Drachenherz von Xanderle (Ein kleiner Zujin Roman) ================================================================================ Kapitel 24: Der blaue Drache ---------------------------- Der Nachtmahr Verschließ Dein Herz, verschließ die Tür, Der Nachtmahr stehet schon dafür! Gewährst Du Einlass des Traumes Macht, So wirst Du um den Schlaf gebracht. Verschließ die Tür, verschließ Dein Herz, Der Nachtmahr bringet Angst und Schmerz! Verkriech Dich unter Deiner Deck´, Der Nachtmahr kommet schon um´s Eck´! Er erdrückt Dich im Bett, er erdrückt Dich im Schlaf, Drum schweig lieber still und sei immer hübsch brav! (Alter Kinderreim der Feuernation, genaue Herkunft unbekannt.) Feuerpalast, dreizehn Wochen später „Bastard!“ Zuko runzelte die Stirn. „Nichtsnutziger Bastard!“ Ah! Nur die üblichen Schmähungen. Eine klauenartige Hand packte seinen Ärmel, zog ihn nach unten, auf den Sterbenden zu. „Komm mit!“, röchelte sein Vater. „Du kannst meinen Thron haben! MEINEN THRON!“ Feuerlord Zuko bewegte sich unruhig im Schlaf. Ein leichter Schweißfilm hatte seine Haut überzogen. Er sass auf dem Thron. Es war kalt. Fürchterlich kalt, obwohl rund um ihn hohe Flammen schlugen. Er sass auf dem Thron, ebenso unbewegt wie dieser. Die einzige Regung auf seinem Gesicht, war der flackernde Wiederschein des Feuers. Zuko konnte sich selbst beobachten, losgelöst von diesem reglosen Körper. Dann spürte er es, sah es ... Seine Narbe verschwand; schmolz. Er war unversehrt. Älter. In der schimmernden Oberfläche des Throns spiegelte sich das höhnische Gesicht Ozais. Zuko riss die Augen auf und lag keuchend im Bett. Würde er diesen Albtraum nicht jeden Monat durchleben, hätte er vermutlich um einiges panischer reagiert. Neumond! Es war nur der Neumond. Die große Sanduhr zeigte erst kurz nach zwei Uhr, also würden heute wohl nicht mehr als diese zweieinhalb Stunden Schlaf herausspringen. Er blickte zu Jin, die noch immer tief und fest schlief und betete, sie auch diesmal nicht zu wecken. Vorsichtig zog er den Arm unter ihrem Nacken hervor, zupfte einige seiner Haarsträhnen aus ihren lockeren Fingern und stand auf. Da sie  immer zu frieren schien, sobald er das Bett verließ, hüllte er sie vorsichtig in eine zusätzliche Decke. Dann ging er leise auf die Terrasse hinaus. Alles wie immer. `Es ist alles wie immer, also beruhige Dich!´ Doch da alles wie immer war, beruhigte er sich nicht. Das schaffte er nie. Nicht nach diesem Albdruck. Mit langen, ungeduldigen Schritten begann Zuko auf der Terrasse hin und her zu streifen, die Arme schützende verschränkt. Wann würde sein Vater ihn nur endlich in Ruhe lassen? WANN? Wäre er irgendwann in der Lage, diese Angst abzuschütteln? Die Angst, so zu werden, wie sein Vater? Egal, wie oft ihm beteuert worden war, diese Gefahr bestünde nicht, Zuko wusste es besser! Er war ihm viel zu ähnlich. Nicht nur äußerlich. Er war ebenso verbissen, besass den gleichen unbeugsamen Willen. Kompromissbereit war er nur an geraden Sonntagen und selbst dann nur, wenn er die Lust dazu verspürte. Hinter seiner Vernunft lauerte all zu oft gedankenlose Arroganz und in seinem Kopf geisterten manchmal Stimmen, die ihm sagten, es gäbe einfachere Wege zum Ziel, als die, die er gewählt hatte. Es gab schließlich nicht viel, das dem Feuer widerstehen konnte. Würde er es merken, wenn ihm das eigene Wesen entglitt? Hatte sein Vater es bemerkt, als dieser fanatische Wahn ihn völlig in Besitz genommen hatte? Ozai war nicht immer so gewesen, wie zuletzt. Wie oft hatte er seiner Mutter dies sagen hören? Wie oft hatte ihn das vor die Frage gestellt, wann er wohl der selben Selbstentfremdung zum Opfer fiel? Würde sie das Selbe über ihm sagen? Würde Jin mit der gleichen, tiefen Trauer, in den Augen sagen: `Er ist aber nicht immer so gewesen!´? Würde sie sich daran erinnern, wie es war, ihn zu lieben? Bei allen Göttern! Hatte er wirklich das Recht gehabt, sie an sich zu binden? Zuko harkte mit den Fingern durch sein Haar und verfluchte seine Zweifel. Sie waren schon früher schlimm genug gewesen, doch nun galt jede seiner Sorgen in doppeltem Maße seiner Frau. Was, wenn er es nicht schaffte, dass Jin glücklich blieb? Was, wenn er den Kampf gegen die kalte Stimme in seinem Inneren eines Tages verlieren würde? Agni sei Dank plagten ihn diese Selbstzweifel nur bei Neumond, sonst würde er noch verrückt! Jin blinzelte müde. Zuko war nicht da. War es wirklich schon Zeit für den Tento? Sie hatte das Gefühl, nur drei bis vier Stunden geschlafen zu haben. Der phosphorisierenden Sand der Uhr zeigte ihr, dass sie damit richtig lag. Ein großer Schatten strich an den gläsernen Türen vorbei und Jin setzte sich  abrupt auf. In der Finsternis konnte sie nur erkennen, wie jemand auf der Terrasse hin und her ging. Hatten die Wachen einen Eindringling übersehen? Aber welcher Heimlichtuer hätte den Nerv, vor dem Schlafgemach des Feuerlords herum zu tigern? Jin schlüpfte aus dem Bett, in einen warmen Hausmantel. Nein, das da draußen war kein Eindringling. Die Bewegungen dieses undeutlichen Schattenrisses kannte sie nur zu gut. „Zuko?“ Da sie in der kalten Nachtluft fröstelte, wickelte Jin sich enger in den Kimono; wie immer trug sie lieber seinen. Der Schemen hielt inne. „Was tust Du denn da?“, fragte sie irritiert. „Nichts! Geh schlafen!“ Ah. Nichts! Na dann … Jin tastete nach den Zündhölzern, die auf einem kleinen, gusseisernen Tisch rechts von ihr liegen mussten. Nachdem sie fündig geworden war, entzündete sie einen dreiarmigen Kandelaber. „Geh zu Bett, Jin!“ „Mach ich. Sobald Du mir sagst, was los ist!“ „Nichts! Das sagte ich bereits!“ Da war wohl jemand gereizt. „Wenn `nichts´ los ist, unterlässt Du es normalerweise nachts wie angebrannt durch die Gegend zu rennen“, meinte Jin sanft. „Gibt es ein neues Gesetz dagegen?“, knurrte Zuko. „Nein …“ „Dann, bei allen Feuern, geh wieder schlafen!“ „Schön, dann sag mir eben nicht, was Dich quält.“ Sie versuchte WIRKLICH, nicht gekränkt zu klingen. „Fein! Gute Nacht!“, sagte ihr Gatte knapp. „Zuko ...“ „Verdammt Jin, lass mich endlich in Ruhe!“ Endlich? ENDLICH? „Schön! Viel Spass noch beim lustigen Grübeln!“, fauchte sie aufgebracht. Jin kochte! Was zum Teufen war denn nur wieder los mit ihm? Nun, ER würde nicht damit rausrücken, soviel war klar. Sie blies die dummen Kerzen wieder aus, was ein Fehler war, denn auf dem Weg zum Bett machten Ihre Zehen Bekanntschaft mit einem Tischbein. Ihre folgenden, deftigen Flüche schlossen den eigenbrötlerischen Tyrannen vor den Fenstern mit ein. Natürlich konnte sie für den Rest der Nacht ebenso wenig schlafen, wie Zuko. Sie lag da und starrte besorgt auf die unruhig umherwandernde Silhouette. So kam es, dass ein äußerst übel gelauntes Herrscherpaar einen Tag begann, der fürchterlicher nicht hätte sein können. Unter der schauderhaften Stimmung seiner Lordschaft hatten unter anderem Fon, Tian Fu, vier Minister und ein Maître des Sauces zu leiden, der es gewagt hatte, eigenmächtig eines der Lieblingsrezepte des Feuergesalbten abzuändern. Jins Laune war um keinen Deut besser. Sie wuselte rastlos im Palast herum, steckte ihre Nase in Dinge, die sie nichts angingen (das schien heute das Hauptproblem zu sein … das DINGE sie nichts angingen, vielen Dank auch!) und eckte überall nur an. Was sie auch tat, sie erntete nur schockierte Blicke, oder unterdrücktes Keuchen. Egal, ob sie in Töpfe gucken oder nur Blumen schneiden wollte. Sie musste sich dringend eine Beschäftigung suchen. Diesen blöden, viel zu großen Palast zu erkunden wäre ja mal ein Anfang. Ihren Leibwächter im Schlepptau machte sie sich daran, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Mit viel Glück bräuchte sie Zuko auf diese Weise für die nächsten zehn Jahre nicht mehr auf die Nerven zu gehen. Die vielversprechendste Tür fand sie ein Stockwerk über ihren eigenen Privatgemächern. Natürlich war das dumme Ding verschlossen. An jedem anderen Tag hätte Jin die Sache vermutlich auf sich beruhen lassen, aber heute war sie nicht gewillt eine weitere Schlappe einzustecken. Schließlich war sie ja auch jemand, oder? Also musste der Schlüssel her! Es benötigte eine volle halbe Stunde knallharter Überredungskunst ihn zu bekommen. In diesen endlosen dreissig Minuten war Jins Einbildungskraft schon zu Höchstform aufgelaufen, so dass sie beim Öffnen der Tür ahnungsvolle Schauer durchliefen. Sie quietschte überaus seltsam. So hohl und kalt. Es war so ziemlich der größte, prunkvollste und imposanteste Raum, den Jin je gesehen hatte. Und er strahlte eine unglaubliche Kälte aus. Von dem Moment an, in dem sie über die Schwelle trat, kam sie sich beobachtet vor, als folge ihr ein hasserfüllter Blick. Vielleicht war es doch keine so gute Idee hier zu sein? Sie wollte bereits wieder gehen, als ihr Blick auf ein riesiges Wandgemälde fiel. Es war in den Schatten verborgen und vermutlich hätte sie es gar nicht entdeckt, hätte nicht in genau diesem Augenblick ein schmaler Sonnenstrahl ein goldenes Augenpaar aufblitzen lassen. Zuko? Zögernd ging Jin darauf zu. Nein! Das war nicht er. Was für ein lächerlicher Gedanke! Der Blick dieser kalten Augen ließ sie zittern. Aus einem überaus schönen, hochmütigen Antlitz starrten sie auf den Betrachter herab. In ein paar Jahren würden Zukos Züge eine exakte Kopie dieses Gesichts darstellen. Bis auf die Narbe. Die Narbe, die er diesem Mann zu verdanken hatte. Jin blickte in die toten, in Öl gebannten Augen des früheren Feuerlords. Schritt für Schritt näherte sie sich, unfähig den Blick abzuwenden. Dies also war Ozai. Der Vernichter. Ozai, der Grausame. Ozai, Vater ihres Gatten. Seltsame Stimmen wirbelten durch ihren Kopf; bedrohlich, angstvoll, gequält, während sie weiterhin wie hypnotisiert in diese Augen starrte ... „Jin!“ Wie ein Peitschenknall gellte ihr Name durch den Raum. „Was zum Teufel tust Du hier?“ Mylady war erschrocken herumgewirbelt. Nun sah sich sich einem wutentbrannten Ehemann gegenüber. „Ich wollte nur …“ „Raus hier!“ „Aber …“ „SOFORT!“ „Zuko …“ „Verschwinde, Jin!“, zischte er erbost. Wie vom Donner gerührt starrte Jin ihn an, konsterniert, wie knapp er sie herumkommandierte. „Wie ... Ihr wünscht!“, würgte sie schließlich hervor und stürmte an ihm vorbei. Blind rannte sie in ihre … nein, SEINE Gemächer zurück. Ihr gehörte hier rein gar nichts! Es schien höchste Zeit, mal wieder ordentlich zu heulen. Während seine Gemahlin sich bereits ihrem Elend hingab, stand Feuerlord Zuko wie vor den Kopf gestossen in den Räumen seines verstorbenen Vaters. Er spürte die gleiche Beklemmung, die ihm schon damals die Luft zum Atmen genommen hatte. Wie konnte es sein, dass er nach all der Zeit immer noch diesem Gefühl der Scham und Minderwertigkeit erlag, wenn es um seinen Vater ging? Es war nur ein Zimmer, nichts weiter, und doch vermochte Zuko sein Unbehagen nicht abzuschütteln. Auf diesem Sessel dort hatte Azula gesessen, als … Abrupt drehte er sich um. „Lasst die Gemächer versiegeln! Ich will sämtliche Schlüssel dafür ausgehändigt bekommen!“, befahl er seinen Wachen und eilte in Richtung Arbeitszimmer davon. Zwei Stunden später beschloss Zuko, sich genug abgeregt zu haben, um sich mit seinem Eheweib auseinanderzusetzen. Vielleicht hatte er vorher doch leicht über reagiert. Aber sie in diesen Räumen zu sehen, hatte ihm seine Angst allzu deutlich vor Augen geführt. Diese Furcht, die unkontrollierbare, manchmal dunkle Seite seines Wesens könne sie eines Tages in die Flucht schlagen. Paradoxerweise handelte er dadurch genau so, wie er es in jedem Fall vermeiden wollte: streitsüchtig, ungerecht und aggressiv. Er fand sie in den Privatgemächern. Sie sass auf einer Fensterbank und sah in die Gärten. Als er sich näherte, versteifte sie sich. „Jin?“ „Ja?“ Sie klang nicht wütend. Instinktiv beurteilte Zuko dies als eher schlechtes Zeichen. „Warum sitzt Du nur da?“ „Ich versuche nichts Falsches zu tun. Oder ist diese Fensterbank nur für Morgens? Soll ich mich anderswo niederlassen?“ „Unsinn!“ „Gut! Dann bleib ich hier.“ Es hatte wohl keinen Sinn, lange um kochende Lava herum zu reden. Am besten kam er gleich auf den Punkt. „Jin, wenn ich Dich von etwas fern halten will, oder Dir etwas verweigere, habe ich gute Gründe dafür!“ Na, wie beruhigend. Er hatte also gute Gründe, sie von sich fern zu halten. „Du weißt, dass Du Dich ansonsten völlig frei bewegen kannst.“ „Oh … schön! Gilt das für all Deine Gemächer, oder nur für Dein Schlafzimmer?“ „Jin!“ „Was? Findest Du diese Frage unberechtigt?“ Jin sprang auf, als ihre erzwungene Ruhe zu bröckeln begann. „Ich nicht! Es schein nämlich unglaublich viele Bereiche zu geben, die mich nichts angehen oder in denen ich mich falsch verhalte. Der einzige Ort, an dem ich Dich zufrieden stelle, ist anscheinend das Bett! Aber wahrscheinlich bilde ich mir selbst DAS nur ein. Ich hatte mir nämlich auch eingebildet, Dein Vertrauen zu besitzen.“ Ihre Finger verkrampften sich. „Lächerlich, nicht wahr?“ „Das ist das Dümmste, das Du je von Dir gegeben hast Jin!“, stieß er aus. „Tatsächlich? Na dann muss es ja wirklich unglaublich dumm sein!“ „Jin, Du kannst nicht meinen, was Du sagst!“ „Ich mein jedes Wort so!“, rief sie, „Ich will wissen, wo ich etwas zu suchen habe und wo nicht. Ich habe nämlich keine Lust mehr, mir die Finger zu verbrennen, nur weil ich Dinge tue, die mir nicht zustehen! Am besten setze ich mich in einen Sessel und sticke Blumen auf Taschentücher. Und ganz bestimmt werd ich nicht mehr versuchen Dich zu verstehen, oder Deine Sorgen zu teilen, da sie Dir ja so ungemein heilig zu sein scheinen.“ Zuko starrte aus dem Fenster. Sie hatte Unrecht! Er verweigerte ihr doch Nichts! Oder? „Es gibt Dinge, die ich mich wahrscheinlich nie loslassen werden“, gab er leise zu. „Und ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen kann.“ „Hast Du Dir mal überlegt, dass das exakt der Grund sein könnte, aus dem sie Dich nicht loslassen?“ Er blieb stumm. „Es gibt also Dinge, die Du mir noch nicht sagen kannst? Fein! Ich kann warten! Doch wenn Du nicht einmal meine Nähe oder meinen Zuspruch akzeptierst, dann tut mir das weh, Zuko! Ich … ich dachte eigentlich, wir wollten unser gesamtes Leben teilen, nicht nur einige Bruchstücke davon.“ Zuko ballte die Fäuste. „Wir teilen nicht nur Bruchstücke!“, knirschte er. „Aber Du hast mich heute zwei mal fortgejagt! Und behaupte nicht, es wäre nicht so gewesen.“ „Jin, Du weißt nicht, wie es ist!“ „Nein! Und ich werd´s auch nie wissen, wenn Du nicht versuchst, es mir zu erklären.“ Endlich wandte sich ihr zu. „Was, wenn Du eines Tages bereust es zu wissen?", flüsterte er. "Was soll ich tun, wenn Du in mich blickst und etwas siehst, das Dich entsetzt? Was, wenn ich dann nicht mehr der sein sollte, für den Du mich gehalten hast?“ Unruhig flackernde Augen hielten Jins Blick fest. „Ich habe unzählige Dinge getan auf die ich nicht stolz bin, Jin, aber damit kann ich leben. Ich weiß jedoch nicht, was noch sein wird. Ich entstamme nämlich zufällig einer Linie größenwahnsinniger Irrer!“ „Zuko!“ Jin legte ihre Hand über sein Herz. „Du bist doch nicht wie sie!“ „Nein?“ Er entzog sich ihr, drehte sich um und starrte wieder aus den Fenstern. „Und warum träume ich dann jeden Neumond davon?“, raunte er. „Warum habe ich ein und denselben Traum, Monat für Monat? Sitze auf diesem verdammten Thron und verwandle mich in meinen Vater? Und denke nicht, ich sei ihm nicht ähnlich, Jin, denn das bin ich! Ich bin ebenso von meinen Zielen besessen, ebenso herrisch und aufbrausend. Vielleicht werde ich auch ebenso verrückt und machthungrig wie er ...“ Jin konnte ihn nur fassungslos ansehen. Wie, um alles in der Welt, hatte er es ausgehalten, diese Ängste für sich zu behalten? „Zuko!“ Sie umarmte, was sie von ihm zu fassen bekam, schmiegte ihr Gesicht in das Haar auf seinen Rücken. „Dein Vater hatte vielleicht ein ähnliches Temperament, aber er hatte einen völlig anderen Charakter! Du wärst zu diesen Dingen niemals fähig. Glaubst Du allen Ernstes, Du könntest ein Kind brandmarken? Denkst Du, Du könntest den Befehl erteilen, eine Familie auszulöschen, oder ein ganzes Dorf? Du hast es in Ba Sing Se nicht mal über Dich gebracht, einen kleinen Taschendieb der Polizei  zu übergeben; Du weigerst Dich beharrlich die Steuern zu erhöhen, bis es Deinen Leuten besser geht. Ich kenne Niemanden, der ein größeres Gerechtigkeitsempfinden hat, als Du. Und ausgerechnet Du hältst es für möglich, wie Dein Vater zu werden? Wie kannst Du so etwas denken?“ Sie drückte ihn so fest sie konnte an sich. „Ich hab Ozais Augen gesehen, Drache, und wenn sie auch nur annähernd so waren, wie auf diesem Bild, dann lass Dir gesagt sein, Du könntest niemals so kalt sein. Niemals! Dafür ist Dein Feuer viel zu hitzig!“ „Jin … er war früher anders. Frag meine Mutter, oder meinen Onkel.“ „Anders? Wenn er anders war, heißt das noch lange nicht, dass er so war wie Du!“ „Woher willst Du das wissen?“ Plötzlich ging Jin auf, dass es auch auf ihrer Seite Dinge gab, die sie bisher für sich behalten hatte. Sie dachte an ihre Drachenträume. „Du denkst vielleicht, ich würde Dich noch nicht gut genug kennen, Zuko, aber da irrst Du Dich! Ich kenne Dich. Das hab ich vom ersten Augenblick an getan.“ Kurze Bilder durchzuckten Jins Geist. Der schreckliche, furchteinflößende Traum, in dem der rote Drache seinen Bruder getötet hatte. „Ich weiß zu was Du fähig bist und zu was nicht!“, flüsterte sie. „Und die Grausamkeiten Deines Vaters gehören ganz bestimmt nicht dazu.“ Zuko drehte sich um. Stumm sah er ihr in die Augen. Dann presste er sie schließlich eng an sich. „Wie kannst Du nur einen solchen Glauben in mich haben, Kobold?“, flüsterte er rau. Jin biss sich auf die Lippe. Sollte sie ihm erzählen, wie speziell ihre Bindung wirklich war? Er würde das ganz bestimmt als sentimentales Geschwätz abtun. „Wie kannst Du ihn nicht haben, mein Schatz?“, wisperte sie. „Nun, zum Beispiel, weil ich mich Dir gegenüber heute ganz schauderhaft benommen habe.“ „Hm … meinst Du, ich muss zukünftig eine Strichliste führen?“ Er zuckte kläglich mit den Schultern. Manchmal war sein Humor irgendwie auf Urlaub, oder machte gerade Mittagspause. „Zuko! Schließlich hab ich auch ganz schön was angestellt. Ich hab die Gemächer Deines Vaters öffnen lassen. Hätte ich das gewusst, dann … Ich wollte keine alten Wunden aufreißen!“ „Das weiß ich, mein Herz.“ „Und ich weiß, dass Du nicht so eklig sein wolltest.“ „Eklig war ich also, hm?“ Zärtlich steifte er ihre Nase mit seiner. „Ja.“ Sie zog seinen Kopf tiefer und küsste die Narbe. „Ganz fürchterlich!“ Zuko knabberte sanft an ihren Lippen. „Ich sollte das nicht tun“, murmelte er. „Warum … denn nicht?“ Ihr Kuss war lang und innig. „Privataudienzen.“ Jetzt wurde der Kuss leidenschaftlicher und Jin begann die Finger mit einigen seinen rabenschwarzen Strähnen zu verknoten. „Privat klingt doch wundervoll!“, hauchte sie. „Oh nein! Nichts da!“ Er machte sich los, bevor das hier noch ausartete. „Ich werd jetzt gehen. Sie warten bestimmt schon.“ „Warum bist Du dann noch hier, Flammengekr…“ Das Wort ging in ihrem Quietschen unter. „Den Rest Deiner Strafe verpasse ich Dir heute Nacht.“ „Tyrann!“ „Frechdachs!“ Jin sah ihm nachdenklich hinterher. Wieder einmal schien es, als sei seine Vergangenheit ein tiefer, schwarzer Schlund, den sie nie vollkommen würde ausloten können. Manchmal wünschte sie sich, sie könnte sehen, was er durchlebt hatte und manchmal hatte sie einfach nur Angst davor. Sein Gesicht, als er in den Gemächern seines Vaters gestanden hatte … Er hatte ausgesehen, als stünde er einer ganzen Armee ruheloser, schauderhafter Geister gegenüber. Bestimmt war es besser, ihn nicht auch noch mit ihren Sorgen zu belasten. Denn seit drei Wochen waren die Drachenträume zurück. Aber nur die schlimmen! Sie rissen Jin, eng an ihren Mann gekuschelt, zwar nicht mehr aus dem Schlaf, doch sie ängstigten sie mehr, als sich sich selbst eingestehen wollte. Sie brauchte Dringend Rat! Und sie wusste auch, wo sie ihn finden konnte. Es klopfte zögerlich an der Tür zu General Irohs Gemächern. „Komm herein, Jin!“ „Woher wusstet Ihr, dass ich es bin?“ „Nun, die Diener benutzen eine andere Tür und Ursa oder Zuko klopfen bei weitem energischer.“ „Störe ich?“ „Aber nein. Niemals! Ich bin mit dieser Kaligraphie ohnehin beinahe fertig.“ Bedächtig setzte er einen letzten Pinselstrich. „Setz Dich doch bitte zu mir. Was hast Du auf dem Herzen, Kind?“ Jin tat wie geheißen und nagte an ihrer Unterlippe. Wie sollte sie dieses Thema nur anschneiden? Am besten frontal. „Hatte ... Tatzu einen Bruder?“ Alarmiert blickte Zukos Onkel auf. „Ja! Warum?“ „War … war er blau? Ich meine, als Drache?“ Der Pinsel wurde achtlos beiseite gelegt. „Ja.“ Er beobachtete Jin scharf. „Du hast wieder geträumt, nicht wahr?“ Sie nickte. „Sein Name war Arkun“, seufzte Iroh. „Er war der Jüngere der Beiden.“ „Weiß man … wie ... wie er gestorben ist?“ Er nahm Jins Hände sanft in seine und blickte sie forschend an. „Ja. Aber warum erzählst Du mir nicht, was Du gesehen hast?“ Jin schluckte. „Er … Er hat ihn getötet, nicht wahr? Tatzu hat seinen eigenen Bruder getötet!?“ Der General zögerte kurz. „Ja, das stimmt. Aber er tat es, weil er es musste!“ „Was hat sein Bruder denn so schreckliches getan, um das zu verdienen?“ „Er war vollkommen verblendet, Jin. Vor Hass, vor Rachsucht. Tatzu hat lediglich sein Weib beschützt. Sein Weib und sein ungeborenes Kind! Arkun hatte versucht Hsui zu töten, und nach allem was wir wissen, nicht nur einmal.“ „Er wollte Hsui umbringen?“ „Ja. Er hasste sie. Hasste sie ebenso sehr, wie alle andern Erddrachen.“ „Ich … in Ba Sing Se hatte ich geträumt, dass Arkun mich verflucht, aber dann waren die Albträume weg. Und ich habe keine Ahnung, warum sie jetzt wieder kommen.“ Sie sah auf, in diese weisen, gütigen Augen. „Ich hab Angst!“, flüsterte sie. „Jin, Mädchen!“ Warm drückte er ihre Hand. „Da bist Du nicht die Erste. Viele Fürstinnen berichteten von ähnlichen Dingen während, äh ... also, als sie …“ Iroh konnte winzige Schweißperlen auf seiner Stirn fühlen. „Du … bist Du … Ich meine, hast Du vielleicht eine Weile … wann hattest Du zuletzt, äh …“ „Mein Gott!“ Jin schlug die Hände vor den Mund. „Ich … MEIN GOTT!“ Die Zahlen überschlugen sich fast in ihrem Kopf. Er hatte Recht. „Ein Baby?!“, hauchte sie. „Ich ... bekomme ein Baby?“ Sie fiel ihm um den Hals. „Ist das nicht ein Glück?“, murmelte der Drache des Westens heiser und gab seiner Schwiegernichte einen Kuss auf die Stirn. Zehn Minuten später sass Jin vor der unvermeidlichen Tasse Tee und köstlichem Gebäck. Zum wiederholten Mal ließ sie die Hände über ihren Bauch gleiten. „Es fühlt sich noch gar nicht schwanger an!“ „Ich bin leider kein Experte auf, äh … diesem Gebiet.“ Selig rechnete Jin nach. Zum wahrscheinlich hundertsten Mal. „Über was würde Zuko sich wohl mehr freuen? Ein Junge, oder ein Mädchen?“ „Ich bezweifle, dass es für ihn einen Unterschied macht.“ „Glaubt Ihr, es wird gesund?“, fragte sie bang. „Alle Kinder unsrer Familie werden kerngesund geboren, Jin.“ Diese Aussage erinnerte Jin an seine Bemerkung von vorher. „Ihr sagtet, die Frauen der früheren Lords hätten ebenfalls solche Träume gehabt.“ „Das, wovon berichtet wird sind eher diffuse Vorahnungen. Manche nur leicht, andere beklemmend. Der Sage nach wird die Essenz eines Drachen niemals ganz vernichtet. Und so heißt es, Arkun werde immer wieder die Nachkommen seines Bruders heimzusuchen. Seine Seele wird in ihren Reihen immer wiederkehren und unter den Kindeskindern Tatzus wird Zwietracht und Missgunst herrschen, bis ...“ Vor Schreck hatte Jin ihre Tasse umgestossen. „Kann das auch meinen Kindern passieren?“, platze sie heraus. „Nein, Jin“, beschwichtigte Iroh sie. „Vor langer Zeit habe ich von einer Prophezeiung erfahren. Allerdings hielt ich sie damals für Unsinn. Ich ... hielt all diese Dinge für Unsinn, bis mein Lebensweg mich zwang, mich auch anderen Realitäten zu stellen. Die Prophezeiung besagt, dass der Fluch des blauen Drachen gebrochen wird, wenn Tatzu seine Gefährtin wieder findet und eine Zeit des Friedens anbricht. Soweit ich das beurteilen kann, ist Beides eingetroffen!“ „Aber, dann hätte ich doch diese Träume nicht mehr“, flüsterte Jin. „Nun, Du erwartest ein Kind. Das macht Dich vermutlich empfänglicher für die verschütteten Erinnerungen Deiner Seele. Vielleicht spürt Arkun seine Macht schwinden und versucht ein letztes Mal, Deine Gedanken zu vergiften. Aber, wie auch immer: Er besitzt nicht mehr die Kraft Dir zu schaden!“ Jin nickte zögernd. Waren es nun Erinnerungen, die sie heimsuchten, oder die gemarterte, aufbegehrende Seele eines Drachen? Und was war mit Zukos Träumen? „Aber Zuko … Er hat ebenfalls Albträume. Jeden Monat!“ Iroh seufzte. „Ich weiß. Er hat sie, seit Ozai starb. Wenn es um seinen Vater geht, wird Zuko vermutlich immer zerrissen sein. Es ist schwer, von einem Menschen, den man um jeden Preis lieben will, nichts als Ablehnung zu erfahren. Es hat lange gedauert, bis Zuko die Hoffnung nach Ozais Zuneigung aufgab und es wird noch länger dauern, bis er seine Schuldgefühle aufgibt. Der Rest der Welt hat ihn dafür gefeiert, zu Ozais Tod beigetragen zu haben, doch für ihn selbst sieht das Ganze ein bisschen anders aus. Er hat seinen Vater getötet. Nicht mehr und nicht weniger. Aber zumindest plagt ihn diese Sache jetzt nicht mehr jede Nacht, sondern nur noch einmal im Monat. Am Anfang hatte ich Angst, es könne ihn dauerhaft aus dem Gleichgewicht bringen, doch das war, Agni sei Dank, nicht der Fall. Er ist viel stärker, als seine Erinnerungen oder seine Zweifel es sein könnten.“ Kurz überlegte Jin, ob sie das Recht hatte, das komplizierte Innenleben ihres Gatten vor dessen Onkel auszubreiten, aber da dieser Mann für Zuko wie ein Vater war, beschloss sie, das Risiko einzugehen. „Er träumt aber nicht nur VON ihm ... Er ... Zuko träumt davon so zu werden, wie Ozai.“ „Was?“ Iroh klang entsetzt. „Agni! Der arme Junge. Kein Wunder ist er danach immer explosiv wie ein Feuersalamander.“ „Und dann hab ich auch noch diesen dummen Fehler gemacht“, gestand Jin kleinlaut. „Fehler?“ „Ich … hab eine verschlossene Tür öffnen lassen. Sie, äh, … es hat sich herausgestellt, dass es die Tür zu Ozais Gemächern war.“ Iroh holte Luft. „Bei Agni, Jin! Das … Du darfst es dem Jungen nicht verdenken, wenn er unangenehm wurde. Er … in diesen Räumen musste Zuko ziemlich schlimme Dinge mit ansehen. Sie sind aus gutem Grund verschlossen. Doch wenn er einsieht, dass Du nicht wusstest, was Du tust, wird er Dir mit Sicherheit verzeihen.“ „Das hat er schon. Aber ich hab trotzdem ein schlechtes Gewissen. Erst quälen ihn seine Träume und dann komm ich noch mit sowas!“ „Doch die Tatsache, wie schnell er Dir verziehen hat, zeigt nur, wie viel stärker euer Band ist, als die alten Verwünschungen eines boshaften Drachen. Arkun kann euch nichts anhaben, Jin.“ Er bemerkte immer noch leichte Zweifel in ihrem Blick. „Warte … ich hoffe, mein verbrauchter Schädel bringt diesen Vers noch zusammen. Keine Ahnung, warum sich diese alten Prophezeiungen immer reimen müssen! Es macht sie nicht gerade verständlicher.“ Iroh legte kurz die Stirn in konzentrierte Falten und begann dann zu zitieren. „Hass des Bruders, Zorn des Drachen, wirst vergebens Deine Brut bewachen! Such Deine Liebe, such Dein Herz, so endest Du der Kinder Schmerz! Durch Äonen von Leid, erkenne Dein Weib. Du wirst sie suchen, sie wird Dich finden! Und Glück wirst auf ewig Du an euch binden.“ „Glaubst Du mir jetzt, Jin?“ Seine neue Nichte dachte nach und atmete schließlich tief durch. „Ja!“, sagte sie und blickte ihn merkwürdig an. „Es sollte auch ein Gedicht für weise, kluge Onkel geben, die Iroh heißen.“ Iroh rieb sich die Nase und wurde ein bisschen rot. „Oh, die! Na ja, die es gibt sind eher ... äh, unpassend! Sie beziehen sich auf … andere Dinge, Du weißt schon.“ Jin musste so lachen, dass sie schon befürchtete, jemand in ihrem Bauch müsse Seekrank werden. Nach diesem Gespräch machte sich Jin daran, diverse Vorbereitungen zu treffen. Man eröffnete dem Feuerlord schließlich nicht alle Tage, Vater zu werden. So kam es, dass eine äußerst gut gelaunte Herrschergattin einen Abend plante, der wundervoller nicht hätte sein können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)