Drachenherz von Xanderle (Ein kleiner Zujin Roman) ================================================================================ Kapitel 12: Katz und Maus ------------------------- In jener Nacht begannen die Drachenträume. Jin schlief furchtbar unruhig. Aber unruhig zu schlafen, war besser, als es überhaupt nicht zu tun. Schon der Beginn des Traums war anders, als ihre sonstigen Träume. Sie hatte das Gefühl, hineingezogen zu werden und plötzlich Besucher einer anderen Welt zu sein. Alles war so real. So greifbar, als wäre das hier eher eine Erinnerung denn ein Traum. Sonne. Überall war Licht und Sonne. Die Farben reichten von Gelb, über Ocker und Orange bis hin zu tiefstem Rot. Selbst der rissige Boden war orange-rot. Die Luft flirrte und flimmerte vor Hitze. Jin hörte entfernte, laute Stimmen. Ihr Traum-Ich wandte sich um und blickte auf einen seltsamen Palast, oder Tempel. Vor diesem Bauwerk war ein großer, leerer Platz, in dessen Mitte ein riesiges Feuerbecken stand. Im Augenblick war es erloschen. Zwei Männer stritten sich auf diesem Platz. Beide beeindruckend groß, mit wehenden schwarzen Mähnen. Sie waren sich sehr ähnlich. Vielleicht Brüder. Ihre Kleidung aus hunderten, kunstvoll verarbeiteten Lederschuppen, war die seltsamste, die Jin je gesehen hatte. Auch die Sprache der beiden war vollkommen unverständlich. Jin begriff nicht, warum sie nichts verstehen konnte. War das nicht ihr Traum?  Sie ging näher an die Männer heran. Der Streit wurde heftiger. Der etwas größere der beiden Männer schien abzublocken, während der Andere fordernd und aggressiv auf ihn eindrang. Er brüllte erbost. Dem Großen war das scheinbar egal. Er drehte sich um und ging. In ihre Richtung! Er sah aus wie ...  Grund Gütiger! Er suchte sie also wieder einmal in ihren Träumen heim? Doch diesem Gesicht fehlte die markante Narbe. Es war unversehrt, makellos. Ein ohrenbetäubendes Brüllen erklang.  Der Große schnellte herum, zu einer wirbelnden Wolke aus Flammen, Staub und Wind. Eine Sekunde später befand sich dort, wo eben noch der kleinere der beiden Männer gestanden hatte, ein Drache. Ein riesiges, wildes Wesen, mit langem, geschmeidigem Körper, auf dem blaue Schuppen glänzten. Der Drache spie Feuer auf den vor ihm stehenden Mann und holte mit einer mächtigen Pranke aus. Ein Schrei löste sich aus Jins Kehle. Oder war es die Stimme einer anderen Frau? Sie rannte... Nein! Die Frau rannte auf den Platz zu. Einen Namen rufend. Den Namen des Größeren. Mittlerweile war auch er zum Drachen geworden. Scharlachrot. Ein ebenso wildes und gefährliches Geschöpf, wie sein Angreifer. Er hatte sich jedoch nicht schnell genug verwandelt und war von dem hinterhältigen Prankenhieb verletzt worden. Fauchend vor Schmerz hüllte der Rote seinen Gegner in eine Säule aus Feuer und Rauch. Der Blaue ging zu Boden und wurde sofort von einer riesigen Tatze niedergedrückt. Mit einer Stimme wie Bronzeglocken sprach der Sieger einen Befehl. So zwingend, dass der sich windende Verlierer wieder in einen zornigen, unberechenbaren Menschen verwandelte wurde. Er stand auf, bespuckte den siegreichen Drachen und stolzierte davon. „TATZU!" Es war der Name, den die Frau auch vorher schon gerufen hatte. Der rote Drache wandte sich um, sah Jin aus goldenen Augen an. „Hsui!" Jin schrie, als sie erwachte. Kerzengerade sass sie in ihrem Bett. Schweiss stand auf ihrer Stirn, ihr Atem ging heftig und ihr Mund war staubtrocken. Benommen krabbelte sie aus ihrem Bett, um etwas zu trinken. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals in ihrem Leben einen so realistischen Traum gehabt zu haben. Realistisch? Aber sicher! Sie hatte von Männern geträumt, die sich in Drachen verwandelten! Seltsamerweise schlief sie den Rest der Nacht wie ein Baby. Zuko beendete den Tento mit der obligatorischen Verbeugung gen Osten. Als er vom Balkon wieder in sein Zimmer trat, wartete dort Fon mit den üblichen Utensilien. Zuko runzelte die Stirn. „Ich denke nicht, dass es notwendig ist jeden Tag das Haarbinderitual durchzuführen solange wir hier sind, Fon!" „Aber ... Herr!" „Es ist auch nicht nötig den Odoro zu tragen, solange meine Gesuche noch von Sekretären abgeschmettert werden. Ich werde hier bestimmt nicht in voller Montur herumrennen, solange ich noch von keinem Würdenträger empfangen werde." Er bekam keine Antwort. Ein sicheres Zeichen, wie sehr seine Entscheidung missbilligt wurde. „Wann habe ich den nächsten Termin, Fon?" „Zehn Uhr, mein Lord!", kam die hölzerne Antwort. „Ah. Genug Zeit für einen Ausflug also." „Aber Hoheit ... Das könnt Ihr nicht tun!" „Ich kann was nicht, Fon?" Zukos Stimme brachte mildes Erstaunen zum Ausdruck. „Bei Tag in der Stadt herumstreunen, Mylord!", kam die trotzige Antwort. „Nicht? Das ist aber zufällig das, was ich zu tun gedenke. Schlichte, braune Kleidung, bitte!" Fons Miene wurde sauertöpfisch. Jetzt durfte er dem Jungen schon am frühen Morgen hinterherjagen. Das konnte ja heiter werden. Zuko hatte ungefähr ein Viertel seines Weges hinter sich gebracht, als er seinen Verfolger wahrnahm.  Er kannte dieses Gefühl zu genau, um nicht zu wissen, was vor sich ging. Allem Anschein nach hatte sein Onkel wieder einmal einen seiner Bluthunde als Fürstensitter abkommandiert. Aber Jahrelange Übung hatten den Prinzen Zuko zu einem wahren Meister in der Kunst des Untertauchens werden lassen. Eine Erfahrung, derer sich der Lord nun schamlos bediente. Zwei Minuten später war er wieder unbeobachtet. Er erreichte die Färbergasse 33 zusammen mit den ersten, schwachen Sonnenstrahlen. Durch die dünne Wand der Schiebetür, die fast die gesamte Front der Wohnung einnahm, konnte er Licht schimmern sehen. Gut. Mit verschränkten Armen lehnte er sich gegen einen Laternenpfahl auf der gegenüberliegenden Strassenseite und wartete. Als lautes Scheppern aus der Wohnung drang, hätte er seinen Posten beinahe aufgegeben. Nur der Gedanke, eine Einmischung seinerseits wäre vielleicht unerwünscht, ließ ihn verharren. Beim zweiten Scheppern zog ein leichtes Lächeln über Zukos Gesicht. Seine Auserwählte hatte in der Tat einen Hang zur Tollpatschigkeit. Jin war so munter wie seit Langem nicht mehr. Das war bestimmt noch die restliche Wut über die Unverschämtheiten dieses Tee-Schubsers! Dass sie fortwährend vor sich hin summte passte allerdings nicht so ganz in diese schöne Theorie. Ebenso wenig wie die besondere Sorgfalt, sie sie ihren Zöpfen heute angedeihen ließ. An diesem Stück Unverfrorenheit lag es bestimmt nicht, soviel stand fest! Sie rechnete schließlich überhaupt nicht damit, ihm heute zu begegnen. Nach Mantel und Tasche greifend machte sich auf ihren Weg zur Arbeit. Dass er allerdings um diese Zeit tatsächlich schon vor ihrer Wohnung herumlungerte, damit hatte Jin nun WIRKLICH nicht gerechnet. Prompt stolperte sie von der letzten Stufe, direkt in eine füllige Nachbarin. „Jin We! Natürlich! Mädchen, dass Du mit Deinem Talent die Strasse noch nicht in Schutt und Asche gelegt hast, wundert mich wirklich!" „Verzeihung Frau Wong!" Jin sah nicht auf. Sie konnte fühlen, wie sich sämtliches Blut in ihren Wangen versammelt hatte. Zu allem Überfluss musste ER natürlich Zeuge dieses Schauspiels sein. So ein Mist! Mit gesenktem Kopf lief sie eilig los, die Tasche fest vor ihre Brust gepresst. Als Zuko ihre Verlegenheit sah, hätte er nicht übel Lust gehabt Frau Wong eine kleine Demonstration von `Schutt und Asche´ zu geben. „Guten Morgen, Jin!" „Lass mich in Ruhe!" „Ein sehr äh ... sonniger Morgen, nicht?" „Vielleicht auf Deinem Planeten!" „Die Luft ist wirklich auch sehr ... klar." Was faselte er denn da? Das bisschen Konversation sollte er eigentlich spielend in den Griff bekommen. Schließlich hatte Zuko II schon waffenstrotzende Killermaschinen dazu gebracht, sich Tee trinkend an einen Tisch mit ihren Erzfeinden zu setzen. „So gut zum Atmen!" Wieder antwortete ihm nur Stille. „Wirklich eine Wohltat für die Lungen." Ja, allmählich kam er in Fahrt. Doch diesmal erntete er nicht einmal einen Seitenblick für seine Mühen. Gut, wenn sie einen Monolog hören wollte ... Die nächsten neun Minuten erging Zuko sich in einer Abhandlung über den Sinn und Unsinn von Regenschirmen und Hüten. Biss sie sich etwa ab und zu auf die Lippen? Diese Köstlichkeiten aus Orangenduft und Bittermandel? Er mahnte sich zur Vernunft. Wenn er sie hier auf offener Strasse küsste, könnte er sich umgehend die Ohrfeigen für die nächsten zehn Jahre abholen. Als sie die Stufen zu einem großen Haus emporstieg war es zum küssen ohnehin zu spät. Oben im Eingangsbereich standen einige Frauen und Mädchen, die neugierig herunter starrten. Ihre Blicke flogen zwischen der verstockten Jin und ihm hin und her. Vor der untersten Stufe blieb Zuko stehen. „Einen schönen Tag, Jin!" Jin knallte die schwere Eingangstür vehement hinter sich zu. Die Versammlung am oberen Ende der Stufen hatte natürlich nichts besseres zu tun als zu kichern. Aber das war etwas, das Mylord mit einem gezielt bösen Blick ändern konnte. Also tat er es. „Fon, willst Du damit sagen, er hat DICH abgehängt? Den Meisterspion, der sogar Qui La entlarvt hat? Mein Freund, es tut mir leid, Dir das zu sagen, aber Du lässt nach!" General Irohs Tadel traf einen wunden Punkt. „Entschuldige, Hoheit, aber wenn Du Dich in die Erziehung des Jungen nicht eingemischt hättest, wäre er jetzt vielleicht nicht cleverer als wir!" „Dir war aber doch klar, wohin er wollte. Warum hast Du seine Spur nicht wieder aufgenommen?" „Weil er einen verdammten sechsten Sinn dafür hat! Doch wenn Du willst, dass er RICHTIG sauer auf Dich wird, kann ich mich an seinen Fersen auch festbinden. Um Deine Neugier zu stillen, Hoheit! Mir ist eh nicht wohl dabei, meinem Herren nachzuspionieren." Nach diesem Roman beschloss Fon, genug gesagt zu haben. „Meine Neugier? Als ob es hier nur um meine Neu ... gier..." Eine kurze, gnadenlose Begutachtung des eigenen Innenlebens zeigte Iroh, dass Fon Recht hatte. „Ich will nur nicht, dass er die Sache vermasselt. Dazu ist sie zu wichtig.", brummte er. „Wie wär´s, wenn Du ihm vertraust, Hoheit?" Damit zog Fon ab. Er hatte schließlich noch Wäsche zu bügeln. „Jin ..." „Jetzt sag schon Jinny!" „Unser Fräulein We hat also Geheimnisse?" „Wo lernt man denn SOLCHE Männer kennen?" „Warum hast Du denn nichts gesagt, Jin?" „DER sieht jedenfalls nicht so aus, als würde er die ganze Nacht nur Kartenspielen wollen!" Auf den letzten Kommentar hin steigerte sich das Glucksen der Frauen in bunt perlendes Gelächter, und Jins Gesichtsfarbe von Rosa zu Rot. „Hört auf damit! Es gibt über diesen Kerl weder etwas zu sagen, noch zu denken." Ihre Stimme wurde ein winziges Bisschen schrill. „Über welchen Kerl?", fragte Sela, die eben aus den Umkleideräumen kam.  DAS fehlte noch! Doch bevor Jin das Unheil abwenden konnte, wurde Sela von einer Kollegin ans Fenster gezerrt. „Der da unten. Ziemlich eindrucksvoll, was?" „Ich find ihn ein bisschen finster." „Finster ist gut!" „Olala, ich steh auf Pferdeschwänze!" „Ich tausch gerne meinen Baro gegen ihn ein." „Ohne die Narbe schon. Aber so ..." „Also ICH erkenne ein Prachtexemplar, wenn ich eins sehe!" Über dieses Stimmengewirr war Selas Organ leider immer noch erstaunlich gut zu hören: „JIN!? Ja bist Du denn von allen guten Geistern verlassen? Was macht DER denn wieder hier?" Die übrigen Weberinnen verstummten, als sie Hintergrundinformationen witterten. „Ich ... äh ... Weiss ich doch nicht! Er war einfach da." „Einfach da? Und warum hast Du ihn dann im Schlepptau?" „Ich? Hab ich gar nicht! Ich ... ich kann ja nichts dafür, wenn ..." „Ach? Mr. Kokel-Fratze taucht eben mal so aus der Versenkung auf und schon kriegt Fräulein We wieder den Kuhblick?“ „NENN IHN JA NICHT SO!" Sie schrie ja schon wieder. Oh Mann!  „Ach, lasst mich doch alle in Ruhe!" Jin stapfte an ihren Webstuhl. So ähnlich verlief der gesamte Arbeitstag. Immer wieder kam eines dieser Weibsbilder `zufällig´ vorbei, um sie über ihren `Verehrer´ auszuquetschen. Sela warf ihr nur finstere Blicke zu. Das blöde Webmuster gelang auch nicht so wie es sollte, weil Jin die ganze Zeit über aus dem Fenster schielte. Aber er war nirgendwo zu sehen. Warum auch? War ja klar! Bestimmt hatte er in der Stadt noch ein anderes Mädchen, dem er sein lachhaftes Gesülze über Regenschirme aufbinden konnte. Und bestimmt war sie auch diesmal wieder tausendmal hübscher als sie selbst. Am Ende des Arbeitstags hatte Jin Kopfschmerzen und eine eingeschnappte Freundin. Noch bevor sie ganz aus der Tür war, konnte sie am Lachen und Plappern der anderen Arbeiterinnen hören, dass er da war. Da stand er. Inmitten dieser quietschenden Weiber; ließ sich selbstgefällig von den Frauen umringen, wie ein Pascha, der seinen Harem inspiziert. Und ihre Kolleginnen hatten allem Anschein nach nichts besseres zu tun, als schamlos mit ihm zu flirten. Und wenn schon! Sollten sie doch. Jin versuchte, sich an der Ansammlung vorbei zu schlängeln.  Wenn sie Glück hatte, wäre er so damit beschäftigt, sich bewundern zu lassen, dass er sie gar nicht bemerken würde. Nachdem die Tür zur Weberei sich endlich geöffnet hatte, hatte Zuko sich plötzlich inmitten einer Schar geschwätziger, kichernder Frauenzimmer wiedergefunden, von denen er kein Einziges kannte. Was sie ihm für Fragen stellten. Da bekam man ja rote Ohren! Um sie loszuwerden verschränkte er die Arme und setzte seine finsterste Miene auf. Doch nicht einmal das half. Jetzt hieß es stoisch bleiben. Dann sah er aus den Augenwinkeln Jins grünen Mantel aufblitzen.  Nicht zu fassen; diese Göre wollte sich tatsächlich vorbeischleichen und ihn hier inmitten dieser mannstollen Furien einfach stehen lassen! „Jin!"  Hinter Zuko erklang wieder vielstimmiges Gekicher. Er machte sich hier noch zum kompletten Idioten! Als er sie eingeholt hatte, zwang er sich zur Ruhe. „Schönen guten Abend, Jin!" Sie ging weiter. Ah, also wieder das alte Spielchen! Schön, wenn es das war, was sie wollte. „Wie war Dein Tag?"  Grauenhaft. „Bist Du hungrig?"  Jetzt bestimmt nicht mehr! „Vielleicht durstig?"  Nicht einmal in der Wüste würde ich Wasser von Dir nehmen! Zuko ließ ihr Schweigen an sich abprallen. Im Lauf der Jahre hatte er gelernt, dass man manche Strafen über sich ergehen lassen musste. Und diese hatte er mit Sicherheit verdient. Er hoffte nur, sie würde ihm im Gegenzug irgendwann die Gelegenheit geben, alles zu erklären. Ihrem Gesichtsausdruck nach würde das aber noch eine Weile dauern.  Er unterdrückte ein Seufzen. Erdvolk! Da er ohnehin keine Reaktion bekam, ging Zuko den Rest des Weges mit hinter dem Rücken verschränkten Händen schweigend neben ihr her. Auch eine Art, spazieren zu gehen. Er brach sein Schweigen erst, als Jin ihre Wohnungstür erreichte. „Gute Nacht, Jin!" Jins nächste drei Tage vergingen auf diese Weise. Lee wünschte ihr einen guten Morgen, einen schönen Tag, einen wundervollen Abend und eine gute Nacht. Und ihrem anhaltenden Schweigen zum Trotz hatte sie dies auch. Es wurde von Tag zu Tag schwerer, nicht zu lachen wenn er eine Kostprobe seines trockenen Humors zum Besten gab.  Ihn nicht anzusehen wenn er schweigend neben ihr ging. Nicht seine Hand zu greifen, wenn sein Arm zufällig den ihren streifte. Doch am schwersten war es, seinen letzten Gruss am Abend nicht laut zu erwidern. Also tat sie es leise. Sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. „Gute Nacht. Lee." Und jede Nacht kamen die Drachenträume. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)