sirius sich urplötzlich in einen Hund verwandelte. Sein Zauberstab fiel auf den Boden und das Licht erlosch. Trudy konnte nur noch wage Umrisse erkennen. Kurz darauf rannte etwas Großes auf sie zu, wodurch der Boden des Tunnels erbebte. Zitternd drückte sie sich an die Tunnelwand. Was war das? Der Hund, der zuvor Sirius gewesen war, bellte und stürzte sich dem auf sie zukommenden Ungetüm entgegen. Trudy sackte vor Angst auf den Boden. Was war hier nur los? Zufällig fühlte sie unter sich ihren Zauberstab. Zitternd nahm sie ihn und hielt ihn vor sich. Schwach murmelte sie „Lumos“, woraufhin der Tunnel vor ihr hell beleuchtet wurde. Entsetzt erkannte sie, mit WAS Sirius kämpfte. Das Ungetum nahm den Lichtschein war und schaute zu ihr auf. Trudy meinte, ihr Herz würde still stehen. Ohne weiter nachzudenken stand sie auf und rannte los. Sie musste weg von dort. Sie musste weg! Sie musste weg! Hinter ihr hörte sie zuerst weiteres Knurren aus dem Kampf der beiden Tiere. Doch kurz darauf hörte sie, wie etwas hinter ihr her rannte. Etwas, das mehr als zwei Beine hatte. Blind vor Angst versuchte sie, schneller zu rennen, doch die Schritte hinter ihr kamen immer näher. Sie musste weg! Sie musste da raus! Das konnte nicht echt sein. Es war nur ein Traum. Nur ein Traum! Die Schritte kamen näher. Ihr Herz schien zu zerspringen. Es konnte nur ein Traum sein! Nichts anderes! Immer und immer näher kamen die Schritte. Hinter ihr hörte sie schon das Hecheln des Ungetüms. Der Weg wurde steiler. Ihre Beine schwerer. Das Hecheln lauter. Vor ihr kam der Ausgang näher und näher. Ein kühler Luftzug wehte ihr entgegen. Sie hatte es fast geschafft! Doch, zu spät. Das Ungetüm stürzte sich auf sie und riss sie mit auf den Boden. Aufschreiend fiel sie vornüber. Sich wehrend krabbelte sie vorwärts und versuchte so, ihrem Angreifer zu entkommen. Ihre Hände verkrampften sich in dem mit Wurzeln und Gewächsen überzogenen Boden und zogen ihren Körper nach vorne. Über ihr hörte sie das Knurren des Ungetüms. Sie musste weg! Verzweifelt versuchte sie ihre Beine zu bewegen, doch ihr Angreifer hielt sie mit seinem Gewicht fest. Ruckartig bewegte sie ihren Körper, um zu entfliehen, doch ohne Erfolg. Schluchzend stemmte sie sich gegen den Boden. Sie musste irgendwie entkommen. Sie wurde an den Schultern gepackt und mit Gewalt herumgedreht. Verschwommen erkannte sie, dass nicht das Ungetüm sie angegriffen hatte, sondern Sirius, der zuvor wohl noch in der Hundegestalt gewesen war. Er zog sie auf die Beine und ging mit ihr zum Ausgang. Er half ihr durch die Öffnung und ging ein Stück weit hinter die peitschende Weide unter einen Busch. Erst jetzt bemerkte Trudy, wie ihr die Tränen unaufhaltsam die Wangen hinunterliefen. Ihr Körper zitterte und ihr Herz schien nur noch Bruchteile zu sein. Was war nur passiert? Sirius setzte sich ihr gegenüber und betrachtete sie. Er hatte einige Schrammen im Gesicht und seine Haare waren zerzaust. Trudy war nicht fähig etwas zu sagen. Immer noch hatte sie das Bild des Ungetüms vor sich. Mit seinen scharfen Zähnen, den wilden Augen und den großen Klauen. Sirius schüttelte den Kopf. „Warum hast du nicht auf mich gehört?“ Geschockt schaute Trudy ihn an. Warum hatte sie nicht auf ihn gehört? Aber... woher hätte sie wissen können, was sie am anderen Ende des Gangen erwartete. War es... war es ein... Werwolf gewesen? Sie wagte es gar nicht, an diese Möglichkeit zu denken. Sie schaute Sirius an und fragte sich, was er und James mit der Sache zu tun hatten. Und was war mit Remus? Wo war er? Welche Rolle spielte er? Wieder kam ihr das Bild des Ungetüms vor die Augen. Es war alles so verwirrend. Wie war sie in diesen Tunnel gekommen? Warum lag sie nicht in ihrem Bett? Sie konnte ihre Gedanken nicht mehr ordnen. Wieder fing sie an, zu schluchzen. Sie konnte nichts dagegen tun. Ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. Zögernd legte Sirius seinen Arm um ihre Schultern. „Ganz ruhig. Es ist ja nichts passiert.“ Wieder schluchzte sie auf. Verzweifelt kratzte er sich am Kopf. Irgendwas machte er falsch... „Äh... du bist Trudy oder?“ Das Mädchen nickte. „Remus hat mir von dir erzählt.“ Wieder nickte Trudy. Sie schaute zu ihm auf. „Wo ist Remus?“ „Oje...“ Hilfe suchend schaute Sirius sich um, doch niemand war da, um ihm zu sagen, was er tun sollte. „Das... ist eine etwas längere und kompliziertere Geschichte.“ Er schaute zum Mond, der bereits seinen Höhepunkt erreicht hatte. „Warte noch ein paar Stunden, dann kann ich sie dir erzählen.“ Trudy wollte weiter fragen, doch Sirius schüttelte den Kopf. „Nicht jetzt. Schlafe noch ein wenig. Ich passe solange auf dich auf. Beim Morgengrauen kann ich Näheres erzählen.“Er legte seinen Umhang, den er zum Glück trug, um sie beide herum und versuchte, das Mädchen etwas warm zu halten, während sie auf den Morgen warteten. Es dauerte nicht lange, bis das Mädchen eingeschlafen war. Sirius betrachtete sie seufzend. So viel Ärger nur wegen einem Mädchen. Was Remus wohl dazu sagen würde? Der Mond zog über den Himmel, während James und Peter Remus in der Heulenden Hütte Gesellschaft leisteten. In dieser Nacht würden sie nicht in der Gegend umherstreifen. Als Trudy mit Sirius kurz vor Morgengrauen durch den Tunnel ging, nahm eine innere Unruhe von ihr Besitz. Sie spürte wieder die Angst, die sie wenige Stunden zuvor gespürt hatte. Ihr Körper zitterte und das Licht von ihrem Zauberstab tanzte durch den Tunnel. Sirius bemerkte das und legte seine freie Hand auf ihre Schulter. „Ich bin da.“ Kurz zögerte er, dann nickte er ihr nochmals zu. "Glaube mir, es ist besser, wenn wir dich aufklären darüber, was du heute Nacht gesehen hast. Aber du brauchst keine Angst zu haben." Sie war nicht zu mehr als einem Nicken fähig. Mit klopfendem Herzen folgten sie weiter dem stickigen Tunnel, der kein Ende zu haben schien. An der Stelle, an der die beiden aufeinander getroffen waren, blieb Sirius plötzlich stehen. „Warte hier. Ich gehe kurz vor und komme dann wieder.“ Trudy wollte etwas einwenden, doch schon war Sirius in einen Hund verwandelt und eilte davon. Noch immer mit der Angst in den Knochen blieb sie stehen, wo er sie zurück gelassen hatte. Sie meinte das Knurren und das Hecheln des Ungetüms hinter und um sich herum zu hören, doch sie traute sich nicht nachzusehen, ob es wirklich da war. Immer und immer wieder versuchte sie sich klar zu machen, dass sie in Sicherheit war. Das Ungetüm war vor ihr und zwischen ihr und ihm war immer noch Sirius, der sie beschützen konnte, wie auch wenige Stunden zuvor. Schwer atmend wartete sie auf Sirius‘ Zurückkehr. Er würde ganz bestimmt wieder kommen. Die wenigen Sekunden, die sie tatsächlich an dieser Stelle verbrachte, kamen ihr wie eine Ewigkeit vor. Bei jedem einzelnen Geräusch zuckte sie zusammen und traute sich doch nicht ihren Blick von dem Punkt abzuwenden, an dem Sirius zuletzt gestanden hatte. Daher erschrak sie auch, als Sirius seine Hand auf ihre Schulter legte und sie so aus ihren Gedanken riss. „Wir können jetzt“, sagte er und wollte schon gehen, als Trudy ihn noch zurück hielt. „W-was... ist...?“ Sie machte eine Kopfbewegung hin zum anderen Ende des Tunnels und schaute ihn ängstlich an. Sirius seufzte. „Muss wirklich ich dir das sagen?“ Verspannt nickte sie. Sie musste wissen, was es war, sonst würde sie keinen Schritt weiter gehen. Ihr Begleiter scheute sich es zu sagen, doch nach kurzem Zögern murmelte er schließlich: „Ein Werwolf.“ Wie in Trance folgte Trudy ihm nun den Rest des Ganges entlang. Vor einer Öffnung machten sie Halt. Überall lagen abgebröckelte Steine und zersplittertes Holz. Hier war der Werwolf durchgekommen. Sirius wandte sich noch einmal ihr zu. „Es ist kurz vor Morgengrauen. Willst du auf den ersten Sonnenstrahl warten?“ Ohne es beeinflussen zu können, schüttelte sie den Kopf. Sirius nickte und sagte ihr, dass er sich aber nun verwandeln müsste. Ohne auf eine Antwort zu warten, stand er kurz darauf als Hund neben ihr und kletterte durch die Öffnung. Trudy folgte ihm. Wenige Sekunden später fand sie sich in einem kleinen heruntergekommenen Raum wieder. Vor ihr saß Sirius als Hund aufmerksam auf dem Boden. Sie folgte seinem Blick und konnte ihren Augen nicht trauen. Mitten im Raum stand ein Hirsch. Mit den Füßen scharrend hielt er mit seinem mächtigen Geweih den Werwolf zurück, obwohl das schon nicht mehr nötig war. Erschöpft saß das Ungetüm auf dem Boden und konnte noch nicht einmal mehr aufsehen, so schwach war es. Ängstlich betrachtete Trudy den Werwolf. Sie wusste nicht, was sie tun sollte oder was nun passieren würde. Wieder kam die Erinnerung an die Hetzjagd im Tunnel. An die gefährliche starke Gestalt, die sie im Tunnel gesehen hatte. Die ersten Sonnenstrahlen fanden ihren Weg durch die Ritze der Bretter, die vor die Fenster genagelt waren. Der Werwolf heulte auf vor Schmerz. Sein Rücken krümmte sich und die Arme umklammerten verkrampft den Körper. Trudy wurde unwohl und senkte den Blick. Was für Schmerzen das sein mussten, konnte sie sich gar nicht vorstellen. Als sie wieder aufblickte, stand vor ihr kein Werwolf und auch kein Hirsch mehr. James und Sirius befanden sich im Raum. In einer Ecke stand sogar Peter Pettigrew. Und mittendrin auf der Stelle, an der zuvor der Werwolf gewesen war, saß Remus, dem Sirius bereits geholfen hatte, seine Kleidung wieder anzuziehen. Zitternd ging Trudy einen Schritt auf ihn zu. „Remus...“ Erst jetzt blickte Remus zu ihr auf und bemerkte sie. Verwirrt stand er auf und schaute sie entsetzt an. „Trudy, was machst du...?“ Sein Blick schweifte in die Ferne und kurz darauf klarte sich sein Blick, als würde er sich an etwas erinnern. Traurig breitete er die Arme aus und hob kurz die Schultern, als wolle er sagen: „Hier siehst du, was ich bin.“ Trudy rannte los und fiel ihm in die Arme. Die Sonne ging auf und die Schüler von Hogwarts begannen einen neuen Schultag. Ein ganz normaler Tag in ihrem Leben. Kapitel 9: Beziehungskram ------------------------- Der Lärm im Speisesaal war wie jeden Mittag umwerfend. Es wurde mit Geschirr geklappert, Schüler stritten sich um das letzte Steak, während andere noch hektisch Hausaufgaben für den Nachmittagsunterricht fertig machten und sich nebenbei das Mittagessen in den Mund schoben. Die Decke des Saales zeigte einen strahlend blauen Himmel, der auf einen schönen Nachmittag hoffen ließ. Vorsichtig lugte Trudy durch einen Spalt zwischen den zwei schweren Eingangstüren des Saales. Alle wirkten so unbekümmert – sah man mal von den Unglücklichen ab, die entweder keine Hausaufgaben gemacht hatten oder die sich bereits seelisch auf ein angekündigtes Nachsitzen bei Filch vorbereiteten. Hatte denn niemand etwas von den Geschehnissen in der Nacht mitbekommen? Trudy war es noch so deutlich in Erinnerung geblieben, dass es sie immer noch schüttelte, wenn sie an das unheimliche Knurren im dunklen Gang zurück dachte. Was sie jedoch überraschte, oder eher, was sie sehr schön fand, war, dass es sie nicht störte, wer oder was Remus in Wirklichkeit war. Natürlich war es ein wenig beängstigend und sie fürchtete sich eher vor ihrer Erinnerung, da sie zu dem damaligen Zeitpunkt nicht wusste, worum es sich bei der Gefahr handelte. Aber sie mochte Remus noch immer. Wenn nicht sogar mehr und daran gäbe es auch nichts zu rütteln. Sie wusste nur nicht, wie sie sich beim nächsten Vollmond verhalten sollte. Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken los zu werden. Jetzt war jetzt und der nächste Vollmond würde erst in einem Monat sein. Geräusche von näher kommenden Schritten rissen sie aus ihren Gedanken. Aufgeregt trat sie von einem Fuß auf den anderen. Remus hatte sich am Morgen hingelegt, um sich zu erholen, während sie und seine Freunde in den Unterricht gingen, dem sie jedoch nicht wirklich folgen konnte. Remus hatte darauf bestanden, dass sie ginge, da er nicht wollte, dass sie wegen ihm Stoff versäume. Er hatte ihr versprochen, sie beim Mittagessen vorm Speisesaal zu treffen. So stand sie schon lange vor Beginn des Essens am abgemachten Treffpunkt, wartete auf ihn und beachtete die fragenden Blicke der anderen Schüler nicht, die sich wunderten, was sie da tat. Sie unterdrückte einen Freudensprung, als Remus um die Ecke bog und auf sie zu kam. Egal was passierte, sie konnte ihre Gefühle für ihn nicht leugnen. Unsicher trat Remus auf sie zu und wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Er blieb vor ihr stehen und hatte Mühe, ihr in die Augen zu schauen. Sie merkte sofort, dass er versuchte, etwas zu sagen, also wartete sie ab, statt ihn gleich anzustürmen, und rührte sich nicht von der Stelle, auch wenn es schwer war. Remus rang mit sich selbst. Wie sollte er es ihr nur sagen? Es war schon schwer gewesen, es damals seinen heutigen besten Freunden zu sagen. Aber nun kam ein weiteres Gefühl dazu, welches er auf keinen Fall aufgeben wollte. Doch wenn er es ihr sagte, gefährdete er, dass sie seinem Rat folgte und er sie nie wieder … Er würde sie … verlieren. Mit leicht zitternden Fingern nahm er ihre Hand und versuchte ihr in die Augen zu schauen. Dieses dunkle Braun hatte ihn seit ihrer ersten Begegnung fasziniert. Die kurzen schwarzen Haare umrahmten in wilden Strähnen ihr blasses Gesicht, das durch die Erlebnisse in der Nacht und dem wenigen Schlaf noch bleicher wirkte. Auf der Nase zeigte sich eine rote Färbung, wahrscheinlich eine durch die Stunden in der Kälte eingefangene Erkältung, was ihr jedoch etwas Niedliches verlieh. Nein, er konnte es nicht! Er konnte es ihr nicht sagen. Er konnte sie nicht mehr loslassen! Sie sah, wie er nach Worten rang und spürte wie sich seine Gedanken überschlugen. Sie konnte es nicht mehr mit ansehen. Er tat ihr Leid, wie er sich quälte. „Remus, sag mir, was du zu sagen hast.“ Sie überraschte sich selbst, wie ruhig sie dies von sich gab. Sein Gesichtsausdruck zeigte nicht mehr seine Verzweiflung, sondern tiefe Traurigkeit. Er schluckte und brachte schließlich stockend die schwierigsten Worte seines Lebens heraus: „I-ich… kann verstehen… Ich kann verstehen, wenn du. Ich meine, wenn du nichts mehr mit mir… zu tun haben willst. Wer will schon mit einem…“ Er schluckte abermals. „Wer will schon mit mir zusammen sein?! Es tut mir leid, dass ich dich da hineingezogen habe.“ Er machte sich schon darauf gefasst, dass sie ihre Hand aus seiner lösen würde, doch nichts geschah. Nach einigen Sekunden blickte er verwirrt und ängstlich zu ihr auf – auf alles gefasst. Nur nicht auf ihr Lächeln. Sie lächelte ihn an und schüttelte den Kopf. Im nächsten Atemzug umarmte sie ihn so fest sie konnte. „Du spinnst vielleicht. Wie könnte ich nur nicht mit dir zusammen sein wollen?“ Sie spürte, wie er seine Arme um sie legte. Glücklich sog sie den Geruch seiner Haare, seines Körpers ein. Sie konnte nicht anders, sie musste lachen. Sie lachte alles hinaus und stellte sich vor, all ihre guten Gedanken in Remus Körper zu schicken, damit er irgendwann mit ihr lachen konnte. Sie löste sich von ihm und blieb vor ihm stehen. „Du wirst mich nicht so schnell los, Remus. Erst, wenn sich herausstellt, dass du in Wirklichkeit eine riesengroße haarige Spinne bist, dann reden wir nochmal darüber.“ Überglücklich nahm sie sein Gesicht in die Hände und küsste ihn – um im nächsten Moment festzustellen, was sie da eigentlich getan hatte. Ihr Selbstbewusstsein, das kurz zuvor Saltos geschlagen hatte, verflüchtigte sich wie die Luft aus einem aufgeplatzten Luftballon. Fast schon hörte sie das Zischen der entweichenden Selbstbewusstseinsluft in ihren Ohren. Unsicher ging sie einen Schritt zurück und stammelte vor sich hin. Als sie Remus‘ verdutzten Gesichtsausdruck sah, fiel ihr ein, dass sie gar nicht wusste, wie seine Gefühle für sie waren. Entsetzt ging sie weitere Schritte rückwärts und versuchte, ihr Verhalten zu erklären. „Remus, das… Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Ich… Verzeihe, das war… Oje. Ich wollte nicht… Es… Entschuldige mich bitte.“ Sie wollte schon auf dem Absatz kehrt machen, um aus der Situation zu entfliehen, als Remus aus seiner Starre erwachte und sie gerade noch im letzten Moment festhielt. „Jetzt warte mal!“ Weiter wusste er leider auch nicht, was er sagen sollte. Er schaute in ihre ängstlichen Augen, die nun wirklich als Rehaugen bezeichnet werden konnten, und suchte nach den richtigen Worten. Er wusste nicht mal, was genau er ihr sagen wollte. Wie sie so zitternd vor ihm stand, als erwarte sie den Weltuntergang, konnte er einfach nicht mehr anders. Er lachte. Er lachte die komplette Anspannung heraus und nahm sie in den Arm. „Du bist mir vielleicht eine!“ Die Rollen tauschten sich. Er hielt sie fest und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Dass du dich ja nie mehr bei mir entschuldigst, wenn du mich küsst!“, lachte er und küsste sie grinsend ein weiteres Mal. Und bei diesem einen Mal blieb es auch nicht. Im Speisesaal wunderten sich James und Peter, wo Remus blieb. Sirius grinste jedoch – er hatte so eine Ahnung… ~ Vor sich hin summend schlenderte Lily durch den Innenhof und ging nochmals die Liste durch, auf der stand, was sie an Zutaten besorgen mussten. Es war Mittagspause und die Schüler nutzten die Zeit und das gute Wetter, um im Schnee zu toben. Tatsächlich zeigte sich ein strahlend blauer Himmel, der einen einfach aufforderte, ins Freie zu gehen. Lily war gut gelaunt. An diesem Abend würden sie ins Gewächshaus gehen, um die ersten Zutaten zu besorgen. Und wenn sie die Liste genauer anschaute, fiel ihr auf, dass sie auch manche Ingredienzien aus der Vorratskammer des Zaubertrankprofessors Slughorn „borgen“ mussten. Sie musste zu ihrem Erstaunen kichern. Sie konnte die Aufregung jetzt schon spüren… „Hey Lily!“ Angewidert drehte sich Lily zu der Person um. Diese Stimme würde sie überall wieder erkennen. „Was willst du?“, fragte sie Angus McMillen in einem Tonfall, der eindeutiger nicht sein konnte und folgendes aussagte: „Verpiss dich.“ Angus schien diesen Tonfall entweder nicht zu verstehen oder zu ignorieren. „Ich gebe dir noch eine Chance. Geh mit mir aus.“ Er kam näher auf sie zu, aber Lily fiel es in der Welt nicht ein, vor so einem Macho Schwäche zu zeigen und auch nur einen Schritt zu weichen. „Und wenn ich diese ‚einmalige Chance‘ nicht nutze? Kurz: Wenn ich keinen Bock auf dich habe?“ Ihr Gute-Laune-Pegel schoss in Sekundenschnelle in den Minusbereich. Und dieser Umstand verschlechterte ihre Laune umso mehr. „Dann muss ich dir wohl zeigen, was du verpasst“, sagte Angus knapp, packte Lily, stieß sie gegen einen der Säulen, die das Atrium schmückten, und drückte seinen Körper gegen den ihren. „Ich habe gesagt, dass ich dich noch kriege.“ Mit einer Hand hielt er sie fest und fuhr mit der anderen ihre Hüfte entlang hinauf zu ihrem Hals. Mit einer geschickten Bewegung zog er den Schal hinunter. Wissend über seinen Triumph senkte er seinen Kopf, um die nun freigelegte Haut mit seinen Lippen zu berühren. Lily konnte nicht reagieren – so geschockt war sie von McMillens plötzlichem Angriff. Als sie seine Hand auf ihrem Körper spürte und auch ein anderes Körperteil, das sich nun bemerkbar machte und gegen ihren Leib drückte, erwachte sie endlich aus ihrer Starre. Ihr wurde übel. Dennoch stemmte sie sich mit aller Kraft gegen McMillen und versuchte, von ihm loszukommen. „Angus, hör auf! Ich will das nicht!“ Er lachte nur. Dieses gehässige Lachen, das all seinen Triumph ausdrückte, trieb Lily die Tränen in die Augen. Sie war nicht schwach, aber gegen einen so großen und starken Mann konnte sie nichts tun. Sie versuchte das Knie zu heben, doch McMillen presste sich so stark gegen sie, dass es ihr unmöglich war, auch nur ansatzweise das Bein zu bewegen. Sie wand sich in seinem festen Griff und spürte, wie sich ihr Magen umdrehte, als sie seine feuchten Lippen auf ihrer Haut spürte. Warum bemerkte niemand, dass hier etwas nicht stimmte?! Sie holte Luft um zu schreien, aber Angus schien das zu ahnen und drückte ihr seine freie Hand auf den Mund. Sie nutzte die Gelegenheit und biss so fest zu, dass sie Blut schmeckte. Schreiend ließ McMillen von ihr ab und betrachtete die blutende Bisswunde. „Du Miststück!“, fluchte er und holte aus. Eine Hand schloss sich um seine Faust und drückte sie mit Leichtigkeit runter. Angus schaute erstaunt auf. „Was willst du, Snape?“ Severus zögerte nicht lange, holte aus und schlug McMillen mit aller Wucht ins Gesicht. Ein knirschendes Knacken berichtete von Angus‘ gebrochener Nase. Geschockt schaute er nun auf das zu Boden tropfende Blut. Wut ließ seine Augen funkeln und er verlor die Kontrolle über seinen Körper. „Du verdammtes Arschloch!“, schrie er und machte eine ausholende Geste auf Severus zu… Die urplötzlich einfror. Angus stand da wie eine Statue. Professor McGonagall trat mit gezücktem Zauberstab hinzu. Außer Atem betrachtete sie Lily von oben bis unten. Kurz schaute sie zu Severus, um sich dann wieder an Lily zu wenden. „Alles in Ordnung mit Ihnen, Miss Evans? Eine Zweitklässlerin berichtete mir, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugehe.“ Lily nickte schluckend. „J-ja. Es ist alles in Ordnung.“ Professor McGonagall nahm diese Information nickend zur Kenntnis. „Wenn dem nicht so ist, können Sie auch zu Madame Pomfrey in den Krankenflügel.“ Sie schaute zu Severus „Mister Snape wird sie begleiten. Und ich“, sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf Angus, „ich werde mich um Mister McMillen hier kümmern.“ Angus erwachte aus der Starre. McGonagall packte ihn am Ohr und zog ihn mit sich. „Wir gehen jetzt zu Professor Dumbledore, wo auch schon Ihr Hauslehrer wartet.“ Severus stand da und blickte mit ausdruckslosem Gesicht der jungen Professorin und dem blutenden McMillen hinterher. Er wagte es nicht, Lily anzuschauen, da er nicht wusste, wie seine Gesichtsmuskeln reagieren würden… Er konnte gerade selbst nicht einmal einordnen, was er fühlte - wie sollte er dann noch wissen, was sein Gesichtsausdruck sagen würde. Lily hingegen betrachtete Severus und konnte ihre Gedanken nicht ordnen. Was war gerade passiert? Und wieso blieb Severus da stehen, schien so unnahbar und nahm sie nicht in den Arm? Sie wollte in den Arm genommen werden! Sie konnte nicht mehr. Langsam streckte sie ihren Arm und hielt ihre Hand in der Luft – darauf wartend, wie Severus reagieren würde. Severus schaute immer noch auf die Stelle, an der McGonagall und McMillen zuletzt zu sehen waren. Aus dem Augenwinkel bemerkte er Lilys Hand. Ohne sie anzuschauen, griff er nach der Hand, zog Lily langsam zu sich her und nahm sie in den Arm. „Wir gehen jetzt in den Krankenflügel“, sagte er leise, während Lilys Weinen ihn schier verrückt machte. Kapitel 10: Der Held der Stunde ------------------------------- Severus betrachtete die Knöchel seiner rechten Hand. Sie schmerzten noch leicht vom Schlag auf Angus McMillens Gesicht. An drei Stellen, wo die Haut am dünnsten ist, waren Blutgefäße aufgeplatzt. Severus öffnete die Hand und ballte sie wieder zu einer Faust, sodass sich die verletzte Haut brennend auseinanderzog. Der junge Slytherin verzog dabei keine Miene – es war ein beinahe wohltuender Schmerz. Denn er war mit dem Gedanken verbunden, dass McMillen einen stärkeren Schmerz als er verspürte. Er atmete tief ein und aus und schaute auf die große Tür, die ihm gegenüber lag. Dahinter verbarg sich der Krankensaal von Madam Pomfrey, die sich gerade mit Lily unterhielt. Severus wollte dabei nicht stören und hatte den Raum verlassen, nachdem er Lily in die Obhut der erfahrenen Krankenschwester gegeben hatte. Nach dem sprichwörtlichen Zusammentreffen zwischen Severus und McMillen waren er und Lily noch eine Weile nach dem Vorfall im Innenhof verblieben, bis sich Lily einigermaßen beruhigt hatte. Severus‘ Wut, die er zuvor McMillen gegenüber verspürt hatte, hatte zu diesem Zeitpunkt dem Gefühl der Hilflosigkeit und Überforderung Platz gemacht. Lily war völlig aufgelöst gewesen und er war sich seiner Machtlosigkeit bewusst geworden. Wie er nun einige Zeit zum Reflektieren hatte, schwand auch dieses Gefühl zugunsten der Empfindung ‚Verwirrung‘. Er wusste nicht mehr, was er fühlte oder gar fühlen sollte. Er konnte nicht mehr abwägen, welches Verhalten nun angebracht wäre. Und am meisten beschäftigte ihn sein eigenes Handeln wenige Minuten zuvor. Nicht nur, dass er jemand anderes geschlagen hatte – er hatte Körpernähe zugelassen und sogar selbst herbeigeführt, die ihm schon lange nicht mehr in der Form zuteil geworden war. Nachdenklich schaute er auf die Tür des Krankensaales. Sollte er vielleicht Lilys Freundin Emilie holen? Aber… wie sah sie gleich nochmal aus? Er kannte sie natürlich, aber sonderlich in Erinnerung war sie ihm nicht geblieben. Hatte sie nicht dunkelbraune Haare? Grübelnd schaute er an die Decke und versuchte, sich zu erinnern. In dem Moment, als ihm langsam das Gesicht der Freundin wieder einzufallen schien, öffneten sich die Tore zu Madam Pomfreys Reich. Die Krankenschwester im mittleren Alter kam auf Severus zu und sprach in leisem Ton zu ihm. „Es geht der jungen Miss Evans soweit wieder gut. Sie litt unter einem kleinen Schock – ganz normal und verständlich nach einem solchen Vorfall. Bei einem solchen Rüpel können einem die Emotionen schon einmal durcheinander geraten. Gut, dass Sie an Ort und Stelle waren, Mr Snape. Ich denke, ich werde jetzt in eine spontane Pause gehen. Mr McMillen wird wohl oder übel auf eine Behandlung warten müssen, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Sie warf ihm ein verschmitztes Zwinkern zu. Dann fiel ihr Blick auf seine noch zur Faust geballte Hand. „Soll ich nicht doch mal danach schauen?“ Severus schüttelte den Kopf und schaute sie direkt an. „Danke, Madam Pomfrey. Mir geht es gut. Ich brauche nichts, das ist halb so--- Lily!“ Sein Blick glitt an der Krankenschwester vorbei. In diesem Moment folgte Lily Madam Pomfrey aus dem Krankensaal und ging mit einem leicht verlegenen Lächeln auf Severus zu. Ihren Umhang, den sie draußen im Hof noch getragen hatte, trug sie nun über den Arm geworfen. Mit der anderen Hand strich sie sich unbehaglich über den Oberarm. Sie wendete sich an Madam Pomfrey: „Vielen Dank für das Gespräch mit Ihnen. Ich denke, ich darf gehen?“ Madam Pomfrey nickte bestätigend und kehrte zurück in den Saal, woraufhin sich die Türflügel hinter ihr schlossen. Lily und Severus standen sich gegenüber und wussten beide nicht so recht, was sie sagen sollten. Vereinzelt versuchten beide, einen Satz anzufangen, ließen es dann aber doch. Schließlich trafen sich ihre Blicke, welche ihre Sprachlosigkeit zum Ausdruck brachten. Es schien fast, als würden sie die Luft anhalten. Mit einem Mal fing Lily an, zu lachen und ließ ihre Anspannung fallen. Severus konnte diesen Gefühlsausbruch nicht ganz nachvollziehen und wartete ab, bis sich Lily erklärte. Diese wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. „Entschuldige, es ist nur… ich kann nicht anders. Hast du McMillens Gesichtsausdruck gesehen? Direkt nachdem du ihn geschlagen hattest? So fassungslos habe ich ihn noch nie gesehen.“ Sie lachte nochmals kurz auf. „Ich meine, dieser Gesichtsausdruck war doch irgendwie Gold wert, oder?“ Abwartend und einen weiteren Lacher unterdrückend schaute sie Severus an. Dieser sah die kleinen Lachfalten an ihren Augen und das schiefe Grinsen, das seit einer Woche ständig ihm galt (was ihm immer noch ein Rätsel war) – und musste ebenfalls lachen. „Ja, irgendwie… Du hast Recht. Das war wirklich Gold wert!“, konnte er zwischen dem Lachen noch hervorbringen. Es war fast schon paradox und irgendwie nicht er selbst. Hier stand er und lachte ausgelassen mit Lily Evans – einem Mädchen, das ihm vorher höchstens durch ihre schulischen Leistungen in Zaubertränke aufgefallen war. Er schien gar nicht mehr er selbst zu sein. Oder… war er davor nicht er selbst und jetzt begann er, endlich sein wahres Ich zu entdecken? – ‚Was für ein verrückter Gedanke‘, schoss es ihm durch den Kopf. Lily bekam ihren Lachanfall unter Kontrolle und versuchte mit einer Hand auf der Brust, nach Atem zu schöpfen. Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder ernster, aber man merkte, dass ihr das Lachen gut getan hatte. „Severus, ich möchte dir noch danken.“ Sie kam einen Schritt näher und legte eine Hand auf seinen Oberarm. „Danke, dass du für mich da gewesen---“, sie korrigierte sich, „dass du für mich da bist.“ Ihr Blick fiel auf seine Hand, die vom Schlag verletzt war. Zögernd griff sie danach und ließ den Blick darauf gesenkt. „Dass du für mich mutig gewesen bist.“ Severus war dies alles unangenehm – es war eine ganz automatische Reaktion. Er hatte nichts Besonderes getan. Er wollte diesen Dank nicht. „Ich bin nicht mutig. Das bin ich nicht“, widersprach er und entzog ihr seine Hand. Konnten sie nicht lieber wieder über ihr Zaubertrankprojekt sprechen? Bei solchen Gesprächsthemen fühlte er sich deutlich wohler. Sein Einspruch klang forscher, als er es beabsichtigt hatte. Lily lächelte und legte den Kopf schief. „Vor einer Stunde bist du aber mutig gewesen.“ An Severus‘ zu Boden gerichteten Blick merkte sie, dass er nicht darüber reden wollte. Sie hatte ihren Dank ausgedrückt und wusste sehr genau, dass in Severus mehr steckte, als alle und womöglich er selbst ahnten. Irgendwann würde er das auch erkennen. Aber nun war es wohl das Beste, das Thema zu wechseln, entschied sie. Verschwörerisch senkte sie ihre Stimme: „Gehen wir also heute Nacht ins Gewächshaus?“ Severus schien aus seiner Starre zu erwachen. Kurz räusperte er sich. „Der Plan bleibt bestehen. Wir treffen uns am besten nach dem Abendessen beim Schuppen mit den schuleigenen Besen. Dort können wir uns verstecken, bevor die Ausgangssperre beginnt und Filch auf Patrouille geht. Bring die Liste und eine Tasche mit!“ Er ließ sich den Plan mit einem Nicken seitens Lilys bestätigen. Er überlegte, zögerte und setzte dann doch an: „Ähm, Lily, wie geht---“ „LILY!!“, schrie Emilie ganz aufgebracht, unterbrach damit Severus und rannte ganz aus der Puste den Gang hinunter auf die beiden zu. „Oh, meine arme Lily! Susan hat mir gerade erzählt, was passiert ist. Ich hab alles stehen und liegen lassen. Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung?“ Besorgt nahm sie Lily in den Arm, um sie kurz darauf eine Armlänge auf Abstand zu schieben, damit sie sie von oben bis unten auf Verletzungen oder sonstige Anzeichen auf ihr widerfahrenes Unheil hin untersuchen konnte. „Dieser Angus kann was erleben, wenn er mir über den Weg läuft! So eine hinterlistige, dreckige, verabscheuungswürdige, wertlose Ratte!“ Emilie hörte in ihrem Redeschwall gar nicht mehr auf. Lily versuchte, sie beschwichtigend zu unterbrechen. „Emilie, es ist alles in Ordnung. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich hatte Hilfe.“ Sie warf Severus einen Blick zu, den er nicht so recht deuten konnte. „Severus hat McMillen eine verpasst.“ Wieder huschte ihr bei dem Gedanken ein Grinsen übers Gesicht. „Er hat WAS?!“, rief Emilie fassungslos und blickte nun auch zu Severus. „Mann oh Mann, alter Schwede! Das hätte ich dir gar nicht zugetraut, Snape!“ Mit offenem Mund und ungläubigen Blick bedachte sie Severus, bis ihr ihre guten Manieren wieder einfielen. Sie räusperte sich, löste sich von Lily, die sie immer noch an den Schultern gepackt hatte, und drehte sich zu Severus. Dieser fühlte sich wegen der plötzlichen Aufmerksamkeit erneut recht unwohl in seiner Haut und wünschte sich, er könnte jetzt schon alleine apparieren… und dass Apparieren in Hogwarts möglich wäre… Emilie schien in diesem Moment alle Vorurteile über Bord zu werfen – Lily hörte fast regelrecht das platschende Geräusch im Wasser. Ihre Freundin streckte die Hand aus. „Danke, Snape. Das hat der Dreckskerl verdient. Du bist…“, sie überlegte, „ein feiner Kerl. Ja, doch, ein feiner Kerl. Da hat Lily Recht.“ Sowohl Lily als auch Severus schauten sie mit perplexem Blick an. ‚Ein feiner Kerl‘?! Lily überlegte, wann sie das je so in der Form zu Emilie gesagt haben soll. Sie musste schmunzeln. Aber ja, es stimmte. Severus hingegen wusste gar nicht, wie man auf eine solch direkte Bemerkung reagierte. Er reichte Emilie zögernd die Hand und nickte lediglich. Das sollte fürs erste genügen, beschloss er. Emilie schien damit ebenfalls zufrieden zu sein. Sie legte beschützend einen Arm um Lilys Schultern und wandte sich bereits zum Gehen. „Wenn du erlaubst, ich werde Lily jetzt entführen und etwas ablenken. Ihr beiden seht euch heute Abend ja wahrscheinlich eh wieder in der Bibliothek. Dann bin ich jetzt mal dran.“ Sie zwinkerte Severus zu, was ihn vollends aus der Bahn warf. „Äh, ja. Genau. In der Bibliothek. Dann also… bis später, Evans.“ Etwas verdattert blickte er den beiden Mädchen hinterher. Lily warf kurz mit einem entschuldigenden Achselzucken einen Blick zurück und verschwand dann um die Ecke. Severus blieb noch einige Momente dort stehen und grübelte über das eben passierte nach. Gedankenverloren betrachtete er seine Hand, deren leichte Schmerzen er erst jetzt wieder bemerkte. Langsamen Schrittes begann er den Weg zurück in seinen Gemeinschaftsraum, ohne den Blick von der Hand zu lösen. Es war eigenartig… aber er meinte noch immer die Berührung durch Lilys Finger spüren zu können. Sie hatten sich warm und weich angefühlt. Wie die Umarmung, als sie wenige Augenblicke zuvor im Innenhof gestanden hatten. Severus hielt inne und ihm kam ein verrückter Gedanke in den Sinn, dem er allerdings zustimmen musste. Er musste zugeben, es war ein angenehmes Gefühl gewesen. Und das verwirrte ihn umso mehr. Denn er spürte, dass er diese Wärme gerne wieder fühlen würde… ~~*~~ James schlenderte grübelnd durch die Gänge, die zum Portrait der Fetten Dame und somit zu den Gryffindor-Gemeinschaftsräumen führten. Er war auf dem Rückweg vom Nachmittagsunterricht in den wohlverdienten Feierabend. Seine Gedanken waren bei seiner süßen, wunderbaren Lily. Wenige Stunden zuvor hatte er sie beim Spaziergang im Innenhof beobachtet. Ihre anmutige Gestalt und ihre wunderschönen roten Haare hatten im reinen Weiß des Schnees geradezu bezaubernd ausgesehen. James hielt inne und schaute andächtig an die Decke. Dieser Gedanke war geradezu poetisch gewesen – ein lyrisches Meisterwerk. Schnell zog er ein Stück Pergament aus seiner Tasche hervor und notierte sich den lyrischen Erguss. Dieser würde sich vorzüglich für einen Brief an Lily eignen. Siegesgewiss grinsend packte er Pergament und Bleistift wieder ein. Seine Gedanken kehrten wieder zu Lily im Schnee zurück. Er wäre gerne zu ihr gegangen, um mit ihr ein unverfängliches Gespräch anzufangen und so nach und nach ihre Liebe zu gewinnen. Allerdings war ihm dann am anderen Ende des Innenhofes Snape aufgefallen. Die Versuchung war einfach zu groß gewesen und er hatte sich auf den Weg gemacht, um der Hakennase ein wenig das Leben schwer zu machen. Snape hatte allerdings den nahenden James bemerkt und war in einen Gang geflüchtet. James war sich sicher gewesen, dass er den Slytherin dort würde stellen können, doch als er in den Gang bog war Snape verschwunden gewesen. Er hatte ihn noch eine Weile in den umliegenden Gängen gesucht – ohne Erfolg. Als er in den Innenhof zurückkehrte, war Lily bereits nicht mehr da gewesen. James seufzte bei diesem Gedanken. Das war wirklich ein frustrierender Mittag gewesen. Nicht nur, dass er selbst die Chance verpasst hatte, mit Lily in romantischer Atmosphäre zu sprechen, er hatte darüber hinaus auch noch Snape verloren. Schlimmer konnte der Tag nicht werden. Sein einziger Lichtblick war der Abend – sicher würden die beiden sich wieder zum Lernen treffen. Er schlug mit der rechten Faust in seine linke Handfläche – das war DIE Idee! Er würde Lily einfach folgen und so ihren geheimen Treffpunkt erfahren. Warum war ihm das nicht früher eingefallen?! Mit sich und seiner Genialität selbst zufrieden setzte er den Weg in den Gemeinschaftsraum fort. Als er am Portrait der Fetten Dame ankam, unterhielt sich diese gerade aufgeregt mit einem älteren Zauberer im Nachbargemälde: „… das war eine reine Heldentat wie sie im Bilderbuch steht, wenn Sie mich fragen. William von Godswill vom Gemälde kurz vorm Kerkereingang hat mir berichtet, dass er in dem jungen Mann schon immer viel Potential gesehen habe. Mumpitz, wenn sie mich fragen. William möchte sich jetzt nur profilieren als wahrer Menschenkenner…“. James räusperte sich und sagte das diesjährige Passwort: „Rosa Einhornhuf“, aber die Fette Dame beachtete ihn nicht. „… er hat ihm einfach so ins Gesicht geschlagen“, berichtete die Fette Dame dem älteren Zauberer, ohne eine Notiz von James zu nehmen. Eine jüngere Hexe im Gemälde über der Fetten Dame mischte sich in das Gespräch mit ein: „Also ich habe sogar gehört, dass er ihn mit einem Zauberspruch gegen den nächsten Baum geschleudert hätte.“ Die Fette Dame reagierte auf die unhöfliche Einmischung und die in ihren Augen erfundene und haarsträubende Einzelheit unwirsch. „Ach, was wissen Sie denn schon, Agathe!“, bellte sie nach oben und warf einen vielsagenden Blick zum Zauberer, mit dem sie sich gerade unterhalten hatte. „Agathe neigt immer so sehr zu Übertreibungen…“, flüsterte sie ihm zu und deutete eine Drehbewegung ihres Zeigefingers an ihrer Stirn an. James räusperte sich nochmals lauter und sagte erneut das Passwort. Fast in Zeitlupe drehte die Fette Dame ihren Kopf zu James. Die Unhöflichkeiten in den letzten Minuten begannen ein Ausmaß anzunehmen, welches die höchste Toleranzgrenze der Fetten Dame zu erreichen drohte. „Was willst du?“, presste sie hervor. „Ich möchte in den Gemeinschaftsraum“, knirschte James zurück, der ebenfalls kurz vorm Verlust seiner Geduld stand. Die Fette Dame schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Passwort?!“ James schnaufte. „Das hab ich doch schon zwei Mal gesagt!“ In Gedanken fügte er hinzu: ‚Du alte Schnepfe!‘ – aber er wusste, dass er das nicht sagen durfte, wenn er dieses Schuljahr nochmal in den Gemeinschaftsraum und zu den Schlafsälen gelangen wollte. Die Fette Dame richtete sich auf und schaute mit erhobenem Haupt auf James hinab. Sie genoss ihre Machtstellung gegenüber den Schülern und setzte diese zu gerne ein. „Passwort?!“, wiederholte sie, innerlich kichernd. James seufzte und murmelte: „Rosa Einhornhuf.“ Augenblicklich schwang das Portrait zur Seite und öffnete somit den Weg in den Gemeinschaftsraum. Als James in den Durchgang trat hörte er noch, wie die Fette Dame zum Zauberer sagte: „Potter wird zum Beispiel nie so vorbildlich sein wie der junge Severus Snape…“ Kurz hielt James inne. Hatte er das gerade richtig gehört?! Redeten die über Snape?! Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Sicherlich hatte er sich nur verhört. Im Gemeinschaftsraum war allerdings auch ein aufgeregtes Treiben unter den Schülern, ähnlich dem zwischen der Fetten Dame und den Gemälden darum herum. Viele hatten die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten miteinander. In einer Ecke des Raumes schien ein Junge seinen Freunden eine Geschichte zu erzählen. Er demonstrierte eine der Szenen an seinem Kumpel, indem er so tat, als würde er ihm ins Gesicht schlagen. Kopfschüttelnd wendete sich James davon ab. Er fand Sibylle, die in seinem Quidditch-Team war, lesend in einem der Ohrensessel. „Hey Sibylle!“, er setzte sich auf eine der Armlehnen und beugte sich zur ihr runter. „Weißt du, was hier gerade abgeht?“ Sibylle klemmte einen ihrer Finger zwischen die Seiten und klappte das Buch zu. „Hast du das nicht mitbekommen?! Das ist Gesprächsthema Nummer Eins seit zwei Stunden. Und zumindest bei uns in Gryffindor ging es um wie ein Lauffeuer.“ Nachdem James unwissend den Kopf geschüttelt hatte, fuhr sie fast verschwörerisch erzählend fort. „Angus McMillen aus Ravenclaw hat Lily Evans heute Mittag im Innenhof bedrängt und“, sie senkte die Stimme, „sexuell belästigt. Heftig, oder? Ich hätte nie gedacht, dass so etwas mal in Hogwarts passieren würde…“ James sackte das Herz in die Hose. Er hatte sie doch mittags im Innenhof gesehen! Warum war ihm das nicht aufgefallen?! Er hätte ihr doch helfen können! Langsam dämmerte es ihm: Er hatte lieber Snape gejagt, anstatt Lily zur Seite zu stehen. Mit schmerzverzogenem Blick lehnte sich James leicht zurück. Er hätte ihr Retter sein können, aber er war lieber dummen Jungenstreichen nachgegangen… Sibylle sprach weiter: „Aber das ist noch nicht alles! Du ahnst niemals, wer ihr geholfen hat!“ James bekam allerdings so langsam eine üble Vorahnung. Hatten sich die Gespräche der Fetten Dame etwa auf diesen Vorfall bezogen…?! „Lily hat Angus in die Hand gebissen. Und dann hat Severus Snape – du weißt schon, der aus Slytherin – er kam gerade dazu und hat Angus mit Wucht ins Gesicht geschlagen. Bam! Amanda hat erzählt, dass überall Blut gewesen sei. Sie hat es mit eigenen Augen gesehen. Ist das nicht irre?! McGonagall hat Angus dann zu Dumbledore gebracht. Der kann aber was erleben…“ James hörte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zu. Wie in Trance stand er auf und begab sich zu seinem Lieblingsplatz am Fenster. Snape hatte Lily gerettet. Und er selbst hatte versagt. Er blickte in den Raum und sah, wie alle aufgeregt weiter über den Vorfall zu tuscheln schienen. Und nun war Snape der Held der Stunde. James hätte dieser Held sein sollen. James und nicht der dreckige Snape! Der Held in den Augen aller und vor allem für Lily. Vor Ärger stöhnend schlug sich James gegen die Stirn und raufte darauf seine Haare. Das wäre eine einmalige Chance gewesen und er hatte sie versäumt. Da fiel ihm ein… Er hielt in der haarraufenden Bewegung inne und suchte aufgeregt mit den Augen den Gemeinschaftsraum ab. Wo war eigentlich Lily?! Wie ging es ihr? Sie musste doch am Boden zerstört sein. Vielleicht konnte er ihr tröstend zur Seite stehen? Doch im Gemeinschaftsraum war sie nirgends zu sehen. Schnell eilte er wieder zur lesenden Sibylle zurück. „Sibylle, wo ist Lily?!“ Diese schaute von der erneuten Störung leicht genervt auf. „Emilie ist mit ihr unterwegs und lenkt sie etwas ab, soweit ich weiß. Ich schätze dass sie vorm Abendessen nicht wieder hier her kommen. Fängt ja auch gleich an...“ Seufzend ließ James die Schultern hängen. Und nun? Was sollte er tun? Sein Blick glitt wieder durch den Gemeinschaftsraum. Er konnte die Rumtreiber nirgends entdecken. „Sibylle, wo sind Sirius, Remus und Peter?“ Sibylle stieß James genervt von der Armlehne runter. „Mensch, James, bin ich die Auskunft oder was?! Ich führe kein Verzeichnis über die An- und Abwesenheit aller Gryffindors. Geh und such sie gefälligst selbst.“ Demonstrativ hob sie ihr Buch auf Augenhöhe, um James damit deutlich zu machen, dass sie für weitere blöde Fragen nicht verfügbar sei – wenn er schon nicht den neusten Tratsch mit ihr bereden wollte. Denn als sie diesen erzählen wollte, hatte er sie ja eiskalt ohne ein Wort sitzen lassen. James ging mürrisch in Richtung des Durchgangs. Warum waren denn heute alle so pampig zu ihm?! Und was war bitte eine „Auskunft“?! Das musste wieder irgend so eine Muggelerfindung sein. Er schüttelte den Kopf und schob den Gedanken beiseite. Jetzt musste er erstmal seine Rumtreiber finden, damit sie ihm gefälligst halfen. Irgendwo mussten die Nichtsnutze ja sein. ~~*~~ Sirius lehnte sich auf der Steinbank zurück und legte den linken Arm auf die Rückenlehne – direkt hinter Olivia, die neben ihm saß. Es dämmerte bereits leicht, sodass der Innenhof und der darin liegende Schnee in ein angenehmes oranges Licht geworfen wurden. Mit einem Schlenker seines Zauberstabes ließ er einen Schneeball auf einen etwas entfernt vorbei laufenden Zweitklässler aus Ravenclaw fliegen, sodass dieser am Hinterkopf getroffen wurde. Olivia kicherte. Auch sie vollzog mit ihrem Zauberstab eine Bewegung, sodass sich der Schnee um den rechten Fuß des Schülers herum nach oben aufbaute, fest wurde und somit das Bein gefangen hielt. Fluchend versuchte der Schüler, sich zu befreien, scheiterte aber an dem Versuch. Zum Glück des Jungen kam gerade Professor Flitwick vorbei und half dem Jungen aus seiner Misere. Sirius lachte. „Herrlich, Olivia! Mit dir kann man seinen Spaß haben!“ Olivia grinste daraufhin. „Mit dir aber auch, mein lieber Sirius“, sagte sie und drehte sich etwas mehr zu ihm um. „Ach ja, kann man das?“, fragte Sirius. Seine Hand, die zuvor lässig auf der Banklehne gelegen hatte, spielte nun mit einer Strähne ihres Haares. Olivia lachte kurz auf. „Natürlich! Ich finde selten jemanden, der verbal mit mir Schritt halten kann. Dass du dann auch noch ein Meister der Streiche bist – wie ich – versüßt die Zeit mit dir umso mehr.“ „Ich kann aber auch noch mehr als nur Streiche spielen.“ Sirius schwang den Zauberstab und murmelte ein paar Worte, woraufhin etwas des umliegenden Schnees aufgewirbelt wurde und wie frisch fallender Schnee auf sie hernieder fiel. In den Schneeflocken reflektierte leicht das Licht des beginnenden Sonnenuntergangs. Sirius grinste, denn er wusste, welchen romantischen Wert eine solche Atmosphäre hatte – es war ein perfekter Moment. Er musste zugeben, dass selbst ihn die Atmosphäre bewegte und sein Herz schneller klopfen ließ. Er hörte auf, mit Olivias Strähne zu spielen und strich stattdessen über ihre Wange. Langsam kam er ihr näher. Olivia ließ das nur zu gern geschehen und ein wissendes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Schnelle Schritte störten den Moment und im nächsten Augenblick stand James Potter vor den beiden. „SIRIUS! Hier bist du! Ich habe dich schon überall gesucht!“ Der verzauberte Schnee fiel mit einem Mal auf die beiden runter, sodass sie dick mit diesem bedeckt waren. Zähne knirschend drehte sich Sirius zu James um. Auch Olivia warf James einen bösen Blick zu, der hätte töten können. James schien das alles nicht zu kümmern. „Potter, was WILLST du?!“, fauchte Sirius. „Ich brauche deine Hilfe! Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich brauche einen teuflisch guten Plan, der idiotensicher ist“, sagte James und lief vor den beiden auf und ab. Sirius half Olivia, ihre Haare und ihren Mantel von dem vielen Schnee zu befreien. „Geht es um Lily und-oder Snape, James?“ James blieb abrupt stehen und schaute ihn verständnislos an. „Natürlich geht es um die beiden. Um wen denn sonst, Sirius?! Manchmal stellst du wirklich eigenartige Fragen.“ Sirius half Olivia nun, aufzustehen und klopfte auch sich den Schnee von der Kleidung. „Dann wirst du ohne meine Hilfe auskommen müssen, James. Ich bin dein Freund, ja. Und das werde ich auch immer bleiben. Ich bin auch immer sofort dabei, wenn du neue Streiche ausgeheckt hast. Aber in letzter Zeit ging es bei dir immer um Lily hier, Lily da und Snape hier, Snape da. Wir anderen sind nebensächlich. Deine Aktion gerade eben beweist es mal wieder. Das Fass ist so kurz davor, überzulaufen, James! Es reicht so langsam.“ Demonstrativ griff er nach Olivias Hand. „Ich möchte jetzt auch etwas Zeit für mich. Versuch das, alleine hinzubekommen, James. Und wenn du es alleine nicht schaffst, Lily für dich zu gewinnen – ja, dann ist sie vielleicht nicht die richtige für dich. Oder du nicht der richtige für sie. Wie auch immer. Wir sehen uns dann beim Essen!“ Verdattert blieb James alleine im Innenhof stehen und schaute zu, wie ihn einer seiner besten Freunde im Stich ließ. Was war heute denn nur los?! Kapitel 11: Eine Ein-Mann-Mission --------------------------------- Beim Abendessen war James einer der ersten, der am Gryffindor-Tisch saß und auf das Essen wartete. Kurz vor Beginn des Essens sah er, wie Remus mit Trudy den Saal betrat. Sie redeten kurz miteinander und gingen dann an ihre Plätze an ihren Haustischen. Remus setzte sich neben James. „Hi James! Alles klar bei dir? Du siehst irgendwie niedergeschlagen aus.“ Während er auf eine Antwort wartete, schenkte er ihnen beiden Kürbissaft ein. James seufzte beinahe theatralisch. „Die Welt ist gegen mich, mein guter Freund. Die Welt ist gegen mich.“ Remus zeigte keine Regung. Die Welt schien sehr oft gegen James zu sein. Er wollte abwarten, was es diesmal war. „Zuerst muss Lily mit Snape ein Projekt in Zauberkunde machen, weshalb sie jeden Tag zusammen sitzen. Das geht mir ordentlich gegen den Strich. Dann verschwindet unsere Karte, sodass es mir nicht möglich ist, ihnen hinterher zu jagen. Dann geht unsere Hogsmeade-Mission ordentlich in die Hose. Und JETZT ist Snape der Held des Tages und hat Lily in schwerster Not geholfen, was doch mein Job sein sollte. Ich weiß nicht mehr was ich machen soll.“ Remus nickte. Was am Mittag im Innenhof passiert war, hatte er natürlich ebenfalls mitbekommen. Er hatte sofort geahnt, dass der Umstand, dass Snape Lily in einer solchen Situation zur Seite gestanden hat, ordentlich an James‘ Stolz rütteln würde. Aber er sah nicht ein, Snape dafür zu tadeln, so wie es James tat. Und vor allem sollte sich James, wenn ihm Lily wirklich etwas bedeutete, mehr um sie sorgen als darum, wer ihr wie und wann geholfen hat oder nicht. „Und jetzt“, fuhr James fort, „stellt sich sogar Sirius gegen mich. Er sagte mir, ich sei ich-bezogen oder so ähnlich und es würden mich nur meine eigenen Belange kümmern. Er möchte mir in der Sache mit Lily nicht weiter helfen. Und dann ist er einfach gegangen. Kannst du dir das vorstellen? Ich und ich-bezogen?! Ich weiß gar nicht, was er hat. Ich meine-“ „Trudy hat sich übrigens gut vom ersten Schock erholt“, unterbrach ihn Remus. „Ja, ja. Schön für sie. – Verstehst du, was mich stört? Sirius stellt es so dar, als sei ICH der Fehler. Tatsächlich aber liegt das Problem bei ihm. Er übersieht vollkommen, dass es in seiner Pflicht als Freund liegt, mir zu helfen. Ich benötige nun einmal gerade dringend seine Unterstützung. Stattdessen verbringt er lieber die Zeit mit Ophelia.“ „Olivia“, korrigierte ihn Remus und nahm einen Schluck von seinem Kürbissaft. „Ja, wie auch immer.“ James machte eine fahrige Handbewegung. „Der Punkt ist-“ Remus seufzte. „Der Punkt ist, lieber James“, sagte Remus und unterbrach damit seinen Freund mit einer lauteren Stimmlage, als er es sonst tat, „dass es mit dir manchmal nicht wirklich leicht ist.“ James schaute ihn irritiert an. Remus räusperte sich und senkte wieder seine Stimme. „Im Grunde genommen bist du der beste Kumpel, den man sich wünschen kann. Wenn wir ernsthaft in Problemen stecken, bist du der erste, der für uns ins Feuer springen würde. Aber zu dir gehört es auch, dass du dich manchmal – oder oft – in den Mittelpunkt stellst. Das ist in Ordnung. Innerhalb einer Gruppe muss das einer, sonst würden alle auf der Stelle treten und nichts würde passieren. Und wir kennen das nicht anders von dir und haben dich auch so akzeptiert. Aber-„“ Remus schaute nun etwas traurig, „manchmal können wir einen solchen James nicht gebrauchen. Und zwar genau dann, wenn man den Eindruck bekommt, dass dich unsere eigenen Belange nicht kümmern.“ James keuchte auf. „Wie meinst du das? Mich kümmern eure Belange!“ „Das ist soweit nicht ganz richtig. Dir fallen unsere neuen Interessen aktuell gar nicht auf. Dir ist es egal, wie es Trudy geht. Es ist in Ordnung, wenn du mir gegenüber einen typischen James abziehst, aber Trudy liegt mir sehr am Herzen, falls es dir noch nicht aufgefallen ist. Und als Freund würde es dich interessieren, wie es der Person geht, die mir wichtig ist.“ James zog seine Augenbrauen zusammen und warf damit seine Stirn in Falten. Er schien über diesen Punkt nachzudenken, wollte aber dessen Richtigkeit wohl noch nicht anerkennen. Remus bemerkte das und fuhr fort: „Ein weiteres Beispiel: Du kannst dir den Namen des Mädchens nicht merken, in das Sirius über beide Ohren verknallt ist, obwohl er seit Tagen ständig von ihr spricht… Sonst legt sich deine stark einnehmende Phase irgendwann wieder, aber aktuell treibst du es auf die Spitze, indem du deine Belange und Probleme höher als die unseren stellst. Wir sind immer noch eine Gruppe und keine Einzelperson mit Untertanen.“ Er machte eine kurze Pause, um James‘ Reaktion zu analysieren. Man sah es James an, dass es in seinem Kopf ratterte und er sich mit diesen Vorwürfen erst auseinandersetzen musste. Um seinen Punkt zu verdeutlichen, wandte sich Remus der Person zu, die ihnen gegenüber saß. „Was meinst du denn dazu, Peter?“ Peter, der nicht erwartet hatte, dass er ins Gespräch miteinbezogen werden würde, stutzte. „Ähm, nun ja.“ „Seit wann sitzt du hier am Tisch, Peter?“, fragte Remus. „Ich war als erster von uns hier. Ich hatte im Gemeinschaftsraum Hausaufgaben gemacht und bin recht früh hier runter gekommen, weil ich nicht wusste, wo ihr alle seid“, sagte der angesprochene und spielte mit der Gabel in seinem Essen. Remus wandte sich wieder James zu. „Hast du bemerkt, dass Peter bereits hier saß, als du ankamst?“ James sah Peter an, als hätte er ihn gerade erst entdeckt. „Ähm, nun ja… Ich weiß nicht.“ Remus nickte und widmete seine Aufmerksam wieder seinem Essen. „Vielleicht verstehst du jetzt, was wir meinen.“ Es wurde zwischen den drei Rumtreibern still am Tisch. Während Remus so tat, als sei nichts, wirkte Peter wie immer nervös. James schaute verdattert zwischen seinen Freunden hin und her. Schlussendlich stand er auf. „Entschuldigt mich bitte. Ich muss mal… wohin. Irgendwohin.“ Damit verließ er den Speisesaal. Er musste sich all die neuen Geschehnisse und Informationen durch den Kopf gehen lassen. ~~*~~ Severus befand sich auf dem Weg zu den Quidditch-Feldern. Die meisten Schüler waren bereits in der großen Halle beim Abendessen. Wie immer hatte er abends eher weniger Hunger, weshalb er selbst nicht hin ging. Er freute sich bereits auf ihre kleine Mission zu den Gewächshäusern. Hoffentlich bekamen sie alle Zutaten, ohne aufzufallen… Den Tag über hatte er noch oft über die Geschehnisse am Mittag nachgedacht. Er musste zugeben, dass er ein wenig über sich selbst erstaunt war. Er hatte noch nie jemanden geschlagen. Es war einfacher, als er gedacht hätte. Allerdings hatte er auch nicht groß darüber nachgedacht. Sein Körper hatte alles von alleine gemacht. Es war nicht so, dass es ihm Spaß gemacht hätte. Wenn es möglich war, würde er gerne eine weitere solche Situation vermeiden. Aber wenn er musste… ehrlich gesagt wusste er nicht, ob er es wieder tun würde, weil er ja noch nicht einmal wusste, dass sein Körper ohne eine Absprache mit seinem Kopf reagieren konnte – und würde. Das war alles irgendwie ganz schön verwirrend. Sein Weg führte ihn am Eingang zur großen Halle vorbei. Es war wie immer ein Kommen und Gehen, weil einige Schüler später kamen und andere früher gingen. Eine Gruppe von Gryffindor-Mädchen – in etwa Dritt- oder Viertklässlerinnen – kam ihm entgegen. Als sie ihn sahen, fingen sie an zu tuscheln und grinsten ihn an. Eine nickte ihm sogar – wenn ihn nicht alles täuschte – anerkennend zu. Severus blieb kurz verdutzt stehen, während die Mädchen an ihm vorbei in die große Halle gingen. Was war das denn nun wieder? Seine Hand schnellte zu seinen Mundwinkeln. Hatte er wieder ein Lächeln im Gesicht gehabt? Seine Befürchtung bestätigte sich nicht. Erleichtert gab er ein Seufzen von sich. Vielleicht war er ja gar nicht das Thema ihres Gesprächs gewesen und er hatte es sich nur eingebildet. Kopfschüttelnd ging er weiter. Wenige Meter weiter kamen ihm zwei Mädchen und zwei Jungs – ebenfalls von Gryffindor – aus der siebten Klasse entgegen. Die Mädchen schenkten ihm ein Lächeln, als sie ihn bemerkten. Einer der Jungen schlug Severus kameradschaftlich auf den Arm und sagte: „Guter Schlag, Kumpel!“ Der andere Junge stimmte mit ein, nickte und sagte wohlwollend: „Ja, Mann, starke Aktion!“ Ohne ein weiteres Wort verschwand die Gruppe in der großen Halle. Severus starrte den vieren perplex hinterher. Waren das Anspielungen auf seine Auseinandersetzung mit McMillen? Anders konnte er sich die Kommentare nicht erklären. Noch immer spürte er die Berührung des Jungen an seinem Oberarm. Er hasste Körperkontakt von Fremden. Unbehaglich schüttelte er seinen Arm und seine Schulter, als könnte er sich des Gefühls entledigen. Mit der anderen Hand strich er über die Stelle, während er sich wieder auf den Weg machte. Um noch weiteren Schülergruppen zu entgehen, bog er in einen anderen Gang ab, der zwar ein Umweg zu den Quidditch-Feldern war, aber ihn vor weiteren Begegnungen bewahren würde. Wussten mittlerweile alle Schüler von dem Vorfall am Mittag? Genervt seufzte Severus und ließ beim Laufen den Kopf hängen. Das war das letzte, was er gewollt hatte. Er wollte keine Aufmerksamkeit. Am liebsten wäre er einfach weiterhin für sich selbst. Das war schon immer das einfachste gewesen. Im Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Er blieb stehen und blickte nach rechts. In einer dunklen Nische des Ganges, in der ein kleiner plätschernder Brunnen stand, saß James Potter. Er hatte sich auf den Rand des Brunnens gesetzt und ließ mit dem Zauberstab kleine Wassertropfen in der Luft schweben. Er beobachtete mit mürrischem Blick, wie sich die Wassertropfen vereinten und wieder teilten. Dann bemerkte er Severus und blickte auf. Die Wassertropfen platschten augenblicklich zurück ins Wasser. Wie aus einem intuitiven Reflex zückte er den Zauberstab in Richtung des Slytherins. Aber Severus bemerkte gleich, dass der Elan fehlte, den James sonst bei seiner Jagd auf ihn an den Tag legte. James schien kurz zu überlegen. Der Gryffindor spürte nämlich sofort die übliche Abneigung Snape gegenüber. Am liebsten würde er ihm wieder irgendein Leid antun. Vielleicht würde das seine Laune heben. Dann wurde ihm aber einerseits bewusst, dass es an seiner Stimmung trotzdem nichts ändern würde. Andererseits… ging es momentan Lily nur wegen dieses verdammten Slytherins gut. James seufzte und senkte den Arm. Ohne ein Wort zu verlieren blickten sich die beiden Siebtklässler gegenseitig an. Abgesehen vom Plätschern des Brunnens waren nur hin und wieder lärmende Schüler aus dem benachbarten Gang zu hören, der zur Großen Halle führte. James zuckte mit den Schultern und begann wieder, Wassertropfen schweben zu lassen. „Heute nicht, Snape. Geh einfach. Oder zahl es mir heim. Ist mir egal. Ich lass dich heute zumindest in Ruhe.“ Severus war mehr als verblüfft. Verwirrt über den elanlosen Potter dachte er tatsächlich darüber nach, sich für die unzähligen Streiche zu rächen. Seine Hand war bereits von Anfang an kampfbereit an seinem Zauberstab gewesen. Die Versuchung war groß. Potter hatte sich ihm ja regelrecht angeboten. Ein kleiner Teil in ihm freute sich darauf, Potter zu erniedrigen. Er hätte auch genug Gründe, um dies zu tun. Urplötzlich allerdings schienen seine Gedanken wieder klar zu werden – frei von all den Vorstellungen davon, was er Potter an den Hals zaubern könnte. Er entspannte sich, lockerte den Griff um den Zauberstab und ging, ohne ein Wort zu verlieren, den Gang weiter. Er wusste nicht so recht, weshalb er die einmalige Chance nicht genutzt hatte. Ein verrückter Gedanke kam ihm in den Sinn: Er war besser als Potter. Er verfolgte diese Eingebung nicht weiter und dachte daran, was für eine viel mehr erfüllende Tätigkeit ihn an diesem Abend erwartete: die weiteren Vorbereitungen ihres Zaubertrankprojektes – mit Lily. Während Severus im Dunkeln des Ganges verschwand, schaute James ihm mit einem leicht verblüfften Ausdruck im Gesicht hinterher. Wieso hatte Snape die Chance nicht genutzt? Warum verhielten sich an diesem Tag alle so merkwürdig? ~~*~~ Als James die Große Halle wieder betrat, verließ Lily ihn gerade geheimnisvoll grinsend. Ihr Blick war auf ein handbeschriebenes Pergament gerichtet, weshalb sie ihn nicht bemerkte. Kurz blickte James ihr hinterher, wie sie den Gang entlang lief. Dann schaute er in die Große Halle, wo seine Freunde saßen. Sein Blick wanderte wieder zu Lily, die kurz davor war, hinter einer Ecke zu verschwinden. Jetzt hätte er die Chance, ihr heimlich zu folgen. Die Gelegenheit war einmalig! Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder der Großen Halle zu. Er hatte Wichtigeres zu tun. Entschlossenen Schrittes, innerlich aber mit dem Gefühl eines reuigen Hundes, ging er auf Remus, Peter und (mittlerweile auch) Sirius zu, die noch am Tisch saßen und gerade ihren Nachtisch beendet hatten. Remus bemerkte sein Herannahen als erster und gab Sirius einen leichten Stoß mit dem Ellbogen, sodass dieser verwundert aufsah. „Hi Jungs“, begann James und holte tief Luft. Ihm war jetzt klar, dass Sirius und Remus Recht hatten. „Ich möchte mich entschuldigen. Ich war nicht fair zu euch und mein Verhalten war mehr als dämlich – und egoistisch. Aber ich werde mich bessern – ich versuche es zumindest. Haut mir ruhig auf den Hinterkopf, wenn ich meinen Vorsatz mal zwischendurch vergessen sollte.“ Sirius legte sein Besteck zur Seite. „Woher kommt der plötzliche Sinneswandel?“ James dachte daran, wie er Lily nicht helfen konnte, weil er lieber einen dummen Jungenstreich in die Tat umsetzen wollte. Daran, wie verletzt und teilweise wütend seine Freunde an diesem Tag gewesen waren, nur weil er seinen Kopf hatte durchsetzen wollen, ohne nachzudenken. An Snape, der sich hätte rächen können und aus einem ihm nicht erklärbaren Grund darauf verzichtet hatte. „Einige Ereignisse heute haben mir gezeigt, dass es wichtigere Dinge gibt, als meine…“, er hielt kurz inne und suchte nach dem richtigen Wort, „persönlichen Wehwehchen…“ Sirius nickte, nachdem er Remus und Peter einen Blick zugeworfen hatte. „James, du bist kein schlechter Kerl. Aber oft denkst du ein bisschen zu viel an dich und das kann sehr anstrengend sein.“ Die anderen Jungs nickten zustimmend. „Das wird sich wahrscheinlich nie ganz ändern, weil das einfach… du bist. Aber es ist schön, wenn du deine Freunde doch nicht vergessen hast.“ Er überlegte kurz. „Was ist jetzt mit Operation Lily?“ James nickte. „Das ist ab jetzt eine Ein-Mann-Mission. Du hattest Recht. Entweder ich schaffe es alleine, oder gar nicht. Das liegt ab sofort an mir. Aber der Startschuss dieses Unternehmens findet erst Morgen statt. Ich würde vorschlagen, dass der heutige Abend uns vieren gehört. Was meint ihr?“ Remus, Sirius und Peter schauten sich gegenseitig an und nickten beinahe synchron. Sirius grinste breit. „Hast du nicht noch irgendwo den Feuerwhiskey versteckt, den du deinem Vater stibitzt hast?“ James verzog sein Gesicht zu einem verschwörerischen Grinsen. „Na logo, hab ich den noch!“ Sirius lachte. „Na, dann setz dich und iss endlich mit uns! Wir brauchen alle eine ordentliche Grundlage für heute Abend!“ James klopfte Peter auf die Schulter. „Rutsch mal, Peterchen!“ Obwohl Peter es nicht leiden konnte, wenn James ihm solche demütigenden Spitznamen gab, machte er ihm aufgeregt Platz auf der Bank und konnte nicht verhehlen, dass er froh war, dass sein Idol wieder mit im Bunde war. Vielleicht… ja vielleicht würde er ab sofort Peter auch mehr Beachtung schenken, wenn er sich nun ändern würde? Peter grinste in sich hinein und freute sich auf den Abend. Die Rumtreiber waren wieder vereint. Kapitel 12: Nachts im Gewächshaus --------------------------------- Lily schnipste eine Spinne weg, die neben ihr an einem Besen hochkrabbelte. Sie war froh, dass sie noch ihren Winterumhang geholt hatte, bevor sie zum vereinbarten Treffpunkt gegangen war. Trotz der Dunkelheit konnte sie ihren Atem sehen… Severus war schon im Besenschuppen neben dem Quidditchfeld gewesen, als sie dort die Tür geöffnet hatte – nicht ohne vorher zu schauen, ob jemand sie dabei beobachtete. Seitdem saßen sie zwischen alten Besen gequetscht nebeneinander und warteten auf den geeigneten Moment, um aus ihrem Versteck zu schlüpfen und zu den Gewächshäusern zu flitzen. Lily zog ihren Mantel enger um sich. Dann schaute sie zu Severus, der in Gedanken versunken an den Borsten eines umgefallenen Besens herumspielte. Sie konnte sein Gesicht nur vage erkennen. Es war stockfinster im Schuppen. Nur durch ein schmales dreckiges Fenster fiel das Licht des abnehmenden aber noch recht vollen Mondes. So konnte sie lediglich die eine Hälfte seines Gesichtes und seine Nase sehen. Der Rest lag im Schatten. „Severus?“, flüsterte sie. Der Angesprochene schaute auf und blickte zur Seite, um sie anzusehen. Sie saßen so nah beieinander, dass er fast ihren Atem an seiner Haut spüren konnte. Es war ungewohnt und fast beengend. Lily war ihm schon ein paar Mal so nah gewesen, aber jedes Mal war um sie herum genug Platz gewesen, sodass er der Situation hätte entfliehen können. In dem kleinen Schuppen war das nahezu unmöglich. Er fragte sich kurz, ob er der aktuellen Situation überhaupt entfliehen wollte. Die an sich selbst gestellte Frage verwirrte ihn. Denn er wusste auf die Schnelle keine Antwort darauf… Lily riss ihn dann aus seinen Gedanken: „Wie kommen wir überhaupt in das Gewächshaus? Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht… Wir haben doch keinen Schlüssel… oder haben wir?“ Kurz spielte sie mit dem Gedanken, ob Severus die Schlüssel geklaut haben könnte. Aber sie wusste nicht, wie er an Professor Lewis‘ Schlüssel hätte kommen sollen. Severus schüttelte den Kopf und antwortete ebenfalls flüsternd: „Wir haben keine Schlüssel. Ich habe heute Morgen im Unterricht eines der hinteren Fenster hinter dem riesigen Zitternden Ginsterbusch offen gelassen. Durch die bewegenden Äste ist es Professor Lewis hoffentlich nicht aufgefallen, dass es noch offen war… Andererseits sieht er ja nicht mehr sonderlich gut. Also könnten die Chancen gut stehen. Wir werden einfach sehen.“ Er stutzte. Dann sagte er in normaler Lautstärke: „Sag mal… warum flüstern wir überhaupt?! Hier ist doch weit und breit keine Menschenseele…“ Panisch zischte Lily und wollte ihm damit bedeuten, leise zu sein. „Sei doch leise. Vielleicht kommt ja doch jemand vorbei und kann uns hören.“ Severus schüttelte den Kopf. „Wer sollte um die Uhrzeit hier her kommen? Heute ist kein Quidditchtraining und wer möchte bei der Kälte schon einfach so hier draußen-“ „Moony, Tatze! Nun kommt schon! Peter, du auch! Ich kann es kaum abwarten!“, erscholl draußen plötzlich James Potters Stimme, der aufgedreht lachte. Das Stampfen einer rennenden Person zog an dem Schuppen vorbei, in dem sich Lily und Severus versteckten. Augenblicklich hielten die beiden die Luft an, als sie hörten, dass draußen Schüler waren. Lily hatte ihre Hand vor den Mund geschlagen und behielt ohne zu Blinzeln die Tür im Auge. Nachdem James wohl Richtung Quidditchfeld gerannt war, hörten sie nun Sirius Black sprechen: „Jetzt mach mal langsam! Wir drei haben nicht so einen tollen eigenen Besen wie du! Wir müssen uns erst mal einen holen.“ Entsetzt schauten sich Severus und Lily an. „Und was jetzt? Severus, was machen wir jetzt?! Sie kommen gleich HIER HER!!“, wisperte Lily panisch. Beide durchstöberten ihr Wissen über Zaubersprüche, aber keinem fiel ein Unsichtbarkeitszauber ein. Severus konnte ein Seufzen gerade so unterdrücken. Das hatte ihnen ja gerade noch gefehlt… Wieder war draußen die Stimme von Sirius zu vernehmen: „Remus, kannst du uns drei Besen besorgen? Ich gehe schnell Krone hinterher, um ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen… Peter, komm mit!“ Lily befand sich wie in einer Schockstarre, als sie die Schritte von Remus näher kommen hörte. Es erschien ihr wie in Zeitlupe, als sich die Tür öffnete und das Mondlicht wie ein Scheinwerfer auf sie fiel. Remus schaute die beiden verdattert an, als er sie auf dem Boden zusammengekauert sitzen sah. Unfähig ein Wort zu sagen, starrten Severus und Lily ihn zurück an. Sie fühlten sich wie das berüchtigte Kaninchen, das sich der Schlange gegenüber sah. Selbst Snape, der sonst nicht einmal zögern musste, um sich gegen Potter und seine Gefährten zu wehren, fühlte sich, als wären sein Verstand und seine Hände gelähmt. Die Situation war einfach zu surreal. Remus schien ein Lachen unterdrücken zu müssen. Von draußen hörte man James rufen: „Moony! Wo bleibst du?! Brauchst du Hilfe?!“ Remus riss sich zusammen und schien kurz abzuwägen. Schließlich hob er langsam seinen Zeigefinger an seine Lippen und bedeutete den beiden damit, weiterhin leise zu sein. Ohne sie aus den Augen zu lassen griff er nach drei Besen und verließ den Schuppen. Als die Tür zufiel rief er: „Ich komme ja schon, du ungeduldiges Kleinkind!“ Severus und Lily hörten, wie sich die vier Gryffindors von ihnen entfernten. Erst jetzt wagten sie wieder, richtig Luft zu holen. Noch immer starrten sie auf die Tür, in der gerade eben noch Remus gestanden hatte. „Verdammt, war das knapp!“, stieß Lily flüsternd hervor. „Aber wieso hat er uns nicht verraten?!“ Die Antwort auf die Frage sollte Lily erst Jahre später von Remus selbst bekommen – in einer Zeit, in der solche Geschichten eine angenehm lustige Ablenkung vom grausamen Alltag unter Du-weißt-schon-wem waren. In einer Zeit, in der Remus und Lily zu einem engen Freundeskreis gehören sollten, was sie zu diesem Zeitpunkt wohl nie erwartet hätten. Die Erklärung für Remus‘ Verhalten war recht einfach: Remus hatte sich auf einen Abend mit seinen drei Freunden gefreut. Er hatte nicht wieder den eifersüchtigen James-Dämon wecken wollen – insbesondere nicht an dem Abend, an dem James hoffentlich den ersten Schritt zu einer Wandlung vollzogen hatte. Daher hatte er es geheim gehalten, in welch eigenartiger Situation er die beiden Schüler angetroffen hatte – allein in einer dunklen Besenkammer. Das weckte allerhand Assoziationen… Severus fand auch keine Antwort auf ihre Frage. Zu sehr war er von ihrer Hand abgelenkt, die in der Panik nach seiner eigenen gegriffen hatte und sie immer noch fest hielt. Lily bemerkte seinen Blick, der auf ihre Hände gerichtet war und ihr schoss sofort die Röte ins Gesicht. Schnell zog sie ihre Hand zurück. „Oh, ähm, Verzeihung! Das war… ja, ähm. In der Panik hab ich wohl…“ Sie räusperte sich und stand auf. „Ich schätze, wir können dann los. Oder was meinst du?“ Etwas unsicher schaute sie zu Severus hinunter, der selbst noch leicht peinlich berührt wirkte. Er schüttelte kurz den Kopf – so als wollte er einen Gedanken vertreiben. Dann stand er auf und klopfte sich den Dreck vom Umhang. „Auf geht’s!“ Das Fenster im Gewächshaus war tatsächlich noch offen gewesen. Sie hatten einen der umstehenden großen leeren Blumentöpfe, die darauf warteten, wieder mit einer neuen Pflanze gefüllt zu werden, unter das Fenster schweben lassen. Nacheinander waren sie dann über den Topf durch das Fenster geklettert. Den Lumos-Zauber zu verwenden, um mehr zu sehen, wagten sie nicht. Die Gewächshäuser waren beinahe komplett aus Glas gebaut, um den Pflanzen das nötige Sonnenlicht zu geben. Sie wären sofort entdeckt worden, hätten sie ein Licht entzündet. Ihre Besorgungsliste war recht überschaubar. Flaschenkraut, gewellter Wetterich und Ingwer waren sehr schnell besorgt. Kniffliger waren die springenden Knollen. Beim Versuch, eine von diesen zu ernten, sprang ihnen das ausgesuchte Exemplar beinahe davon. Nur knapp verfehlte die Knolle Severus‘ Auge. Lily warf sich dem ausbüxenden Gewächs hinterher. Auf dem Boden konnte sie die Knolle dann einfangen. Gekonnt – so wie sie es im Kräuterkundeunterricht gelernt hatten, schnitt sie die runde Wurzel entzwei, sodass diese ihre Eigenbewegung verlor. Aber die Knolle war nichts im Vergleich zur Snargaluff-Frucht, die die beiden besorgen mussten. Mit einem mulmigen Gefühl betraten die beiden den abgesonderten Raum im Gewächshaus, in dem sich vier Snargaluffbäume befanden. Die Bäume sahen wie harmlose Baumstümpfe aus. Severus und Lily wussten es allerdings besser. Leider würde der Umgang mit diesen Pflanzen erst im Frühjahr dieses Schuljahres im Unterricht gelehrt werden. Also hatten sich Severus und Lily das Wissen darüber in Büchern anlesen müssen. Sie zogen ihre Mäntel aus und nahmen sich jeweils eine Schutzbrille, Handschuhe, Mundschutz und eine Lederschürze aus einem nahe gelegenen Regal. Zur Vorsicht band sich Lily zusätzlich ihr Haar zusammen. Severus beobachtete sie dabei und entschied schlussendlich, es ihr vorsichtshalber gleichzutun. Er hatte die Pflanzen noch nie in Aktion gesehen, aber die Berichte von ihrer Gegenwehr waren ausführlich und recht bildlich beschrieben. Er fand ein Lederband auf einem der Arbeitstische und machte damit seine Haare zusammen. Lily war in diesem Moment eigentlich schon dabei gewesen, ihren Mundschutz aufzuziehen, hielt aber in der Bewegung inne. Ungläubig schaute sie Snape an. „Irre!“, rief sie aus. Verdutzt und leicht erschrocken erwiderte Severus ihren Blick und meinte bereits, dass eine der Pflanzen etwas Außergewöhnliches getan hätte. „Was ist?“ Lily schüttelte kurz den Kopf. „Du siehst so total anders aus!“ Sie legte den Kopf etwas schief. Severus seufzte leicht unwirsch und wollte das Band wieder lösen. Lily hob in einer entschuldigenden Geste die Hände. Dabei ließ sie allerdings den Mundschutz los, dessen Gummiband bereits um ihren Kopf gelegen hatte. Das Loslassen bewirkte, dass dessen Gummibänder sich zusammen zogen. Das Ende vom Lied war, dass der Plastikschutz in Lilys Gesicht schoss und schmerzhaft ihre Nase traf. „Au!“ Sie schob den Mundschutz nach unten, sodass er locker um ihren Hals hing, und rieb sich die schmerzende Stelle. Etwas beklommen schaute Lily mit leicht zusammen gekniffenen Augen zu Severus. „Ich meinte das nicht negativ! Es ist einfach nur… ungewohnt.“ Severus hatte das Spektakel mit wechselnden Gefühlen beobachtet. Einerseits konnte er wie immer nichts mit Lilys Bemerkungen anfangen. Sie warfen ihn einfach jedes Mal aus der Bahn. Andererseits war der Anblick ihrer Tollpatschigkeit bilderbuchreif. Severus zuckte mit den Schultern und zog sich mit einem kleinen Schmunzeln den Mundschutz an. „Lass uns anfangen, Lily.“ Er stellte sich neben sie und schaute zu ihrem nächsten Ziel: dem Snargaluffbaum. Im Inneren des Stumpfes befanden sich die Früchte des Snargaluffs. Diese waren die letzten begehrten Objekte ihres nächtlichen Ausfluges. Allerdings hatte der Baum die Eigenart, sich zu wehren. Er fuhr dornenbesetzte Ranken aus, die nach den ‚Angreifern‘ schlugen. Bekam man ein paar Ranken zu fassen und zog sie auseinander, öffnete sich der Stumpf oben und gab den Weg zu seinen Früchten frei. Aber selbst dann konnte er sich noch wehren, indem er die Arme des nach den Früchten Greifenden einklemmen konnte. Auch Lily zog sich die letzten Schutzkleidungsstücke an. „Okay!“, sagte sie voller Tatendrang. „Auf geht’s! Gehen wir der Pflanze an den Kragen!“ Severus schaute seitlich zu ihr runter und musste schmunzelnd den Kopf schütteln. „Du bist mir eine, Evans… Freust dich auf Schrammen, Kratzer und Schmerzen, die uns todsicher gewiss sind…“ Lily nahm das als Kompliment und grinste. „Und nun? Wie gehen wir vor?“ Severus überlegte. Er wusste, dass die Ranken ein Problem darstellen würden. „Ich schlage vor: Wir versuchen beide zuerst, jeweils ein paar Ranken greifen zu können. Du auf der einen Seite, ich auf der anderen. Wenn wir beide soweit welche haben, gibst du mir deine. Ich ziehe die Bündel dann auseinander, damit du nach den Früchten greifen kannst. Wäre das so in Ordnung?“ Lily nickte zustimmend. Zögernd schlichen sie sich an ihr ausgesuchtes Exemplar heran. Kaum standen sie davor, schossen die gefährlichen Ranken hervor und begannen sofort damit, nach den zwei Schülern zu schlagen. Beide hatten nicht mit einer derartig schnellen Reaktion gerechnet. Die Dornen kratzten an den nicht mit Schutzkleidung bedeckten Stellen in ihren Gesichtern und verhedderten sich trotz der Vorkehrungen in ihren Haaren. Die Lederschürzen und die langen Handschuhe konnten wenigstens verhindern, dass ihre Kleidung zerfetzt wurde. Flüche ausrufend kämpften die beiden gegen die starken Ranken an. Severus hatte es nach einigen Anläufen mit Mühe geschafft, mit dem Unterarm die ihn angreifenden Ranken zur Seite zu schieben und sie daraufhin gebündelt festzuhalten. Die oberen Enden oberhalb seiner Hände schlugen allerdings weiterhin aus. Also streckte er die Ranken von sich fort und beugte seinen Oberkörper nach hinten. Ein Blick zu Lily verriet ihm, dass sie noch kein so großes Glück hatte. Die Ranken peitschten von beiden Seiten auf sie ein. Eine einzelne Ranke hatte sich in ihren Zopf gewickelt und zog Lilys Kopf hin und her. Während sie mit der einen Hand versuchte, ihre Haare zu befreien, wehrte sie mit dem anderen Arm die restlichen Schlingen ab. Severus nahm eine Ranke aus seinem Bündel und wickelte sie um die anderen Zweige herum. Es gelang ihm sogar, einen kleinen Knoten zu machen. Wie das Bündel nun wenigstens leicht fixiert war, konnte er es mit einer Hand greifen. Vorsichtig tastete er sich mit Seitwärtsschritten an Lily heran. Als er neben ihr und den anderen Ranken stand, führte er den freien Arm von oben um die Ranken herum und klemmte sie unter seinem Oberarm ein. Die Dornen stachen durch seinen Pullover und rissen an seiner Haut an der Brust und am Oberarm. Zischend zog er die Luft ein. Indem er aber nun auch diese Ranken im Schach halten konnte, hatte Lily die Gelegenheit, die eine Ranke mit beiden Händen aus ihren Haaren zu entwirren. Als sie sich freigemacht hatte, half sie Severus bei der Bewältigung der zappelten Pflanzenarmen. Sie löste das Lederband aus seinem Haar und wickelte es um das zweite Bündel. Nun konnte Severus die Bündel mit jeweils einer Hand greifen und auseinander ziehen. Auf dem Stumpf öffnete sich tatsächlich mit einem schmatzenden Geräusch das Loch, in dem sich die grünen runden Früchte befanden. Severus war vor Anstrengung, die Ranken zurückzuhalten, nicht fähig zu sprechen. Also nickte er Lily lediglich zu, um ihr zu verdeutlichen, dass sie eine der Früchte ernten konnte. Sie steckte schnell ihren Arm rein, um danach zu greifen. Allerdings schloss sich die Öffnung just in dem Moment und klemmte Lilys Unterarm ein. Erschrocken schrie sie auf und versuchte, ihren Arm zu befreien. Schließlich stieß sie den Ellbogen ihres anderen Armes ebenfalls in die noch vorhandene Lücke, um die Öffnung aufzuhebeln. Es gelang mit einem ächzenden Geräusch von Seiten des Baumes, was allerdings auch mit einer höheren Aktivität der Ranken verbunden war. Der Baum schien sich ein letztes Mal gegen den Diebstahl wehren zu wollen. Severus stöhnte und fluchte und hatte alle Mühe, die Schlingen unter Kontrolle zu halten. „Lily, beeil dich!“, presste er hervor und wich dem Ende eines flinken Zweiges aus, der nach einer Ausholbewegung auf sein Ohr zu sauste. Während Lily ihren einen Unterarm horizontal in die Öffnung klemmte, um sie am erneuten Zusammenschnappen zu hindern, griff sie nun mit der freien Hand nach einer der Früchte. Sie waren glitschig und boten beinahe keinen Halt als Lily versuchte, daran zu ziehen. Als sie gerade an einer drehte, um sie von ihrer Verbindung zum Stamm zu lösen, konnten sich die zwei Bündel der Ranken von ihren Verknotungen befreien. Sie entrissen sich Severus‘ Griff und waren im Begriff, sich erneut auf Lily zu stürzen. In diesem Moment konnte diese jedoch die Frucht entfernen und ließ sich nach hinten fallen, um den peitschenden Zweigen zu entkommen. Auch Severus machte einen Sprung nach hinten und brachte sich damit in Sicherheit. Die Pflanze gab ein gequältes Fipsen von sich und das Loch schloss sich mit einem Sauggeräusch. Die Ranken konnten nun nicht mehr an ihre Angreifer gelangen. Sie legten sich wie ein Schlangennest auf den Baumstumpf, als würden sie den Zugang zum Früchtehort vor einer weiteren Attacke beschützen wollen. Eine bleierne Stille legte sich urplötzlich über den Raum. Lily und Severus schauten sich schweratmend und geschockt an. Die Snargaluff-Frucht lag mit ihrer grünlich schimmernden und pulsierenden Schale harmlos in Lilys Hand. Beide Schüler begannen leicht zu grinsen und fielen dann in ein erleichtertes Lachen. Severus half Lily, aufzustehen und stolz schauten sie ihre Beute an. „Mann, das war aber ein Ding!“, sagte Lily ungläubig. So etwas hatte sie wirklich noch nie erlebt. Dagegen waren Alraunen und Fangzähnige Geranien ein Witz! Severus strich sich mit einem glücklichen Seufzer die Haare nach hinten. „Das kannst du laut sagen. Mir graut es jetzt schon davor, dass wir das im Frühjahr bei Professor Lewis nochmals durchstehen müssen…“ Lily nickte mit einem leicht entrückten Gesichtsausdruck. „Oh ja… vielleicht können wir ja an dem Tag schwänzen oder so…“ Sie blickte zum Stumpf. „Meinst du, Professor Lewis fällt die fehlende Frucht auf?“ Severus zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht. Aber da er nicht wissen kann, dass wir hier waren, wird er es wohl so hinnehmen müssen…“ Sein Blick fiel auf die Frucht. „Wir brauchen nur den Saft der Frucht. Und dieser muss so schnell wie möglich daraus entnommen werden, sonst wird die Frucht schlecht.“ Die beiden gingen zu einem Arbeitstisch, der sich neben den Snargaluffbäumen befand und mit einem Schraubstock ausgestattet war. Sie spannten die Frucht darin ein. „In einem der Bücher stand, dass man sie erst mit einem spitzen Gegenstand anstechen muss…“, murmelte Severus. Lily griff nach einem Messer, das im Regal daneben lag, und stach einige Male in die Frucht. Severus zog eine Phiole und einen Trichter aus seiner Tasche hervor. Diese hielt er unter die Frucht, während Lily begann, den Schraubstock langsam zuzudrehen. Heraus kam eine dicke grüne Flüssigkeit, die verdächtig wie ein Brei aus kleinen dicken Würmern wirkte. Während Severus die Phiole daraufhin verkorkte, brachte Lily das Messer zurück und packte die ausgequetschte Frucht in ihre Tasche. Sie würden sie wo anders entsorgen müssen, damit es Professor Lewis nicht auffallen würde. Sie überprüften erneut, ob sie Spuren hinterlassen hatten und schlichen sich dann unbemerkt – wie sie gekommen waren – aus dem Gewächshaus. Sie hatten es geschafft. Sie hatten die ersten Zutaten besorgt. Severus und Lily erfüllte eine angenehme Aufregung. Sie waren ihrem geheimen Brauversuch einen großen Schritt näher gekommen! Auf dem Weg zurück in Schloss musste Severus öfter grinsend zu Lily schauen. Sie hatte einen ähnlichen Gesichtsausdruck und schwärmte bereits davon, am nächsten Tag ihre Jagd auf die Zutaten im Verbotenen Wald fortzusetzen. Severus lachte. „Nun beruhige dich doch erstmal. Du musst noch einen ganzen Tag darauf warten. Sonst platzt du morgen den Tag über ja noch vor Vorfreude!“ Sie hatten es unbemerkt zurück ins Schloss geschafft und standen nun in einer dunklen Nische. Hier würden sich ihre Wege trennen, um in ihre jeweiligen Häuser zu kommen. Lily hüpfte ein bisschen und griff vor lauter Elan nach Severus Händen. „Oh, doch, Severus! Ich brauche diese Vorfreude! Das ist so spannend! Ich glaube, ich hatte noch nie so viel Spaß bei einem Schulprojekt!“ Freudig strahlte sie Severus an. Dieser bemerkte wieder die angenehme Wärme ihrer Hände und musste lächeln. Erst ein halber Tag ist es her, dass Lily völlig aufgelöst durch den Schreck im Innenhof gestanden hatte. Nun hatte sie Striemen durch die Snargaluffranken im Gesicht und wahrscheinlich wie er noch an anderen Körperstellen, an denen sie keinen Lederschutz gehabt hatten. Und trotzdem lachte sie völlig ausgelassen. Severus drückte ihre Hände und fragte das, worin er am Mittag von Emilie unterbrochen worden war. „Lily, geht es dir gut?“ Lily verstand erst nicht, was er damit meinte und schaute zunächst etwas verdutzt. Als es ihr aufging, auf was Severus anspielte, lächelte sie und erwiderte leicht den Händedruck. „Es könnte mir nicht besser gehen.“ Sie schenkte ihm ein ehrliches Lächeln und legte eine Hand an seinen Oberarm. „Gute Nacht, Severus. Wir sehen uns morgen in Wahrsagen!“ Daraufhin drehte sie sich um und ging den Gang zu ihrem Gemeinschaftsraum entlang. Kurz bevor sie um die Ecke bog winkte sie nochmal grinsend. Severus hatte noch immer ein Lächeln im Gesicht und es war ihm egal, dass das sonst nicht zu seinem Gesichtsausdrucksrepertoire gehörte. Er spürte noch die Wärme ihrer Hände und ihre Berührung an seinem Oberarm. Vorsichtig griff er nach der Stelle. Diesmal allerdings nicht, um das verbleibende Gefühl wegzustreichen. Im Gegenteil… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)