Drachenherz von Xanderle (Ein kleiner Zujin Roman) ================================================================================ Prolog: Die Prophezeiung ------------------------ Weh Dir Drachenfürst, weh Deinen Erben! Des Bruders Fluch wird bald sie verderben. Ein Fluch aus Leid wird entzweien die Deinen, Für tausend Jahr wird nur Zweitracht sie einen. Dann finde das Weib, das Du einst hast erkoren, sonst sind Deine Kinder auf immer verloren! Hass des Bruders, Zorn des Drachen! Wirst vergebens bald Deine Brut bewachen. Such Deine Liebe, such Dein Herz, So endest Du der Kinder Schmerz! Durch Äonen von Leid erkenne Dein Weib! Du wirst sie suchen, sie wird Dich finden Und Glück wirst auf ewig Du an Euch binden! Dem Hause der Tatzu wird einer erstehen, Der leidvoll verschlungene Wege wird gehen. Dein Wiedergänger wird enden den Schmerz, Denn tapfer ist eines Drachen Herz! Wie der Vogel der Asche entsteigt er dem Feuer Auf dass er das Glück der Deinen erneuer. Zurück bringt er Frieden, der Krone zum Ruhme. Erwartet den Träger der Feuerblume! Wohl Dir Drachenherz, Wohl Deinen Erben! Des Bruders Schmerz wird endlich ersterben. Prophezeiung der Una 467 ZT* *ZT = Ziram Tatzu Übers.: Regentschaft des Drachen (467 Jahre nach der Gründung der Feuernation) Kapitel 1: Der Palast --------------------- General Iroh, der Drache des Westens, betrat die Räume der fürstlichen Familie durch eine kleine Seitentür. Es durch das riesige Hauptportal zu versuchen hätte bedeutet, eine fast zehn-minütige Lawine offizieller Ankündigungen, Namens-Verlesungen und Respektsbekundungen auszulösen. Für so etwas hatte er in seinem Alter weder Zeit, noch Geduld! Das Zimmer, das er betrat, war das größte und hellste der repräsentativen Gemächer. Der überwiegende Teil aller Audienzen wurde hier abgehalten. Die prächtige, von goldenen Adern durchzogene Decke wurde von fünf Reihen mit je sieben Säulen getragen. Helligkeit durchflutete den gesamten Raum, den nur drei Wände umgaben. Nach Süden hin war er offen, um warmes Sonnenlicht einzulassen. Hier führte eine breite Treppe mit flachen Stufen nach unten, in die inneren Gärten. Vor Jahrtausenden angelegt, strahlten diese Gärten Anmut, Harmonie und Ruhe aus. Etwas, das im tiefsten Inneren des Feuerpalastes seltsam fehl am Platz schien, und doch so sehr von Nöten war. Iroh seufzte, schloss leise die Tür und blickte sich um. Er brauchte nicht lange zu suchen. Seine Lordschaft war niemand, den man übersah. Er stand neben einer sich windenden, riesigen Säule, und starrte geistesabwesend auf einen der Teiche im Garten. Zuko Tatzu, seit nunmehr viereinhalb Jahren Herrscher der geeinten Feuernation, war ein durchaus imposanter Anblick. Hochgewachsen, schlank, mit breiten Schultern und einer straffen, unnachgiebigen Körperhaltung glich er seinem Vater. Auch in den strengen, stolzen Zügen konnte Iroh seinen verstorbenen Bruder erkennen. Er war jedoch klug genug, dies nicht zu erwähnen. Um diese Tageszeit trug Seine Durchlaucht den Odoro, die hochoffiziellen, fürstlichen Gewänder. Seit Generationen diente die Staatsrobe des Feuerlords einem einzigen Zweck: Ihren Träger größer, mächtiger und furchteinflössender wirken zu lassen. An Zuko war die Wirkung nahezu überwältigend. Voller Stolz betrachtete Iroh seinen Neffen. Vom Kopf, den die goldene, fünfflammige Hono krönte, bis zu den gebogenen Stiefelspitzen, der ehrfurchtgebietende Feuerlord, uneingeschränkter Herrscher der roten Lande, Gebieter der Flamme von Kairoku, Nachkömmling von Halbdrachen. Nur wenige Menschen glaubten heute noch den alten Geschichten, nach denen Tatzu, der Goldäugige, letzter Halbdrache aus dem Geschlecht der Kairoku, endgültig menschliche Gestalt angenommen hatte, um der erste Feuerlord zu werden. Die Sage berichtete, er hätte die Flammen der wüsten Lande eingedämmt, um den Menschen dort Schutz und Weisheit zu geben. Uralte Mythen, die heutzutage nurmehr dazu dienten, Kinder in den Schlaf zu singen. Doch eine Begegnung mit Zuko II brachte selbst eingefleischte Skeptiker dazu, das Wort Drachenblut mit sehr viel mehr Ehrfurcht auszusprechen, als zuvor. „Ihr kommt früher als erwartet, Onkel!“ Zuko drehte sich um, das Gesicht ausdruckslos, wie meist. Nur wer ihn kannte, konnte das erfreute Aufblitzen seiner Augen entdecken. Und niemand kannte ihn besser, als sein Onkel. "Wir hatten günstige Winde, mein Lord!“ Der General zögerte die Verbeugung hinaus, um einen kurzen Blick auf den missgünstigen Zug um den Mund seines Neffen zu erhaschen. Er wusste zu gut, wie sehr Zuko es hasste, von nahestehenden Personen mit Titel angesprochen zu werden. Sich wieder aufrichtend fügte er hinzu: „Und natürlich einen guten Steuermann, Euer Herrlichkeit.“ Mit Befriedigung sah Iroh, dass die Augen seines Gegenübers vor Unmut zu glimmen begannen. „Und selbstverständlich ...“ Er hob einen Zeigefinger. "Guten Tee, oh Flamme der Welt!“ Das Glühen schlug Funken, die nun aus goldenen Augen schossen. „Onkel!“, zischte Zuko. Geschafft! Iroh konnte sein zufriedenes Grinsen nicht verbergen. Nun, da er dessen Reserviertheit schamlos untergraben hatte, umarmte er seinen Neffen, kurz, aber erbarmungslos. Zukos Groll schwand ebenso rasch, wie er gekommen war und er erwiderte fest die Umarmung. „Es tut gut, Euch wieder hier zu wissen, Onkel!“ „In der Tat.“ Iroh strich sich den Bart glatt. „Unter der Mannschaft, die Ihr mir zur Verfügung stelltet, war kein einziger brauchbarer Pai Cho Spieler.“ „Wirklich?“ Die Stimme des Lords wurde eine Winzigkeit sanfter und seine tintenschwarze Augenbraue kletterte ein wenig nach oben. „Ein nahezu unverzeihliches Versäumnis, für das ich mich entschuldige, Onkel.“ „Und ganz und gar erbärmliche Musiker obendrein!“, fuhr Iroh unbeeindruckt fort. Die Braue seines Neffen, offensichtlich berauscht von so viel unverhoffter Freiheit entschwebte in bedenkliche Höhen. „In der Tat?“, schnurrte Zuko. „Mir war glaubhaft versichert worden, jedes Mitglied der Crew beherrsche mindestens zwei abendfüllende Zirkusnummern.“ Er gestattete seiner Stimme, tröpfchenweise Sarkasmus abzusondern. „Nun, dann lag es wohl am Seegang“, lenkte Iroh ein. Wie hatten ihm diese Wortgefechte gefehlt! „Vielleicht", sinnierte sein Neffe, „dachten sie auch, es entspräche meinen Wünschen, wenn sie das Schiff steuerten." Wieder strich der General sich knisternd über den Bart. „Was für ein seltsamer Gedanke. Aber jetzt, da Ihr es erwähnt; seit der Krönung versucht eine nahezu lächerliche Anzahl von Leuten Euren Wünschen nachzukommen." „Ja. Erstaunlich, nicht wahr?" Zuko wandte sich ab, um wieder brütend auf den Teich zu starren. „Vor allem, da die Krönung selbst überhaupt nicht meinem Wunsch entsprach." „Ah, aber Ihr könnt deswegen unmöglich immer noch schmollen!" „Kann ich das nicht?" Die Frage war leise gestellt worden. Zu leise! Iroh musterte das Profil seines Neffen und wurde ernst. Der junge Feuerlord hatte ihm die linke Gesichtshälfte zugewandt und offenbarte, willentlich oder nicht, seinen Makel. Die vollkommene Ebenmässigkeit seines Wuchses und seiner Proportionen, spiegelte sich nicht auf seinem Gesicht. Nicht mehr. Auf der oberen linken Hälfte der harten Züge prangte unübersehbar eine grosse, flächige Narbe. Sie war geformt, wie der sechste Teil eines Kreises. Eines Kreises, dessen Mittelpunkt sich im inneren Augenwinkel befand. Es war, als sei Zukos goldglänzendes Auge ein Komet, dessen feuriger Schweif in grosszügiger Verwüstung über das Gesicht des jungen Herrschers gezogen war. Die obere Grenze des Wundmals verlief an der Stelle, an der einst eine rabenschwarze Augenbraue geprangt hatte, die untere direkt unterhalb des Wangenknochens. Selbst die Färbung der Narbe entsprach ihrem Ursprung. Der Schweif war von hellem Rot, ähnlich der Flamme, die ihn verursacht hatte. Im Inneren jedoch, an den Augenlidern, war sie purpurn wie schwach glühendes Eisen. Hier war die Zerstörung so gross gewesen, dass die Vernarbung der Haut die Form des Auges verändert hatte. Zukos linke Augenlider waren zu einem Schlitz verengt und gaben dieser Hälfte seines Gesichts ein gefährliches, raubtierhaftes Aussehen. Die Narbe hatte im Laufe der Jahre beinahe ebenso viele Beinamen erhalten, wie ihr Träger selbst. Das Volk nannte sie Sozins Mal, nach dem Kometen, der während der letzten, entscheidenden Schlacht über den Himmel gezogen war, Fächer des Feuers, Ozais Schmach oder schlicht: Die Feuerblume. Das Letzte, an das Iroh allerdings dachte wenn er sie ansah, war ein passender Name. Er konnte nur an die Schmerzen denken, die ein dreizehnjähriges Kind erlitten hatte. Zukos Flehen um Gnade war vergeblich gewesen. Seinem Vater in die Augen blickend, hatte er dessen grausame Absicht erkennen müssen, noch bevor die Strafe in sein Gesicht gebrannt worden war. Der gut gezielte Flammenstrahl hatte das Auge getroffen und sich seinen Weg über das Gesicht hinweg, bis den Haaransatz hinein gefressen und selbst das Ohr des Jungen verwüstet. Irohs Brust wurde eng und er versuchte die Erinnerung abzuschütteln. „Ich wollte den Thron nicht! Nicht mehr. Der rechtmässige Erbe seid ohnehin Ihr gewesen, nicht mein Vater!“ Das letzte Wort wurde fast ausgespieen. „Zuko!“ Iroh legte sanft eine Hand auf die Schulter des Jüngeren. „Das Volk wollte nunmal Dich als Herrscher sehen." Die vertraulichere Anrede vermochte es - wie fast immer - Zuko zu besänftigen. Er sah seinem Onkel in die Augen, die eine Spur dunkler waren als seine eigenen, und atmete tief durch. „Ja. Ihr habt Recht. Es tut mir leid!" „Was?", fragte Iroh listig, „Euer Fauxpas mit den unfähigen Musikern?" Die strengen Mundwinkel Seiner Lordschaft zuckten. „Ja, das auch! Ebenso wie..." Zuko sprach nicht weiter, da sich in diesem Moment eine überaus offiziell aussehende Tür öffnete. Der ehrwürdige Dao Ma betrat in seiner unnachahmlichen Art und Weise den Raum. Seine gesamte Haltung brachte zum Ausdruck, dass er - unwürdiges Mitglied des fürstlichen Beamtenstaates - nichts mehr hasste, als seinen erhabenen Herrscher in eben diesem Augenblick zu stören, dies aber unumgänglich war, ob der Wichtigkeit seiner Nachricht. In einer komplizierten Schrittfolge tänzelte er näher und verbeugte sich, bis die Spitze seiner Nase beinahe den Boden erreichte. Zuko seufzte tief. Bestimmt ging es wieder um das Memorandum zur Neustrukturierung und -verteilung diverser Schreibutensilien (`Nicht mehr als 5 Pinsel pro Jahr, ansonsten hat der betreffende Beamte für die Neuanschaffung eines solchen selbst aufzukommen!´) oder irgendeinen ähnlichen Unsinn. „Verzeiht, oh Flammender!" Zuko merkte, wie sein Kiefer sich verhärtete. Von allen möglichen Anreden ertrug er diese nur mit Mühe. Und er hatte den Verdacht, dass Dao Ma sich dessen sehr wohl bewusst war! „Ja, Dao?" Der Angesprochene richtete sich halbwegs auf, den Blick fest auf die hochherrschaftlichen Stiefelspitzen geheftet. „Die Delegation des nördlichen Wasserstamms ist soeben eingetroffen, Erhabener!" „Wie? Nicht Strahlender? Seltsam." Die Stimme des Feuerlords blieb bewundernswert neutral. „Danke Dao! Ich komme." Erneut streifte seine Nase fast den kostbaren Boden, bevor Unterminister Dao sich rückwärts seinen Weg bahnte. „Ach, und Dao?" Der Beamte erstarrte in der Bewegung. „Ja, Sonnengekrönter?“ „Könntest du Dich vielleicht im Stande sehen, von solcherlei albernen Anreden abzusehen, wenn ich mich dazu herab liesse, Dein Memorandum zu unterzeichnen?" Milde Ironie schwang in der sanften, rauen Stimme. „Ich ... Gewiss, Mylord!" „Ah! Gut. Sehr gut!" Zuko nickte dem eifrigen Mann zu und überliess ihn seinem ehrerbietigen Rückzug. Er wendete sich seinem Onkel zu. „Es tut mir leid, Onkel Iroh, aber wie Ihr seht ruft die Pflicht!" „Nun ja, mich hingegen rufen lediglich ein langes Bad und eine schöne Massage!" Dies brachte Iroh genau die Art Blick ein, mir der er gerechnet hatte. Der Junge bemüht sich eben immer, die Erwartungen seines alten Onkels zu erfüllen. „Ich sehe Euch später!" Mit diesen Worten eilte Zuko davon. Iroh blickte ihm hinterher. Sein Neffe hatte eindeutig zuviel um die Ohren. Heute Abend würde er mit Sicherheit eine anständige Malzeit und eine heisse Tasse Tee zu schätzen wissen. Der General verlies nun ebenfalls den Raum. Er hatte ein paar Vorbereitungen zu treffen. Kapitel 2: Erinnerungen ----------------------- Die Sonne war bereits seit einer Stunde untergegangen, als Zuko schließlich den Gang zu seinen Privatgemächern entlang eilte. Tian Fu hatte erhebliche Mühe, Schritt zu halten. Die Koordination des langen Übermantels, seines grossen Klemmbretts und der Feder gestaltete sich bei diesem Tempo recht schwer. Leider war es aber genau jenes Tempo, welches Seine Lordschaft vorzulegen pflegte. Ein kleines Stolpern verursachte einen winzigen Tintenklecks. War diese Zahl nun eine 15, oder eine 50 gewesen? Tian brach der Schweiß aus. „Und sag den Köchen, dass die Speisen für unsere Gäste äußerst mild zubereitet werden müssen. Unter keinen Umständen darf Sonnenpfeffer verwendet werden!“ „Ja, mein Lord!" „Wenn möglich soll Mondfisch serviert werden." „Ja, mein Lord!" Das Tintenfass auf dem zum mobilen Schreibpult umgewandelten Klemmbrett wackelte bedenklich. „Und sieh zu, ob Du einen Gum Jo Spieler auftreiben kannst, der die traditionellen Weisen der Wasserstämme beherrscht.“ „Ja, mein Lord!“ Zuko verhielt im Schritt und strich sich müde über die Stirn. Hatte er etwas vergessen? Sein Blick fiel auf seinen etwas derangierten, verzweifelten Sekretär und leichtes Mitleid regte sich. „Das wäre dann alles, denke ich." Tian konnte ein erleichtertes Seufzen nicht unterdrücken. „Danke, Tian! Du kannst gehen." Drei tiefe Verbeugungen später war der junge Assistent entschwunden. In den Privatgemächern wartete schon der nächste Bedienstete. Fon, persönlicher Kammerdiener des Gebieters der Flammen, war ein kleiner, drahtiger Mann mit ruhigem Gesicht und unverbrüchlicher Loyalität. Als Zuko seiner ansichtig wurde, fuhr seine Hand mit einer gezielten Bewegung nach oben, um die Hono aus dem Haarknoten zu ziehen. Nachlässig warf er die Krone in Richtung seines Kämmerers. Dieser respektlose Umgang mit einer Insignie seiner Macht brachte ihm - wie immer - einen tadelnden Blick ein. Mit übertriebener Umsicht legte Fon die Hono auf einem Samtkissen nieder. Zuko unterdrückte ein Lächeln und machte sich daran, auch den Rest der traditionell vorgeschriebenen Haartracht zu zerstören, ungeachtet der Tatsache, dass die Bindezeremonie eine volle Stunde in Anspruch genommen hatte. Diese ruhige Zeit nach dem morgendlichen Bad nutzte er stets zur Meditation, während ein stummer Fon Zukos Haare zunächst mit einer Paste aus Minze und Sandelholz wusch, um dann mittels zweier weicher Bürsten fünf Tropfen Myrrhe-Öl sorgfältig darin zu verteilten, bis sie wie Rabenflügel glänzten. Dann wurden der gesamte vordere Haaransatz zurück gekämmt, um auf dem höchsten Punkt des Hinterkopfes, dort, wo die Energie der Sonne gebündelt wurde, zu einer straffen Schlaufe geschlungen zu werden. Dieser Knoten wurde mit einer schlichten Rundklammer fixiert, damit schließlich, pünktlich zum Sonnenaufgang, die fünfflammige Krone darin festgesteckt werden konnte. Der Rest fürstlicher Haare ergoss sich als lange Flut über den Rücken. Jetzt allerdings wurde dieser Pracht eine nahezu himmelschreiende Unachtsamkeit zuteil. Zukos energische Hände lösten Klammer und Schlaufe, nur um gleich darauf alle Haare geübt zu einem hoch am Hinterkopf angesetzten Pferdeschwanz zu fassen. Fon reichte seinem Fürsten eine lange Rundklammer, die dazu diente, den Schweif sieben Zentimeter vom Kopf abstehen zu lassen, so dass er jeder Bewegung seines Trägers wie eine züngelnde Flamme folgte. Danach wendete Zuko seinem Diener den Rücken zu, die fliegenden Finger schon an den Bändern und Haken des Odoro, um sich das schwere Gewand von den Schultern nehmen zu lassen. Wieder im Besitz seiner vollen Bewegungsfreiheit, seufzte er erleichtert auf. Die Unterkleidung der prunkvollen, fürstlichen Tracht war erstaunlich schlicht und bequem. Sie war gefärbt wie helle Malven und lag am gesamten Oberkörper eng an. Die Beine umhüllte eine weite, locker fallende Hose, am Unterschenkel mit Gamaschen umwickelt, damit die engen Stiefel, mit der nach oben gebogenen Spitze, wie angegossen passten. Auch diese Stiefel wurden nun rasch ausgezogen, um durch ein weiches, schmuckloses und recht ausgetretenes Paar ersetzt zu werden.  Zu guter Letzt reichte Fon seinem Herrn einen schlichten, malvenfarbenen, knielangen Kimono. Endlich fühlte Zuko sich wieder als Mensch. Manchmal wünschte er, die Verantwortung würde sich abends ebenso leicht ablegen lassen, wie die Herrschertracht. Müde rieb er sich den Nacken und legte den Kopf nach hinten. „Das ist besser, danke Fon! Ich werde Dich heute nicht mehr brauchen." „Seid Ihr denn nicht hungrig, Herr?" „Ich bin sicher, mein Onkel hält ein Übermass an Speisen für mich bereit." „Ja, Durchlaucht!" Ein kurzes Zögern folgte. „Herr?" Zuko wandte sich dem Kämmerer zu, die Augenbraue fragend gehoben. „Ihr solltet daran denken, ein wenig auszuruhen. Die letzten Tage waren recht anstrengend, selbst für Eure Verhältnisse." „Fon!", seufzte Zuko. „Mein Onkel wird mit Sicherheit der gleichen Meinung sein, und mich heute Abend mit der grösstmöglichen Anstrengung zu entspannen versuchen. Ich kann von Glück reden, sollte er mir keine Schlaflieder vorsingen!" „Ja, Mylord!" Der Diener verbeugte sich ein letztes Mal. „Gute Nacht, Hoheit!" „Gute Nacht, Fon!" Zuko blickte dem alten Mann hinterher. Diese Fürsorge erstaunte ihn immer wieder, aber mit Sicherheit war sie der Grund, weshalb sein Onkel Fon als Kämmerer vorgeschlagen hatte. Iroh war einfach nicht wohl, bei dem Gedanken niemand könnte auf seinen Neffen Acht geben. Nun, heute war der Gedanke sich ein wenig verhätscheln zu lassen nur all zu verlockend. Es war Zeit, Onkel aufzusuchen. Die gläsernen, zerbrechlichen Klänge eines alten Liedes empfingen Zuko schon vor der Tür. Gut! Sein Onkel hatte also endlich seine geliebten Musiker wieder. Er trat ein, empfangen von warmem, gedämpftem Licht und dem Duft nach Ginsengtee. „Zuko!“ Der General strahlte ihn an. „Ihr kommt recht spät. Möchtet Ihr eine Tasse Tee?“ „Ginseng?“ „Ja,“ der Ältere zögerte „wollt Ihr lieber Jasmin?“ „Nein, ich denke Ginseng ist genau richtig. Danke!“ Zuko folgte der stummen Aufforderung seines Onkels, sich nieder zu lassen, kniete an den niedrigen Tisch und besah sich die ausgebreiteten  Köstlichkeiten.  „Da ich nicht wusste, was Ihr möchtet, ließ ich verschiedenste Gerichte zubereiten." „Erstaunlich, dass fünf davon zu Euren Leibspeisen gehören, Onkel." „Oh? Aber mit den Mangi-Krebsen lag ich doch richtig, oder etwa nicht?" Dagegen gab es keine Einwände, denn wenn es etwas gab, dass Zuko für sein Leben gerne ass, dann waren es brennend scharf zubereitete Süßwasserkrebse. Er nahm einem gierigen Schluck, aus der dampfenden Teetasse, die vor ihm abgestellt worden war und merkte, wie die Anspannung langsam nachließ. Es war seltsam; obwohl im Palast die besten Köche des Landes arbeiteten, schaffte es keiner von ihnen einen solchen Tee zu kochen wie sein Onkel. Mit frisch erwachten Lebensgeistern griff er nach den Stäbchen und begann ohne Umschweife mit seiner Mahlzeit. „Glaubt Ihr, Ihr werdet das Alles aufessen?"  Zuko blickte kauend auf. Er war tatsächlich zu hungrig gewesen, um auf den Gastgeber zu warten! Er schluckte seinen Bissen hinunter.  „Nur, wenn ihr mir drei Tage Zeit lasst." Sein Murmeln klang entschuldigend. „Ah, gut" Iroh gesellte sich zu seinem Neffen und begann ebenfalls zu essen. „Verlaufen die Verhandlungen mit dem Wasserstamm gut?", wollte er nach einiger Zeit wissen. Zuko zuckte mit den Schultern. „Sie verhandeln. Mehr kann ich nicht erwarten."  Iroh kaute langsam. Sein Neffe hatte sich in den letzten Jahren sehr verändert. Der aufbrausende, arrogante Prinz hatte die Bedeutung wahrer Demut gelernt. „Ah, verdammt!", entfuhr es Zuko dem Demütigen heftig. „Immer, wenn ich denke es gäbe einen gemeinsamen Nenner, machen sie eine Kehrtwende und ich stehe wieder am Anfang!" Er knallte die dünnen Eß-Stäbchen auf den Tisch. Jedoch nur um sie gleich darauf wieder aufzunehmen und weiter zu essen. Iroh musste lächeln. `Demütig? Ja! Aber immer noch hitzköpfig.´, dachte er. Das war gut! „Ihr werdet sie schon überzeugen!" „Werde ich das?" Zuko klang müde. „Aber natürlich! Darin seid Ihr sehr gut!" „Ich bin ja auch allgemein dafür bekannt, so hervorragend mit Menschen umgehen zu können!" Nun klang Zuko sarkastisch. „Ja, das ist Euer Charisma!" „Mein WAS?" JETZT klang Zuko ungläubig. „Charisma. Wusstet Ihr nicht, dass Ihr es habt?" Zuko starrte seinen Onkel an. „Nein! Ich muss es wohl bei meiner Geburt verlegt haben!" „Oh, aber es war immer da. Hinter Eurem Zorn, gleich neben dem Humor", meinte Iroh, gelassen den Sarkasmus ignorierend, der wahrscheinlich zwischen Humor und Pflichtbewusstsein seines Neffen herumgelungert war. Zuko ersparte sich, bis auf einen seltsamen Blick, eine Erwiderung, stand auf und ging zum Kamin, wo der Tee warmgehalten wurde. Erst schenkte er seinem Onkel nach, füllte dann die eigene Tasse und beobachtete die Flammen. Iroh beendete ebenfalls seine Mahlzeit und streckte sich wohlig. „Ich hatte ganz vergessen, Euch die Grüsse Eurer Mutter zu übermitteln." Zuko drehte sich um, die Augen misstrauisch verengt. Vergessen? Sein Onkel? „Ach? Können wir hoffen, dass sie bald nach Hause kommt?" „Dazu hat sie sich nicht geäussert. Wir sprachen über ein anderes Thema, dass sie für weitaus bedeutender hielt." Dieser Tonfall war eindeutig zu harmlos! Zuko merkte, wie seine Nackenhaare sich aufrichteten. Ein untrügliches Zeichen für Gefahr! Die Flammen in seinem Rücken flackerten unruhig. „Bedeutender als ihre Heimkehr?" Er verschränkte die Arme vor der Brust. "“n der Tat?" Seine Stimme knisterte leise wie die Glut im Kamin. Iroh hatte den Anstand, unruhig hin und her zu rutschen. „Nun ja", brummte er, "Sie fragte mich, ob Ihr bereits eine passende Kandidatin ins Auge gefasst hättet." Das Feuer in Zukos Rücken flammte auf, doch nur kurz, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Nein!", knurrte er, „Ich habe keine Kandidatin ins Auge gefasst. Weder eine Passende, noch eine Unpassende!" Wieder drehte er sich zum Kamin. „Vielleicht möchtet Ihr ja mit Mutter zusammen eine Tombola veranstalten. Die traurige Gewinnerin wird dann entweder um ihr Sehvermögen gebracht, oder einfach gezwungen mich zu ehelichen", stieß er aus. „Zuko! Warum sollte eine Frau dazu gezwungen werden müssen? Du bist der Feuerlord!" Iroh stutzte. Jetzt war ihm das `Du´ schon unwillentlich herausgerutscht! Manchmal war der Junge wirklich schwierig. „Das wäre dann ja wohl auch das Einzige, was für eine Ehe mit mir spräche." Schwierig, desillusioniert und bitter! Iroh seufzte. „Zuko, wollt Ihr etwa behaupten, dass jede Frau in Euch nur Eure Stellung sieht?" Seine Stimme wurde leiser, als er weitersprach. „Auch das Mädchen aus dem Teehaus?"  Der General beobachtete den jungen Feuerlord eindringlich, hörte wie er scharf den Atem einzog und sah wie er mit der rechten Hand unwillkürlich in die Tasche seines Kimonos glitt. Iroh wusste, was in dieser Tasche war. In scheinbar unbeobachteten Momenten zog sein Neffe manchmal ein altes Seidenband hervor und starrte es blicklos an, in Gedanken an einem völlig anderen Ort. Zuko fühlte das verschlissene Seidenband zwischen seinen Fingern. Die Jahre hatten es brüchig gemacht. Auch ohne es aus der Tasche zu nehmen, wusste er, dass das ursprüngliche Jadegrün inzwischen die Farbe trockenen Schilfs angenommen hatte. Oh ja! Ein Mädchen hatte es gegeben, dass an seiner Stellung keinerlei Interesse gehabt hatte. Einen aberwitzigen, verwirrenden, unwirklichen Tag lang. Ein Mädchen, dass ihn für einen einfachen Teekellner gehalten hatte. Ein Mädchen, dass ihn angesehen hatte, als existiere die flammende, unübersehbare Narbe auf seinem Gesicht nicht. Ein Mädchen mit jadegrünen Augen, die ihm tausende von Fragen gestellt hatten, als kenne er als Einziger die Antworten. Aber er hatte diese Antworten nicht gehabt; hatte die Fragen nicht verstanden. Also hatte er sie an diesem Brunnen in Ba Sing Se rüde stehen lassen.  Was sonst hätte er auch tun sollen? Er war damals ohne Weg und Ziel gewesen. Seine alte Heimat verloren, eine neue nicht in Sicht. Und trotz all der Wirrnisse, Kämpfe und Lügen der darauf folgenden Jahre hatte er ihren letzten, traurigen Blick doch nicht vergessen können.  Weder diesen Blick, noch ihr Lachen oder die kleine Hand, die ihn energisch durch die dunklen Gassen gezogen hatte. Und schon gar nicht ihren sanften, kurzen Kuss ... Himmel! Er atmete tief durch. Eine solche Sentimentalität konnte er sich nun wirklich nicht gestatten. Er sollte dieses verdammte Haarband ins Feuer werfen! Die Finger der linken Hand zuckten unwillkürlich zu seiner Narbe. Nein! Feuer zerstörte keine Erinnerungen, es schuf nur andere, schmerzhaftere. „Das Mädchen aus dem Teehaus?" Zuko bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall. „Wahrscheinlich ist sie inzwischen verheiratet und mehrfache Mutter." Er nahm die Hand aus der Tasche. Das Seidenband blieb, wo es gewesen war. „Ich überlasse es Euch und Ursa, eine passende Braut für mich zu finden!" „Und die wollt ihr dann heiraten? Einfach so?" Iroh war perplex.  „Ihr habt mich schließlich oft genug darauf hingewiesen, dass es meine Pflicht ist, für einen Erben zu sorgen, der dann Eure Knie besabbern kann!" Mit offenem Mund starrte Iroh seinen Neffen an. Dieser verflixte Bengel!  Das war doch wieder mal typisch! Wie oft hatte er dem Jungen erfolglos Vernunft gepredigt? Wie oft hatte er ihn bekniet sein Temperament zu zügeln und nachzudenken bevor er handelte? Und Jetzt? Im unpassendsten Moment, bei einer Entscheidung, die ausschließlich mit dem Herzen getroffen werden sollte, beschloss dieser Hohlkopf rational zu sein?  Was dachte er denn, warum er, Iroh, dieses Mädchen erwähnt hatte? Aber ließ man sich vielleicht dazu herab nach dem Köder zu schnappen? Nein! Als alleiniger, unantastbarer Herrscher hatte man es anscheinend nicht mehr nötig, auf die wohlmeinenden Manipulationsversuche engster Verwandter einzugehen. Iroh verspürte das dringende Verlangen, Zuko, den goldäugig erhaben Schwachsinnigen, anzubrüllen und übers Knie zu legen. „Pflicht?", ächzte er stattdessen nur schwach. „Ja, so ist es wohl. Eine Vernunftehe klingt... äh.... vernünftig!"" Zuko auf diese Art und Weise über eine arrangierte Ehe sprechen zu hören, ohne Gegenwehr oder mittelschweren Wutanfall, war nun wirklich zuviel!  Ganz egal, wie mühsam es auch im Laufe der Jahre erarbeitet worden war, es schien an der Zeit, das innere Gleichgewicht des Sonnenfürsten zu erschüttern. Er war immerhin ein Sohn des Feuers, und kein fischblütiger Windbeutel! Ja, es wurde in der Tat Zeit, Zuko nach Ba Sing Se zu manövrieren. Fraglich blieb nur: Wie? Iroh kannte den königlichen Dickschädel zur Genüge und wusste, dass Zuko so lenkbar war, wie ein Papierdrache in einem Sandsturm. Schon der bloße Gedanken, manipuliert zu werden, verwandelte ihn in eine bockige Kreuzung aus Maultier und Wasserbüffel. Der General ermahnte sich zur Geduld. Zuko wusste schließlich nicht, dass das junge Ding aus dem Teehaus noch immer unverheiratet war.  So unverheiratet, wie man nur sein konnte. Iroh der Weitblickende, meisterlicher Stratege der Feuernation, hatte nicht umsonst Erkundigungen einziehen lassen. Überaus interessante Erkundigungen!  So schien die junge Frau allem Anschein nach noch immer freundlich und meist auch recht heiter zu sein, aber ihre frühere Ausgelassenheit war dahin.   „...sie ist immer so ein wuseliges Ding gewesen. Der ganze Unsinn, den sie angestellt hat, da war mein Wu ein wahres Engelchen dagegen, jawohl. Und jetzt? Manchmal starrt sie einfach nur in die Gegend, und seufzt wie eine Katze, die gerade ihr Lieblingswollknäuel in einen Brunnen geworfen hat (Katzen taten so etwas? Irohs Erfahrungsschatz bezüglich Katzen war eher beschränkt). Das ist doch nicht normal, sag ich!" Ausserdem, so hiess es, wolle sie von keinem der heiratswilligen, jungen Männern etwas wissen und sei spröde wie Schilfstroh. Eine direkte, aber eher indiskrete Nachbarin hatte sogar von häufigem, nächtlichem "Herumgeflenne" und geröteten Augen berichtet, nichts für ungut! Zuko musste nur noch klar gemacht werden, dass er nicht der einzige sehnsuchtsgebeutelte Narr war.  Dazu war allerdings ein Plan von Nöten. Iroh rieb sich die Nase. Pai Cho! Am besten denken konnte er beim Pai Cho! „Nun, Zuko, vielleicht möchtet Ihr diese Debatte lieber auf einen anderen Abend verschieben und mir stattdessen bei einem Spielchen Gesellschaft leisten?" Zuko zuckte mit den Schultern bevor er widerwillig nickte. Aus irgendeinem Grund hätte er über das Thema Vermählung gerne weiter gestritten. Nicht, dass er sich hätte umstimmen lassen, oh nein! Doch es sah seinem Onkel nicht ähnlich, dies alles kommentarlos hinzunehmen. Sein alter Lehrmeister hatte ihn in letzter Zeit zwar häufig gedrängt, sich eine Frau zu suchen, aber die Worte `Vernunft´ und `Ehe´ waren nie im gleichen Atemzug gefallen.  Wie so oft ignorierte Zuko den vor Wut brüllenden Halbwüchsigen in seinem Inneren und setzte sich an den Pai Cho Tisch. „Schwarz, oder Weiss?", fragte sein Onkel, sich die Hände reibend. „Weiß!", erwiderte der goldäugige Fluch Ozais und setzte seinen Lotusstein. Iroh starrte ungläubig auf die Mitte des Bretts. Dieser verdammte Bengel! Da sollte ihn doch der ... Kapitel 3: Sonnenaufgang ------------------------ Es war noch dunkel. Die Sonne würde erst in zwei Stunden aufgehen.  Ming schrak aus dem Schlaf, als der warme, harte Körper neben ihr sich aufrichtete und ihre Hand achtlos abstreifte.  So abrupt stand er immer auf! Kein müdes Wachblinzeln, kein Stecken und Dehnen, kein Hinauszögern des ersten Kontakts mit der kalten Morgenluft. Er schlug die Augen auf, erhob sich und ging. Und ebenso schnell, wie er die Wärme des Bettes hinter sich ließ, ließ er auch diejenige seiner Konkubinen hinter sich, die in der Nacht ebendieses Bett gewärmt hatte. Ming konnte schon von Glück sagen, dass sie nicht dafür gerügt worden war, wieder einmal hier geblieben zu sein, obwohl sie genau wusste, dass er dies nicht wünschte. Seine Lordschaft schlief allein!  Selbst dann, wenn es ihn nach einer Frau verlangte hatte, was nach Meinung seiner drei Konkubinen viel zu selten geschah.  Hätte in seinem Wesen nicht das Feuer die Vorherrschaft gehabt, hätte er seine Triebe vermutlich eisern im Zaum gehalten. Körperliches Verlangen schien für ihn eher eine Art ärgerliche Notwendigkeit darzustellen. Nun, Ming hatte was das anging, eine ganz eigene Theorie. Es lag nicht etwa daran, dass er einen Mangel an Lust verspürte.  Oh nein, ganz bestimmt nicht! Sie hatte niemals einen Liebhaber gehabt, der es auch nur im entferntesten mit ihm hätte aufnehmen können. Doch trotzt seiner Leidenschaftlichkeit blieb ein Teil von ihm unberührt von der Intimität. Je mehr sein Körper entflammte, desto weiter entfernte sich sein Geist.  Und Ming wusste auch wohin.  `Jin!´ Das war der Name, den er auch diesmal wieder unwillentlich durch seine Zähne gepresst hatte. Jin! Pah! Nur zu gerne hätte sie dieser dummen Jin-Pute die Augen ausgekratzt. Es war nicht gerade schmeichelhaft, wenn ein Mann mitten im schönsten, hitzigsten Moment einer Weltklasse-Rangelei den Namen einer anderen ausstieß.  Ming schmollte kurz und streckte sich dann wohlig in dem riesigen Bett.  Himmel! Ihr ganzer Körper schmerzte, wie nach einem Sonnwend-Tanz. Sie schauderte lustvoll, als sie daran dachte, wie sie diesen Grad der Erschöpfung erreicht hatte. Dieser Mann war unglaublich. Niang, die Schwarzhaarige unter ihnen, fand ihn sogar schön, trotz der Narbe.  Ming drehte sich auf die Seite, in die warme Kuhle, die sein großer Körper hinterlassen hatte und betrachtete ihn im Licht der Kerzen. Nun ... hässlich war Seine Lordschaft ganz gewiss nicht. Er stand von ihr abgewandt und schlang sich die Bänder einer dünnen, weiten Hose um die Hüften.  Da sie momentan nicht Gefahr liefen, auf die Brandnarbe zu stossen, gingen die Augen der jungen Frau auf frechen Beutezug. Sie plünderten die Herrlichkeit seiner Muskulatur an Armen, Rücken und Flanken; brandschatzten, was sie von Brust und Bauch zu sehen bekamen, nahmen die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen in Besitz und verfluchten die Existenz dieser Hose. „Ah!“ Ming biss sich auf die Lippen. Bis auf diese Narbe war er zweifelsohne makellos. Atemberaubend makellos! Abgesehen von diesen Kratzern... Sie erschrak. Du Meine Güte, sollte Fon, der Kammerdiener, die dünnen, hellroten Male auf dem Rücken seines Herrn bemerken, würde sie eine tüchtige Abreibung bekommen! Ohne ein Wort zu verlieren, ging Mylord durch die Doppelflügeltür nach draussen, auf die große, halbrunde Terrasse.  Zuko hatte das dringende Bedürfnis, sich die Gerüche der Nacht vom Leib zu waschen. Besonders den Geruch dieses viel zu süßen Parfüms, das Meng oder Mel, oder wie auch immer sie hieß, benutzte. Für ihn zählte nur das kaffebraune, lange Haar, in das er sein Gesicht vergraben konnte um Zeit und Ort zu wechseln. Nur der zarte Duft nach Orangenblüten, der sich lockend durch seine Erinnerungen zog, fehlte. Fehlte schmerzhaft. Er ging die wenigen Stufen zum Bassin hinab und sprang, samt seiner Hosen, mit einem Hechtsprung hinein. Das marmorne, in den Boden eingelassene Becken war von enormen Ausmassen. Gespeist wurde es von einer natürlichen Quelle warmen Wassers. Aus einem mit Moos bewachsenen, steinernen Drachenkopf ergoss es sich über einige große Steine in das tiefe Becken.  Rund herum verteilten sich irdene Töpfe, in verschiedenen Grössen, mit immergrünen Pflanzen. Der Bewuchs war so dicht, dass beinahe die Illusion eines natürlichen Teiches erschaffen wurde. Zuko überwand die Strecke mit fünf langen, kraftvollen Schwimmzügen, und stemmte sich am anderen Ende wieder hinaus. Er blieb in der Hocke, wrang das Wasser aus seinen langen Haaren und schüttelte sich kurz. Da die Luft noch recht kühl war, konzentrierte er sich, um seine Körpertemperatur zu erhöhen und innerhalb weniger Sekunden war er wieder trocken. Es wurde Zeit, den Tag zu beginnen!  Er ging eine weitere Treppe hinunter, wobei er die Fackeln, die den Weg säumten, mit einem stummen Befehl entzündete.  Als er schließlich auf einer großen, kreisrunden Plattform anlangte, verfuhr er ebenso. In die Mitte dieser Plattform, war das prächtige Mosaik einer flammenden Sonne eingelassen. Es war aus dem gleichen goldgeäderten, elfenbeinfarbenen Marmor gefertigt, wie er überall im Palast zu finden war. Sonnenmarmor. Zuko blickte in den Himmel. Bis zur Dämmerung würde es noch dauern. Gut! Er lächelte leicht. Genug Zeit, ein bisschen zu spielen. Er griff zu zwei Doppelschwertern, die an einen Waffenständer gelehnt waren, und begann mit dem Training. Iroh ließ sich nur ungern aus dem Schlaf reissen, vor allem jetzt. Er hatte sich gerade in einem überaus angenehmen Traum befunden, in dem eine füllige Wäscherin die Hauptrolle spielte.  Aber der Klang von Schwertern konnte von einem alten Kriegsveteranen wie ihm schwerlich ignoriert werden. Was zum ... welcher Idiot hatte die Stirn um diese Zeit Radau zu machen? Es war stockdunkel! Er schnipste einige Kerzen an, krabbelte aus dem Bett, angelte nach den Pantoffeln, zog sich den Morgenmantel über und schlurfte Richtung Terrasse. Die leisen Geräusche schienen von draussen zu kommen. Auf seinem Weg nahm er eine Vase an sich. Vasen waren extrem nützliche Gegenstände, fand Iroh. Gut für Blumen, gut zum Werfen!  Er ging nach draussen. Jemand hatte tatsächlich die Fackeln des Sonnenrings entzündet!  Jemand war tatsächlich um diese Zeit da unten und übte sich im Schwertkampf. Jemand war tatsächlich ziemlich gut, in der Handhabung dieser Schwerter! ... ZIEMLICH gut!  Der General ging noch einige Stufen hinunter, um besser sehen zu können. Dieser Jemand da unten beherrschte die Zwillingsschwerter sogar besser als sein Neffe. Er wischte sich den Schlaf aus den Augen, um klarer sehen zu können. Dieser Jemand da unten WAR sein Neffe!  Iroh seufzte. Er konnte offenbar kein halbes Jahr fortbleiben, ohne dass "jemand" neue Verhaltensweisen an den Tag legte. Jetzt wurde also schon vor dem Anrufungsritual aufgestanden, ja? Der Drache des Westens ließ sich ächzend auf den Stufen nieder und stellte vorsichtig die Vase ab. Er war schon immer der Meinung, dass man ein Spektakel auch genießen sollte, wenn es einem geboten wurde. Himmel, der Junge war gut! Es war wirklich eine Freude zuzusehen.  Es sah eher aus, wie ein meditativer Tanz, als ein Kampftraining. Körper und Geist schienen völlig eins zu sein. Geschmeidig, kraftvoll und unglaublich schnell.  Iroh hatte schon Katzen gesehen, durchtrainierte fiese Strassenkatzen wohlgemerkt, die hiergegen unbeholfen und lahmarschig wirkten. Aber andererseits, was wusste ER schon von Katzen? Schritte näherten sich und als er einen Blick über die Schulter warf, sah er Fon, in den Händen zwei große Tassen mit Tee. „Fon! Setzt Dich!" Iroh sprach leise, um nicht von Zuko gehört zu werden. „Ist dieser Tee für mich?" Wortlos wurde ihm die Tasse in die Hand gedrückt. Fon war schon immer so gewesen. Wortkarg, bis zur Unhöflichkeit, jedoch Loyal wie eine Klette. Man sah es den beiden Männern nicht an, aber sie hatten in vielen Schlachten Seite an Seite gekämpft. So war auch Irohs Plan entstanden, Fon zum Kämmerer des neuen Lords zu machen. Seine Hauptaufgabe war es nicht, den fürstlichen Hintern zu pudern, sondern diesen Hintern zu beschützen. Hätte Zuko dies allerdings geahnt, hätte er Gift und Galle gespuckt! „Er ist gut!" Es war Fon, der die Stille durchbrach. „Ja, das ist er" „Er ist auch für das Land gut ... für die Menschen!" Iroh nickte und nippte an seinem Tee. „Steht er neuerdings immer um diese Zeit auf?", wollte er nach einer Pause wissen. „Aber nein! Wenn er nicht mit diesen Dingern durch die Gegend fuchtelt gönnt sich der Faulpelz eine halbe Stunde mehr Schlaf!" „Eine ganze halbe Stunde?" „Ja!" Iroh brummte. Unten legte Zuko die Klingen beiseite.  Es war Zeit für den Tento, das Anrufungsritual. Er begab sich in die Mitte des Platzes und stellte sich auf das Sonnenmosaik. Drei tiefe Atemzüge, dann begann er.  Es war eine Ehrerbietung an die Sonne, basierend auf den drei grundlegenden Säulen des Feuerbändigens. Oder passender wäre es wohl, zu sagen, dass die Techniken des Feuerbändigens aus diesem uralten Ritus entstanden waren. Die Bewegungen des Tento waren urtümlich. Schlichter, getragener, weniger elegant und ausgefeilt, als das Bändigen. Und doch waren sie schöner! Ein archaischer Sonnentanz. Auf den Stufen besahen sich zwei Männer das Schauspiel. Vor drei Jahren hatte der Junge die brüchige Schriftrolle mit der ausführlichen Beschreibung des Rituals, aus einer zugemauerten Bibliothek des Palastes angeschleppt, und wissen wollen, was sie bedeutete. Es hatte Monate gedauert, ihrem wahren Wesen auf den Grund zu kommen. Gerüchte hatten sich um dieses Ritual gerankt. Geschichten, dass ihm, noch fünfhundert Jahre zuvor, alle Herrscher grösste Bedeutung beigemessen hatten. Aber niemand konnte sagen, warum es aufgegeben worden war. Wahrscheinlich waren die Drachenfürsten hochmütig geworden, hatten sich über der Sonne stehend gewähnt und sich schließlich geweigert, ihr Tribut zu zollen. Nun, Iroh hatte die meisten seiner Vorfahren schon immer für ein Pack von Dummköpfen gehalten. Seit Zuko dieses Ritual entschlüsselt hatte, verging kein Tag, an dem er es nicht vollzog. Eine Weile sahen die beiden alten Veteranen schweigend zu. Dann kniff der General plötzlich die Augen zusammen. Es war beileibe nicht das erste Mal, dass er hierbei zuschaute, aber heute stimmte etwas nicht! Diese seltsamen Reflexionen ... Er starrte seinen Neffen an, der mit geschlossenen Augen, hochkonzentriert, die fließenden Bewegungen vollführte. Was war da an den Fingerspitzen? Es wirkte wie feinster Staub. Oder Nebel. Mattes Gold. Und es wurde mehr.  Irohs Unterkiefer beschloss, dass es eine Etage tiefer doch um einiges bequemer war. Die Hände seines Neffen sonderten ein weiches, pulsierendes Licht von der Farbe alten Goldes ab. Licht, kein Feuer! Fon nahm laut schlürfend einen Schluck Tee. „Interessant, nicht?" Der Unterkiefer wurde zurück beordert! „Seit.... seit wann ist das so?" Irohs Stimme schwankte. „Hm. Ungefähr zwei Monate."  „Und Du hast mich nicht unterrichtet?" „Was hätte ich denn sagen sollen?" „Was du...? Nun, vielleicht: Hör mal, altes Kartoffelgesicht, Dein Neffe fängt an ein komisch leuchtendes Licht zu produzieren, wenn er sein Sonnentrallala veranstaltet. Vielleicht kommst Du mal, und siehst es dir an?" „Ich würde Dich doch aber nie duzen, Hoheit!" Iroh wurde lauter. „Fon! Bei allen Feuern dieser Welt! Du hast das nicht für wichtig gehalten?"  In diesem Moment presste Zuko die Knöchel seiner rechten Faust gegen die senkrecht gehaltene Handfläche der Linken, hob sie vor die Brust und verneigte sich tief gen Osten. Der Tento war beendet. Noch eine starke Stunde bis Sonnenaufgang. Fon sprang auf. „Wichtig ist jetzt, Deinem Neffen die Haare zu machen, Hoheit" Er konnte ganz schön rennen für sein Alter, das musste Iroh ihm lassen. „Feigling!" knurrte er. Kapitel 4: Vorbereitungen ------------------------- „Hinaus!" Das Wort war leise gezischt worden. Finanzminister  Liu Ma war leider blind und taub für subtile Warnungen. „Aber mein Fürst, die Kassen sind fast leer. Die ganzen Entschädigungsaufwendungen für die anderen Nationen zehren uns aus!" Goldenes Wüten in schmalen Augen. Die Menschen im Palast nannten es den Drachenblick. Doch leider war Liu Ma auch blind und taub für Drachenblicke. „Durchlaucht, Ihr MÜSST die Steuern erhö..." „HINAUS!" Das ohrenbetäubende, urknallartige Brüllen löste mehrere kleine Chaose in diesem Miniatur-Universum aus. Vögel wurden aufgescheucht, ein Tonkrug zerbrochen, ein Gemälde durch einen erschrockenen Pinselstrich ruiniert, ein Knöchel angeknackst und mehrere Hefeklösse auf dem Küchenboden verteilt. Außerdem wurde Tee verschüttet. Iroh seufzte. Was war denn jetzt schon wieder los? Der Bengel ruinierte noch seine Stimme! Von dieser teuren Tischdecke hier mal ganz abgesehen. Der General stand auf, um nach dem Rechten zu sehen. Der Drache wütete!  Er stapfte in seinem Arbeitszimmer im Kreis herum. Vielmehr, rannte er... gut, es war irgendetwas dazwischen. Da beides eines Herrschers unwürdig war, beschloss Iroh den Bewegungsablauf seines Neffen unter `Gehen, auf und ab, unruhig´ abzulegen und sein innerer Archivar war zufrieden. Noch immer glomm gefährliche Restglut in den goldenen Augen. „Zuko?" Augen, die jetzt den General ins Visier nahmen! Doch Iroh Tatzu war ein mutiger Mann! „Was, bei den Feuern Agnis, ist passiert?" „Liu!", fauchte der Drache und tigerte weiter auf und ab. „Lebt er noch?", fragte Iroh schwach. Er wurde ignoriert. Zunächst. „Er will, dass ich die Steuern erhöhe!" „Die Steuern? Zuko! Das könnt Ihr nicht tun!"  Der Drache erstarrte in der Bewegung. „Die Menschen tun ihr Möglichstes, aber der Boden gibt nichts mehr her, nach dem langen Krieg!" Iroh sprach eindringlich. Er MUSSTE den Jungen zur Vernunft bringen. Zuko drehte sich langsam zu seinem Onkel um.  Oh ja, Iroh Tatzu war ein mutiger Mann, aber ein Selbstmörder war er nicht. Er schloss abrupt den Mund, als sein Neffe alles daran setzte, ihn mit einem Blick in Asche und Eis zu verwandeln. Kaltes Feuer. Dann öffnete Zuko den Mund. „Ihr glaubt tatsächlich,"  Ah, Flüstern war nicht gut. „dass ich es auch nur in Erwägung ziehe,"  Immer lauter werdendes Flüstern war noch weniger gut! „das Volk weiter auszubluten?" Iroh wünschte, er hätte anlegbare Ohren. „HALTET IHR MICH FÜR MEINEN VATER?" Das Crescendo hatte seinen Höhepunkt erreicht. Die schiere Lautstärke, die seine Ohren zum klingeln brachte, störte Iroh wenig. Die Frage jedoch, bewirkte, dass er erstarrte. Schnell ging er zu seinem Neffen. „Zuko!" Er legte eine beschwichtigende Hand auf die zornbebende Schulter. „Zuko, Du weisst, dass das nicht wahr ist!" Die alte Stimme klang rau. „Du wirst niemals wie Dein Vater sein. Niemals! Und ich hätte wissen müssen, dass Du Dein Volk schützten wirst. Meine Worte waren schrecklich unüberlegt. Es tut mir leid!" Unüberlegt. Zuko schloss die Augen. `Unüberlegt´ war etwas, das ihm sehr vertraut war. Um sich zu beruhigen, entließ er langsam seinen Atem. „Schon gut, Onkel!" Na, wundervoll, durch das vorangehende Gebrüll war seine Stimme völlig heiser. Iroh nickte. Plötzlich hatte er sie: Die Idee, die ihm gefehlt hatte. Aber natürlich! Er wusste nun, wie er Zuko nach Ba Sing Se schaffen würde. Das war perfekt! „Aber in einem hat Euer Finanzminister Recht. Wir brauchen Geld! Das bedeutet in unserem Fall, wir brauchen Steuern."  Es wurde unheilverkündend Luft geholt. „Nein, lasst mich bitte ausreden, oh Feuriger! Wir brauchen Steuern, aber die Frage ist, wie wir sie bekommen." Arme wurden verschränkt. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute wieder mehr Geld haben. Wir müssen den Handel ankurbeln." Eine Augenbraue wurde angehoben. „Und das Wichtigste ist, den Boden wieder fruchtbar zu machen. Wenn das Land nicht lebt, können es die Menschen auch nicht." Ein Kopf wurde in skeptische Schräglage gebracht. Iroh holte zum endgültigen Schlag aus: „Wir brauchen die Hilfe des Erdkönigs! Ohne ein paar Erdbändiger wird sich das Land zu langsam erholen" „Ihr schlagt mir also vor, den Erdkönig um eine Audienz zu ersuchen?", verlangte Zuko zu wissen.  Der General nickte. Das war einfach gewesen. Zu einfach! „Ihr wisst selbst, dass der Mann komplett abgeschottet wird! Warum sollte ausgerechnet für mich, den ehemaligen Feind, eine Audienz zwischengeschoben werden?"  „Nun, immerhin seid ihr der Feuerlord! Sie können Euch nicht so vor den Kopf stossen." Zuko hatte in seinem Leben andere Erfahrungen gemacht, hielt aber den Mund. Die Stille dehnte sich. „Was haltet Ihr davon?" `Komm schon, Junge, Du weisst, dass Du keine andere Wahl hast! Hör auf Deinen alten Onkel!´ „Wovon? Nach Ba Sing Se zu reisen, und auf gut Glück in den Palast zu spazieren um Hallo zu sagen? Nicht viel!" „Aber doch nicht auf gut Glück!", drängte Iroh. "Selbstverständlich offiziell angemeldet!" Seit wann war der Knabe denn unterbelichtet? Zuko schlenderte zur Wand neben dem Schreibtisch und zog an einer Klingelschnur. Sofort öffnete sich eine unauffällige Tür und ein extrem vorsichtiger Tian Fu trat ein. Er hatte das Gebrüll seines Herrn gehört. Eine tiefe Verbeugung später, wagte er es, aufzublicken. „Herr?" „Tian, ist der Kurier schon eingetroffen?"  Der Sekretär atmete auf. „Ja, Mylord! Ich werde Euch Eure Korrespondenz sofort bringen." Er wuselte, ohne weitere Verbeugung, woran man unschwer erkennen konnte wie nervös er war, zurück ins Nebenzimmer und brachte einen Stapel Briefe mit. Der am offiziellsten aussehende lag obenauf. Er trug das Siegel der Bei Fongs, einer der reichsten Familien des ganzen Erdkönigreichs. `An seine Hoheit, Feuerlord Zuko II, erhabener Herrscher der geeinten Feuernation´ stand dort  in goldgeprägten Lettern. Zuko brach das Siegel und las. Überaus geschätzter Freund, mit großem Interesse durfte ich Euer Gesuch lesen.  Da ich überzeugt bin, dass nur die äusserste Not Euch zu einer derartigen Bitte hinreisen lassen konnte, bin ich zutiefst gerührt, dass Ihr Euch mit diesem Ansinnen an mich wendet. Seid versichert, die Ausweglosigkeit Eurer Lage erschüttert mich bis in meine Grundfesten. Dass Ihr mich dieser Aufgabe für würdig erachtet, erfüllt mich mit Stolz und Demut.  Warum, zum Teufel, hast Du Dich nicht früher gemeldet? Aber unser Prinnylein hat vermutlich schon die Bedeutung des Wortes FREUNDSCHAFT vergessen? Jetzt wo wir schließlich Feuerfuzzi sind? Vollidiot! Natürlich kann ich dafür sorgen, dass Du im Palast empfangen wirst. Und ich hoffe wirklich, sie sperren Dich in eine Besenkammer! Bestimmt lassen sie Dich einen Monat schmoren, ehe sie Dich zum König vorlassen. Aber geschmort zu werden bist Du ja gewohnt. Und lass Dir ja nicht einfallen, eines Deiner ekligen Dankschreiben aufzusetzen, sonst muss ich höchstwahrscheinlich kotzen! Beweg Deinen royalen Hintern gefälligst nach Ba Sing Se! Ich werd das Kind schon schaukeln. Hochachtungsvoll unterwürfig, Toph Bei Fong, blind! P.S.: Und WAGE es ja nie wieder, mir einen so gesülzten Brief zu schreiben, sonst werde ich ihn, mitsamt Deinem königlichen Siegel, an einem SEHR dunklen Ort entsorgen! P.P.S.: Ich kann nur hoffen, dass dieser Angsthase von Sekretär auch alles so aufgeschrieben hat, wie ich es diktierte! Während der Lektüre war Zukos Grinsen in die Breite gewachsen und nun ließ sein lautes Auflachen seinen Sekretär leicht zusammenzucken. Auch sein Onkel starrte ihn nur verständnislos an. Eine nette Erfahrung, so zur Abwechslung. „Ihr könnt Kofferpacken gehen, Onkel" Triumphierend reichte Seine Lordschaft den Brief weiter. Iroh überflog das Schriftstück und blinzelte. Da hatte sich tatsächlich alles von selbst ergeben. Völlig ohne sein Zutun? Vielleicht hatte das Schicksal es ja allmählich satt, sich von General Tatzu ständig in die Suppe spucken zu lassen ... Er schaute zu seinem nichtsnutzigen Neffen auf. „Dann habt Ihr mich die ganze Zeit ... Verdammter, grünohriger ..." Der Rest seiner Schmähungen, ging im schallenden Gelächter dieses Flegels unter. `Was für ein wundervolles Geräusch´, dachte Iroh zufrieden. Kapitel 5: Große Dinge, kleine Dinge ------------------------------------ Zuko stand in leichter Kleidung an Deck des prächtigen Staatsschiffs und versuchte, sich auf das Rauschen der Bugwelle zu konzentrieren. So wütend wie vor vier Tagen war er schon lange nicht mehr gewesen. Dabei hatte er wirklich geglaubt, dieses Tobsuchtsanfälle hinter sich gelassen zu haben. Er runzelte die Stirn. Nicht einmal sein tägliches `Wasserbändigen´ half.  Erneut vollzog er die ruhigen, anmutigen Übungen, um in den Bewegungen des Gegenelements Gleichgewicht zu finden.  Es kühlte ihn ab. Meistens jedenfalls! Was war nur los mit ihm? Es lief doch Alles nach Plan. Die Verhandlungen mit dem Wasserstamm waren nach drei Tagen zu einem für alle Parteien überaus befriedigenden Abschluss gekommen und die zukünftige Wasserversorgung der Feuernation, vor allem ihrer Landwirtschaft, war gewährleistet. Und nun war er schon auf halbem Weg nach Ba Sing Se, um das wichtigste seiner Probleme anzugehen: Die Rettung der Lebensgrundlage seiner Leute. Dass dies nicht leicht werden würde, war ihm mehr als bewusst. Nervenaufreibende Wochen, oder gar Monate lagen vor ihm. Im Palast des Erdkönigs würden sie ihn endlos warten lassen, mit bürokratischem Gewäsch bei der Stange halten, nur um ihn wieder und wieder auf Granit beissen zu lassen. Doch aufhalten würden sie ihn nicht! Sein Dickschädel war immer noch grösser, als der irgendeines Erdbändigers es hätte sein können. Dies war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen er froh war, die manchmal selbstzerstörerische Verbissenheit seines Vaters geerbt zu haben. Ein `Nein´ würde er nicht akzeptieren. Niemals! Sein Land würde zu Grunde gehen, sollte er Scheitern. Also würde er es nicht. So einfach war das. Aber, warum bei allen Höllenfeuern war er dann seit einem Monat so unruhig?  Träume plagten ihn.  Auch sein Albtraum. Doch das war nichts neues. Von diesem Gespenst wurde er schließlich jedem Neumond heimgesucht. Es waren die anderen Träume, die ihn zermürbten.  Die Glücklichen. Die nach Orangenblüten duftenden. Erinnerungen, die er überwunden geglaubt hatte, folterten ihn in diesen Träumen mit bitterer Süße, mit etwas, das nie sein würde. Seit einem Monat! Ba Sing Se, einen Monat zuvor Jin We würde zu spät kommen, weil sie ihren Schuh nicht fand. Dabei hatte sie Sela versprochen, pünktlich zu sein.  Sie wollten neue Garne kaufen, um dieses komplizierte Webmuster zu versuchen. Verflixt! Den einen Schuh hatte sie ja, aber der zweite weigerte sich kontinuierlich aufzutauchen.  Warum passierte so was immer ihr? Es konnte ja nicht nur an dem üblichen Chaos liegen, das sie umgab, oder? Bestimmt hatte dieser flohverseuchte Kater den Schuh als Beute deklariert und verschleppt. „Dummes Vieh! Kannst Du mir mal verraten, warum ich Dich immer noch durchfüttere?" Der große ingwerfarbene Kater schnurrte nur. Die Gelassenheit eines männlichen Wesens, welches genau wusste, dass weit und breit keine Konkurrenz in Sicht war. „Pascha!" Der Kater begann sich zu putzen. Es schien ihm der beste Weg zu sein, Desinteresse zu demonstrieren. „Für jemanden, der sich tagtäglich den eigenen Schwanz ableckt, bist Du ziemlich hochtrabend, mein Freund!" Da sie weiterhin ignoriert wurde, wandte Jin sich wieder ihrem Problem zu. Wo war der Schuh? Ha! Unterm Bett! Nein, da waren nur peinlich viele Staubmäuse versammelt und es stand zu befürchten, dass sie demnächst Nachwuchs bekommen würden. Vielleicht hatte sie ihn aus Versehen in den Nachttisch gelegt? Es war zwar eine Idee, die aus der Verzweiflung geboren war, aber sie hatte schon seltsamere Dinge an noch seltsameren Orten gefunden. Nein, da war er auch nicht. Sie versuchte es mit Telepathie, aber der Schuh, so alt er auch war, schien noch keine höhere Bewusstseins-Ebene erreicht zu haben. Aha! Unter dem klobigen Kleiderschrank hatte sie noch nicht nachgesehen. Hoffentlich war er nicht dort! Sie wollte gar nicht wissen, was sich da unten so alles entwickelt hatte. Vielleicht schon eine neue Zivilisation. Die Füsse des Schranks waren so niedrig, dass grade mal ein weicher Schuh darunter passen würde. Deswegen putzte sie dort auch nie. Wenn schon ein Samtschuh Mühe hatte sich da hinein zu zwängen, konnte man von ihr ja wohl schlecht verlangen, dort unten sauber zu machen. Oder? `Was für eine lahme Ausrede, Missy! Du bist einfach eine wandelnde Katastrophe, das bist Du!´ Jin verdrehte die Augen.  Wenn sich schon eine ihrer inneren Stimmen zu Wort meldete, warum musste es dann ausgerechnet die von Tante Ria sein? Sie ging in die Hocke, um mit ihrer Bergungsaktion fortzufahren. Auf den ersten Blick war da nichts. Sie beugte den Kopf tiefer, bis ihre Wange beinahe staubig wurde. Da war er ja! Sie schob ihre Hand, so weit es ging unter den Schrank, aber kurz vor dem Handgelenk war Schluss. Sie konnte das Ding an ihren Fingerspitzen fühlen ...  Kleiderbügel! Ja, ein Kleiderbügel musste her! Sie schnappte sich den, der über ihr an der schiefen Schranktür baumelte. Mit dieser hochfunktionellen Angel hatte sie den Schuh in Null Komma nichts draussen. Ihn, und leider auch ein paar andere Dinge. Staub, Katzenhaare und: Eine tote Spinne. Buäh! An diesem Knäuel ihrer Schande hing aber noch etwas anderes. Etwas flaches, längliches. Sie zupfte es ab und blies den Staub weg. `Dumme Idee, Missy! Du wunderst Dich ja jetzt hoffentlich nicht über Dein Gehuste?´ Nachdem die Graue Wolke sich verzogen hatte blinzelte Jin das Ding an. Es schien aus festem Karton zu sein, der mit Lack versiegelt worden war. Die Schrift war verblasst, aber lesbar. Es war ein Coupon. Gutschein Auf Vorlage dieses Gutscheins erhalten Sie eine große Tasse Tee Ihrer Wahl, incl. Klein-Gebäck. Besuchen sie Wuus Teebar! Persönlich einzulösen, nicht auf 3. übertragbar. Und die Welt zerbrach. Wie sie es schon einmal getan hatte. Jin vergaß den Schuh, vergaß den Staub, vergaß, dass sie ihn doch eigentlich fast schon vergessen hatte, diesen Jungen. Er war nur noch drei bis vier mal am Tag durch ihren Kopf gespukt. Ehrlich! Nur, wenn sie an dem ehemaligen Teehaus vorbeiging. Und vor dem Einschlafen ... Noch ein paar Jahre, und sie hätte bestimmt überhaupt nicht mehr an ihn denken müssen! Aber jetzt hielt sie etwas Reales in ihren Händen. Etwas, das er berührt hatte. Etwas, das er ihr GEGEBEN hatte. Sie konnte den Felsbrocken, der kometengleich auf sie hernieder raste, nicht aufhalten. Tropfen fielen auf den Lack des Coupons. Zwei, drei ...  Das Salz würde ihn kaputt machen! Sie presste das Ding schützend an ihre Brust und merkte, wie sie begann sich hin und her zu wiegen.  Nein ... Sie wollte nicht!  Bitte nicht. Bitte nicht! Sie wollte sich nicht noch einmal so fühlen wie damals. Nie wieder! Abgehacktes, schmerzhaftes Schluchzen, brennende Enge in ihrer Lunge, hämmernde Herzschläge, die sie in ihrer Wucht fast umwarfen ... Oh ja, sie fühlte sich wieder wie damals. Weil ihr Bauch nur noch ein gordischer Knoten war, krümmte sie sich zusammen, sass an ihren alten Kleiderschrank gelehnt da und spürte nichts mehr, außer ihrem Elend. Jin We würde nicht kommen, weil sie ihren Schuh gefunden hatte. Drei Stunden später stapfte eine vor Wut schäumende Sela die drei Stufen zu Jins Tür hoch. Bei den Göttern! Sie würde diese Schusselnuss erwürgen! Hatte sie denn tatsächlich vergessen, dass sie in der Stadt verabredet gewesen waren?  Sela hatte alleine losziehen müssen, wodurch das Geld natürlich nicht für das ganze Garn gereicht hatte! „Jin?" Sie Hämmerte gegen den Holzrahmen der Shoji, da diese dünne Schiebetür selbst, ihren Attacken nicht standgehalten hätte. "JIN!?!" Die Tür war unverschlossen. Da sie keine Antwort bekam, konnte sie genauso gut auch reingehen. In der winzigen Einzimmerwohnung war es duster, da die Sonne schon vor circa fünf Minuten untergegangen war. Allerdings konnte man das Bündel, das da auf dem Boden vor Jins Schrank kauerte noch ziemlich gut erkennen. „Jin?" Das Bündel zog sich enger zusammen. „Warum sitzt Du da im Dunkeln?" Hier stimmte etwas nicht. Jin stimmte nicht. „Geh weg!" Das Flüstern war viel zu leise. „Jin?" Sela machte zwei hastige Schritte und ging neben ihrer Freundin in die Hocke. „Um Himmels Willen ... Was ist denn passiert?" Sie strich Jin eine zerzauste Haarstähne von der Wange und konnte im Zwielicht ein rotgeschwollenes Augenpaar erkennen, das ihr nicht ins Gesicht blicken wollte. „Jin?"  „Bitte, geh weg!" Weg gehen? Blödsinn!  Sela ging auf die Knie und nahm ihre Freundin in die Arme, so fest sie konnte. Das Weinen fing wieder an. Sie hatte Sela doch gesagt, sie solle gehen. Allerdings war es sehr tröstlich, sanft hin und her gewiegt zu werden. Sie hätte Sela auch gerne den Gefallen getan, mit dem Heulen aufzuhören, aber sie konnte nicht! „Scht! Ist ja gut! Hey, ich weiss, was Dir helfen wird. Ich werde Dir jetzt eine schöne Tasse Tee machen!" ... Okay... .... Tee war ganz offensichtlich das falsche Wort gewesen! Kapitel 6: Das Teehaus ---------------------- Sela war völlig verwirrt. Noch nie in ihrem Leben hatte die harmlose Frage nach Tee leises Weinen in eine Sintflut aus Tränen verwandelt. Du meine Güte! Was sollte sie jetzt denn machen? Jin war vollkommen aufgelöst.  Taschentücher! Ja, jetzt mussten erst mal ein paar Taschentücher her. Berge davon! „Jin, wo hast du denn die Taschentücher?" War das ein Schulterzucken, oder kam das vom Heulen? Egal! Es war wenig hilfreich, bei ihrer Suche. Sela ging zur Kommode und riss wahllos ein paar Schubladen auf. Bei Nummer sechs wurde sie fündig. „Hier! Nimm erst mal das Taschentuch!" Jins Hand kam zögerlich aus dem Häufchen Elend, um nach dem Ding zu fassen. „Was hast Du denn da?", wollte Sela wissen, griff nach dem vergilbten Gutschein und beäugte ihn. Wuus Teebar? Moment ... das war doch dieser heruntergekommene Schuppen drei Häuserecken weiter gewesen. Jetzt war dort eine Suppenküche. Allerdings kaum weniger heruntergekommen. Sie holte tief Luft. „Jin! Geht es etwa um diesen blöden Kerl?" Zum ersten Mal an diesem Abend hob Jin den Kopf und sah ihre Freundin an. Als sie nickte flossen erneut dicke Tränen. „Herrje! Ich dachte damit wären wir durch!" Klägliches Schulterzucken. „Jinny, ich fasse es nicht! Dieser Widerling hat Dich mitten in der Stadt stehen lassen. Im Dunkeln! Und was ist damit, dass Du ihn drei Wochen später mit dieser Schnepfe gesehen hast? Schon vergessen?" Schon? Was für ein Witz! Das Ganze war jetzt fast sechs Jahre her. Kopfschütteln. „Dann kann es ja wohl nicht Dein Ernst sein, dass Du wieder mal seinetwegen heulst!" Jins Finger knüllten und zupften an dem Taschentuch herum. „Ich kann... Ich kann einfach seine Augen nicht vergessen!" Es kam als klägliches, heisseres Flüstern. Sie starrte auf ihr Taschentuch, ohne es zu sehen. Seine Augen! Sie hatte vorher nicht gewusst, dass ein Mensch solche Augen haben kann. Und sie hatte einfach nur dagesessen und ihn anstarren können. Den Jungen mit den Drachenaugen. Ba Sing Se vor fast sechs Jahren Jin betrat das alte Teehaus, angelockt vom feinen Duft des Tees. Sie war noch nie hier gewesen. aber diesen wundervollen Aromen hatte sie heute nicht widerstehen können. Drinnen war es ein wenig duster, was zum Großteil der Verdienst einer ziemlich billigen, fast schon schäbigen Einrichtung war. Sie setzte sich in eine Ecke und studierte die erstaunlich reichhaltige Auswahl auf der Karte. Am Nebentisch wollte ein Gast zahlen und rief den Kellner. Als Jin aufsah, löste sich ein Schemen aus dem hinteren Bereich des Lokals und kam näher. Der Art nach zu schließen, wie er sich hier bewegte, musste es der Besitzer sein.  Doch als er näher kam, erkannte sie, dass er dazu viel zu jung war. Und zu mürrisch! Noch bevor sie ihn genauer sehen konnte, sah sie rasch wieder auf die Karte. Tante Ria hatte ihr schließlich stets eingebläut, niemanden anzustarren! Am Nebentisch begannen schöne, starke Hände, die gebrauchten Teetassen energisch auf ein Tablett zu stellen. Schielen war ja nicht starren, oder? „Einen Lapsang, einen Grünen? Das macht Eins Dreissig!" Himmel! Wie konnte ein so junger Mann eine so raue Stimme haben? Jin blickte wieder auf, direkt auf ein missmutiges, hartes Profil. Sie schluckte.  Es war ein missmutiges, hartes und schönes Profil. Solche Nasen waren sonst nur Marmorblöcken vorbehalten, die von einem Meißel bearbeitet worden waren. `Die Karte, Missy!´  Ja doch! Sie sah ja schon auf die dumme Karte! Und das, obwohl die Hände, die nun penibel das Geld abzählten viel interessanter waren. „Danke! Beehren Sie uns bald wieder!" Sie war sich ziemlich sicher, dass Kellner nicht so ... hochmütig klingen sollten. Oder so rau! Die tiefe Stimme schien über ihre Nerven-Enden zu reiben. Sie klang wie, wie ... wie schiefergrauer Samt, der sich mit dem Rauch von Zedernholz vollgesogen hatte. Jin liebte Zedern!  Jin liebte offenbar auch blumige Übertreibungen. Der junge Mann drehte sich in ihre Richtung. Bleib ganz locker, Jin! So toll kann er ja nicht sein, oder? „Was darf ich Ihnen bringen?", fragte der Zedernrauchsamt. Allerdings klang `darf´ eher wie `muss´. Sie blickte auf, und vergass, dass sie nicht starren sollte. Grund Gütiger! Sie starrte. Und wie sie starrte! In ein junges, hartes Gesicht mit hageren Wangen. Waren seine Augen tatsächlich golden? Und die einzelne Augenbraue darüber, tatsächlich wie eine glänzende Rabenschwinge? Der Mund mit den schmalen, klar geschnittenen Lippen war furchtbar streng, und furchtbar schön. Über die Nase hatte sie sich ja schon eine Meinung bilden können. Von vorn war sie kein bisschen weniger aristokratisch. Die goldenen Augen verschmälerten sich bedrohlich und die Rabenschwinge bog sich über der Nasenwurzel nach unten. `Atme, Missy!´ Moment! Rabenschwinge? Nur Eine? Ja, wirklich ...  Da war nur eine Braue. Nachdem Jin die Einzelheiten dieses stolzen Gesichts verarbeitet hatte, konnte sie nun auch die große Brandnarbe sehen. Und selbst die gefiel ihr. Sie war doch bekloppt! Da trug der arme Mensch das Zeichen eines unvorstellbaren Schmerzes in seinem Gesicht, und sie fand es anziehend? Sie sollte dringend nach ihrem Kopf sehen lassen! „Und?" Seine Stimme knarzte vor Ungeduld. Jin schluckte. „Jasmin?!" stieß sie aus. Bitte, lass Jasmintee auf der Karte sein! Ein abgehacktes Nicken und er drehte sich auf dem Absatz um. Jin versuchte aus einem unerklärlichen Grund, die Gegenstände auf dem Tisch neu zu ordnen. Dieser Aktion fiel prompt die Standhaftigkeit der Zuckerdose zum Opfer. Sie hätte es wirklich besser wissen müssen. Hektisch begann sie, den Zucker mit zittrigen Händen vom Tisch zu wischen, um ihn wieder in die Dose zu geben, was ihr das Zungenschnalzen einer älteren Frau einbrachte, die sie frappierend an Tante Ria erinnerte. Herrje! Jetzt waren ihre Finger völlig klebrig und ... Der Tee kam. Getragen wurde er von dem überaus attraktiven Griesgram. Glücklicher Tee! Schau auf den Tisch! Oder die Vase! Oder die Zuckerdose, auf irgendetwas! Etwas schwappte über den Rand der Tasse. Der glückliche Tee wurde extrem nachlässig behandelt, von diesen kräftigen Händen, das musste man schon sagen. „Soll ich Ihnen neuen Zucker holen?" Er hatte ihre Ungeschicklichkeit beobachtet!?  Jin schnappte erschrocken nach Luft und konnte nicht verhindern, dass ihre Augen aufflogen und in die seinen sahen. Es waren wirklich verdammt wachsame Augen. Argwöhnisch. „Nein, es geht schon, danke!" Dieses Gepiepse kam doch wohl unmöglich von ihr, oder? Er ging wieder. Zum Glück! Um sich zu beruhigen, nahm sie einen Schluck Tee, der - natürlich - viel zu heiss war. Anscheinend hatte sie ihr Gehirn am Eingang abgegeben. Zusammen mit ihrer Zurückhaltung. Sie starrte ihn tatsächlich schon wieder an, während er diversen Beschäftigungen nachging. Um sich abzulenken, sah sie sich um. Da waren Tische, Stühle, Bänke, ein Teekellner (`Sieh gefälligst nicht hin!´), Vasen, Zuckerdosen, Gäste, ein Teekellner (`MISSY!´) und ein älterer Mann, scheinbar der Tee-Koch, der sie strahlend anlächelte. Hatte er gesehen, wie sie die ganze Zeit den Jungen beäugte?  Jin lächelte vage zurück und beschäftigte sich wieder mit ihrem Tee. Nach einer Weile hatte sie das auch ganz gut im Griff!  Sie brauchte sich nur auf den aufsteigenden Dampf zu konzentrieren, ab und zu einen Schluck zu nehmen, und schon war alles Bestens! Bis ein Teller mit Keksen direkt vor ihr einschlug. Erschrocken sah sie auf und blinzelte in flüssiges Gold. „Das ist für Sie!" Was? Hatte sie im Delirium etwas bestellt, von dem sie nichts wusste? „Bitte?" Sie starrte verständnislos. Er starrte misstrauisch zurück. „Es, äh ..." Er behielt seine streng stoische Miene bei. "Geht auf´s Haus." Das wechselseitige Anstarren ging munter weiter.  „Danke ... sehr." „Danken Sie meinem Onkel." Damit drehte er sich wieder um und ging. Himmel, er hatte wirklich eine schroffe Art. Woher sollte sie denn seinen Onkel kennen? Aber die Tatsache, dass er eben `Wer-zuerst-wegguckt-hat-verloren´ mit ihr gespielt hatte, hatte ihr wenigstens einen Logenblick auf seine seltsamen Augen verschafft. Diese wachsamen Augen wirkten auf den ersten Blick jung, zornig und hoffnungslos. Und irgendwie sehr einsam. Doch unter der schimmernden Oberfläche waren sie uralt, ruhig und weise. Und irgendwie auch sehr einsam.  Es waren die Augen eines Drachens! Das konnte doch nicht sein. Tante Ria hatte ja schon immer gesagt, sie besitze zuviel Phantasie. In einem Paar Augen konnte man nicht soviel lesen! Vielleicht war irgendwas in diesem Tee? Jin schielte in ihre Tasse. Dann wieder auf den jungen Mann. Er bewegte sich schön.  Konzentriert, ohne Schnörkel. Jede Bewegung war zielstrebig, akkurat und fließend. Elegant und kraftvoll ... `Missy!! Was SOLL denn das? Hör jetzt endlich auf ihn anzustarren!´ Sie stürzte den Rest ihres Tees hinunter und stopfte einen Keks hinterher. Je schneller sie hier wegkam, um so weniger konnte sie sich blamieren! „Darf ich Ihnen vielleicht nachschenken, Fräulein?" Es war nicht SEINE Stimme, also konnte sie wohl gefahrlos aufblicken. Schon wieder blickte Jin in sehr bemerkenswerte Augen. Aber diese waren dunkler, eher bronzefarben als Gold. Und sie waren gütig. „Ich ... ähm. Lieber nicht!" „Wirklich? Schmeckt der Tee denn nicht?" Leise Besorgnis lag in der warmen Stimme. „Doch! Er ist ganz wundervoll!" Ein strahlendes Lächeln war Ihr Lohn. „Aber ich muss leider gehen." „Wie schade! Ich werde gleich meinen Neffen zum kassieren schicken. Auf Wiedersehen, hoffe ich!" Jin nickte matt. Sein Neffe? Wirklich? Die beiden waren sich so ähnlich, wie SIE einem Schwan. Um vor weiteren Peinlichkeiten bewahrt zu werden, zählte sie schon das Geld für den Tee, einschließlich ein paar zusätzlicher Münzen für das Trinkgeld, ab. `Nur nicht nervös werden! Du zahlst nur!´ „Ein Jasmin?"  Um Augenkontakt zu vermeiden fixierte sie sein Kinn und nickte. Da konnte ja nicht viel passieren, oder? Wenn man nur ein energisches Kinn ansah? „Fünfundsechzig Jy!" Verdammt! Sogar sein Kinn war toll. Sie schob ihm achtzig zu und murmelte ein „Stimmt so." „Danke! Beehren Sie uns bald wieder!" Bestimmt nicht! Sie hatte sich für dieses Jahr schon lächerlich genug gemacht. Das Letzte, was sie tun würde, wäre noch einmal hierher zu kommen, schwor sie sich. Aber Jin We hielt ihre Schwüre leider nicht immer. Vier Tage später, es war ihr freier Tag, saß Jin zusammen mit Sela auf einer niedrigen Mauer. Sie ließen sich die Mittagssonne auf den Rücken scheinen und aßen Krapfen. Bei Sela gelang dies auch ohne Zwischenfälle, nur Jin hatte wie üblich schon einen Marmeladenfleck am Ärmel. „Und deswegen," Sela leckte sich Zucker vom Mund. "Gehst Du jetzt ständig da hin? Jeden Abend?" Jin nickte und kleckerte schon wieder. Sie konnte es ja selbst nicht glauben! „In dieses komische Teehaus? Wegen eines Jungen? DU?" „Was soll das denn heissen?" „Du hast Dich noch nie für Jungs interessiert!" Jin kaute verlegen und zuckte mit den Schultern. „Er hat schöne Augen!", gab sie leise zu. „Ich lach mich tot! Jin We, Hals über Kopf verknallt in einen Barmann! Den muss ich sehen!" „Er ist Teekellner! Und ich bin NICHT verknallt!" Sela schnaubte nur und stand auf. „Klar bist Du! Und jetzt lass uns da hingehn. Diesen Ladykiller muss ich unbedingt unter die Lupe nehmen."  Grinsend zog sie eine widerstrebende Jin hinter sich her. Als sie das Teehaus betraten kicherte Sela. Natürlich! Soviel zum Thema Unauffälligkeit. Wenn sie so weitermachte, könnte sie auch gleich einen Aushang am schwarzen Brett machen. `Selas und Jins Fleischbeschau; Goldäugige und Schürzenträger zuerst!´ Jin zog ihre Freundin schnell zu einem kleinen Tisch, damit sie nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sie beide zog. Sie setzten sich so, dass sie den Raum überblicken konnten. „Also? Wo ist denn jetzt Dein Zukünftiger?“ „Sela! Hör auf damit!" Weitaus leiser fügte sie hinzu: „Er steht da hinten bei dem Tisch am Fenster! Aber dreh Dich ja nicht ..." Wozu machte sie überhaupt den Mund auf? Sela hatte sich natürlich längst umgedreht. Wenigstens sah er nicht her! „Der Große? Oh lala! Nettes Fahrgestell, muss ich schon sagen!" Sela äugte ungeniert. Als sich bei einer Bewegung dünne Stofflagen um lange Beine schmiegten war ihr Urteil gefällt. „Wow! Der hat wirklich tolle Beine!" „Sela!" „Was denn?" Sie wandte sich Jin zu. „Soll ich ihn mir denn nun angucken, oder nicht?" „Nicht so... so offensichtlich!" „Aber so guck ich nunmal!" Sie drehte sich erneut in Richtung ihres Studienobjekts, das sich nun ebenfalls umdrehte. Sela holte erschrocken Luft.  „Er hat da aber eine ziemlich große Narbe!" Jin zuckte mit den Schultern. „Ja. Und? Ich finde sie nicht schlimm!" „Nicht schlimm? Das ist fast ein Viertel seines Gesichts!" „Mhm!", machte Jin nur, und himmelte Scarface an, wie ein Mondkalb. „Und wie würdest Du ihn finden, wenn er keine hätte?" Sela schaute wieder. Und schaute. „Also ... ohne dieses Ding ... hätte er vermutlich in jedem Arm drei Mädels", schloss sie, leicht erstaunt. Der junge Kellner wischte den Tisch, den er abgeräumt hatte, mit energischen, effizienten Bewegungen ab. „Und an seinen Knien würden sie vermutlich auch noch rumhängen." Er bückte sich, um eine Serviette aufzulesen. Sela schluckte. „In Scharen!" Jin runzelte beim diesem Tonfall die Stirn. Vielleicht war es ein Fehler, ihre Freundin mit hierher genommen zu haben? In diesem Moment steuerte der Junge in ihre Richtung, um die Bestellung aufzunehmen. „Was kann ich für Sie tun?" Du könntest hier Wurzeln schlagen, Dich ansehen lassen und mir mit dieser Stimme stundenlang die Teekarte vorlesen! „Äh... äh! Einen Jasmintee, bitte."  `Gratulation, Missy! Das war ein ganzer Satz!´ „Äh ... klingt gut. Ja, äh, ich nehm auch Jasmin", meinte Sela, die plötzlich größtes Interesse an der Tischdecke hatte. Ein knappes Nicken und er ging. Zuko schnaubte! Das setzte diesem fürchterlichen Tag die Krone auf. Zwei kichernde Gören, die hergekommen waren, weil sie nichts besseres zu tun, als die Groteskheit seiner Narbe anzugaffen. Irgendwie enttäuschte es ihn, dass die Kleine mit den grünen Augen das tat, denn die letzten drei Abende hatte es nicht so gewirkt, als sei sie deswegen hier. Vielleicht sollte er zu ihrer Unterhaltung noch auf den Tischen tanzen, oder Grimassen schneiden? Mit unbewegter Miene brachte er den beiden das Erwünschte. „Zwei Jasmintee!" „Vielen Dank!" Zuko Blick tauchte in jadegrünes Schimmern. Nein, das Mädchen da starrte gar nicht auf die Narbe. Sie sah ihm nur in die Augen. Er hatte sich also doch nicht getäuscht! „Vielleicht noch etwas Süßes?", hörte er sich fragen. „Etwas Süßes wäre ... nett!" „Ich werde sehen, was noch da ist." „Ja." „Ja." Zuko verspürte den quälenden Drang, sich zu räuspern. Sela verfolgte die Szene mit offenem Mund. Die beiden starrten sich fortwährend an. Zuko merkte, dass es langsam Zeit wurde, Worte in Taten umzusetzen, und ging. Kekse suchen! „Jin? Hallo? Jihin?" Verwirrtes Blinzeln. Sela grinste breit. „Statt hier den Tisch zu besabbern, solltest Du ihn vielleicht einfach fragen, ob er mal Lust hat auszugehn." „Was?" Jin hörte sich an, als hätte man ihr eben eröffnet, der Mond sei bewohnbar. "Das ... das kann ich nicht! Ich bin nicht wie Du!" „Also bitte! Sonst bist Du doch auch nicht so erschrocken. Ich hab noch nie erlebt, dass Du Dir von irgendeinem Jungen die Butter vom Brot hast nehmen lassen." „Ja, aber..." Jin fingerte an ihrer Teetasse herum. „Du hast ihn doch gesehen? Er hat ganz bestimmt nicht auf MICH gewartet!" Jin wusste, sie konnte bestenfalls als `ganz hübsch´ bezeichnet werden. An guten Tagen! „Klar! Darum hat er Dir auch so in die Augen gestarrt. Weil Du nur Kundschaft bist." „Aber..! Er ist zu mir nicht freundlicher, als zu den anderen Gästen." „Hallo? Mr. Miesepeter hat eben gefragt, ob Du was zu Naschen willst!" Sela klimperte anzüglich mit den Wimpern. „Außerdem glaube ich, dass er schüchtern ist!" „SCHÜCHTERN?" Jin verschluckte sich an ihrem Tee. „Aber sicher! Nicht  jedes Mädchen steht auf den wortkargen Typ Mann, dessen linkes Auge mal als Fackel benutzt wurde." Das Gespräch kam erneut zum Erliegen, als die Kekse kamen, den Miesepeter im Schlepptau. „Es gab nur noch Vanille", murmelte er. „Vanille ist ... doch gut. Ganz hervorragend, sogar!" Jin lächelte ihn versuchsweise an, erntete aber nur einen misstrauisch fragenden Blick. Sela trat ihr unterm Tisch gegen das Schienbein.  „Feigling!", flüsterte sie, als der Kellner wieder fort war. „Ich frag ihn ja." Jin biss in einen Keks. „Wenn´s hier nicht mehr so voll ist!" Das klang etwas unentschlossen. „Ehrlich?"  „Ja. Aber erst, wenn Du auch weg bist!" „Du willst Dich ja nur drücken!" „Nein! Ich... ich mach´s!" „Versprochen? Echtehrlich?" Jin nickte. „Echtehrlich!" Mist! Bei Echtehrlich gab es kein Zurück mehr! Sela grinste wie ein seliger Buddha. „Na dann." Sie schnappte ihre Tasche, „Je früher es hier `nicht mehr so voll´ ist, desto besser. Nur Mut, das wird schon! Du darfst nur keine Furcht zeigen, im Angesicht des Feindes." Ein verschwörerischen Blinzeln später war sie verschwunden. Zukos Nackenhaare sträubten sich nicht nur, sie liefen Amok! Was, um Alles in der Welt war mit diesem Mädchen los? Warum kam sie jeden Tag hierher? Sie setzte sich immer so, dass sie das ganze, verdammte Teehaus im Blick hatte. Warum war ihre Freundin vor ihr gegangen? Und warum zum Teufel hatte sie ihn angelächelt? Hatte sie ihn damit einlullen wollen? Sie wusste etwas! Ganz bestimmt! Warum sollte sie ihm sonst die ganze Zeit hinterher starren? Er konnte ihre Augen auf sich spüren, jeden Tag, seid sie das erste Mal hierher gekommen war. Und zwar von dem Moment an, in dem sie das Lokal betrat, bis zu dem, an dem sie es wieder verließ. Sie wusste es! Wusste, dass er und sein Onkel Bürger der Feuernation waren. Vielleicht wusste sie sogar, WER sie beide waren. Er musste Onkel Iroh warnen. Verdammt! Oh, verdammt! Verdammt! Sie sass in der Patsche! Wie um Himmels Willen sollte sie das anstellen? Wie fragte man einen Jungen, ob er ausgehen wollte? Verzweifelt versuchte Jin alle Informationen, die sie je von Sela erhalten hatte, zusammenzukratzen. Und ihren Mut ebenfalls, denn das Lokal leerte sich in erschreckender Geschwindigkeit, da die meisten Gäste wieder zur Arbeit mussten. Ganz ruhig Jin! Wenn er nein sagt, geht die Welt auch nicht unter. Tante Rias Stimme, die sich ebenfalls wieder einmischen wollte, weil sie das Ganze für eine eher dumme Idee hielt, wurde kurzerhand mundtot gemacht. Oh nein! Der vorletzte Gast ging gerade durch die Tür. Jin! Du reisst Dich jetzt zusammen und fragst ihn! Tu einfach so, als würdest Du nach dem Wetter fragen. Als würdest Du das jeden Tag machen. Und noch bevor der Mut sie verlassen konnte, trat Jin We in Aktion und tat das Unfassbare.  Irgendwie war ihr wohler bei dem Gedanken, etwas mehr auf Augenhöhe mit ihm zu sein, wenn sie die Frage aller Fragen stellte. Also stand sie auf und ging zu der alten Kasse, hinter der sich Tee-Koch und Neffe versammelt hatten. Jetzt oder nie! Denk einfach an das Wetter! Zuko, seinerseits, war momentan ziemlich perplex. Seine Warnung war tatsächlich auf taube Ohren gestoßen. Stattdessen hatte sein Onkel den reinsten Unsinn verzapft. Verschossen? Das Mädchen sollte verschossen sein? In ... IHN? Der alte Mann baute eindeutig ab! Mädchen vermieden es tunlichst, ihn ansehen zu müssen. Meistens wechselten sie die Strassenseite, sobald sie sein Gesicht sahen. Und auf keinen Fall - auf GAR keinen Fall - verknallten sie sich in ihn. Das war lachhaft! „Vielen Dank für den Tee!" Ihre Stimme! Zuko wirbelte herum. Sie stand direkt an der Kasse. „Wie ... wie heisst du?" Wie er hieß? Warum wollte sie das wissen? „Lee!", stieß er aus. „Ich heisse Lee!" Das war die perfekte Gelegenheit, jedweden Verdacht zu zerstreuen. „Mein Onkel und ich sind gerade erst hierher gezogen."  `Ja, und genau das ist der Grund, warum Du uns bisher in der Gegend nicht gesehen hast, Jadeäuglein! Alles ganz harmlos.´ „Hallo Lee. Ich ... bin Jin. Ich, nun ja... ich habe mich gefragt, ob Du vielleicht mal ... ausgehen würdest." Jinny, die neunjährige Göre, die sich irgendwo in Jins innerem, fast sechzehnjährigen Chaos aufhielt, hielt sich die Augen zu und hüpfte dabei auf und ab. Zuko, dem siebzehnjährigen Blindflieger ohne derartige Persönlichkeitsspaltung, sank schlicht und einfach die Kinnlade herab. „Aber sicher würde er! Liebend gerne!", sagte Onkel Iroh strahlend. Ach, würde er? Auf jeden Fall würde er liebend gerne seinen Onkel umbringen! „Oh. Gut! Ich ... seh Dich dann Sonnenuntergang vor dem Teehaus." Bevor er noch einen Ton sagen konnte, drehte Jin sich um und floh! Kapitel 7: Zwei Welten ---------------------- Jin rannte nach Hause.  Einer ihrer Zöpfe hatte sich aufgelöst, aber das war ihr egal. Sie machte sich in einer Schlammpfütze schmutzig, rannte beinahe frontal gegen einen Laternenpfahl und bekam dann fast keine Luft mehr, aber es war ihr egal. Der Drachenjunge würde mit ihr ausgehen! Nun gut ... Sein Onkel hatte die Zusage gemacht, doch das Ergebnis blieb das gleiche. Sie musste schleunigst zu Sela! Die kannte sich in den wichtigen Dingen des Lebens aus. Wie man störrische Haare in Form brachte. Oder was man zu einer Verabredung überhaupt trug. Welche Themen man anschneiden konnte, welche man besser mied. Kurz und gut, Jin brauchte die Hilfe eines Profis! Zuko war wütend auf seinen Onkel! Wie hatte er es wagen können sich einzumischen? Und er war wütend auf sich selbst! Wieso hatte er nur dagestanden, wie ein Trottel, der nicht für sich selbst sprechen kann? Zuko war auch wütend auf die Spinne in der Zimmerecke! Einfach, weil er wütend sein WOLLTE! Seltsamerweise war er auf das Mädchen nicht wütend. Das Mädchen ... Zuko traf die plötzliche Erkenntnis, wie unzulänglich sein Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet war, der ungefähr einem Kieselstein in einer Felswüste glich. Er hatte keinen blassen Schimmer was Mädchen so gefiel. Vage meinte er sich zu erinnern, gehört zu haben, dass Kätzchen, Schleifchen und Blümchen wahre Stürme des Entzückens auslösen konnten. Na toll! Er musste also nur noch eine Mietz finden, und ihr mit einem bunten Strick einen Rosenbusch an den verdammten Schwanz binden. Kam bestimmt gut an. Er zerraufte sich die Haare, rannte im Kreis und zerraufte sich die Haare gleich noch mal. „Zuko! Wenn das eine Frisur werden soll, seid Ihr damit nicht besonders erfolgreich." Ah! Da war ja das erste Mordopfer seines jungen Lebens! General Iroh blieb ob dieses drohenden Schicksals jedoch bewundernswert gefasst. „Mich so anzufunkeln wird auch nichts nutzen. Ihr solltet lieber etwas mit Euren Haaren machen." „Was?", schnauzte Zuko. „Sie mir einzeln ausreissen?" „Aber nein! Sie sollte schließlich nett aussehen. Ordentlich!" „Eine Glatze IST ordentlich, Onkel!" „Schön. Wenn Ihr bockig sein wollt, werde ich Euch mit der Frisur eben nicht helfen." „Fein!" „Gut!" Zwanzig Minuten später starrte Zuko sein Spiegelbild an. Das also gefiel den Weibern? Da hatte ihm seine Idee mit der Katze aber bei weitem besser gefallen. Er sah aus wie ... ein Buchhalter.  „Muss der Scheitel sein?" „Awwa naddülich!", erwiderte Iroh. Die Beweglichkeit seiner Lippen war durch den Kamm, den er zwischen den Zähnen hielt, doch sehr beeinträchtigt. „In der Mitte?" „Vertraut mir!" Inzwischen wurde der Kamm für eine letzte Glättungs-Aktion benutzt. „Das tat ich. Bis heute Mittag!" „So, das wär´s. Jetzt seid Ihr gerüstet!" Gerüstet? Zuko schnaubte. Selbst mit einer ganzen Armee im Hintergrund wäre er für diesen Abend nicht gerüstet. „Los, los! Die Sonne geht schon unter." mahnte Iroh. Ja. Sonnenuntergang. Die genau richtige Tageszeit, für ein Agni-Kai, ein Feuerduell. Dieses hier würde er mit Sicherheit verlieren! Zuko betrat die Strasse, mit dem Gefühl, dass sein Leben unwiederbringlich aus dem Ruder lief. An der Ecke blitze etwas Grünes auf. Das Mädchen, Jin, war pünktlich. Jin war fürchterlich aufgekratzt. Sie hatte Selas unschlagbare Tips, eine unschlagbare Frisur und keinen Fleck auf dem Kleid! So hübsch wie heute Abend hatte sie sich noch nie gefühlt. Das Wichtigste war nun - laut Sela - nicht schüchtern zu sein. „Sei einfach wie immer. Spontan! Wenn Du frech oder keck sein willst, dann SEI es!" „Und wenn ich weglaufen oder mich übergeben will?" „Jin! Sei nicht so nervös. Hab einfach Spass, und tu, wonach Dir zumute ist." Und seltsamer Weise schien das sogar machbar zu sein, denn wie sonst ließe sich erklären, dass das erste, was sie tat ein Akt der Zerstörung war? Oder, genauer gesagt: Der Schadensregulierung. Sie zerwuschelte seine `Frisur´. Das Mädel zerwuschelte tatsächlich die Frisur, die Onkel ihm verpasst hatte! Er hatte es ja GEWUSST. Schleifchen wären besser gewesen. Doch dann hatte Zuko keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen. Ein Orkan erfasste ihn. Dieses quirlige, kleine Ding zog ihn einfach mit! Sie schleife ihn in ein Restaurant, voll mit verlockenden Düften und lächelte ihn fortwährend an, bis ihm ganz schwindelig davon wurde. Dann begann sie ihn auszuquetschen. HA! Also doch! Er hatte es ja geahnt. Aber von ihm würde sie nichts erfahren. Wie er die Stadt fand? „Okay!" `Immer schön einsilbig bleiben, Zuko!´ ermahnte er sich. Was er machen würde um Spass zu haben? SPASS? War er ein Clown? „Nichts", presste er durch die Zähnen. In ähnlichen Bahnen verlief das gesamte Essen. Zuko war so angespannt, dass er morgen garantiert Rückenschmerzen haben würde. Als sie eine Demonstration seiner angeblichen Jonglier-Künste haben wollte - die Idee sich und Onkel Iroh als ehemaliges Mitglieder eines Wanderzirkus auszugeben war eindeutig in die Kategorie `schwachsinnig´ einzuordnen - wäre er beinahe aufgeflogen. Wie konnte es so schwer sein, ein paar alberne Dinge durch die Luft zu werfen? Das hatte er nicht erwartet. Was er ebenfalls nicht erwartet hatte, war, dass Jin seine offensichtliche Unfähigkeit auf diesem Gebiet einfach überging. Sie sprang weder auf, um ihn einen Lügner zu nennen, noch rief sie nach der Polizei. Dieses Mädchen war wirklich, wirklich seltsam. Und warum, bei Agni, sah sie ihn an, als könne sie seine abscheuliche Narbe nicht sehen? Ah, er musste auf der Hut sein! Am besten verzichtete er auch darauf, ihr in die Augen zu sehen. Es schien rationalem Denken nicht förderlich zu sein. Jin selbst war hin- aber auch hergerissen. Das Essen war eine Katastrophe, oder etwa nicht? Einerseits hatte sie sich ja ganz gut geschlagen, war am Anfang sogar recht stolz auf sich gewesen. Sie sprach in ganzen Sätzen, warf nichts um und hatte sogar die Augen noch in ihren Höhlen, obwohl ihr hinreißender Teekellner ohne Schürze noch viel ... na ja, hinreissender war! Aber als Lee seinen hiesigen Kollegen, auf die harmlose Andeutung hin sie sei seine Freundin, lauthals angeschrieen hatte, war sie kurz in Panik verfallen. Sie hatte ihre Nudeln hinuntergeschlungen wie ein Sumpfkrokodil und dann hatte sie, um die Stille zu unterbrechen, wieder Fragen gestellt, was ihm eindeutig unangenehm war. Schön! Sollte er seine Geheimnisse doch für sich behalten. Darauf war sie gar nicht scharf. Scharf war sie auf ihn!   `MISSY!!!´ Vielleicht wäre ein Ortswechsel angebracht? Er würde sich bei einem Spaziergang bestimmt wohler fühlen. Jungs gingen gerne spazieren, hatte Sela gesagt. „Ich würde Dir gerne einen meiner Lieblingsplätze hier in der Stadt zeigen", wagte Jin sich vor. Hervorragender Vorschlag! Wenn sie wieder vor ihm her wuselte, kam er wenigstens nicht die ganze Zeit auf die Idee, ihren Blick zu suchen, oder die Lichter auf ihrem kaffeebraunen Haar zu zählen. Wie schon zuvor schnappte Jin sich einfach seinen Arm und zog ihn mit sich.  Und Zuko? Musste Wohl oder Übel seinem Arm hinterher. Voller Vorfreude schilderte sie ihm den Ort, an den sie ihn bringen würde. Ein Brunnen. Aha. Mit Lichtern und Kerzen, soso. Und daraus resultierenden Reflexionen. Nun, Wasser und Licht hatten solche Effekte. Das war ganz natürlich, und er sah ehrlich gesagt keinen Grund, darüber so in Ekstase zu geraten.  Aber ... verdammt hübsch war sie, wenn ihr Gesicht so leuchtete wie jetzt! Das Leuchten erstarb allerdings, als sie ihn aus einer Gasse auf einen großen Platz zog. Da war in der Tat ein Brunnen, umgeben von einem weiten Kreis hoher Strassenlaternen und bestückt mit unzähligen Kerzen, einige im Wasser schwimmend, andere rundherum auf der niedrigen Mauer des Brunnens aufgereiht. In seiner Mitte ragte eine steinerne Säule in den Himmel, auf deren Spitze sich die größte der Laternen befand. Kein einziges dieser Lichter brannte. „Sie sind alle aus. Ich ... ich kann es nicht glauben!"  Jin war bestürzt. Wenigstens einen Pluspunkt hatte sie noch machen wollen. Und jetzt das. Seiner kontinuierlich stoischen Miene nach zu urteilen, schien Lee den ganzen Abend eher katastrophal gefunden zu haben. Bestimmt waren seine bisherigen Verabredungen nie so furchtbar gewesen, wie diese.  Sie hatte ja gewusst, dass sie für so was kein Talent hatte. Zuko beobachtete sie. Konnte mehr Enttäuschung und Traurigkeit in einer Stimme liegen? Mit einem Mal schien es wichtig, diesen Zustand zu ändern. Wenn ein paar Kerzen sie erfreuen konnten, dann würde er sie eben in einen gottverdammten Glückstaumel versetzen. „Mach die Augen zu! Und nicht schummeln!" setzte er hinzu, als sie sich die Hände vor das Gesicht hielt. Hinter ihren Händen konnte Jin schnelle Lichtreflexe erahnen. Sie kamen aus unterschiedlichen Richtungen ... Was hatte das zu bedeuten? Was tat er da?  Irgendetwas in ihrem Kopf forderte dringend ihre Aufmerksamkeit, aber in diesem Moment hörte sie seine Stimme. „Du darfst hinsehn!" Ah, der Zedernrauch! Wie sollte sie sich noch auf andere Dinge konzentrieren, wenn diese Stimme erklang? Sie machte die Augen auf, und holte überrascht Luft. Es war ... perfekt!  Sämtliche Lichter brannten. In einem wärmeren, ruhigeren Feuer, als Jin es je gesehen hatte. Nicht einmal die große Laterne oben auf dem Brunnen rußte, wie sie es sonst immer tat. „Was ist passiert? Wie ... wie sind sie denn angegangen? Was hast Du...?" Sie erinnerte sich, dass er keine Fragen mochte und verstummte. Doch nichts lag Zuko in diesem Moment ferner, als Argwohn. Ihre Fragen klangen nicht misstrauisch, sondern vielmehr ...  entzückt. Entzückt von etwas, das er getan hatte! Das erste Mal in seinem Leben hatte er jemandem, der nicht sein Lehrmeister war, mit seinem Können Freude bereitet. Hatte erschaffen, statt zu zerstören. Mit seinem Feuer! Seine Brust schwoll an vor Stolz. Er hatte sie glücklich gemacht. Das konnte er in ihrem Lächeln sehen. Neben Dutzenden von Kerzen spiegelte sich tatsächlich Freude in ihren Augen. Freude und Zuneigung. Zu ihm!  Und tief, sehr tief in der leuchtenden, warmen Jade verborgen, schimmerte noch etwas. Etwas, das größer war, als sie beide! Etwas, das er nicht benennen konnte.  Etwas, das eine der vielen eisernen Ketten, die sich vor Jahren um sein Herz geschlungen hatten, einfach fort sprengte und ihm den Boden unter den Füssen wegriss. Als er ihre kleine Hand in der seinen spürte, brach ein Aufruhr über Zuko herein. Das war so nicht geplant gewesen! Er hatte sich nicht darauf vorbereiten können! Auch nicht darauf, dass sie nun noch näher kam, mit dieser schrecklichen Sehnsucht in den Augen und warmen, weichen Lippen. Heilige Flamme Tatzus. Tu etwas! Tu etwas, verdammt! Die Rettung kam, zum ersten Mal an diesem Tag, von seinem Onkel. Der Coupon! Sein Onkel hatte ihm den Coupon als Geschenk für Jin mitgegeben. „Ich hab Dir ein Geschenk mitgebracht!" Seine Stimme war entsetzlich rau. „Ein Gutschein. Für eine gratis Tasse Tee!" Endlich hatte er einen Schild gegen ihren Zauber. Nämlich diesen albernen Gutschein. Den würde sie jetzt nehmen, sich bedanken und sich dann artig nach Hause begleiten lassen. Nicht wahr? Jin starrte auf die dünne, versiegelte Pappe, die er zwischen ihre Gesichter hielt. Was? Oh nein! So nicht! Nicht jetzt! Gerade hatte sie hinter dem Schmerz in seinen Augen eine Unendlichkeit an Gefühlen entdeckt.  Und jetzt wollte er sie verbergen? Wusste er denn nicht, dass sie dafür schon viel zuviel von diesem warmen Sog gesehen hatte? Sanft nahm sie ihm den Coupon aus der Hand.  So einfach würde er nicht davon kommen! „Lee, das ist wirklich süß von Dir." Süß??? Das wüsste er aber! Süß war er in seinem ganzen Leben noch nicht gewesen. Aufklärungsarbeit war von Nöten. „Dank nicht mir! Es war die Idee meines Onkels."  Ihrem Blick nach zu urteilen, hörte sie seinen Erklärungen gar nicht zu, denn es war immer noch der selbe, mir dem sie das Wort `süß´ ausgesprochen hatte. Um Himmels Willen! Dabei wandte er ihr doch mit Absicht die vernarbte Seite seines Gesichts zu. „Er hält Dich für eine überaus schätzenswerte Kundin.", referierte er. Das müsste genügen! „Ja, Dein Onkel ist ein guter Lehrer."  Zuko war am Ende. So einfach tat sie also seine marktwirtschaftliche, analytische Rede über Kundenbindung ab?  Er hatte eben Romantik und all den anderen Hokuspokus auf ihre Plätze verwiesen, und das Mädchen beschloss einfach, dies zu ignorieren? Ihre Hand lag an seiner rechten Wange. Sie drehte sacht sein Gesicht zu sich. „Ich hab Dir auch was mitgebracht." Wenn nur endlich das schreckliche Strahlen ihrer Augen aufhören würde. „Jetzt bist Du dran, die Augen zu schließen ..." Die Idee war gut. So musste er das Strahlen nicht länger sehen.  Und schließlich war sie nur ein kleines Ding, was sollte da schon passieren ... Es passierte Alles! Zukos Welt wankte, ging in die Knie. Und die Sterne waren plötzlich nicht mehr an ihrem angestammten Platz. Sein Universum, das sich um so unvorstellbar viele Dinge gedreht hatte, schwenkte plötzlich um und drehte sich nur noch um seine Lippen. Denn es war der Ort, an dem sich die ihren befanden. Warm, weich, kaum spürbar in ihrer Sanftheit. Agni! Wie konnte ein simpler Mund all dies auslösen? Dann entzog sie ihm die Wärme wieder.  Sie glaubte doch nicht, dass er das zulassen würde? Zuko neigte den Kopf, um sich zu wiederzuholen, was ihm zustand.  Ebenso sanft, wie sie es getan hatte. Er atmete den zarten Duft nach Orangenblüten, den einzigen Balsam, den seine Seele zur Heilung je brauchen würde. Streifte mit den Lippen über ihren Mund, dem einzigen Ziel, das er in diesem Leben noch hatte. In Zukos Kopf platzte etwas. Seine Ziele! Seine lebenswichtigen Ziele! Unter dem Protest seines gesamten Seins zog er sich abrupt zurück. Er durfte nicht zulassen, dass sie ihn die Dinge, für die er seit drei Jahren kämpfte, vergessen ließ! Er durfte sich von seinem Weg nicht abbringen lassen. Aber vor allem, durfte er sie auf seinem Weg ins Ungewisse nicht mitnehmen; Sie nicht aus ihrer Welt reissen. Jin, eben noch ein Bündel Seligkeit, schlug verwirrt die Augen auf. Seine eigenen waren plötzlich nur noch kalte, goldene, undurchdringliche Spiegel, die nichts nach außen dringen ließen. Er drehte sich weg; weg von ihr. Das konnte er doch nicht tun! „Was ist denn?", stammelte sie. Sie fand wirklich, ein Recht auf diese Frage zu haben, nachdem er sie Feuer hatte atmen lasen. Aber er wandte sich noch nicht einmal um. „Es ist ... kompliziert. Ich muss gehen!"  Seine Stimme klang alt, aber das hörte Jin nicht. Sie hörte nur den Urteilsspruch, der Ihre neue, wundervolle Welt in Scherben schlug. Jin wusste nicht, wie lange sie erstarrt dagestanden hatte. Eine Minute? Eine Stunde? Oder ein Leben? Es fühlte sich tot an, wenn sie Atem holte und hohl, wenn sie sich bewegte. Sie musste jetzt nach Hause. Den kleinen Kater füttern, der ihr vor zwei Wochen zugelaufen war. Die Wäsche von letzter Woche zusammenlegen. Ja, sie musste nach Hause. Und es war gleich, ob es dunkel war oder hell. Nacht oder Tag. Es würde von nun an immer gleich sein. Zuko rannte wie von Furien gejagt. Am liebsten hätte er um sich geschlagen, eingeschlagen auf alles, was sich in der Dunkelheit verbarg. Schatten, Geheimnisse, Bedrohungen. Er stolperte beinahe, so plötzlich blieb er stehen.  Sie war allein! In der Dunkelheit, ohne Schutz! Wann würde er endlich lernen, nachzudenken? Auf dem Rückweg rannte er sogar noch schneller, verlangsamte erst, als er fast am Brunnen angelangt war. Sie stand noch dort! Er könnte noch immer ... `Sie würde schreiend vor Dir davon laufen, wenn sie wüsste wer Du bist, Sohn!´, höhnte es in seinem Kopf. `Vergiss sie!´ Irgendwann bewegte sie sich, aber anders als zuvor. Nicht mehr so lebhaft. `Pass auf, dass ihr auf dem Heimweg nichts zustösst, wenn es unbedingt sein muss. Aber dann vergiss sie!´ Sie ging durch dunkle Gassen nach Hause.  `Du würdest sie zerstören. Denn das ist alles, was Du kannst. Vergiss sie!´ Dann verschwand sie in einer Tür. Es war nur eine ganz normale Tür. Sie sah gar nicht so aus, als könne sie Welten trennen. Nachdem sie verschwunden war, ging Zuko einige Schritte rückwärts. Ja. Er würde sie vergessen. Würde auf die kalte Stimme hören, die wie sein Vater klang. In seinem Inneren tobte der Drache vor Schmerz. Kapitel 8: Von Engeln, Teufeln und Pfirsichen --------------------------------------------- Ba Sing Se, heute Selbstverständlich ließ der kleine Beamte des Erdkönigreichs Seiner Lordschaft Zuko II den Vortritt, als sie die in Grün und Gold gehaltenen Gästezimmer betraten. Alles andere wäre ein himmelschreiender Affront gewesen!  Schließlich wollte man den Feuerspucker nicht verärgern. Zumindest nicht allzu sehr. „Ich darf doch hoffen, Euer Hoheit konvenieren diese Räumlichkeiten?“  Warum sagte der Trottel nicht `zusagen´, wenn er es meinte? Doch momentan war Seine Hoheit zu müde, um zu streiten. Seine Hoheit war sogar dermaßen müde, dass selbst eine simple Strohmatte konveniert hätte. „Gewiss.", erwiderte Zuko daher nur. Der Beamte des Erdkönigs schaffte es, in seiner Verbeugung Unterwürfigkeit mit Missachtung zu vereinen. Ein wahres Naturtalent der Diplomatie. „Falls Euer Hoheit noch etwas wünschen, so zögert bitte nicht, mich dies wissen zu lassen." Oh, und wie er zögern würde! „Nein, Wir haben alles, Danke!", schnarrte Zuko, nichts als pure Herablassung. Er benutzte den Pluralis Majestatis, das den Fürsten und Königen vorbehaltene `Wir´, nicht oft, aber diese Arroganz seitens eines niederen Beamten durfte er nicht dulden. Ein wahres Naturgesetzt der Diplomatie. Der Beamte honorierte dies, indem er endlich entfleuchte. Kaum war der Mann weg, betrat General Iroh das Zimmer. „Du meine Güte!", staunte er. „Was für ein Prunk." „Ja,", meinte sein Neffe trocken, „König Nuro hat recht nette Besenkammern." Iroh konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, als er sich an die spitze Bemerkung aus Tophs Brief erinnerte. „Zudem soll uns diese kleine Demonstration des Reichtums wohl einschüchtern." „Nun, Zuko, sie kennen Euch eben noch nicht." „Nein", seufzte der Feuerlord. „Offensichtlich nicht." Er wandte sich ab und rieb müde die Augen. Der Schlaf der letzten Nacht war nach nur drei Stunden seinem Albtraum zum Opfer gefallen. Verdammter Neumond! „Ihr habt nicht gut geschlafen." Scharfsichtiger Onkel Iroh. „Nicht besonders." Iroh warf seinem Neffen einen besorgten Blick zu. Manchmal - sehr selten - fragte er sich, ob er damals eventuell die falsche Entscheidung getroffen hatte. Vielleicht hätte er sich den Wünschen des Jungen beugen, und selbst Feuerlord werden sollen? War es denn wirklich sein Recht gewesen, Zuko in diese Position zu drängen? Die Antwort auf diese Frage war stets die selbe: Ja! Hier es ging nicht um persönliche Interessen oder Freiräume, sondern um das Wohl der Feuernation. Zuko akzeptierte dies auch, denn das Volk hatte, mit großer Mehrheit, ihn auf dem Thron sehen wollen. Nun gut, Iroh hatte bei dieser Meinungsbildung das ein oder andre Mal sanft die Hände im Spiel gehabt, aber er hatte eben gewusst, dass sein zäher, zielstrebiger Neffe genau das war, was das zerrissene Land brauchte. Und er hatte Recht behalten! Zuko hatte es tatsächlich geschafft, das Land und die Menschen wieder zu einen. Die unzähligen, zerstrittenen Parteien, die sich während des Krieges gebildet hatten und die Nation gespaltet hatten, hatten unter ihrem neuen Herrscher nach und nach Wege gefunden sich zu versöhnen. Das Volk verehrte ihn mittlerweile zutiefst. Und der Junge glaubte, er hätte kein Charisma. Ein Wermutstropfen verblieb jedoch in Irohs Freudenkelch. Der junge Feuerlord war zwar nun, da er seine Aufgabe und seinen Platz in der Welt gefunden hatte, zufriedener und ausgeglichener als man es dem unglücklichen, gehetzten Prinzen je zugetraut hätte, aber glücklich ... Glücklich war er nicht. Iroh konnte es beinahe täglich sehen, egal, wie sehr Zuko es zu verbergen suchte. Zum Beispiel, als er seine vier neugewonnenen Freunde nach der Krönung, nur wenige Monate nach Kriegsende, hatte verabschieden müssen. Endlos lange hatte er auf der Flugplattform gestanden und dem fliegenden Bison nachgesehen.  Allein. An seine Pflichten gebunden. Wieder einmal. Oder dieses alte, grüne Seidenband, das Zuko am Morgen nach seiner Verabredung mit diesem lebenssprühenden Mädchen vom Boden des Teehauses aufgelesen hatte? Immer wenn er es in scheinbar unbeobachteten Momenten hervorkramte, umgab ihn Einsamkeit wie eine Mauer.  Nein, der Junge war keinesfalls glücklich und Iroh hatte es satt, ihn so zu sehen. Zuko Tatzu hatte alles Recht der Welt auf sein Glück und sein Onkel würde es ihm verschaffen. Das Schicksal seines geliebten Neffen war in dieser der Stadt. Und mit etwas Geschick würde es seinen Lauf nehmen. „Du bist müde. Ich werde Fon schicken damit er Dir zur Hand geht." Wie immer, wenn ihm väterlich zumute war, erlaubte Iroh sich das vertraute `Du´. Vor allem, da er wusste, wie sehr es geschätzt wurde. Zuko drehte sich um, die Augen voll milden Spotts. „Das wird nicht nötig sein, Onkel. Ich bringe mich nun schon seit einigen Jahren erfolgreich selbst zu Bett." „Gut. Wie Ihr wünscht! Aber wenn Fon morgen wegen einem Haufen zerknüllter Kleider einen Anfall kriegt, kommt bitte nicht zu mir gerannt!" Zuko verdrehte die Augen. „Gute Nacht, Onkel!" „Gute Nacht, mein Junge." Als er allein war machte Zuko sich wie immer daran bequeme, schlichte Kleidung anzulegen und sein Haar in die bürgerlichere Form des Pferdeschwanzes zu binden. Eine kurze Meditation auf dem Balkon würde ihm sicher helfen, besser zu schlafen. Von hier konnte man beinahe ganz Ba Sing Se überblicken. Ein Meer an Lichtern. Manche flackernd, andere ruhig. Eine Wolke andersartiger, exotischer Aromen. Hatte er diesen Geruch wirklich als Gestank betrachtet, damals vor fünfeinhalb Jahren? Heute schien er ihn zu locken. Unaufhörlich. War er denn überhaupt müde? Eine halbe Stunde später pochte es heftig an der Tür zu General Irohs Unterkunft. „Herein!" Fon betrat betreten den Raum. „Er ist weg!" „Wer, Fon? Du musst mich schon erleuchten." „Dein Neffe, Hoheit." Iroh seufzte. Fon war bestimmt der einzige Mensch, der es schaffte den offiziellen Titel eines Mitglieds des Fürstenhauses mit einem `Du´ zu kombinieren.  „Weg? So richtig?" Fon schnalzte mit der Zunge. Iroh beschloss, sich die Sache anzusehen. Die Sache erwies sich als ein von der Balkonbrüstung baumelndes Seil. Iroh sah in die Tiefe. „Tja, er scheint wirklich fort zu sein." „Und was ist damit, dass ich eigentlich auf ihn aufpassen soll, Hoheit?" „Nun, sieht so aus, als sei er Dir entwischt, mein Freund." Er legte seinem alten Waffenbruder die Hand auf die Schulter. „Lass uns Tee trinken gehen!" Zuko streifte durch Ba Sing Se. Fasziniert, erstaunt und neugierig.  Die Stadt war schon immer geschäftig gewesen, aber seit Frieden herrschte, war sie es in einem nahezu überwältigenden Ausmass. Trotz der späten Stunde lag überall Summen und Lärmen in der Luft. Inmitten dieses Trubels schritt ruhig der Feuergesalbte und sog die Eindrücke in sich auf. Waren die Lampions über den Gassen schon damals so bunt gewesen? Die Marktstände, von denen die meisten noch geöffnet waren, boten eine schwindelerregende Auswahl an Naschwerk, Kuriositäten und Plunder an. Einen marmeladegefüllten Krapfen und Zwei Feuerrollen später (die Dinger waren unsagbar fade gewesen), besah sich Zuko eine Gruppe Artisten, deren menschliche Pyramide bedenklich nach Sake roch, und noch bedenklicher wankte. Er ertappte sich dabei, dass er, wie alle anderen auch, nur darauf wartete, dieses Kunstwerk zusammenbrechen zu sehen. Die `Gasse der Freuden´, die er danach wider besseren Wissens erforschte, erwies sich als so ziemlich das trostloseste, was die Stadt zu bieten hatte. Die hier vorherrschenden Düfte stammten ganz bestimmt nicht von Veilchen. Zwei Rempeleien klüger, beschloss Zuko, die Erkundung dieses Gebiets zu beenden, als plötzlich seine Nackenhaare in Aktion traten. Was denn nun? Hinter seinem Rücken huschte ein kleiner Schatten vorbei. Der Bengel hatte doch nicht ernsthaft vor ..? Geschickte, kleine Finger machten sich schon auf den Weg zu seiner Börse. Erschrocken quiekte Takeru auf. Obwohl er das bestimmt nicht sollte! Ein harte, unbarmherzige Hand hatten sein Handgelenk gepackt. Er sah auf, direkt in die Augen des Teufels, die flammendes Unheil verkündeten. Seine Oma hatte ihn ja gewarnt, nicht zu klauen. Aber sie hustete seit Tagen ganz erbärmlich und er? Er hatte einfach immer Hunger ... Takeru hörte, wie er schrie, fand das im Angesicht des drohenden Todes aber gar nicht mal so feige von sich. Der Teufel hatte eine schreckliche, verzerrte Fratze, und Höllenfeuer im Blick. Genauso, wie die Leute es erzählten. Der Knirps wimmerte und schloss die Augen. Dann konnte er sie hören, die Stimme. Sie redete auf ihn ein. Bestimmt war das sein Schutzengel, der nicht zulassen durfte, dass der Teufel seine Seele bekam. „Beruhige Dich doch endlich. Dir geschieht nichts! Das verspreche ich." Das war richtig nett, von dem Engel. „Ich werd Dir nichts tun."  Hä? Na klar würde der Engel ihm nichts tun. Dazu war er ja schließlich Engel, das war sein Job. Es war der Teufel, vor dem Takeru Angst hatte. „Jetzt mach die Augen auf." Der Engel hatte wirklich eine sehr schöne Stimme, also tat man ihm den Gefallen. Takeru schrie erneut auf und presste die Augen fest zusammen, denn der Teufel war noch immer da. Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte sich der kleine Junge vollkommene Dunkelheit, statt dieses matten Lichtkegels, indem er den Höllendämon deutlich sehen konnte. „Ich sagte doch, dass ich Dir nichts tun würde." Durften Engel eigentlich ungeduldig klingen? Takeru war sich nicht sicher, immerhin war das hier sein erster. „Mach das Licht aus, dann muss ich den Teufel nicht mehr sehen!", stieß er mit zitternder Stimme aus. Zuko begriff das Dilemma des Kleinen und löschte ein Feuer, das unweit in einem alten Fass brannte. Ein weiterer Zwischenfall, für den er sich bei seinem Vater bedanken konnte. Dieses Kind hatte schreckliche Angst vor ihm. „So. Es ist aus. Du bist in Sicherheit. Hier ist auch kein Teufel." „Ja?" Das klang recht kläglich. „Bestimmt?" „Bestimmt. Niemand wird Dir etwas tun. Und jetzt mach die Augen auf, es ist dunkel." Das stimmte, der Engel hatte nicht gelogen.  Und statt des Teufels kniete dort jetzt der verschwommene, dunkle Umriss eines Menschen. „Siehst Du. Alles in Ordnung", sagte der Mann ruhig. Takeru riss die Augen auf. Das war die Stimme des Engels! „Bist Du der Engel?" Zuko begriff nicht ganz. „Nein, ich bin nur der, dem Du die Börse stibitzen wolltest." „Der Teufel?", quietschte das Kind. „Nein, auch nicht der Teufel. Ich bin ein ganz normaler Mensch. Du hattest nur Angst vor meiner Narbe." „Du hast eine Narbe? Gao hat auch eine!" Das klang bewundernd. Offensichtlich war dieser Gao ja ein richtig toller Kerl. „Ja? Aber bestimmt keine so große und hässliche wie ich." „Gibst Du immer so an?"  Zuko merkte, dass er tatsächlich Mühe hatte, sich das Lachen zu verkneifen. Angeben? Mit einer Narbe? „Äh, nicht immer." „Ich hab vor gar nix Angst!" Ach, und wer war jetzt der Angeber, hm? „So tapfer bist Du?" „... ja. Manchmal." „Dann kann ich ja jetzt wieder etwas Licht machen, was meinst Du?" „Mmm ... Na gut! Vielleicht ein bisschen." Zuko erzeugte Licht, nur ein wenig, an den Fingerspitzen. Er achtete darauf, nur seine rechte Gesichtshälfte zu erleuchten. „So, das ist besser, oder?" Das Kind nickte. „Wie alt bist Du?" „Wo ist denn nun die Narbe?", konterte der Bengel mit einer Gegenfrage. „Ich will sie sehen!" „Aber eben hattest Du noch Angst davor." „Quatsch!" Zuko wagte es, das Licht frontaler auf sein Gesicht fallen zu lassen. „Oh Mann!" Das klang nur noch ein ganz klein wenig ängstlich. Gut. „Die ist..." Kurzes Schlucken „Ziemlich groß." Zuko nickte. „Ja, das ist sie leider." „Machst Du heller?", fragte Takeru, der sich kein bisschen wunderte, dass der Große Licht machen konnte.  Engel konnten so was. Jetzt fiel das Licht vollständig auf Zukos Gesicht. Würde der Junge wieder anfangen zu brüllen? „Die ist ja ganz rot! Und warum ist Dein Auge so komisch?" Er fragte nur vorsichtshalber, falls das doch der Teufel war ... „Das Auge ist verformt, weil die Haut dort dicker ist.“ „Dicker?“ „Ja. Ähnlich wie Leder." „Ach so. Und warum hast du goldene Augen?" Man konnte ja nie sicher sein, wenn´s um Engelsteufel ging. Leises Lachen war zu hören. „Warum hast Du denn ... äh ... silbergraue?" „Weiß nich. Die hab ich von meinem Papa, sagt Mama. Dann heult sie immer. Hast Du Deine auch von Deinem Papa?" „Ja. Leider." Jetzt klang der Große seltsam. Plötzlich erinnerte sich Takeru an etwas. „Ich wollte Dich nicht beklauen. Ehrlich!" „Ach nein?" „Nein!" Irgendwie klang das unendlich aufrichtig. „Wie alt bist Du denn jetzt?" „Vier! Aber gar nich mehr lang bis fümpf!" „Bald fünf, soso." Der Mann stand auf - der war ja vielleicht riesig! - und streckte die Hand aus. „Dann werd ich Dich mal nach Hause bringen." „Du willst mich verpetzten!!" Der Miniatur-Taschendieb klang vorwurfsvoll. „Nein.Und jetzt lass uns gehn." Takeru ging lieber mit, denn jetzt klang der Riese wie Fräulein Mai Pe, wenn sie kurz davor war den Teppichklopfer zu holen. Auf dem Weg zum Zuhause des Knirpses sammelte Zuko alle relevanten Daten. Seinen Vater kannte der Junge nicht, doch es handelte sich trotzdem um den zweifelsfrei besten Papa des gesamten Erdenrunds.  Die Großmutter war schlimm krank, aber Takeru wohnte bei ihr, weil seine Mutter in der `stinkigen, ekligen Kohlemine´ arbeiten musste, um die Familie mehr schlecht als recht über Wasser zu halten. Ein Nachbar hatte dem Jungen beigebracht, wie man fremde Taschen leer räumte. Außerdem mochte das Kind weder Brotsuppe, noch Trockenfisch und liebte Pfirsiche. An einer fast auseinander fallenden Bretterbude hielt der Junge schließlich an. „Hier?“, fragte Seine Lordschaft und versuchte seinen Widerwillen zu verbergen. Er hatte schon Mülltonnen gesehen, die wohnlicher wirkten, als dieses verkommene Loch. „Ja.“ Zuko in die Hocke. Mal sehen, ob Master Langfinger seine Anweisungen verstanden hatte. „Also gut. Was passiert morgen?" „Morgen schickst Du wen!"   „Mhm."   „Der hat Arbeit für Mama! Bessere als in diesem Stinkeloch. Nämlich bei Dir!"   „Ja."   „Und für Oma Meduzin!"  „Medizin", berichtigte die Flamme des Volkes penibel. „Sag ich doch!" „Und?" „Essen schickst Du auch." „Ja." „Auch Pfirsiche?" „Ganz besonders Pfirsiche! Und was war noch?" „Noch? Äh..." „Du wirst nicht mehr klauen!" „Das wollt ich doch auch gar nie!" Jetzt klang der Kleine sehr kläglich. „Ich weiss ja. Und jetzt gehst Du da rein und wirst schlafen." Das Kind nickte. „Bist Du denn jetzt ein Engel?" „Nein, ich bin nur Zuko." Wieder ein Nicken. „Kommst Du mal wieder?" Agni. Konnten alle Kinderaugen zu flehenden Tümpeln werden? „Falls Deine Mama bei uns arbeiten wird, sehe ich Dich dort." „Das macht sie bestimmt! Ich sag ihr auch, dass sie vor Dir keine Angst haben muss." „Das machst du?" „Ja!" „Das ist gut. Jetzt geh schlafen!" Da dieser Tonfall nicht die geringste Widerrede duldete, tat Takeru genau das. Als der Dreikäsehoch endlich wieder sicher zu Hause bei seiner Oma war, konnte Zuko seine Erkundungstour fortsetzten. Sich wieder von der Strömung erfassen lassend, schlug er auf seinem Weg unzählige verlockende Angebote, vom fliegenden Teppich (`Der is aber fast neu, Herr!´) bis hin zur körperlichen Liebe (`Komm schon! Heut ist auch Extra-Bonustag, mein Süßer!´) dankend aus. Schaudernd versuchte er, nicht weiter darüber nachzudenken, was der Extra-Bonus wohl gewesen wäre. Die wahllose Aneinanderreihung von Gassen und Strassen führte ihn bald in ein weniger geschäftiges Viertel der Stadt. Ein Viertel, das er kannte. Recht gut, sogar.  Er stand vor einer Suppenküche. Eigentlich sollte hier ein Teehaus stehen ... Das war also das Ziel seiner Reise gewesen. Der Siebzehnjährige Kotzbrocken, der immer noch glaubte, Wohnrecht im fürstlichen Gehirn zu haben, beglückwünschte ihn zu seinem Scharfsinn! Dann trat Zuko II über die Schwelle der Vergangenheit und betrat den Ort seiner früheren Schande. Kapitel 9: Zeitreise -------------------- Im Türrahmen stehend sah Zuko sich um. So Vieles hatte sich verändert. So Vieles war gleich. Das betagte Teehaus war zwar ein wenig schäbig gewesen, aber niemals ungepflegt. Dem Geruch nach, der jetzt in seine Nüstern stieg, traf dies auf die Suppenküche nicht mehr ganz zu; sie glich eher einer Spelunke, als einem Lokal. Sich vorzustellen, wie SIE hier ... Sein Blick glitt unweigerlich zu dem kleinen Tisch, links vom Eingang. Nein, der Duft von Orangenblüten wäre hier fehl am Platz! „Hey, Langer, was dagegen, der Menschheit ein wenig aus dem Weg zu gehn?" Zuko starrte verständnislos auf den Mann hinab. „Ja, Du! Park Dein Gerippe woanders, Lulatsch!" Zuko blinzelte. „Also echt! Mittlerweile lassen sie hier auch jeden rein!", brummte der Moppsige und rempelte den Gebieter der Flammen aus dem Weg. Dieser, in jeder anderen Situation äusserst tollkühne Akt der Impertinenz wurde ignoriert. Zuko betrachtete die Szene vor sich, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Eine andere hatte sich vor sein inneres Auge geschoben. Das war er also? Der Ort seiner größten Erniedrigung? Seltsam, jetzt, da er hier war, löste sich die ehemalige Schmach mit einem Mal auf, um anderen Erinnerungen Platz zu machen. An die alte Dame, die ihm manchmal Pasteten mitgebracht hatte.  An das Ehepaar, das seit Zwanzig Jahren jeden Tag seinen Nachmittagstee hier eingenommen hatte. An ein junges Mädchen mit Jadeaugen ... Und er sah sich selbst, als Siebzehnjährigen. Rückblickend konnte er sein früheres Ich kaum begreifen. Dieses undurchdringliche Dickicht aus Wut, Hochmut, Stolz, Verletztheit und Einsamkeit. Die blinde Wut von damals war fort. Heute hatte er Gründe, wenn er wütete. Meistens jedenfalls! Der Hochmut war neuen Aufgaben und vor allem neuen Freunden gewichen. Und der Stolz? Er war noch da, hatte nun aber einen völlig anderen Ursprung. Hatte er ihn damals als Schild benutzt, hinter dem er verzweifelt die eigene Unzulänglichkeit zu verbergen trachtete, so entsprang er heute der Erkenntnis, dass er ebendiese Unzulänglichkeit überwinden konnte. Zuko wusste, wer er war. Weder Umstände noch Orte, sei es nun ein Palast oder eine Suppenküche, konnten daran etwas ändern. Er war Zuko Tatzu, ein kämpferischer, zäher, eigenwilliger Bastard, mit Gerechtigkeitssinn und Opferbereitschaft. Dies war der Kern seines Wesens. War es immer gewesen. Dieser Drache in ihm, den er so oft verflucht hatte, weil er ihn weiter und weiter getrieben hatte, über jedes Maß hinaus, nie zur Ruhe kommend, bevor ein Ziel erreicht war. Der Drache. Die Essenz seiner Seele. Mit einem Mal konnte der Teil von ihm, der versucht hatte sein altes Selbst zu verleugnen, diesen Siebzehnjährigen verstehen. Er konnte ihm vergeben. Vergab ihm die vertanen Chancen, die verweigerten Freunde und die Einsamkeit. Die Einsamkeit! Auch sie hatte sich verändert.  Damals war es der eigene Wille gewesen, der ihn einsam gemacht hatte. Heute waren es unzählige Pflichten. Schmerzhaft war sie dennoch. Doch es gab eine Person, die immer da gewesen war, um ihm in der Einsamkeit beizustehen. Eine Person, die sie gelindert hatte: Seinen Onkel. Zuko schluckte. Hatte er es ihm je gesagt? Eher nicht.  Dann musste er dies wohl nachholen, denn dem sentimentalen alten Kerl würde das mit Sicherheit gefallen. „Hey! Willst Du jetzt was Essen, oder nur meinen Fussboden abnutzen?" Zuko warf dem Sprecher aus frostiger Höhe einen Blick zu. Suppenküchen schienen wirklich der beste Nähboden für impertinente Individuen zu sein. „Essen?", fragte er eisig. „Hier?" Er schauderte leicht. Der Wirt schniefte und wartete. Zuko, der Erhabene, öffnete den Mund. „Ja, warum nicht?" Krankhafte Neugier konnte er von nun an also auch zu seinen Schwächen zählen? Na wunderbar! Der ungepflegte Kerl schlurfte voraus. „Da is was frei!" Ah, Tisch 9! Zuko setzte sich. Tisch 9 neigte immer noch zur Schieflage. Er hob die Tischplatte an und richtete mit einem gezielten Tritt das Tischbein wieder aus. Perfekt. Tisch 9 war immer noch durchschaubar. Der Wirt warf ihm einen seltsamen Blick zu. „Hast schon gewählt?" Sah er so aus, als hätte er die Karte schon bekommen? „Welches ist die schärfste Suppe auf der Karte?" „Des Kaisers siebte Hölle!"  Wie ... passend. „Hervorragend. Die nehme ich." „Was? Die HÖLLE?" „Ja, und sagen Sie dem Koch bitte, er soll noch eingelegten Sonnenpfeffer hineingeben!" „Was solln das werdn? Ne Mutprobe?" „Eine Suppe, will ich doch sehr hoffen!" In eingeweihten Kreisen hätte die gezückte Augenbraue als eindeutige Warnung gegolten. „Hmpf! Sin ja Deine Eingeweide!" Fünf Minuten später wurde eine dampfende Schale vor Zuko abgestellt. Er war gerade im Begriff, sie an den Mund zu führen, als er den starrenden Blick des Lokalbesitzers bemerkte. Und nicht nur seinen. Den des Kochs, der Küchenjungen und aller anwesenden Gäste. Die Augenbraue kam versuchsweise wieder zum Einsatz, jedoch ohne Erfolg. Die Leute starrten ungeniert weiter. Von weiter hinten kam die Stimme einer alten Frau. „Hat der Bekloppte seine Suppe schon probiert?" Ein grobschlächtiger Kerl aus Reihe eins brüllte zurück. „Nein! Oder hörst Du schon Würgen oder Keuchen?" Zuko ließ seinen Blick über die Menge schweifen. Der erhabene Diener der Sonne war es nicht gewohnt, zur Volksbelustigung beizutragen. Na ja, wenn man von Krönungen, Sonnwend-Reden und der Einweihung einiger Tempel einmal absah. Aber ein unerkannter Feuerlord muss tun, was ein unerkannter Feuerlord tun muss! Er begann zu essen. Das Publikum holte kollektiv Luft. Er ass weiter. Kollektives Luftanhalten. Die Suppe war gar nicht so schlecht, wie die vorherrschenden Gerüche hätten vermuten lassen. Kollektives Starren. Wirklich, gar nicht so schlecht, außer ... Zuko setzte Schale und Stäbchen ab. Kollektive Erwartung! „Ob ich wohl noch etwas Pfeffer haben könnte?" Stille. Zuko runzelte die Stirn. Hatte der Wirt ihn nicht gehört? „Da brat mir doch einer nen Kranich!", hauchte der Grobschlächtige aus Reihe eins. „Das Jüngelchen schwitzt noch nicht mal!" Eine halbe Stunde später trat das Jüngelchen wieder auf die Strasse. Zuko holte tief Luft. Er wusste, wo er nun hingehen würde. Sollte er es wirklich tun? Oder hatte er heute Abend schon genug selbstquälerische Erinnerungen ausgegraben? Wem versuchte er etwas vorzumachen? Er würde so oder so dort landen. Wenn nicht heute, dann morgen. Es war nur drei Häuserecken entfernt. Drei Häuserecken und fünfeinhalb Jahre. Drei Häuserecken, fünfeinhalb Jahre und ein komplettes Leben, wie es schien. Sie würde ohnehin nicht mehr dort wohnen! Wahrscheinlich wohnte sie nicht einmal mehr in der Stadt. Jeder seiner Schritte war langsamer, als der vorangegangene, bis Zuko schließlich an einer Strassenecke stand. Dort, schräg gegenüber stand ein kleines, niedriges Haus.  Wie schon früher baumelten vom Dach des Hauses bunte Lampions, hing Wäsche an den Fenstern. Flache Stufen führten auf eine schmale Veranda mit zwei Eingangstüren. Die Linke! Es war die Linke gewesen.  Zuko gestattete sich Äonen des Selbstmittleids. Er starrte die Tür an, bis sich ihre Konturen in seine Netzhaut gebrannt hatten. Bei Agni, er hätte nicht herkommen sollen! Doch nun konnte er sich einfach nicht mehr dazu zwingen, zu gehen. Auch nicht, als ein großer orangefarbener Kater die Stufen hinaufrannte, um vor der Tür ein entsetzlich theatralisches Geheul zu veranstalten. Ein paar Augenblicke später wurde die Tür aufgeschoben, um den tierischen Bewohner einzulassen. Zukos Hand krampfte sich um den Holzpfosten, auf dem sie gelegen hatte. NEIN! Eine junge Frau bückte sich, um die Katze, die um ihre Knöchel streifte zu streicheln. Ein langer, kaffeebrauner Zopf fiel über ihre Schulter. Das konnte nicht sein! „Hallo Ratte!" Das konnte nicht SIE sein!  „Auch mal wieder da, Du Flohsack?" Unter Zukos Hand drang Qualm hervor.  „Ja doch, Du kriegst ja was zu fressen ..." Ihre Stimme war geschmolzene Schokolade, in die er seine Finger tauchen wollte. Qualm stieg Zuko in die Nase und er nahm hastig die Hand vom Holz. Die Tür schloss sich wieder. Reglos stand er da. Wie konnte das sein? Nach dieser langen Zeit? Es waren fast sechs Jahre vergangen, seit er diese Tür zuletzt gesehen hatte. Wieder und wieder war er damals hergekommen, um sie belauern. Sie hatte einst zwei Welten getrennt. Jin schaufelte Futter in Rattes Napf. Er hatte mal wieder Glück gehabt. Sie hatte grade zu Bett gehen wollen, als er gemaunzt hatte. Geistesabwesend strich sie über sein weiches Fell und fragte sich, wie es wohl wäre, nur Katzengedanken im Kopf zu haben. Keine Sorgen zu haben, außer Fressen, Rennen, Spielen, Revierkämpfen und Schlafen. Sie sollte wirklich ins Bett! Die Hoffnung auf richtigen Schlaf hatte sie zwar nicht, aber man konnte ja nie wissen. Langsam schlurfte Jin zum Bett und löste die Verschlüsse ihres Oberkleids.  Bevor sie es ablegte nahm sie ein kleines Schildchen aus der Tasche, strich mit den Fingern zärtlich darüber und legte es dann vorsichtig auf ihren Nachttisch. Hätte Sela gewusst, dass sie diesen Coupon, seit er wieder aufgetaucht war mit sich herumschleppte, hätte sie mit Sicherheit einen Holzhammer geholt, um ihren Dachschaden zu beheben! Jins schlechtes Gewissen hielt sich allerdings in Grenzen. Sie hatte anfangs auch gedacht, es wäre besser, den Coupon so schnell wie möglich loszuwerden. Aber irgendwie hatte er etwas tröstliches, warmes.  Er erinnerte sie an Lees Blick, kurz bevor er ihr das Ding gegeben hatte.  Der Moment, in dem sie gedacht hatte, der Drachenjunge könnte vielleicht das Gleiche fühlen wie sie. Damals hatte sie versucht es abzustreiten, aber sie war hoffnungslos, kopflos und zur Gänze verliebt gewesen. Sie hatte gedacht, sie hätte dieses Gefühl mit den Jahren überwunden, aber jedes Mal, wenn sie an ihn dachte, war da dieser Knoten in ihrem Inneren, der sich nicht lösen ließ. Doch, nicht an ihn zu denken fühlte sich noch tausendmal leerer und hohler an, als ihr Unglück. Unglücklich zu sein bedeutete wenigstens, etwas zu fühlen. Zuviel zu fühlen! Bevor sie das Licht löschte, strich Jin noch einmal zärtlich über den verhassten Schatz, den sie vor einem Monat zurückgewonnen hatte. „Schlaf gut, Drache!", flüsterte sie ins Dunkel. Kapitel 10: Alte Freunde, alte Flammen -------------------------------------- Im vollen Staatsornat stand Feuerlord Zuko im Büro des dritten Sekretärs von Wong Shu, Minister für innere Angelegenheiten minderer Priorität. Seit nunmehr acht Minuten lauschte er den ergreifend weitläufigen Gründen, die den überaus ehrenwerten Wong davon abhielten, ihn persönlich zu empfangen. Zuko, der am Fenster stand und auf die Stadt hinunter blickte, hörte nur mit halben Ohr zu, vergass dabei aber keines Falls, in angemessenen Abständen zu nicken. Den ganzen Tag schon hatte er sich solche oder ähnliche Reden angehört, ohne den frustrierten Beamten den Triumph zu gönnen, auch nur ein Quäntchen seiner unerschöpflichen Geduld zu verlieren. Er war ein Muster an Duldsamkeit und Gelassenheit.  Die Erdbändiger boten ihm genau das Schauspiel, das er von Anfang an erwartet hatte, und ihnen dies deutlich zu machen, bereitete ihm ungemeines Vergnügen. Nun, allerdings wurde es Zeit, die Sache zu verkürzen. Private Belange erforderten nämlich die Aufmerksamkeit eines überaus ehrenwerten Feuerspuckers. „Ich verstehe", sagte Zuko, ruhig den Redefluss des Sekretärs unterbrechend. „Wie überaus bedauerlich. Ich hoffe nur, Minister Wong hat trotz der Plötzlichkeit seiner Abreise keinerlei Unannehmlichkeiten zu beklagen. Bitte übermittelt ihm Unsere besten Grüsse!" „N ... natürlich Hoheit!" Der Sekretär war sprachlos. Der junge Herrscher war ganz und gar nicht das, was er erwartet hatte. Ihm war vor dieser Unterredung nicht ganz wohl gewesen. Um ehrlich zu sein, stand unter seinem Schreibtisch ein riesiger Eimer mit Wasser. Nur für den Fall, dass der Feuerbändiger die Beherrschung verlor. Aber tat er das? Weit gefehlt!  Statt eines hitzigen, aufbrausenden und lenkbaren Fürsten stand hier ein kühler, überlegter, unberechenbarer Taktiker. Die Sache würde schwerer werden als Minister Wong behauptet hatte, soviel stand fest. „Und nun", murmelte Seine Lordschaft. „Werdet Ihr mich sicher entschuldigen!" Sprach´s, und schritt von dannen. Wong Shus Sekretär blinzelte. Er wurde das Gefühl nicht los, der Spiess sei eben umgedreht worden. War gerade er derjenige gewesen, den man hingehalten hatte? Zuko platzte ins Zimmer. „Ist sie schon da?" Die Frage galt seinem Onkel und Fon, die es sich beim Pai Cho gemütlich gemacht hatten. „Wer, oh Stürmischer?", erkundigte Iroh sich mit hochgezogenen Brauen. Doch sein Neffe hörte gar nicht zu, sonder entledigte sich in fliegender Hast des Odoros. Fon konnte in letzter Sekunde verhindern, dass die Robe auf dem Boden landete. Also wirklich! „Wen erwartet Ihr denn?" Ein erneuter Versuch des Generals, seine Neugier zu stillen. „Fon, wurde der Bote mit Essen und Medizin heute morgen losgeschickt?" „Selbstverständlich, Herr!" „Gut! Und die Botschaft für die Mutter des Kleinen?" „Ebenfalls, Herr!" „Zuko! Seit wann, glaubt Ihr, Ihr könntet Euren ältesten Verwandten ignorieren?", verlangte Iroh zu wissen.. „Würdest Du bitte noch ein paar Erfrischungen für unseren Gast besorgen, Fon?" Der Diener nickte ergebenst. Nun endlich richtete sich Zuko an seinen Onkel. „Es wird eine Überraschung." „Ach was? Wer hätte DAS gedacht?“ „Onkel ...“ In diesem Moment klopfte es. Nach angemessener Zeit öffnete sich die Tür. Ein Diener trat ein, verbeugte sich kurz, um dann mit leiernder Stimme einen Gast anzukündigen. „Die überaus ehrwürdige ..." „Hey, bin ich das, oder riecht´s hier verkokelt?" „...EHRwürdige To..." Der Bedienstete wurde mit einer Hand weggewedelt. „Schon gut! Alle anwesenden Feuerspucker kennen mich!" Die junge Dame, die hereinspaziert war, drehte sich nun ins Zimmer, ein breites Grinsen auf dem Gesicht, die Arme weit geöffnet. „Lass Dir ein paar Rippen brechen, Prinnylein! Oder bist Du schon zu verweichlicht, seit Du Deinen Hintern auf diesem Gold-Thron plattdrückst?" „Toph!" Mit diesem freudigen Ausruf eilte Feuerspucker-Prinny auf seine Herausforderin zu und umarmte sie heftig. „Zuzu!... Uff! Hey ... ich krieg keine Luft ..." Die Umarmung wurde gelockert. „Pass gefälligst mit Deinen Muckis auf! Ich glaub, Du hast sie nicht mehr unter Kontrolle, seit sie sich noch weiter vermehrt haben." Tophs Hand kam nach Oben, auf die Höhe, wo bei ihrer letzten Begegnung sein Scheitel gewesen war, und ertastete nur ein breites Lächeln. „Hast Du Stelzen an den Füssen?" „Nein." „Absätze?" „Nein." „Du stehst auf Deinem Onkel!" „Nein." Ihre Hand kam wieder nach unten. „Mann! Du quatschst einen immer noch über den Haufen, was?" „Ja, es ist auch schön Dich wieder zu sehen!" „Vielleicht ist das das Problem ... Ich SEH Dich nicht!" „Zuko! Warum habt Ihr uns nicht gesagt, dass wir einen so hoch geschätzten Gast erwarten?" Iroh war neben die beiden getreten. „General Iroh!" Toph umarmte den alten Mann liebevoll. „Warum bekommt er eigentlich keine Kosenamen von Dir?", wollte Zuko mit verschränkten Armen wissen. „Weil er eine Respektsperson ist, Weichbirne!", sagte Fräulein Bei Fong zur Flamme der Welt. „Nun Neffe, diese junge Dame weiss eben, was dem Alter gebührt." „Tsts, das wüsst ich aber, Onkelchen!" „Ja. Ich seh schon, Onkel!" Iroh beschloss, diese Ungebührlichkeiten einfach zu ignorieren und genoss die offensichtliche Freude seines Neffen, seine beste Freundin wieder einmal bei sich zu haben. Der Junge schien schon den ganzen Tag eine unüberwindbar gute und ausgeglichene Laune zu haben. Er hatte sogar Sätze wie "Ich hab so gut geschlafen, wie schon lange nicht mehr!" von sich gegeben. Ohne Aufforderung. Freiwillig! Nun der Besuch von Toph könnte natürlich eine Erklärung dafür sein. Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass der Herr erst weit nach Mitternacht wieder im Palast aufgetaucht war? Iroh hatte so eine leise Ahnung, was Zuko in die Stadt gezogen hatte. Ja, alles lief ganz prächtig! Nach zwei Stunden, in denen Neuigkeiten, Grüsse und Sticheleien ausgetauscht worden waren, wurde Zuko unruhig. Er freute sich unbändig, Toph wieder zu sehen, aber seit gestern Nacht gab es etwas, dass ihn  weit mehr beschäftigte.  Verdammt! Er musste das Mädchen sehen! Vielleicht war sie ja gar nicht mehr frei, auch wenn es so ausgesehen hatte, als lebe sie allein. In Gedanken sah er eine Armada von Verehrern an ihrer Tür kratzen.  Schließlich konnte er kaum der einzige sein, der diese Frau haben wollte ... Er sah aus den großen Fenstern hinaus auf die Stadt. Sein Plan war ebenfalls noch nicht ausgereift. Er wusste nur, dass er langsam vorgehen musste!  Zu oft schon hatten Menschen nichts mehr von ihm wissen wollen, nachdem sie erfahren hatten wer er war. Der Sohn von Ozai, dem Vernichter. Er würde sie vorsichtig darauf vorbereiten müssen. Zuerst musste sie erfahren, dass er kein Untertan des Erdkönigreichs war. Dann würde er sie irgendwann in die Tatsache einweihen müssen, ein Feuerbändiger zu sein. Nun ja ... ein ziemlich mächtiger Feuerbändiger.  Nach ein paar weiteren Jahrzehnten wäre Jin dann vielleicht bereit für die Nachricht, dass sein Name nicht Lee, sondern Zuko war. Zuko, Fürst der gesamten, verdammten Feuernation. Sie würde ganz bestimmt Luftsprünge machen vor Freude, oh ja. FALLS sie noch frei war und FALLS sie ihn überhaupt noch wollte. Er war nicht gerade Prince Charming gewesen. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihm. „Sag mal, Aschehirn, warum bist Du denn so unruhig?"  Toph steckte sich noch einen der kleinen, exquisiten Kuchen, die auf dem einem Beistelltischchen neben ihr standen, in den Mund. „Haben Dich die Babysitter des Erdkönigs etwa schon weichgeklopft?" „Wenn die Hölle zufriert!", schnaubte Zuko. „Das ist mein Zuzulein!" Sie strahlte. Er schnalzte mit der Zunge. „Könntest Du mich vielleicht Kaminkopf oder Matschbirne nennen, statt Zuzu, oder Zuzulein?" Toph erinnerte sich. Seine Schwester hatte ihn immer so genannt. Offenbar ein zu wunder Punkt. „`Tschuldige!", murmelte sie. „Schon gut."  „Und warum wibbelst Du nun ständig so rum?" „Ich, äh..." Es kam zwar oft vor, dass Zuko keine Worte verlor, aber nur selten, dass er danach suchte. „... hab noch was vor“, schloss er lahm. „Außer mir Kuchen zu servieren?", staunte Toph. „Ehrlich? Mann, ich bin geschockt!" „Ich weiss ja, es ist unhöflich ist, aber.." „Zuko!" Sie klatschte gegen seine Stirn. „Du wirst ja noch ein paar Tage hier sein. Genug Zeit, das nette Pläuschchen ein andermal fortzuführen. Außerdem kann ich mir dann jetzt Deine Asche- und Kohlesammlung ansehen, äh ... fühlen. Oder Deinem Onkel beim Kammblasen zuhören." „Danke, Toph! Ich bin sicher, er ist entzückt, endlich einen geduldigen Zuhörer zu finden." „In seinen Träumen! Jetzt hau schon ab!" Genau das tat er. Obwohl erst früher Abend war, war Jin unsagbar müde. Sie hatte in der letzten Nacht wieder nur sehr wenig geschlafen, aber das schien ja leider zu ihrem traurigen Markenzeichen zu werden. Sie beschloss, dass frische Luft nicht schaden konnte, nahm ihren Mantel und ging nach draußen. Die kommende Kühle der Nacht tat ihren brennenden Augen und Wangen gut. Sie schlenderte durch vertrauten Gassen, froh um die Ablenkung, die das bunte Treiben ihr bot. Warum hatte sie in letzter Zeit nur das dringende Bedürfnis all die Orte aufzusuchen, an denen sich ihre vermaledeiten Erinnerungen tummelten? Bis vor einem Monat war sie wenigstens noch klug genug gewesen, sie zu meiden. Zum Beispiel das Teehaus ... Die feinen Aromen des Tees waren soviel wundervoller gewesen, als die abgestandenen Gerüche, die jetzt hier herrschten. Oder das kleine Restaurant ... Wie unbehaglich er sich hier gefühlt hatte. Bestimmt hatte er krampfhaft überlegt, wie er `Kein Interesse, hab schon was anderes am laufen´ nett formulieren könnte. Danach war der kleine Marktplatz des Viertels dran. Der Platz, an dem sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Wie glücklich sie im ersten Augenblick gewesen war! Seit zwei Wochen war sie schon auf der Suche nach ihm gewesen. Sechs Tage nach dem unglückseligen Rendezvous hatte ihr vor Traurigkeit blockiertes Gehirn die Puzzleteile endlich zusammengesetzt. Lees abweisende Art, seine Brandnarbe, die Lüge über sein angebliches Leben als Zirkusartist, die innerhalb weniger Sekunden erhellten Kerzen am Brunnen, sein übereiltes Verschwinden, ja selbst seine seltsam goldenen Augen. Alles passte plötzlich ins Bild. Ihr Teekellner hatte ein Geheimnis zu verbergen. Und die Angst, sie könnte dahinter kommen, hatte in veranlasst, Hals über Kopf zu verschwinden. Ihr Drachenjunge war ein Feuerbändiger. Und zwar einer, der ganz offensichtlich auf der Flucht war. Wusste er denn nicht, wie egal ihr das war? Jin war sich darüber bewusst, dass es auf beiden Seiten dieses Krieges Opfer gab und er war eines davon, Feuerbändiger hin oder her. Hatte er gedacht, sie würde ihn fürchten? Oder noch schlimmer, die Polizei auf ihn hetzen? Bei dem Gedanken war ihr ganz schlecht geworden. Also war sie zum Teehaus gelaufen, um ihn zu sprechen. Aber weder er noch sein Onkel waren dort gewesen. Nur ein grantiger Besitzer, der sie angemault hatte, es sei ihm verflucht egal, wo die beiden untreuen Taugenichtse sich herumtrieben. Aber ihr war es nicht egal gewesen! Sie hatte ihn gesucht. Und dann, drei Wochen nach ihrer Verabredung hatte sie ihn hier gesehen. Auf diesem Platz. Zuerst hatte sie nur Augen für ihn gehabt, war freudig auf ihn zu gerannt. Als er sie sah, hatte Panik in seinen Augen gestanden. Wegen seines Geheimnisses. Natürlich! Er wusste ja nicht, dass es bei ihr in guten Händen war, dass sie ihn nie verraten würde, sie musste nur ... Dann war ihr Blick auf das Mädchen an seiner Seite gefallen.  Eine sehr, sehr schöne, junge Frau. Elegant, würdevoll, so ganz anders als sie selbst, mir ihrem schon wieder halb aufgelösten Zopf und den vielen Flecken auf dem Mantel. Lees Begleiterin hatte auf den ersten Blick gesehen, wie es um Jin bestellt war. Mit einem Lächeln voll honigsüßem Hohn hatte sie besitzergreifend nach seinem Arm gegriffen, um klar zu stellen, wessen Revier er war. Dann hatte sie eine Frage gestellt. Beissend und herablassend. „Nanu ... Wer ist denn Deine kleine Freundin hier?" „Ach ...“, hatte Lee ausweichend gemurmelt. „Nur eine Kundin." Mit diesen Worten hatte er die Scherben ihres Herzens in tausende winziger Nichtigkeiten zerfetzt. Jin nahm einen zitternden Atemzug, als sie ihre Gedanken wieder in die Gegenwart zwang. Warum? Warum nur trauerte sie ihm immer noch nach? Warum reichte diese letzte Grausamkeit von ihm nicht aus, sie ihn vergessen zu lassen? Mit gesenktem Kopf ging sie weiter. Wenigstens am Ende ihres Spaziergangs wollte sie noch eine schöne Erinnerung zurückholen. Der große Schatten, der Fräulein We auf den Fersen gewesen war, seit sie ihre Wohnung verlassen hatte, bewegte sich lautlos. Er hatte seine Beute im Visier. Bis er sie in den Fängen hatte, würde nichts ihn von ihrer Spur abbringen. Und er kannte ihr Ziel. Zeit zu handeln! Der Platz der hundert Kerzen war leer, wie meistens. Es gab in der Stadt genügend buntere und aufregendere Orte, an denen man sich die Zeit vertreiben konnte, so dass niemand mehr sich für diese kleine Oase interessierte. Die alte, vor Jahrzehnten noch überwältigende Pracht war ruhiger, schlichter Würde gewichen. Nichts konnte diese Würde stören. Auch nicht der dunkle Schemen, der am Rand des Platzes auftauchte. Mit einem schnellen Blick in die Runde vergewisserte sich Zuko, dass er allein war. Eine schnelle Geste entzündete sämtliche Lichter des großen Brunnens. Der Schauplatz war bereitet; seine Beute konnte kommen. Jin hielt verzückt die Luft an, als sie den Platz betrat. Warum brannten die Kerzen? Seit drei Jahren wurden sie nur noch an Festtagen entzündet. Und heute war keiner, da war sie sich ziemlich sicher. Langsam ging sie auf das Funkeln zu. Ah, wie hatte sie diesen Platz geliebt! Stundenlang hatte sie die schimmernden Reflexionen der Flammen im Wasser betrachtet. Den wundervollsten Augenblick ihrer Erinnerungen hatte sie hier erlebt. Ihre vorwitzige, unbelehrbare Hand holte den verhassten, und doch so unersetzlichen Coupon aus der Manteltasche. Genau hier hatte sie gestanden, als sie ihn bekommen hatte. Sie schloss die Augen und ließ ihr Herz ein Bild malen. Diesen einen, kostbaren Blick ... „Jin?" Jin beglückwünschte sich zur unglaublichen Realität ihrer Tagträume. Dann drehte sie sich langsam zu der Stimme um. Der Stimme aus Zedernrauch und Samt. Er stand am Rand des Lichtkegels, den die Kerzen bildeten, im Zwielicht. Nein. Er war es nicht! Die flackernde Silhouette war breiter. Viel größer. Auch die Stimme war tiefer, als in ihrer Erinnerung. Er war es nicht! Seine Bewegungen degradierten normales Gehen zur Farce. Sie waren wie Wasser, das über einen Kieselstein floss. Er kam auf sie zu! Er kam tatsächlich auf sie zu ... Jin stolperte einige Schritte rückwärts, nur um von dem verräterischen Brunnen gestoppt zu werden. Seine Augen waren noch immer wie geschmolzenes Gold, in dem sich tausende von Flammen spiegelten. Sie hielten sie ebenso fest, wie die Brunnenmauer an ihrer Hüfte es tat. Sein Gesicht hatte sich verändert. Immer noch stolz und ernst, war nun die letzte Weichheit der Jungend verflogen. Noch mehr Ecken und Kanten als damals machten es schroff und hart. Und über dem rechten Auge thronte noch immer die kühn geschwungene Rabenschwinge. `Such gefälligst nach etwas, das Dir an ihm NICHT gefällt, Missy!´ Hektisch tasteten Jins Augen ihn von Kopf bis Fuss ab. Aber da war nichts. An diesem ganzen, kraftstrotzenden Mannsbild gab es kein Zoll, das ihr missfallen hätte! Sträflich vernachlässigte Körperfunktionen meldeten sich zu Wort. Jins Lungen brannten, da die Sauerstoffzufuhr nicht mehr gewährleistet wurde, Ihr Puls jagte dem siedenden Blut hinterher und ihre nutzlosen Knie schienen der Meinung zu sein, dass ihr Körpergewicht vielleicht doch etwas zu viel sei und zitterten heftig. „Jin!" Plötzlich wollte sie nur noch niederknien und ihrem Schöpfer danken, dass ihre Eltern ihr diesen Namen gegeben hatten, den er so zu lieben schien. Seine Stimme bettete den Laut in Wärme und Weihrauch. Sein schöner Mund modulierte und liebkoste ihn. Himmel! Er war schon auf zwei Schritte herangekommen!  `Tu endlich etwas und lauf weg!´ Er streckte die Hand nach ihrem Gesicht aus und sämtliche inneren Stimmen verstummten. Ließen sie einfach so im Stich. Zuko konnte sein Glück kaum fassen. Sie lief nicht vor ihm davon; stand einfach da und sah in an. Bei Agni, sie sah ihn immer noch so an wie damals! Ihr Jadeblick schien seine Narbe, dies für jedermann sichtbare Zeichen seiner Unzulänglichkeit, einfach fort zu schmelzen. Der Drache in seinem Inneren, dieses unbändig stolze Geschöpf, spreizte sich und richtete sich auf, um sich von ihr betrachten zu lassen. Jenem wundervollen Wesen, dessen Augen ihm sagten, dass er schön war. Er hatte seine Gefährtin gefunden. Endlich. Nach all der Zeit! Er stand tatsächlich vor ihr. So nah, dass Jin den Kopf weit in den Nacken legen musste, um zu ihm aufzublicken. Kaum wahrnehmbar berührten seine Fingerspitzen ihr Gesicht, drückten mit Schmetterlingsflügeln Brandzeichen auf ihre Haut. Dann glitten die Finger weiter, umfassten sanft ihren Nacken, während sein Daumen auf ihrer Wange ruhte. Er neigt den Kopf. Oh Gott! Sie würde das hier nicht überleben! Ihr gehetzter Atem stieß heftig gegen seine Lippen, er flüsterte einen Namen gegen die ihren. „Jin..." `Er hat kein Recht, Dich zu küssen!´ Doch Jinny die Glückselige schmolz zu einem See der Verzückung zusammen. Es regnete Feuer, als sein Mund ganz sacht auf ihrem lag, die zögerliche Sanftheit von damals imitierend. Eine Frage stellend, die von ihrem leisen Seufzen beantwortet wurde. Statt den Druck zu verstärken strich er nur unendlich sanft über ihre Lippen, bis sie kribbelten und summten, sich in Erwartung auflösten. Jin wollte mehr! Das gebrochene Ächzen, das ihr entfuhr, hörte sie nicht. Er schon. Zuko hatte sämtliche Erfahrungen, die er im Lauf der Jahre über die Reaktionen weiblicher Körper gesammelt hatte, genommen und in diesen Kuss gelegt. Er durfte sie nicht erschrecken, musste vorsichtig vorgehen. Doch dann kamen diese leisen, atemlosen Laute aus ihrer Kehle, zerrten seine Gier ans Licht und jagten seine Selbstbeherrschung zum Teufel. Seine Lippen öffneten sanft die ihren, zupften, knabberten, übten köstlichen Druck aus ... Bis Jin We auf das naturgegebene Hoheitsrecht über ihre Lippen verzichtete und ihm ihren Mund überließ, völlig hilflos gegen die zärtliche Inbesitznahme. Die Welt, ihre vor Jahren zerbrochene Welt, löste sich auf, zerschmolz in einem kaleidoskopartigen Wirbel, um dann als Ganzes wieder an ihren alten Platz zu rücken. Strahlender, schöner und vollkommener, als sie je gewesen war. Sein Atem erfüllte ihren Mund, so dass sie den eigenen nicht mehr brauchte. Die Spitze seiner Zunge kostete ihre Lippen und deren Konturen. Fordernde Arme zogen sie dicht an die unnachgiebige Wärme seines Körpers; ihren einzigen Halt, außer dem Stoff seines Übermantels, in den ihre Finger sich verkrallt hatten. Dann begnügte er sich nicht mehr mit neckenden Liebkosungen. Sein Mund plünderte die Weichheit ihrer Lippen, seine raue Zunge eroberte die Süsse ihres Mundes und seine Hände stahlen ihre Vernunft. Er hüllte sie in Sturm und Feuer, machte aus ihr ein Meer der Sehnsucht. Von Kopf bis Fuss presste er sie an sich. Jins Finger verfingen sich in seinem Haar, zogen es beinahe aus der strengen Ordnung seines Zopfes. War das ihr Mund, der ihn so schamlos widerküsste? Ihr Körper, der sich an ihn drängte? Ihre Arme, die ihn für sich forderten? Himmel! Lass ihn nicht aufhören. Lass ihn nie wieder aufhören! Als Zuko verräterische Tränen unter seinem Daumen spürte, beendete er den Kuss. Nie hatte er sich zu etwas mehr überwinden müssen. „Jin?" Sie ertrank beinahe in diesem Gold.  Drachenaugen. Verräterische Drachenaugen! Schöne, lügnerische Drachenaugen! Jin blinzelte. So dumm konnte sie doch nicht sein, oder? Er hatte es irgendwie geschafft, die Hierarchie in ihrem Körper umzukehren. Ihr Kopf hatte nicht weiter das Kommando. Schön. War ihr Kopf eben ausgeschaltet. Ihre Gefühle waren es nicht! Also nahm Jin die einzige Waffe, die ihr noch blieb: Ihre Wut. Allerdings war die nicht stärker als seine Arme. „Lass los!", zischte sie erbost. „Jin, ich..." „Sofort! Du lässt mich jetzt SOFORT los!" Zukos Erfahrungen mit schreienden Frauen sagten ihm, dass er es in Erwägung ziehen sollte, genau das zu tun. Wiederwillig ließ er sie frei. `Dummer Fehler, Missy. Deine Knie sind immer noch wie Gelee!´ Um so schnell wie möglich Abstand zu gewinnen, bediente sich Jin der Brunnenmauer. Sie tastete sich an ihr entlang. „Verschwinde! Was willst Du hier?" Die Restfunktion ihres Hirns wies Jin freundlicherweise darauf hin, dass diese Worte sich widersprachen. Er konnte wohl kaum verschwinden, wenn er ihre Frage beantworteten sollte. „Geh weg!" Ja, DAS war eine klare Aussage! „Jin, bitte! Ich kann Dir alles erklären!" HA! Wenn das kein Klassiker war. „Geh weg und lass mich in Ruhe!" Noch immer veranstalteten sie ihren Reigen um den Brunnen. Sie rückwärts gehend, er folgend. Wenn sie nicht von hier wegkam, würden sie morgen früh noch im Kreis rennen. Also löste Jin versuchsweise ihre Hände von der Mauer.  Gut! Sie konnte wieder stehen. Das mit dem Atmen pendelte sich auch langsam wieder ein. Ganz hervorragend. Es wurde Zeit zu rennen! Kapitel 11: Hüter des Gesetzes ------------------------------ Jin rannte was das Zeug hielt! Dass diese langen Beine sie spielend eingeholt hätten, wenn sie nur wollten, war ihr dabei völlig egal. Hier ging es um´s Prinzip! Er sollte JA nicht denken, dieser Kuss hätte irgendetwas bewirkt. So grandios er auch gewesen war. Die Tatsache, dass er ihr folgte erfüllte Jin mit einer gewissen Genugtuung. Die Tatsache, dass er es offensichtlich nicht darauf anlegte sie einzuholen, eher nicht. Dieser verdammte ..! Sie blieb stehen. Zum einen, weil sie völlig außer Atem war und zum andern, weil sie ihm die Meinung geigen wollte. „Warum rennst Du hinter mir her?", keuchte sie erbost. Er hingegen keuchte kein bisschen. Dieser Bastard. „Du glaubst doch nicht, ich lasse Dich allein durch die Gegend laufen. Im Dunkeln?" Jins Augen wurden schmal. „Ich kann sehr gut alleine durch die Gegend laufen! Und am allerbesten kann ich das im Dunkeln. Darin bin ich superspitze! Hab ich auch schon vor sechs Jahren gekonnt." „Fünfeinhalb!" Ach, jetzt wollte er auch noch den Pedanten raushängen lassen? Das konnte sie aber besser. „Fünf Jahre, sieben Monate und fast drei Wochen!", presste sie zwischen den Zähnen hindurch. Mist! Das hätte sie nicht sagen sollen ... „Du hast gezählt?" Das klang betroffen. Und ein klein wenig befriedigt. Er konnte sich seine Befriedigung sonst wo hinstecken! „Lass mich endlich in Ruhe!" „Nicht, bevor Du mich endlich erklären lässt, warum ich damals ..." „Ist hier alles in Ordnung, kleines Fräulein?" Ein Polizist in der grünen Uniform des Erdkönigreichs bog um die Ecke. Zuko verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte den Mann böse an. Diese Einmischung kam höchst unerwünscht. Jin hingegen atmete auf. Endlich war Hilfe in Sicht. Der Polizist würde diesen grässlichen Kerl abführen! Dann konnten sie ihm ihretwegen Daumenschrauben anlegen, ihn mit spitzen Stöcken piksen, an seinen glänzenden Haaren ziehen, ihm Ratten servieren und dann langsam verfaulen lassen. Ja, das wäre ein guter Anfang! „Belästigt dieser Mensch sie?", fragte der Polizist, dem der überhebliche Blick des langen Individuums gar nicht gefiel. Vielleicht würden sie sich auch die Mühe machen, ihn in Öl zu sieden. Oder ihn einfach nur für ganz, ganz lange wegsperren! „Der Mann wartet auf eine Antwort, Jin!", murmelte das Ziel ihrer Rachegedanken gelassen. Also ... wenn das nicht der Gipfel der Arroganz war! Er dachte wohl, sie würde ihn nicht ans Messer liefern, was? Und wer hatte ihm überhaupt die Erlaubnis gegeben, ihren Namen so abzunutzen? „Miss?" Der Polizist war inzwischen herzlich irritiert. Jin schluckte. „Nein, alles in Ordnung, Danke!" Hatte sie das grade wirklich gesagt? Offensichtlich. Der selbstgefällige Blick der Drachenaugen ließ nur diesen Schluss zu. Sollte er sich doch was drauf einbilden, der Idiot! Sie war eben einfach nicht gewillt, seinetwegen Steuergelder zu verschwenden. „Na, dann...", schnarrte die Stimme von Recht und Ordnung, „darf ich sie bitten, nicht mehr ein solches Geschrei zu veranstalten, ja?" Geschrei? Sie? Mit offenem Mund blickte Jin dem Gesetzeshüter hinterher. „Jin, können wir jetzt endlich vernünftig miteinander reden?" Lee hatte tatsächlich die Unverfrorenheit frustriert zu klingen! „Vernünftig?", flötete sie und drehte sich langsam zu ihm um. Zuko registrierte erleichtert, dass ihre Stimme nun ganz sanft war. Sie ließ ihn endlich erklären ... „Wenn Du ein paar Jahrzehnte Höllenpfuhl hinter Dir hast und ich auf Deinem Grabstein Spitze klöppeln kann; DANN können wir vernünftig reden! Und jetzt entschuldige mich, ich muss mir die Lippen aus dem Gesicht schrubben!" Zuko starrte ihr sprachlos hinterher. Sein Teehaus-Lämmchen erwies sich gerade als das sturste Weib, das ihm je untergekommen war. Seine Augen wurden schmal. Die Lippen aus dem Gesicht? Wirklich? Drei lange Schritte, er schnappte sie am Arm, riss sie herum und beugte sich vor, bis ihre Nasenspitzen sich fast berührten. „Ach ja?", knirschte er. „Nur zu, ich bin jederzeit bereit, Deine Erinnerungen an den Kuss wieder aufzufrischen! Aber vielleicht legst Du es ja gerade darauf an?" Sie waren wirklich schön, seine hellen Augen, wenn sie so zornig funkelten. „Ungefähr genauso, wie ich es darauf anlege Schnecken zu essen!" „So?" Das sanfte, gedehnte Schnurren klar irgendwie gefährlich. Jins Nackenhaare sträubten sich bei diesem Tonfall. „Dann seufzt und stöhnst Du also vor Entzücken, wenn Du Schnecken isst?" Fein, das war‘s!  Auf dieses abgedroschene Mittel hatte sie zwar nicht zurückgreifen wollen, aber er wollte es ja nicht anders. Nach ihrer schallenden Ohrfeige war Lees untere, linke Gesichtshälfte beinahe ebenso rot, wie die flammende Narbe darüber. Und es tat ihr kein bisschen leid! Höchstens, dass sie die Seite erwischt hatte, die schon mehr als genug Schmerz erlitten hatte. Aber sie schlug nunmal mit der Rechten. Oh Gott, sie hatte die vernarbte Seite seines Gesichts geschlagen ... Zuko erstarrte. Er war zu weit gegangen. Wo war nur seine Beherrschung geblieben? Er hatte sie soweit getrieben, dass die Jade nun in Tränen schwamm. Verfluchtes Temperament!  „Jin." Seine Stimme klang gepresst. „Ich wollte Dich nicht schlagen!", flüsterte sie. „Das hätte ich nicht tun dürfen. Ich war nur so schrecklich wütend ..." Was?  Er war ziemlich abgehärtet, und ganz besonders sein Gesicht. Sie machte sich tatsächlich Gedanken um diesen Klaps?  Das Weib war wirklich gefühlsbetont, soviel stand fest! Er forschte in ihren Augen und fand dort die Bitte um Verzeihung, dabei lag die Schuld bei ihm. Zukos Hände legten sich um sacht um Jins Gesicht und hoben es an. Sein Daumen wischte eine einzelne Träne fort. „Jin." Er neigte den Kopf. Sie sah zu ihm auf. Sie würde sich noch einmal küssen lassen. Schwindelerregendes Triumphgefühl erfasste ihn. Ein Triumphgefühl, dem allerdings ein explosives und überaus jähes Ende bereitet wurde. Der laute Knall eines Feuerwerkskörpers holte Jin zurück auf den Boden der Tatsachen. So schnell sie konnte machte sich von ihm los. „Ich ... Lass mich einfach in Ruhe! Und wenn Du nicht mehr weisst wie´s geht, versuch Dich an früher zu erinnern." Sie klang ruhig und bestimmt.  Jetzt rannte sie auch nicht mehr. Sie ging. Sie ging einfach nach Hause. Als sie endlich die Tür zu ihrer kleinen Wohnung aufschob hörte sie noch sein leises „Gute Nacht, Jin!" Gut? Was sollte an dieser Nacht gut werden? Drin sank Jin mit dem Rücken gegen den Türrahmen und ließ sich daran heruntergleiten. Er war wieder da. Und sie? Ein Nervenbündel. Sie hatte sich allen Ernstes an diesem Brunnen küssen lassen. Und wie! Sie hatte sich so gründlich und ausgiebig küssen lassen, dass ihre Lippen jetzt noch kribbelten und pochten. Danach hatte sie es wahrhaftig auch noch für nötig gehalten sich wie ein Fischweib aufzuführen. Bei dieser Erinnerung vergrub sie stöhnend den Kopf in den Händen. Sie hatte gezetert, ihn geschlagen. Und als Krönung des Ganzen hatte sie heute gleich zwei mal vor ihm geflennt! Oh ja! Er war wieder da. Sacht legte Jin die Fingerspitzen an ihren Mund. Er war wieder da und sie hatte eine Erinnerung mehr, die sie nicht wieder loslassen würde. Seinen Geschmack nach Zimt und Ingwer. Zuko ging zurück zum Palast des Erdkönigs. Ging er? Oder waren da unter seinen Füssen fünf Zentimeter Luft? Auf seinem Weg wurde er drei mal angerempelt, zwei mal fast von den unaussprechlichen Inhalten abgestandener Nachttöpfe getroffen, einmal als „Idiot kannst Du nicht aufpassen wo Du hinrennst?" bezeichnet und sogar gefragt, ob er ein überaus `seltenes´ Artefakt kaufen wolle, was ihn ob der Dämlichkeit seines Gesichtsausdruckes nicht weiter verwunderte. Sie war noch frei! Und abgesehen von ihrem kleinen Wutausbruch, hatte sie noch genauso auf ihn reagiert, wie damals. Er hielt seine Beute in den Fängen. Und dort würde sie auch bleiben. Denn Zuko Tatzu bekam was er wollte. Immer! Unser ach so willensstarke Traumwandler kam grade mal bis vor ein Seitentor des Palastes. „Halt!" War das eine Lanze vor seinem Gesicht? „Was fällt Dir ein hier vor dem Palast herumzuspazieren? Mach gefälligst ein Loch in die Luft!" Verdammt! Er hatte ganz vergessen dass er inkognito war, und eigentlich am Balkon hochklettern musste. Zuko drehte auf dem Absatz um. Wenn die Wache wieder unaufmerksam wurde, würde in die Büsche verschwinden und nach dem Seil suchen. „Hey, kenn ich Dich nicht?"  Mist! „Nicht, dass ich wüsste", murmelte Zuko. Er war leider noch nie gut darin gewesen unauffällig zu sein, es sei denn er rannte in schwarzen Klamotten herum. „Bleib stehen, verdammt!" Eine ungewaschene Hand zerrte an Zukos Schulter, bis er sich umdrehte. „Dreh gefälligst Dein Gesicht ins Licht, Freundchen!" Freundchen? Reizend! Waren seine Wachen zu Fremden auch so ausnehmend nett? Aber Seine Durchlaucht tat seinem neuen Freund den Gefallen und drehte das Gesicht zur Fackel. „Was?" Der Mann schien plötzlich Atemprobleme zu bekommen. „Mein Gott ... Majes ... Hoheit! Ich... ich... wusste nicht!" Zukos seufzte. Sein Gesicht war im Erdkönigreich nun wirklich noch ziemlich unbekannt, warum musste ausgerechnet dieser Wachposten eine Ausnahme bilden? „Gott ist vielleicht etwas hochgegriffen.", murmelte er. „Verzeiht mir! Ich hatte keine Ahnung, dass Ihr...Ihr... in der Stadt, äh.... wart." „Und könnte das wohl so bleiben?" „Hä?" „Könntest Du vielleicht vergessen, mich gesehen zu haben?" „Äh.... Könnte ich das?" Der Wächter war verdutzt. Zuko fragte sich, ob es sich um die Art von Intelligenzmangel handelte, die mit Bestechung zu beheben war. Er nestelte unter seinem Mantel eine goldene Anstecknadel hervor und hielt sie dem Mann hin. „Du hast mich nicht gesehen, klar?" Das würde ihm grade noch fehlen, wenn alle Welt erfuhr, wie er hier einfach so ein- und ausspazierte. „Nee, is klar... hab ich nicht...ich... ICH NEHM DOCH ABER KEINE BESTECHUNG AN!" Bei dieser Lautstärke zuckte Zuko leicht zusammen. „Könntest Du vielleicht etwas leiser sein?", zischte er. „Ich... ja. Klar! Aber, dass Ihr denkt, ich würde... Ich bin eine Wache des Königs, Herr! Ich lass mich nicht bestechen!" „Gut! Das ehrt Dich ungemein." Und unterscheidet Dich so wohltuend von Deinen Kollegen!  „Könntest Du vielleicht trotzdem vergessen, dass ich da war?" „Sicher", sagte der Wächter, in seiner Ehre offenbar tief gekränkt, steif. „Wenn Euer Hoheit es wünschen und sofern kein Sicherheitsrisiko vorliegt." „Kein Risiko. Nur ein paar Spaziergänge." Himmel, der Mann war immer noch beleidigt. Beleidigte Verbündete waren gefährlich. „Ich danke Dir für Deine Verschwiegenheit! Sie ziert einen ehrbaren Mann.", fügte Zuko daher hinzu. So langsam hatte er den Dreh mit der Diplomatie vielleicht doch raus. „Nun ja ... Das sagt meine Tia auch immer." „Schön. Ich muss gehen." Mit diesen Worten verschwand Seine Lordschaft zwischen die Büsche, um nach dem Seil zu suchen. Iroh Tatzu stand auf dem Balkon, als Fon lautlos zu ihm trat. „Ah, Fon, mein Freund! Sind die Sterne heute nicht wundervoll?" Fon, der von Gestirnen, Planeten und all dem Leuchte-Zeug noch nie viel gehalten hatte, zuckte lediglich mit den Schultern. „Ich nehme an Du hast die Spur meines Neffen heute erfolgreich verfolgt?" „Ja." Iroh wartete und faltete die Hände hinter dem Rücken. Betrachtete die Mondsichel. Lauschte dem leisen Wind. Wippte auf den Zehenballen. „Heilige Flamme, Fon! Muss ich Dir die Information operativ entfernen?" „Sag doch, wenn Du wissen willst, wo er war, Hoheit.", maulte Fon beleidigt. „Er war in der Stadt!", setzte er dann hinzu. „Was Du nicht sagst, mein Freund." „Er hat da einem Mädchen ... äh ... aufgelauert." „So was tut er? Sehr findig!" „Ja. Er hat dem Mädel ganz schön zugesetzt, muss ich schon sagen." „Zugesetzt?" „Na, erst das ganze Geküsse, dann das ganze Gerenne und zuletzt das ganze Gezeter. Das volle Programm eben." Einen längeren Satz hatte Iroh den kleinen Mann noch nie sagen hören. Fon musste wirklich beeindruckt sein. „Das ist erfreulich." Er strich sich knisternd durch den Bart. „In der Tat erfreulich! Weisst Du, was das beste an guten Nachrichten ist, Fon?" „Ne." „Sie machen mich immer hungrig." Kapitel 12: Katz und Maus ------------------------- In jener Nacht begannen die Drachenträume. Jin schlief furchtbar unruhig. Aber unruhig zu schlafen, war besser, als es überhaupt nicht zu tun. Schon der Beginn des Traums war anders, als ihre sonstigen Träume. Sie hatte das Gefühl, hineingezogen zu werden und plötzlich Besucher einer anderen Welt zu sein. Alles war so real. So greifbar, als wäre das hier eher eine Erinnerung denn ein Traum. Sonne. Überall war Licht und Sonne. Die Farben reichten von Gelb, über Ocker und Orange bis hin zu tiefstem Rot. Selbst der rissige Boden war orange-rot. Die Luft flirrte und flimmerte vor Hitze. Jin hörte entfernte, laute Stimmen. Ihr Traum-Ich wandte sich um und blickte auf einen seltsamen Palast, oder Tempel. Vor diesem Bauwerk war ein großer, leerer Platz, in dessen Mitte ein riesiges Feuerbecken stand. Im Augenblick war es erloschen. Zwei Männer stritten sich auf diesem Platz. Beide beeindruckend groß, mit wehenden schwarzen Mähnen. Sie waren sich sehr ähnlich. Vielleicht Brüder. Ihre Kleidung aus hunderten, kunstvoll verarbeiteten Lederschuppen, war die seltsamste, die Jin je gesehen hatte. Auch die Sprache der beiden war vollkommen unverständlich. Jin begriff nicht, warum sie nichts verstehen konnte. War das nicht ihr Traum?  Sie ging näher an die Männer heran. Der Streit wurde heftiger. Der etwas größere der beiden Männer schien abzublocken, während der Andere fordernd und aggressiv auf ihn eindrang. Er brüllte erbost. Dem Großen war das scheinbar egal. Er drehte sich um und ging. In ihre Richtung! Er sah aus wie ...  Grund Gütiger! Er suchte sie also wieder einmal in ihren Träumen heim? Doch diesem Gesicht fehlte die markante Narbe. Es war unversehrt, makellos. Ein ohrenbetäubendes Brüllen erklang.  Der Große schnellte herum, zu einer wirbelnden Wolke aus Flammen, Staub und Wind. Eine Sekunde später befand sich dort, wo eben noch der kleinere der beiden Männer gestanden hatte, ein Drache. Ein riesiges, wildes Wesen, mit langem, geschmeidigem Körper, auf dem blaue Schuppen glänzten. Der Drache spie Feuer auf den vor ihm stehenden Mann und holte mit einer mächtigen Pranke aus. Ein Schrei löste sich aus Jins Kehle. Oder war es die Stimme einer anderen Frau? Sie rannte... Nein! Die Frau rannte auf den Platz zu. Einen Namen rufend. Den Namen des Größeren. Mittlerweile war auch er zum Drachen geworden. Scharlachrot. Ein ebenso wildes und gefährliches Geschöpf, wie sein Angreifer. Er hatte sich jedoch nicht schnell genug verwandelt und war von dem hinterhältigen Prankenhieb verletzt worden. Fauchend vor Schmerz hüllte der Rote seinen Gegner in eine Säule aus Feuer und Rauch. Der Blaue ging zu Boden und wurde sofort von einer riesigen Tatze niedergedrückt. Mit einer Stimme wie Bronzeglocken sprach der Sieger einen Befehl. So zwingend, dass der sich windende Verlierer wieder in einen zornigen, unberechenbaren Menschen verwandelte wurde. Er stand auf, bespuckte den siegreichen Drachen und stolzierte davon. „TATZU!" Es war der Name, den die Frau auch vorher schon gerufen hatte. Der rote Drache wandte sich um, sah Jin aus goldenen Augen an. „Hsui!" Jin schrie, als sie erwachte. Kerzengerade sass sie in ihrem Bett. Schweiss stand auf ihrer Stirn, ihr Atem ging heftig und ihr Mund war staubtrocken. Benommen krabbelte sie aus ihrem Bett, um etwas zu trinken. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals in ihrem Leben einen so realistischen Traum gehabt zu haben. Realistisch? Aber sicher! Sie hatte von Männern geträumt, die sich in Drachen verwandelten! Seltsamerweise schlief sie den Rest der Nacht wie ein Baby. Zuko beendete den Tento mit der obligatorischen Verbeugung gen Osten. Als er vom Balkon wieder in sein Zimmer trat, wartete dort Fon mit den üblichen Utensilien. Zuko runzelte die Stirn. „Ich denke nicht, dass es notwendig ist jeden Tag das Haarbinderitual durchzuführen solange wir hier sind, Fon!" „Aber ... Herr!" „Es ist auch nicht nötig den Odoro zu tragen, solange meine Gesuche noch von Sekretären abgeschmettert werden. Ich werde hier bestimmt nicht in voller Montur herumrennen, solange ich noch von keinem Würdenträger empfangen werde." Er bekam keine Antwort. Ein sicheres Zeichen, wie sehr seine Entscheidung missbilligt wurde. „Wann habe ich den nächsten Termin, Fon?" „Zehn Uhr, mein Lord!", kam die hölzerne Antwort. „Ah. Genug Zeit für einen Ausflug also." „Aber Hoheit ... Das könnt Ihr nicht tun!" „Ich kann was nicht, Fon?" Zukos Stimme brachte mildes Erstaunen zum Ausdruck. „Bei Tag in der Stadt herumstreunen, Mylord!", kam die trotzige Antwort. „Nicht? Das ist aber zufällig das, was ich zu tun gedenke. Schlichte, braune Kleidung, bitte!" Fons Miene wurde sauertöpfisch. Jetzt durfte er dem Jungen schon am frühen Morgen hinterherjagen. Das konnte ja heiter werden. Zuko hatte ungefähr ein Viertel seines Weges hinter sich gebracht, als er seinen Verfolger wahrnahm.  Er kannte dieses Gefühl zu genau, um nicht zu wissen, was vor sich ging. Allem Anschein nach hatte sein Onkel wieder einmal einen seiner Bluthunde als Fürstensitter abkommandiert. Aber Jahrelange Übung hatten den Prinzen Zuko zu einem wahren Meister in der Kunst des Untertauchens werden lassen. Eine Erfahrung, derer sich der Lord nun schamlos bediente. Zwei Minuten später war er wieder unbeobachtet. Er erreichte die Färbergasse 33 zusammen mit den ersten, schwachen Sonnenstrahlen. Durch die dünne Wand der Schiebetür, die fast die gesamte Front der Wohnung einnahm, konnte er Licht schimmern sehen. Gut. Mit verschränkten Armen lehnte er sich gegen einen Laternenpfahl auf der gegenüberliegenden Strassenseite und wartete. Als lautes Scheppern aus der Wohnung drang, hätte er seinen Posten beinahe aufgegeben. Nur der Gedanke, eine Einmischung seinerseits wäre vielleicht unerwünscht, ließ ihn verharren. Beim zweiten Scheppern zog ein leichtes Lächeln über Zukos Gesicht. Seine Auserwählte hatte in der Tat einen Hang zur Tollpatschigkeit. Jin war so munter wie seit Langem nicht mehr. Das war bestimmt noch die restliche Wut über die Unverschämtheiten dieses Tee-Schubsers! Dass sie fortwährend vor sich hin summte passte allerdings nicht so ganz in diese schöne Theorie. Ebenso wenig wie die besondere Sorgfalt, sie sie ihren Zöpfen heute angedeihen ließ. An diesem Stück Unverfrorenheit lag es bestimmt nicht, soviel stand fest! Sie rechnete schließlich überhaupt nicht damit, ihm heute zu begegnen. Nach Mantel und Tasche greifend machte sich auf ihren Weg zur Arbeit. Dass er allerdings um diese Zeit tatsächlich schon vor ihrer Wohnung herumlungerte, damit hatte Jin nun WIRKLICH nicht gerechnet. Prompt stolperte sie von der letzten Stufe, direkt in eine füllige Nachbarin. „Jin We! Natürlich! Mädchen, dass Du mit Deinem Talent die Strasse noch nicht in Schutt und Asche gelegt hast, wundert mich wirklich!" „Verzeihung Frau Wong!" Jin sah nicht auf. Sie konnte fühlen, wie sich sämtliches Blut in ihren Wangen versammelt hatte. Zu allem Überfluss musste ER natürlich Zeuge dieses Schauspiels sein. So ein Mist! Mit gesenktem Kopf lief sie eilig los, die Tasche fest vor ihre Brust gepresst. Als Zuko ihre Verlegenheit sah, hätte er nicht übel Lust gehabt Frau Wong eine kleine Demonstration von `Schutt und Asche´ zu geben. „Guten Morgen, Jin!" „Lass mich in Ruhe!" „Ein sehr äh ... sonniger Morgen, nicht?" „Vielleicht auf Deinem Planeten!" „Die Luft ist wirklich auch sehr ... klar." Was faselte er denn da? Das bisschen Konversation sollte er eigentlich spielend in den Griff bekommen. Schließlich hatte Zuko II schon waffenstrotzende Killermaschinen dazu gebracht, sich Tee trinkend an einen Tisch mit ihren Erzfeinden zu setzen. „So gut zum Atmen!" Wieder antwortete ihm nur Stille. „Wirklich eine Wohltat für die Lungen." Ja, allmählich kam er in Fahrt. Doch diesmal erntete er nicht einmal einen Seitenblick für seine Mühen. Gut, wenn sie einen Monolog hören wollte ... Die nächsten neun Minuten erging Zuko sich in einer Abhandlung über den Sinn und Unsinn von Regenschirmen und Hüten. Biss sie sich etwa ab und zu auf die Lippen? Diese Köstlichkeiten aus Orangenduft und Bittermandel? Er mahnte sich zur Vernunft. Wenn er sie hier auf offener Strasse küsste, könnte er sich umgehend die Ohrfeigen für die nächsten zehn Jahre abholen. Als sie die Stufen zu einem großen Haus emporstieg war es zum küssen ohnehin zu spät. Oben im Eingangsbereich standen einige Frauen und Mädchen, die neugierig herunter starrten. Ihre Blicke flogen zwischen der verstockten Jin und ihm hin und her. Vor der untersten Stufe blieb Zuko stehen. „Einen schönen Tag, Jin!" Jin knallte die schwere Eingangstür vehement hinter sich zu. Die Versammlung am oberen Ende der Stufen hatte natürlich nichts besseres zu tun als zu kichern. Aber das war etwas, das Mylord mit einem gezielt bösen Blick ändern konnte. Also tat er es. „Fon, willst Du damit sagen, er hat DICH abgehängt? Den Meisterspion, der sogar Qui La entlarvt hat? Mein Freund, es tut mir leid, Dir das zu sagen, aber Du lässt nach!" General Irohs Tadel traf einen wunden Punkt. „Entschuldige, Hoheit, aber wenn Du Dich in die Erziehung des Jungen nicht eingemischt hättest, wäre er jetzt vielleicht nicht cleverer als wir!" „Dir war aber doch klar, wohin er wollte. Warum hast Du seine Spur nicht wieder aufgenommen?" „Weil er einen verdammten sechsten Sinn dafür hat! Doch wenn Du willst, dass er RICHTIG sauer auf Dich wird, kann ich mich an seinen Fersen auch festbinden. Um Deine Neugier zu stillen, Hoheit! Mir ist eh nicht wohl dabei, meinem Herren nachzuspionieren." Nach diesem Roman beschloss Fon, genug gesagt zu haben. „Meine Neugier? Als ob es hier nur um meine Neu ... gier..." Eine kurze, gnadenlose Begutachtung des eigenen Innenlebens zeigte Iroh, dass Fon Recht hatte. „Ich will nur nicht, dass er die Sache vermasselt. Dazu ist sie zu wichtig.", brummte er. „Wie wär´s, wenn Du ihm vertraust, Hoheit?" Damit zog Fon ab. Er hatte schließlich noch Wäsche zu bügeln. „Jin ..." „Jetzt sag schon Jinny!" „Unser Fräulein We hat also Geheimnisse?" „Wo lernt man denn SOLCHE Männer kennen?" „Warum hast Du denn nichts gesagt, Jin?" „DER sieht jedenfalls nicht so aus, als würde er die ganze Nacht nur Kartenspielen wollen!" Auf den letzten Kommentar hin steigerte sich das Glucksen der Frauen in bunt perlendes Gelächter, und Jins Gesichtsfarbe von Rosa zu Rot. „Hört auf damit! Es gibt über diesen Kerl weder etwas zu sagen, noch zu denken." Ihre Stimme wurde ein winziges Bisschen schrill. „Über welchen Kerl?", fragte Sela, die eben aus den Umkleideräumen kam.  DAS fehlte noch! Doch bevor Jin das Unheil abwenden konnte, wurde Sela von einer Kollegin ans Fenster gezerrt. „Der da unten. Ziemlich eindrucksvoll, was?" „Ich find ihn ein bisschen finster." „Finster ist gut!" „Olala, ich steh auf Pferdeschwänze!" „Ich tausch gerne meinen Baro gegen ihn ein." „Ohne die Narbe schon. Aber so ..." „Also ICH erkenne ein Prachtexemplar, wenn ich eins sehe!" Über dieses Stimmengewirr war Selas Organ leider immer noch erstaunlich gut zu hören: „JIN!? Ja bist Du denn von allen guten Geistern verlassen? Was macht DER denn wieder hier?" Die übrigen Weberinnen verstummten, als sie Hintergrundinformationen witterten. „Ich ... äh ... Weiss ich doch nicht! Er war einfach da." „Einfach da? Und warum hast Du ihn dann im Schlepptau?" „Ich? Hab ich gar nicht! Ich ... ich kann ja nichts dafür, wenn ..." „Ach? Mr. Kokel-Fratze taucht eben mal so aus der Versenkung auf und schon kriegt Fräulein We wieder den Kuhblick?“ „NENN IHN JA NICHT SO!" Sie schrie ja schon wieder. Oh Mann!  „Ach, lasst mich doch alle in Ruhe!" Jin stapfte an ihren Webstuhl. So ähnlich verlief der gesamte Arbeitstag. Immer wieder kam eines dieser Weibsbilder `zufällig´ vorbei, um sie über ihren `Verehrer´ auszuquetschen. Sela warf ihr nur finstere Blicke zu. Das blöde Webmuster gelang auch nicht so wie es sollte, weil Jin die ganze Zeit über aus dem Fenster schielte. Aber er war nirgendwo zu sehen. Warum auch? War ja klar! Bestimmt hatte er in der Stadt noch ein anderes Mädchen, dem er sein lachhaftes Gesülze über Regenschirme aufbinden konnte. Und bestimmt war sie auch diesmal wieder tausendmal hübscher als sie selbst. Am Ende des Arbeitstags hatte Jin Kopfschmerzen und eine eingeschnappte Freundin. Noch bevor sie ganz aus der Tür war, konnte sie am Lachen und Plappern der anderen Arbeiterinnen hören, dass er da war. Da stand er. Inmitten dieser quietschenden Weiber; ließ sich selbstgefällig von den Frauen umringen, wie ein Pascha, der seinen Harem inspiziert. Und ihre Kolleginnen hatten allem Anschein nach nichts besseres zu tun, als schamlos mit ihm zu flirten. Und wenn schon! Sollten sie doch. Jin versuchte, sich an der Ansammlung vorbei zu schlängeln.  Wenn sie Glück hatte, wäre er so damit beschäftigt, sich bewundern zu lassen, dass er sie gar nicht bemerken würde. Nachdem die Tür zur Weberei sich endlich geöffnet hatte, hatte Zuko sich plötzlich inmitten einer Schar geschwätziger, kichernder Frauenzimmer wiedergefunden, von denen er kein Einziges kannte. Was sie ihm für Fragen stellten. Da bekam man ja rote Ohren! Um sie loszuwerden verschränkte er die Arme und setzte seine finsterste Miene auf. Doch nicht einmal das half. Jetzt hieß es stoisch bleiben. Dann sah er aus den Augenwinkeln Jins grünen Mantel aufblitzen.  Nicht zu fassen; diese Göre wollte sich tatsächlich vorbeischleichen und ihn hier inmitten dieser mannstollen Furien einfach stehen lassen! „Jin!"  Hinter Zuko erklang wieder vielstimmiges Gekicher. Er machte sich hier noch zum kompletten Idioten! Als er sie eingeholt hatte, zwang er sich zur Ruhe. „Schönen guten Abend, Jin!" Sie ging weiter. Ah, also wieder das alte Spielchen! Schön, wenn es das war, was sie wollte. „Wie war Dein Tag?"  Grauenhaft. „Bist Du hungrig?"  Jetzt bestimmt nicht mehr! „Vielleicht durstig?"  Nicht einmal in der Wüste würde ich Wasser von Dir nehmen! Zuko ließ ihr Schweigen an sich abprallen. Im Lauf der Jahre hatte er gelernt, dass man manche Strafen über sich ergehen lassen musste. Und diese hatte er mit Sicherheit verdient. Er hoffte nur, sie würde ihm im Gegenzug irgendwann die Gelegenheit geben, alles zu erklären. Ihrem Gesichtsausdruck nach würde das aber noch eine Weile dauern.  Er unterdrückte ein Seufzen. Erdvolk! Da er ohnehin keine Reaktion bekam, ging Zuko den Rest des Weges mit hinter dem Rücken verschränkten Händen schweigend neben ihr her. Auch eine Art, spazieren zu gehen. Er brach sein Schweigen erst, als Jin ihre Wohnungstür erreichte. „Gute Nacht, Jin!" Jins nächste drei Tage vergingen auf diese Weise. Lee wünschte ihr einen guten Morgen, einen schönen Tag, einen wundervollen Abend und eine gute Nacht. Und ihrem anhaltenden Schweigen zum Trotz hatte sie dies auch. Es wurde von Tag zu Tag schwerer, nicht zu lachen wenn er eine Kostprobe seines trockenen Humors zum Besten gab.  Ihn nicht anzusehen wenn er schweigend neben ihr ging. Nicht seine Hand zu greifen, wenn sein Arm zufällig den ihren streifte. Doch am schwersten war es, seinen letzten Gruss am Abend nicht laut zu erwidern. Also tat sie es leise. Sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. „Gute Nacht. Lee." Und jede Nacht kamen die Drachenträume. Kapitel 13:  Mitgefangen - Mitgehangen -------------------------------------- Der Tag begann fürchterlich. Kurz nach dem Tento, Zuko hatte eben ein kurzes Bad beendet, kam Fon mit einer Hiobsbotschaft. „Mylord?" Mylord hörte auf, sein Haar zu trocknen. „Fon?" „Minister Wong Shu ist bereit, Euch heute zu empfangen." „Ah, gut! Sehr gut!" Zuko legte das Handtuch beiseite, um nach einem schlichten Wickelhemd zu greifen. Endlich war er einen Schritt weiter! Zumindest in dieser Angelegenheit. Die letzten Tage war er ständig hin und her gehetzt.  Früh morgens begab er sich in die Stadt, um ein paar Worte mit Jin zu wechseln. Gegen Schweigen. Danach musste er sich hier haufenweise vorgeschobene Entschuldigungen und fadenscheinige Ausflüchte anhören, seine Zeit in muffigen Vorzimmern totschlagen und bündelweise Anträge ausfüllen. Eigenhändig. Am frühen Abend begab er sich WIEDER in die Stadt. Diesmal um ein paar Blicke auf Jin zu werfen. Blicke, die nicht zurückgeworfen wurden. Wenn er dann zurückkam, stand er wie ein geprügelter Hund auf diesem Balkon, starrte auf die Stadt und fragte sich wann sie ihn wieder ansehen würde. Zu allem Übel konnte er sich in dieser Lächerlichkeit von Palast nicht einmal austoben! Feuerbändigen käme hier einer Kriegserklärung gleich. Für Schwertübungen waren die Räume zu vollgestopft und die Trainingshallen der Wächter waren für ihn ebenfalls tabu.  In der Hexenküche seines Temperamentes brodelte und zischte es. Zuko schlang sich die Bänder des Hemds vollends um die Taille und band sie fest. Fon räusperte sich. Da er das nie ohne Grund tat, sah sein Dienstherr fragend auf. „Ähm, in einer Stunde mein Lord." „WAS?" „Der Minister erwartet Euch in einer Stunde." Flüche, von denen er nicht einmal geahnt hatte, dass er sie kannte, kamen dem Sonnengekrönten über die Lippen. Da Fon jahrelang beim Militär gewesen war, zuckte er nur ein einziges mal zusammen. Der Tag begann fürchterlich. Jin erwachte wimmernd aus ihrem Traum. Er war schrecklich gewesen! Der blaue Drache mit den gelben Augen hatte sich auf sie zu gewunden, näher und immer näher, bis er fast aus dem Traum gekrochen kam. Mit rauschender, zischender Stimme und ätzendem Atem hatte er Flüche über sie gegossen. Flüche, die sie nicht verstand und die deshalb umso beängstigender waren. Der Schweiss war ihr ausgebrochen. Sie mochte den Blauen nicht! Oh nein, sie mochte den blauen Drachen und seine kalten gelben Augen ganz und gar nicht. Zitternd wie Espenlaub rollt sie sich zusammen, um die Kälte auszuschließen. Warum hatte sie diese Träume? Warum waren manche davon so schrecklich? Warum konnte sie nicht nur von dem roten Drachen träumen? Aber der hatte sich die letzten drei Nächte immer weiter entfernt. Obwohl es noch ganze zwei Stunden waren bis sie würde aufstehen müssen, war an Schlaf nicht mehr zu denken. So kam es, dass Jin nach dem morgendlichen Blick in den Spiegel wünschte, sie hätte nicht hineingesehen. Sie sah zum Abgewöhnen aus! Der Gedanke, dies wäre der Anblick, der sich ihrem Zweitschatten bieten würde, ließ sie fast weinen. Was sie allerdings wirklich an den Rand der Tränen brachte, war die Tatsache, dass er gar nicht auftauchte. Anfangs dachte sie noch, sie sei vielleicht zu früh aus der Tür getreten. Aber auf der Strasse gingen die selben Leute, die um diese Zeit immer hier zu sehen waren. Klammheimlich sah sie sich um... Bestimmt würde er jeden Moment um die Ecke kommen. Am Ende kam Jin fünfzehn Minuten zu spät zur Arbeit. Er war trotzdem nicht mehr aufgetaucht. Das Webmuster zeigte die Tendenz gefährlich zu verschwimmen. Er war einfach nicht aufgetaucht! Das hatte sie jetzt von ihrem Starrsinn. Was hatte sie sich denn gedacht? Er hatte ihr doch alles erklären wollen, und sie? Sie war schlichtweg zu beleidigt gewesen, ihn anzuhören. Sie hatte versucht ihn zu bestrafen, ihn hinzuhalten. Dabei war sie dazu weder abgebrüht, noch hübsch genug. Bei Weitem nicht hübsch genug! Die traurige Bilanz, die sie am späten Nachmittag ziehen konnte, waren schon wieder höllische Kopfschmerzen, ein verhunztes Webmuster und Überstunden. Als sie endlich alleine war, konnte wenigstens keine ihrer Kolleginnen die Tränen sehen.  Die Frauen hatten heute leiser getuschelt, als die letzten Tage. Jin hatte trotzdem hören können, über was sie tratschten: Jin We hatte einen Verehrer gehabt. Ganze vier Tage lang! Achtlos wischte sie mit dem Handrücken über ihre Wangen. Himmel, sie war wirklich eine Heulsuse geworden. Als sie zwei Stunden später ihre Arbeit beendete, war sie völlig erledigt. Sie wollte nur noch nach Hause und sich verkriechen. Sorgfältig schloss sie die Tür der Weberei hinter sich ab, warf den Schlüssel durch den Briefschlitz und schlich die Treppe hinunter. „Guten Abend, Jin!" Die leisen Worte klangen entschuldigend. Jin wirbelte herum und starrte ihn an. Die Rabenschwinge wölbe sich bedenklich, als er die Stirn runzelte. „Du siehst müde aus", murmelte er. Und Du zum niederknien! `Missy, so kann er Deine verheulten Augen sehen!´ Schnell richtete sie diese  Augen also wieder auf die Strasse und da ihre Müdigkeit plötzlich verflogen schien, konnte sie nun auch schneller gehen. Mit hochgezogenen Schultern stapfte sie voraus. „Jin?" Er klang tatsächlich besorgt. HA!  Es war ja nicht so, dass er einen Vertrag unterschrieben hätte, sie jeden Morgen auf ihrem Weg zur Arbeit zu begleiten. Jin fand jedoch, sie könne nach viermal durchaus auf ein gewisses Gewohnheitsrecht pochen. Aber der Herr hatte es ja nicht für nötig gehalten, sich für heute Morgen abzumelden. Und die selbe Jin, die noch vor wenigen Stunden zu der tränenreichen Erkenntnis gekommen war, durch ihr kindisches Verhalten die Liebe ihres Lebens vergrault zu haben, bekam einen Kurzschluss und beschloss dieses Risiko gleich noch einmal einzugehen. `Missy ... Du spielst mit dem Feuer!´ Wie Recht Tante Rias Stimme DAMIT hatte, konnte ja kein Mensch ahnen ... Trotzig die warnende Stimme in ihrem Kopf ignorierend, stolzierte Jin hoch erhobenen Hauptes die Strasse entlang. Allerdings erschrak sie nicht wenig über die eigene Courage, als sie einen tollkühnen Schwenk nach links vollführte und direkt auf eine der finstersten Gegenden der Stadt zusteuerte.  Die Bewohner Ba Sing Ses nannten dieses Viertel den `Frieden´, da es ab und an vorkam, dass man wesentlich friedlicher AUS diesen Gassen gezogen wurde, als man hineingegangen war. Niemand, der bei klarem Verstand war, ging freiwillig hier hinein. Niemand! Aber das mit dem Verstand hatte in letzter Zeit eh nicht so hingehauen. Die Stimme der Vernunft kam von völlig unerwarteter aber auch unerwünschter Seite: „Jin, Du hast doch nicht allen Ernstes vor, DA durch zu laufen?" „Wieso nicht? Ist viel kürzer. Und schlimmer als DU kann das auch nicht sein!" Nimm das, Schurke! „Jin, nimm doch Vernunft an!" „Ich soll nichts von Fremden nehmen." „Das ist doch kompletter Schwachsinn! Wenn Du wütend auf mich bist, schön. Aber das ist kein Grund Deine Sicherheit so leichtsinnig auf´s Spiel zu setzten." „Wieso? Ich hab doch Mr. Mörderblick an meiner Seite. Kann ja wohl nix passieren." „JIN!" Er packte sie am Arm, um dieser Farce ein Ende zu setzen. „Lass mich ja los! Ich kann tun und lassen was ich will! Ist schließlich die Devise, nach der DU auch lebst." „Verstehe." Er ließ ihren Arm los. „Dann lass Dich mal nicht aufhalten." Jetzt klang Mr. Mörderblick wieder einmal gefährlich. War ihr doch egal! Mit einem letzten schnippischen Blick auf Lee betrat sie den `Frieden´. Nach wenigen Schritten wurde Jin sich der bedauerlichen Tatsache bewusst, dass ihr Dauerschatten nicht mehr direkt neben ihr ging. Er zog es vor dies mit vielsagend verschränkten Armen gute zehn Schritte hinter ihr zu tun. Wenn er dachte, sie würde dadurch kleinbeigeben, hatte er sich geschnitten! Alles Bestens, Jin. Das hier ist nur eine Gasse ... Das da vorn auch. Da drüben hängt nur ganz harmlose Wäsche. Und das da hinten ist auch nur ein Schatten, der aussieht wie ein Typ, der böses im Schilde führt. Der Typ, der böses im Schilde führte, vertrat Jin den Weg. `Ich hab´s ja gewusst!´ sagte Tante Ria. „Ich hab´s ja gewusst!", sagte der dunkle, ziemlich verärgerte Samt hinter ihr. Trotzdem besass ihr Begleiter die unendliche Güte, plötzlich wie aus dem Boden gewachsen direkt hinter ihr zu stehen. Jin stellte fest, was für es ein herrlich tröstendes Gefühl es war, seinen festen, beruhigend starken Körper hinter sich zu spüren. „Soll ich einschreiten, oder willst Du ihn vielleicht weg argumentieren?" Jin erkannte Sarkasmus, wenn sie ihm begegnete ... aber Einschreiten? War er wahnsinnig? „Du...äh... wir sollten vielleicht tun, was er sagt." Ihre Stimme bebte verräterisch. „Er HAT noch gar nichts gesagt!", meinte Zuko, auf den nicht sehr appetitlichen Gauner deutend. „Wenn ihr zwei Hübschen vielleicht die Klappe halten würdet? Und dann wäre ich euch sehr verbunden, wenn ihr mit eurer Barschaft rüberwachsen würdet!" „Wie käme ich dazu?" Für einen ehemaligen Teekellner war die Frage ein bisschen lebensmüde, fand Jin. Und ziemlich arrogant! „Hä?“ Neunfinger-Bo blinzelte kurz. Dann erhellte ein böses, zahnlückenübersätes Grinsen sein Gesicht. „Na, Du bist mir ja ein Held! Aber warte, ich stell Dir mal kurz meinen Freund vor ..." Der Freund des Schurken war traurigerweise ein langes, rostiges Krummschwert. „Kenn ich schon", antwortete Zuko gelassen. „Ach? Und die da hinten? Kennst Du die auch schon?" `Die da hinten´ waren ein Haufen schmutziger, finsterer Gestalten.  Drei der heruntergekommensten Individuen, die Seine Herrlichkeit, Zuko der Erneuerer, je zu Gesicht bekommen hatte. „Nein, noch nicht."  Jin stand mittlerweile kurz vor einem hysterischen Anfall. Was zu Teufel tat er da? Anstatt auf die Forderungen einzugehen, die die Bande stellte, schaltete Lee auf stur. Sie sah sich verpflichtet, ihm eine Warnung zukommen zu lassen und zerrte an dem Ärmel, den sie ohnehin schon fest umklammert hielt. „Lee! Tu einfach was sie sagen!" „Ja, Lee. Sei ein nettes Bürschchen und tu einfach was ich sage!" Der Dieb brachte seine Visage gefährlich nahe an das fürstliche Riechorgan und ... beleidigte es. „Schon mal über den Sinn von Bädern nachgedacht?", erkundigte sich das nette Bürschchen. „Jetzt wäre der genau richtige Zeitpunkt, eines zu nehmen. Dann passiert auch niemandem was. Noch habt ihr die Gelegenheit, euch aus meinem Sichtfeld zu verpissen!" Zukos Stimme hatte leise zu knistern begonnen. Ein kleiner Teil von ihm war über die Entwicklung der Dinge einigermassen erfreut. Hatte er sich nicht schon eine Gelegenheit gewünscht, seinen Temperament-Stau abzubauen? Das einzige, was ihm Sorge bereitete war Jin. Sie musste aus der Gefahrenzone. Er manövrierte so, bis sie schließlich im Schutz eines Hausecks stand und er sie komplett abschirmte. Neunfinger-Bo war inzwischen herzlich irritiert. Die Leute, die er bisher überfallen hatte, gaben Dinge wie "Oh Gott, verschon mein Leben", „Können wir nicht vernünftig darüber reden?" oder "Nimm die Frau, aber lass mich gehen!" von sich. Auf keinen Fall sagten sie solche Sachen, wie dieser grössenwahnsinnige Schnösel da! „Okay, das war´s Schrumpfbirne! Zeigt ihm, wer hier die Witze reisst!", befahl er dem Pack hinter sich. Um nicht aufzuschreien presste Jin fest die Hände vor den Mund. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie die anschließende Szene nicht genau mitbekam. Oder ihr Verstand weigerte sich einfach zu glauben, dass ein Mensch sich so schnell bewegen konnte.  Zwei waren schon entwaffnet. Ein dritter lag stöhnend am Boden und hielt sich das Bein. Dabei hatte Lee nur eine einzige, fliesende Bewegung gemacht. Halt! Wo war der vierte? Sie bekam die Antwort in Form einer schmutzigen Hand, die in ihre Richtung schoss, um sie als Schutzschild zu missbrauchen. Kurz bevor diese Hand ihr Ziel erreichte, wurde sie geröstet. Ein hoher, schriller Schrei entwich Bos Kehle. Da die Flammen ihn geblendet hatten, stolperte er rückwärts, über einen seiner Kollegen. Seine mutigen Mitstreiter schrieen oder stammelten vor Angst und rappelten sich auf, um das Weite zu suchen. Oder, noch besser, das nächste Wirtshaus. Vierkokelfinger-Bo beschloss, sich ihnen anzuschließen. Durch den dichten Adrenalin-Nebel in Zukos Hirn drangen drei Dinge zu ihm durch. Erstens: Er hatte Feuer gebändigt; vor ihr! Zweitens: Er hatte Feuer gebändigt; in Ba Sing Se! Drittens: Eine Trillerpfeife schrillte nicht weit von hier! Ein `Viertens´ hätte er ruhigen Gewissens auch noch hinzufügen können, denn um die Ecke stürmte ein Polizist. Ein beklagenswert bekannter Polizist. Nach circa zehn Sekunden hatte er die Lage überschaut. „Sowas, sowas, sowas. Wenn das nicht mein Traumpärchen von letztem Montag ist.“ Das Traumpärchen versuchte unauffällig zu wirken. Inmitten züngelnder Restflammen. „Und wer, bitte sehr hat hier Feuer gebändigt?" „Ich!" „Die Diebe!" Noch bevor der Ordnungshüter die junge Dame auf die Tücken eines Meineids hinweisen konnte, tat es ihr Freund. „Feuerbändigende Diebe in Ba Sing Se, Jin?"  „Wer war denn so bekloppt, die Bande herauszufordern?" Bevor die beiden in ihre eigene, kleine, liebeskranke Welt abdriften konnten hielt der Polizist es für angebracht zu brüllen. „Maul halten! Mitkommen! Alle beide!" Auf dem Weg, den die kleine Versammlung nun hinter sich brachte, linste Jin immer wieder zu Lee. Stocksteif ging er neben ihr her und starrte stur auf den Scheitel des Polizisten. Er hielt das durch, bis sie die Hauptwache erreichten. „Hinsetzten!" Zuko warf sich auf einen Stuhl.  Die Beine weit von sich gestreckt, die Arme vor der Brust fest verschränkt, lümmelte er auf dem viel zu kleinen Ding herum. Jin sank auf dem Stuhl neben ihm in sich zusammen. „Lee..." Vielleicht war er inzwischen einem Entschuldigungsversuch zugänglich. Wellen der Empörung und des Unmuts gingen von ihm aus. Jin schielte auf sein schroffes Profil. Sein ganzer Kiefer war kantig vor rechtschaffenem Zorn, die Augenbraue hatte Tiefststand erreicht und selbst die sonst so aristokratisch geschwungene Nase war eckig vor Wut. „Lee?" Er wühlte sich lediglich tiefer in den Stuhl. Sein Schweigen hatte wirklich eine einzigartige Qualität. „Ich wollte ganz bestimmt nicht, dass das passiert!", flüsterte Jin kläglich und fingerte an ihren Nägeln herum. Zuko knirschte mit den Zähnen. Sie hatte also nicht gewollt, dass `Das´ passiert? Sie wusste ja gar nicht, was `Das´ überhaupt war! Es würde einen Skandal geben, soviel stand fest! Mit etwas Pech konnte er das Projekt `Bodensanierung´ jetzt in den Kamin schreiben. Der neue Feuerlord, demütigster aller Bittsteller vor dem Angesicht des Erdkönigreichs, war eine Woche nach seiner Ankunft wie ein streunender Vagabund von einer Polizeistreife aufgegabelt worden, da er die Gesetzte der Stadt missachtet hatte. Und das alles nur, weil er ja unbedingt mit einer störrischen Göre durch die Gosse ziehen musste. Zuko konnte die Schlagzeilen förmlich vor sich sehen. Und die dämlichen Karikaturen, die sie hier so liebten ebenfalls. Karikaturen! Pah! Diese verleumderischen Schmierereien waren beinahe ein Grund, seine ablehnende Haltung willkürlicher Tyrannei gegenüber nochmals zu überdenken. Onkel Iroh schien sie natürlich köstlich zu finden. Jeden Tag bekam Zuko die neusten Zeitungen vorgehalten, die mit Bildern von ihm gespickt waren, wie er, tobend wie ein kleines Kind, versuchte einen riesenhaften Felsbrocken mit lächerlich kleinen Flämmchen zu erschüttern oder mit dem Kopf versuchte eine meterdicke Mauer einzurennen. Wirklich zum totlachen. Dieses bescheuerte, rauchschnaubende dürre Männchen mit riesiger Schleife auf dem Kopf sah ihm ja nicht einmal ähnlich! „Lee, bitte ... Es tut mir leid!" Diesen Namen konnte er auch nicht mehr ertragen! Wenn er sich nicht bald in den Griff bekam, würde der Stuhl noch Feuer fangen. Sie schniefte leise. Er schielte. Jin hatte sich von ihm weggedreht und lass angeblich interessiert ein humoristisches Schild mit der Aufschrift Beamte machen´s langsam! Nur schien sie es, ihrem Geschniefe nach zu urteilen, nicht lustig zu finden. Er würde ihr den Witz bestimmt nicht erklären. „Ihr Zwei da! Mitkommen! Der Haftrichter will euch sehn." In ihrem Bemühen, die Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, sprangen sie gleichzeitig auf und kamen sich natürlich prompt in die Quere. „Was soll das? Schmusen könnt ihr später!" Jin wurde puterrot. Schmusen! Lee sah nicht so aus, als würde er jemals wieder schmusen wollen. Höchstens mit ihrer Leiche. Der Haftrichter war eine hübsche Frau, in der Blüte ihres Lebens. Die ehrenwerte Richterin Sazu. Sofort stellten sich Zukos Nackenhaare auf.  „So. Sie haben also Bändigerkräfte eingesetzt. Mitten in Ba Sing Se. Feuer ... Ahaaaa." Die Richterin sah auf. „Waren das ...“ Sie fixierte Zuko. „Sie?“ Er nickte knapp. „Antworten sie bitte laut und deutlich!" „Ja!", knirschte er. „Hm! Wo sind die Personalien dieses Mannes?" Die leicht ungehaltene Frage wurde an den Polizisten gerichtet. „Hab ihn schon gefragt. Er hat keine Papiere bei sich. Er behauptet, er heiße Lee. Wer´s glaubt! Kann er sich ja gleich Chang nennen." „Danke für diesen überaus unprofessionellen Kommentar, Wachmeister. Sie heissen also Lee?" „Ja." „Und weiter?" „Song." Über eine randlose Brille hinweg wurde Seine Lordschaft misstrauisch gemustert. „Wohnhaft?" „Gasthaus." „Darf ich annehmen, das ... Etablissement hat keinen sonstigen Namen?" Süffisant, dieser Tonfall. „Goldener Drache", knirschte Zuko. Den gab´s schließlich in jeder Stadt. „Aha! ... Papiere haben Sie keine?" „Nicht bei mir." „Wie schade. Sie müssen sie innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden hier vorlegen, ansonsten..." Madame Justizia legte eine Kunstpause ein. „Werden wir diese junge Dame hier nach ihrem Verbleib befragen. Streng befragen. Ist das klar?" Glasklar! Wenn er nicht wiederkam, würde seine `Komplizin´ es ausbaden müssen. Die Richterin griff nach einem Bündel Papiere vor sich und wandte sich nun an Jin. „Sie sind Jin We?" „Ja." „Wohnhaft in der Färbergasse 33, Ba Sing Se? „Ja." „Geboren in Gaoling?" „Ja." Akkurat wurde alles in die Akte übernommen. „Gut. Ihre Papiere bekommen Sie nachher wieder ausgehändigt." Richterin Sazu faltete die Hände. Jetzt kam der spassige Teil. „Haben Sie gewusst, dass es gegen das Gesetz verstösst in Ba Sing Se zu bändigen?" „Ja", murmelte Zuko. „Kennen Sie die Strafe dafür?" „Fünftausend Yu oder fünf Tage Haft." Jin blinzelte. Woher wusste er denn so was? „Korrekt! Und welche Strafe schwebt Ihnen denn nun vor, um ..." „Er konnte doch aber nichts dafür!", platzte Jin heraus. "Diese Diebe haben uns bedroht! Er hat ..." „JUNGE DAME!" Die Richterin hatte sich erhoben. Jin machte einen kleinen Schritt rückwärts. „Was FÄLLT ihnen ein, in meinem Gericht so herumzuschreien?" „Es tut mir leid", flüsterte Jin. „Aber er hat uns nur verteidigt!" „Ist dem so?" Jetzt richtete sich die Dame wieder an Zuko. „Ja." „In diesem Fall könnte sich das Strafmaß mindern. Erzählen Sie!" Ihr Blick fiel auf Jin. „Getrennt voneinander! Wachmeister? Die junge Dame hat die Güte, draußen zu warten." Eine endlos lange Stunde später kam Jin mit gesenktem Kopf aus der Polizeiwache geschlurft. Inzwischen war es natürlich stockdunkel und kalt. Sie hätte beinahe aufgeschrieen, als eine harte, raue Hand sich ihre Linke schnappte und sie mitzog. Lee! Er sah sie nicht an, sprach nicht mit ihr ... er zerrte sie einfach hinter sich her. „Was tust Du denn?" „Ich bring Dich auf dem schnellsten Weg nach Hause!" Seine Stimme klang mehr wie das Knurren eines wütenden Wolfs. „Ich kann nicht so schnell!" Er stürmte weiter. Jin versuchte ein Zeit lang verzweifelt, sein Tempo zu halten und stolperte prompt. Bevor sie jedoch hinfiel, wurde sie gepackt und wieder hingestellt. „Da vorn ist Deine Strasse!" Er zog sie weiter, ein wenig langsamer als zuvor. Vor ihrer Haustür ließ er ihre Hand los, presste ein "Gute Nacht!" durch die Zähne und ging.  „Lee!" Wenigstens blieb er stehen, auch wenn er sich nicht umdrehte. „Ich ... Seh ich ... seh ich Dich morgen?" Verdammt! Verdammtes Ba Sing Se! Verdammter Minister `Wichtig´! Verdammtes, teuflisches Temperament, das ihn heute tatsächlich dazu gebracht hatte, ihre Sicherheit auf´s Spiel zu setzten, nur weil er sich hatte prügeln wollen! Vor Wut auf sich selbst sprengte es Zuko fast den Kiefer weg. „Morgen kann ich nicht!", stieß er aus. Lange sagte sie nichts, dann, ganz leise: „Ich verstehe."  Zuko wirbelte herum. „Gar nichts verstehst Du!" Vier lange Schritte, und er hatte sie! „Gar nichts!" Der dritte Kuss, den Jin in ihrem Leben bekam, war eine explosive Mixtur aus Leidenschaft, Sehnsucht, Vergebung und einer ziemlichen Ladung Zorn. Jin war das egal! Solange sein Zorn nach Ingwer und Zimt schmeckte, konnte er für den Rest seines Lebens wütend auf sie sein. Sie wurde geküsst, dass ihr Hören und Sehen verging. Eigentlich verkrümelten sich so ziemlich alle Sinne, bis auf Schmecken und Fühlen. Es war ihr auch egal, als er sie mit seinem gesamten Körper beinahe grob gegen die Hauswand presste und sie so hart und heftig küsste, dass ihre Lippen wieder anschwellen würden. Nein. Egal war das falsche Wort dafür. Jin war verzückt. Überwältigt. Hingerissen. Mit beiden Händen umklammerte sie seinen Kopf. Wenn es nach ihr ging, würde er diesmal nicht so bald wieder aufhören! Ihr heissen Münder schienen verschmelzen zu wollen und ihre rauen Zungen umwarben einander kriegerisch. Seine Hände fuhren an ihren Seiten hinab, umklammerten ihre Hüften und zogen sie dichter an die seinen. Heiliger Himmel! Blitze wüteten in Jins Körper. Heiliger Himmel! Sie warf den Kopf zurück, um nach Luft zu japsen. Ihr wurde nur ein winziger Atemzug gegönnt, bevor sein Mund zurückforderte, was sein war. Langsam, ganz langsam wurde er sanfter. Was er sich zuvor genommen hatte, wurde nun nach und nach durch Betörung erschmeichelt. Als er noch sanfter wurde, gab sie einen Laut zwischen Frustration und Hingabe von sich. Er konnte doch jetzt nicht aufhören wollen? Widerwillig löste Zuko seine Lippen von ihren. Noch immer hielt er Jin zwischen sich und der Hauswand eingekeilt. Heftig atmend legte er seine Stirn gegen ihre. Sein Daumen fuhr zärtlich über ihre Unterlippe, während seine gierigen Augen ihren Mund bereits wieder in Besitz nahmen. „Ich bin Feuerbändiger, Jin!" Das heisere Flüstern durchrieselte sie in kleinen, flirrenden Schauern. Oh, Gott! Jins Finger strichen zart über sein Gesicht. Wie sie es liebte! „Das wusste ich doch schon vor sechs Jahren, Du Trottel", wisperte sie atemlos. Ah, seine kluge Jin. „Fünfeinhalb!", raunte er und verschloss ihren vorlauten Mund auf sehr effektive Art. Sie gab sich geschlagen. Lee wusste es bestimmt besser. Jemand, der so küssen konnte, musste einfach Recht haben! Hunderte atemlose Laute später wandelte er die langen, schmelzenden Küsse in neckende Liebkosungen. Nahe ihrer Ohren und in ihres Nackens wurden winzige, knabbernde Zärtlichkeiten verteilt. Woher wusste der Mann nur, dass das ihren Willen komplett lahm legte? „Lee!" Sein geseufzter, falscher Name ließ Zuko in die Realität zurückfinden. So viele Geständnisse standen noch aus. Doch sie würden warten müssen. Seine verrückte Liebste fiel, sobald sie wieder klar denken konnte, vor Müdigkeit bestimmt um. „Ich denke wirklich..." Er drückte einen Kuss auf ihre Nasenspitze. „Du solltest jetzt..." Auf ihr rechtes Augenlid. „schlafen gehen." Dann das Linke. Jin nickte. Sie zog seinen Kopf herab, drehte sacht die Vernarbung zu sich und schmiegte Wangen und Lippen daran. So standen sie etliche Augenblicke, bis Zukos vorwitzige Lippen meinten, wieder auf Wanderschaft gehen zu müssen. „Ich werde morgen wahrscheinlich keine Zeit finden herzukommen." Das heisere Murmeln direkt an der empfindlichsten Stelle ihres Halses ließ die Nervenenden dort zucken. Das war eindeutig die falsche Taktik um sie loszuwerden.  Jin zog seinen Mund auf ihren und zögerte den Abschied auf diese Weise um zwei weitere Minuten hinaus. „Übermorgen?", wisperte sie atemlos. Wenn er nur nicht so wundervoll schmecken würde! „Bestimmt." „Gute Nacht, Drache!" „Gute Nacht, Kobold." Kapitel 14: Zucht und Ordnung ----------------------------- An diesem Morgen war Fon erfüllt von beschwingter Heiterkeit. Endlich kehrte wieder etwas Ordnung in den königlichen Haushalt ein. Dieser Verdienst galt dem ehrenwerten Minister Wong Shu, der für heute einen zweiten Termin mit Zuko vereinbart hatte. Zum Glück! Das Chaos und die Schluderei der letzten Tage war eines Herrschers ganz und gar unwürdig gewesen. Doch nun schienen sich die Dinge wieder zu normalisieren. Wie schon gestern sass der Feuerlord dort, wo er um diese Zeit hingehörte: Vor seinem Diener. Ganz in seinem Element, weil er das Haarbinderitual durchführen durfte, wand Fon die tropfnassen Haare seines Herrn zu einer Kordel, um das Wasser auszuwringen. Sieben mal nach Rechts, sieben mal nach Links. Ja, alles war wieder wie es sein sollte. Es gehörte sich für Zuko II einfach nicht, sich fortwährend in die Stadt zu schleichen. Noch dazu gekleidet wie ein Bauer! „Fon?“ Der Angesprochene wurde jäh aus seiner Seligkeit gerissen. Wenn alles so wäre wie sonst, würde Zuko jetzt nicht sprechen, sondern meditieren. „Ja, Herr?“, fragte der Kämmerer argwöhnisch. „Ich bedarf eines Deiner eher ... besonderen Talente.“ „Meiner ... besonderen Talente, Herr?“ Fon versuchte krampfhaft, unwissend zu klingen. Diese verflixten, wachsamen, alles durchschauenden Augen! Wusste der Junge ALLES über ihn? „Ich benötige die Ausweispapiere eines gewissen Lee Song.“ „Lee Song?“, echote Fon hohl. Was zum Teufel hatte der Bursche denn jetzt wieder angestellt? „Mit doppeltem „e“ oder „i“?“ „Doppeltes „e“. Beheimate ihn irgendwo in der Feuernation.“ „Ich nehme an er soll Hoheit in Alter, Größe und Farben entsprechen?“ „Exakt! Und vergiss bitte die Narbe unter `besondere Merkmale´ nicht.“ „Selbstverständlich nicht, Mylord.“ „Gut! Ich benötige die Papiere bis morgen Früh.“ „Gewiss, Herr!“ Fon seufzte resigniert. Da konnte er sich die Rückkehr zu Zucht und Ordnung wohl gleich wieder abschminken. Als Jin erwachte hielt sie ihr Kissen in leidenschaftlicher Umarmung an sich gedrückt. Leider fehlte dem Stoff der herbe Duft nach Sandelholz und die Illusion verschwand. Sie ließ sich rücklings auf die Matratze fallen, Arme und Beine von sich gestreckt.  Sie war so ... glücklich! Was für ein unzureichendes Wort, diesen Zustand zu beschreiben. Am liebsten wäre sie schreiend durch die Gegend gerannt und hätte Löcher in den Erdboden gehüpft. Sie musste nur an den gestrigen Abschied denken und alles kribbelte, wurde warm und nachgiebig. Nur gut, dass sie bisher nicht gewusst hatte, zu welchen Gefühlen ein Mann sie hinreissen konnten, sonst wäre sie am Ende noch ein loses Stück geworden. Allerdings war die Vorstellung, sie könnte auf einen anderen ebenso reagieren, absolut absurd. Und solange sie nur bei Lee Gefahr lief, sich schamlos aufzuführen war es ja wohl nicht so schlimm. Jin Song ... Ah, das klang ganz wundervoll! „Jin Song!“, flüsterte sie probehalber in die Morgenröte. Ja, es kam ganz leicht über die Lippen. Mit einem lachhaft seligen Lächeln schloss sie die Augen. Dann fiel der zukünftigen Mrs. Jin Song siedend heiss ein, dass Miss Jin We zur Arbeit musste. Auch die Arbeit machte Jin heute glücklich. Sie liebte einfach alles! Das Klappern des Webstuhls, das Muster des Stoffs, das Schimmern der Farben. Die finsteren, vorwurfsvollen Blicke ihrer Freundin Sela machten die einzige, aber dennoch schmerzhafte Ausnahme. In der Mittagspause fand Jin es sei an der Zeit diesen Zustand zu ändern. „Ist neben Dir noch frei?“ „Sieht leider fast so aus...“ „Sela! Jetzt sei doch bitte nicht so!“ „Wie bin ich denn? Vielleicht vorsichtiger als meine dämliche Freundin, die sich auf einen Kerl einlässt, der sie schon mal todunglücklich gemacht hat?“ „Er ... er hatte seine Gründe.“ „Ach? Und die wären?“ „Weiss ich noch nicht“, gab Jin kleinlaut zu. Sela stieß ein schnaubendes Lachen aus. „Klar! Wir kennen sie zwar nicht, seine Gründe, aber gut werden sie schon sein, hm? Ist ja auch nicht so, dass er eine Verbrechervisage hätte!“ „Das hat er nicht!“ Jin sprang auf. „Du kannst nichts anderes sehen, als seine Narbe, oder?“ Jetzt kam sie richtig in Fahrt. „Warum sollte man denn auch nicht von einer Narbe auf den Charakter eines Menschen schließen können? War bestimmt seine Schuld, dass ihm das angetan wurde, nicht wahr? Wahrscheinlich hat er gedacht, hey toll, da stell ich mich doch gleich mal mit meinem Gesicht in den Weg dieses kleinen Feuerchens; wird bestimmt lustig! Und die Schmerzen? Die hat er unter Garantie auch genossen, was?“ Sela blinzelte ihre Freundin an. Jin hatte sie noch nie in einem solchen Tonfall mit ihr gesprochen. Noch nie! „Ich ... Jin! Ich will doch nur nicht, dass Du wieder unglücklich wirst.“ „Es macht mich unglücklich, wenn Du nicht sehen kannst, was ich sehe.“ Jin sprach nun leise. „Er ist ganz anders, als Du denkst. Du... Du müsstest ihn eigentlich mögen, denn er ist ein fürchterlicher Pedant. Genau wie Du. Sein Humor ist so trocken ... man könnte damit einen ganzen See brachlegen. Und er macht mich ganz.“ „Beruht das denn auf Gegenseitigkeit?“, murmelte Sela. Das war ein Punkt, in dem sich ihre liebestolle Freundin sicher war. „Ja, das tut es!“ Sela seufzte und blies sich die Haare aus der Stirn. „In dem Fall, werd ich mich wohl an Deinen Traumprinzen gewöhnen müssen, oder?“ „Sela! Du bist die Beste!“ Stürmisch umarmte Jin ihre Freundin. „Weiss ich ja.“ So gingen an diesem Tag die unterschiedlichsten Leute den unterschiedlichsten Beschäftigungen nach. Einige waren von internationaler Bedeutung, wie zum Beispiel Fons enorme Kunstfertigkeit im Fälschen fingierter Personalien, mit deren Hilfe ein Skandal unüberschaubaren Ausmaßes verhindert wurde. Andere waren vergebene Liebesmüh, wie die Bemühungen Seiner Durchlaucht Feuerlord Zuko, der wieder einmal erfolglos um eine Audienz bei Seiner Majestät dem Erdkönig ersuchte. Und wieder andere waren zwar banal, aber von Erfolg gekrönt, wie die Arbeit einer kleinen Weberin namens Jin We aus Ba Sing Se. Dementsprechend unterschiedlich waren folglich auch die Pläne, die besagte Personen für den Abend hatten. Fon beschloss, sich bei seinem alten Kriegskameraden Rückendeckung zu holen. Vielleicht könnte der Drache des Westens dem seltsamen Treiben seines Neffen ja Einhalt gebieten. Aber als er Iroh erzählte, wie der Gebieter der Flammen falsche Papiere in Auftrag gegeben hatte, konnte der General volle fünf Minuten nicht damit aufhören sich vor Lachen den Bauch zu halten. Als eine Viertelstunde später immer noch vereinzeltes, heisseres Kichern zu hören war, sah Fon sich genötigt eine Frage zu stellen. „Sag mal Hoheit, machst Du Dir keine Gedanken darüber, was der Junge noch alles weiss? Es stand schließlich nicht in meinem Lebenslauf, dass ich außer einem Spitzel auch noch begnadeter Fälscher war!“ Heiterkeit machte einem ziemlich panischen Gesichtsausdruck Platz. Jin, ihrerseits, beschloss, sich bei ihrer besten Freundin Rückendeckung zu holen. Ihre eigenen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht beschränkten sich auf einige stürmische Begegnungen mit einem eher undurchschaubaren jungen Mann. So verbrachten sie und Sela einen dieser wundervollen Abende, an denen der Untergang eines freien, unbeschwerten Männerlebens beschlossen wird. Zuko beschloss, sich bei seiner wertgeschätztesten Freundin Toph Rückendeckung zu holen. Er hatte sich eine neue Verhandlungstaktik zurechtgelegt, und vielleicht würde ihre Unterstützung das Blatt zu seinen Gunsten wenden. Wenn die Erdbuddler mit härteren Bandagen kämpfen wollten, wäre ER bestimmt der Letzte, der einen Rückzieher machen würde. Es musste deutlich gemacht werden, dass Zuko Tatzu keine Marionette war, die sich von ihnen manipulieren ließ. Als erfreuliches Ergebnis dieser kleinen, privaten Verschwörung würde er von nun an wieder freier über die eigene Zeit verfügen können. Am nächsten Morgen bewaffnete Zuko sich mit den Papieren eines gewissen Lee Song und verließ den Palast seines Kollegen gewohnt früh und gewohnt ungewöhnlich, nämlich über das Seil. Der Wächter eines kleinen Seitentors gähnte nach einer langen Nacht ausgiebig. „Guten Morgen, Lao!“ Lao klappte den Mund so schnell zu, dass er beinahe seine Zunge amputiert hätte. „Guten Morgen, äh ... Euer Hoheit!“ „Lao, darf ich davon ausgehen, dass Dein Geschmack ebenso unbestechlich ist wie Du selbst?“ „Ähm ... denke schon, Herr.“ „Wohin würdest Du sagen wir mal eine junge Dame zum Essen einladen?“ Lao war geplättet. Soviel royales Vertrauen war ihm noch nie entgegengebracht worden. „Zum Essen? Na ja ... Quins `Willste Fisch, iss ihn frisch´ ist sehr zu empfehlen, würd ich sagen.“ Willste Fisch, iss ihn frisch? Zuko kamen leise Zweifel, ob Lao sich wirklich zum Gastronomiekritiker eignete. Aber er war nun mal der Einzige, den er fragen konnte. Und verzweifelte Situationen bedurften verzweifelter Massnahmen. „Ah, gut! Danke, Lao!“ „Nichts zu danken, Hoheit!“ Für den Rest seiner Tage sollte ein Wächter namens Lao sich fragen, ob es im Palast seines Königs nichts anständiges zu Essen gab. Zwanzig Minuten später betrat Jin erwartungsvoll die Strasse. Lee hatte zwar nicht gesagt, wann er heute da sein würde, aber hoffen durfte man ja schließlich. Als ihr Blick den Laternenpfosten streifte, an dem er sonst immer lehnte, wurden ihre Erwartungen nicht enttäuscht. Die große Silhouette stand genau dort wo sie hingehörte. Jin nahm die letzte Stufe ihrer Eingangstreppe mit Bravour und trat ihren Arbeitsweg an. „Guten Morgen, Jin!“ Wie machte er das nur? Je sanfter die tiefe Stimme war, umso rauer wurde sie. Sie ging lächelnd zwei Schritte und sah dabei auf die Strasse. Schöne Strasse! „Guten Morgen, Lee!“ Jetzt, da endlich seine Grüsse erwidert wurden, musste Zuko mit einem mal feststellen, dass er nicht mehr in der Lage schien, ein simples Gespräch zu beginnen. Das Wetter war wie immer; darüber zu sprechen würde ihn wie einen Idioten aussehen lassen. Einige Häuserecken weiter war ihm noch immer kein adäquates Thema in den Sinn gekommen. Ein leises, schnaubendes Geräusch ließ ihn stutzen. Jin biss sich auf die zitternde Unterlippe. Lachte sie ihn etwa aus? „Was?“, verlangte er zu wissen. „Nichts!“ Ihre Stimme bebte bedenklich. „Dann lachst Du also wegen nichts?“ Auf die Unterlippe zu beissen half nichts mehr, Jin entfuhr ein Glucksen. „Es freut mich wirklich ungemein, zu Deiner Unterhaltung beizutragen“, grollte Zuko. Jetzt lachte diese Göre ihn doch tatsächlich aus! Stocksteif ging er neben ihr, bis ihre kleine Hand ihn am Ärmel schnappte und in eine schmale Gasse zerrte. Noch bevor er die Situation hier nach Gefahrenquellen untersuchten konnte, wurde sein Mund in Beschlag genommen. Hier würde schon nichts lauern ... bestimmt nicht, er ... Nach zwei, drei Minuten hirnloser Berauschtheit löste Jin ihre Lippen von seinen. Ihre Finger fuhren sacht sein Kinn entlang. „Einen wunderschönen guten Morgen wünsch ich“, wisperte sie. Eines musste er seinem Kobold lassen, ihre Begrüssungen waren um ein Vielfaches aussagekräftiger, als seine. „Er wird schon ...“ „Er wird schon? Hm ... wenn Du SO anspruchsvoll bist ...“ Jin wiederholte die Behandlung, die sie ihm hatte zukommen lassen. Allerdings drehte er den Spieß bald um, übernahm die Herrschaft über diesen Kuss und konnte prompt nicht genug bekommen. „Lee! Ich muss ... zur Arbeit. In diesem Zustand ... kann ich schlecht ...“ „Du hast mit der Knutscherei doch angefangen!“ Er klang selbst ein wenig atemlos. „Ja. Mein Fehler.“ „Ach, findest Du?“ Dass sie es als Fehler betrachtete ihn zu küssen, konnte Zuko so natürlich keinesfalls stehen lassen. Er belehrte sie eines Besseren. Sie schlingerten immer tiefer in die verlockend abgeschiedene und verlockend dunkle Gasse. Je nachgiebiger sie wurde, umso fordernder war er. Vielleicht wäre Jin überhaupt nicht mehr zur Arbeit erschienen, wenn nicht eine laute Stimme sie zu Zucht und Ordnung gerufen hätte. „Sagt mal, ist das hier die Gasse der Freuden, oder was? Sucht euch gefälligst ein Zimmer!“ Da! Jetzt hatte Sie es. Sie war wirklich ein loses Stück geworden! Rot wie eine Tomate machte Jin sich los und floh aus der Gefahrenzone. „Warte!“ Oh nein. Sie würde sich bestimmt nicht noch mal in diese Gasse bugsieren lassen! „Jin, Dein Zopf!“ Jin blieb stehen und fasste versuchsweise nach ihrem Haar. Ihr Zopf hatte sich fast komplett aufgelöst. Also ... IHRE Schuld war das nicht! Vorwurfsvoll funkelte sie den Zopfzerstörer an. Nun war es an Zuko, ein Lachen zu unterdrücken. „Ich hab nicht angefangen“, murmelte er. Was für eine lahme Entschuldigung! „Jetzt halt still.“ Seine geschickten Hände lösten den Zopf, sortierten die Strähnen und flochten ein akkurates, straffes Meisterstück. Jedes Haar landete dort, wo es hingehörte. Zuko betrachtete sein Werk und seufzte bedauernd. „Vorher hast Du mir besser gefallen.“ „Vorher hattest Du Deine Hände auch an Stellen, wo sie nichts zu suchen hatten!“ „Das ist Ansichtssache ...“ „Lee!“ „Schön. Bringen wir Dich eben zur Arbeit.“ Als Jins Gesichtsfarbe wieder einigermassen normal war, fiel ihr etwas ein. „Ich hab morgen meinen freien Tag.“ „Wirklich? Vielleicht kann ich es einrichten, ebenfalls einen einigermassen freien Tag zu bekommen.“ „Das wäre ... nett!“ Sie waren fast da; Zuko konnte die Frauen vor dem Eingang der Weberei schon plaudern und lachen hören. „Heute Abend ... Ich würde gern ...“ „Ja?“ Sie klang erwartungsfroh. „Essen. Ich würde gern etwas Essen gehen. Und einiges ... erklären.“ „Ja.“ „Gut!“ Zuko ging ein paar Schritte rückwärts. „Bis dann!“ „Bis dann!“ Die Jade ihrer Augen strahlte beinahe die Sonne weg. Nach diesem durchaus erfreulichen Start in seinen Tag begab Zuko sich auf direktem Weg zur Polizeiwache und legte dort die falschen Dokumente und die auf zweitausend Yu reduzierte Strafe vor. Dass ein gewisser Herr Lee Song nun aktenkundig war, scherte Herrn Zuko Tatzu herzlich wenig! Die letzten Tage hatte Minister Wong Shu sein ganzes Geschick auf dem politischen Parkett unter Beweis gestellt, indem er den ach so unberechenbaren und gefürchteten Feuerlord mühelos in Schach gehalten hatte. Irgendjemand hatte ihm gesagt, der junge Herrscher wäre wenig lenkbar und verstünde sich auf raffinierte Winkelzüge ebenso gut wie er, Wong. Bloßes Geschwätz von Dilettanten! Er war spielend mit Seiner Feurigkeit zurechtgekommen. Lachhaft, etwas anderes anzunehmen. Schließlich war der Mann im Vergleich zu ihm ein grüner Anfänger. Ein Sekretär kündigte den hohen Besucher an. Wong hätte beinahe gelächelt. Vorhang auf für Runde drei. Als Zuko den Raum betrat musste der Minister zugeben, dass dieser Feuerfuzzi es wirklich verstand Eindruck zu schinden. Prächtige Robe, einschüchterndes Gesicht, überlegene Haltung. Alles an ihm strahlte Macht und Autorität aus, gar keine Frage. Wong begrüsste den Staatsgast mit dem ihm gebührenden Respekt, wodurch er sein Rückgrat schmerzhaft verbiegen musste. „Hoheit!“, näselte er. „Minister!“ Der stolze Kopf wurde um wenige Millimeter geneigt. „Was darf ein bescheidener Mann wie ich heute für Euch tun?“ „Nun, die letzten Tage haben bedauerlicherweise gezeigt, dass Ihr bei weitem weniger tun dürft, als ich es bei einem Mann Eures Ranges angenommen hatte, Minister Wong.“ „Durchlaucht ... Ich erkenne Eure missliche Lage durchaus, aber glaubt mir, mir sind die Hände gebunden. So gern ich die Sache beschleunigen würde, doch Seine Majestät hat ein nahezu überwältigendes Arbeitspensum zu erledigen. Ihn mit Kleinigkeiten aufzuhalten wäre sträflich.“ Kleinigkeiten ... Zukos Augen wurden schmaler. Es war nicht das erste mal, dass er diese, oder ähnliche Spitzen erdulden musste. Die Beamten des Erdkönigreichs hatten bisher alles in ihrer Macht stehende getan, ihm bewusst zu machen, wie wenig das Wohl der Feuernation ihnen bedeutete. „Gewiss!“, schnarrte er. „Ich habe ein recht gutes Gedächtnis, Wong, und kann mich all Eurer Argumente entsinnen. Ohne Ausnahme. So habe ich auch beschlossen, Eure Zeit nicht länger in Anspruch nehmen zu müssen.“ „Hoheit?“ Wong hob milde fragend die Augenbrauen. Er hatte mit einer Trotzreaktion gerechnet, alles lief wie geplant. Der Feuerlord würde gleich verlangen, mit einem höher gestellten Beamten sprechen zu dürfen. „Ich werde mich an anderer Stelle um Unterstützung bemühen, Minister.“ Ja, alles wie geplant! „An anderer Stelle, Durchlaucht? Ich kann Euch selbstverständlich an einen Kollegen weiterleiten.“ Wieder verbeugte er sich ehrerbietig. „Das wird nicht nötig sein!“ Die dunkle Stimme klang gelassen. Wie bitte? Der Minister stutzte ein wenig und sah auf. Plötzlich entdeckte er in den seltsamen Augen seines Gegenübers etwas, das er bisher übersehen hatte. Wong hatte sich stets gerühmt, einen geradezu eisernen Willen zu besitzen. In den goldenen, undurchdringlichen Augen seines Gegenübers aber lag feuergehärteter Stahl. „Euer König, Wong, ist bei weitem zu beschäftigt. Wir werden unsere überaus geschätzte Freundin Toph Bei Fong um Unterstützung ersuchen. Dann muss Seine Majestät nicht belästigt werden.“ „Aber ...“ Wong schluckte. Erbarmungslos seinen Vorteil weiter ausbauend fuhr Zuko fort. „Die Feuernation steht ohnehin tief in der Schuld der Bei Fongs. Ihre abermalige Hilfe würde ihnen unsere absolute Loyalität und Unterstützung auf lange Zeit sichern.“ Mit Befriedigung sah Zuko, wie diese Information langsam in das Gehirn des Ministers für innere Angelegenheiten minderer Priorität sickerte. Es gab im Erdkönigreich viele mächtige und einflussreiche Familien, ja sogar einige kleinere Königshäuser, die parallel zu seiner Majestät, dem Erdkönig regierten. Manche, wie die Bei Fongs, waren sogar noch um einiges reicher als er. Diese unterschwellige Rivalität gedachte Zuko nun auszunutzen. Der Erdkönig konnte es sich nicht leisten, wenn eine ohnehin schon viel zu einflussreiche Familie sich eine ganze Nation als Verbündete sicherte. Denn die Dankbarkeit der Feuernation schadete nur demjenigen, der sie nicht genoss. „Aber Hoheit! Die Bei Fongs verfügen nicht über unsere Ressourcen!“ „Oh, ich versichere Euch, sie verfügen! Sie verfügen sogar ausserordentlich. Über Ressourcen und Zeit, Minister. Ich wäre gerne den offiziellsten aller Wege gegangen, Wong. Doch da seine Majestät für Kleinigkeiten, wie das Leben meiner Bauern, keine Zeit hat, sehe ich mich gezwungen, einen anderen zu gehen. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Ich habe keine Zeit mehr für Eure Spielchen!“ „Nun, vielleicht haben wir Eure Notsituation bisher ... unterschätz. Ein bedauerlicher Fehler! Ich werde Seine Hoheit über die Dringlichkeit Eurer Lage umgehend informieren. Ich bin sicher ...“ „Tut dies, Wong! Und jetzt entschuldigt mich bitte. Ich habe Briefe zu schreiben.“ Mit dem Rauschen kostbarer Stoffe entschwand Mylord. Wong tastete nach dem nächstbesten Stuhl und ließ sich darauf nieder. Das war eine Katastrophe! Er musste sofort eine Krisensitzung mit seinen Kollegen einberufen. Die Ordnung des Königreichs drohte durch ein Ungleichgewicht zu wanken. In den Gästezimmern seines Neffen wartete Iroh Tatzu ungeduldig auf den Ausgang der heutigen Unterredung. Wong Shu schien verstockter, als sie zunächst angenommen hatten. Bestimmt ließ er den armen Jungen wieder gegen Mauern anrennen. Aber sehr viel früher als gedacht betrat ein schwungvoller Feuerlord den Raum. „Zuko! Wie war ...  Ihr seht so zufrieden aus.“ „Tue ich das, Onkel?“ „Ja, Wie eine Katze, der ein Mäuseschwanz aus dem Maul hängt.“ „Wirklich? Wie unappetitlich! Bisher ist es aber wohl nur ein Spatz, doch ich rechne von nun an mit wesentlich mehr Kooperationsbereitschaft seitens der Minister Seiner Majestät.“ „Das ist ja ... Wie habt Ihr das angestellt?“ Während Zuko sich umzog, berichtete er seinem Onkel bis ins Kleinste den Verlauf der heutigen Besprechung. Am Ende leuchteten die Augen des Generals beinahe so hell, wie die seines Neffen. Wie hatte sein Bruder Ozai auf diesen Jungen nicht stolz sein können? Er jedenfalls platzte fast vor Stolz auf seinen Zögling. „Ah, was für ein überaus kluger Spielzug!“ „Danke, Onkel! Ich habe beim Besten gelernt“, erwiderte Zuko mit einem liebevollen Blick in Richtung des Mannes, der immer wie ein Vater für ihn gewesen war. Sela stupste Jin an. „Da ist er ja“, flüsterte sie und sprang von der Mauer, auf der sie hockten. „Ich wünsch Dir viel Spass! Aber nicht ZU viel.“ Ein letztes Augenzwinkern und weg war sie. „Bin ich zu spät?“ Ob sie sich je an seiner Stimme satt hören würde? „Nein! Wir waren nur schon früher mit der Arbeit fertig.“ Jin hüpfte nun ebenfalls von der Mauer, was erstaunlich gut klappte, bis auf die Tatsache, dass sie dabei so elegant wirkte wie ein Albatros im Landeanflug. Nie in ihrem Leben hatte sie sich mehr gewünscht, zur Abwechslung einmal anmutig zu sein. „Ich ... äh. Macht es was aus, wenn ich vor dem Essen schnell nach Hause gehe? Ich sollte mich umziehen.“ Sie deutete vage auf einen Fleck auf ihrem Ärmel. Wenn sie doch nur nicht so eine Schussel wäre. „Nein, warum sollte es etwas ausmachen?“ Er schien den Fleck gar nicht zu bemerken. Langsam schlenderten sie los. „Aber diesmal werden auf dem Weg keine Seitengassen angesteuert!“, mahnte Jin nach einer Weile. „Nicht? Schade ... ich fing grade an, mich an sie zu gewöhnen.“ Zuko konnte sich einen Blick in Richtung `Frieden´ nicht verkneifen. Jin holte erschrocken Luft. Das hatte sie ja ganz vergessen! „Oh nein! Deine Strafe ... hast Du ... ich meine wie viel ...“ „Es ist alles erledigt, Jin! Ich habe die Papiere vorgelegt und damit war alles wieder in bester Ordnung.“ „Und die Strafe?“ „Ich musste keine zahlen, da es Notwehr war“, log Zuko. Am Ende hätte sie noch darauf bestanden die Hälfte zu zahlen. „Wirklich?“ „Ja, wirklich.“ „Dann ... bist Du deswegen nicht mehr böse auf mich?“, erkundigte sie sich, nur um ganz sicher zu gehen. „Jin, ich war eher böse auf mich als auf Dich.“ „Aber ich war es, die uns in diese Gegend gebracht hatte ...“ Sie klang sehr nach schlechtem Gewissen. „Du warst eben wütend auf mich. Man tut die seltsamsten Dinge aus Wut.“ Jin sah auf. Er hörte sich an, als spräche er aus schmerzhafter Erfahrung. Das erinnerte sie an all den Zorn, den sie damals, im Teehaus, in seinen Augen gesehen hatte. Sie hätte gerne nach seiner Hand gegriffen, also tat sie es. Er umschloss sie warm mit der seinen. Inzwischen waren sie bei Haus Nummer Dreiunddreissig angekommen, und da es sich für ein alleinstehendes Mädchen nicht schickte, einen Mann in die Wohnung zu lassen, wurde `Lee´ kurzerhand draußen abgestellt. „Ich bin gleich wieder da!“ Sie drückte ihm den kürzesten aller Küsse auf die Wange. „Willste Fisch, iss ihn frisch“ stellte sich als gar nicht so schlecht heraus. Ambiente und Service hatten mehr zu bieten, als der Name des Lokals vermuten ließ und das Essen war ausgesprochen schmackhaft! Als Jin kurz der Gedanke kam, in einem gewissen Teehaus schon WESENTLICH unfreundlicher bedient worden zu sein, verkniff sie sich sowohl das Lachen, als auch einen Kommentar. Welten lagen zwischen ihrer ersten Verabredung vor fast sechs Jahren (fünfeinhalb!) und jetzt. Zwar wurde von Lees Seite aus immer noch sehr gerne und viel geschwiegen, aber dieses Schweigen war kein Ausdruck von Unbehagen mehr. Ganz im Gegenteil. Die Hälfte der Zeit teilten sie stillschweigendes Verstehen. Dann wieder überschüttete Jin ihn mit belanglosen Fragen oder brachte ihn mit haarsträubenden Anekdoten zum Lachen. Mal schien es unmöglich einander anzusehen, mal schafften sie es nicht, die Augen voneinander zu lassen. Es herrschte jedoch die erstaunlichste Einigkeit darüber, wann das Eine oder das Andre angemessen schien. Das Einzige, das Jin zu bemängeln fand, war die völlig verrückt spielende Raumtemperatur. Ihr war abwechselnd heiss und kalt. Eineinhalb kurze Stunden später fanden sie sich auf dem Platz der hundert Kerzen wieder. Als sie ihn betraten, atmete Zuko tief durch. Die Zeit für Erklärungen war gekommen. Zumindest für einige. Stumm entzündete er ein paar der schwimmenden Kerzen, während Jin sich auf die niedrige Brunnenmauer setzte. „Ist Dir kalt?“ Jin schüttelte den Kopf. „Gut ...“ Zuko setzte sich mit einem halben Meter Abstand, ein wenig von ihr abgewandt. „Ich ... nehme an, am brennendsten interessiert Dich, warum Du mich damals auf dem Marktplatz mit diesem Mädchen gesehen hast.“ „Ja“, gab Jin zu. Sie sah, wie er die Augen schloss, bevor er fortfuhr. Hatte diese Frau ihm viel bedeutet? Sie fühlte ihren heftigen, bangen Pulsschlag. „Ihr Name war Mai. Mai Quan.“ Seine leise Stimme verriet keinerlei Gefühl. „Ich kannte sie, seit ich sechs war. Seit damals waren sie und ich ... Wir waren einander versprochen.“ Jin holte erschrocken Luft. Er war verlobt gewesen? Oh Gott! „Es ist in der Feuernation nicht unüblich, arrangierte Ehen einzugehen. Allerdings ist es eher selten, Kinder bereits so früh in eine solche Verpflichtung zu drängen. Aber Mais Vater und meiner waren Gleichgesinnte. Kriegstreiber! Jedenfalls wuchs sie von diesem Zeitpunkt an bei uns auf und wurde die beste Freundin meiner Schwester.“ Zuko starrte auf seine Hände hinunter, ohne sie zu sehen. „Meine Schwester!“ Ein hartes Lachen entfuhr ihm. „Für sie war ich der Dorn in ihrem Fleisch. Ein ständiges Ärgernis. Ich befürchte, wir versuchten alles Erdenkliche, um einander das Leben zur Hölle zu machen.“ Jin konnte den Kummer selbst in seinem halb abgewandten Profil erkennen. „Mit der Zeit entwickelte Mai ein gewisses Faible für mich und sie wurde eine Art stille Verbündete. Meine einzige, nachdem meine Mutter nicht mehr da war. Damals war ich zehn.“ Jins Lippen begannen zu zucken. Mai hatte ihm also etwas bedeutet! Viel Schlimmer war jedoch, dass er seine Mutter als Kind verloren hatte. Sie rückte ein wenig näher an ihm. „Allerdings lernte ich schnell, dass Mais Loyalität wechselhafter als der Mond war. Ihre Verbundenheit meiner Schwester gegenüber war meist stärker, als das, was sie für mich zu fühlen glaubte.“ Hatte er je wirklich geglaubt, ihre Avancen hätten IHM gegolten? Heute wusste er, dass es vor allem seine Stellung gewesen war, die Mai angezogen hatte. Doch sie hatte es geschafft, sich selbst vorzumachen sie liebe ihn. Dabei hatte sie ihn niemals wirklich gekannt. „Ich wurde immer vorsichtiger in Bezug auf Mai, da ich nicht wusste, wie weit ich ihr vertrauen konnte. Das wusste ich nie. Und dann ... war es plötzlich nicht mehr wichtig.“ Zuko ballte die Hände zu Fäusten, als der schlimmste Teil seiner Erinnerung in Gestalt eines Feuerballs auf ihn zu raste. „Mit dreizehn ließ ich mir einen schrecklichen Fehler zu Schulden kommen. Endlich bekam mein Vater die Bestätigung all dessen, was er schon immer von mir geglaubt hatte. Ich verhielt mich ehrlos und feige. Feigheit ist in der Feuernation das schlimmste aller Vergehen. Unentschuldbar; und endlich Grund genug für meinen Vater, mich zu verbannen!“ „Lee!“ Eine kleine Hand umfasste seine geballte Faust, dann sass sie plötzlich neben ihm. Ganz dicht. Wärmend, tröstend. Dabei hatte er ihr eben von seiner Schande erzählt. Jin war einfach nur entsetzt! In was für einer Familie war er nur aufgewachsen? Sie selbst hatte zwar nur Tante Ria, aber trotzt allem wusste sie, dass Väter ihre Kinder nicht verbannten. Und feige? Sie hatte nie einen Menschen kennen gelernt, der weniger feige war, als Lee. „Ich musste meine Heimat also verlassen“, fuhr Zuko stockend fort. „Aber allein war ich nicht. Mein Onkel kam mit mir. Was ich ohne ihn gemacht hätte ... Ich weiss es nicht!“ Agni! Hatte er je einen festeren Knoten im Hals gehabt als jetzt? „Er reiste mit mir Kreuz und Quer durch die Lande und zeigte mir eine Welt, die so anders war, als man mir erzählt hatte. Ich sah den Krieg, die Zerstörung, die Menschen, ihr Leid. Doch ich wollte nichts davon an mich heran lassen, denn ich selbst war Teil dieser Zerstörung und mein Land war es, das diesen Krieg verschuldet hatte. Statt weniger aufmüpfig zu werden, wie mein Vater es wohl erhofft hatte, wurde ich rebellischer.“ Er atmete tief durch. „Ich hatte von ihm eine Aufgabe bekommen. Eine Aufgabe, die ich erledigen musste, um heimkehren zu können. Hätte ich Erfolg gehabt, hätte es der Feuernation einen enormen Vorteil im Krieg verschafft. Ich versuchte um jeden Preis, meine Pflicht zu erfüllen. Alles was ich wollte, war wieder nach Hause zu kommen und meine Ehre zurück zu erlangen. Doch mein Onkel begann, mir neue Sichtweisen aufzuzeigen. Er lehrte mich, selbst zu denken, selbst zu handeln und dies nicht andere für mich tun zu lassen. Nach und Nach wuchs in mir das Wissen, dass die Ziele meines Vaters falsch waren; dass das Streben der Feuernation nach absoluter Macht falsch war; dass dieser ganze, verdammte Krieg falsch war. So wurden die Versuche, meine Pflicht zu erfüllen, immer halbherziger.“ Zuko merkte, wie er wieder ruhiger wurde. War es die Tatsache, dass der schlimmste Teil der Geschichte vorüber war, oder war es ihre Nähe? „In Folge meines Verhaltens wurden mein Onkel und ich Gesuchte der Feuernation. So kamen wir nach Ba Sing Se, dem einzigen Ort, an dem sie uns noch nicht belangen konnten.“ Zum ersten mal, seit er mit seinem Bericht begonnen hatte, blickte er Jin an. „Dem einzigen Ort, mit grünäugigen Kobolden, die übellaunige Teekellner ertragen!“ Der besorgt aussehende, grünäugige Kobold blinzelte unsicher. „Aber Du wolltest das mit Mai hören... diese lange Vorgeschichte war leider notwendig, damit Du verstehen kannst, weshalb ich so handelte.“ Er sah wieder auf seine Hände hinab. „In meinem Kopf waren so viele, verworrene Dinge, ich konnte kaum unterscheiden was richtig war und was nicht. Da war meine Aufgabe, meine Zweifel daran, der Krieg und ... Du! Ich beschloss, dass Du mich nicht von meinen Zielen ablenken durftest. Ich dachte ohnehin, Du würdest mich hassen, sobald Du wüsstest, dass ich ... Feuerbändiger bin. Und ich hatte kein Recht, Dich in mein wirres Leben hineinzuziehen. Denn das Letzte was ich wollte, war Dir weh zu tun!“ Verstohlen wischte Jin eine Träne fort. „Zwei Wochen nach unserem Rendezvous traf ich dann meine Schwester. Hier, in Ba Sing Se! Ich war wie vor den Kopf gestossen! Unser Vater hatte meine Aufgabe inzwischen an sie übertragen, da ich nicht fähig oder willens war, sie zu erfüllen. Und so stellte sie mich vor die Wahl. Ich konnte ihr helfen, oder weiter als ehrloser Verbannter leben. Ehrlos...!“ Er schnaubte verächtlich. „Darum ging es überhaupt nicht mehr! Die ganzen Tage zuvor hatte ich mit mir gerungen. Ich wollte endlich meinen Weg finden! Und plötzlich sah ich ihn. In den Augen meiner Schwester. Sie war so fanatisch! Sie hielt diesen schändlichen Krieg für glorreich! Wie mein Vater, sah sie es als das naturgegebene Recht der Feuernation an, alles und jeden zu beherrschen.“ Geistesabwesend begann Zuko seine Finger mit ihren zu verknoten. „Auf einmal wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich musste gegen den Krieg ankämpfen. Gegen sie! Mit aller Macht! Und zwar von Innen. Damals versuchten viele Kräfte, die Feuernation von ausserhalb zu schwächen. Aber auch im Land selbst gab es mehr und mehr Menschen, die dem Feuerlord Widerstand leisteten. Heimlich, im Verborgenen. Ihnen wollte ich mich anschließen. Doch zuerst musste ich zurück. Musste meine Familie glauben lassen, ich stünde nun voll uns ganz hinter ihnen und dem Unrecht. Der einzige Weg war, meiner Schwester zu helfen. Und so tat ich es. Selbst mein Onkel glaubte an meinen `Sinneswandel´, glaubte, ich hätte ihn und seine Ideale verraten.“ Ob er diesen Blick in Irohs Augen irgendwann würde vergessen können? Wahrscheinlich nicht. „Mai hatte meine Schwester nach Be Sing Se begleitet, und wenn ich meine Rolle als reuiger Sünder überzeugend spielen wollte, bedeutete dies leider auch, meine ach so vertrauenswürdige Braut wieder in die Arme zu schließen.“ „Und dann hab´ ich euch auf dem Markt gesehen...“ Hatte sie etwa geweint? „Ja. Und es hat mich fast zerrissen, Deine Traurigkeit zu sehen.“ JETZT weinte sie eindeutig. „Jin?“ Jin hatte ihr Gesicht gegen seinen Ärmel gedrückt, umschlang ihn mit beiden Armen und weinte. „Ich wollte nichts falsches sagen!“ Zuko war verwirrt. Womit hatte er sie nur verletzt? „Jin?“ Sie hörte nicht auf. Zögernd legte Zuko einen Arm um sie. Er wusste nicht, wie er mit einer weinenden Jin verfahren sollte. Aber die Idee mit dem Arm schien ein guter Anfang zu sein, denn sie krabbelte auf seinen Schoss, ohne das Gesicht von seiner Schulter zu nehmen, und umklammerte ihn fest. Er beschloss, es ihr gleich zu tun, hielt sie im Arm und fand Trost im Trösten. Leise murmelte er Worte in ihr Haar, küsste ihre Schläfe und wiegte sie sacht, ohne zu wissen warum er diese Dinge tat. Jin beruhigte sich allmählich. Sie schalt sich selbst. Was hatte sie davon, wenn er sie für eine Heulsuse hielt? Sie sollte schleunigst aufhören! „Jin ... warum hast geweint?“ Er WUSSTE es nicht? „Jin?“ Zärtliche Hände strichen ein paar lose Haarsträhnen aus ihren Gesicht. „Ich ... HICK“ Schluckauf! Auch das noch! „Du hast HICK soviel m ... mitgemacht HICK u ... und ich war so ge HICK mein zu Dir!“ „Du ... Was? Gemein? Wann?“ „Die gan HICK ze Zeit! Nach dem K ... kuss. Ich hab mir die HICK Lippen nicht geschru ... ubbt! Und ich wollte nicht, HICK dass sie Dich festnehmen! Und ... und ich werd nie mehr nicht grü HICK ssen, wenn Du mich grüsst!“ Zuko raffte Verstand und Gehör zusammen, um sie zu verstehen. Diese Dinge waren doch längst Vergangenheit. Und wenn SIE sich für gemein hielt, sollte ER sich wohl schleunigst ein paar Hörner wachsen lassen. „Du warst niemals gemein zu mir, mein Herz! Du wüsstest gar nicht, wie das geht.“ „Weiss ich wohl! HICK Ich..." „Wie hast Du mich genannt?“ Der Schluckauf war weg. „Jin?“ „Nein, das andere!“ Ihre Stimme bebte schon wieder. „Äh ... Mein Herz?“ Sie starrte ihn an. Lange. Und dann ... „Fängst Du schon wieder mit dem heulen an?“, fragte er misstrauisch. Jin schüttelte den Kopf. Immerhin waren es nur zwei klitzekleine Tränen. Sie wischte sie schnell weg. „Doch, tust Du!“ Er klang so anklagend, dass Jin ein wackliges Lachen entwich. „Nein! Das ist nur die Rührung, Du Idiot!“ „Ah ... Rührung.“ Das Konzept schien ihm nicht vertraut zu sein. „Wegen?“ „Weil ... weil Du mich `mein Herz´ genannt hast. Oder war das gar nicht so gemeint?“ Sie stellte diese Frage sehr, sehr leise. Und er dachte sehr, sehr genau darüber nach. „Doch. Denn das ist es, was Du bist.“ Sie starrte ihn schon wieder so an. Dann presste sie die Augen zu. „Ichliebedich!“ `Na toll Missy. Das hast Du ja wundervoll hinbekommen!´ Nun war es an Zuko, sie anzustarren. JA! ... JA! Natürlich tat sie das! Es war zwar ein wahnwitziges Wunder, dass sie so für ihn fühlte, aber sie MUSSTE ihn lieben. Alles andere wäre sein Untergang gewesen. Schließlich liebte er sie auch! Wie ein Bekloppter liebte er diesen Kobold! Wie ein irrer Bekloppter. Nur ... darüber zu sprechen ...   Er konnte das nicht! Doch Zuko Tatzu war noch nie vor einer Herausforderung zurück geschreckt. „Gleichfalls!“, würgte er an dem Frosch in seiner Kehle vorbei. Na ja ... Natürlich ging das Geheule jetzt wieder an. Kapitel 15: Wahrheit oder Pflicht --------------------------------- Gleichfalls??? Gott! Oh Gott! Sie hatte es ja gewusst! Schon damals am Brunnen hatte sie es gewusst. Vielleicht sogar schon die ersten Male, im Teehaus. Aus irgendeinem Grund hatte das Schicksal Jin We ins Visier genommen und auserkoren. Als Gegenstück für diesen Mann! Gleichfalls?? Er liebte sie! ... LIEBTE! ... SIE! Sie, die schusselige, chaotische, planlose, grade mal `ganz nett´ aussehende Jinny? Und dieses unvergleichlich herrliche Prachtexemplar? Welcher schielende Witzbold da Oben war denn für `Auf immer und Ewig´ verantwortlich? Gleichfalls? Hatte es jemals jemanden gegeben, der etwas Wundervolleres gesagt hatte, als das? „Jin? Ist das jetzt richtiges Heulen, oder Rührung?“, fragte Zuko hilflos. Sie lamentierte etwas gegen sein Schlüsselbein. Die Jacke konnte er dann wohl abschreiben ... „Für Rührung ist das aber ziemlich viel Wasser, mein He...“ Schnell verschluckte er den Rest des Kosenamens, sonst würde sie hier noch alles überschwemmen. Plötzlich wurde Jin von hektischer Betriebsamkeit erfasst und wühlte in ihren Taschen. Was zum...? Noch nie hatte Zuko jemanden sich so laut seines Naseninhalts entledigen hören. „Bist Du, äh... für heute fertig mit den Tränen?“ „Was kann ich denn dafür, wenn Du solche Sachen sagst?“ Jin klang, als spräche sie durch meterdicke Stofflagen. „Entschuldige! Ich bin ... unbeholfen, wenn es um ... um solche Dinge geht.“ Wie hatte er nur so etwas zutiefst verblödetes sagen können, wie `gleichfalls´? Ein rotgerändertes Augenpaar sah zu ihm auf. „Das ist Ansichtssache!“, sagte Jin und schmiegte ihre Hand an seine vernarbte Gesichtsseite. „Jin!“ Zukos Gesicht wurde mit kleinen Küssen geflutet. Zuerst wahllos, doch dann wurde ein Muster erkennbar als ihre liebevollen Lippen begannen, das Narbengewebe einzukreisen. Ihr Mund landete auf den verheerten Augenlidern, den schartigen Rändern auf seinem Wangenknochen, dem versenkten Ohrläppchen. Ganz sacht, als befürchte sie, ihm weh zu tun. Und seine Scham über den hässlichen Makel, dieses Denkmal des Hasses, das sein eigener Vater mitten in seinem Gesicht errichtet hatte, schwand mit jeder Liebkosung mehr. Schließlich sah sie ihn an. „Wer hat das gemacht?“ Ihr Zeigefinger strich sanft über die Stelle, an der eine Augenbraue hätte sein sollen. Agni! Für weitere Geständnisse hatte sie bestimmt nicht genügend Taschentücher dabei. „Das ist schon sehr lange her, Jin!“ Sollte sie das etwa beruhigen? „Wie alt warst Du?“, fragte sie. „Dreizehn.“ `Du wirst jetzt NICHT schon wieder plärren, Missy!´ „Und wer war es, Lee?“ In ihrem Hinterkopf spukte eine schreckliche Vorahnung. Zukos Kiefermuskeln schlugen Wellen. „Mein Vater“, antwortete er tonlos. Ein Entsetzensschrei hallte in Jins Kopf wider, aber sie ließ ihn nicht nach Außen dringen. „Meine Feigheit hatte Schande über die Familie gebracht. Dies war meine Strafe und meine Lehre!“ Um nicht schon wieder weinen zu müssen, konzentrierte Jin sich fest auf etwas, dass die ganze Zeit gegen die Tür zu ihrem Bewusstsein geklopft hatte. Etwas Offensichtliches. Eine Verlobung zwischen Kindern? Schande über die Familie? Eine wichtige, kriegsentscheidende Aufgabe, die ihm schon mit dreizehn aufgebürdet worden war? Und bei den Banditen, im `Frieden´? Eine Kampftechnik, wie ein Elitekrieger. Zuko beobachtete sie scharf. Plötzlich machte Jin, die seine Narbe bisher herzlich wenig gestört hatte, sich von ihm los und drehte ihm den Rücken zu. Erkannte sie jetzt doch endlich seine vollkommene Unvollkommenheit? Seine unüberwindbaren Fehler? Die Eisenketten, die sich gelockert hatten, seit er hier in Ba Sing Se war, schnürten fast sein Herz ab. Jins Finger verkrampften sich ineinander, als alles, was er ihr erzählt hatte endlich ein Gesamtbild ergab. Sie atmete schwer. „Du bist adlig, nicht wahr?“ Zuko erstarrte. `Sag es ihr!´ Nein! Noch nicht! Er konnte es noch nicht! Sie kannte ihn noch nicht gut genug. Er musste doch erst sicherstellen, dass sie nicht mehr ohne ihn sein konnte! Gesichter tauchten aus seiner Erinnerung auf. Gesichter von Menschen, die ihm wohlgesonnen waren, bis sie erfuhren, wer er war; Menschen, die ihm vertraut hatten, bis sie erfuhren, wer er war; Menschen, denen er geholfen hatte und die ihn doch davon gejagt hatten, als sie erfuhren, wer er war. Zu oft war er dafür gehasst worden, Zuko Tatzu, Sohn von Ozai dem Zerstörer zu sein. `Sag es ihr! Jetzt!´ NEIN! Er war nicht bereit, ihre Gefühle auf´s Spiel zu setzten. Er musste seinen Kobold zuerst mit allen Mitteln an sich binden! „Lee?“ Sie hatte sich wieder zu ihm gedreht, forderte eine Antwort. „Ja“, krächzte Zuko, „Bin ich.“ „Oh Gott!“ Jin schlug die Hände vor den Mund. „Oh Gott!“ Die Arme um sich geschlungen begann sie im Kreis herumzurennen. `SAG ES IHR!´ Was? Wenn sie jetzt schon so panisch reagierte? Den Teufel würde er! „Oh Nein!“ Sie blieb stehen und sah starr an ihm vorbei. „Du kannst nicht... Wir können nicht...“ Sie machte einen zitternden Atemzug. „Ich bin doch nur eine dumme, kleine Weberin! Mein Vater war Hufschmied, meine Mutter Näherin. Ich... ich kann grade mal lesen, schreiben und ein bisschen rechnen. Oh Gott!“ Zuko war aufgesprungen. „Sag das nicht! Was ist falsch am Weben? Was ist falsch daran Hufschmied oder Näherin zu sein? MEINE Familie war ein Haufen Lügner und Mörder! Und sag nie wieder, Du seist dumm! Wer hat denn vor sechs Jahren schon gewusst, dass ich Feuerbändiger bin? Wer hat sich denn eben das mit meiner Abstammung zusammengereimt?“ „Das war ja wohl offensichtlich!“, schrie Jin. „Wie konnte ich nur so blöd sein, und das nicht sehen? Schon alleine, wie Du Deine Essstäbchen benutzt ... Dass Du die Nudeln nicht strickst, bevor Du sie isst, grenzt an ein Wunder! Und wie Du Deine dusslige Teetasse hältst! Völlig etepetete!“ Etepe-was? Er war bitte was? ETEPETETE?? ER? „Und guck doch nur mal Deine Nase an!“ „Ach!“, knurrte Zuko „An meiner Nase hast Du auch noch was zu meckern? Was ist denn verkehrt damit?“ „Die ist auch etepetete!“ Jin stampfte mit dem Fuss auf. „Jin, es reicht!“ „Jin, es reicht!“, äffte sie ihn nach. „Jetzt weiss ich auch, was das die ganze Zeit über mit Deiner Aussprache ist. Bestimmt hattest Du für jeden Buchstaben Einzelunterricht! Und extra Trainingsstunden für die Hochnäsigen Endsilben!“ Zuko beugte sich vor, bis ihre Nasenspitzen sich berührten. „Ob Du´s glaubst, oder nicht, aber mein Vater hat sich einen Dreck um meine Ausbildung geschert! Das einzige Wort, das er mich gelehrt hat deutlich auszusprechen, war `Versager´.“ Das letzte Wort spie er überdeutlich aus. Jin schluckte. Sein Vater. Der Mann, der ihn verbannt und ihm das halbe Gesicht weggebrannt hatte. Ihrem Lee! „Und wenn Du denkst, Du seist unwürdig, meinen Namen zu tragen, dann lass Dir versichern, es wird umgekehrt sein!“, wütete er weiter. Jin blinzelte. Seinen ... Namen tragen? Sämtliche Knochen und Gelenke schienen sich in dünnen Wackelpudding zu verwandeln. Sie sah in seine Augen, fand dort aber nur loderte Empörung. „Lee?“, würgte sie hervor. „Was?“, fauchte ihr blaublütiger Drache. „Ich hätte jetzt gerne einen Deiner etepetete Küsse!“ Sie war wahrscheinlich der einzige Mensch, der seinen Zorn spurlos verpuffen lassen konnte. An dem Kuss, den sie nun bekam war nichts etepetete. Absolut gar nichts! Wie alles, was dieser Kerl anpackte, war er schlichtweg vollkommen. Es war einer jener Küsse, die ihre Opfer einen ganzen Abend lang belauern, geduldig auf den rechten Augenblick wartend. Wenn die Sehnsucht am größten und die Gegenwehr am schwächsten ist. Einer jener Küsse, die ihre willenlose Beute gewissenlos in einen Ozean aus Begierde schleudern, ohne Land in Sicht! Es war ein unvermeidlicher Kuss, von dem sie beide gewusst hatten, sie würden ihn heute noch teilen. Befriedigt stellte Jin fest, dass sie diesmal nicht die Einzige war, die seufzte und stöhnte. Nein, diesen Kuss hatte ihr Drache zur Abwechslung ebenso wenig unter Kontrolle, wie sie. Anstelle seiner sonstigen, geradezu Besorgnis erregenden Raffinesse war rohe Lust getreten. Sie schienen Beide nur ein Ziel zu haben: Näher, enger, fester am Andern zu sein, als jemals zuvor. Jin hatte das Gefühl, als lösten sich ihre Moleküle langsam auf, um in ihn hineinzukriechen, in ihm zu versickern. Würde sie mit ihrem Mund je wieder so profane Dinge tun, wie Essen, oder Trinken? Sie wusste es nicht, denn sein Mund, dieses heisse, feuchte Inferno, brannte all diese Bedürfnisse fort. Wie im Wahn umklammerte Jin seinen Kopf. Als seine Haarklammer dieser Behandlung nicht länger Stand hielt, konnte sie endlich ihre Finger in einem Sturzbach aus schwarzer, köstlich warmer Seide begraben. Der Duft nach Sandelholz entströmte der freigelassenen Mähne und überflutete ihre aufgewühlten Sinne. Inzwischen waren sie wieder am Brunnen gelandet. Er auf der Mauer sitzend, sie quer über seinem Schoss. Dass die Verschlüsse ihres Mantels geöffnet waren, merkte Jin nur weil sie seine Hände plötzlich durch sehr viel weniger Stoff spürte. Besitzergreifende, warme Hände. Sie waren an ihrer Taille, ihren Hüften, ihrem Rücken. Suchten, fanden und streichelten mit köstlichem Nachdruck. Als er das Ziel seiner zärtlichen Invasion erreichte, entwich Jin ein Wimmern. Heilige Sterne! Seit wann war diese Stelle ihres Körpers so empfindsam? So gierig nach Berührung? Sie bog den Rücken durch, um seinen räuberischen Händen besseren Zugang zu bieten. Und während ihr Mund von seinem geliebt wurde, huldigten seine Hände ihren Brüsten. Er umfasste sie, knetete sacht, wog ihr Fülle, ertastete ihre Weichheit. Keuchend riss Jin ihre Lippen fort, um Luft zu holen. Seine eigenen schienen jedoch Beschäftigung zu brauchen, denn nun glitten sie glühend ihre Kehle hinab. Eine seiner Hände griff ihren Nacken, brachte sie in die richtige Position. Sein halb geöffneter, sengender Mund erreichte die empfindliche Sehne ihres Halses und Jins Sinne wussten nicht mehr, welche Erfahrung die lustvollere war. Dann biss er zu. Zart, ganz sacht. Feuer raste von den Nerven an ihrem Hals in sämtliche Gliedmaßen, und sammelte sich dann tief in ihrem Leib um dort pulsierend zu verharren. Ihr Kopf fiel nach hinten, von der Hand in ihrem Nacken gestützt, und ein gebrochener, rauer Laut kam aus ihrer Kehle. Der Laut wurde zu einem sehnsüchtigen, wortlosen Jammern, als sein wissender Daumen sein Ziel erreichte. Oh Gott! Beinahe hatte sie seine Hand an ihrer Brust vergessen, doch nun wurde die mit Zärtlichkeiten bedachte Brustspitze das Zentrum all ihrer Empfindungen. Er rieb, umkreiste die pralle Knospe; drückte, zupfte ... Jin vergrub stöhnend Gesicht und Hände in seinem Haar. Sie wollte näher an ihn; musste es einfach! Zuko war in einem solchen Rausch, er bemerkte ihre zerrenden, energischen Hände zunächst gar nicht. Er schwelgte in ihrem Orangenaroma, in ihrem bittersüssen Mandelgeschmack, in den Geräuschen, die sie ihm rau ins Ohr atmete. Er stand in Flammen. Vom Kopf bis zu den Zehen. Und dazwischen erst! Seine Gier kannte, zum ersten Mal seit vielen Jahren, keine Grenzen. Er wollte sie! Ohne Wenn und Aber! War sie nicht ohnehin sein? Ihre Hände zerrten noch immer hilflos an seiner Kleidung, suchten seine Hitze. Ja. Er könnte seinen Kobold an sich ketten. Er brauchte nur zu nehmen, was sie freudig anbot. Sie würde nicht mehr zurück können, wenn er sie erst geliebt hatte. Auf ewig an seiner Seite! Auf ewig in seinen Fängen! Nie zuvor war Zuko über sich selbst so erschrocken, wie in diesem Augenblick. Er dachte wie sein Vater! Dachte nur an seinen eigenen Vorteil. Wie konnte es sein, dass er keinen Gedanken an sie verschwendete? Dass alles was zählte sein Verlangen war, sie nie wieder gehen zu lassen? Sein zwanghaftes Bedürfnis, von ihr geliebt zu werden? Er machte sich los. Entriss sich ihren unerfahrenen, eifrigen Händen. Um Luft und Beherrschung ringend fuhr er sich mit beiden Händen durch die Haare. Wann, zum Teufel, hatte der Pferdeschwanz sich gelöst? Hinter sich hörte er gejagte Atemzüge. „Lee?“ Sie klang verklärt und irritiert, wie im Halbschlaf. „Verdammt, Jin! Sollte ich mir noch einmal derartige Freiheiten herausnehmen, verpass mir gefälligst eine Salve Ohrfeigen!“ „Was? Warum sollte ich das tun?“ Bei allen Feuern! Sie anzusehen, zerzaust, die Augen dunkel vor Leidenschaft und die Lippen zum Bersten geschwollen von seinen Küssen, brachte ihn an den Rand des Denkens. „Jin“, presste er hervor „Wenn wir noch zwei Minuten weitergemacht hätte, hätte ich Dich in eine der dunklen Gassen geschleppt und Dich genommen!“ „Oh!... Wirklich?“ Das klang in ihren Ohren gar nicht so übel. `Halt den Mund, Missy!´ „Ich kann mir schlimmere Schicksale vorstellen!“, hörte Jin sich sagen. `Na Bestens, Missy! Soll er doch gleich erfahren, wie schamlos seine Zukünftige ist, was?´ Prompt starrte Lee sie an, als hätte er sich verhört. „Ohrfeigen wären bei weitem hilfreicher, Kobold!“ Er klang wie ein Reibeisen. „Dazu hab ich im Moment aber leider keine Lust!“, kam die trotzige Antwort. Jin wickelte sich wieder in ihren dünnen Mantel. Ohne Lees Wärme war die Nachtluft kühl und es sah nicht so aus, als würde er sich erneut auf eine Küsserei einlassen. Sie war sich sowieso nicht sicher, ob sie weitere Minuten akuter Sauerstoffarmut überlebt hätte. Er war bei Weitem zu gut in diesen Dingen. Bei Weitem! Oh, nein! Schon wieder ein Verdacht, der sich in ihrem Kopf herumtrieb. „Mit wie vielen Frauen hast Du sowas schon gemacht?“ „Was?“ „Mit wie vielen?“ Zuko begann langsam aber sicher die Nerven zu verlieren. Küssen, Rennen, Streiten, wieder Küssen, Streiten ... Konnte das Weib denn nie bei einem Thema bleiben? Sie schien eine Art Detektor zu besitzen, mit dem sie alle Schwachpunkte seiner Vergangenheit aufspürte. „Äh ... Sie an einem Brunnen geküsst?“ „Lee! Ich hätte gerne Zahlen und keine Ausflüchte!“ „Drei. Es waren Drei.“ Zuko verfluchte sich für jede Einzelne. „Drei?“ Jin holte tief Luft. „Mit denen Du geschlafen hast?“ Nicht, dass sie am Ende noch aneinander vorbei redeten. „Ich ... äh ... na ja ... ja.  Ach verdammt!“ „Drei?“ Jins Stimme wurde höher. „Auf einmal? Oder nacheinander? Hat's denn wenigstens Spass gemacht?“ „Jin!“ „Ja, was?“ Ihre verschränkten Arme verhießen nichts Gutes! „Das war bevor ... Jin, Ich dachte ich würde Dich nie wieder sehen!“ „Ach ja? Echt? Na so was! Das dachte ich nämlich auch. Ich hab es deswegen aber trotzdem nicht für nötig gehalten, mir ein halbes Dutzend Schmuseschwengel zuzulegen!“ „Drei! Und sie waren bedeutungslos, Jin!“ „Soll ich mich jetzt besser fühlen, weil Du sie nicht sonderlich gemocht hast?“ „Himmel, Jin! Irgendwie musste ich den Schmerz betäuben!“ Sie sah immer noch wütend aus, drehte ihm jetzt sogar den Rücken zu. Agni, wie konnte er ihr nur klar machen, dass diese Frauen nichts mit ihnen Beiden zu tun gehabt hatten? Doch dann wurde Zuko klar, dass das nicht stimmte. Als er wieder sprach war seine Stimme kaum zu hören. „Eine hatte langes, kaffeebraunes Haar; eine Augen wie Jade; und die Dritte ... duftete nach Orangenblüten.“ Er holte tief Luft. „Jede hat mich an Dich erinnert.“ Jin schluckte. War er so geschickt, oder sie so dumm? Sie schien nicht fähig, länger als fünf Minuten böse auf ihn zu sein. Na ja, abgesehen, von den ersten vier Tagen. Ach, was sollte es? „Orangenblüten?“ „Ja." „Ich ... ich rieche nach Orangenblüten?“ Zögernd drehte sie sich um. „Ja.“ „Waren sie in Dich verliebt, diese Frauen?“ Warum wollte sie DAS denn nun schon wieder wissen? „Nein.“ „Dann waren sie dumm!“ „Nun ja ... Pai Cho hab ich mit ihnen jedenfalls nicht gespielt.“ „Du kannst gleich die Ohrfeigen haben, um die Du vorher so gebettelt hast!“ Bevor sie ihre Drohung wahr machen konnte, schnappte er ihre Hand und drückte einen Kuss in die Handfläche. „War diese Mai eine von ihnen?“ Dieses Thema schien seine Liebste ja wirklich hartnäckig zu verfolgen! „Nein.“ „Und ... und wo ist sie jetzt?“ „Ich weiss es nicht. Sie wurde des Landes verwiesen.“ „Von Eurem Lord?“ „Ja.“ „Kennst Du ihn? Immerhin habt ihr auf der gleichen Seite gekämpft.“ Agni! Wurde sie denn heute überhaupt nicht mehr müde? Sie war wirklich naseweis. „Äh, ein wenig, ja. Wir ... ich bin äh, Teil seines Gefolges hier.“ „Ich hab davon gehört. Ihr braucht ein paar Erdbändiger, nicht wahr?“ „Ja.“ „Wie ist er denn so?“ „Wer?“ „Na, euer Lord. Zoko.“ „Zuko! Der Zweite. Er äh...“ Er zuckte mit den Schultern. „Widersprüchlich.“ „So? Das scheint dann ja wohl ein Feuerbändigerproblem zu sein.“ Sie strich eine Haarsträhne hinter sein Ohr. „Hm.“ „Er ist also nur widersprüchlich?“ „Nein. Auch kompliziert. Zielstrebig.“ „Ist er ehrlich? Ich meine...“ Jin sah auf ihre Hände „Viele Menschen hier denken, er will den Frieden nur so lange, bis die Feuernation wieder stark genug ist, einen neuen Krieg zu beginnen.“ „NEIN! Er hasst den Krieg! Er will den Frieden wahren; um jeden Preis.“ „Das ist gut! Es heisst, euer Volk liebt ihn sehr.“ „Ich weiss nicht.“ „Tust Du es denn?“, wollte Jin wissen. „Ich? Äh ... keine Ahnung. Ich vertraue ihm, schätze ich.“ Solange es nicht um Dich geht, Kobold! Jetzt lächelte sie ihn an. „Wenn er Gefolgsleute wie Dich hat, wird er bestimmt Erfolg haben!“ Jetzt musste er sie einfach wieder küssen. Sanft, auf den Mundwinkel. Jin strich ihm wieder die Haare aus dem Gesicht. „Wie lang sie geworden sind! Gar kein wuscheliger Schopf mehr.“ „Stört Dich das?“ „Nein ...höchstens ein Bisschen. Du bist ... es ist egal, wie Deine Haare sind.“ Ihr Lohn war ein weiterer, neckender Kuss. „Lee?“ Zuko schwante Übles. „Ja?“, fragte er. „Hast Du ... jemanden getötet, in diesem Krieg?“ Sie klang zögerlich. Seine Kehle wurde eng. „Ja. Einmal.“ „Wen?“ Ihre Hand lag tröstend an seiner Wange. Der Albtraum raste trotzdem auf ihn zu. Ebenso real, wie Nachts, bei Neumond. Es war Neumond gewesen, als er den Sterbenden gehalten hatte, die sengenden, alten, immer gleichen Flüche im Ohr. `Nichtsnutziger Bastard! Und nun ... auch noch ein feiger Verräter. Ich... hätte Dir ... bei Deiner Geburt diese... verdammten Augen... ausbrennen sollen!´ „Meinen Vater.“ Seine Stimme versagte den Dienst. Er hörte ihr erschrockenes Keuchen. „Lee!“ Arme schlangen sich um ihn, zogen seinen Kopf neben ihren. „Lee! Mein armer Schatz!“ Er atmete ihren Duft und wurde wieder ruhig. „Was ist mit dem Rest Deiner Familie?“, wollte sie nach einer Weile wissen, die Wange immer noch an seine geschmiegt. „Meine Schwester ist ebenfalls tot. Mein Onkel und meine Mutter sind wohlauf und versuchen immer noch vergebens, mich zu bessern!“ „Deine Mutter? Ich dachte sie sei ... Sagtest Du nicht, sie sei tot?“ „Nein! Nein, aber sie wurde fortgeschickt als ich zehn war. Lange Zeit hielt ich sie für tot. Doch kurz nachdem ich Dich kennen lernte, erfuhr ich, dass sie noch lebte." Das Fieber; seine Visionen ... Die Drachenstimmen hatten auf ihn eingeredet, und dann ... die Stimme seiner Mutter, die um Hilfe rief. „Das war auch einer der Gründe, warum ich unbedingt wieder nach Hause wollte. Ich musste nach ihr suchen!“ Jin sah ihm lange in die Augen. Hatte sie damals wirklich gedacht, sie hätte zu viel in dieses tiefe Gold hinein interpretiert? Alles, was sie darin zu lesen geglaubt hatte, war auch dort. Er schien für sein Alter zu viel Leben gehabt zu haben. Seine Augen waren die eines wesentlich älteren Wesens. „Und Du hast sie gefunden.“ „Ja.“ Jin küsste ihn und legte dann ihre Stirn gegen seine. „Glaubst Du, sie wird mich mögen und akzeptieren, Deine Familie?“ Seine `Familie´ bestand aus hunderttausenden von Menschen. „Sie werden Dich vergöttern!“ Wieder ein Kuss. „Wirklich?“ Noch Einer. Lang und heiss. „Ah, Kobold, wenn ich es doch tue!“ Kapitel 16: Wie es euch gefällt ------------------------------- Jin hatte einen jener wundervollen Träume über den roten Drachen. Auch diesmal hatte sie wieder das Gefühl, direkt in den Erinnerungen einer anderen Person gelandet zu sein. Den glücklichen Erinnerungen dieser schemenhaften Frau. Hsui ... So hatte der Drache sie genannt. „Hsui!“ Diese Stimme ... Bronzeglocken und Zedernrauch. Eine auffordernde Hand streckte sich Jin entgegen, als sie ihre Traumwelt durch die Augen der Frau sah. Der Drache trug also seine Menschengestalt. Sie erkannte das schöne, strenge Gesicht mit den warmen goldenen Augen. Narbenlos. Diesmal war er so nah, dass sie winzige Unterschiede feststellen konnte. Die mandelförmigen Augen hatten exakt den selben, hellen Goldton, doch standen sie eine Spur schräger, die Lippen waren etwas voller, das Kinn spitzer. Insgesamt war dieses Gesicht noch ein klein wenig exotischer, als das ihres Teekellners. Der Mann sagte etwas, das Jin nicht verstehen konnte, aber die Frau lachte leise. Er lächelte. Bei den Göttern. Es war SEIN Lächeln! So selten, so kostbar. Sie - nein, die Frau - nahm die dargebotene Hand und folgte ihm. Sie schritten durch prächtige Gänge, bis sie schließlich ins Freie gelangten. Im sanften Licht des Sonnenuntergangs breitete sich ein wunderschöner, blühender Garten vor ihnen aus. Jin nahm einen blumigen und doch frischen Duft wahr. Orangenblüten? Sie waren in einem alten Orangenhain! Tausende filigraner, hauchzarter Blütenblätter flirrten durch die Luft. Unter einem großen, knorrigen Baum blieben die beiden stehen. Der Mann neigte seinen Kopf, die Frau hob ihren. Ein inniger Kuss. Dann sah Jin wieder durch die Augen von Hsui. Arme umschlangen sie von hinten. Große, Geborgenheit spendende Hände legten sich um ihren gerundeten, prallen Bauch, um das Leben darin zu spüren. Grenzenloses Glück durchströmte sie. Und grenzenlos glücklich erwachte sie. An diesem Morgen gab es unter den Bürgern Ba Sing Ses nur ein einziges, diskussionswürdiges Thema; die neueste Ausgabe des `Ba Sing Sehers´, der größten Zeitung des Königreichs. Grund hierfür waren die jüngsten Karikaturen aus der Feder des Zeichners Kong. Seine amüsanten, kleinen Bildchen waren für den Erfolg der Zeitung nicht unmaßgeblich. Während der letzten Tage hatten sie alle nur ein Thema behandelt: Feuerlord Zuko und seine vergeblichen Versuche, gegen die Gewitztheit der hiesigen Bürokraten anzukommen. Auch die heutigen Werke waren dem hohen Staatsgast gewidmet, allerdings auf eine andere Art und Weise, als die Leser dies erwarteten. Für die Meisten war es mittlerweile schon zur lieb gewonnenen Gewohnheit geworden, über die überzogen dargestellte Hilflosigkeit des so genannten Feuergekrönten zu lachen. Und Heute? Heute war der Spieß tatsächlich umgedreht worden. Nun zeugten die Zeichnungen von einem gelassenen, ruhigen Mann, der die Rangeleien und Machtspielchen des Erdkönigreichs klug für sich zu nutzen wusste. Einen Mann, der die Intrigen und Fallstricke der großen und kleinen Beamten König Nuros einfach an sich abprallen ließ. Auf einem Bild sass der junge Feuerlord in meditativer Haltung, inmitten eines Kreises alter Einfallspinsel, die vergeblich versuchten, ihn aus der Reserve zu locken, indem sie ihn mit Kieselsteinen bewarfen. Auf einem Anderen versuchten sich die Minister mit Hilfe feinster Leckereien und Kostbarkeiten anzubiedern, wurden aber wie lästige Fliegen von einer wedelnden Handbewegung Zukos II verscheucht. Den kurzen Bildbeschreibungen zufolge, hatte ein einziger, cleverer Schachzug seitens des Feuerbändigers die Berater des Königs dazu gebracht, urplötzlich um seine Aufmerksamkeit zu buhlen. Und da die Bewohner Ba Sing Ses stets bereit waren Gerissenheit und Klugheit zu würdigen, fanden sie die neueste Entwicklung mindestens ebenso amüsant, wie die vorangegangenen Schmähungen Seiner Lordschaft. Zudem ging ein langer und seriöserer Artikel auf seine Rolle während der letzten Schlacht ein und umriss in knappen, unmissverständlichen Worten wie sehr sein Einschreiten den Ausgang des Krieges beeinflusst hatte. Ohne den neuen Feuerlord, stand hier zu lesen, hätte man auf Frieden noch lange zu warten gehabt. Diese Tatsache war zwar schon bekannt gewesen, aber es war immer schön eine Bestätigung zu bekommen, nicht wahr? Morgen würde Fisch und Kohl in diese Zeitung gewickelt werden, aber heute sorgte sie für ein kleines bisschen Völkerverständigung, indem sie Ruhm und Beliebtheit des ehemaligen Feindes mehrte. Nie hatte Jin sich auf einen Tag mehr gefreut, wie auf den heutigen! Sie hatte frei, und in ein paar Minuten würde das Licht ihres Lebens erscheinen, um mit ihr Frühstücken zu gehen. Konnte es wundervoller sein? Nun ja ... sie wüsste, wie es noch wundervoller werden könnte. Doch sie konnte sich nicht jede Sekunde des Tages an Lees Hals hängen. Noch nicht. Sie seufzte und brachte schnell ihre Haare in Bestform, bevor jener Herr mit dem akkurat gebundenen Pferdeschwanz auftauchte. Das Klopfen an der Tür war auf die Minute pünktlich und überaus angemessen. Weder zu laut, noch zu leise; eben einfach angemessen. „Moment! Ich ... such nur noch meinen Schuh!“ `Schon wieder, Missy?´ Vor der Tür wurde eine Stirn in strenge Falten gelegt. Das konnte ja heiter werden! Jetzt reichte also schon ihre Stimme aus, ihn Dinge denken zu lassen, die er krampfhaft zu unterdrücken versuchte. Vielleicht wäre es besser, einen Eimer Eiswasser mit sich herumzuschleppen. Dann könnte er bei Bedarf seinen Kopf kühlen ... oder andere überhitzte Körperpartien. Verflucht! Seit gestern hatte sich dieser Gedanke in Zukos Gehirn festgefressen. Dieser unglaublich verlockende, unehrenhafte Wunsch, Jin endgültig als seinen Besitz zu brandmarken. Die Bedürfnisse seines Herzens, seines Kopfes und seines überreizten Körpers hatten über Nacht einen unverbrüchlichen Packt geschlossen und unterwanderten sämtliche guten Vorsätze; wollten ihn dazu bringen auf diese Stimme zu hören, die ihm immer noch zuflüsterte, dass sie ihm auf diese Weise nicht mehr würde entkommen können. Agni! Er dachte wie ein Barbar, wenn es um diese Frau ging. Wie ein roher, unterbelichteter Barbar, dessen falsches Ende durchblutet wurde. Eines stand fest: Wenn er den heutigen Tag überstehen wollte, würde es heute weder dunkle, abgeschiedene Gassen noch menschenleere Plätze geben. Doch nun wurde es Zeit, sich zusammenzureissen, denn die Tür wurde aufgeschoben. Ihr Lächeln übergoss ihn mit Wärme. Zuko schluckte. Vielleicht sollte er `Projekt freier Tag´ abblasen, um sich seiner fleischgewordenen Versuchung zu entziehen. „Guten Morgen, Lee!“ „Guten“ Er räusperte sich. „Morgen.“ Warum stand sie nur da, und sah ihn an? „Wie hast ...“ „Ich hoffe Du ...“ Ebenso synchron, wie sie zu sprechen begonnen hatten, verstummten sie wieder. Fragend hob er die Braue, um sie zuerst sprechen zu lassen. „Wie hast Du ...“ `Herrgott Missy, das ist ein ganz normales Wort!´ „... geschlafen?“ Jin färbte sich Rosa. „Gut. Sehr gut!!“ Zuko beglückwünschte sich zu der bestechenden Eloquenz dieser Aussage. „Und was, äh ... was wolltest Du sagen?“ „Ich hatte die selbe Frage.“ „Oh.“ „Ja, Oh. Und?“ „Was und?“ „Hast Du?“ „Hab ich was?“ „Gut geschlafen, Jin.“ „Oh!“ Er musste sie ja für komplett dämlich halten. „Ja. Ganz wunderbar!“ „Das ist gut!“ Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Wollen wir?“, fragte Jin. Ah, Kobold, Du hast keine Ahnung, WAS ich im Moment alles will! Zuko beschränkte sich jedoch auf ein Nicken, worauf sie die Tür zuzog und abschloss. Kaum waren sie auf der Strasse, wimmelte es mit einem Mal von Nachbarn, die `zufällig´ vorbeikamen. „Guten Morgen, Jin. Genießt Du Deinen freien Tag?“ „Ja, Frau Wong.“ „Jin ... so früh schon auf?“ „Auf dem Weg zum Frühstück, Herr Zui.“ „Ah, das Fräulein We. Wie schön Dich zu sehen!“ „Äh ... Gleichfalls.“ Jins stummer Schatten ließ die zahlreichen, neugierig bis drohenden Blicke stoisch über sich ergehen. Stoischer, als sie selbst, soviel stand fest. Mit glühenden Wangen ging sie neben ihm. „Sie wollen nur sichergehen, dass ich keine Bedrohung für Dich bin, Jin“, murmelte er. Keine Bedrohung? Also, wenn er keine Bedrohung für sie war, wer dann? JIn nickte nur und ging ein wenig schneller. In Wahrheit wünschte Jin sich in diesem Augenblick an einen friedlichen, ungestörten Ort. Himmel! Ihr war ganz heiss vor Scham. Und das lag ganz bestimmt nicht an den Blicken, die sie und ihr Begleiter auf sich zogen. Nein, es lag am Begleiter selbst. Oder doch an ihr? Ihr früher so zuverlässig funktionierender Körper lieferte sie ohne Skrupel ans Messer. Seit er sie gestern Abend so unerwartet köstlich liebkost hatte, schienen ihre Brustspitzen ein eigenes Bewusstsein entwickelt zu haben. Ein Bewusstsein, das auf ihn reagierte. Auf IHN? Auf die bloße Erinnerung an ihn! Die dummen Dinger, die bisher ein recht unauffälliges Dasein gefristet hatten, kribbelten, wenn sie nur an Lees Stimme dachte. Und sie ... sie ... Was sie taten, wenn er tatsächlich sprach, war der Gipfel wonnetrunkener Peinlichkeit. Jedenfalls würde das ein sehr, sehr heißer Tag werden, denn ihren Mantel würde sie bestimmt nicht ausziehen. Zu allem Überfluss trug sie auch noch das am gröbsten gewebte Unterkleid, welches sie besass. Es scheuerte. An eben der Stelle, die sie momentan liebend gerne ignoriert hätte. „Jin?“ Die Art wie er ihren Namen aussprach legte nahe, dass er bereits zum wiederholten mal versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Was? Ja?“ „Wohin gehen wir?“ „Na zu ... oh ... falsch ... wir, äh müssen da lang.“ Sie macht eine Kehrtwende. Für den Rest des Weges hatte das Schicksal ein Einsehen mit Jin und ließ sie ohne Stolpern, Verlaufen oder sonstige Zwischenfälle ans Ziel finden. Beim Frühstück beschlich Zuko langsam aber sicher das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Jin wirkte unkonzentriert und abwesend. Verzweifelt versuchte er den Löwenanteil der Konversation allein zu bestreiten, was bei seiner Talentverteilung einem Spießrutenlauf gleichkam. Nachdem er eine dämliche Äusserung zum Wetter tatsächlich zum zweiten mal gemacht hatte, beschloss er, das gleiche Recht auf Schweigsamkeit zu haben, wie sie. Nach drei Minuten wurde ihm die Sache unheimlich. „Jin?“ „Hm? Was?“ „Stimmt etwas nicht?“ Warum sah sie plötzlich panisch an sich hinunter? „Nein! Alles Bestens! Warum?“ „Weil Du seit drei Minuten keine Antwort gegeben hast.“ „Oh ... Wie war die Frage?“ „Es war keine Frage. Ich sagte, die Kumuluswolken wirken recht seltsam.“ Erwartungsvoll verschränkte er die Arme. „Äh, ja. Tun sie.“ „Jin!“ „Hm?“ Er beugte sich vor. Sie konnte das Sandelholz riechen. Auch DAS noch! „Da sind keine Wolken, mein Herz.“ Jin schluckte. Sie konnte ihm doch unmöglich von ihrem Dilemma erzählen. „Entschuldige! Ich bin seit gestern nur ein wenig ... äh, abgelenkt.“ „Abgelenkt?“ Sie nickte nur. "Seit gestern?" "Mhm." Er sagte nichts. Sie schielte ihn an. „Ah, Kobold“, raunte er leise. „Wer nicht?!“ Zuerst atmete Jin auf, biss sich dann jedoch auf die Lippen. „Dann .. geht´s Dir ähnlich?“ Ähnlich? Zuko bezweifelte, dass es ihm `ähnlich´ ging. Sein Zustand war, gelinde gesagt, eher schmerzhaft. „Äh, ja. Wir werden heute jedenfalls schön in der Öffentlichkeit bleiben!“ Nachdem das nun geklärt war, entspannte Jin sich und genoss die Gesellschaft ihres Drachen. Wobei ... die Aussicht heute GAR keinen seiner Feuerküsse zu bekommen war auch nicht gerade verlockend. Sie verbrachten den Tag damit, durch die Stadt zu streifen, hier und da eine Kleinigkeit zu essen, den Schaustellern zuzusehen, am Fluss zu sitzen und in der Öffentlichkeit zu bleiben. Fast hätte es am Flussufer einen Zwischenfall gegeben, als Jin meinte, sie müsse ihm einen Brotkrümel vom Mundwinkel wischen. Kaum berührte ihr Finger seine Lippen erstarrte sie in der Bewegung und erkannte ihren schweren Irrtum. Die goldenen Augen wurden dunkel. Sein Kopf drehte sich leicht, schon glitten heiße Lippen ihren Finger hinab. Seine Zähne gruben sich ganz kurz und sanft in den Ballen ihres Zeigefingers. Schauer durchrannen Jin wie ein Bienenschwarm. Ihr Drache war bissig! Sie sah ihn an, während ihr Herzklopfen sie fast umwarf. Vermutlich sassen sie eine halbe Minute so da, belauerten sich gegenseitig und starrten den Mund des Anderen an. Als sie sich schließlich abwandte, war Jin atemlos und erhitzt. Zuko wäre am liebsten in den Fluss gesprungen, aber wahrscheinlich würde das ganze verdammte Wasser verdampfen, wenn er das tat. Danach achteten sie ein paar Stunden peinlichst genau darauf, es zu keinen weiteren Berührungen mehr kommen zu lassen. Am späten Nachmittag steuerte Jin eine gefährlich ruhige Gegend an. An einem Blumenstand kaufte sie zwei Schwertlilien. „Ich ... ich würde gern zu dem kleinen Friedhof hier gehen. Das mache ich an jedem freien Tag.“ Zuko nickte, obwohl er ahnte, dass dieser Abstecher nicht gut für sein innres Gleichgewicht sein würde. Der Friedhof war winzig und verwinkelt. Nicht mehr als vierzig Gräber standen innerhalb einer niedrigen, verwitterten Steinmauer eng beieinander. Eine große Trauerweide warf wogend lebendige Muster aus Schatten und Licht auf moosbewachsene Gedenktafeln und erzählte rauschend vom Wind. Selten hatte Zuko einen friedlicheren Ort gesehen. Oder einen schöneren. Jin ging zu einem Doppelgrab, das sich an die Außenmauer drängte und ließ sich auf die Knie nieder. Mit zärtlichen Fingern strich sie über die Namen auf dem Grabstein, nahm die beiden Blüten und legte sie umsichtig auf die Grabplatte. Hong We & Aya We. Als Zuko die Jahreszahl lass, biss er die Zähne aufeinander. Das gleiche Datum unter beiden Namen. Krieg. Es war ein Kriegsjahr gewesen. „Deine Eltern?“ Er musste sich zum Sprechen zwingen. „Ja.“ „War es ... der Krieg?“ „Ja.“ Er sog scharf die Luft ein. Würde die Schuld irgendwann aufhören? Könnte er die Taten seiner Vorväter jemals sühnen? „Es tut mir leid, mein Herz“, flüsterte er. Sie griff nach seiner Hand, schmiegte ihre Wange an seinen Handrücken. „Es ... ist nicht so schlimm. Ich war erst drei. Und von da an war Tante Ria meine Familie.“ „Nicht so schlimm? Sie waren Deine Eltern!“ „Ja. Aber ich war zu klein, um zu bergreifen was passiert war. Ich kann mich so gut wie nicht mehr an sie erinnern. Nur, dass Papa groß wie der Himmel war und Mama immer nach Vanille roch.“ Sie legte ihre Hand noch einmal auf die Grabplatte, stand langsam auf und klopfte sich den Staub vom Rock. „Lass uns gehen.“ Sie nahm seine Hand. Auf dem Rückweg merkte Jin, dass ihr Begleiter immer noch bedrückt war. „Lee?“ „Hm?“ „Was ist denn?“ Er antwortete nicht, aber sie erriet seine Sorge. „Du warst doch nicht Schuld, Lee!“ „Aber mein Land.“ Er atmete tief durch. „Hasst Du die Feuernation denn nicht?“ „Nein. Es war eben Krieg. Ich ... Es gab auf beiden Seiten Tote. Und auf beiden Seiten viel Unglück.“ Lee drückte ihre Hand, aber er sah immer noch niedergeschlagen aus. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, stellte sie eine Frage, für die es ohnehin höchste Zeit wurde. „Lee, ich möchte Dich .... Äh, meine Tante ... Ich würde Dich ihr gern ... vorstellen.“ „Deiner Tante? Ria?“ „Ja.“ Sie wartete bang auf seine Antwort. „Sicher! Ich weiss nur nicht, ob Tanten mich mögen.“ Jin musste lachen. „Du weisst nicht, ob Tanten Dich mögen? Spezielle Tanten, oder Tanten im Allgemeinen?“ „Äh ... ich hab noch nicht viele Tanten kennen gelernt. Ich meine nur, es gibt nicht gerade viele Menschen, die mich mögen. So auf Anhieb.“ „Was? Was für ein Unsinn! Ich mochte Dich doch auch. So auf Anhieb!“ „Ja, Du, Kobold! Doch Du bist eine Ausnahme.“ „Dann ist Tante Ria eben auch eine Ausnahme!“ Das bezweifelte Zuko. Trotzdem erklärte er sich bereit, mit ihr Tante Ria zu besuchen. Jin zog ihn in ein altes, verwinkeltes Viertel, in dem es nach Gerbsäure und Wäschezubern roch. Gerber und Lederer hatten sich hier am Fluss vor langer Zeit angesiedelt. Ein kleines, ockerfarbenes Haus war Jins Ziel. Sie öffnete die unverschlossene Tür und der köstliche Duft von Jasminreis und Schweinefleischbällchen strömte ihnen entgegen. Spontan aktivierte es das Knurren eines fürstlichen, jedoch schmerzhaft leeren Magens. Diese Lächerlichkeiten, die hier in Ba Sing Se als Portionen bezeichnet wurden machten vielleicht einen Erdwühler satt, aber jemanden, dessen Stoffwechsel Feuer und Hitze produzierte, machten sie zu einem hungrigen Mann. Zu eine SEHR hungrigen Mann! Zuko war einen schiefen Blick auf seinen Bauch, als dieser sich erneut meldete und erntete ein Lachen. „Bist Du das, Kind?“, erklang eine Stimme aus dem Raum, der diese wundervollen Düfte verströmte. „Ja, Tante Ria!“ „Ich hoffe, dieser Besuch von Dir ist hungrig, Missy!“ „Das konnte ich eben zweifelsfrei feststellen, Tante“, rief Jin. Eine kleine, füllige Frau erschien im Türrahmen zur Küche. Sie hielt ein kariertes Handtuch, an dem sie sich gerade die Hände trocknete. Jin eilte auf sie zu und ließ sich in eine feste, mütterliche Umarmung ziehen. „Missy! Was hast Du denn gemacht? Dein Gesicht ist ja ganz heiß!“ „Nichts. Wir sind nur den ganzen Tag durch die Gegend gelaufen.“ „Hm, wirklich? Na ja... Du musst ja wissen, was Du tust.“ Zuko dämmerte eine leise Ahnung War Tante Ria am Ende ein weiblicher Onkel Iroh? Dann wurde er der schärfsten Musterung unterzogen, die er in seinem Leben je hatte über sich ergehen lassen müssen. Er spürte, wie er unwillkürlich Haltung annahm. Grüne, stechende Augen sezierten ihn von Kopf bis Fuss. Herrje, diese Frau hätte Feldwebel werden sollen! „So ... das ist also Lu.“ Bevor Zuko den Mund öffnen konnte, führten die beiden Frauen das Gespräch im Alleingang weiter. „Lee, Tante.“ „Ach? Ganz schön groß, muss ich schon sagen. Er stösst sich doch bestimmt oft den Kopf an. Stossen Sie sich oft den Kopf an, hm?“ War das jetzt sein Stichwort gewesen? Bestimmt! „Gelegentlich. Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Frau...“ Verdammt! Jin hatte nicht gesagt, wie der Feldwebel mit Nachnamen hieß. „We!“, sagte Ria zackig. „Und zwar Fräulein!“ Soviel dazu, ob Tanten ihn mochten. „Äh, schön, Sie kennen zu ...“ „Ja, ja! Schon gut! Kein Grund, Sonntagsmanieren auszupacken. Ich heisse Ria!“ Aaaah ja. Gut! Blitzschnell wurden die Sonntagsmanieren weggepackt. Allerdings wusste Zuko nicht so recht, wodurch er sie ersetzen sollte. Es wäre wohl kaum angebracht auf derbe Kasernenflüche zurückzugreifen. „Ich hoffe, Sie haben Hunger?“ Ein abschätzender Blick traf ihn von schräg Unten. „Sehr!“ beeilte er sich zu versichern. „Gut. Jin, deck den Tisch!“ Jin, schon mit Schüsseln und Tellern beladen, verdrehte nur leicht die Augen. „Ja, Tante.“ „Ach Gottchen, meine Klöße!“ Mit diesem Ausruf setzte der Feldwebel zum schnellen, ungeordneten Rückzug in die Küche an. Während sie Teller, Schüsseln und Ess-Stäbchen verteilte, lächelte Jin still vor sich hin. „Siehst Du, ich sagte doch, sie wird Dich mögen.“, murmelte sie. „Tut sie das?“ „Aber ja! Zu Leuten die sie nicht mag, ist sie viel höflicher.“ Zuko dachte an seine wenigen Freunde und musste feststellen, wie viel Wahrheit in dieser Äusserung lag. „Ich ... kann ich Dir bei etwas helfen?“ Er war es nicht gewohnt, einen ganzen Tag lang untätig zu sein. „Nein! Ich weiß schließlich, wie Du mit Geschirr umgehst.“ Sein strafender Blick wurde ignoriert. „Aber Du kannst gleich ordentlich zulangen, um Tante Ria glücklich zu machen.“ Der Anblick von Klößen, Fleischbällchen, Rippchen, dicken Soßen, buntem Gemüse und Reis machte klar, dass Tante Ria gleich SEHR glücklich werden würde. In der Tat sah die kleine Dame mit jeder Schüssel, die Zuko leerte, zufriedener aus. „Einen gesegneten Appetit hat er ja, Dein junger Mann!“ Ihr junger Mann? Jin wurde verlegen, jedoch nur leicht. „Hol doch bitte noch ein bisschen Litschisaft, Liebes.“ Litschisaft und `Liebes´ konnte jedoch nur eines bedeuten. Ria We wollte ein Erwachsenengespräch führen. Unter vier Augen! „Ja, gut.“, meinte Jin und warf Lee einen entschuldigenden Blick zu, als sie das Zimmer verließ. „Nun, Lee ...“ Ah, das Verhör begann also endlich! Zuko zwang sich, entspannt zu bleiben. „Ich red nicht gerne um den heißen Brei herum. Also lass ich´s lieber. Ich wüsste gerne, was für Absichten Sie bei dem Mädel haben.“ Absichten? Verschiedenste! Allerdings war anzunehmen, dass `Tante´ wissen wollte, ob er gedachte, Jin zu ehelichen. Nun, in diesem Punkt gab es keinerlei Zweifel. „Die Besten! Ich ... mag Jin. Sehr.“ „Sie mögen sie? Papperlapapp! Jeder mag Jin. Ich will wissen, ob Sie mehr tun, als sie zu mögen.“ „Ja.“ Tante Ria begann mit den Fingern einen Marsch auf den Tisch zu Galoppieren. „Sie sind wohl kein großer Schwätzer, was?“ „Ähm, eher nicht.“ „Dann werden sie mir gegenüber wohl kaum über ihre Gefühle zu Jin sprechen, oder?“ Zuko räusperte sich. „Ich versichere Ihnen, sie sind ... ausreichend.“ „Ausreichend?“ Ria sah ihn lange an „In einem solchen Fall ist nur Liebe ausreichend, junger Mann.“ „Ja.“ Er sah ihr ruhig in die Augen. „Nun, dann gehe ich davon aus, dass sie das Richtige tun werden.“ „Wenn Jin mich nimmt.“ „Oha, ich denke, da können wir ziemlich sicher sein!“ Dass Ria sogar befürchtete, ihre Nichte würde ihn auch ohne seine guten Absichten nehmen, sagte sie lieber nicht. Das Kind war völlig kopflos, wenn es um diesen großen, hungrigen Herren ging, soviel stand fest. „Sicher ist auch, dass ich jetzt den Nachtisch holen geh!“ Mit diesen Worten beendete der Feldwebel das Verhör. In der Küche war Jin immer noch schwer damit beschäftigt, beschäftigt zu sein. Mit Litschisaft. Sich geschlagene fünf Minuten damit auseinanderzusetzen war gar nicht so einfach. „Nun, Kind, Ist der Saft auch schön kalt?“ „Ja, ich hab ihn aus der Kühlkammer geholt.“ Plötzlich sah sich Jin auf die Wange geküsst. „Was ist, Tante?“ Eine liebevolle, abgearbeitete Hand blieb auf ihrer Wange liegen. „Seit wann brauch ich denn bitteschön einen Grund, um Dir einen Kuss zu geben, Missy?“ „Brauchst Du nicht. Aber Du siehst mich so komisch an.“ „Komisch?“ Jin nickte. „Vielleicht, weil ich heute sehe, wie erwachsen Du geworden bist. Du ... Dieser Lee ...“ Ria seufzte. „Ach, schweigsame Männer sind immer so ... so ... schweigsam!“ Jin kichert. „Missy! Ich meine ja nur, sie strahlen diese besondere Ruhe aus. Jedenfalls mag ich Deinen jungen Mann, auch wenn er ein Feuerspucker ist!“ „Das wusste ich doch schon vorher, Tantchen.“ „Ach ja, Du Balg? Und wer hat Dir erlaubt, mich Tantchen zu nennen?“ Jetzt war es an Jin, Wangenküsse zu verteilen. Der Rest des Abends verlief derart harmonisch; Jin hatte das Gefühl, Ziel einer Verschwörung geworden zu sein. Ihr Tante war, nun ja, wie immer und Lee entspannte sich von Minute zu Minute mehr. Als die Beiden dann auch noch anfingen Pai Cho zu spielen, zwickte Jin sich unauffällig, denn die bloße Abwesenheit von Drachen bedeutete ja noch lange nicht, dass sie nicht träumte. Auf dem Nachhauseweg war Jin die Sache immer noch nicht ganz geheuer. Dieser ganze wundervolle Tag noch wundervoller gewesen war, als sie es erhofft hatte. Womit nur hatte Jin We das verdient? War sie in ihrem vorhergehenden Leben so nah an der Heiligkeit vorbei geschrammt, dass ihr nun dies widerfuhr? Die meisten ihrer momentanen Gedanken waren jedenfalls eher weltlicher Natur. Als sie an ihrer Wohnung ankamen war die Strasse noch belebt genug, um erst gar keine Gefahr aufkommen zu lassen. „Gute Nacht, Jin.“ Auch mit dem besten Willen konnte Zuko nicht verhindern, dass sein Blick auf ihrem Mund landete. Vor lauter Gier konnte er die Ader auf seiner Stirn pochen fühlen. „Gut´ Nacht, Lee.“ `Reiss Deine Augen los und geh gefälligst rein, Missy!´ Allein in ihrer Wohnung konnte Jin gar nicht fassen, wie dieser fast schon schmerzhaft schöne Tag geendet hatte. Ohne Drachenkuss! Sie zog ihren Mantel aus und legte ihre Tasche ab. Keinen Einzigen hatte sie bekommen. Was für ein blöder, vergeudeter Tag! Er konnte doch nicht verschwinden, ohne ... Halt! Was, wenn er vielleicht gar nicht verschwunden war? Auf der Strasse waren noch zu viele Leute gewesen, für einen gestohlenen Moment, aber ... Erwartungsvoll lief sie zur Hintertür, die zu einem kleinen, versteckten Innenhof führte, und öffnete sie. Herbei rannte orangefarbenes Elend, das ganz fürchterlich maunzte, weil es heute so sträflich vernachlässigt worden war. Jin ließ sich gegen den Türrahmen sinken. „Ratte!“ Sie konnte die Enttäuschung in ihrer Stimme nicht unterdrücken. „Ah, Kobold, dabei war ich den ganzen Tag über ein wahrer Ausbund an Tugend!“ Aus den Schatten löste sich der Drache, die goldene Gier immer noch im Blick. „Lee!“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Nur einen Kuss, Kobold.“ Himmel, wie rau seine Stimme war. Wieder einmal wurde Jin von seinem harten, warmen Körper gegen eine Hauswand gedrückt. Er stütze sich auf seine Ellbogen. Unterarme und Hände presste er zu beiden Seiten ihres Kopfes gegen die massive Mauer. „Und diesmal“, flüsterte er gegen ihre geöffneten Lippen. „Keine Hände!“ Jin fand, sie hätte selten eine schwachsinnigere Idee gehört. Dann fand sie Nichts mehr und fühlte nur noch. Wie jedes Mal, traf sein Mund sie wie ein Schock, überstieg ihre hitzigsten Erwartungen. Fast reflexartig klammerten sich ihre Hände an dem fest, was sie von ihm zu fassen bekam. Oberarme, Kopf, sein Haar ... es war egal, wenn es ihn nur näher zu ihr brachte. Sein Körper schmolz enger gegen ihren. Mit seinen Hüften hielt er ihr Gewicht in der Schwebe. Aber es war nicht genug. Nun, da ihre Brüste um die köstliche, lüsterne Wonne seiner Berührung wussten, forderten sie dieses Recht drängend für sich. Seine verdammten Hände gehörten ihr! Nicht dieser kalten unnachgiebigen Wand. Jin versuchte ihren Anspruch geltend zu machen, indem sie sich heftig gegen ihn bäumte und ihren Oberkörper gegen seinen presste. Er grollte tief in der Kehle. Verzweifelt konzentrierte sich Zuko auf die Struktur der Wand unter seinen Händen, um sie davon anzuhalten, sich um diese warme, schmiegsame Weichheit zu legen. Und dann? Dieses Weib begann zu allem Überfluss tatsächlich, sich an ihm zu reiben! Sogar durch mehrere Schichten Kleidung konnte er ihre vor Erwartung erhärteten Brustspitzen spüren, konnte fühlen, wie sie winzige Löcher in seine Beherrschung brannten. Ihr Sirenengesang aus hingebungsvollen Seufzern und jammernden, kleinen Lauten, peitschte seine lusttrunkenen Sinne noch weiter auf, umnebelte seinen Geist. Lockend, fordernd ... Er ballte die Hände zu Fäusten, presste sie mit aller Kraft gegen die Mauer. Er würde sie nicht anfassen! „Lee ..!“ Warum zum Teufel konnte sie sprechen, wenn er sie doch küsste? Zu spät erkannte Zuko seinen Irrtum. Unbeobachtet, wie sein Mund gewesen war, hatte er die Gelegenheit wahrgenommen, sich über ihren Hals herzumachen. Ah, wie köstlich sie hier duftete ... Als seine Lippen ihren Raubzug begannen, fiel Jins Kopf kapitulierend in den Nacken. Gehetzter Atem rasselte in ihrer gebogenen Kehle. „Lee! Bitte...“ Seine einzige Antwort war ein wildes, tiefes Knurren, das tief in ihr etwas vibrieren ließ. Über ihr Schlüsselbein hinweg brannten seine geöffneten Lippen sich ihren Weg. Ihr Pfad endete an Jins Ausschnitt, folgten dieser Grenze, bis zur tiefsten erreichbaren Stelle, um dort, nur knapp oberhalb der Senke zwischen ihren Brüsten, zu verweilen. Jin keuchte so heftig, dass sein Mund über ihre fiebernde Haut strich, ohne sich selbst auch nur einen Millimeter bewegen zu müssen. Dann war er fort und suchte ein neues Ziel. Durch den dünnen Stoff ihres Unterkleids hindurch erbarmte er sich einer der vorwitzigen Brustspitzen. Ein geschockter Laut entwich Jin, als würde sämtliche Luft auf einmal aus ihren Lungen gepresst. Himmel! Er konnte doch nicht ... Er musste ... Durch die heiße Nässe seines Mundes wurde das Gewebe schmiegsam. Als er den Kopf hob, um das Resultat seiner Bemühungen zu betrachten, fühlte Jin die Kühle der Nachtluft durch den feuchten Stoff. Doch die Hitze kehrte wieder. Sie bäumte sich gegen ihn, grub ihre Finger schmerzhaft in seine Kopfhaut und seine Schulter. Seine Zunge ... sie spürte sie durch ihr Kleid. Dann begann er zu saugen. Jins gesamter Körper spannte sich zu einem so straffen Bogen, dass sie mit dem Kopf gegen die Wand stieß. „LEE!“ Ihre Stimme klang hoch, kehlig, geschockt. Lockend und flehend. Agni, sie hörte sich an, als liebe er sie bereits. Doch der Name, den sie fast wehklagend von sich gegeben hatte, war nicht der seine. Er musste aufhören! Er durfte dies nicht tun, solange sie ihn für einen Andern hielt. Ehe Jin das heiße Wirrwarr an Empfindungen auskosten oder ordnen konnte, machte Lee sich los und stolperte rückwärts. Noch nie hatte sie ihn so gesehen. Seine Selbstbeherrschung schien Null und Nichtig. Sein Atem ging fast ebenso keuchend wie ihrer, ein feiner Schweissfilm schimmerte auf seinem Gesicht und seine Augen ... Sie waren Seen aus kochendem, wogendem Gold, alles versengend. Seine Kiefermuskeln waren steinhart und mit einer fahrigen Bewegung fuhr er sich mit beiden Händen über die Haare. Er machte noch ein paar Schritte rückwärts, als könne er nicht schnell genug von ihr wegkommen. „Morgen keine Küsse!“, stieß er aus. Damit drehte er sich um und floh. Jin, völlig verwirrt und atemlos, raffte ihr in Unordnung gebrachtes Kleid zurecht. Morgen keine Küsse? Wirklich? ... WIRKLICH? Da hatte der feine Herr die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht! Kapitel 17: Falkenjagd ---------------------- Es gab tatsächlich keine Küsse am nächsten Tag. Er hatte gewonnen! Warum zum Teufel fühlte er sich dann nicht so? Morgens, auf ihrem Weg zur Arbeit hatte Jin ihn nicht ansehen können, ohne vor Verlegenheit zu glühen. Was einerseits überaus befriedigend war, andererseits aber bedeutete, dass sie eigentlich nur gradeaus blickte. Abends dann, war die Sachlage genau umgekehrt. Je dunkler es wurde, umso vorsichtiger mied Zuko Berührungen, Blicke, Gassen, Brunnen. Kurz und gut, alles, was seine verdammte Lust auf den Plan gerufen hätte. Nicht dass die eine Einladung gebraucht hätte. Wo sie auch hingingen, seine Begierde schien sich bereits häuslich nieder gelassen zu haben. Was hätte er nicht darum gegeben, Wasserbändiger zu sein. Und Jin? Sein Teehauslämmchen tat nicht gerade viel, um die Situation zu entschärfen. Sie lächelte, lachte, schwatzte, tanzte und wuselte um ihn herum, fasste immer wieder nach seinen Händen, berührte ihn ... Sie spielte mit dem Feuer! Und an ihren Augen konnte er sehen, wie gut sie das wusste. Die kleine Hexe wollte ihn also aus er Reserve locken? Diesmal nicht. Oh nein! Er hatte sie abends abgeholt. Gut! Sie waren etwas Essen gewesen. Gut! Dann wollte Jin das Strassentheater ansehen. Gut! Alles schön und gut. Aber jetzt war Schluss! Spazieren gehen? Das konnte sie ihrer Tante erzählen! Ihr so genannter Spaziergang würde in einer sehr verfänglichen Situation enden, soviel stand fest. Er konnte es sehen. Jedes mal wenn er in ihre funkelnden Koboldaugen blickte. Seine Jin hatte beschlossen, ihren Kopf durchzusetzen, und in diesem schienen gefährlich leidenschaftliche Küsse neuerdings eine zentrale Rolle zu spielen. Also bugsierte er sie, nachdem Bo, der vielleicht traurige, vielleicht aber auch nur mies bezahlte Clown, seinen letzten Applaus kassiert hatte, nach Hause. Schnurstracks. Ohne Umwege. Weder ihr „Oh sieh nur, da ist eine Abkürzung!“ (Ach ja? durch eine SACKGASSE, Schätzchen?) noch ihr „War das nicht eben mein Kater da drüben?“ (war das Vieh nicht ursprünglich Orange gewesen?) ließen ihn von seinem Weg abkommen. Er hatte es sich GESCHWOREN, heute nichts Unschickliches zu tun. Die letzten paar Häuserblöcke sah Zuko sich daher mehr oder weniger gezwungen, sie beklagenswert ungalant hinter sich her zu schleppen, bevor seine verdammte Libido noch Amok lief. Er stellte sie vor ihrer Tür ab und verschränkte sofort die Arme vor der Brust. Bevor sie die Dinger um irgendetwas oder irgendjemanden schlingen konnten. „Gute Nacht“, sagte er knapp. „Gute Nacht? Gut? Ja. Bestimmt wird sie das. In meinen Träumen kann ich Dir ja schließlich die schrecklichsten Dinge antun, nicht wahr?“ Zukos Braue hob sich zögernd. „Warum ... solltest Du das tun? Hast Du das Bedürfnis danach?“ „Nein! Aber so wie Du Dich aufgeführt hast, könnte man es meinen!“ „Ich hab mich aufgeführt?“ Also, er sah das genau anders herum. Jin schnaubte verächtlich, dann begann sie in tiefstem, rauen Bass, ihn zu imitieren. „Aber Jin, doch nicht da lang! Jin, wo willst Du hin? Jin, schleppst Du mich etwa in eine dunkle Gasse? Jin, vielleicht unterlässt Du diese Albernheiten! Jin, atme doch bitte in die andere Richtung! Jin, beweg Dich doch einfach nicht beim Gehen!“ „Ich fragte lediglich, ob Du nicht weniger ... enthusiastisch Gehen könntest. Alles hat gewackelt.“ Na, wundervoll, Zuko, warum stellst Du Dich nicht gleich vor ein Erschiessungskommando? „Gewackelt?“, zischte Jin und schenkte ihm ein Zweizahnreihenlächeln, weil in diesem Moment eine Nachbarin vorbei ging. „Waren es wenigstens die richtigen Stellen? Habe ich mich sonst noch irgendwie billig verhalten? Vielleicht beim Essen? Sicher entsprechen meine Manieren nicht Deinen sonstigen Massstäben. Ebenso wenig, wie mein Enthusiasmus. Lass mich doch das nächste mal bitte vorher wissen, wann mein `Enthusiasmus´ angebracht ist, und wann nicht - Guten Abend Herr Zui! - dann kann ich ihn nämlich vorher abbestellen. Du wirst bestimmt besser klar kommen, wenn ich weiss, wann, wo und wie ich enthusiastisch zu sein habe! Am besten mach ich mir einen Schalter dafür. Grün: Jin lässt sich bewusstlos küssen! Rot: Jin will nichts von mir und hält die Klappe! Na, wär das nicht TOLL?“ Zuko blinzelt. Ein Erschiessungskommando wäre ihm bedeutend lieber gewesen. Und schneller! „Jin, Du weisst verflucht genau, dass ich nicht so denke! Ich weiss Deinen Enthusiasmus mehr als zu, äh ... schätzen. Ich wollte heute nur ausnahmsweise den Anstand wahren. Das verdammte Problem bin ich. ICH, nicht Du! Ich kann mich einfach nicht beherrschen, wenn wir uns...“ Dann ging dem erhabenen Diener der Sonne ein Licht auf. Beherrschung schien das Stichwort zu sein. „Du willst mich nur wütend machen, damit ich die Fassung verliere, und Dich küsse, nicht wahr?“, fragte Zuko. Anklagende, schuldbewusste Jade blickte zu ihm auf. „Ja“, gab Jin kleinlaut zu. „Klappt wohl nicht?“ „Fast, Kobold, fast.“ „Warum bestimmst eigentlich Du, wann es Küsse gibt und wann nicht?“ Bestimmen? Sie hatte ja keine Ahnung! Er war so selbstbestimmt, wie ein Schluckauf, wenn es darum ging, sie zu küssen. Die meisten waren ihm einfach ... rausgerutscht. „Weil ich viel größer bin!“ Als sie ihm frech die Zunge rausstreckte, hätte sie ihn beinahe soweit gehabt. Aber eben nur beinahe. Ah, er musste wirklich auf der Hut sein. Sie war so verdammt verlockend. „Jin, bitte. Ich muss meine Sinne beieinander halten! Morgen steht ein äußerst wichtiger Termin an. Deshalb werde ich in der Frühe auch auf keinen Fall kommen können.“ „Ein Termin? Lee! Warum sagst Du mir sowas denn nicht? Wenn es für Dich wichtig ist, will ich das doch wissen!“ Jin seufzte. Ihr wurde klar, dass ihr adliger Teeschubser wohl zu lange das Verhalten einer grantigen Auster an den Tag gelegt hatte, um diese Verschlossenheit nun innerhalb weniger Tage abzulegen. Wahrscheinlich würde er dazu mehrere Reinkarnationen brauchen. „Ich ... wir äh, der Termin beim Kanzler steht endlich an und wenn dieses Gespräch erfolgreich verläuft, wird sich der Erdkönig vielleicht bereit erklären, übermorgen eine Audienz abzuhalten.“ „Lee! Das ist ja wundervoll! Aber bestimmt will Euer Lord das Gespräch mit dem König noch vorbereiten. Wenn Du also Abends auch keine Zeit hast, versteh ich das.“ „Die Vorbereitungen sind alle abgeschlossen. Ich werde mir die Zeit einfach nehmen.“ „Ja?“ Gott, er war so … süss! „Aber, falls Du doch nicht kommen kannst, weiss ich ja warum“, murmelte Jin. Er nickte. Sie auch. Er strich ihr mit der Fingerspitze eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie zupfte seinen Kragen zurecht. „Gute Nacht“, flüsterte Jin. „Gute Nacht.“ „Also bekomm ich heute wirklich keinen?“ „Nein, Frechdachs, heute nicht.“ Auf dem Weg zurück zum Palast musste Zuko ständig an ihre verflixte, vorgeschobene Unterlippe denken. Oh ja, er hatte gewonnen, aber es fühlte sich überhaupt nicht so. Allem Anschein nach lenkte das Nicht-Küssen ihn mindestens ebenso sehr ab, wie das Küssen. Verdammt, dann hätte er ja doch unsittlich sein können. An diesem Abend erhielt General Iroh einen Brief seiner Schwägerin, in dem sie ihre Ankunft in Ba Sing Se ankündigte. Sie brachte alle möglichen Gründe vor, die diesen Besuch überaus nötig und sinnvoll machten. Doch Iroh wusste, Ursa hatte einfach nur Sehnsucht nach ihrem Sohn. Seit sie damals zurück gekehrt war, hatte die Unruhe, mit der sie jahrelang hatte leben müssen, sie nicht wieder losgelassen. Sie war unstet und reiselustig, konnte es an keinem Ort lange aushalten. Ein Überbleibsel ihres Lebens als Flüchtling. Zudem wusste sie wohl manchmal nicht so recht, wie sie mit diesem `neuen´ Zuko umgehen sollte, der sie nicht mehr zu brauchen schien. Aber immer wenn sie eine Zeitlang fort gewesen war, zog es sie mit aller Macht nach Hause. Und das war immer der Ort, an dem ihr Sohn sich aufhielt. Iroh dachte an die Zeit zurück, zu der sie alle geglaubt hatten, die Frau des Feuerlords sei tot. Er hatte an dieser Theorie allerdings immer leise Zweifel gehabt. Dann, kurz vor Kriegsende, waren Gerüchte laut geworden, das Weib Ozais lebe noch. Und die Jagd hatte begonnen. Eine Jagd auf Zeit. Eine Jagd um Leben und Tod. Agnam Ba, Territorium der Feuernation, 5 Jahre zuvor An den nördlichen Ausläufern des roten Gebirges klammerte sich das Kloster Agnam Ba an den steilen Osthang des Mongke. Die umliegenden, kleinen Häuschen des gleichnamigen Dorfes schmiegten sich an die altehrwürdigen Mauern, als suchten sie Schutz vor der knorrigen, skurrilen Dunkelheit des nahen Kiefernwaldes. Etwas anderes aber suchte dort Deckung. Eine reglose Gestalt hockte im Geäst einer verkrüppelten, alten Kiefer und wartete darauf, dass das letzte Schimmern des Abendrots in samtenes Blaugrau übergehen würde. Die roten und schwarzen Zeichen auf dem Gesicht des jungen Mannes wiesen ihn als einen Yu Yan aus, einen der meisterlichen Bogenschützen in den Diensten Seiner Hoheit, Feuerlord Ozai. Doch dies war kein bloßer Yu Yan. Dieser Schütze war einer der legendären Feuerfalken. Nur eine Hand voll ausgesuchter Meisterschützen bildeten diese absolute Eliteeinheit des Feuerlords. Leise, verstohlene Einzelkämpfer, die aus dem Hinterhalt zuschlugen. Tödlich, kalt, präzise. Die traditionelle Bemalung verdeckte die die obere Gesichtshälfte des Feuerkalken wie eine Maske. Sie zeigte die stilisierte Darstellung eines fliegenden Greifvogels, dessen Schnabel an der Nasenspitze des Kriegers auslief. Einerseits diente dies zur Abschreckung von Feinden, andererseits aber auch dazu, das Gesicht des Trägers weitgehend unkenntlich zu machen. Ein Falke, dessen Identität ans Licht kam, konnte ebenso gut gleich sein Testament machen. Als das Zwielicht begann, die Konturen der Welt zu verwischen, zog der Feuerfalke einen speziell präparierten Pfeil aus seinem Köcher, befestigte geschickt ein dünnes, aber strapazierfähiges Seil daran, und spannte kraftvoll den Bogen. Seine Augen wurde schmal, fixierten ihr Ziel und tausendfach erprobte Konzentration leitete den surrenden Pfeil, bis er tief in das Holz eines Fensterrahmens einschlug. Nachdem zwei Minuten vergingen, ohne dass Alarm geschlagen wurde, hängte der Schütze einen Haken in das Seil und ließ sich geräuschlos zur äusseren Mauer des Klosters gleiten. Seine Mission war klar. Aufspüren, Isolieren, und Verschleppen der Zielperson. Es musste heute gelingen. Eine zweite Chance würde es nicht geben, denn Sozins Komet würde Übermorgen zur Mitternacht in die Atmosphäre des Planeten eintreten. Übermorgen würde die wichtigste und verheerendste Schlacht dieses Krieges gefochten werden. Und er war nicht der Einzige, der hinter dieser speziellen Beute her war. Der Feuerfalke hatte den Grundriss des uralten Gemäuers genauestens studiert. Jedes noch so kleine Detail befand sich in seinem Kopf. So fand er, lauschend, tastend und schleichend mühelos seinen Weg in den inneren Ring, wo sich die Schlafquartiere der ehrwürdigen Schwestern des Lichts befanden. Er war schon fast am Ziel, die Kammer musste sich ganz in der Nähe befinden. Der enge, feuchte Gang, in dem er sich befand, krümmte sich nach Nordosten. Es war die vierte Tür auf der rechten Seite. Er lauschte angestrengt. Kein Laut drang zu ihm. Weder aus den Kemenaten, noch aus dem Gang. Die strengen Klosterregeln kamen ihm zupass. Sie machten das ganze Unternehmen so berechenbar. Der Falke schlängelte sich durch das schmale Fenster, das sich links der Tür befand, nach draußen und hangelte geschickt zu einem anderen; dem Fenster einer kleinen Schlafkammer. Es stand ein wenig offen, doch für die Zwecke des Jägers genügte es. Eine großzügige Hand voll Mohnstaub, durch den Spalt geblasen, würde dafür sorgen, dass das Opfer von seiner Entführung nichts mitbekam. Er kletterte zurück und ließ sich leise wieder in den Gang fallen. Vorsichtig schlich er an der Mauer entlang, bis er die betreffenden Tür erreicht hatte. Die Schlafkammer war tatsächlich unverschlossen. Das Ganze hier glich eher einem Spaziergang, als einer geheimen Mission. Doch er hütete sich davor leichtsinnig zu werden. Dafür war die Zielperson bei weitem zu wichtig. Lautlos öffnete er die Tür, schloss sie hinter sich und näherte sich einer schmalen Pritsche. Der etwas zu langsame, tiefe Atem seines Opfers sagte ihm, dass der Mohnstaub seine Wirkung entfaltet hatte. Um das Narkotikum nicht selbst zu inhalieren, handelte der Feuerfalke rasch und schulterte die bewusstlose Gestalt. Es wurde Zeit, zu verschwinden. Er stieß das halb offen stehende Fenster vollends auf und lauschte. Einzig das Zirpen kleiner Zikadenfrösche drang an sein Ohr Schnell befestigte der Feuerfalke ein Tau am Fensterstock und ließ sich mitsamt seiner Fracht auf den Hof hinuntergleiten. Im Dunkel verborgen huschte er zur Außenmauer, an der er zuvor ein Seil hatte hängen lassen. Der Kraftakt, das Gewicht gleich zweier Personen nach Oben zu schleppen, ließ ihn leise keuchen. Auf der anderen Seite, endlich wieder festen Boden unter den Füßen, schleppte der Jäger sein Opfer in das undurchdringliche Dunkel des Kiefernwäldchens. Der Rest war ein Kinderspiel. Zwei im Wald angebundene Reitstrausse brachten ihn und seine Beute schnell zu einer kleinen, versteckten Hütte. Die Soldaten, die zwei Stunden später laut und rüde die klösterliche Ruhe störten, fanden nur eine aufgebrachte Äbtissin und haufenweise verstörte, schlaftrunkene Nonnen vor. Vorsichtig legte der Falke seine kostbare Beute auf ein schmales Bett. Die betäubende Wirkung des Mohnstaubs würde bald nachlassen, aber noch war Zeit genug, die Reittiere sicher zu verstauen und ein Feuer zu entfachen. Nachdem dies getan war, setzte er sich und betrachtete zum ersten Mal die Person, die zu entwenden sein Auftrag war. Die Frau trug die schlichte, strenge Tracht einer Ordensschwester. Sie war schön. Dichter hatten einst diese Schönheit besungen. Die Schönheit von Ursa Tatzu, Eheweib von Ozai. Alter und Kummer hatten Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen, aber anhaben konnten sie ihr nichts. Selbst bewusstlos strahlte sie Würde und Anmut aus. Dann begann sie sich zu regen. Der Falke zog sich blitzschnell in die Schatten zurück und wartete ruhig. Als Ursa langsam bewusst wurde, dass sie sich nicht mehr in ihrer kargen Kemenate befand, fuhr sie hoch. Panisch glitt ihr Blick durch den Raum, um an einem schemenhaften Mann hängen zu bleiben. Die Panik wurde sofort versteckt und hinterließ nur kühlen, distanzierten Hochmut. Kerzengerade sass sie da. „Wer seid Ihr?“, verlangte sie zu wissen. „Nur ein Jäger, Hoheit!“ Die Stimme des Falken war emotionslos. „Ein Jäger?“ Sie stieß ein hartes Lachen aus. „Ich bin kein Wild! Und jetzt zeigt Euch gefälligst!“ Als der Mann ins Licht trat, hatte Ursa Mühe, ihr erschrockenes Keuchen zu unterdrücken. Ein Feuerfalke! Ozai hatte sie also gefunden! Nach all den Jahren. Sie hätte dem Drang, in die Feuernation zurückzukehren niemals nachgeben dürfen. Doch sie hatte sich eingebildet, zur Zeit der Wiederkehr des Kometen hier sein zu müssen, in der Nähe ihrer alten Heimat. In der Nähe ihrer Kinder. Pure Sentimentalität! Sie war ihren Kindern keinen Schritt näher gekommen. Und nun hatten Ozais Häscher sie letztendlich aufgespürt. Sie verbarg ihre Furcht hinter eines Maske des Hochmuts. „Ozai schickt also einen seiner kostbaren Falken, um mich zu holen? Ich fühle mich geehrt!“ „Ozai? Nein. Der Feuerlord schickt mich nicht“, erwiderte der Falke, blickte sie jedoch nicht an. Ursa erhob sich, versuchte die Wirkung des Schlafmittels abzuschütteln und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. „Natürlich schickt er Dich! Die Feuerfalken unterstehen seinem direkten Befehl!“ „Nicht alle! Einige wenige haben sich dem Widerstand angeschlossen.“ „Dem Widerstand?“ Ursa lachte freudlos. „Du meinst diese Gruppe zahnloser, alter Männer und bartloser Jungen?“ „Ich spreche von dem Widerstand, der Ozais Untergang sein wird!“ Der Mann sprach mit ruhiger, kalter Überzeugung. „Dann weisst Du mehr als ich. Es liegt nicht in Ozais Natur, unterzugehen.“ „Er wird es! Auf die ein oder andre Art, wird er es. Selbst wenn wir scheitern sollten. Es werden andere kommen.“ Ursa beobachtete den Falken misstrauisch. „Und wer innerhalb dieses Widerstandes hätte wohl Interesse an meinem Schicksal?“, fragte sie spöttisch. „Ozai hat Interesse an Euch, Mylady. Das genügt uns. Außerdem habt ihr wohlmeinende Freunde in unseren Reihen.“ „Freunde? Wen?“ Die Frage wurde scharf gestellt. Konnte es sein, dass Zuko vielleicht ... „Es steht mir nicht zu, Euch dies zu sagen.“ „Natürlich“, schnaubte Ursa. „Ihr solltet jetzt ruhen, Hoheit. Die morgige Reise wird anstrengend.“ „Wohin bringst Du mich?“ „Auch dies kann ich Euch nicht sagen.“ „Du kannst mir also nichts sagen, erwartest aber, dass ich Dir vertraue?“ „Euer Vertrauen ist nicht von Nöten. Ich habe Euch aufgespürt und werde Euch morgen am vereinbarten Ort abliefern.“ Seltsamerweise beruhigte Ursa diese Aussage weit mehr, als irgendwelche Beteuerungen es vermocht hätten. Und so tat sie was nötig war, wie sie es immer tat. Sie legte sich schlafen. Niemand würde davon profitieren, wenn sie morgen keinen klaren Kopf hätte. Am wenigsten sie selbst! Der Falke jedoch schlief nicht. Beute, die nicht erlegt war konnte fliehen. Noch vor Sonnenaufgang brachen sie auf und ließen das rote Gebirge endgültig hinter sich. Der Feuerfalke schien es eilig zu haben, denn er gönnte den Straussen erst eine Rast, als die Sonne bereits Höchststand erreicht hatte. Rasch versorgte er die Tiere und reichte der Frau des Feuerlords Wasser und eine karge Malzeit, bevor er sich selbst den gleichen Luxus gönnte. Den ganzen Tag über hatten sie noch nichts gesprochen. Nun ergriff Ursa das Wort. „Der Widerstand … Glaubst Du wirklich, ihr könntet es schaffen, Ozai zu stürzen?“ Er zuckte mit den Schultern. „Allein sicher nicht. Aber wir sind nicht die einzigen Gegner, die er hat.“ „Du meinst den Avatar?“ „Ja.“ „Ich hörte, er sei nur ein Kind.“ „Ja. Doch er hat Unterstützung.“ „Vom Widerstand?“ „Das auch.“ Ursa schwieg, während ihre zarten, eleganten Finger achtlos das Brot zerkrümelten. Sollte sie die brennendste ihrer Fragen wirklich stellen? Sie musste es einfach! „Meine Kinder … auf wessen Seite stehen sie?“ „Das wisst ihr nicht, Hoheit?“ „Nein. Ich war zu isoliert. Eine der wenigen Nachrichten, die mich erreichten, war die über die Rückkehr des Avatar.“ Der Feuerfalke zuckte mit den Schultern. „Eure Kinder folgen ihrem Vater.“ Ursa stieß den angehaltenen Atem aus. „Auch mein Sohn?“ „Ja.“ „Weisst Du das mit Bestimmtheit?“ „Euer Sohn kehrte aus der Verbannung zurück und schwor Eurem Gatten die Treue.“ „Verbannung?“ Ursa war aufgesprungen. „Ozai hat ihn verbannt?“ „Das wusstet Ihr nicht?“, fragte er ungerührt. „Nein! Nein, ich wusste es nicht. Ich konnte es nicht riskieren, mich nach den Vorkommnissen hier zu erkundigen!“ Sie lief unruhig auf und ab. „Wann wurde er verbannt?“ Der Falke schnalzte ungeduldig mit der Zunge. „Wen schert das? Ich glaube vor drei oder vier Jahren.“ „Wann kam er zurück?“ „Vor ungefähr drei Monaten. Hoheit, wir sollten weiter!“ „Warum wurde er verbannt?“ Der Falke begann die Strausse wieder aufzusatteln. „Warum?“, verlangte Ursa zu wissen. „Soviel ich weiss, zeigte Prinz Zuko vor versammeltem Hofstaat beschämende Feigheit.“ „Du lügst!“ „Das ist es, was man erzählt Hoheit. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Und nun, sitzt bitte auf!“ „Wie kannst Du es wagen? Mein Sohn ist nicht feige!“ „Nein? Wie Ihr meint, Mylady. Und doch verriet er General Iroh!“ „Iroh?“ „Euer Schwager hatte Prinz Zuko während der Verbannung unter seine Fittiche genommen. Doch Euer loyaler Sohn hatte nichts besseres zu tun, als ihn an Euren Gatten auszuliefern.“ Es war das erste Mal, dass der Falke zornig klang. „Ausliefern? Iroh Tatzu?“ „Der General gilt bei Hof als gesuchter Verräter, da er den Avatar unterstützt. Aber er konnte fliehen. Er ist eine unsrer größten Hoffnungen im Kampf gegen Eueren Gatten. “ „Iroh wird als Verräter gesucht?“ Ursa war fassungslos. Mit einer ungeduldigen Geste beendete der Falke das Gespräch und bedeutete ihr, endlich aufzusitzen. Für den Rest des Weges schwieg die Feuerlady. Sie hätte ihre Fragen gar nicht erst mit diesem Fremden erörtern dürfen. Doch ihre Sorge war einfach zu groß gewesen. Jetzt allerdings war sie noch größer. War alles, was sie getan hatte, um ihren Sohn zu schützen, vergebens gewesen? Er lebte. Aber der Pfad, den er eingeschlagen hatte, führte unweigerlich ins Verderben. Sie hatte damals nicht bleiben können! Sie hatte ihre Kinder verlassen müssen, hatte sie nicht länger den Unterschied zwischen Richtig und Falsch lehren können. Wenn sie geblieben wäre, hätte sie ebenso gut Zukos Todesurteil unterzeichnen können. Ihr Mann hatte seinen Erstgeborenen verabscheut. Und zwar vom ersten Moment an, als er in die Augen des Säuglings geblickt hatte. Nun, sie waren in der Tat seltsam gewesen. Nicht dunkel und blicklos, wie bei anderen Babys. Von Anfang an hatten sie ihre hellgoldene Farbe gehabt, hatten gesehen. Forschend, wissend. Ozai hatte in diese Augen geblickt, die den seinen so ähnelten, und sein eigen Fleisch und Blut gehasst. Gehasst und gefürchtet. Ursa hatte nie gewusst, woher diese Furcht kam. Aber sie war da. Ihr Sohn war das Einzige auf dieser Welt, das Ozai Tatzu wirklich fürchtete. Irgendwann hatte Ursa schließlich sogar die Angst gepackt, ihr Mann könne Zuko beseitigen wollen. Das allein war der Grund gewesen, fort zu gehen. Von dem Augenblick an, als sie erfuhr, wie ihr Gatte seinen eigenen Vater hatte ermorden lassen, wusste sie, dass er dabei war, seine größenwahnsinnige Vision einer neuen, unbesiegbaren Feuerdynastie zu verwirklichen. Die Jahre zuvor war sein Wahn stetig weiter gewachsen. Er faselte von einem ewigen Reich, von einer unsterblichen Linie allmächtiger Feuerlords. Paradoxerweise war dieser Fanatismus das einzige gewesen, was Zuko vor seinem Vater geschützt hatte. Als Feuerlord bräuchte Ozai seinen Erben. Einen männlichen Erben! Er mochte seiner Tochter Azula zwar den Vorzug geben, aber beerben würde sie ihn nie. Eine Frau auf dem Drachenthron würde Ozai, mit seinen archaischen Vorstellungen, niemals dulden. Falls er aber einen weiteren männlichen Erben gezeugt hätte, wäre Zukos Leben keinen Pfifferling mehr wert gewesen. Als neuer Herrscher hätte Ozai alles daran gesetzt, seine Frau erneut zu schwängern. Und zwar so lange, bis sie ihm einen weiteren Sohn gebar. Darum war sie geflohen! Ohne sie konnte er keine legitimen Kinder zeugen. Er brauchte sie. Wenn nicht lebend, dann eben tot. Ihr Ableben hätte es ihm ermöglicht, sich ein neues Weib zu nehmen, um einen weiteren Erben zu bekommen. Aber ohne Ursas Leiche, die er dem Feuer übergeben konnte, durfte er keine andere Frau ehelichen. Diesem uralten Gesetzt musste sich selbst der allmächtige Feuerlord beugen. Solange sie also verschwunden blieb, würde Ozai Zuko am Leben lasen. Und nun musste Ursa erfahren, dass ihr Sohn auf der gegnerischen Seite stand. So konnte sie für keine der beiden Parteien den Sieg erhoffen. Der Sieg des Widerstands würde Zukos Tod bedeuten. Der Sieg Ozai aber wäre der Untergang für sie alle. Am späten Nachmittag erreichten die beiden Reiter ihren Bestimmungsort. Die alte, augenscheinlich verlassene Festung stammte noch aus einer Zeit, in der das Feuer nicht ausschließlich der Zerstörung gedient hatte. Stumm und abweisend, der Zeit trotzend, thronte die Ruine auf einem hohen, riesigen Felsen. Hierhin brachte der Falke seine Beute. Aber so sehr Ursa sich auch anstrengte, konnte sie doch keinen Hinweis auf die Anwesenheit von Mensch oder Tier ausmachen. Die alte Trutzburg lag verlassen und öde vor ihnen. Nachdem sie abgesessen waren, scheuchte ihr Begleiter die Reitstrausse mit zwei energischen Schlägen davon. Die Tiere schienen ihr Zuhause zu wittern, denn ohne zu zögern rannten sie den Weg, den sie eben gekommen waren wieder zurück. Der Falke führte Ursa nun tiefer in das zerfallene Gemäuer, stets darauf bedacht, die Spuren, die sie hinterließen, sofort wieder zu verwischen. An einer unscheinbaren Mauer bedeutete er ihr, stehen zu bleiben. Er schien einen komplizierten Mechanismus zu aktivieren, denn nach kurzer Zeit öffnete sich ein Durchgang. Als er sie aufforderte voran zu gehen zögerte Ursa kurz. Wenn sie erst diesen Gang betrat, würde sie ihr Leben denen anvertrauen, die sich dort unten befanden. Doch es lag ohnehin nicht mehr in ihrer Hand, was machte es also noch für einen Unterschied? Sie ging in den kleinen, steil abfallenden Tunnel und ließ sich von den knappen Anweisungen des Feuerfalken durch ein wirres System aus Stollen und Gängen leiten. Scheinbar endlos gingen sie durch die feuchte Kälte, bis sie endlich vor einer niedrigen Holztür anhielten. Der Feuerfalke klopfte kurz und eine dunkle Stimme forderte sie auf, einzutreten. Ursa war überrascht, als sie über die Schwelle trat. Der Raum war zwar klein, jedoch prächtig ausgestattet. Überall war Sonnenmarmor zu sehen, filigranste Intarsien schmückten Wandverkleidungen aus Ebenholz und die kostbaren Möbel waren mit Gold und Purpurlack überzogen. Diese Zimmer wirkte, als gehöre es zum Feuerpalast. „Hoheit! Was für ein Glück, Euch wohlbehalten zu sehen!“ Ein hochgewachsener Mann verbeugte sich tief vor Ursa. „Kommandant Kuroto?“ Der Falke hatte sie also belogen! Er hatte sie direkt in die Höhle des Löwen geführt. Kuroto war der loyale, ehrerbietige Anführer der königlichen Leibgarde. „Ja, Hoheit. Ich nehme an, nach Eurem langen Weg seid Ihr erschöpft. Ich werde Euch umgehend in ein Quartier bringen lassen. Es ist zwar nicht besonders luxuriös, dafür aber um so sicherer.“ „Ich habe in den letzten Jahren sehr gut ohne Luxus gelebt, Kommandant! Und bevor ich mich ausruhe, hätte ich gerne einige Erklärungen. Auf wessen Seite steht Ihr?“ Ruhig wartete Ihre Ladyschaft auf Antwort. „Auf der Seite der Feuernation, Mylady. Was bedauerlicherweise nicht die Seite Eures Mannes ist. Euer Gatte ... Ich fürchte, er ist verrückt geworden. Die Feuernation darf seinem Pfad nicht weiter folgten.“ „Ist das auch Euer Ernst, Kommandant?“, fragte Ursa misstrauisch. „Ich fürchte, ja.“ Die Miene Kurotos verfinsterte sich. „Sollen wir wirklich warten, bis nichts mehr übrig bleibt? Bis das Feuer sich selbst verzehrt hat? Ich hatte Seiner Lordschaft die Treue geschworen, aber er verrät sein Volk! Ich ...“ Er holte tief Luft. „Ich bin der Anführer des Widerstands, Hoheit“ Fast trotzig sah er seiner Fürstin in die Augen. „Ich kannte Euch als einen ehrenhaften, aufrechten Mann, Kommandant. Und so werde ich hoffen, dass Ihr der Selbe geblieben seid und Euch vertrauen.“ „Ihr ehrt mich, Mylady!“ Der Kommandant verbeugte sich erneut, dann fuhr er fort. „Ich würde Eure Fragen gern weiter beantworten, doch meine Agenten konnte Euch erst in letzter Minute ausfindig machen und so bleibt leider keine Zeit. Ich muss zurück in den Palast, Vorbereitungen für morgen treffen.“ Auf ein kurzes Klingeln trat ein Soldat in der Uniform der fürstlichen Leibgarde ein. Er salutierte zackig. „Ich verstehe, Kuroto. Und ich danke Euch! Dir danke ich ebenfalls.“ wandte Ursa sich an den Falken. Wie üblich sah er ihr nicht in die Augen. Mit einem letzten, nachdenklichen Blick auf ihren `Entführer´ folgte die Feuerlady dem Leibwächter in ihre neue Unterkunft. Als die Tür sich schloss blickte der Kommandant seinen Agenten an. „Ich gratuliere zum Erfolg der Mission!“ Während er sprach, hatte er eine Tür geöffnet, die zu einem steil ansteigenden, schmalen Stollen führte. Sie hatten keine Zeit zu verlieren. „Danke!“ Der Falken neigte den Kopf. Die beiden Männer stiegen den Gang nach oben. „Ihr habt ihr also nicht gesagt, wer Ihr seid?“ „Warum hätte ich das tun sollen? Sie kennt meinen Namen, aber mich kennt sie nicht.“ „Sie kennt Euch nicht? Sie ist Eure Mutter, Hoheit!“ „Ja. Aber für den Augenblick muss ich mich auf meinen Vater konzentrieren, nicht auf meine Mutter, Kuroto.“ „Ihr habt wahrscheinlich Recht. Nach der Schlacht werdet Ihr alle Zeit der Welt haben, sie wieder kennen zu lernen.“ Würde er das? Hätte er noch Zeit? Oder wäre der morgige Sonnenaufgang der letzte, den er sehen würde? Zuko wusste es nicht. Es war auch nicht wichtig. Wichtig war nur, seinen Vater aufzuhalten. Mittlerweile waren die Männer am Ziel. Von nun an galt es, keinen Laut mehr von sich zu geben. Kuroto öffnete eine Eisentür und hangelte sich vorsichtig nach draußen, denn die Tür mündete direkt in die gemauerte Wand eines kleinen, vernachlässigten Brunnens, der sich in einem der unzähligen Innenhöfe des Palastes befand. Der mit Wasser gefüllte Grund der Zisterne lag gute vier Meter unter ihnen. Oberhalb der Tür waren unauffällige Tritte in die Mauer gearbeitet, an denen die Männer sich nun nach Oben arbeiteten. Als sie den Brunnenrand fast erreicht hatten, überprüfte Kuroto mit Hilfe eines Spiegels, ob die Luft rein war. Sie war es. Schnell kletterten sie hinaus. Die Gefahr war gebannt. Sollten sie nun entdeckt werden, so wären sie nur der Kommandant und ein Feuerfalke, der seine Anweisungen entgegen nahm. „Ihr solltet verschwinden, Hoheit. Schließlich muss Prinz Zuko heute wieder von der Falkenjagd heimkehren.“ Zuko nickte und salutierte. Dann hastete durch den Palast, in Richtung des Haupttors. Agni sei Dank fiel er niemandem auf. Ein Feuerfalke in Eile war derzeit ein gewohnter Anblick. Als er auf Höhe des verhassten Thronsaals war, ließen seltsame Geräusche ihn aufhorchen. Kampflärm? Im Thronsaal? Was ging dort vor sich? Ein berstender Laut veranlasste Zuko zu einem kleinen Sprint. Als er dort eintraf, traute er seinen Augen nicht. Der Avatar? Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Die Sache war ganz anders besprochen gewesen! Ein Mitglied des Widerstands, Fon Sowieso, stand über General Iroh in Kontakt mit der kleinen Truppe um den Avatar. Die verschiedenen Angriffe waren minutiös aufeinander abgestimmt worden. Was tat Aang also hier? Jetzt? Allein? Verlieren. Soviel stand fest! Durch eine dicke Rauchwolke konnte Zuko sehen, wie sein Vater arrogant und siegesgewiss auf den am Boden liegenden Jungen zuging. Wie hatte Aang nur so dumm sein können, sich dem Feuerlord allein entgegen zu stellen? Vor allem jetzt, da der Komet langsam begann, seine Wirkung auf die Feuerbändiger zu entfalten? Dieses Unterfangen hätte vielleicht Erfolg gehabt, wenn Aang, wie ursprünglich geplant, während der Sonnenfinsternis zugeschlagen hätte. Aber damals war er für einen Kampf zu schwer verletzt gewesen. Genau wie jetzt. Denk nach, verdammt! Denk! Hektisch jagten Zukos Blicke durch den Raum. Der Kronleuchter! Er zog einen Pfeil, zielte und schoss. Krachend schlug das riesige Metallgestell direkt hinter Ozai auf den Boden. Der Feuerlord wirbelte herum und zuckte zur Seite als er versuchte diesen neuen Feind dingfest zu machen. Aufgewirbelter Staub und Mörtel trübten die Sicht und hinderten die Atmung. Zuko hechtete zu Aang, packte blind nach einem Stück Kleidung und zog den Jungen mit sich. Blitzschnell rollte er ab und nahm hinter einer der riesigen Säulen Deckung. Er hörte Ozais Wutgebrüll, als dieser merkte, dass seine Beute plötzlich verschwunden war. Zuko atmete panisch. Denk schneller! Er griff blindlings nach einen der kleinen, herumliegenden Marmorbrocken und schleuderte ihn in eine entfernte Ecke des Thronsaals. Er versuchte gar nicht erst, herauszufinden, ob sein Vater auf dieses Manöver hereinfiel, sondern katapultierte sich mitsamt seiner Last in Richtung Ausgang. Er rannte. Rannte so schnell, wie er noch nie in seinem Leben gerannt war, um eine Ecke. Noch eine! Jetzt rechts! Da! Da war der Gang mit der Geheimtür. Hinter sich hörte er zorniges Gebrüll und das schnelle Staccato wutentbrannter Füsse. Schneller! Er musste schneller werden! Wenn Ozai um die Ecke kam, und noch sah, wie sich die Tür schloss, wäre Alles verloren. Zuko schlitterte auf die Tür zu, riss noch im Lauf, an dem Teil des Holzpaneels, das den geheimen Mechanismus aktivierte. Fast wäre er in der scharfen Kurve, die er nahm, gestürzt. Doch er strauchelte nur kurz. Mit letzter Kraft warf er sich samt Aang hinter die Tür, und zog sie zu. Keuchend lehnte er an der Wand. Nicht so laut, Idiot! Hatte Ozai sie noch gesehen? Zuko hörte das Toben seines Vaters durch die Tür. Sein Herz pumpte panisch. Doch dann entfernten die rasenden Schritte sich. Es hatte also doch sein Gutes, dass er als Kind seine Nase ständig in die staubigen Bücher und Aufzeichnungen gesteckt hatte, um den Sticheleien seiner Schwester und den Schmähungen seines Vaters zu entkommen. So hatte er damals die alten, vergessenen Pläne des Feuerpalastes entdeckt. Das Wissen um versteckte Türen und geheime Gänge hatten ihn so manches mal vor Unannehmlichkeiten bewahrt. Dass sie einmal sein Leben retten würden, hatte er allerdings nie geahnt. Aang atmete schnell und flach. Verflucht … Verflucht! Dieses dumme Kind! Zuko glaubte ziemlich gut, zu wissen, was den Avatar dazu bewogen hatte, sich Ozai allein zu stellen. Bescheuerter, hirn- und sinnloser Edelmut. Um keinen seiner Freunde in Gefahr zu bringen hatte der Bengel lieber die ganze Welt in Gefahr gebracht. Agni! Wenigstens wurde sein eigenes endlich Keuchen ruhiger. In welchem Gang waren sie? Ah ... Nordnordwest. Zwei mal links, rechts, links, viermal rechts, dann wären sie im Freien. Zuko schulterte den Verletzen und lief los. Wenigstens wusste er sehr genau, wo das Lager des Avatar zu finden war. Katara stapfte unruhig durch das Lager. Wo zum Teufel war er? Musste er ausgerechnet heute ihrer aller Nerven strapazieren? Sie blickte zu Iroh. Selbst er wirkte besorgt. Sehr besorgt. Er wusste ebenso gut, wie sie, wie unvernünftig Aang sein konnte; Avatar hin, Avatar her. Das Fehlen von Appa, Aangs Flugbison, verhieß ebenfalls nichts Gutes. Sokka kam angekeucht. „Nichts!“ Er stützte sich mit den Händen auf seinen Knien ab und rang nach Luft. Iroh stand auf. Sie mussten etwas tun. Aber was? Er lief im Kreis. Toph kam aus dem Wald, vielleicht hatte sie ...? „Er ist nicht da“, sagte sie schlicht. Verdammt, wenn selbst Toph ihn nicht spüren konnte … Da stand er nun, ein alter, nutzloser Mann, der es nicht einmal schaffte auf einen kleinen Jungen aufzupassen. Aber er hatte es ja auch nicht geschafft, auf dieses andere Kind Acht zu geben, das ihm anvertraut worden war. Hatte es nicht geschafft, ihm den richtigen Weg zu zeigen. Beim Gedanken an Zuko wurde Iroh die Kehle eng. In diesem Augenblick meldete sich Toph zu Wort. „Moment! Ich kann Vibrationen spüren. Da kommt jemand auf uns zu gerannt. Aber es ist nicht Aang! Dazu ist er viel zu schwer!“ „Versteckt euch!“, zischte Iroh. Doch es war bereits zu spät. Denn dieser jemand rannte zu schnell. Ein Mann stürzte ins Lager. Iroh holte zischend Luft. Ein Feuerfalke! Einer der gefährlichsten Gegner, die Ozai aufzubieten hatte. Zumindest mit guter Deckung und aus der Distanz. Aber so? Keuchend? Vor Erschöpfung strauchelnd? „Halt!“, befahl er den Kindern, die schon drauf und dran waren, alles, was sie aufzubieten hatten gegen den Eindringling zu schleudern. Der Störenfried ließ etwas von seiner Schulter gleiten. Orange und Gelb blitze auf. „Aang!“ Dieser Ruf kam aus mehreren Mündern gleichzeitig. „Mein Gott, Aang!“ „Junge? Junge, wach auf!“ Onkel Irohs Stimme! Zuko rang verzweifelt nach Atem, doch beim Klang dieser Stimme merkte er, wie sich sein Innerstes zusammenzog vor … Sehnsucht. Ja, es war Sehnsucht. Sehnsucht, dem einzigen Menschen, der immer zu ihm gehalten hatte, zu sagen, dass er ihn nicht verraten hatte! Sehnsucht, nach der Vergebung, Liebe und Güte, die dieser Mann ihm immer geschenkt hatte. Er musste fort. Sollten sie ihn erkennen, hätte er bestimmt keine Zeit mehr, für Erklärungen. Auch, wenn alles in ihm danach drängte, seinem Onkel zu sagen, WER ihn aus dem Kerker befreit hatte. Aber, was würde dies schon ändern? Zuko ging langsam rückwärts. Verschwinde! Los doch! Unbeachtet drehte Zuko sich um. Er ging. Langsam zuerst, dann begann er wieder zu rennen. Wenn er nicht bald im Palast auftauchte, würden unangenehme Fragen aufkommen. Zu genau diesem Zeitpunkt erfuhr Feuerlord Ozai vom Verrat seines Kindes. Jemand würde heute noch sterben müssen. Zuko kam viel zu spät am Treffpunkt an. Die Wächter, allesamt Mitglieder des Widerstands, hatten schon fast ohne ihn aufbrechen wollen. In fliegender Hast wusch er die Farbe vom Gesicht und zog sich um, während er mit seinen Begleitern eine passende Ausrede für die verspätete Rückkehr ihrer Jagdgesellschaft zurechtlegte. Eines der Reit-Rhinos wäre durchgegangen, würden sie erzählen und der wütende Prinz hätte getobt, er ginge nicht ohne das Tier nach Hause. Bestens! Klang schließlich ganz nach ihm, oder? Nachdem er Schminke und Verkleidung erfolgreich losgeworden war, würde nun also das eigentliche Theater beginnen. „Prinz Zuko!“ Der persönliche Kammerdiener Ozais kratzbuckelte vor Zuko. „Hoheit! Wo wart Ihr nur? Euer Vater wünscht umgehend, Euch zu sprechen?“ „Ach ja?“, schnauzte Zuko. Er übergab den auf seinem Handgelenk sitzenden Raubvogel einem bereitstehenden Falkner. „Er kann morgen mit mir sprechen, ich bin völlig durchgefroren, weil diese Idioten ein Rhino davon rennen ließen!“ „Umgehend, Hoheit!“, säuselte die glatte, unheilvolle Stimme. Prinz Zuko schnaubte wütend und machte sich auf den langen Weg zu den Gemächern des Feuerlords. Als er sich näherte, öffneten die Wachen sofort die großen Flügeltüren. Er wurde also tatsächlich erwartet. Seine Nackenhaare begannen zu kribbeln. Außer seinem riesigen, alles in den Schatten stellenden Vaters war auch seine jüngere, ebenfalls alles in den Schatten stellende Schwester anwesend. Die Geisseln seines jungen Lebens, wieder einmal in trauter Einigkeit. Zuko verbeugte sich tief. „Vater, Ihr wolltet mich...“ „Schließt die Tür!“ die Stimme seines Vaters klang wie ein Peitschenknall. Schnell kamen die Torwächter dem Befehl nach. Zuko schluckte. Wenn Ozai so schlechte Laune hatte, war der Leittragende meist sein Sohn. Azula warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Warum kommst Du so spät?“, verlangte sein Vater zu wissen. "Du solltest bereits heute Nachmittag zurückkehren!" „Eines der Rhinos ging durch, ich wollte nicht ohne ...“ Der Feuerlord schnalzte nur geringschätzig mit der Zunge. „Du kannst also nicht mal mit einem dummen Reittier umgehen? Warum wundert mich das nicht?“ Zuko blickte zu Boden, als beschämten ihn die Vorwürfe seines Vaters. Doch über diese Scham war er längst hinaus. Er hatte all dies schon hundert mal gehört. „Deine lächerlichen Versuche auf dem Gebiet der Falkenjagd interessieren mich nicht, Zuko! Setzt Dich da hin!“ Der angewiesene Platz befand sich gegenüber von Azulas Stuhl. Zuko war sich fast sicher, dass seine Nackenhaare inzwischen waagrecht vom Hinterkopf abstanden. „Ich möchte, das keiner von Euch beiden in den nächsten fünf Minuten das Wort ergreift, ist das klar?“ Die Kinder Seiner Hoheit nickten. Azula entspannt, Zuko starr. „Mir ist heute Abend etwas zugetragen worden, dass unsere Situation von Grund auf ändert.“ Der Feuerlord begann, um die beiden Sesseln herum zu gehen. „Wie ich erfahren musste, haben sich einige eurer ... Machenschaften meinem Wissen bisher entzogen.“ Er verharrte hinter Zuko. „Machenschaften, die ich nicht billigen kann!“ Er ging weiter. „Wie sich herausstellte, wurde hinter meinem Rücken ein kleines Komplott geschmiedet.“ Die Hand Seiner Lordschaft strich sacht an der Kopflehne von Azulas Sessel entlang. Scharf beobachtete Zuko seine beiden Verwandten. Azula blinzelte verunsichert. Dann starrte sie ihrem Bruder plötzlich panisch in die Augen, als ihr Vater sie hart im Nacken packte. Die klauenartigen Nägel Ozais bohrten sich in den weissen Hals seiner Tochter, die sich nicht mehr bewegen konnte; gelähmt, da er zielgenau den entsprechenden Punkt ihres Nervensystems getroffen hatte. „Sag, Püppchen ... bedeutet Dir der Name Dai Li etwas?“ „I ... ich ...“ „Was? ... Ich kann Dich nicht verstehen.“ Zuko sah Todesangst in den Augen seiner kleinen Schwester. Azula ... die sich noch nie vor irgendetwas gefürchtet hatte. „Die Dai Li, mein liebes Kind“, säuselte Ozai trügerisch sanft. „Sind die Geheimagenten des Erdkönigreichs. Äußerst schlagkräftig! Äußerst hinterhältig! Doch nicht so hinterhältig wie Du, nicht wahr? Mein eigen Fleisch und Blut. Es hat sich nämlich heraus gestellt, dass Du mit ihnen einen Pakt geschlossen hast.“ Ozai beugte sich vor und brachte seine Wange direkt neben Azulas. „Vielleicht sollte ich dies noch erwähnen: In ebendiesem Augenblick, sterben Deine getreuen Dai Li in einem Hinterhalt meiner Feuerfalken!“ Unter den scharfen Fingernägeln Ozais bildeten sich erste Blutstropfen auf der zarten Haut seiner Tochter. „Du wolltest den morgigen Tag nutzen, um Deine eigenen Pläne zu verfolgen, nicht wahr, mein Engel? Ich sollte durch den Kampf mit dem Avatar abgelenkt und geschwächt und dann von Dir und Deinen Dai Li endgültig abserviert werden. Ist es nicht so, meine Kleine? Du willst also meinen Thron? MEINEN Thron?“ Am Blick seiner Schwester konnte Zuko sehen, dass all dies der Wahrheit entsprach. Sie hatte also wirklich gelogen. Ihm gegenüber hatte sie behauptet, die Dai Li als Überraschungselement gegen den Avatar einsetzen zu wollen. Doch als Zuko gemerkt hatte, wie sie ihre kleine, feine Truppe vor ihrem Vater verheimlichte, hatte er seine eigenen Schlüsse gezogen. Und leider Recht behalten. Sie hatte also sowohl ihren Vater als auch ihn beseitigen wollen. „Weisst Du, Püppchen,“ Ozai beugte sich noch dichter über seine Tochter, sprach sanft in ihr Ohr. „Du warst schon immer diejenige, die selbst meine kühnsten Erwartungen noch überflügelt hat. So auch diesmal! Dein Mut erfüllt mich mit unbändigem Stolz. Bedauerlich nur, dass er kleiner ist, als Deine Dummheit und Deine Gier ... mein Engel.“ „Ich hätte ... den Thron ... nie ... bekommen ...“, ächzte Azula angestrengt unter dem unbarmherzigen Griff ihres Vaters. „Obwohl Zuko ... ein ... Schwächling ist.“ Ihre Stimme war kaum zu verstehen „Nein“, flüsterte Ozai an ihr Ohr. Sanft strich er über das Haar seiner Tochter. „Aber Du hättest gelebt!“ Zukos Hände krampften sich um die Armlehnen. Erstarrt blickte er seiner Schwester in die Augen. Sie flehten um Hilfe. Noch nie hatte er Tränen darin gesehen, noch nie Verzweiflung. Sie sah aus, wie er sich fühlte. Als Ozai nun auch noch eine zweite Hand an den Hals seiner Tochter legte, sprang Zuko auf. "NEIN!" Die folgenden Bilder würde Zuko eines Tages vielleicht vergessen können, auch wenn sie ihn vor Entsetzen lähmten. Doch das Geräusch von Azulas berstendem Genick sollte nie wieder aus seinem Gedächtnis getilgt werden. Fassungslos starrte er seinen Erzeuger an. Ohne das geringste Bedauern hatte Ozai Tatzu das Lebenslicht seiner brillanten, geliebten Tochter ausgelöscht. Nein, nicht geliebt. Niemals geliebt! Nun erkannte Zuko, dass sein Vater Azula ebenso wenig geliebt hatte, wie ihn. Lord Ozai war unfähig zu lieben, war es vielleicht immer gewesen. Und dieser Hülle hatte er einst väterliche Gefühle abtrotzen wollen? Er schmeckte Galle, bitter und scharf. „Wage es nie wieder, mir zu widersprechen!“, zischte der Feuerlord. „Du kannst nun gehen, mein Sohn!“ Das letzte Wort klang wie ein Fluch. „Und schick jemanden, der diese Sauerei entfernt.“ Zuko schaffte eine letzte Verbeugung und verließ das Zimmer. Er ging durch die Korridore, zu seinen Gemächern. Auf dem Balkon angekommen erbrach er sich. Nachdem da nichts mehr war, das er von sich geben konnte, stand er mit zitternden Knien auf. Statt hier zusammenzuklappen, sollte er aus dieser Situation lieber neue Entschlossenheit schöpfen! Er musste Kuroto von den Vorfällen erzählen. Also trat der Sohn von Ozai dem Vernichter, erneut vor die Tür. Kalt wies er eine der Wachen an, in den Gemächern Seiner Lordschaft aufzuräumen. Dann schritt er zu den Räumen des Kommandanten der Leibgarde. Als er nach kurzen Klopfen eintrat, blickte Kuroto erstaunt auf. Er sah sofort, dass etwas nicht stimmte. „Hoheit! Was kann ich für Euch tun?“ Nachdem die Tür geschlossen war, griff der Kommandant zu einer Feder und schrieb auf ein Blatt Papier.   `Was ist passiert?´ „Eure Wachen, Kuroto, taugen nicht einmal für die Jagd!“   `Azula ist tot. Sie wollte die Dai Li benutzen, um auf den Thron zu kommen.´ „Eure Schwachköpfe haben alles ruiniert, weil sie ein Rhino laufen ließen!“ „Hoheit!“ Der Offizier war blass geworden. „Das ist ja schrecklich!“ „Solange Ihr nur etwas daraus lernt!“   `Um die Dai Li brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern!´ „Ich ... Gut. Es wird nicht wieder vorkommen, mein Prinz!“ „Das will ich auch hoffen!“, schnauzte Zuko in seinem unausstehlichsten Ton, drehte sich um und knallte bei seinem Abgang mit der Tür. Trotz seiner Befürchtungen, er könne vielleicht keine Ruhe finden, sank Zuko vor Erschöpfung in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Kurz vor Sonnenaufgang weckte ihn etwas. Er stand auf, ging auf den Balkon um das Licht dabei zu beobachten, wie es langsam den Himmel eroberte. Samtenes Grau, das zu pulsieren begann, von Violett durchströmt. Eine kleine Sichel fahlen Lichts, die sich langsam ausdehnte und die bizarre, zerklüftete Silhouette der entfernten Bergkette entlang wuchs. Mattes Gold, das an den Rändern schließlich ausfranste und zu strahlen begann. Das Glühen überhauchte vereinzelte Wolken mit sanftem Rosé. Dann - endlich - loderte es auf zwischen Himmel und Erde, und der Horizont begann zu brennen. Gold, Orange, Ocker, Rot, Violett, Flieder schmolzen ineinander, bis die Herrlichkeit der Sonne alle Farben in den Schatten stellte und den Tag der letzten Schlacht anbrechen ließ. Überwältigt und geblendet schloss Zuko die Augen. Sein vielleicht letzter Sonnenaufgang war der schönste Anblick seines Lebens gewesen. Doch dann zuckten Bilder durch seinen Kopf. Bilder grüner, strahlender, lachender Jade. Nein. Das Schönste, was er je betrachtet hatte, würde er nie wieder sehen, denn es war unendlich weit fort. Kapitel 18: Die letzte Schlacht ------------------------------- Seltsam, doch der Tag begann völlig normal. Um die gewohnte Urzeit klopfte es an der Tür. Die gewohnten Diener kamen mit den gewohnten Speisen herein, um wie gewohnt das Frühstück für Seine Hoheit, Prinz Zuko zu servieren. Und wie gewohnt nahm der verwöhnte, unbeherrschte Sohn Ozais scheinbar nicht die geringste Notiz davon. Das war aber auch alles, was dieser Tag an Normalität aufzubieten hatte. Die Spannung war greifbar. Überall, zu jedem Augenblick, auf jedem Gesicht. Egal, ob jung oder alt, Frischling oder Veteran. Heute wussten alle, dass der Tod um die Ecke lauerte. Der Tod ... Azulas Tod hatte lächerlich wenig Auswirkung auf den Lauf der Welt gehabt. Ein bisschen Getuschel unter den Bediensteten, das war alles gewesen. Irgendwie beruhigte es Zuko. Sein eigenes Ableben, sollte Agni dieses Opfer heute fordern, würde ebenso unbedeutend sein. Heilige Flamme! Wie wichtig er sich früher genommen hatte. Prinz Zuko! PRINZ! Sein Fleisch war so schwach, wie das eines jeden anderen. Seinen Adern würde das Blut ebenso rasch entströmen. Seine Augen würden ebenso kalt ins Leere starren, wie ... Azulas. Er schob den Gedanken von sich. Heute gab es eine Aufgabe und bevor diese nicht erledigt war, durfte er nicht ruhen. Also schritt Zuko zwischen den Schwertkämpfern, Bogenschützen und Bändigern umher und überbrachte Befehle. Manche echt, manche falsch. Nur einem taktischen Genie wäre aufgefallen, wie in den Reihen der fürstlichen Truppen dadurch Chaos und Anarchie Einzug halten würden, sobald der Kampf begann. Hier würden ein Befehlshaber fehlen, dort wäre einer zuviel. Zwei Truppen gab es allerdings, die präzise, sinnvolle und aufeinander abgestimmte Anweisungen erhielten. Trupp `Gelb´ und Trupp `Weiss´. Es war zwar albern, aber durchaus praktisch, die verschiedenen Einheiten in Farben aufzuteilen. Praktisch vor allem deshalb, weil auf diese Weise jeder Eingeweihte wissen würde, wer zu den Rebellen und Widerständlern gehörte. Mann musste nur auf die Farbe der Armschützer achten. Auch die Gruppe um den Avatar könnte so Freund von Feind unterscheiden. Der weisse Trupp wurde von Kommandant Kuroto befehligt, die Gelben unterstanden offiziell dem Befehl General Shinus, einem treuen Gefolgsmann Ozais. Inoffiziell jedoch, würde zu gegebener Zeit ein anderer dieses Kommando übernehmen: Prinz Zuko. Da es aber nicht klug war, seine Zugehörigkeit zu früh zu zeigen, verbarg er die gelben, robusten Lederbänder sorgfältig unter den engen Manschetten seiner Ärmel. Nur sehr wenige Widerstandskämpfer wussten, dass der Sohn des Feuerlords einer der ihren war. Und so sollte es bis zur Schlacht auch bleiben. Verräter konnten schließlich überall lauern. Wie auf´s Stichwort kämpfte sich eine bekannte Gestalt zu ihm durch. Mai! Das hatte ihm gerade noch gefehlt. „Zuko! Zuko warte!“ „Mai ... ich habe wenig Zeit! Was gibt es?“ „Ich kann Azula nirgends finden.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und blickte zur Seite. „Das kannst Du auch nicht. Sie ist tot!“ Mai lachte verunsichert. „Was?“ Dann betrachtete sie ihn genauer. „Was? Was sagst Du da? Das kann nicht sein! Gestern hat sie noch ... Nein!“ Zuko sah sie an, mit hartem Gesicht und kalten Augen. „Mein Vater kam hinter ihre Pläne mit den Dai Li.“ Ein kurzer, zuckender Wimpernschlag verriet Mai. „Wie ich sehe, weisst Du wovon ich spreche“, sagte Zuko. „Ich ... NEIN! Ich weiss nichts! Wovon sprichst Du?“ „Davon, dass Du und Ty Lee besser verschwindet, bevor Lord Ozai euch ebenfalls ins Visier nimmt!“ Sie war blass geworden. Ihre Finger verkrallten sich in seinen Ärmel. „Zuko! Sie hatte mir versprochen, Dir würde nichts geschehen!“, wisperte sie. „Und wie, Mai, hätte sie dann an den Thron kommen sollen?“ „Das ... ich habe nie darüber nachgedacht.“ „Dann tu es jetzt. Verschwinde! Und komm nicht wieder.“ „Was ... was wird aus uns?“ „Es gibt kein `Uns´, Mai! Es gab nie eines.“ Damit drehte er sich um und ging. „Zuko!“ Er gönnte ihr einen letzten Blick über die Schulter. „Geh, Mai!“ Mai wusste, dass sie dieser Anweisung besser Folge leistete. Die schleichende, angstvolle Spannung im Feuerpalast ließ nur eine Person kalt. Lord Ozai. Er ließ sich selbstverständlich auch nicht dazu herab, die Moral seiner Truppen zu stärken, indem er selbst erschien. Sie hatten ihn zu schützen und den Avatar zu vernichten. Sie konnten froh sein, an diesem ehrenvollen Tag für ihn sterben zu dürfen. Zuko war für diese Demonstration der Geringschätzung sehr dankbar. Je weniger sein Vater von seinem Tun hier erfuhr, umso besser. Der große Angriff sollte eine Stunde nach Sonnenuntergang stattfinden, um die Wirkung der Sonnenenergie auf Ozai wenigstens ein Stück weit einzudämmen. Gegen die schon spürbare Auswirkung des Kometen konnten sie allerdings herzlich wenig tun! Um den größten Teil der Feuerkrieger zu beschäftigen, würden ungefähr zwanzig Minuten vorher die Angriffe der rebellischen Erd- und Wasserkrieger beginnen, unterstützt von Aufständischen der Feuernation. Es würde so viele Opfer geben! Wenn Aang während der letzten Sonnenfinsternis nur nicht verletzt gewesen wäre. Die einzige, gute Nachricht an diesem Tag, hatte Kommandant Kuroto von General Iroh erhalten, natürlich verschlüsselt. Der Avatar hatte sich von den gestrigen Blessuren vollständig erholt. Die Zeit bis Sonnenuntergang verging nur all zu schnell! Kurz darauf folgten schon die Berichte, über sich rasch nähernde, feindliche Truppen. Ozai erteilte den Befehl, sie zurückzuwerfen und zog sich selbst mit seinen treusten und besten Kriegern in den Thronsaal zurück. Darunter natürlich seine Leibgarde, einige Generäle, sein Sohn (Vielleicht würde der Nichtsnutz es hier wenigstens schaffen, sich nicht töten zu lassen) und seine schlagkräftigsten Soldaten. Exakt fünfundfünfzig Minuten nach Sonnenuntergang wickelte Prinz Zuko beiläufig die Gamaschen von seinen gelben Armschützern. Vereinzelte Blicke zuckten in seine Richtung, doch niemand verriet ihn. ER war der Kommandant der `Gelben´? Die Widerstandskämpfer schöpften Mut und Zuversicht aus der Tatsache, dass ein weiteres Mitglied des Hauses Tatzu auf ihrer Seite stand. Mit Blicken wies er seine beiden Feldwebel an, nahe einer großen Bodenvase Stellung zu nehmen. Die Männer waren zuvor instruiert worden, mit welchem Mechanismus sie die dahinter liegende Tür öffnen konnten. Die Tür, durch die Aangs Gruppe kommen sollte. Zuko blickte zu der riesigen Sanduhr, die die Zeit präzise angab. Ihm schien, als fiele jedes Sandkorn einzeln. Noch so viele ... Doch wie viele Sandkörner würde er noch leben? Iroh Tatzu und die Kinder schlichen den engen Gang entlang, der sie in den Thronsaal führen sollte. Fon, Irohs alter Kriegskamerad, lotste sie durch dieses Labyrinth. Woher die Karte zu diesem Irrgarten allerdings stammte, konnte nicht einmal Fon selbst sagen. Einer der Widerständischen hatte sie aufgetrieben, hieß es. Iroh jedenfalls, hatte von Geheimgängen im Palast bisher herzlich wenig gewusst. „Da vorn!“ flüsterte Fon, der eine flackernde Fackel hielt. „Es ist aber noch nicht soweit.“ Iroh holte tief Luft. Dass ihn sein Lebensweg hierher verschlagen würde ... Als Feind seiner ganzen Familie. Er drehte sich zu den Kindern. Kinder? Diese jungen Menschen hatten schon mehr gesehen und getan, als gut für sie war. Doch ihre Herzen waren noch immer ohne Schuld. So anders, als sein eigenes. „Ich ... möchte euch alle um etwas bitten!“ Er sprach leise. Sie sahen ihn erwartungsvoll an. „Zuko ... Falls es möglich sein sollte ... er ... Könntet ihr ihn verschonen?“ „WAaas?“ Sokka war gerade noch rechtzeitig eingefallen, hier vielleicht besser nicht so herum zu schreien. „Zuko? Diesen verräterischen Abschaum sollen wir schonen? Habt Ihr denn vergessen, dass er Euch ans Messer geliefert hat? Wie stellt Ihr Euch das vor? Wir gehen rein, stellen ihm ein Bein, hauen auf seinen verblödeten Holzschädel und schwupps schon schläft er wie ein Baby?“ Plötzlich blickte der General streng drein. Dies tat er zwar selten, aber umso wirkungsvoller. „Nein, Sokka! Ich halte meinen Neffen für einen sehr ernst zu nehmenden, keinesfalls verblödeten Gegner! Und ich sagte FALLS es möglich ist! Ich erwarte von keinem von euch, dass er seine eigene Verteidigung vernachlässigt. Aber wenn die Möglichkeit besteht ...“ Der alte Mann blickte zu Boden. „Eines Tages werdet ihr es verstehen. Manchmal gibt es Menschen in unserem Leben, die wir bedingungslos lieben. Einfach so! Egal was sie sagen, egal was sie tun. Und ich liebe meinen Neffen, auf wessen Seite er auch stehen mag. Sollte es wirklich nötig sein, werde ich ihn töten, aber dann ... werde ich um ihn trauern. Ich bitte euch nur, ihn nicht vorsätzlich ins Visier zu nehmen, das ist ja wohl nicht zu viel verlangt!“ Er sah auf. Darauf wussten sie nichts zu sagen. Keiner von ihnen hatte den General je mit Tränen in den Augen gesehen. Und so nickten sie. Sie würden den Prinzen mit der Bomben-Stimmung nicht angreifen, wenn er es nicht zuerst tat. „Hoheit? Es wird Zeit!“, mahnte Fon leise. Jetzt! Das letzte Sandkorn rutschte aus dem oberen Glas. Die alte Stunde war um. Vergangenheit und Zukunft verweilten eine kleine Ewigkeit in der Schwebe. Dann begann der Mechanismus der Uhr das Glas zu drehen, und eine neue Stunde einzuläuten. Zuko nickte knapp. Die beiden eingeweihten Offiziere betätigten unauffällig die Hebel, um den Feind ins Herz des Palastes zu lassen. Es war erstaunlich, wie lange die Szene einfror. Niemand schien fähig, sich zu rühren. Bis Ozai brüllte. Dann brach die Hölle los! Die Zeit im Thronsaal spielte verrückt. Erst dehnte sie sich aus, dann raste sie förmlich. Eigentlich passierte zu viel, um in diesen wenigen Minuten untergebracht zu werden. Ozai hatte zuvor Anweisungen erteilt, was zu tun wäre, falls dieses Ärgernis bis hierher vordringen sollte. ER würde sich um den Avatar kümmern, die Generäle sollten sich um seinen geliebten Bruder kümmern, die Soldaten um diese lästigen Kinder und Zuko ... Zuko sollte sich um sich selbst kümmern. Aber den Anweisungen wurde nicht Folge geleistet. Nicht von allen. Ein Teil der Generäle kümmerte sich um andre Generäle. Ein Teil der Soldaten, um andre Soldaten. Zuko, hinter ihm, bellte Anweisungen. Wie anmassend! Zumindest schien er zu kämpfen. Wenigstens das. Keiner kümmerte sich um Iroh oder die Kinder. Doch sie kümmerten sich um ihn! Sie wagten es tatsächlich, ihn, Ozai IV, anzugreifen? Die Angriffe der Gören blockte er lediglich ab. Sie griffen ihn nicht einmal zeitgleich an. Es war nahezu lachhaft! Iroh war bei weitem der Gefährlichste. Ihn galt es, zuerst auszuschalten. Den Strategen, der alles koordinierte. Der alte Narr wollte natürlich Blitze erzeugen, aber Elektrizität hatten den Nachteil, dass man ein klein wenig Zeit brauchte, um sie zu erschaffen. Feuer war zwar weniger effektiv, aber schneller. Es traf den Alten mit voller Wucht und schleuderte ihn in eine Ecke. Iroh sah den Feuersturm auf sich zu rasen. Er konnte ihn nicht aufhalten, da er seine Deckung vernachlässigt hatte, um einen Blitz zu erzeugen. Verdammt! Er hätte keine Zeit damit verschwenden dürfen, sich nach Zuko umzusehen. Diese wertvolle Sekunde fehlte ihm jetzt. Das hässliche Krachen eines Knochens unterbrach seine Gedanken. Der Schmerz zuckte durch seinen ganzen Körper, war im Bein aber am schlimmsten. Er ignorierte diese Unannehmlichkeit. Als er jedoch aufstehen wollte, wurde er durch die Unannehmlichkeit daran gehindert. Offensichtlich war es seine Hüfte, die gebrochen war, nicht das Bein. Aber er konnte sich immer noch aufsetzten. Doch eine große Säule verwehrte Iroh die Sicht auf Ozai und die Kinder. So konnte er nicht eingreifen! Nichts tun. Zuko brüllte Befehle. General Shinu wollte unbemerkt fliehen, um die Truppen draußen zu informieren, Admiral Quin stand frei und wollte die Gruppe der Kinder angreifen ... Es sah ohnehin schlecht für sie aus. Wo zur Hölle war sein Onkel? Ozai sah sich der geballten Kraft aller Elemente ausgesetzt. Sie waren doch recht stark, diese Kinder. Aber wussten sie denn nicht, dass sein eigenes Element, das Feuer, ihm nichts anhaben konnte, jetzt wo der Komet nahe war? Und das, obwohl nur die geballte Kraft ALLER Elemente ihn jetzt noch stürzen konnte. Der Triumph pumpte rauschhaft schnell durch seine Venen. Er war unbesiegbar! UNBESIEGBAR!! Es war fast amüsant, wie sehr sie sich bemühten. Der Avatar bändigte Luft und Feuer gleichzeitig. Feuer? Es kitzelte nur! Der Junge starrte ihm in die Augen, wild entschlossen. Dann schloss er sie, und holte tief Luft ... Aang hatte keine Wahl. Langsam zehrte der Kampf gegen Ozai ihre Kräfte auf. Und von General Iroh fehlte jede Spur. Er musste in den Avatar-Status wechseln. So war Ozai eindeutig zu stark für sie! Aang sandte ein Stoßgebet an die Götter. Das Risiko war groß, aber er musste es eigehen! Aus den Augenwinkeln sah Zuko das seltsame, blaue Schillern. Er kannte dieses Licht gut. Der Junge wurde zum Avatar! Mit einer letzten Bewegung schaltete er General Shinu aus und wendete sich der Mitte des Thronsaals zu. Er hielt den Atem an. Agni! Ozais Feuer wurde immer mächtiger und Aang schien ihm nicht standhalten zu können ... Wenn er im Avatar-Status starb, wäre die Linie durchbrochen. Es würde keinen Avatar mehr geben! Zuko atmete tief ein, schloss die Welt für einen Moment aus, und schleuderte die gesamte, konzentrierte Macht seines Feuers gegen den Vater. Es war genug, um wenigstens Ozais Aufmerksamkeit zu erregen, mehr aber auch nicht. Verdammt! Das verdammte Feuer war nutzlos! Der Komet war offensichtlich schon zu nahe! Es war, wie in den Schriftrollen beschrieben. Ozai war nun tatsächlich immun gegen Feuer. Gegen Feuer ja, aber ... Hektisch blickte Zuko um sich. Wo war nur sein Onkel? Dort, hinter einer Säule! Und er versuchte offensichtlich, sich zur Mitte des Saals zu schleppen. „ONKEL!“ Iroh sah auf. Zuko! Würde der Junge ihn ... „BLITZ! ZU MIR!“ Was? War er verrückt geworden? Der Komet verstärkte die Elektrizität ebenso wie das Feuer. Keiner wusste, ob solch ein Blitz sich noch umleiten lassen würde. Und ... warum? Wollte Zuko ihnen helfen, oder doch seinem Vater? „ONKEL!!!“ Und Iroh tat es. Er vertraute seinem Neffen, konzentrierte sich und schickte einen mächtigen Blitz in dessen Richtung. Dabei wussten sie nicht einmal, ob Zuko die Technik beherrschte. Er hatte dem Jungen zwar erklärt, wie er die elektrische Energie durch seinen Körper umleiten konnte, aber sie hatten es nie erprobt. Ganz offensichtlich hatte Zuko es verstanden. Der Blitz fuhr in seinen ausgestreckten, rechten Arm, trat in der linken Hand wieder aus, und traf Ozai. Ozai und dieses Inferno aus Feuer, Luft, Wasser und Erde, das um ihn wirbelte. Die elektrische Ladung des Blitzes verstärkte die Wirkung der anderen Elemente auf subtile Weise und verlagerte das Gleichgewicht. Der Feuerlord spürte eine seltsame Hitze. Hitze? Feuer konnte ihn nicht ... Es kam von ... Zuko. ...   Zuko? Sein unfähiges, ärgerliches Balg? Ja ... kein Zweifel. Das Verderben strömte in Form eines blauen Gleißens aus dessen Hand. Die Weissagung war also wahr. Er hatte Recht gehabt, seinen Sohn zu hassen.  `Der Spiegel Deiner Augen wird Dir Verderben bringen!´ Sie hatten es ihm geweissagt, nicht wahr? Und jetzt sah Ozai es selbst. Es lag in den goldenen Augen, die in der Tat der Spiegel seiner eigenen waren. Sein Verderben. Seine Vernichtung. Sein Tod! Ozai Tatzu ging zu Boden und er würde nicht wieder aufstehen. Das Wissen darum lag in seinen Augen. Zuko rannte zu seinem Vater. Ozai der Vernichter würde sterben. Das Ziel war erreicht! Doch sein Sohn fühlte nichts. Er kniete neben seinem Vater nieder und fühlte nichts. Er hob den Oberkörper des Sterbenden an, stütze ihn mit einem Arm und fühlte nichts. Der Feuerlord röchelte. Zuko sah zahllose, tiefe Wunden am Körper seines Vaters und fühlte nichts. „Vater?“ Ozai machte ein letzte Anstrengung und öffnete die Augen. „Nichtsnutziger Bastard! Und nun ... auch noch ein feiger Verräter.“ Blut rann aus seinem Mundwinkel. „Ich ... hätte Dir ... bei Deiner Geburt diese ... verdammten Augen ... ausbrennen sollen!“ Selbst der letzte Atemzug des Lords war ein Fluch wider seinen Sohn gewesen. Zwei Tropfen Wasser fielen auf Ozais stolzes, kaltes Antlitz. „Vater?“ Wie konnte seine Stimme zittern, wenn er doch nichts fühlte? Noch ein Tropfen fiel. Rot? Zuko sah auf. Wer blutete da auf seinen Vater? Er stand langsam auf, strauchelte und landete auf Händen und Knien. Als er hustete, bildete sich auf dem Boden ein rotgesprenkeltes Muster. Es war hübsch ... „ZUKO?“ Onkel! „Hoheit!“ Kuroto klang betroffen, kniete sich neben ihn. „KUROTO, WAS IST MIT DEM JUNGEN?“ Etwas spukte in Zukos Kopf herum. Eine Aufgabe. Seine Aufgabe war noch nicht erledigt! Ah! Ja, richtig. Der Krieg. „Kampfhandlungen ... einstellen. Sofort!“ „Ja, Hoheit!“ Der Kommandant sprang auf, um die Order zu verbreiten. Mit Hilfe der grünen Signalfeuer gelangte die Nachricht in Windeseile selbst bis in die entlegensten Winkel der Welt. Als Sozins Komet in die Atmosphäre eintrat, herrschte überall Waffenstillstand. Zuko versuchte aufzustehen, aber seine Hand rutschte auf dem klebrigen Blut aus und er schlug mit der Flanke auf den Boden. „ZUKO!“ Sein Onkel klang irgendwie angstvoll. Die Stimmen mischten sich in seinem Kopf. `Vergiss nie, wer Du bist!´ `Vater wird Dich umbringen!´ `Gib niemals im Leben kampflos auf!´ `Es wird Zeit, über die wichtigen Dinge nachzudenken. Wer bist Du?´ `Vielen Dank für den Tee!´ `Was ist Deine Bestimmung?´ `Lee!?´ `Du hast sie nicht gefunden, Tatzu.´ Sie wisperten und schrieen durcheinander, bis Zukos Kopf zu platzen drohte. Als es ihm zu viel wurde, knipste er das Licht aus. „LEE!“ Weit entfernt, in Ba Sing Se, war eine kleine Weberin aus dem Schlaf geschreckt und sass zitternd in ihrem Bett. Und zwar in ebender Stunde, in der die grünen Friedensfeuer entzündet wurden. Vier Stunden später Ursa rannte durch die Gänge, ohne der vertrauten Umgebung auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Zuko lebte! Er war zwar verletzt, aber er lebte! Sie hatte den Überbringer der Nachricht gar nicht erst aussprechen lassen. Sie musste zu ihrem Sohn! „Hoheit! Er ist ... nicht bei ... Bewusstsein!“ keuchte es hinter ihr. Dieser Mensch war wirklich wenig hilfreich. Sie hielt einen verrussten, erschöpften Soldaten an. „Wo ist Zuko?“, fragte sie nach Atem ringend. Der Veteran blinzelte die aufgebrachte Ordensfrau verwirrt an. „Prinz Zuko? Wollt ihr ihm den letzten Seegen geben? Er liegt in seinen Gemächern, so viel ich weiss.“ Letzter Seegen? Ursa konnte weit weniger schnell rennen, als ihre Sorge. Als sie in den Raum stürzte, sah sie eine ganze Gruppe von Leuten um das riesige, erhöhte Bett stehen. Sie hielt sich an der Tür und rang verzweifelt nach Luft. Besorgte Blicke wandten sich ihr zu. Eine Person blickte nicht auf. Iroh. Er sass auf dem Bettrand und hielt die Augen unverwandt auf den Bewusstlosen gerichtet. „Hoheit!“ Der lange, dünne Mann, der Ursa ansprach war einer der Leibärzte der fürstlichen Familie. „Ihr solltet vielleicht ... Euer Sohn ist nicht ...“ „Ursa?!“ Sie schob den Arzt beiseite und sah sich dem gütigen Gesicht General Irohs gegenüber. Gütig und traurig! „Iroh!“ Sie umarmte ihren Schwager kurz. Dann machte sie sich los. Es gab schließlich einen Grund, weshalb sie hier war. Sie näherte sich dem Bett. „Ursa, wir ... wir wissen nicht, ob er durchkommt.“ Das letzte Wort musste Iroh sich abringen. Endlich am Ziel, konnte Ursa Tatzu nur fassungslos auf den jungen Mann starren, der ihr Sohn war. Wie groß er geworden war. So unfassbar groß! Mit diesem harten Profil sah er Ozai so ähnlich ... Mit zitternden Knien ließ sie sich auf der Bettkante nieder. „Wer hat ihn ... verletzt?“ Iroh schloss die Augen und gab sich seiner ganz privaten Hölle hin. „Ich.“ Ursa schlug die Hand vor den Mund. „Ich nehme an, Du musstest es tun. Schließlich...“ Ihr Atem klang abgehackt. „War er auf Ozais Seite.“ Ihre bebende Hand strich das Haar aus er rechten Gesichtshälfte ihres Sohnes. Die Linke war in das weiche Kissen gedrückt. „Nein. Wie sich herausstellte, war er es nicht.“ Mit jedem Wort kam Iroh der eigenen Verdammung näher, aber er musste es ihr sagen. Er ging zur anderen Seite des Bettes und griff nach Zukos Hand. „Kuroto erzählte mir alles. Eine Woche, nachdem er wieder hier war schloss Zuko sich dem Widerstand an. Und zwar ... nachdem er mich aus dem Kerker geholt hatte. So bekam Aang einen Lehrmeister für Feuer und Zuko endlich den gewünschten Kontakt mit den Rebellen. Und ... er war es auch, der Dich aus dem Kloster holte, bevor Ozais Männer dies tun konnten.“ Der Feuerfalke! Ihr Sohn war also nicht blind seinem Vater gefolgt! Ursas Hände ballten sich. „Wenn er Dich also nicht angegriffen hat, warum hast Du es dann getan?“ Sie presste die Frage durch ihre Zähne. „Es war kein Angriff! Ich schickte ihm einen Blitz, damit er ihn auf Ozai leiten konnte. Das tat er auch. Aber die Ladung ... durch den Kometen war sie zu stark. Ich kannte das Risiko. Aber eine andere Möglichkeit hatten wir nicht. Er bat mich darum, Ursa! Er selbst! Aber ich wusste ...“ Iroh sprach nicht weiter. Tränen rannen über sein Gesicht. Ursa sah ihren Schwager lange an, dann legte sie ihre Hand beschwichtigend auf seine. Er liebte ihren Sohn ebenso, wie sie selbst. Sie hatte kein Recht, ihm Vorwürfe zu machen. Das tat er selbst ohnehin schon zur Genüge. „Es ... ist gut, Iroh.“ Gut? GUT? Es war nicht gut! Wie konnte sie sagen, es sei gut, wenn der Junge dalag wie ein Toter und kaum atmete? Es war von dem Moment an nicht mehr gut gewesen, als er Zuko Blut hatte husten sehen. Seine Freude, dass sein Neffe zu guter Letzt doch noch richtig gehandelt hatte, war verpufft. Sorge und Schuld übermannten den General. Wenn der Junge starb, war er sein Henker gewesen. Er! Dieses geplagte, zerrissene, elfjährige Kind, das sich verzweifelt an ihn geklammert hatte, das ihm Liebe und Zuwendung abgetrotzt hatte, obwohl er nur an die Trauer um seinen Sohn hatte denken wollen ... Dieses Kind hatte ihn damals aus der nicht enden wollenden Dunkelheit gerissen. Einfach, in dem es ihn gebraucht hatte. Wie hätte er den fragenden, wissbegierigen Blicken des Jungen denn auch standhalten sollen? Diesem Dickschädel, der ihm überall hin gefolgt war? Der stummen Resignation auf dem Gesicht seines Neffen, als er versucht hatte, ihn mit harschen Worten loszuwerden? Irgendwann war sein Widerstand unter diesem unbeholfenen Charme geschmolzen. Er hatte Zuko angeleitet, bestärkt, getröstet. Heute war Iroh klar, dass diese Wirkung immer wechselseitig gewesen war. Sein Neffe hatte ihm wieder Sinn und Hoffnung gegeben. Aneinander hatten sie sich aufgerichtet und waren gewachsen. Agni ... Er hatte dieses Kind verraten! Hatte kein Vertrauen gehabt. Und jetzt starb es. Diesmal würde die Trauer ihn brechen. Diesmal würde nichts Iroh Tatzu retten. Ursa konnte die Verzweiflung im Blick ihres Schwagers kaum mitansehen und drückte seine Hand. Ihre Augen fielen auf Zukos Profil. Himmel! Sie wusste nicht einmal, wie er wirklich aussah. Vorsichtig und sanft drehte ihre Hand seinen Kopf. Entsetzt sog sie den Atem ein. Eine alte, große Brandnarbe entstellte das markante Gesicht. Das Gesicht ihres Sohnes. Ihres hübschen, kleinen Sohnes! „Ozai?“, flüsterte sie. „Ja.“, murmelte Iroh. Die Beherrschung, die die ganze Zeit über so mühsam aufrecht erhalten worden war, brach. Ein klagender Laut entwich Ursa, als sie zu weinen begann. Sie griff nach der Hand ihres Sohnes und hielt sie an ihre Wange. Sie hätte ihn nie alleine lassen dürfen! Sie hatte gewusst, Ozai würde ihn quälen. Warum? Warum nur, hatte sie ihn nicht mit sich genommen? Weil Ozai sie erbarmungslos verfolgt hätte! Mit dem Kind hätte er sie leichter aufgespürt. Er hätte die Hetzjagd nie beendet! Und obwohl sie dies wusste, konnte Ursa nicht aufhören, mit sich selbst zu hadern. Sie wiegte sacht hin und her, küsste die schlaffe, raue Hand und weinte lautlos. Eines ihrer Kinder hatte sie wieder. Aber um welchen Preis? Sie weinte still. Weinte um ihr eigenes Leben, ständig auf der Flucht. Weinte um ihre Tochter, die sie nicht genug hatte lieben können, um sie dem schlechten Einfluss Ozais zu entziehen. Weinte um ihre Familie, die es nie gegeben hatte. Und sie weinte um Zuko, dessen Schmerzen sie nicht hatte lindern können, dessen Einsamkeit und Angst sie nicht hatte verhindern können. Um Zuko, der zu sterben schien, bevor sie ihn wiederbekam. Aber er starb nicht. Er starb nicht und er lebte nicht. Die Reise, die er angetreten hatte, brachte Zuko an Orte, von denen er nichts geahnt hatte, Orte die er nicht einmal für möglich gehalten hatte. Er drang ins Innerste des Drachen vor, sein nacktes, bloßgelegtes Sein. Während seine Seele also ihre Wurzeln freilegte, lag Zuko reglos in einem Bett im Herzen des Feuerpalastes.   Selbst als die körperlichen Wunden vollständig verheilt waren, lag der Sohn Ozais stumm und starr wie ein Marmorblock da. Nach dem ersten Monat verloren die Ärzte die Hoffnung. Nach dem zweiten Ursa. Nach zehn Wochen Iroh. Fast. Was er allerdings wirklich verlor, war die Geduld. Der General stürmte in die Gemächer seines Neffen und schrie ihn an. Er sei ein verdammter Feigling, wenn jetzt einfach aufhöre! Wie typisch für ihn, sich keine Gedanken um andere zu machen! Eigenbrötlerischer Miesepeter der er war, würde er sich doch nur vor dem Dank der anderen drücken. Die Feuernation brauche ihn! Seiner Mutter würde er das Herz brechen. Warum zum Teufel er denn nicht kämpfe? Das hätte er doch sonst immer getan. IMMER! Er sei doch einfach nur ein verfluchter, arroganter, gedankenloser Mistkerl! Aber es half nichts. Warum sollte es auch? Seit Zuko im Koma lag, hatte er ihm diese Dinge wohl schon hundert mal gesagt. General Iroh streckte die Waffen. Auf dem Bettrand sitzend, sank er in sich zusammen. „Dann geh eben“, flüsterte er mit zitternder Stimme. „Geh dahin, wo Du Glück findest. Aber wehe Dir, wenn Du es nicht findest und mich hier umsonst zurück lässt ... Ich brauche Dich hier, Zuko! Aber Du ... Du scheinst Deinen Frieden noch mehr zu brauchen.“ Er streichelte Zukos Hand, die im Lauf der letzten Tage stetig kühler geworden war, weil Leben und Wärme langsam aus dessen Körper krochen. „Geh, Kind. Finde Frieden!“ Irohs Stimme brach. Er beugte sich vor und küsste die kühle Wange seines Neffen. Morgen würde sie noch um vieles kälter sein, das wusste er. Es war in der Tat typisch für Prinz Zuko, dass er sich erst dazu herab ließ sein kleines Schläfchen zu beenden, nachdem alle anderen ihn bereits aufgegeben hatten. Fakt war jedoch, sein Onkel hatte ihm gesagt, er brauche ihn hier. Und seinen Onkel durfte man nun mal nicht im Stich lassen. Wieso der allerdings erst weinend seinen Kopf zwischen den Händen vergrub und ihn dann fragte, ob er ihn erkenne, war Zuko schleierhaft. „Wer bin ich?“ Also bitte! Wenn er das nicht selbst wusste ... Doch er tat seinem Onkel den Gefallen und identifizierte ihn. Dass er danach als „der sturste Bock in einer Herde ausrangierter Gehirnmuffel!“ beschimpft wurde war nicht besonders nett und wurde seinerseits mit beleidigter Miene und verschränkten Armen quittiert. Als der General lauthals nach einem Arzt krakeelte hielt sein Neffe das für eine überaus weise Entscheidung. Mit dem alten Spinner stimmte etwas nicht, so viel war sicher! Am nächsten Tag versuchte Zuko, sich an das Gefühl zu gewöhnen, wieder eine Mutter zu haben. Drei Tage später versuchte er sich an das Gefühl zu gewöhnen, plötzlich Freunde zu haben. Letzteres fiel ihm bei weitem leichter. Eine Woche später versuchte Zuko sich an das Gefühl zu gewöhnen, das eine verbrannte Handfläche verursachte, nachdem man aus heiterem Himmel einen Blitz gebändigt hatte. Es tat höllisch weh! Als die Leibärzte eine stinkende Salbe auf die Blasen rieben, vertrieb das weder die Schmerzen, noch das Lächeln auf dem Gesicht des Prinzen. Kapitel 19: Der Lord im Schafspelz ---------------------------------- Ba Sing Se, Gegenwart Im Palast des Erdkönigs wurden penibel die letzten, imaginären Stäubchen von der Robe des Feuerlords entfernt, akribisch die Schulternähte zurechtgerückt und die Hono ein letztes Mal poliert. „Fon, denkst Du wirklich, Du schaffst es, mich noch sauberer, glänzender oder irgendwie schicker zu machen?“  „Hoheit, wenn Ihr schlampig vor dem Kanzler herumscharwenzelt, wird das auf mich zurückfallen.“ „Herumscharwenzeln? Ah, aber das hört sich so überaus gewöhnlich an, dass ich so etwas doch niemals tun würde, Fon!“ Zukos leiser Spott wurde mit wahrhaft meisterlicher Herablassung ignoriert. Ein letztes Mal überprüfte Fon die Erscheinung seines Herrschers. Anscheinend fiel die Inspektion zu seiner Zufriedenheit aus, denn nun verbeugte er sich tief. „Viel Glück, mein Lord!“ „Danke, Fon!“ Vor der Tür wartete General Iroh auf seien Neffen. „Viel Glück, Zuko!“ „Danke, Onkel!“ „Ich habe das Gefühl, heute wird ein großer Tag, mein Junge!“ An diesem Morgen stand Jin beschwingt auf. Sie war zwar gestern um ihren heiß ersehnten Gute-Nacht-Ringkampf gebracht worden und würde vermutlich auch heute leer ausgehen, aber sie würde schon Mittel und Wege finden würde, die Schuld ihres Drachen mit Zins und Zinseszins einzutreiben. Auf gewisse Dinge reagierte der Herr schließlich recht ,äh ... zuverlässig. Außer Gestern. Da hatte nicht mal ihr Enthusiasmus den gewünschten Erfolg erzielt. Aber da war er nach eigener Aussage auch nicht wirklich satt gewesen. Vielleicht war er ja mit vollem Bauch grundsätzlich weniger prinzipientreu? Nach seinem Gelage bei Tante Ria hatte er seine Grundsätze schließlich mit wehenden Fahnen untergehen lassen. Jin grinste, als ein Plan Formen annahm.  Nun, wenn das so war, würde sie ihn bei der nächst bietenden Gelegenheit eben bis zum Anschlag voll stopfen! Der Weg zur Arbeit stellte sich ohne Lee als furchtbar einsam heraus. Jin fiel siedend heiß ein, weshalb sie heute allein unterwegs war. Sein Termin! Der Termin mit dem Kanzler! Sie schielte unauffällig umher, damit niemand sie bei dieser Albernheit erwischte, zog den Teecoupon aus ihrer Tasche und drückte einen kurzen Schmatzer darauf. „Viel Glück, Drache!“ Mit all diesen guten Wünschen bedacht schritt der Gebieter der Flammen hinter einem Kabinettsmitglied des Königs, eskortiert von vier Wachen, zwei Erd- und zwei Feuerwachen, durch die langen Korridore des Palastes. Zuko Tatzu näherte sich seinem Ziel. Ruhig, Schritt für Schritt, so wie er es im Lauf der Jahre mühsam hatte lernen müssen. Jin We näherte sich ihrem Ziel. Schritt für Schritt hatte das Muster formen angenommen. Noch zwei Bahnen ... Noch eine. Fertig! Sie sah auf den Stoff hinab. Makellos! Das filigrane Muster, der schimmernde Glanz, die leuchtenden Farben. Sie hatte noch nie eine so wundervolle und wertvolle Arbeit vollendet, so viel stand fest. Dieses Gewebe musste für einen reichen Kunden sein und würde Meister Yom mit Sicherheit sehr viel Geld bringen. Jin, jedoch war das Geld egal. Im Moment war sie nur unbändig stolz über ihre gelungene Arbeit. Sie mochte eine unordentliche, tagträumerische Schusselnuss sein, aber am Webstuhl war sie unschlagbar. Sie war und blieb eine verflucht geschickte Weberin. Sacht über den seidigen Stoff streichend lächelte sie zufrieden. Meister Yom, der diesen Gesichtsausdruck sehr gut kannte, eilte herbei. Verzückt schlug er die Hände zusammen. „Jin, Mädel, also ich muss schon sagen, Du bist und bleibst eine verflucht geschickte Weberin!“ Jin strahlte. Sie hatte gewusst, dass er das sagen würde. „Danke, Meister Yom!“ „Das ist mit Abstand der schönste, teuerste Stoff, der meine bescheidene, kleine Weberei je verlassen hat. Und das muss er auch ein! Er ist für einen unsrer ehrenwerten Minister. Das könnte ein großer Tag werden. In der Tat, ein großer Tag!“ Jin beobachtete ihren alten Meister voll Zuneigung. Er liebte seine kleinen Vorträge über alles. „Nun ... weil heute so ein großer Tag ist, darf auch jemand einen schönen Ausflug machen. Du darfst den Ballen höchst persönlich abliefern, jawohl!“ „Wer, ich?“ „Aber ja! Das Hast Du Dir verdient.“ „Ähm, wohin denn?“ „Hab ich das nicht gesagt? In den Palast natürlich.“ „Palast? Den Großen? Auf dem höchsten Hügel Ba Sing Ses?“, hauchte Jin. „Ja, welchen denn sonst, Mädel? Das wird eine ganz schöne Lauferei, das kann ich Dir sagen!“ „Das macht doch nichts! Ich laufe fürchterlich gerne! Ich ... Danke, Meister Yom!“ Der Alte lachte meckernd. „Schon gut, Jin, Schon gut! Hier ... nimm diesen Passierschein mit, sonst kommst Du nicht mal bis in den inneren Ring der Stadt. Und verpack mir den Ballen ja schön sorgfältig.“ „Natürlich, Meister Yum!“ „Sehr schön! Wenn Du das gute Stück abgeliefert hast, darfst Du Dir für den Rest des Tages frei nehmen. Es wären ohnehin nur noch ein, zwei Stunden.“ „Das ist ... Danke!“ So kam es, das an diesem strahlend schönen Tag Jin, mit einem kostbaren Paket beladen, durch die Strassen schlenderte, obwohl sie um diese Zeit doch eigentlich vor einen Webstuhl gehörte. Wenn sie doch nur dort geblieben wäre ... dann hätte dieser große Tag nicht im Unglück enden müssen. Doch so, der dräuenden Wolken über ihrem Glück nicht gewahr näherte sie sich sorglos und neugierig dem Palast König Nuros und bestaunte auf ihrem Weg die Pracht und Eleganz des vornehmsten Viertels der ganzen Stadt. Hier also bewegte sich ihr Liebster tagein, tagaus, mit der Selbstverständlichkeit eines Hochwohlgeborenen. Bang überlegte sie sich, ob sie es schaffen würde, sich in seiner Welt zurechtzufinden. Sie hatte ihn noch nicht einmal nach seinem zu Hause gefragt. Ob es so riesig sein würde, wie die beeindruckenden Villen und Herrenhäuser hier? Ach was! Zusammen würden sie diese Hürden meistern. Sie waren ja nicht umsonst so krisenerprobt. Sich vorzustellen, etwas würde sie trennen können war lächerlich. Schließlich gelangte sie an ihr Ziel. Der Palast des Erdkönigs war atemberaubend! Schon die schiere Größe überstieg die Vorstellungskraft eines normalen Menschen bei weitem. Jin war so damit beschäftigt, alles mit offenem Mund zu bestaunen, sie hätte fast vergessen, den Passierschein vorzuzeigen. Der Wächter gab ihr genaue Anweisungen, wo sie ihre Ware abzuliefern hatte. Also ging Jin um den Palast herum, zu einem Seitentor. Dort wurde sie angewiesen, einem langen Gang zu folgen, sich dann rechts zu halten und den Stoffballen einem der dortigen Diener anzuvertrauen. Im Innern war das gigantische Bauwerk sogar noch größer und imposanter. Meine Güte! Ganz offensichtlich hatten die Erdkönige einen leichten Hang zum Protz. So, jetzt rechts. Ein Diener rannte an ihr vorbei. „Entschuldigung, ich …“ „Keine Zeit!“ Gut. Dann eben nicht. Sie ging weiter. Ah, da stand jemand. „Hallo! Ich soll diesen Ballen hier abliefern …“ „Kleine, siehst Du nicht, dass ich beschäftigt bin? Wende Dich an Nim!“ „Und wo ist Nim?“ „Woher soll ich das wissen?! Versuchs den Gang da runter, dann die erste links, wieder links und dann die zweite Tür rechts!“ „Mhm. Danke!“ Für´s Nichts tun! Jin folgte dem beschriebenen Weg. Nur … es gab keine zweite Tür rechts! Bestimmt hatte der überforderte Mann diesen Gang gemeint … Da war eine Tür. Der Kanzler des Erdkönigs war ein erstaunlich zugänglicher Mann, mit erstaunlich vernünftigen Ansichten. Man verstand sich hervorragend, denn man teilte ein gemeinsames Ziel: Dauerhaften Frieden. Die eigentlichen Verhandlungen waren somit schnell vom Tisch, der Rest wäre nur noch reine Formsache. Zuko konnte sein Glück kaum fassen. Wie kam es nur, dass er mit einem Mal auf der Sonnenseite des Lebens zu wandeln schien, dass sein Leben so viele glückliche Wendungen nahm? Nun gab es in der Tat nur noch eine einzige Sorge: Jin seine Identität zu offenbaren. Wenn der letzte, formelle Termin beim Erdkönig morgen hinter ihm läge, hätte er ENDLICH seinen Kopf frei, für die wichtigste seiner Angelegenheiten! Er würde Jin noch morgen Abend die Wahrheit sagen, würde einen Weg finden, ihr seine Situation zu erklären, bestimmt würde sie verstehen, warum er sie im Unklaren gelassen hatte. Ja, alles entwickelte sich zu seiner vollsten Zufriedenheit. Der Kanzler lud seinem hohen, überaus geschätzten Gast noch auf eine persönliche Führung durch den Palast ein, die dankend angenommen wurde. Zuko staunte über die weitläufigen, verzweigten Korridore. Was für ein unübersichtlicher, überladener Kaninchenbau. Der Feuerpalast war im Gegensatz zu diesem gigantischen Klotz viel klarer, leichter, eleganter und … schöner. „Nun werde ich Euch noch unsere enormen Lagerräume zeigen, wenn Ihr Interesse daran habt.“ „Brennendes.“ Das leichte Lächeln des Kanzlers bezeugte, dass er den versteckten Witz genoss. „Der Aufwand, der hinter der Organisation des Warenverkehrs steckt, ist unglaublich. Hier entlang, bitte, Hoheit.“ Er öffnete schwungvoll die Tür, um dem Feuerlord den Vortritt zu lassen. Doch außer dem Kanzler schien noch eine Person versucht zu haben, der Tür Herr zu werden. Jemand mit beladenen Armen, hatte sich dagegen gestemmt. Ein Teil des `Warenverkehrs´ krachte mit voller Wucht in Seine Lordschaft. „HUCH!“ Diverse Dinge gingen zu Boden. Arme, Beine, ein Wust brauner Haare, ein geschnürtes Bündel, das sich öffnete und sich als eine Kaskade schimmernden Stoffs herausstellte. Das Einzige, das standhaft wie ein Berg blieb, war der Angerempelte selbst. Als es Jin endlich gelungen war, die Tür zu öffnen (und zwar überaus plötzlich), prallte sie mit furiosem Karacho gegen eine massive aber seltsam elastische Mauer. Eine mit Stoff bespannte Mauer. Während sie daran hinunterglitt hatte sie Gelegenheit Beschaffenheit und Aussehen des Stoffs zu beurteilen. Himmel! Im Leben hatte sie so etwas kostbares noch nicht gesehen.Hauchzarte Goldfäden, zu kleinen züngelnden Flammen gewoben, durchwirkten die spektakulärste, in Schwarz und dunklen Rottönen gehaltene Seide. Am Fuss der Mauer lugten zwei gebogene Schuhspitzen hervor. Oh Gott! Sie hätte beinahe jemanden umgeworfen. Und ihr Stoffballen hatte sich über den ganzen Boden verteilt! „Hoheit! Um Gottes Willen! Das tut mir entsetzlich leid! Drung, was hat das zu bedeuten? Wo kommt dieses Mädchen her? Schaff sie hier augenblicklich raus!“ Hoheit? `Jetzt sitzt Du aber ganz schön in der Patsche, Missy!´ Bitte nicht! Bitte, lass nicht zu, dass ich eine Hoheit über den Haufen gerannt habe! „Es ist ja nichts passiert, Kanzler. Kein Grund dem Mädchen die Hölle heiß zu machen.“ Durch ihre Panik konnte Jin diese Stimme hören. Eine wunderschöne, rauchige Stimme. Sie kannte sie. Ebenso, wie die kräftige, helfende Hand, die sich ihr entgegenstreckte. Lee? Lee war hier? Als sie erschrocken aufblickte, wurde die Hand abrupt zurück gezogen. Goldene Augen starrten verständnislos in ihre. „Jin?“ Er wirkte so anders. Er strahlte irgendetwas aus. Er war prächtiger, als sie ihn je gesehen hatte. Ganz langsam nahm Jins Geist die Tatsache auf, dass sich auf seinem Kopf etwas befand, das verdächtig nach einer Art Krone aussah. `Krone? Jetzt spinn doch nicht, Missy!´ Vielleicht trugen ja alle Mitglieder des Hofstaates so etwas? Trotz schlotternder Knie schaffte sie es sich aufzurichten. „Lee?“ Jins Stimme war vor böser Vorahnung kaum zu hören. Warum war Lee so entsetzt, so erstarrt? „Hoheit? Ihr kennt diese Person?“, wollte der Kanzler irritiert wissen. Schon wieder Hoheit. Und ... er hatte Lee angesprochen. Lee! `Wie lange willst Du eigentlich noch brauchen, um die Sache hier zu kapieren, Missy?´ Jins Kopf wurde taub, als hätte sie einen Schlag erhalten. Vom Scheitel floss ein schreckliches Kribbeln bis in ihre Zehenspitzen und hinterließ dumpfe Schwäche. Sie wollte sprechen, aber ihre Lippen zitterten, bewegten sich nicht so, wie sie sollten. Ein hohes, unangenehmes Sirren war in ihren Ohren und machte es zudem schwer, etwas zu hören. Er war der Feuerlord! Lee war der Feuerlord. „Ja, Kanzler. Ich kenne sie! Sehr gut sogar.“ Zukos Stimme war vollkommen tonlos, dann straffte er sich. „Die junge Dame ist in der Tat meine Ver …“ Eine klatschende, heftige Ohrfeige setzte seinen Worten ein Ende. Jin schlug ihn so hart, dass sein Kopf zur Seite flog. Noch einmal! Und noch einmal! Die Schläge endeten erst, als grobe Hände Jin Einhalt geboten. „Was fällt Dir ein, Seine Lordschaft zu schlagen?“ „Lasst sie los! Augenblicklich!“ Die befehlsgewohnte Stimme des Herrschers der Feuernation peitschte durch den Raum. „Aber Hoheit …!“ Zuko sah seinem Kobold in die Augen. Er lass Verwirrung, Trotz. Ablehnung. Angst. Und noch etwas. Sein Herz pumpte schmerzhaft, presste ihm mit jedem Schlag Eiswasser durch die zu engen Venen. Sie hasste ihn! Wo zuvor warm ihre Liebe zu ihm geleuchtet hatte, funkelte jetzt entsetzte Abscheu. „Jin, bitte … ich …“ „ICH WILL ES NICHT HÖREN!“ Ihre sonst weiche Stimme klang schrill und scharf. Auf diesen Ausbruch hin, sah sich die Palastwache verpflichtet, die kleine Furie erneut am Arm zu schnappen. „Lasst sie los!“, zischte der Feuerlord unheilverkündend. Der Wächter gehorchte automatisch der Autorität dieser Drohung. Zuko blickte hilflos in dieses kleine, verzerrte Gesicht, in die spröde gewordene Jade. „Lasst sie gehen“, flüsterte er rau. Heftig atmend tastete Jin sich rückwärts ihren Weg zur Tür. Das konnte nicht sein. Das Alles konnte doch nicht wahr sein! Er hatte gelogen! Alles war gelogen! Alles! Sie rannte los. Ließ Meister Yoms kostbaren Stoff zurück, ließ den lügnerischen Bastard zurück. Ließ ihr Herz zurück. Sie rannte aus ihrem Traum in eine kalte, trostlose Welt, in der es keine Freude mehr gab. „Hoheit? Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz …“ Der Kanzler war trotz seiner diplomatischen Schulung mehr als nur leicht irritiert. War er eben Zeuge eines Streits von Feuerlord Zuko und dessen Mätresse geworden? Anscheinend hatte eine der hiesigen Schönheiten es dem fremden Herrscher angetan. Nun war wohl Taktgefühl angesagt. Wenn das Mädchen freiwillig auf diese Avancen eingegangen war, hatte niemand das Recht, den jungen Heißsporn zu rügen. Wenn sie allerdings einem Betrug aufgesessen war ... „Nun, ähm ... natürlich ist es Eure Sache, mit wem Ihr, äh ein Techtelmechtel …“ „Kanzler! Ich zöge es vor, Ihr würdet Eure Zunge zügeln, wenn Ihr von meiner zukünftigen Gattin sprecht!“ Zukos Stimme war kalt vor Zorn. Brodelnder Zorn auf sich selbst. Aber er würde das wieder hinbekommen. Er MUSSTE! „Eurer Gattin?“, keuchte der Beamte. „Ich … Verzeiht! Das war mir nicht klar!“ Mit einem knappen Nicken wurde die Entschuldigung akzeptiert. Die Führung war damit selbstverständlich beendet. Na ja … wir wollen ehrlich sein. Lagerräume an sich sind ja auch nicht gerade rasend interessant. Allenfalls schicksalhaft. Jin wusste nicht, wie sie den Heimweg hinter sich gebracht hatte. Sie war irgendwann eben einfach zu Hause. Sass einfach da und starrte vor sich hin. Es war auch einfach, nicht zu weinen. Sie konnte es gar nicht! Denn um ehrlich zu sein, fühlte sie nichts. Nichts Relevantes. Nun, die Leere war ein wenig schmerzhaft, ließ sie ihre langsamen dumpfen Herzschläge überdeutlich spüren. Aber im Gegensatz zur Verzweiflung war sie erträglich. Darum durfte sie dieses Gefühl auch nicht zulassen. Keines der vielen Gefühle, die hinter ihrem Bewusstsein Schlange standen. ER würde noch kommen, da war sie ganz sicher. Und sie durfte sich keine Blöße geben. Sie mochte zwar unbedeutend sein, aber sie würde ihre Würde behalten. Jin We. Dumm, naiv, leicht zu haben, aber würdevoll. Sie brauchte nicht lange zu warten, bis es an der Hintertür klopfte. Also stand sie auf und ging in den kleinen Hof, wo er sie vor ein paar Tagen noch so leidenschaftlich … `Hör auf Missy! Bring das hier hinter Dich und mach weiter!´ Er trug wieder die übliche Kleidung. Natürlich. Alles Andere hätte mitten in der Stadt für einen Menschenauflauf gesorgt. Aber sein Gesicht war anders. Angespannt, besorgt, irgendwie resigniert. Ihr konnte das ja jetzt egal sein. Er sah zu Boden. „Jin …! Es tut mir entsetzlich leid! Ich … ich wollte nicht, dass Du es so erfährst!“ Er machte einen Schritt auf sie zu, Jin wich zurück. Sofort blieb er stehen. „Ich wollte Dir das Ganze schonend beibringen. Schritt für Schritt. Nicht so … unverhofft. Morgen Abend, nach meinem Gespräch mit dem Erdkönig hätte ich Dir alles gesagt!“ Lügen! Er hatte tatsächlich die Stirn, ihr noch mehr Lügen aufzutischen? Wollte er ihr wirklich immer noch weiß machen, an einem unbedeutenden Ding wie ihr ernsthaft interessiert zu sein? Nein, aus seinem schönen Mund kamen nichts als Lügen. In diesen wundervollen Augen schimmerten lauter Lügen. Und sie war darauf hereingefallen! Auf einen Haufen Lügen! Dachte er wirklich, sie würde es wieder tun? Sah sie so dumm aus? Er bekam keine Antwort. War das ein gutes Zeichen? Zukos mulmiges Gefühl wuchs ins Unendliche. „Jin? Warum sagst Du nichts, mein Herz?“ Dann sagte sie etwas; richtete ihn. „Nennt mich nicht so. Nie wieder! Ich will, dass Ihr geht und mich in Ruhe lasst, und zwar für den Rest meines Lebens. Ich will Eure Lügen nicht mehr hören!“ „Jin! Es waren keine Lügen! Nichts davon!“, stieß er verzweifelt aus. Doch sie schien seinen Einwand gar nicht wahrzunehmen. „Ich werde Euch ohnehin nicht mehr zuhören.“ „Jin!“ „SAGT meinen Namen nicht!“ Sie machte den Fehler, ihm in die Augen zu sehen. Schnell blickte sie fort, da sonst die Tränen gekommen wären. „Nie wieder!“, setzte sie flüsternd hinzu. „Bitte! Ich …“ „Geht. Und verschont mich in Zukunft mit Eurem Anblick!“ Fassungslos hörte Zuko ihren Urteilsspruch. Sie drehte sich um und ging hinein. Ohne zurück zu blicken. Zuko starrte auf die Tür. Das konnte nicht sein. Das konnte sie nicht tun! `Warum nicht? Sie ist doch beileibe nicht die Erste, die Dir mit Abscheu begegnet, nachdem Deine Identität aufgedeckt wird. Hast Du wirklich geglaubt, sie würde bei Dir bleiben? Bei Dir? Hast Du sie nicht gehört? Sie kann ja nicht mal Deinen Anblick ertragen´ Das höhnische Lachen seines Vaters klang in Zukos Ohren. NEIN! Nein ... Er hatte sie verloren. Seinen Kobold! Seinen liebevollen, klugen, verrückten, kleinen Kobold. Der Drache, in seinem Inneren hob den Kopf und brüllte. Brüllte so laut, dass Zukos Kopf zu zerspringen drohte. Dann kam das Feuer. Ätzendes Drachenfeuer, das die Säulen seines Seins binnen Sekunden einstürzen ließ. Das Innere des nun hohlen Skeletts zerfetzen Messerscharfe Klauen. Sie wetzten sich an dem, was von ihm übrig geblieben war, gruben sich tief in das kalte Mark seines verkohlten Herzens. Nach diesem letzten Aufbäumen kam das Biest zu Fall. Und in den finsteren, stinkenden, morastigen Bodensätzen seiner Seele verkroch sich das Vieh, um zu verenden. Er hatte sie verloren! Der Drache, die Essenz seines Selbst - alles, was ihn je angetrieben hatte - starb. Langsam und aufrecht ging der Feuerlord den Weg, den er gekommen war, wieder zurück. Ließ die lebenssprühende, pulsierende Stadt hinter sich. Er hatte hier nichts mehr zu suchen, denn er hatte sie verloren. Jin lag eng zusammengerollt auf ihrem Bett und starrte mit trockenen Augen an die Wand. Es war schon lange Dunkel. Innen wie Außen. Doch sie wollte nicht schlafen. Im Schlaf kämen die Gedanken, die Träume. Solange sie wach blieb, konnte sie die Mauern aufrechterhalten. Solange sie wach blieb, brachte der Schmerz sie nicht um. Kapitel 20: Jin-Napping ----------------------- Irgendwann, gegen Morgengrauen, übernahm die Erschöpfung das Regiment über Jins Körper und zwang sie in ungewollten Schlaf. Sie wachte nicht auf, als es Zeit wurde zur Arbeit zu gehen und auch nicht mittags, als der Traum schließlich begann. Diesmal war alles leer. Da war keine Landschaft, keine Menschen. Nichts. Nur Dunkelheit. Die Stille bohrte sich in ihren Ohren. Doch dann wurde sie unterbrochen. Von einem Summen. Oder war es ein Stöhnen? Es war leise, nur ab und an zu hören. Ganz langsam wurde es lauter. Weinen! Es war leises, unendlich trauriges Weinen. Keines von der Art, die auf irgendwelche Zuhörer spekuliert. Keines, das mit Trost oder Zuspruch rechnete. Es war eine zutiefst verzweifelte, trostlose Klage um das Liebste! Als es näher kam, nahm Jin einen matten, grünen Lichtschimmer wahr. Sie ging darauf zu. Im Zwielicht zeichneten sich vage die Umrisse eines riesigen Körpers ab. Es war der scharlachrote Drache! Er lag am Boden. Jins zwang sich, noch näher zu gehen. Der große, majestätische Kopf des Wesens hatte gerade genug Platz auf dem Schoß der Frau. Sie summte ihm mit leiser, brüchiger Stimme ein uraltes Lied ins Ohr. Jin kannte diese Weise. Jedes Kind kannte sie!. `Lauf der Zeit´ Unendlich zärtliche Hände strichen über die Stirn des Drachen, aber die goldenen Augen blieben geschlossen. Die Melodie brach ab, als Hsui wieder zu weinen begann. Nie hatte Jin einen traurigeren Menschen gesehen. Dann begriff sie, dass es ihr sobald sie aufwachte ebenso erginge. Auch sie musste mit dem Wissen leben, es würde nie wieder gut werden. Jin holte zitternd Luft. Hsuis Kopf fuhr hoch und Jin sah zum ersten mal ihre Augen. Ungläubig blickte sie in tränennasse Jade. Augen wie ihre eigenen. Einen Augenblick starrte ihr Gegenüber sie nur an, dann hob Hsui bittend eine Hand. „Urma ti men Tatzu!“ Jin schüttelte verständnislos den Kopf. „URMA TI MEN TATZU! ... Hilf meinem Drachen!“ „A ... aber wie?“, stammelte Jin. „Ich weiß nicht wie!“ „Hilf ihm! Er stirbt!“, flehte Hsui. Jin schüttelte den Kopf, machte ein paar Schritte rückwärts. Was verlangte die Frau denn von ihr? „BITTE!! Hilf Ihm! … Du Musst!“ Jin schreckte aus dem Schlaf. Schreiend, tränenüberströmt, bis ins Mark frierend. Ihr Atem ging stossweise, Schweißtropfen rannen ihren Rücken hinab. Eine zeitlang sass sie orientierungslos im Bett, dann strampelte sie die völlig verhedderte Decke von den Beinen und stand mit zitternden Gliedmaßen auf. Sie musste zu ihm! Sofort! Hektisch wusch sie sich, schlüpfte in ihre Kleider und schnappte sich Meister Yoms Passierschein. Sie hatte den seltsam toten Blick seiner Augen doch gesehen. War es ihr denn egal gewesen? Warum nur hatte sie seinen Schmerz nicht gesehen? Weil ihr eigener zu groß gewesen war! So groß, dass sich alles ganz taub angefühlt hatte. Sie musste zu Ihm! Hinter dem zweiten Hauseck, um das Jin rannte wäre sie beinahe in einen freundlichen, älteren Herren gerasselt. „Oho, so eilig?“ „Ja … ich … Verzeihung!“ „Nichts geschehen! Keine Sorge … Hoppala! Wie ungeschickt!“ Etwas war ihm aus der Hand geglitten, und rollte nun munter in eine kleine Gasse. Schwerfällig versuchte der offensichtlich nicht mehr ganz so rüstige Mann, dem Ding hinterher zu laufen. „Lassen Sie nur, ich hol´s schon!“ Jin wuselte in die Gasse, dem kullernden Mysterium hinterher. Offensichtlich eine Kugel. Darum rollte es auch so weit. Wer schleppte denn bitte schön eine Kugel mit sich herum? Sie bückte sich, um die rote, runde Murmel aufzulesen. Leider ... stand sie nicht wieder auf. Zwei Minuten später trat der offensichtlich doch nicht ganz so unrüstige Mann aus der Gasse, umsichtig einen seltsamen Sack geschultert. Fon überlegte, ob er pfeifen sollte, aber das wäre dann wohl doch zu viel der Unauffälligkeit gewesen. Man durfte schließlich nie übertreiben. „Ich hoffe sehr, Du warst vorsichtig, Fon!“ „Hoheit! Kein Haar hab ich dem Mädel gekrümmt! Will meine Zunge schließlich behalten.“ „Woher soll ich das denn bitte schön wissen, Fon? So selten wie Du das Ding benutzt …“ Eilig arrangierte Iroh Tatzu große, weiche Kissen, auf die nun mit äußerster Sorgfalt der schlaffe Körper der jungen Frau gelegt wurde. „Fon … ich schätze, ab jetzt sind wir offiziell unzurechnungsfähig.“ „Sprich bitte nur für Dich selbst, Hoheit. Ich hab nur den Befehl ausgeführt.“ „Meinst Du, sie wird Kopfschmerzen haben?“ „Kann schon sein. Mit etwas Glück hätte ich sie gar nicht betäuben müssen. Das Mädel hätte sich nämlich fast den Schädel an meinem gestossen, so schnell ist sie gerannt.“ „Wie lange wird sie bewusstlos bleiben?“ Fon zuckte mit den Schultern, fuhr dann aber schmerzhaft zusammen. Er hatte das Persönchen den ganzen Weg hierher schleppen müssen. Und das kleine Ding war ziemlich, äh ... gepolstert … Na ja, knochig war sie nicht gerade! „Weiß nicht. Nicht lange, schätze ich. Hab nur ganz wenig Druck ausgeübt. Sollte ER einen blauen Fleck an ihr entdecken, kann ich mir gleich meine nächste Inkarnation aussuchen.“ „Ah! Hat sie grade geatmet?“ „Wenn sie´s nicht mehr tut, sind wir geliefert, Hoheit!“ „Du weißt doch was ich meine! Ich glaube, sie hat sich bewegt.“ Jin hatte Kopfschmerzen! Kein Wunder, sie hatte ja auch schreckliche Dinge geträumt, oder? Aber das mit dem Träumen schien irgendwie so gar nicht mehr aufhören zu wollen, denn das Kissen unter ihrer Wange war EINDEUTIG nicht ihres. Warum sie sich so sicher war? Weil das Ding mehr wert war, als sie in einem ganzen Monat verdiente. Außerdem roch es hier nicht wie zu Hause. „Ich glaube, sie ist wach.“ Diese wilde Theorie widersprach völlig ihrer eigenen. Zeit, die Sache zu überprüfen. Versuchsweise setzte Jin sich auf. Alles drehte sich. Blinzelnd strich sie sich über die Stirn. „Ich wusste doch, dass sie Kopfschmerzen haben wird!“ „Das nächste Mal kannst Du sie ja entführen, Hoheit.“ Hoheit? Warum denn jetzt schon wieder Hoheit? Ihr Leben schien im Moment wirklich zu tun was es wollte! „Möchtest Du vielleicht Tee, Kind?“ Tee? Ah ja … heißes Wasser mit Blättern drin. Warum nicht. „Ja … bitte.“ „Höflich ist sie, soviel steht fest.“ „Fon! Vielleicht könntest Du Dich nützlich machen, und den Tee bringen?“ Leise maulend schlurfte Fon aus dem Zimmer, um das gewünschte zu holen. „Nun, Fräulein, ich hoffe, wir haben Sie nicht all zu sehr erschreckt.“ War das nicht … Sie kannte diesen Mann. Der Teekoch. Nein Lees Onkel! Nein, auch nicht! Denn Lee war ja gar nicht Lee. „Ich glaube, ich bin momentan zu verwirrt, um erschrocken zu sein“, gab Jin zu. „Ja, es tut mir leid, dass wir Dich - Verzeihung, Sie - so überfallen haben.“ „Ich glaube, das `Du´ ist mir lieber.“ `Sieh an, Missy ... Gehört es neuerdings zum guten Ton, seinem Entführer das `Du´ anzubieten?´ „Ah, wie nett von Dir! Vor allem, da wir ja ohnehin bald verwandt sein werden.“ „Werden wir das?“ „Nun … ich denke man kann das ziemlich eindeutig so sagen, ja. Es sei denn, Du würdest Dich außer Stande sehen, meinem Neffen zu verzeihen.“ Der alte Mann blickte ihr forschend in die Augen, „Das wäre allerdings jammerschade, denn ich hatte mich schon so gefreut, den Jungen endlich einmal glücklich zu sehen.“ „Ich … ich wollte doch sowieso herkommen“, sagte Jin leise. „Wirklich? Fon, hast Du das gehört? Sie wollte sowieso herkommen!“ „Ich hab doch gesagt, sie ist gerannt wie bekloppt … äh, Entschuldigung Fräulein!“ Inzwischen war der Tee da und Jin bekam eine warme, tröstliche Tasse in die Hand gedrückt. Auf diese Weise ermutigt, stellte sie ihre nächste Frage. „War er denn nicht glücklich? Ihr Neffe?“ „Zuko? Nein. Nein, das kann man wirklich nicht behaupten.“ Zuko … Das klang so anders. Viel strenger, bedeutender aber auch unnahbarer. „Er hatte es die meiste Zeit nicht gerade leicht. Und diese Tatsache, zusammen mit seinem eher, äh ... unversöhnlichen Temperament machte ihn zuweilen ein wenig schwierig. Aber die größten Schwierigkeiten hatte Zuko immer mit sich selbst. Er geht mit sich selbst zumeist viel zu hart ins Gericht. Vielleicht sollte ich Dir ein bisschen über ihn erzählen. Er st wohl zu verschlossen, um tiefe Einblicke zu gewähren. Allerdings weiß ich nicht, was er Dir schon erzählt hat.“ Jin nahm einen tiefen Schluck Tee. Er linderte ihre Kopfschmerzen. „Ich weiß nur, dass sein Vater ihm … das Gesicht verbrannt hat, und … und ihn verbannte, weil er angeblich unehrenhaft und feige gewesen sei.“ „DAS hat er gesagt? Das Feigheit der Grund war?“ „Ja.“ Der alte Mann wirkte plötzlich müde. „Feige … er denkt das immer noch? Er … er glaubt immer noch an dieses Gewäsch, das Ozai verbreitete? Er war nicht feige! Und schon gar nicht ehrlos!" Iroh blickte auf und sah die Verwirrung in Jins Blick. Das arme Mädel hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Vielleicht sollte er die Sache näher beleuchten. „Am Tag vor seiner Verbannung - es war ein Dienstag, glaube ich - hatte Ozai den Kriegsrat einberufen. Und Zuko ... der Junge wollte unbedingt mit hinein. Egal, was ich sagte. Vielleicht hätte ich es ihm einfach verbieten sollen. Aber wahrscheinlich hätte er ohnehin nicht auf mich gehört. Und dann, nachdem sie eine Stunde um den heißen Brei herumgeredet hatten, machte einer der Generäle einen Vorschlag. Ein Vorschlag, von dem ich gewusst hatte, dass jemand ihn machen würde." Iroh holte schwerfällig Luft, als die Erinnerungen auf ihn eindrangen. "Eine ganze Division junger, unerfahrener Kerle sollte bei einer unbedeutenden Schlacht als Kanonenfutter herhalten, um als Ablenkung für den eigentlichen Angriff zu dienen. Als Zuko das hörte, machte er den Generälen Vorhaltungen. Bittere Vorhaltungen! Er nannte sie ehrlos. Das ganze überhebliche, menschenverachtende Dutzend. In einem Raum voller gestandener Männer, war er der einzige, der genug Mumm in den Knochen hatte, um aufzustehen und gegen diese himmelsschreiende Ungerechtigkeit vorzugehen. Ein Dreizehnjähriger! Nicht mal ich hatte den Schneid dazu, in Ozais Kriegsrat die Stimme gegen ihn zu erheben.“ Ein schwerer Seufzer entrang sich Iroh. Er sah auf seine Hände hinab. „Und Ozai? Ozai witterte endlich die Gelegenheit, den Jungen los zu werden. Er benutzte Zukos eklatantes `Fehlverhalten´ als Vorwand, seinen Sohn zu einem Feuerduell zu zwingen. Gegen den eigenen Vater! Er hatte den Jungen in der Zwickmühle. Hätte Zuko sich dem Duell gestellt, wäre es eine unfassbare Respektlosigkeit wider seinen Lord und Vater gewesen. Er verweigerte. Und schon schnappte Ozais Falle zu. Er konnte Zukos Verhalten als Feigheit deklarieren und ihn in die Wüste schicken. So, oder so. Er hatte einen Weg gefunden, sein ungeliebtes Balg loszuwerden.“ Der General fuhr sich über die Augen. „Es tut mir leid … Ich hätte mich nicht so hineinsteigern dürfen. Aber dass der Junge sich selbst die Schuld gibt, ist wieder einmal typisch!“ Das Gefühl hatte Jin allmählich auch. „Doch die Tatsache, dass er Dir überhaupt von der Sache erzählt hat, ist der Beweis, wie sehr er Dir vertraut, Jin“ „Er ...  er hat mir nicht genug vertraut, um mir zu sagen, wer er ist.“ Iroh sah in Jins bekümmertes Gesicht und sah sich veranlasst, ihre Hand zu nehmen. „Jin … Ich weiß nicht, wie oft Zuko dafür gehasst wurde, der zu sein, der er ist. Sein eigener Vater hat ihn gehasst, seine Schwester hat ihn verachtet. Der einzige Mensch, der ihn liebte, war seine Mutter. Und als sie fortging, war er vollkommen auf sich allein gestellt. Ich kam aus dem Krieg heim und fand dieses vernachlässigte, innerlich völlig verwahrloste Kind vor. Und selbst ich habe zu Anfang versucht, ihn wegzustossen. Aber Zuko war, Agni sei Dank, hartnäckig genug. Er hatte nun mich. Doch sonst stieß er überall nur auf Ablehnung. Egal, ob er sie verdiente oder nicht. Selbst wenn er jemandem zuvor geholfen hatte; sobald seine Name fiel, wurde er gehasst! Das war die Lektion, der er gelernt hat, Jin. Fast sein ganzes Leben lang. Und er hat sie gut gelernt.“ Durch einen Tränenschleier blickte Jin auf ihre verknoteten Finger. „Aber ich hätte ihn doch niemals hassen können!“ „So?“, fragte Iroh sanft. „Auch nicht gestern?“ „Ich … Nein. Nicht mal gestern. Ich war ... verstört. Und wütend. Na ja, sehr, sehr wütend. Aber gehasst hab ich ihn nicht! Hat er das gesagt? Dass ich ihn hassen würde?“ „Gesagt? Sie denkt er sagt noch was? Das ist echt lustig!“ „Fon!“ „`Tschuldigung!“ „Was Fon sagen will ... Zuko ist seit gestern Abend ziemlich verändert. Er bewegt sich, spricht und atmet. Viel mehr aber auch nicht. In seinen Augen konnte ich in der Vergangenheit schon vieles lesen. Auch viele unschöne Dinge. Aber leer … leer waren sie bisher noch nie. Wir ... äh, wir haben uns die Sache einfach zusammengereimt, Fon und ich, und uns erlaubt eigenmächtig zu handeln.“ „Wir? Das warst Du!“ „Dann weiß … Zuko hiervon gar nichts?“ Es fühlte sich seltsam an, diesen Namen auszusprechen. Iroh zupfte derweil an seiner Nasenspitze. „Ich fürchte nicht“, gab er zu. „Wenn er´s wüsste, hätten wir hier drin ungefähr fünfhundert Grad mehr.“ „Fon! Ich versuche hier zu verhandeln.“ „Verhandeln? … Das sieht ja wohl ein Blinder, dass sie verrückt nach ihm ist. Was gibt´s da noch zu verhandeln? Nichts für ungut, Fräulein!“ „Fon, geh ja niemals in die Politik!“, meinte Iroh, mit Blick auf die krebsrote Jin lakonisch. „Aber in einem hat Fon Recht“, fuhr er fort, „Du hast eine besondere Bindung zu meinem Neffen, nicht wahr?“ Er beobachtete Jin sehr genau. Dann holte er tief Luft. „Manche Dinge, Jin We, sind Bestimmung. Sie bergen das Potential zu größtem Glück oder Unglück in sich. Je nachdem, ob sie eintreffen, oder nicht. Und es gibt … Seelen, denen es bestimmt ist, zusammen zu sein. Unsere Urahnen nannten es das Truokimo. Die Doppelseele.“ Er lachte leise und schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich hältst Du das nur für das alberne Geschwätz eines senilen, alten Mannes.“ „Nein! Ich ... Früher vielleicht. Aber … ich habe Träume. Seltsame Träume. Manchmal sind sie wie Erinnerungen und manchmal fast wie Vorahnungen. Da ist dieser Mann, der zum Drachen wird. Eigentlich sind es zwei. Und eine Frau. Sie gehört zu einem der Drachenmänner. Sie ... sie hat mich dazu gebracht herzukommen.“ Jin zuckte verlegen mit den Schultern. „Eine Frau?“, fragte Iroh hellhörig. „Ja. Ihr Name ist Hsui.“ In der folgenden Stille hätte man ein Reiskorn fallen hören können. Jin sah auf. Hatte sie etwas falsches gesagt? „Hsui? Du träumst von HSUI?“ Die Männer tauschten Blicke. „Wie heißt der Halbdrache?“, wollte der General wissen. Fräulein We kramte nervös in ihren Erinnerungen. „Tatzu?“ „Heilige Flamme!“ „Ich werd nicht mehr!“ Jins Augen glitten zwischen ihren perplexen Entführern hin und her. „Was? Was ist denn?“ „Mein liebes Kind! Hsui war die geliebte Gefährtin von Tatzu, dem ersten Feuerlord. Sie waren beide Halbdrachen. Hsui war eine Erddrachenfrau. Sie trug ihren Namen, wegen ihrer grünen Augen. Es ist das alte Wort für Jade. Und Tatzu bedeutet Drache. Es ist auch der Name unserer Familie. Er war einer der letzten Feuerhalbdrachen. Tatzu, der Goldäugige.“ Iroh sprang auf und begann umherzuwandern. „Agni, kein Wunder ist der Junge fast hinüber vor Trauer. Ich wusste es! Ich wusste immer, dass da was ist! Verflucht ... Er ist einer der Wiederkehrer. Deswegen dieses Licht bei seinem Sonnentrallala, Fon! Darum hatte sich die Flamme bei seiner Krönung von selbst entzündet. Er … er hat eine der Drachenseelen. Und nicht nur irgendeine, sondern die von Tatzu!“ Darum also hatte Zuko von Anfang an dieses Riesenpotential gehabt, aber niemals gewusst, wie er damit umgehen sollte. Bis er dann schließlich den Tento entdeckt hatte. Jin verstand kein Wort! Oder vielleicht jedes vierte? Gut. Der Mann sprach über Halbdrachen. Über Halbdrachen, die ... zusammengehörten. Aber er meinte doch wohl nicht, dass Zuko und sie mit diesen Wesen … „Und sie,“ Iroh deutete mit beiden Händen auf Jin. „Trägt die Seele seiner Gefährtin!“ Für den Augenblick hätte Jin wirklich viel darum gegeben, eine schwächliche Konstitution zu haben, um in Ohnmacht zu fallen. „Äh … Hoheit? Das Mädel ist ein bisschen blass.“ „Ah, nicht doch! Das sind doch wundervolle Nachrichten!“ Iroh strahlte Jin an und drückte ihr ein Glas Wasser in die Hand. „Wirklich?“, fragte sie schwach. „Aber sicher!“ „Ich will aber keinen Drachen in mir haben.“ „Es ist doch nur ihre Seele.“ `Das erklärt jetzt vielleicht auch den Dickkopf, den Du manchmal an den Tag legst. Hm, Missy?´ „Na gut“, flüsterte sie kläglich und so gar nicht dickköpfig. „Mach Dir keine Sorgen, mein Kind! Meinem Neffen ergeht es wie Dir. Er kommt gegen diese Bindung ebenso wenig an, wie Du.“ „Ja?“ „Darf ich Dir eine Frage stellen?“ „Mhm.“ Das klang wenig überzeugend, aber Iroh stellte die Frage trotzdem. „Hältst Du Zuko für einen sentimentalen Menschen?“ Ihr Lee? Niemals! Wie ... auch immer er nun heißen mochte, sentimental war er jedenfalls nicht. „Nein, bestimmt nicht. Ich glaube, er ist manchmal eher zu nüchtern.“ „Wenn er grade keinen Temperamentsausbruch hat, ja.“ „Fon!“ Fon verdrehte die Augen. Wenn er hier gar nichts mehr sagen durfte … „Nun, er ist so nüchtern, weil die meisten seiner Emotionen ihm nur Ärger eingehandelt haben. Aber, wie erklärst Du Dir dann dies?“ Zukos Onkel zog einen Stoffstreifen aus der Tasche. Es war schilfgrüne, brüchige Seide. „Erkennst Du es?“ Jin schüttelte den Kopf. „Sollte ich?“ „Nun, es ist ein altes Haarband. Bestimmt hast Du es gar nicht vermisst, nachdem Du es im Teehaus verloren hattest.“ „Mein …? Aber wie kommt Ihr dazu?“ „Ich fand es heute Morgen in einem der Kamine. Und das hat mich mehr als erstaunt, muss ich sagen. Zuko hütete dieses Ding immer wie seinen Augapfel. Doch ich schätze, nach gestern Abend wäre er die Erinnerungen gerne losgeworden.“ Jin starrte eine Weile auf das poröse Gewebe. Dann kramte sie etwas aus ihrer Manteltasche. Sacht nahm sie das verschlissene Haarband und wickelte es vorsichtig um den alten Tee-Coupon. Die Gegenstände begannen, zwischen ihren Handflächen zu kribbeln. `Hilf ihm!´ Sie blickte zwar nicht auf, doch Iroh sah die Tränen trotzdem kullern. Zumindest so lange, bis sie achtlos weggewischt wurden. „Ich muss zu ihm!“ Warme, gütige Hände legten sich über ihre. „Ja, das musst Du. Aber zunächst, gestatte einem alten Mann, ein bisschen Theater zu spielen.“ Jin wusste nun wirklich nicht, was sie von dieser Idee zu halten hatte. Einige Zimmer weiter Die Flammen im Kamin zogen es vor zu verlöschen, als sich die Hülle dessen näherte, der einstmals ihr Gebieter gewesen war. Noch immer trug Feuerlord Zuko den Odoro. Warum auch nicht? Er hatte so oder so zu viel Ähnlichkeit mit seinem Vater, da konnte er das Ding genauso gut auch anbehalten. Es war nur ein Kleidungsstück wie jedes Andere auch. Da das Feuer im Kamin nicht weiter brannte, wurde es schnell kühl in dem riesigen Raum. Zuko war das egal. Er spürte den Unterschied nicht. Es war eben kalt. Es war die ganze Zeit über kalt gewesen, während dieses glorreichen Tags, an dem es endlich gelungen war, den Erdbändigern die so dringend benötigte Hilfe abzuringen. Und nicht nur Hilfe. Das Arrangement, das getroffen worden war, überstieg sämtliche Erwartungen. Gegenseitiger Austausch von Arbeitskräften und Rohstoffen, neue Handelsabkommen ... Ja, er hatte wahrlich Grund zum feiern, an diesem Tag. Diesem einen, kalten, glorreichen Tag. Das eine einzige Umdrehung der Erde einen solchen Unterschied machen konnte … Hätte er die Wahrheit einen Tag früher aufgedeckt, vielleicht wäre sein Glück nicht zerbrochen. Aber persönliches Glück wurde ohnehin überbewertet, oder nicht? Was zählte waren Ziele. Erreichbare Ziele, denen man sich Schritt für Schritt nähern konnte. Schritt für Schritt. In seiner Privatangelegenheit hatte ihn dies scheitern lassen. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hätte sie ihn auch dann zum Teufel gejagt, wenn er ihr gleich zu Anfang gestanden hätte, wer er war. Auch egal. Aus kalten Augen starrte Zuko durch das kalte Glas auf eine kalte Stadt. Er war es nicht gewohnt, dass ihm kalt war. Ganz und gar nicht! Am besten beschleunigte er die Abreise. Morgen wäre ein guter Tag, diese Stadt hinter sich zu lassen. Nie hergekommen zu sein, wäre zwar ein noch grandioserer Plan, aber den konnte er wegen des beschissenen, linearen Zeitablaufs leider vergessen. Sie ließ sich weder vor-, noch zurückdrehen, die Zeit. Sie verging eben. Kriechend langsam und quälend. Herzschlag für Herzschlag. Herz … Warum hieß dieses Ding, das mechanisch seinen Kreislauf antrieb, überhaupt so? Es war schließlich nur eine Pumpe, wozu sollte man ihm einen so hochtrabenden Namen geben? Sein wirkliches Herz blieb hier, in Ba Sing Se. Er musste ohne es weiterleben. Dann musste er sich schon nicht damit herumplagen ... Es klopfte. Unaufgefordert öffnete sich die Tür. „Ich sagte, ich möchte nicht gestört werden!“ Zukos Stimme war kalt und glatt, wie die Glasscheibe, durch die er immer noch nach draußen starrte. „Oh, mein Fehler! Aber ich wollte Euch nur etwas bringen.“ „Ich brauche nichts! Weder Tee, noch Musik, noch Unterhaltung, noch sonst irgendetwas!“ Nun, Iroh fand, übers Knie gelegt zu werden, wäre vielleicht doch etwas, das sein Neffe bräuchte. „Oh, aber es ist etwas ganz besonderes!“, sagte er munter. „Wirklich außergewöhnlich. Da die Verhandlungen heute so reibungslos und erfolgreich verliefen, hielt der Erdkönig es für angebracht, Euch ein Geschenk Eurer Wahl zu überreichen. Ihr schient mir jedoch nicht in der richtigen Stimmung zu sein. Und so habe ich mir erlaubt, die Wahl an Eurer Stelle zu treffen.“ Leider bekam der General keine Reaktion. Doch damit hatte er gerechnet. Zeit die stärkeren Geschütze aufzufahren. „Ich bin mir sicher, Euren Geschmack auf den Punkt genau getroffen zu haben. Das Mädchen entspricht wirklich in jeder Hinsicht Euren Vorlieben!“, endete er genüsslich. Da! Endlich drehte Zuko sich um. „Was redet Ihr da?“ War der Alte verrückt geworden? Hinter seinem Onkel konnte er im Schatten tatsächlich die Umrisse einer Frauengestalt ausmachen … „Schafft sie weg, Onkel. Augenblicklich!“ „Wegschaffen? Ihr habt doch noch nicht mal einen Blick auf sie geworfen. Sie wird Euch gefallen, soviel ist Sicher!“ „Schafft! Sie! Weg!“ Die Glasstimme begann bedrohlich zu knacken. „Also … Wenn IHR den Erdkönig so vor den Kopf stossen wollt, bitte! Aber zu dieser Unhöflichkeit müsst Ihr Euch schon selbst herablassen. Und wenn Ihr das Mädel partout nicht wollt, sagt es ihr ins Gesicht!“ Damit zog Iroh besagte Dame ins Licht. Noch nie hatte sich verärgerte Gleichgültigkeit in so tiefes, fassungsloses Entsetzen gewandelt. Jin! Was hatte sein Onkel getan? Ihm nachspioniert, soviel stand fest! Hatte er Jin dazu gezwungen herzukommen? Hatte der Erdkönig sie unter Druck gesetzt? Sein Herz, dieser nutzlose Muskel, krampfte sich zusammen. Trauer, Verzweiflung, Abscheu vor sich selbst ... die ganze verfluchte Skala, die es gestern schon durchlaufen hatte plagten es erneut. „Soll das ein Scherz sein?“ Zukos Raunen klang unheilvoll. „Lasst sie gehen!“ „Ich halte sie doch nicht auf! Ihr könnt sie ja wegbringen, wenn sie Euch stört.“ Damit dampfte Iroh ab. Für den Augenblick. Jin schluckte. Eigentlich wollte sie ja zu ihm laufen, aber auf Pudding ging das schlecht. Stattdessen konnte sie nur in ein brennendes Augenpaar blicken. Dann erinnerte sich Zuko der letzten Forderung, die sie an ihn gestellt hatte. Schnell wandte er sich ab. Auf diese Weise konnte er sich auch wieder zur Ruhe zwingen. „Verzeiht! Das Ganze ist ein schrecklicher Irrtum!“ Er klang so kalt, als ginge die Sache ihn überhaupt nichts an. „Irrtum, Hoheit? Was denn? Dass Euer Onkel dachte, Ihr würdet mich wollen?“ Zuko presste die Zähne aufeinander. Es kam einem Wunder gleich, dass sie nicht zerbarsten. Sie hatte alles Recht der Welt, ihn zu verspotten. Mit Dingen, die er nie würde haben können. „Mein Onkel hatte keine Befugnis, Euch hierher zu bringen!“ „Nein, anscheinend nicht.“ „Das Ganze tut mir unendlich leid! Mehr als ich sagen kann. Ihr werdet für die erlittene Demütigung so gut es geht entschädigt werden.“ „Entschädigt?“ Wie wollte er sie denn bitte entschädigen, wenn er die ganze Zeit in diesen kalten Kamin stierte, statt zu ihr zu kommen? Jin machte ein paar Schritte, versuchte, einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen, doch er drehte den Kopf fort. „Ihr hattet mir von Eurem Wunsch erzählt, mit einer Freundin eine kleine Weberei zu gründen. Ich werde diesen Wunsch natürlich unterstützen.“ „Unterstützen?“, fragte Jin hohl. „Mit ... Geld?“ „Ja.“ Langsam kroch die Wut in ihr hoch. „Wirklich? Und wie hoch setzen wir den Preis für ein paar Küsse und einige kleinere Entgleisungen denn an, Hoheit? Bekomme ich den Tarif einer Hafendirne, oder vielleicht doch den eines Fürstenliebchens?“ Inzwischen knirschte sie fast mit den Zähnen. Zuko versteifte sich. „Ich wollte keinesfalls andeuten …“ „Darf ich“, fuhr Jin dazwischen. „mein Herz ebenfalls auf die Rechnung setzten? Oder ist es ein zu unbedeutendes Ding für Euch?“ „Ji…“ In letzter Sekunde verhinderte Zuko, dass ihm das Wort über die Lippen kam. `Sagt meinen Namen nicht. Nie wieder!´ Zukos Finger krampften sich zusammen Nein. Es gab nichts mehr zu sagen. Er schien sie nur immer weiter zu demütigen. Dabei war es das letzte, was er wollte. „Ich werde veranlassen, dass man Euch nach Hause eskortiert.“ Noch immer war seine Stimme glatt, nirgends ein Hauch von Zedernrauch. Jin hatte die Faxen dicke! Sie stapfte um ihn herum. Er drehte sich weg. Was, zum Teufel sollte das? „Warum wendest Du Dich ständig ab?“ Zuko schloss die Augen. Wenn sie doch nur endlich ginge! Ihre Gegenwart ließ ihn fühlen. Und Fühlen bedeutete Schmerz. „Ich erspare Euch lediglich meinen Anblick.“ Was? Was tat er? Ihre eigenen, vernichtenden Worte von gestern fielen Jin wieder ein. Alles, was sie sah, war sein Rücken. Abweisend. Angespannt. Einsam. „Das ist unnötig!“, flüsterte sie, plötzlich mit Tränen in den Augen. „Ich werde Deinen Anblick so oder so für den Rest meiner Tage vor Augen haben, egal was Du tust.“ Zuko ballte unmerklich die Fäuste. So sehr hasste sie ihn also? „Es tut mir leid …“, rang er sich ab. Endlich! Endlich zeigte seine Stimme Emotionen. Rau, brüchig. Jin baute sich vor ihm auf, doch die vernarbte Hälfte seines Gesicht entzog er weiterhin ihren Blicken. So blieb ihr nur die Tatkraft. Sie umfasste seine Wange und zog, bis sie ihm frontal in die Augen sehen konnte. Fast. Denn seine waren geschlossen. „Sechs Jahre hab ich´s nicht geschafft, Dein Gesicht zu vergessen! Und Deine Augen … soll ich die auch vergessen? Siehst Du mich deshalb nicht an? Glaubst Du, so vergesse ich das Schönste, was ich kenne?“ Ihre Wut konnte er ja verstehen, aber dieser Hohn war zu viel! „Seid Ihr fertig?“, fragte er kalt. Jetzt öffnete er die Augen. Jedoch nur, um glatt durch Jin hindurch zu sehen. „Habt Ihr mich jetzt genug gequält? Oder gibt es noch mehr Spott, den Ihr über mich ergießen möchtet? Wenn nicht, werden meine Wachen Euch jetzt nach Hause begleiten!“ Was? Hatte er ihr denn nicht zugehört? Anscheinend nicht, denn er machte auf dem Absatz kehrt und schritt zur Tür. „Zuko!“ Zuko hatte sich oft gefragt, wie es sein würde, seinen richtigen Namen von ihr zu hören. Jetzt wusste er es. Es zerrte an seiner Seele. „Würdest Du Dir BITTE anhören, was ich zu sagen habe?“ Sie schrie beinahe. Agni! Was wollte sie denn noch von ihm? Konnte sie ihn nicht einfach krepieren lassen? Er musste sich zum Sprechen zwingen. „Glaubt mir, keiner Eurer Vorwürfe könnte schwerer wiegen, als meine eigenen. Ich wünschte, Ihr hättet mir nie begegnen müssen, ich wünschte, ich könnte Euren Kummer rückgängig machen!“ „Aber das kannst Du doch!“ Lieber Gott! Warum drehte er sich nicht endlich um? Warum sah er sie nicht an? Wieso musste ausgerechnet sie sich mit dem stursten Mannsbild herumschlagen, das diese Erde je heimgesucht hatte? Aber gut! Dann würde sie sich eben mit seinem Rücken auseinandersetzen. „Bitte! Wenn Du es wieder gut machen willst, dann dreh Dich verdammt noch mal um und sieh mich an!“ Doch er bleib nur wie angewurzelt stehen. „Fein, dann lauf eben weg, Drache! Versuch es, aber ich werde Dich einholen. Verschanz Dich hinter Deinen Mauern! Dann werde ich sie eben einreißen. Ich will nicht mehr ohne Dich sein! Aber vor lauter Selbstvorwürfen siehst Du das nicht, oder?“ Ärgerlich wischte Jin ein paar Tränen weg. Wieder einmal. Wie oft musste sie wegen dieses Kerls eigentlich noch heulen? „Aber vielleicht willst Du es ja so. Vielleicht gefällt es Dir ja, hoch oben, auf Deinem einsamen Drachenhort. Dort brauchst Du Dich um nichts zu kümmern, nicht wahr? Auch nicht darum, ob jemand Dich liebt. Ist es das, was Du willst? Alleine gelassen zu werden?“ Die nachfolgenden Stille dehnte sich, bis eine Ewigkeit verging und Jin sich wünschte, sie hätte die Frage nicht gestellt. Was, wenn es so war? Was, wenn sein Onkel sich geirrt hatte? „Nein!“, presste er durch die Zähne. „Weh Dir, wenn Du lügst, Jin! Denn zurück nehmen kannst Du es nicht. Nicht noch einmal!" Er drehte sich um, seine Augen brannten sich in ihre. „Weh Dir, wenn Du lügst!“ Er war so schnell, dass sie nicht wusste, wie sie in seine Arme gekommen war. Wichtig war ohnehin nur, dort zu sein! Jin klammerte sich an ihn, obwohl dies vollkommen unnötig war, denn er presste sie so fest an sich, dass sämtliche Atemluft aus ihren Lungen entwich. Stöhnend vergrub Zuko sein Gesicht in ihrem Haar, atmete tief seine Erlösung. „Jin?“ Seine Stimme war brüchig. „Ich bin hier, Drache!“, wisperte sie und schmiegte ihr Gesicht an seinen Hals. Er beschränkte sich auf die einzelne Silbe ihres Namens. Stammelte sie, einer Litanei gleich, wieder und wieder in ihre Locken. Vielleicht sollte sie den Gefallen erwidern? „Zuko ...“ Sie sah auf. Es klang noch immer ungewohnt. Am besten übte sie noch ein bisschen. „Zuko!“ Sie streichelte sein Gesicht Gleich hatte sie den Dreh raus … „Zuko!“ Sie begrub ihren Kopf wieder an seiner Halsbeuge. Mit diesem letzten Flüstern merkte sie, wie richtig dieser Name war. Er war stärker, entschlossener, hatte soviel mehr Ecken und Kanten. Und sie kannte nichts, das mehr Ecken und Kanten hatte als dieser Mann. Es war zweifellos pure Seligkeit, so gehalten zu werden. Zu fühlen, wie sein Herz schlug. In seinem Duft zu baden. Mit den Händen über sein Haar zu streicheln. Aber er könnte doch eigentlich auch sein ausstehendes Versprechen einlösen, oder? „Soweit ich mich erinnere, hattest Du mir für heute Abend eine Unmenge an Küssen versprochen, Dra…“ Der erste Kuss war beinahe schmerzhaft. Eine Spur Verzweiflung klang in ihm nach. Ein wenig Einsamkeit, ein Rest Angst. Der zweite zerriss Jin fast, vor Sehnsucht und machte aus ihren Gedanken ein solches Wirrwarr, dass sie das Zählen aufgab. Es war ja auch egal, beim wievielten Kuss er mit dem Daumen zärtlich die Feuchtigkeit von ihren Wangen wischte, beim wievielten sie ihre Finger so tief in die tintenschwarze Mähne grub, bis die dumme Krone nicht mehr hielt. Sie wusste später auch nicht mehr, welcher Kuss es gewesen war, der seine Lust nicht mehr hinter anderen Gefühlen versteckte. Kurze Zeit später waren ihre Hände auf dem bestem Weg, sich durch seine Kleidung zu arbeiten. Doch wie immer, war sein Erfahrungsschatz der bei weitem größere. Seine schwieligen Hände lagen schon an ihrer Taille, dort, am empfindsamsten Punkt über den Lenden, wo ihre Haut so wunderbar samtig war ... „Zuko!“ Ah, das Sirenenflehen! Dass sie diesmal SEINEN Namen benutzte, ließ Zuko fast den Kopf verlieren. Fast! Ein anderes, hartnäckigeres Geräusch verlangte jedoch nach seiner Aufmerksamkeit. Jin schwor sich, ihn zu erwürgen. Immer hörte er dann auf, wenn sie kurz davor war, zu verglühen! Diesmal würde sie ihn einfach nicht loslassen. „Jin?“, schnaufte er. Verdammt! Reden konnte er doch auch ein ander Mal, oder? „Jin … Ich denke … mein Onkel will uns mit ... dem Gefummel an der Klinke ... etwas sagen!“ Sie war damit beschäftigt, an seinem Hals zu nagen. „Was?“ Verwirrt sah sie auf. „Mein Onkel, Jin!“ „Ach Du lieber Himmel!“ Wie … Was hatte er denn in der kurzen Zeit mit ihrer Kleidung angestellt? „Herrje … Jetzt hilf mir doch mal!“ „Ich hab hier selbst ein paar Dinge zu ordnen, Jin!“ „Wie kann man denn so viele winzige Knöpfe in so kurzer Zeit aufkriegen? Übst Du an irgendwelchen Puppen?“ Sie keuchte, als wäre sie dreimal um die Stadtmauer gerannt. „Wo ist die Hono?“ „Die was?“ „Hono! Die Flamme, Jin! Das Teil für meinen Kopf.“ Jin beschloss derweil, es sei am einfachsten, den Mantel über diesem Durcheinander an Kleidern zu schließen. „Wen interessiert denn das? Angezogen bist Du auch ohne das Ding!“ „Von wegen!“, schnaubte er. Mittlerweile hatte sich lautes Hüsteln zu dem Zerren an der Türklinke gesellt. „Ja doch, Onkel! Wir haben Euch gehört!“, brüllte der Diener Agnis auf der Suche nach seinem Kopfputz. „Oh, da! Sie hängt in Deinen Haaren fest.“ „Wie ist sie da hin gekommen?“ „Vielleicht ungefähr so, wie Deine Hand unter meine Röcke?“, zischte der Kobold aufgebracht. Klar, jetzt war mal wieder alles IHRE Schuld! Als Iroh den Raum betrat, sah er sich zwei engelsgleichen Erscheinungen gegenüber. Das Mädchen strahlte ihn an, nichts als Unschuld, während sein Neffe ungerührt dastand, ein Muster an Würde. Der General versuchte die leichte Schräglage der Fünfflammigen zu übersehen. Ebenso, wie die Tatsache, dass die Knöpfe von Jins Mantel nicht in den dazugehörigen Knopflöchern steckten. Allem Anschein nach hatte sein Neffe sein Geschenk also doch ausgepackt. Kapitel 21: Der Sonnwendtanz ---------------------------- In pikanten Situationen griff Iroh Tatzu, wie die meisten seiner Mitmenschen, gerne auf ein dezentes Hüsteln zurück. So auch jetzt; es war so schön ... neutral. „Habt Ihr Euch erkältet, Onkel? Es war heute den ganzen Tag recht kühl.“ „Nicht doch! Nur eine etwas belegte Stimme. Ich, äh ... müsste nur Jin kurz entführen.“ „Was, schon wieder?“ Die Frage war heraus, bevor Jin darüber nachdachte. „Wieder?“ Zuko holte unheilverkündend Luft. „WIEDER? Ihr habt sie also tatsächlich entführt, Onkel?“ Er war ein wenig lauter geworden. „Nun, technisch gesehen schon“, gab der General zu und rieb sich die Nase. „Nicht wirklich!“, sprang Jin in die Bresche. „Was heißt nicht wirklich?“ Zukos Stimme war auf der Lautstärke-Skala bedeutend höher gerutscht. „Das werd ich Dir später erzählen.“ Fertigte sie ihn gerade ab? „Später? Ich bin es nicht gewohnt, Dinge `später´ erklärt zu bekommen, mein Herz!“, grollte der Feuergekrönte. „Nun, dann solltest Du das lernen. Ich bin´s schließlich auch nicht gewohnt, mit Königen zu verkehren.“ „Fürsten!“ „Kinder!“, unterbrach Iroh, „Da ist eine recht lautstarke Dame, die behauptet, ihre Nichte sei verschwunden. Sie möchte umgehend mit Lee Song sprechen. Einem, äh, Mitglied unsres Hofstaats.“ Der Blick, den er seinem Neffen zuwarf, war bewundernswert kurz. „Ich vermute, sie ist sehr verzweifelt und sucht nach Hilfe. Am besten beruhigen wir sie jetzt, bevor Fon seine diplomatischen Missgriffe anwendet, nicht wahr?“ „Tante Ria? Ich geh zu ihr!“ Jin marschierte schnurstracks zur Tür. Um genau zu sein, tat sie das schnur, aber nicht stracks, denn eine sanfte, aber sehr bestimmte Stimme hielt sie auf. „Einen Augenblick noch!“ „Aber ich muss zu Ta...“ „Der Junge hat Recht, Liebes. Du solltest Dir noch eine Minute Zeit nehmen. Ich werde Fon beistehen gehen.“ Damit eilte Iroh davon. „Aber ...“ „Jin!“ „Ich muss zu Tante Ria!“ „Wenn sie Dich so zu Gesicht bekommt, erleidet sie einen Schwächeanfall!“ „Meine Tante? Niemals! Sie hat eine sehr gute Konstitution.“ Als Zukos vielsagende Blicke sie streiften, folgte Jin ihnen mit ihren Augen. „Was? Oh ... Oh je ... OH! SO hat Dein Onkel mich gesehen?“, quiekte sie, als sie die eigene, derangierte Erscheinung sah. „Kein Grund zur Sorge“, beruhigte Zuko sie, während er wieder einmal begann, sehr geschickt ihre diversen Knöpfe zu öffnen. „Erstens, ist mein Onkel ein Mann, und sich somit der natürlichen Notwendigkeit des Fortpflanzungstriebes bewusst!“ Natürliche Notwendigkeit des Fortpflanzungstriebes? Jin blinzelte. Manchmal war sie sich sicher, dass dieser Mann alle in seinem Leben vorgekommenen Erbsen gezählt, nach Farbe und Größe sortiert, nummeriert und katalogisiert hatte. Aber ihren Mantel hatte er wirklich in Rekordzeit aufbekommen. Dafür konnte sie als Gegenleistung ja auch über seine Pedanterie hinwegsehen, oder? „Zweitens“, fuhr er fort, diesmal seine kostbare Zeit damit verplempernd, die zuvor geöffneten Knöpfe wieder zu schließen. „Ist er ein Feuerbändiger und weiß um die, äh ... explosive Unausweichlichkeit dieses Dranges. Und Drittens,“ Er entwirrte Jins Haar und brachte auf unvergleichliche Art Ordnung hinein. „Ist er eben kein prüder Erdkönigreich-Bürger.“ Zufrieden betrachtete er sein Werk. Na bitte! Sie sah wieder respektabel und züchtig aus. „Prüde?“ Jin verschränkte die Arme. „Ich bin fertig. So kannst Du Deiner Tante unter die Augen treten.“ „Ach? Ich sehe also wieder prüde genug aus?“, fragte der Kobold unschuldig. Zuko verdrehte die Augen. Was hatte er denn JETZT schon wieder gesagt? Aus dem Korridor erklangen laute Stimmen. „Ich lasse mich doch von Ihnen nicht länger an der Nase herumführen! Entweder meine Jinny ist hier, oder nicht! Und wenn sie es ist, will ich jetzt AUGENBLICKLICH mit ihr sprechen!“ Tante Rias Stimme ließ die Bereitschaft erkennen, im Bedarfsfall NOCH lauter zu werden. „Nimm die Krone runter!“, flüsterte Jin drängend. „Bitte?“ „Deine ... Flamme! Nimm sie runter! Wir müssen meine Tante ja nicht gleich schockieren.“ Ach?! Noch vor weniger als vierundzwanzig Stunden war diese Art kreativen Umgangs mit der Wahrheit noch als `lügen´ bezeichnet worden. Doch das `wir´ stimmte Zuko milde genug, über die Doppelmoral seiner Verlobten hinwegzusehen. Rasch zog er die Hono vom Kopf. „Jinny?“ „Tante Ria!“ „Jin!“ Für ihr Alter rannte Tante Ria erstaunlich schnell auf ihre Nichte zu. „Jin, Knubbelchen! Ich dachte schon, Dir sei etwas passiert!“ Fest schloss sie ihre Nichte in die Arme. „Sela kam zu mir. Sie machte sich Sorgen, weil Du weder bei der Arbeit, noch zu Hause warst. Wir sind dann gleich zu Deiner Wohnung und eine Nachbarin erzählte so schreckliches Zeug, dass Dich Jemand niedergeschlagen hätte.“ Goldene, eiskalte Blitze trafen Iroh und Fon, drohten baldige Vergeltung an. „Sela ist zur Polizei und ich bin hierher, um ... um nach ... Deinem ...“ Rias Blick registrierte zum ersten Mal den großen, kostbar gekleideten Burschen hinter Jin. „... Lee zu suchen …“ Ihre Augen wurden schmal. „Was ist hier los?“ „Nichts, Tante. Warum?“, fragte Jin munter. „Missy, auf diese Masche fall ich schon lange nicht mehr rein!“ „Nein, es ist wirklich nichts. Wir, äh ... hatten nur ein nettes Pläuschchen.“ Hatte Onkel schon immer so schlecht gelogen? Zuko verzog kaum merklich die Lippen. „Sie da, Lee!“ Ria nahm Zuko ins Visier. „Sie scheinen mir Ihre fünf Sinne noch beisammen zu haben. Und deshalb,“ Sie zog ihn am Arm hinter sich her, „Werden Sie mir erklären, was los ist. Und zwar unter vier Augen!“ Damit schlug sie den anderen die Tür vor der Nase zu, den Gebieter der Flammen fest am Schlafittchen gepackt. „So!“ Fräulein We verschränkte die Arme. „Ich höre!“ „Vielleicht möchten Sie sich setzten, Ria?“ „Ich steh ganz gut! Warum benimmt diese Bande da draußen sich so seltsam?“ Die Bande da draußen holte empört Luft. „Seltsamer als sonst?“, fragte Zuko, laut genug, um von allen relevanten Lauschern auch gehört zu werden. „Nun, Jin ist der Meinung, man sollte Sie auf gewisse Neuigkeiten schonend vorbereiten“, fuhr er in normaler Lautstärke fort. „Mich?“ Er nickte. „Schonend?“ „Ja.“ „Quatsch!“ „Eben.“ „Also? Los! Geht´s darum, dass Sie ein Nobler sind?“ „Sie sollten sich wirklich setzten!“ Ria erwischte ihre Beine dabei, wie sie tatsächlich gehorsam einknickten. Punktgenau landete sie in einem weichen Sessel. Zuko verschränkte die Arme hinter dem Rücken und räusperte sich. „Ich bin nicht nur ein einfacher Nobler. Mein Name ist auch nicht Lee, sondern Zuko. Zuko ... Tatzu. Ich bin der Feuerlord.“ Ria war plötzlich der Meinung, dass vielleicht mit ihrem Gehör etwas nicht stimmte. „DER ... Feuerlord?“ „Ich fürchte es gibt jeweils nur einen.“ Jetzt war Ria wirklich froh, zu sitzen. „Das … erklärt dann wohl auch diesen exzentrischen Morgenmantel. Ich ... Ob ich wohl ein Glas Wasser haben könnte?“ Prompt wurde ihr das Gewünschte in die Hand gedrückt. „Danke!“ Sie tätschelte seinen Arm. „Oh! Darf ich das überhaupt? Das mit dem Berühren? Gegen wie viele Regeln verstosse ich denn gerade?“ „Ähm … gegen fünf oder sechs.“ „So eine Menge?“ Ria nahm erst mal einen Schluck Wasser. Was hatte das Kind nur wieder angestellt? „Ich kann Ihnen versichern, an meinen Absichten Jin betreffend hat sich nicht das Geringste geändert!“ „Oh, das weiß ich!“, schnaubte Ria. „Ich hab schließlich Augen im Kopf!“ Sie blickte auf und bekam zum ersten Mal in ihrem Leben eines jener legendär seltenen, aber auch legendär strahlenden Lächeln des Herrn Zuko Tatzu. Du meine Güte! Dieser Junge hatte einen Charme, dass es einem glatt die Häkeldeckchen auftrennte! Es war, wie einer dieser strahlend schönen, erinnerungswürdigen Sonnenaufgänge, die man niemals gänzlich vergisst. Mitten in diesem strengen, unnahbaren Gesicht. Von diesem Moment an hatte Jin eine Verbündete verloren und Zuko eine Schwiegertante gewonnen, nach deren Ansicht er nichts, aber auch gar nichts, falsch machen konnte. „Und es sind wirklich enorm gute Augen, wie mir scheint“, meinte Zuko, während er sich geräuschlos der Tür näherte. Als er nach der Klinke griff, straffte Ria sich erwartungsvoll. Die kommende Szene versprach ungemein lustig zu werden. Jin, die leider ganz vorn gestanden hatte, war die Einzige, die sich nicht mehr auffangen konnte. Galanter Weise wurde dies für sie erledigt. „Huch!“ Einen tadelnden Blick kassierte sie trotzdem. „Verzeihung“, ließ sich der Feuerlord vernehmen. „Mir war nicht bewusst, wie viele Leute gleichzeitig versucht haben, durch diese Tür zu kriechen. Vielleicht sollte der Erdkönig seine Architekten konsultieren, um sie verbreitern zu lassen?“ „Zuko, wir wollten nur fragen ob unser geschätzter Gast eine kleine Erfrischung möchte.“ Der General versuchte, gekränkt zu wirken. „Hervorragende Idee, Onkel. Begleitet Fräulein We doch bitte ins kleine Kaminzimmer. Und das andere Fräulein We, welches gerade versucht, sich ebenfalls aus dem Staub zu machen, darf ich bitten zu bleiben.“ „Vielleicht möchte ich aber auch eine Erfrischung?“ „Vielleicht möchtest Du mir aber auch erst die Situation darlegen?“ Vielleicht, ja vielleicht war das tatsächlich klüger und so blieb Jin wo sie war. Nachdem die Tür sich geschlossen hatte, begann der Drache auf und ab zu marschieren. „Ich wüsste jetzt gerne, wie das mit dieser nicht wirklich statt gefundenen, technisch gesehen aber doch existenten Entführung war. Hat Dir irgendjemand weh getan?“ „Nein.“ Die Kopfschmerzen erwähnte Jin lieber nicht. Zuko seufzte erleichtert. „Gut, denn ich, meinerseits, hätte nur ungern auf rohe Gewalt zurückgegriffen.“ „Sie haben es nur gut gemeint, L ... Zuko!“ „Wenn ich davon nicht ausginge, Kobold, lägen ihre Zungen bereits auf einem silbernen Tablett vor mir.“ „Das ist ja eklig!“ „Lenk jetzt bitte nicht ab, mein Herz.“ „Einen Versuch war´s wert …“ In ein paar Jahren würde sie gelernt haben, dass dem nicht so war. Wenn sich ihr Verlobter, Gatte, Geliebter, Vater ihrer Kinder, erst mal in ein Thema verbissen hatte, war er so kompromissbereit, wie ein Terrier auf Stöckchen-Suche. „Also? Warum bist Du der Meinung `nicht wirklich´ entführt worden zu sein?“ „Weil ...“ Jin sprach leise und blickte auf ihre ineinander verschlungenen Hände hinunter. „Weil ich sowieso auf dem Weg hierher war.“ „Was?“ Perplex starrte Zuko sie an. „Ich wollte herkommen.“ „Zu ... mir?“ Sein Wispern war unendlich rau. „Ja.“ „Kobold, Du …“ „Ich habe all die schrecklichen Sachen gestern gar nicht so gemeint!“ Agni! Diese Frau lehrte ihn wahrhaftig Demut. Wie um Alles in der Welt, hatte er sie nur verdient, ihre Liebe? „Jin, ich …“ Hilflos brach er ab und versuchte es erneut. „Hast Du ... überhaupt eine Ahnung, wie sehr ich Dich …“ Jin erbarmte sich, legte sanft einen Finger auf seine Lippen und ihre Stirn an seinen Unterkiefer. „Ja! Hab ich, Drache! Und wenn Du auch nur die Hälfte meiner Gefühle teilst, ist nie ein Mädchen mehr geliebt worden, als ich.“ Bestimmt war auch noch nie ein Mädchen ausgiebiger geküsst worden! „Bevor wir noch einmal sämtliche Regeln des Anstands brechen, sollte ich Dich jetzt zu Deiner Tante bringen.“ „Wer hat diese blöden Regeln denn überhaupt festgelegt?“, fragte Zukos fortwährende Versuchung atemlos. „Bestimmt ein Erdbändiger!“ Er sollte wirklich damit aufhören, Küsse unterhalb ihres Schlüsselbeins zu verteilen. „Ich denke …“ `Wirklich, Missy? Sieht für mich nicht so aus, als ob Du das noch könntest.´ „... es war eher... ein Feuer ... äh … spucker … mit dürftiger … Phantasie.“ „MEINE Phantasie ist im Moment alles andere als dürftig!“, schnaufte Zuko. „Und ich ... bin nicht prüde!“ Da sie nur noch eine Stoffschicht von seiner warmen Haut entfernt war, verdoppelte Jin ihre Anstrengungen. Sie wollte endlich wissen, wie er sich anfühlte. „Nein!“, keuchte das Objekt ihrer Begierde. „Eindeutig nicht! Mein Leben bis zur Hochzeit wäre um einiges leichter, wenn Du es wärst.“ „Und meins ...“ Gleich! Sie konnte schon seine Hitze durch den dünnen Stoff spüren. „wenn Du … kein solcher Prinzipienreiter wärst.“ Also schön! Beim Wort `Reiter´ wurde es höchste Zeit, die Sache zu beenden. Zuko fing ihre vorwitzigen Hände ein, drehte sie um und schob sie vor den Spiegel. „Sortier Dich und sei brav, Knubbelchen!“ Er klang, als hätte er Sand im Rachen. Glücklicherweise war sein exzentrischer Morgenmantel sehr weit geschnitten. Zu guter Letzt wurde Jin unbeschadet ihrer Tante übergeben und nach Hause verfrachtet, wo sie wie ein Stein schlief. Allerdings, wie ein Stein, der von der natürlichen, explosiven Unausweichlichkeit des Fortpflanzungstriebes träumte. Am nächsten Morgen bekam Seine Majestät Nuro V eine bedeutende Notiz. Feuerlord Zuko freue sich außerordentlich, ihm mitteilen zu können, dass sich die hervorragend guten Beziehungen ihrer beider Länder demnächst noch festigen würden, da er gedachte, eine Bürgerin Ba Sing Ses zu ehelichen und er nehme an, dies sei auch im besten Sinne Seiner Majestät. Falls nicht, sähe Seine Lordschaft sich allerdings außerstande auf die Wünsche seines geschätzten Kollegen einzugehen, da der Entschluss unwiderruflich feststünde. Hochachtungsvoll etc. etc. etc. Zurückgeschickt wurde eine ebenso offizielle Notiz. Erdkönig Nuro hätte die Botschaft mit großem Beifall aufgenommen und wolle seinen wertgeschätzten Bündnispartner einladen, die Verlobung hier in Ba Sing Se bekannt zu geben und zu feiern. Bei dieser Gelegenheit könne man die Festivität vielleicht durch das im Erdkönigreich noch nie dargebotene, seltene Schauspiel eines Sonnwendtanzes krönen, da dieses astrologische Ereignis unmittelbar bevorstand. Zuko seufzte. Ein Sonnwendtanz. Na, wundervoll! Wussten die Leute eigentlich, wie anstrengend das war? Und dann auch schon Übermorgen ... Am Nachmittag des gleichen Tages „Sie soll WANN bekannt gegeben werden?“ „Übermorgen!“ Zuko sah überhaupt keinen Grund diese Nachricht mit solcher Panik aufzunehmen. „Übermorgen. Ach … und WO?“ „Hier!“ „Im PALAST?“ „Nicht IM Palast, auf dem großen Platz davor.“ „Oh … dann ist ja alles Bestens! Ich werd übermorgen mit einem Kerl verlobt, der mich noch nicht mal gefragt hat, sondern nur meine Tante. Mitten auf dem offiziellsten aller Plätze in ganz Ba Sing Se, in Anwesenheit eines Königs! Ich hab keine Ahnung, wie ich das ohne einen halbjährigen Benimmkurs überhaupt schaffen soll. Ich weiß ja noch nicht mal, wie ich DICH anzureden habe, geschweige denn einen König!“ Bitte? Glaubte sie tatsächlich, Nuro stünde über ihm? Nur weil in seinem Titel das hochtrabende Wort König vorkam? Einen Feuerlord hatte es schon gegeben, als diese Barbaren hier noch mit Messer und Gabel gegessen hatten! „Jin, es ist im Grunde ganz einfach. Du musst nur …“ „EINFACH? Gar nichts ist einfach! Ich … ich hab Sela noch nicht mal von der Hochzeit erzählt! Und was denkst Du, soll ich tragen? Meinen fleckigen Mantel?“ Jetzt schrie sie ihn tatsächlich an. Die Szene war schon seit einer kleinen Weile beobachtet worden. Großfürstin Ursa stand im Türrahmen und blinzelte das kleine Ding an, das sich vor ihrem Sohn aufgebaut hatte und ihn anbrüllte. Ihr stoischer Nachwuchs stand in seiner Lieblingspose, hinter dem Rücken verschränkten Armen, da und ließ die Tirade gelassen über sich ergehen. Doch gerade diese Gelassenheit schien den Zorn der jungen Dame nur weiter anzufachen. Etwas, das Ursa ihr nur allzu gut nachfühlen konnte. Seit ihrer Rückkehr hatte sie schon unzählige Male gedacht, Zuko sei viel zu beherrscht und unnahbar geworden. Natürlich war es begrüssenswert, wenn er ruhiger und ausgeglichener war als früher, aber ein Feuerbändiger blieb nun mal ein Feuerbändiger. Ein solches Temperament immer nur zu unterdrücken gefährdete das seelische Gleichgewicht. Darum war Ursa nahezu verzückt, als das Persönchen nicht klein beigab, sondern weiter zeterte. Iroh hatte bereits erwähnt, dass er das Mädchen für überaus passend hielt. „Das ist ja wohl der Gipfel all Deiner überheblichen Eigenmächtigkeiten! Du kannst Dich meinetwegen mit Dir selbst verloben, dann wäre es auch keine solche Herablassung für Dich!“ Das war der Punkt, an dem die Beherrschtheit ihres Sohnes endlich Risse bekam, denn jetzt packte er blitzschnell die Handgelenke des kleinen Schreihalses und beugte sich vor. „Du WIRST Dich mit mir verloben! Und zwar Übermorgen!“, knirschte er. „Und wenn ich noch einmal das Wort `Herablassung´ in Zusammenhang mit uns beiden höre, kann ich Dir gerne demonstrieren, zu welche Dingen man in meiner Familie fähig ist. Übers Knie legen wäre da nur ein kleiner Anfang!“ Bevor das Mädchen auf diese arrogante, aber haltlose Drohung mit einer Dummheit kontern konnte, hielt Ursa es für angebracht, auf sich aufmerksam zu machen. Sie hüstelte. Zuko riss endgültig der Geduldsfaden. „Warum, verdammt, leidet hier plötzlich JEDER an einer Erkäl… Mutter!“ Er erstarrte. Jin wurde augenblicklich schlecht. Mutter?! Oh nein! Gerade in einem solchen Moment, wenn sie sich aufführte wie ein Marktschreier! `Ach, komm schon, Missy. Das tust Du in letzter Zeit doch dauernd!´ Verzweifelt schielte sie zu Zuko auf. Der kurze Blick, den sie zurückbekam, sprach von purem Entsetzen. „Ich …“ Er räusperte sich. „Wusste nicht, dass Du heute schon kommen würdest!“ Mit diesen Worten ging er auf seine Mutter zu. „Sollte ich ungelegen kommen, zögere bitte nicht, mir dies zu sagen, mein Sohn.“ Der gleiche leise Spott, der so oft in Zukos Stimme mitschwang. „Nein! Das meinte ich nicht.“ „Wirklich nicht?“ „Herzlich willkommen, Mutter!“ Jin blinzelte. Herzlich willkommen, Mutter? Das klang so unpersönlich, so ... unsicher. Die Umarmung zwischen Mutter und Sohn  war durchaus innig, aber Jin bezweifelte, dass die beiden das bemerkten. Mit einem Mal schien Zuko seltsam reserviert zu sein. Nur die Rauheit seiner Stimme strafte den äußeren Schein Lügen. Und seine Mutter? Auf den ersten Blick hatte Jin die schöne, elegante Frau für kühl gehalten. Doch jetzt, da sie ihr Kind umarmte, lag plötzlich ein herzzerreißenden Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie schien überglücklich und traurig zugleich. Zuerst dachte Jin, sie würde vielleicht sogar anfangen zu weinen. Dann verschwand der Schmerz jedoch so schnell, wie er gekommen war. Ursa küsste ihren Sohn auf die unversehrte Wange. „Geht es Dir gut, Zuko?“ „Sehr! Ich hoffe Dir auch?“ „Nicht ganz so gut wie Dir, will mir scheinen“, sagte die Großfürstin mit einem neugierigen, aber durchaus warmen Blick in Jins Richtung. „Mutter, darf ich Dir Jin We vorstellen? Sie wird in Kürze meine, äh, Verlobte.“ „Ja. In zwei Tagen nicht wahr?“, meinte Ursa sanft. „Jin; meine Mutter, Großfürstin Ursa.“ Das Bewusstsein um seine Abstammung traf das überforderte Fräulein We mal wieder wie ein Vorschlaghammer. Lieber Himmel, wie sollte sie in seiner Welt nur zurechtkommen? Doch wundersamer Weise half eine warme Hand an ihrem Arm, die Panik zu überwinden und gab ihr die Antwort: mit seiner Hilfe! „Zuko! Ursa reicht vollkommen aus, meine Liebe!“ Jin wurde in eine erstaunlich wohlduftende Umarmung gezogen. „Und jetzt sag mir bitte, was Dir einfällt, das arme Kind so zu überfallen, Zuko! Sie hat es schon schwer genug mit Deinem Dickkopf, da braucht sie bestimmt nicht noch eine überstürzte Verlobungsfeier.“ „Sie ist nicht überstürzt! In zwei Tagen werden die Vorbereitungen spielend zu erledigen sein. Außerdem war dieser Termin der Wunsch des Erdkönigs!“ „Das hat Du mir nicht gesagt“, murmelte Jin, etwas eingeschüchtert durch die Anwesenheit einer Großfürstin. „Es ist aber so.“ „Verlobt sie sich denn mit den Erdkönig?“, fragte Ursa milde erstaunt. „Natürlich nicht!“ Zuko runzelte die Stirn. Irgendwie war seine Mutter anders als sonst. Sie hatte ihn schon lange nicht mehr so geneckt. Eigentlich nie mehr ... „Nun, so sicher kann man da nicht sein, denn es schien mir, als hättest DU sie gar nicht gefragt.“ Verdammt! Hatte sie alles gehört? „Ich …“ „Das war auch nicht wirklich nötig … äh, Hoheit!“ Er würde sie nie verstehen, seine Jin. Erst machte sie ihm die Hölle heiß und jetzt sprang sie für ihn in die Bresche. „Ursa reicht völlig, meine Liebe.“ Zuko sah sich genötigt, sich zu verteidigen. „Ich … ich hätte ja noch gefragt! Aber ich konnte dem Erdkönig diesen Wunsch schlecht abschlagen, nachdem er uns so großzügige Hilfe zukommen lässt, Mutter.“ „Welches Interesse sollte er denn an diesem verfrühten Termin haben?“ „Er würde die Feier gerne mit einem Sonnwend-Ritual verbinden.“ „Er will den Tanz sehen?“ „Ja.“ Mittlerweile hatte Zuko die Arme vor der Brust verschränkt. „Aber er wurde noch nie außerhalb unseres Landes aufgeführt!“ „Doch, zu früheren Zeiten sogar recht häufig. Ich halte es für eine gute Gelegenheit, diese Tradition wieder aufleben zu lassen und die Gemeinschaft unsrer beiden Völker zu fördern.“ Er merkte, wie er tatsächlich sein Kinn vorschob. „Hm ... So gesehen eine brillante Idee“, gab Ursa zu. „Das löst aber nicht die Probleme Deiner Verlobten. Ich gehe mit Jin am besten gleich zur Schneiderin!“ Sie nahm Jin bei der Hand und war mit ihr schon fast an der Tür, als Zukos Stimme sie aufhielt. „Einen Moment noch!", unterbrach er den Rückzug. „Ich hätte gerne noch ein Wort mit Jin gewechselt." Fast hätte er vor Nervosität auf den Zehenballen gewippt. Als sie wieder vor ihm stand, sah Jin leicht besorgt aus. „Ja?" „Ich ... äh ... bevor wir noch einen Formfehler begehen ..." Seit wann nuschelte er denn so? „Du ... also ... ich dachte nur ... Willst Du denn?" Jin blinzelte wie eine Eule. Sie wusste GENAU, was er meinte. „Will ich was?" „Heiraten, Kobold. Mich ... ich meine ... Willst Du es?" Leider stand Ursa immer noch in Sichtweite. „So eine dumme Frage!", flüsterte Jin daher nur. „So eine wundervolle, dumme Frage, Drache!" Sie machte zwei Schritte rückwärts. „Ja! Ich weiß schon gar nicht mehr, wie lange ich das will ..." Zuko sah ihr hinterher, wie sie mit vor Freude glühenden Wangen zu seiner Mutter eilte. Wenn seine Brust noch weiter anschwoll, würde sein Schneider den Odoro weiten müssen. Wer hätte gedacht, dass es tatsächlich einen Unterschied machen würde, sie zu fragen? Aber, bei Tatzus Flamme, das tat es! Bei der Hofschneiderei angekommen bemerkte Ursa die rührende Unsicherheit ihrer zukünftigen Schwiegertochter und sie ergriff Massnahmen, das Eis zu brechen. „Ich nehme an, Du weißt nicht, was ein Sonnwendtanz ist, oder, Jin?“, fragte sie, während sie gemeinsam die Qualität diverser Stoffballen unter die Lupe nahmen. „Nein. Ich ... weiß leider nicht viel über die Feuernation.“ „Oh, er wird Dir gefallen! Sehr eindrucksvoll! Leider wurde er während des Kriegs selbst bei uns nicht mehr praktiziert. Er war sogar offiziell verboten. Aber Zuko hält viel von alten Traditionen, wenn sie Sinn und Zweck haben, und so hat er ihn wieder eingeführt.“ „Er … Zuko ist sehr verwurzelt mit seinem Land, nicht wahr?“ „Ja. Obwohl es verwunderlich ist, denn er hat oft nicht viel Gutes erfahren, von diesem Land. Aber geliebt hat er es immer!“ Wie seinen Vater. Trotz Ozais Grausamkeit und Willkür; ein kleiner Teil ihres Sohnes hatte seinen Vater immer geliebt. Schnell schüttelte Ursa den Gedanken an ihren verstorbenen Gatten ab. Sie griff nach einem besonders kostbar bestickten, grünen Seidenstoff und hielt ihn an Jins Gesicht. „Nein. Zu blass!“, entschied sie. „Ich glaube, die Feuernation wird Dir gefallen.“ „Ja?“ „Nun … unser Land ist wie Zuko. Rau, schroff, manchmal ein wenig karg, teilweise noch immer zerrissen. Aber seine Substanz ist pure Lebens- und Willenskraft, trotz der Narben …“ Ursas Stimme verlor sich. Sie blickte ins Leere. „Darf ... ich etwas fragen?“ Jin zögerte. „Aber es ...  es ist etwas sehr Persönliches.“ „Aber natürlich, Liebes! Frag nur.“ „Warum habt Ihr so traurig ausgesehen, als Ihr Zuko umarmt habt?“ Ursa ließ den Stoffballen, den sie eben aufrollen wollte, wieder sinken. „Meine Güte … Du siehst wirklich mehr, als man denkt!“ „Schon gut! Ich hätte nicht fragen sollen!“, lenkte Jin schnell ein. „Doch!“, erwiderte Ursa leise. „Und ich bin überglücklich, zu sehen, wie viel mein Sohn Dir bedeutet, Jin. Ich habe ihn, seit ich ihn wieder habe, noch nie so entspannt und gelöst gesehen, wie mit Dir.“ Ursa betrachtete ihre zukünftige Schwiegertochter genau. Dieses Mädchen hatte etwas an sich. Eine bodenständige Wärme und Herzlichkeit, die einen vollkommen unverhofft traf und entwaffnete. Sie hatte Jin sofort gemocht. Und dann der Blick, den sie Zuko zugeworfen hatte ... Hier war ein Mädchen, das ihren Sohn verstand. Auch ohne Worte. Hier war ein Mädchen, das ihren Sohn liebte. Ohne wenn und aber. Das hier war das Mädchen, das ihr Sohn brauchte. Sie würde seine Familie werden. Und somit auch Ursas Familie. „Mit mir scheint sich Zuko immer unwohl zu fühlen“, begann die Großfürstin leise. „Ich denke, er kann mir nicht gänzlich verzeihen, dass ich ihn alleine ließ. Wahrscheinlich fragt er sich oft, wie alles gekommen wäre, wenn ich ihn mitgenommen hätte. Er hätte diese Narbe nicht und er hätte die Schmerzen nicht erdulden müssen! Er wäre nicht so einsam gewesen ...“ Jin sah Feuchtigkeit in den mattgoldenen Augen schimmern. Sie biss sich auf die Unterlippe und überdachte sorgfältig ihre nächsten Worte. „Ursa … ich glaube, es ist nicht Zuko, der so denkt, sondern nur Ihr selbst. Er spürt nur Eure Traurigkeit und glaubt, er sei der Grund dafür. Und ich habe das Gefühl, er merkt, dass Ihr es nicht ertragen könnt, seine Narbe anzusehen. Er ... er schämt sich doch ohnehin schon dafür“, endete sie leise. Ursa war ziemlich fassungslos. „Du kennst ihn gut, Jin We, nicht wahr?“, flüsterte sie. „Ich kann die Narbe nicht ansehen, weil sie meine Schuld ist! Mein Versagen, mein Kind zu beschützen! Sie ist MEINE Scham, nicht seine!“ „Habt ihr Eure Kinder denn leichtfertig im Stich gelassen? Hattet Ihr eine Wahl? Fandet Ihr es bequemer, ohne sie?“ „Wage es nicht …!“ Ursas Stimme bebte. „Es gab keinen Tag, an dem ich nicht krank vor Sorge und Sehnsucht war! Keine Stunde!“ „Warum haltet Ihr es dann für Eure Schuld? Ihr hattet keine Wahl! Wenn Ihr ... wenn Ihr nur ein wenig sorgloser mit Zuko sein könntet ...“ Ursa blinzelte die Tränen fort und nickte. „Ich weiß! Aber es ist schwer, sich selbst zu vergeben, ein unglückliches Kind zu haben. Doch jetzt wo er endlich glücklich ist, fällt es mir leichter, ihn wieder wie früher zu behandeln. Das habe ich eben schon bemerkt. Ich danke Dir, Jin. ... So!“ Sie wandte sich wieder der exquisiten Auswahl an Stoffen zu. „Und jetzt wirst Du augenblicklich aufhören, mich in eine sentimentale Gans zu verwandeln. Wie findest Du diese Seide hier?“ Etliche „Aber ich kann das nicht tragen!“, „WIE TEUER?“ und „Muss das denn so eng sein?“s später, war Jins Gewand in Vorbereitung und Ursa ging zum nächsten Tagesordnungspunkt über. „Den König sprich grundsätzlich mit `Eure Majestät´,`Hoheit´ oder `Sire´ an. Am besten auch abwechselnd, in dieser Reihenfolge. Das Zuko zustehende `Euer Lordschaft´, `Hoheit´, `Sire´ oder `Durchlaucht´ beschränkt sich in Deinem Fall wohl am besten auf das am wenigsten formelle `Hoheit´. `Mein Lord´ kannst Du ihn erst nennen, wenn Du seine Untertanin geworden bist, also nicht vor der Hochzeit. Und nenn ihn NICHT Flammengekrönter, er kann das nicht ausstehen!“ „Flammengekrönter?“ Ursa konnte schon am Tonfall hören, dass sie diesen Punkt besser nicht erwähnt hätte. „Jin, er kann es wirklich nicht ausstehen!“ Jin nickte, ganz die Unschuld. Flammengekrönter? Wie … nett. Vielleicht konnte sie Zuko so das `Knubbelchen´ wieder austreiben? Vier Stunden später rauchte Jin der Kopf. Ursa Tatzu schien ähnlich viel Energie zu besitzen, wie ihr unerschöpflicher Sohn. Iroh hatte schon ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert und danach hatte Jin sich gefragt, wie Zuko es neben seinen vielen Pflichten noch geschafft hatte, ihr nachzustellen. Dass er es trotz allem mit solcher Hartnäckigkeit getan hatte, ließ sie auf Wolken gehen. Der übernächste Morgen Der Tag der Sonnenwende brach mit strahlender Herrlichkeit an. Bunte Wimpel und Girlanden schmückten jedes noch so verkommene Viertel der Stadt. Wenn ein Fest anstand, kannte Ba Sing Se keine Grenzen. Und wenn es gleich drei auf einmal waren, erst recht nicht. Der bedeutendste Anlass, war mit Sicherheit das neue, stärkere Bündnis mit der Feuernation. Der Romantischste, der den Frauen der Stadt leise Seufzer entlockte, war die Verlobung Seiner Lordschaft mit einer einfachen Bürgerin. Das Bewusstsein, dass der neue Herrscher sein dauerndes Bemühen um Frieden auf diese Weise so eindrucksvoll unterstrich ließ die Menschen endlich fest an diesen Frieden glauben. Angesichts dieser Dinge verblasste die Tatsache, dass heute Sonnwendtag war, beinahe zur Farce. Dies sollte sich gegen später allerdings ändern. Am Abend stand Jin vor einem riesigen Spiegel und betrachtete ihr eigenes, prächtiges Selbst. Sela und Tante Ria sahen ihr über die Schulter, zupften hier, ordneten da … Die ehrenwerte Toph Bei Fong lümmelte in einem der weichen Sessel. Als sie die Nachricht erhalten hatte, Zuko hätte sich eine Braut auserkoren, war sie zunächst mehr als skeptisch gewesen. Wer wusste denn schon, welche politischen Hintergründe ihn zu dieser Verlobung trieben, oder in was für eine aufgetakelte, aufgeblasene Tussi er sich verguckt hatte. Doch dann hatte sie festgestellt, seine Wahl war auf ein bodenständiges, schlagfertiges und warmherziges Mädchen gefallen, das ihn ganz unzweifelhaft anhimmelte. Als sich das Anhimmeln als wechselseitig herausstellte, war die Sache für Toph abgehakt. „Ich glaube, ich sollte mich noch schnell übergeben!“, sagte Jin kläglich. „Nichts da, Missy! Übergeben wirst gleich Du, also reiß Dich zusammen!“ Toph musste grinsen. Diese Tante da, war wirklich nach ihrem Geschmack. „Es ist doch nur eine klitzekleine Menschenmenge. Nur ... ganz Ba Sing Se“, versuchte Sela ihre Freundin zu beruhigen. „Ich bin eben ein Feigling“, jammerte Jin. „Immer gewesen!“ Toph schnaubte. „Du hast genug Mumm, Dich tagein tagaus mit diesem Glutschädel rumzuschlagen. Da ist das da draußen ja wohl ein Kinderspiel!“ „Gutes Argument!“, murmelte Sela. „Gegen den angekokelten Mr. Miesepeter ist so ein kleiner Menschenauflauf doch ein Klacks!“ „Sela!“ Sela feixte nur. Sie hatte gewusst, wie schnell eine Schmährede gegen ihren Zukünftigen Jins Lebensgeister wieder wecken würde. Auf dem großen Platz vor dem Palast wurde es allmählich dunkel und die Rede des Erdkönigs neigte sich ihrem Ende zu. Ein letztes Mal betonte er, welche Freude es war, Hand und Herz einer Tochter des Erdkönigreichs dem Herrscher der Feuernation zu überreichen. „Und so ist es mir eine ausserordentliche Ehre, Seiner Lordschaft Zuko II das Wohl von Jin We anzuvertrauen!“ Die Zuschauer in Reihe eins, die, bis auf einen Torwächter Namens Lao und dessen Weib, rätselhafter Weise fast alle aus Anwohnern der Färbergasse bestanden, schnappten kollektiv nach Luft. WAS? Ihre Jinny? Hatte sie nicht mit diesem langen, grimmigen Kerl angebandelt? Der lange, grimmige Kerl betrat den erhöhten Platz von links, sehr wirkungsvoll in spektakulärer `wer noch kostbarere Klamotten trägt als ich ist eh nur ein Aufschneider´ Robe und schritt auf den Erdkönig zu, vor dem er den Kopf ein wenig neigte. Jin näherte sich, um einiges zögerlicher, von rechts. Ihr Gewand war schlicht und klar im Schnitt, aber in wundervollen, verschmelzenden Farben gehalten. Zunächst schien es nur aus schillernden, warmen Grüntönen zu bestehen, aber als sie frontal zu den Zuschauern stand, zeigte sich, dass ihre rechte Seite nach und nach in einen herrlichen Rausch aus Rot überging, welches an ihrem rechten Handgelenk am herrlichsten aufflammte. Dem Handgelenk, an dem die zu überreichende Hand hing. „Sehr passend, liebe Schwägerin!“, raunte Iroh beeindruckt. Er und Ursa sassen in großen Sesseln, rechts von dem enormen Gebilde, das König Nuro vorbehalten war. „Danke, wir gaben uns Mühe! Die Näherinnen wären beinahe nicht fertig geworden.“ Jin knickten vor lauter Verunsicherung fast die Knie ein. Mit Ach und Krach schaffte sie die vorgeschriebene, tiefe Verbeugung vor ihrem König. Doch als sie sich wieder aufrichtete, lösten sich Sorgen und Nervosität auf. In geschmolzenem Gold wurden sie zu weniger als Asche. Das einzig Wichtige war die Liebe in diesen Augen! So konnte sie dem König ihre Hand reichen, die er sodann in die kräftige Pranke ihres Drachen legte. Ruhig empfing sie seinen sanften, ehrerbietigen Kuss. Das darauf folgende, langsame Lächeln machte ihre Ruhe allerdings zunichte. Ihr Puls begann zu rasen. Na ja … wenigstens lenkte sie das von dem lauten Jubel ab. Jedoch nur so lange, bis Zuko sich mit ihr gemeinsam der Menge zuwandte. „Du brauchst nur die Hand zu heben und zu lächeln, mein Herz!“ „Du lächelst aber auch nicht“, erwiderte sie durch ihre entblößten Zahnreihen. „Ich muss ja auch ernste Würde ausstrahlen“, murmelte der vorbestrafte Ex-Teekellner Lee Song und neigte das gekrönte Haupt. Als die Begeisterung der Menge langsam abklang, gab der Erdkönig seinen Ehrengästen ein Zeichen, ihm zu den Stühlen zu folgen, die nun in vorderster Reihe vor dem erhöhten Platz, der als Bühne dienen sollte, aufgestellt wurden. Die Zeit für den Sonnwendtanz war gekommen. Feuerlord Zuko, der als Einziger stehen geblieben war, hob langsam die Arme und klatschte zwei mal. Sämtliche Feuer, die die Szenerie bisher erleuchtet hatten, erloschen. Die Zuschauer sahen nur noch vage Schemen umher huschen. Einige Sekunden herrschte vollkommene Stille, dann setzte die Musik ein, geprägt hauptsächlich durch etliche mannshohe Trommeln, Gongs und anderes Schlagwerk. Einige Flöten und Hörner produzierten archaische Klänge, die jedoch nur dazu dienten, den stampfenden Takt zu unterstreichen. An den vier Ecken der Bühne wurden kleine Fackeln entzündet, die für eine schwache, flackernde Beleuchtung sorgten. Dann begann der Tanz. Zwei Gruppen mit jeweils drei jungen Feuerkriegern hatten sich auf dem Platz positioniert. Ihre Bewegungen waren zunächst verhalten und langsam. Allerdings verursachte die Tatsache, dass sie lediglich in lange, weichfließende Hosen gekleidet waren, aufgeregtes Wispern unter den weiblichen Zuschauern. Der Anblick so viel spärlich gekleideter, arrogant zur Schau gestellter Männlichkeit war im Erdkönigreich doch eher selten. Und diese Feuerbändiger hier waren zugegebenermaßen wahre Prachtexemplare ihrer Gattung. Mühelos, fast träge, warfen sie eine Zeit lang mit Feuerbällen, die über ihren Köpfen pulsierenden auf und ab sprangen. Die Musik wurde stetig lauter, der Rhythmus drängender und die Bewegungen der Tänzer weiträumiger. Sie begannen, in Formationen über den Platz zu stürmen, ließen hier und dort Feuerfontänen entstehen, dann bändigten sie die Flammen zu fließenden, kreisenden Wellen, die sie immer furioser umflossen. Akrobatische Sprünge und Überschläge versetzten das Publikum zusätzlich in Verzückung. Der Tempo wurde immer rasanter, bis schließlich jede der beiden Gruppen sich zusammenstellte und eine riesige Feuersäule entstehen ließ. Eine rechts, eine links. Die Musik erstarb plötzlich zu einem verhaltenen Pulsschlag und die beiden Feuersäulen neigten sich einander zu, bis sie eine lodernde, undurchdringliche Wand aus Flammen bildeten. Verwirrung machte sich breit. War das der Schluss? Die Trommeln schlugen weiter diesen langsamen, unterschwelligen Puls. Dann tauchte hinter der Flammenwand eine große Silhouette auf, die sich dem feurigen Wall näherte und im Takt der Schläge langsam hindurch schritt. Wo ihr Gebieter seinen Fuss aufsetzte, neigten sich die Flammen, machten Platz, und bereiteten ihm den Weg. Von hellen Feuern umtost trat Zuko II in die Mitte des Platzes. Er war nun gekleidet, wie die übrigen Tänzer. Die prächtigen, goldenen Spangen, die sich um seine Oberarmen wanden, bildeten die einzige Ausnahme. Jins Unterkiefer sank Stück für Stück nach unten. Hatte sie tatsächlich seine Feuerbändiger schon für eindrucksvoll gehalten? `Mein Gott, Missy! Wie hat simpler Stoff denn bitte schön DAS kaschieren können?´ „Und so was hat mir Kekse gebracht!“, flüsterte Sela, schamlos die muskulöse, kraftstrotzende Anmut des Feuerlords bewundernd. Die Geräuschkulisse hinter ihnen verriet, dass sie beileibe nicht die einzige war, die das tat. „Ich hab ihn zuerst gesehen!“, hauchte Jin mit trockenem Mund. Himmel ... er war schön! Das blitzschnelle Heben seiner Arme war absolut synchron zum Wiedereinsetzen der Musik. Noch schillernder und lebhafter als zuvor. Zuko begann zunächst ohne Feuer, nur mit geschmeidigen, kraftvollen Bewegungen, mal eckig, mal fließend. Seine nun offene, tintenschwarze Mähne umwehte Gesicht und Oberkörper. Nach einiger Zeit erschuf er zwei hellglühende Peitschen, die er spielerisch um sich tanzen ließ; in ständig wechselnden Figuren, völlig im Einklang mit den eigenen Bewegungen. Diese Peitschen wurden zu einem einzigen, riesigen Feuerrad, das sich auf die Zuschauer zu wälzte, als er wirbelnde, schnelle Überschläge in Richtung Bühnenkante vollführte. Dort richtete er sich zu voller Größe auf, und spie einen breiten Funkenregen gen Himmel. Auf diese Weise abgelenkt, bemerkte die Menge nicht, wie die Krieger hinter ihm zwei lange, elastische Holzplanken holten, die sie nun überkreuzten und hochhoben. Ohne sich umzusehen, machte Zuko einen mächtigen Salto rückwärts und stieß sich, bevor dieser vollendet war, an den Schultern der beiden hinter ihm stehenden Tänzer ab, um einen zweiten, noch höheren Sprung anzuhängen, bis er schließlich auf den schmalen Holzlatten, gute zwei Meter über dem Boden landete und zwar so punktgenau, dass bewunderndes Raunen durch das Publikum brandete. Auf ein erneutes Heben seiner Arme hin, begannen die Krieger die Planken im wieder langsameren Takt der Musik zu heben und zu senken, bis sie in Schwingung versetzt wurden. Als die schmalen Bretter nach dem siebten Heben auf dem Höhepunkt ihrer Kurve angelangt waren, stieß Zuko sich mit aller Macht ab, um sich von der Wucht nach Oben katapultieren zu lassen. Am Scheitelpunkt seiner Flugbahn krümmte er sich zusammen. Dann, im Bruchteil einer Sekunde, straffte sich sein Körper zu einem gespannten Bogen, während er gleichzeitig einen gigantischen Feuerball explodieren ließ. Es war die Geburt der Sonne, das Aufbäumen des Lebens. Überwältigtes, verzücktes Erstaunen machte sich in erschrockenem Keuchen, aufgeregtem Murmeln und überraschten Aufschreien Luft. Die Bürger von Ba Sing Se zollten einem der wundervollsten Spektakel, welches sie je geboten bekommen hatten, ihren Respekt. Nur Jin schlug entsetzt die Hände vor den Mund. Was zum Teufel tat er da? Gute zehn Meter über dem Boden? Irohs Hand legte sich beruhigend auf ihre Schulter. Um das Tempo des Sprungs abzubremsen, ließ Zuko seinen überdehnten Körper nach hintenüber fallen und drehte sich, bis er wieder mit beiden Beinen auf den federnden Planken landete. Nachdem das Schwingen der dünnen Balken die Energie seiner Landung etwas abgebremst hatte, stieß er sich erneut ab und machte eine Hechtrolle nach vorn. In kniender Stellung richtete Zuko sich auf, hob mit ehrfurchtsvoll geneigtem Kopf die Arme und erzeugte einen flammenden Sonnenball aus reinem, goldenem Licht. Die Menge blieb wie erstarrt. Die nicht nachlassende Körperspannung des jungen Lords legte die Vermutung nahe, dass noch etwas kam. Tatsächlich … die Sonne wandelte sich, teilte sich in vier Sterne auf, die ein Quadrat bildeten. Der erste der Sterne änderte sich, wurde zu dem Symbol für Wasser. Dann der zweite ... zu Erde. Dann Feuer und Luft. Über dem Kopf des Flammengekrönten schimmerte schließlich der sich drehende Kreis der Element. „Heilige Asche! Der Junge hat wirklich ein unübertreffliches Gespür für Dramatik und große Gesten!“, hauchte Iroh, als er das leuchtende Gebilde betrachtete, das eigentlich kein Teil des alten Rituals war. „Ja“, raunte Fon hinter ihm „Will mir nicht ausmalen, wie DU bei dem Tanz ausgesehen hättest, Hoheit.“ Über dem brachialen Tosen des minutenlangen Beifalls, war Irohs Antwort kaum zu hören. „Um den Sonnenball zu imitieren, hätte man mich schon abfackeln müssen!“ Kapitel 22: Zur Sache, Schätzchen! ---------------------------------- Feuerpalast, Sieben Wochen später Unentschlossen stand Jin vor einem Durchgang. Musste sie hier links, oder rechts? Zum vielleicht hundertsten mal verfluchte sie ihren Orientierungssinn. Sie versuchte es auf gut Glück mit rechts. Wäre sie nicht durch eine Hintertür gehuscht, würde ihr jetzt natürlich ein Leibwächter weiterhelfen können, aber diesen Besuch musste sie allein machen. Die inneren Gärten auf der rechten Seite betrachtete sie als gutes Omen, denn so war sie wenigstens sicher, noch innerhalb des Palastes zu sein. Es war alles so verwirrend! Die gesamte Bauweise. Hier war alles so offen. Nur eine Hand voll Räume, ganz im Inneren des riesigen Bauwerks, waren tatsächlich geschlossen. Dem Rest fehlte oft eine komplette Wand, oder sie bestand nur aus kunstvoll gefertigten Fenstern und majestätischen Glastüren. Dieser ganze, gigantische Palast wirkte eigentlich mehr wie ein übergroßer, eleganter Pavillon. Jin liebte es! Sie liebte die offenen, säulengetragenen Korridore, die unzähligen kleinen Terrassen und Freitreppen, die schmalen von Efeu und Wein überrankten Durchgänge, die kleinen, versteckten Brunnen. Aber, sie VERSTAND es nicht! Es war schlichtweg unmöglich, eine simple Wegbeschreibung zu bekommen. Kein: zwei mal rechts, dritte links, nach zweien wieder links. Nein. Nach diesem wunderschön geschwungen Bogen unter der Efeuranke links, dann folge man dem meisterlich verzierten Deckenstuck, bis links der entzückende, moosbewachsene Brunnen plätschert, um in den erstaunlich kühlen, beeindruckend strengen Gang mit den uralten, verwitterten Säulen zu gelangen. Aber hier war alles geschwungen, meisterlich verziert, plätschernd, streng, beeindruckend oder uralt. Vieles war sogar alles auf einmal. Wie Eleganz so streng, Strenge so verspielt, Spielerisches so klar und Klarheit so elegant sein konnte, war Jin ein Rätsel. Und Zuko hatte die Häuser des Erdkönigreichs als `Kaninchenbauten´ bezeichnet. Die hatten wenigstens vier Wände! Doch es war unbestreitbar wundervoll, ständig das sanfte Flüstern von Bäumen zu hören, oder über feuerrotes, raschelndes Weinlaub zu wandeln. An einem vielversprechenden, kleinen Balkon mit schmiedeeisernem Geländer bog Jin links ab, ins Innere, wie sie hoffte. Sie gelangte auch ins Innere ... aber nicht in das richtige. Nein, diese Stelle kannte sie nicht. Mist! Sie musste unbedingt zu Zuko! Als ferne Stimmen an ihr Ohr drangen, beschloss sie, ihre Geheimniskrämerei aufzugeben und nach dem Weg zu fragen. Eine der Stimmen kam ihr sogar bekannt vor. Fon? Genau die Person, die sie brauchte! Gut ... sie konnte ihn hören, aber WO war er? Herrgott, MUSSTE hier alles so verschachtelt sein? „... Du weißt nur all zu gut, dass Du nicht hier sein solltest!“ „Ich suche ja nur meine Brosche! Dagegen wird ja wohl keiner was haben.“ Die Frauenstimme klang furchtbar weinerlich. „Nach acht Wochen hast Du bemerkt, dass Deine Brosche fehlt? Hältst Du mich für einen Dummkopf, Ming? Wenn er bemerken sollte, dass Du da bist ... Du hast hier nichts mehr verloren!“ „Zuko hat sich bisher immer sehr gefreut mich zu sehen, alter Mann! Mehr als gereut, um genau zu sein. Und ich wette, er würde sich noch immer freuen!“ Etwas an diesem Tonfall gefiel Jin ganz und gar nicht. „Für Dich heißt das `Seine Lordschaft´!“, zischte Fon. „Und er würde Dich hochkant rauswerfen! Morgen findet seine Hochzeit statt!“ Leise tapste Jin näher an das Verhängnis. „Ts! Bald langweilt er sich ja doch ... mit nur einer Frau. Er wird die alten Zeiten sehr schnell vermissen. Und mich!“ „Halt Deinen Mund und verschwinde, Ming! Dann kannst Du vielleicht auch Deine Abfindung behalten.“ „Was für eine Abfindung?“, kam es von der Tür. Fon erstarrte. „Mistress Jin?“ Neugierig drehte Ming sich um. Als sie Jin erblickte, wurden ihre Augen wurden schmal. „Ach ... ist sie das?“ Geringschätzung lag in dem verwässerten, harten Blick. „Ming, wenn Du klug bist, hältst Du jetzt besser den Mund!“, knurrte Fon. Vielleicht hatte der Alte Recht. Ming hatte sich zwar immer gerne eingebildet, einen gewissen Einfluss auf Seine Lordschaft zu haben, aber im harten Licht der Realität wollte sie diese Fantasie dann lieber doch nicht betrachten. „Soll ich mich jetzt dumm stellen?“, knirschte Jin durch ein strahlendes Lächeln. „Oder geschockt sein, weil eine frühere Geliebte hier auftaucht?“ „Konkubine!“, bestand Ming auf ihren ehemaligen Status. „Meinetwegen! Solange Du das `Ex´ nicht vergisst, Sonnenscheinchen ...“ Jin hatte Kampfhaltung angenommen. Verschränkte Arme, vorgeschobenes Kinn und ein Fuss, der auf den Boden tippte. Ming war verwirrt. Warum bekam die Feuerlady in spe denn keinen Anfall, oder rief nach Riechsalz? Ihr ganzer schöner Plan, Lord Zuko erneut zu umgarnen, oder andernfalls ein wenig Zwietracht zu sähen, ging in die Binsen. Mings Felle schwammen nicht nur davon, sie wurden in Grund und Boden gestampft. Von einer grünäugigen Landpomeranze. „Wenn Du noch auf Wiedersehen sagen willst, kann ich Dich gerne mitnehmen. Ich war ohnehin auf dem Weg zu Meiner Lordschaft!“, säuselte die Landpomeranze in honigsüßem Tonfall. Zukos verflossene Hormon-Abbau-Station wurde blass. Sich einzuschleichen, um zu versuchen ein erloschenes Interesse wieder zu entfachen, war ja schön und gut, aber von der Verlobten seines einstigen Gelegenheitsliebhabers vor denselben geschleppt zu werden ging dann doch zu weit. Egal wie sehr man dessen ... Aufmerksamkeiten auch vermisste. „Nein … Ich werde gehen. So wichtig war die ... die Brosche gar nicht!“ „Sollte ich hier was zum Stechen finden, werd ich´s Dir schicken!“, presste Jin durch strahlend weiße Zähne. „Nicht nötig!“, versicherte Ming hastig. „Ich verschwinde jetzt!“ Jin blickte ihr hinterher. Zum Glück für Ming war sie nicht diejenige, mit den `Augen wie Jade´, denn sonst hätte sie ihr besagte visuelle Sensoren ganz bestimmt ausgekratzt! Fon räusperte sich. „Das war überaus bedauerlich. Das Mädchen hat hier nichts mehr zu suchen!“ „Sie hat das offensichtlich anders gesehen!“ „Nun, das ...“ „Ich würde jetzt gerne mit Zuko sprechen.“ „Aber Mistress, Ihr solltet ihn heute nicht sehen!“ „Ich will ihn auch nicht sehen, sondern nur sprechen, Fon. Und am liebsten gleich.“ „Wie … Ihr wünscht.“ Fon schlurfte voran, als müsse er gleich der eigenen Hinrichtung beiwohnen. Vor einer recht unscheinbaren Tür blieb er stehen. „Einen Augenblick bitte. Ich sage Seiner Lordschaft, dass Ihr ihn zu sprechen wünscht … und werde einen Paravent als Sichtschutz aufstellen!“ Jin nickte knapp. Demnächst könnten sämtliche Feuerfuzzis mit all ihren Traditionen und dem ganzen Firlefanz sie mal gern haben! Warum sollte sie Zuko einen Tag vor der Hochzeit nicht sehen dürfen? Nach einer knappen Minute schallte das Ergebnis von Fons Vermittlungsversuch durch die Tür. „WAS?“ … „Sie hat es GEWAGT? HIER …? So fest sie ihr Ohr auch ans Holz presste, konnte Jin danach nur noch schnelles, beschwichtigendes Murmeln hören. Die Tür öffnete sich erneut. „Seine Durchlaucht wird Euch nun empfangen!“ „Wirklich?“, fragte Jin, Sirup in der Stimme. Fon schwieg und hielt die Tür auf. Jin hätte den großen, wundervollen Raum bestimmt mit offenem Mund bestaunt, hätte ihr eine dünne, mit Seide bespannte Wand nicht die Sicht genommen. Fon hatte den Paravent keine zwei Meter von der Tür entfernt aufgebaut, direkt in einen schmalen Durchgang, der in die eigentlichen Schlafgemächer führte. Sie konnte nur rote und goldene Phönixe sehen. Das war ja albern! Wie zum Teufel sollte man jemanden anbrüllen, wenn man ihn nicht sah? „Jin?“ „Muss dieses Ding hier stehen?“ „Ich fürchte ja.“ „Schön! Fein! Versteck Dich eben hinter Deiner verblödeten Tradition!“ Zuko hörte ihren gekränkten Tonfall. Allerdings wusste er, die seidene Barriere zwischen ihnen war nicht der Grund dafür. „Ming ist es eigentlich verboten, noch einen Fuss in den Palast zu setzen. Sie war nur eine der Konkubinen, völlig unbedeutend!“, versuchte er hastig die Wogen zu glätten. Jin rang um Fassung. Vergeblich. „EINE davon?“, zischte sie. Gut ... sie musste ihrem Zukünftigen zugute halten, dass er bereits eingeräumt hatte, mit drei Frauen geschlafen zu haben. Aber irgendwie war sie davon ausgegangen, es handelte sich um weitgehend einmalige Gelegenheiten, bei denen er mehr oder weniger zufällig im Bett eines Frauenzimmers mit dehnbarem Moralbegriff gelandet war. Und nun stellte sich heraus, der Herr hatte seiner Lust mit regelmässiger Häufigkeit gefrönt. Mit immer den gleichen Weibern! Jin sah rot! „EINE DAVON?“  `Beruhige Dich, Missy!´  „Wie viele waren es denn?“ „Drei, Jin. Ich sagte bereits, dass es drei waren.“ „Du hattest nur vergessen, zu erwähnen, dass es sich um KONKUBINEN handelt!“ Zuko fuhr sich durch die Haare. Er sollte jetzt eigentlich meditieren, ein karges, rituelles Mahl einnehmen und dann die Nacht durchwachen. „Was macht das für einen Unterschied?“, fragte er. „Was das für … ? Du hast mit diesen Frauen GELEBT, Zuko!“, zürnte sie durch den Paravent. „Nein, habe ich nicht. Sie haben nur ab und an mein Bett geteilt.“ „Ab und an? Ab und AN??? Stand jede von ihnen einmal pro Woche auf dem Kalender, oder was? Macht dann aber auch einen Haufen Arbeit, bei Dreien!“ „Jin, bitte! Es war doch schon die Mindestanzahl.“ „Die Mindestanzahl?“ „Ja! Die Anzahl fürstlicher Konkubinen beträgt immer drei, fünf oder sieben.“ „Ich glaub, ich …“ Jins Stimme bebte. „Willst Du damit sagen, Du wirst Konkubinen haben?“, hauchte sie fassungslos. „Nein!“ Zuko klang entsetzt. „Natürlich nicht! Sobald ein Arrangement getroffen wird, werden sie selbstverständlich entlassen.“ „Entlassen? Sie werden entlassen?“ Jin konnte es nicht fassen. Vor einer Minute war sie noch bereit gewesen, jeder dieser Metzen die Pest an den Hals zu wünschen. Aber diese Ungerechtigkeit schrie zum Himmel! „Sie werden also nach jahrelangem Gebrauch einfach abgeschoben, ja? Ist ja egal, wenn sie entehrt sind, oder?“ „Jin!“, stieß Zuko aus. Agni! Sein Nervenkostüm würde für diese Ehe nicht ausreichen. „In meinem ganzen Leben habe ich noch keine einzige Frau entehrt! Zum Einen waren sie keinesfalls unberührt, und zum Andern bringt es großes Ansehen, eine Konkubine des Lords zu sein. Nach Beendigung des … Verhältnisses steht es den Frauen frei, sich einen einflussreichen Mann zu wählen, oder eine Abfindung zu bekommen, mit der sie für den Rest ihres Daseins sorgenfrei leben können. Einzig das Betreten des Palastes bleibt ihnen von da an verwehrt, da es die Gattin des Herrschers kränken könnte.“ Eine überaus kluge Regel, wie er jetzt erkannte. „Es bringt Ansehen? Sich einem Mann hinzugeben, dessen Frau man nicht ist?“, fauchte das prüde Fräulein We. „Jin … wir denken in diesen Dingen anders, als die Menschen aus den restlichen Reichen. Für uns ist die körperliche Seite der Liebe nichts Verwerfliches.“ Jin schnaubte. „Für uns auch nicht! Wir wissen besser als ihr, wie wichtig Fruchtbarkeit ist!“ „Einem Feuergeborenen ist die Fruchtbarkeit herzlich gleichgültig, bis er heiratet. Es … es geht um Lust, Jin! Nicht mehr und nicht weniger! Die Ehe bildet eine Ausnahme, denn sie wird im Feuer geschmiedet und hat daher ewigen Bestand. Aber davor kann man sich, weitgehend … austoben. Wenn man will.“ „Tja, es ist ganz offensichtlich, dass DU es gewollt hast!“, bemerkte sie spitz. Zuko seufzte. Er war wohl fälschlicherweise davon ausgegangen, dieses Thema bereits abgehakt zu haben. „Ich hatte Dir das nicht verschwiegen!“ Er klang ziemlich ungeduldig. „Nein!“, maulte sie zurück. Sie schwiegen sich durch die schimmernde Seide an. „Warum drei?“ „Was?“ „Du sagtest drei, fünf oder sieben. Warum sind die Zahlen so wichtig?“ „Diese Zahlen durchziehen unsere gesamte Kultur, Jin. Sie sind heilig.“ Was sollte an Maitressen bitte schön heilig sein? „Erklär´s mir“, bat sie trotzdem leise. „Ich will es verstehen!“ Zuko begriff, dass er ihr Zeit geben musste. Das Leben hier war vollkommen anders. Die Menschen dachten und handelten anders, als sie es gewohnt war. Wenn er ihr nicht half, manche Dinge zu begreifen, würde sie nicht glücklich werden. Und dieser Gedanke war inakzeptabel! „Die Drei“, begann er. „Ist die Zahl der Balance. Sie symbolisiert das Wesentliche, Weisheit und Genügsamkeit. Die Fünf ist, wohl aufgrund ihres Bezugs zur menschlichen Hand, die Zahl der Emotion. Sie repräsentiert den Menschen, Macht und vor allem Schutz. Die Sieben ist die Zahl des Verstandes. Sie stellt Ewigkeit, Vollkommenheit und Überfluss dar.“ „Dann …“, murmelte Jin zweifelnd, „War es also ein Zeichen der Genügsamkeit, nur drei Schmusekätzchen zu haben?“ „Ja.“ Na ja ... im Prinzip. „Und sonst gab es keine mehr?“ Zuko trat einen Schritt näher an die dünne Barriere, die sie trennte. „Doch! Eine gab es. Ein freches, kleines Biest, das sich ungefragt meine Hand geschnappt hat und den Rest gleich dazu. Einen Kobold, der mich herumgezerrt hat, bis ich nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand. Ich weiß es ja bis heute nicht. Es hat immer Dich gegeben, Jin!“ „Zuko!“ Sie legte ihre Hand gegen den vermaledeiten Stoff der Trennwand. Eine Größere wurde dagegen gelegt. Warm und tröstlich. „Ich … bei uns Weberinnen gibt es auch eine Tradition …“, sagte sie nach einer Weile. „Ja?“ „Ja. Deswegen bin ich eigentlich gekommen.“ „Also gar nicht, um mich auszuschimpfen, mein Herz?“ „Na ja … das hatte sich so nebenbei ergeben.“ Sie hörte sein leises Lachen. Himmel, mussten sie wirklich noch bis morgen warten? „Was für eine Tradition?“, wollte er wissen. Nervös betastete Jin das in Seidenpapier gewickelte Päckchen. „Es … also es ist Brauch, dass die Braut dem Bräutigam etwas webt. Sie hat dazu eine Nacht Zeit. Und … am Abend vor dem Fest übergibt sie das Gewebe dem Bräutigam damit er es zur Hochzeit tragen kann. Ich weiß, dass das vielleicht nicht zu euren Sitten passt. Und ... bestimmt passen die Farben auch nicht, aber… vielleicht könntest Du es ja unter Deinem Gewand tragen?“ „Gib es mir!“ Sie schob das Päckchen unter dem Paravent hindurch. Er hob es hoch. „Darf ich es schon öffnen?“ „Ja.“ Jin nagte an ihrer Unterlippe. Jetzt kam ihr das Ganze so albern vor. Sie hörte das Papier rascheln, dann, sehr lange, nichts mehr. Mit klopfendem Herzen stand sie da. Es gefiel ihm nicht! „Ich hatte keine Ahnung, was für wunderschöne Dinge Du erschaffen kannst, Jin We.“ Seine Stimme klang belegt. „Ich hab das Muster selbst gemacht!“, flüsterte sie glücklich. Zuko starrte die Schärpe an. Sie war aus mitternachtsschwarzer Seide, mit kaum wahrnehmbaren burgunderrotem Schimmer. Zwei Drachen, der eine scharlachrot, der andere jadegrün, waren hinein gewoben. Ihre langen Leiber schlängelten sich elegant von den Enden, an denen sich ihre Schwanzspitzen befanden, bis zur breiteren Mitte, wo sie sich umwanden und die Köpfe zuneigten. „Ich werde sie tragen!“, raunte er. „Danke, Drache!“ Dank eines geheimnisvollen Tees gelang es Jin trotz der Vorkommnisse, ganz hervorragend zu schlafen. Was auch gut war, denn der folgende Morgen begann in aller Frühe mit hektischer Betriebsamkeit. Nach einem kurzen Frühstück, das aus einem einzelnen Bissen bestanden hatte, da sie nichts herunter bekam, wurde sie gebadet, gecremt, gepudert, parfümiert. Als sie lauthals dagegen protestierte wurde sie erneut gebadet, schnell gecremt und nur ein wenig gepudert. Auf das süssliche Parfum wurde verzichtet. Dann wurde sie in einen Morgenmantel gehüllt, damit die Zofen sich ihren Haaren widmen konnten. Sela und Tante Ria sassen am Rand und kommentierten die Vorgänge. „Meine Güte … das sieht ja aus, wie eine Riesenmuschel!“ „Es soll eine Frisur werden, Tante!“ „Hm. Vielleicht.“ Ein paar angesengte Locken später schlenderte die ehrenwerte Toph ins Zimmer, ein Mädchen im Schlepptau, welches sie als Katara vorstellte. „Katara?“, quietschte Sela. „DIE Katara?“ „Hey!“, schnaubte Toph. „Da ich DIE Toph bin, ist sie ja wohl auch DIE Katara!“ „Ja, entschuldige …“ Das Chaos wogte an Jin vorbei. Sie bekam von all dem nur die Hälfte mit. Die Frauen, die an ihr herumhantierten wurden immer frustrierter und hektischer. Jins Mut sank. Sie musste ja schrecklich aussehen! „Nicht heulen! Ihr verschmiert das Puder!“ Also gut, heulte sie eben nicht. „Hört auf, auf Eure Lippen zu beißen, das macht sie spröde und Ihr bekommt Farbe an die Zähne!“ Fein. Ließ sie ihre Lippen eben auch in Ruhe. „Müsst Ihr so herumwibbeln? Wir können keinen geraden Strich ziehen!“ Jin wollte weg. Und zwar schnell! Es klopfte kurz und die Tür öffnete sich. „Hoheit!“ Das Gewimmel an Zofen und Putzmacherinnen verbeugte sich tief. „Jin!“ Ursa eilte auf die Braut zu. „Oh, Du siehst ganz wundervoll aus, Liebes!“ „Ich glaube nicht.“ „Aber natürlich tust Du das! Danke, ihr habt alle ganz hervorragende Arbeit geleistet. Ihr könnt nun gehen!“ Die Dienerinnen zogen sich schnell und geordnet zurück. „Beiß mit den Lippen Hier drauf!“, befahl Ursa und hielt ihrer zukünftigen Schwiegertochter ein Taschentuch hin. Jin tat wie geheißen. Mit einem weiteren Taschentuch strich Ursa noch kurz über ihre Wangen. „So ... perfekt! Es war nur ein bisschen zu viel Rot.“ „Muss ich denn überhaupt Farbe im Gesicht haben?“ „Nur ein klein wenig. Es fällt kaum auf.“ Jin sah in den Spiegel. Das tat es wirklich nicht. Erleichtert seufzte sie auf. „Und nun zum Wichtigsten …“ Ursa wandte sich zur Tür. „Mara? Das Gewand!“ Jin blieb der Mund offen stehen. Sie hatte keine Ahnung gehabt, in wie vielen Orange und Rottönen man Seide färben konnte. Bevor sie wusste wie ihr geschah wurde sie in hauchdünnen Chiffon gehüllt. Lage für Lage. Insgesamt zählte sie sieben. Das unterste, längste Kleid war am hellsten gefärbt. Die Farbe schwankte zwischen Orange und Gelb. Das Nächste war drei Fingerbreit kürzer und von tiefem Orange. So ging es fort. Jede neue, hauchzarte Lage war kürzer und dunkler. Nur zum Rücken hin bleiben die weiten Röcke bodenlang. Am Schluss kam das blutrote Überkleid, das als einziges aus einer etwas dickeren Seide gearbeitet war. Die langen, trompetenförmigen Ärmel waren mit verschlungenen Ornamenten meisterhaft bestickt. Das Ergebnis der langwierigen Prozedur war überwältigend. Jin hätte niemals geglaubt, irgendein Kleid könne noch spektakulärer sein, als das, welches Ursa zu ihrer Verlobung hatte fertigen lassen. Doch dies hier … Bei jedem Lufthauch sah es aus, als flammten die weiten Röcke auf. Wenn sie sich bewegte, loderte es. Sie wurde kurzerhand umgedreht. „Nun? Wie gefällt euch die Tracht der Braut des Feuerlords?“, fragte Ursa. „Jinny!“, hauchte Tante Ria. „Jin, Du siehst … unglaublich aus!“ „Ja, wirklich super, auch wenn ich nichts sehe!“ „Ob man das auch in Blau machen kann?“ „Halt … Moment!“, ließ sich Toph vernehmen. „Brauchen wir jetzt nicht die Geschenke?“ Jede der Damen kramte in ihren Taschen. Ria kam zuerst. „Was Altes!“, flüsterte sie erstickt, und drückte Jin eine filigrane, silberne Kette in die Hand, an der eine Träne aus Jade hing. „Deine Mutter hat sie an ihrem Hochzeitstag bekommen. Und ich ... hab sie für heute aufbewahrt.“ Jins Augen schwammen. Dabei durfte sie doch nicht weinen, wegen des dummen Puders! „Danke, Tante Ria!“ Sie umarmte ihre Tante fest, selbst auf die Gefahr hin, die Röcke zu zerdrücken. Nun war Sela an der Reihe. „Was Neues!“, murmelte sie und überreichte Jin ein zu der Kette passendes Armband „Der Juwelier hat es nicht ganz so hinbekommen. Ich wollte doch, dass es genauso aussieht, wie die Kette ...“ „Sela! Sei nicht dumm! Es ist ganz wundervoll!“ „Was Geborgtes!“ Nun trat Katara vor und gab Jin eine kleine, Perlenbesetzte Haarnadel. „Vielen Dank!“ „So, und jetzt noch das Wichtigste. Etwas Grünes! Zumindest hat man mir gesagt, es sei Grün, aber es fühlt sich irgendwie hellgrau an.“ Toph streckte Jin das wohl unvermeidliche, in diesem Fall grüne, Strumpfband hin. Die Frauen kicherten. „Danke, Toph! Es ist grün.“ „Hat auch jemand etwas Scharfes?“ Die Köpfe flogen zu Ursa. „Nun, bei uns gibt es `Etwas Altes, etwas Neues, etwas Geborgtes und etwas Scharfes´!“, erklärte die Mutter des Feuerlords. „Na ja.“ Selas Finger klopften nachdenklich gegen ihre Wange. „Das Schärfste wäre ja wohl der Bräutigam!“ Na bravo. Unter dem prustenden Gelächter der anderen wurde Jin fast so rot, wie ihr Überkleid. Der scharfe Bräutigam war schon seit guten zwei Stunden fertig angekleidet. Sein Gewand war strenger; bei weitem strenger, als das der Braut. Klare Schnitte, präzise Linien und festere Stoffe repräsentierten den maskulinen Part. Wie bei Jin war auch seine unterste Kleidungsschicht - in diesem Fall eine knöchellange Pumphose - die hellste. Hier wurde das Blutrot des Oberkleides der Braut wiederaufgenommen. Die restlichen Schichten wurden ebenfalls Nuance für Nuance dunkler, bis hin zum dunklen Burgunderrot des nicht ganz knielangen Übermantels. Der Träger all dieser Opulenz tigerte unruhig auf und ab und scherte sich einen Dreck um seine prächtige Staffage. „Zuko … habt ihr die Nacht nicht in Meditation verbracht?“ Iroh beobachtete seinen Neffen verwundert. „Doch!“, fauchte dieser. „Es hat wohl nicht ganz geklappt …“ „DOCH!“ „Ähm … Tee vielleicht?“ „Ich lasse mir kein Beruhigungsmittel verabreichen!“ „Es würde Euch aber helfen.“ „Ich brauche keine Hilfe!“ Er brauchte endlich diese verdammte Frau, sonst würde er in Kürze explodieren! „Was tragt Ihr denn da?“ Zuko hielt verwirrt inne. Was meinte sein Onkel? Er folgte dessen Blick. „Die Schärpe? Sie ist Jins Geschenk. Es ist eine Sitte unter den Weberinnen.“ „Ah! Wie zauberhaft! Und wirklich kunstvoll gearbeitet.“ „Ja“, gab Zuko zu „Das ist sie.“ „Und die Farben passen ganz wundervoll.“ Ein Priester schwebte in den Raum. „Es ist soweit, oh Feuergesalbter!“ Mit einem Mal wurde Zuko vollkommen ruhig. Er nickte. „Danke! ... Onkel?“ „Ich werde sie holen!“ „Onkel?“ „Ja?“ „Ich ... ich danke Euch! Für mehr als ich sagen kann.“ Der Feuerlord, Herrscher der roten Lande, Gebieter der Flammen, Souverän seines Volkes, verneigte sich tief vor seinem Mentor. Iroh war zu weise, um sich der Tränen zu schämen, die in seinen Augen stiegen. „Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit, mein lieber Junge!“, sagte er rau. Die Zeremonie fand am Kopf der riesigen Freitreppe statt, die allen großen, religiösen Anlässen als Schauplatz diente. Taufen, Hochzeiten, Krönungen, Bestattungen. All diese Feste wurden hier zelebriert, vor der riesigen Schale, in der ruhig die heilige, ewige Flamme Kairokus brannte. Zuko betrat den Platz gemessenen Schrittes und ließ sich nahe am Rand der obersten Stufe, exakt in der Mitte, auf die Knie nieder, das Gesicht der unten versammelten Menschenmenge zugewandt. Der Hohepriester schritt dreimal um ihn herum, reinigenden Weihrauch zwischen den Händen zerreibend. Hinter Zuko blieb er stehen. Auf dem unteren Platz erschien nun Iroh. Er hatte Jin an der Hand und führte sie auf die Mitte der Treppe zu, wo eine schnurgerade, goldene Ader sich nach Oben zog. Hier ließ er ihre Hand los, küsste ihre Stirn und zog sich zurück. Jin begann die flachen Stufen zu erklimmen. Dabei achtete sie darauf, auf der goldenen Linie zu bleiben. Oben angekommen, reichte sie ihre Rechte dem Priester und ließ sich fünf mal um ihren Bräutigam führen. Dann kniete sie vor Zuko nieder. Er breitete weit die Arme aus. „Seht das Weib, das ich erwähle!“ Obwohl er in normaler Lautstärke sprach, wurde seine Stimme durch die ausgeklügelte Architektur des Platzes in jeden Winkel getragen. „AGNI!“, rief die riesige Menge. Nun führte er seine ausgebreiteten Arme etwas nach vorn, so dass Jin ihre Hände mit nach oben zeigenden Handflächen in seine legen konnte. „Mein Feuer sei das Deine!“ „Meine Flamme für Dich!“, erwiderte Jin. „AGNI!“ Er hob ihrer beider Arme über ihre Köpfe, wobei Jins Hände noch immer in seinen lagen. „Meine Liebe für Dich!“, rezitierte er. „Mein Herz sei das Deine!“ Jetzt kam der Moment, vor dem Jin sich am meisten gefürchtet hatte. In dem Kelch, den ihre Hände gemeinsam bildeten, erschuf Zuko nun Feuer. Sie spürte nur ein Prickeln durch ihre Hände rinnen. Die Flamme selbst tanzte in ungefährlichem Abstand über ihrer Haut. „AGNI!“ „So sei es!“, rief der Hohepriester. Der folgende, aufbrandende Jubel bewies lautstark, dass Feuerbändiger eben nicht nur streng waren. Zuko erhob sich, trat neben Jin, reichte ihr die Hand und half ihr auf. Als sie sich zu ihm drehte, konnte sie vor lauter Befangenheit nur auf sein Kinn blicken. „Noch ein Kuss, Kobold, dann bist Du mein!“, flüsterte er. Jins Augen flogen auf und starrten in seine, dann neigte er den Kopf, um den Bund zu besiegeln. Scheinbar endlose Schlangen von Gratulanten zogen schon seit Stunden an ihnen vorbei, doch Jin konnte nur an Zukos letzten Worte denken. Sie war sein! Von nun an gehörte sie endlich vollkommen zu ihm. Das Plappern der Frau eines Ministers brandete an ihr vorbei. Sein! Heute Nacht … Würde sie ja so was von sein sein. Himmel, es war so unfair, dass er sich mit dem Vereinigen bestens auskannte, während sie nur Satzfetzen wie „... probier´s aus!“, „... bis Du keine Luft mehr kriegst ...“, „Na ja … vielleicht sollte Jem noch üben.“, „... am Anfang tut´s ganz schön weh.“ und „... dann knallt es Dir die Birne weg!“ kannte. Seine bisherigen leidenschaftlichen Liebkosungen waren jedenfalls um einiges viel versprechender gewesen, als diese Aussagen. In den letzten Wochen hatte er sich mehr als nur einmal aus ihren klammernden Händen reißen müssen, bevor `etwas´ vorfiel. Vor vier Tagen war seine Hand derart weit unter ihre Röcke gewandert, der bloße Gedanke daran machte sie ganz wuschig. Er hätte beinahe ... Jin wurde unruhig. Der Stoff dieses Kleides mochte zwar dünn sein, aber sieben Lagen davon konnten einem ganz schön einheizen. Ein älterer Herr wünschte eben den Segen von mindestens neun Gottheiten auf sie beide herab. Sie lächelte - vage verträumt - an ihm vorbei. Irgendwann riss der Menschenstrom endlich ab und Jin atmete auf. Jetzt konnten sie endlich das Fest genießen, das im Sonnensaal bereits in vollem, turbulentem Gange war. Sie könnte ja vielleicht ein bisschen Wein oder Pflaumenlikör trinken, um ihre Nervosität loszuwerden. Ja, das war ein guter Plan! Nachdem auch der letzte Ehrengast durch die Tür nach drin verschwunden war, trat eine Zofe neben Jin. „Wenn Ihr mir nun folgen mögt, Herrin?“ „Ich … was?“ „F ... folgen“, wiederholte  das Mädchen verunsichert. Die arme Kleine verwechselte da wohl was. „Äh, eigentlich nicht. Das Fest ist ...“ „Ist mit Sicherheit ein Erfolg! Meine Gattin möchte sich in der Tat zurückziehen, Mara.“ „Ich will was?“, hauchte Jin. „Dich zurückziehen!“ Zukos Augenbraue verrutschte. Aber wirklich nur ganz leicht. „Jetzt?“ „Sicher!“ Er hoffte inständig, das, was er da auf seiner Stirn fühlte, war nicht diese lästige, pochende Ader. „Aber … Das Fest!“ „Wir werden uns dem nachher anschließen.“ „Aber …“ „Später, mein Herz!“, knirschte er. Jin biss sich auf die Lippe. Lag hier schon wieder eine kulturelle Unstimmigkeit zu Grunde? Es schien, als würde man in der Feuernation auch in Sachen `Vollzug´ schneller zur Sache kommen, als anderswo. Sie schluckte und ließ sich davon führen. Zehn Minuten später stand Jin händeringend in prächtigen Schlafgemach des Feuerlords. Was sollte sie denn jetzt nur tun? Ihr ganzer schöner Plan, sich Mut anzutrinken, war in die Binsen gegangen. Wieder kaute sie auf den Lippen, ob es sie nun spröde machte oder nicht! Die Zofe hatte sie hier zurückgelassen, mit dieser Entschuldigung eines Morgenmantels. Das Ding war so kurz davor durchsichtig zu sein, als Kleidung konnte man das beim besten Willen nicht mehr bezeichnen. Es schien eher das Gegenteil davon zu sein. Himmel! Sie konnte doch nicht hier warten, bis … Morgen würden sie ohnehin wieder in eine dieser Situationen geraten! Daran könnte man schließlich ungezwungen anknüpfen, oder? Bestimmt wäre Zuko das auch lieber. Er hatte genug Pflichten. Da musste der Ehevollzug nicht auch noch so … organisiert stattfinden. Sie beruhigte sich. Na ja, sie versuchte es. Nägelkauend sass sie auf der Kante eines Sessels. Als die Tür aufschwang sprang sie auf. „Ah … Da bist Du ja!“ Ihre Stimme klang unnatürlich hoch. „Ja. Da bin ich ja.“ Er trug nun ebenfalls bequemere Kleidung. Aber sein Kimono verdiente diese Bezeichnung wenigstens! „Und … gerade zur rechten Zeit!“ Zuko näherte sich langsam, nichts Gutes ahnend. Jin, dagegen, flitzte im Zimmer umher. „Zur rechten Zeit?“, fragte er misstrauisch. „Wofür?“ „Nun, ich dachte eben, wie nett eine kleine Partie `Lanzenstechen´ doch wäre.“ Sie zerrte an einer Schublade des Spieltisches herum. „Lanzen ... stechen?“ Er starrte sie an. Da war sie nun, sein angetrautes Weib, trug dieses Nichts, das ihm ihre Üppigkeit auf eine Art und Weise vor Augen führte, die ihm die Gier wie Lava durch die Venen pumpte und faselte von Gesellschaftsspielen mit doppeldeutigem Namen? „Ja!“ Flehend sah sie ihn an. Zuko versuchte krampfhaft, nicht an die Szene vor vier Tagen zu denken. Verflucht! Er hatte sämtliche ihrer Körperteile so oft von sich herunter schälen müssen, dass er eigentlich einen Orden dafür verdient hätte! Hatte ihren lockenden Übermut Mal für Mal in die Schranken weisen müssen, und jetzt wollte sie Karten spielen? Warum zum Teufel? Sie sah ihn immer noch eindringlich an und versuchte ihre Furcht zu verbergen. Sie hatte tatsächlich Angst. Und er … Er würde seinen Verstand verlieren! „Gut“, quetschte er heraus. „Ah, wundervoll! Wer mischt?“ „Egal“, krächzte er. „Fein, dann mach ich das!“ Sie tat es. Und zwar so überenthusiastisch, dass sie, wieder einmal, wackelte. Diesmal jedoch unabsichtlich. Ja … sein Gehirn würde langsam zu Brei kochen und ihn in einen sabbernden Idioten verwandeln. Er ließ sich neben Jin auf die Bettkante sinken, achtete jedoch auf einen ordentlichen Abstand. Denn sonst könnte sie ihn schon morgen in einer Anstalt besuchen und ihm dabei zusehen, wie der die Hono mit den Zähnen bearbeitete. Jin legte die erste Karte und lächelte strahlend. Strahlend falsch! Mechanisch machte Zuko seinen Zug. „War das Wetter nicht ganz besonders schön heute?“ Sollte er in seinem gesamten, restlichen Leben auch nur ein weiteres Gespräch über das Wetter führen müssen, wäre das immer noch einmal zu viel! Er nickte nur und fixierte die Karten. Konzentrier Dich auf die Zahlen! Ein weitere Karte wurde auf den Stapel gelegt. Sein auf Leerlauf stehendes Hirn stellte wundersamerweise logische Verknüpfungen her und Mylord warf ebenfalls ab. Wenn sie nicht bald aufhörte so zu duften, dann, bei Agni … Jin schielte zu Zuko. Er war ganz furchtbar angespannt, starrte stur auf den Kartenstapel und hatte Furchen auf der Stirn. Er wirkte irgendwie nicht glücklich. Und sie wusste auch ziemlich genau warum! `Jetzt hör endlich auf, so ein Feigling zu sein, Missy! Sonst kriegt man Dich doch auch nur mit einem Brecheisen von Ihm los!´ Jin sass da und betrachtete ihren Ehemann. Ehemann! Er bemühte sich so heroisch, ihre Angst zu beschwichtigen. Zog sogar dieses blöde Kartenspiel bis zum Ende durch. Jin holte tief Luft. „Ich will nicht mehr spielen!“, sagte sie dann leise. Er hob den Kopf, musste sie zwangsläufig ansehen. Ihre Formen, um die sich dieser dünne Stoff schmiegte … „Äh ... was?“ „Ich will … nicht mehr spielen.“ Zuko fegte die Karten vom Bett. Doch Jin sah nicht mehr, wie sie auf dem Boden landeten, denn sie hechteten förmlich aufeinander zu. Unter seinem glühenden Kuss fragte sie sich, wie sie nur auf die dumme Idee  gekommen war, einen Aufschub zu wollen. Sie grub ihre Finger tief in die dicken, weichen Strähnen seines Haars. Himmel, wie sie es liebte, wenn er es offen trug! Sein Geschmack ließ sie innerlich vor Wonne beben und ihr genüssliches Stöhnen ließ ihn dies wissen. Sie schmiegten sich eng aneinander, zwischen sich weniger Stoff als jemals zuvor. Jin spürte die harten Konturen, seine feste Geschmeidigkeit. Die tiefen, verschlingenden Küsse weiterhin feurig erwidernd, machte sie sich eifrig daran, den Knoten seines Gürtels zu lockern. Zumindest war das ihre Absicht, doch ihr ungeübtes Zerren zog die Schlinge nur fester zu. Zuko beschloss, Abhilfe zu schaffen und löste das Problem binnen Sekunden. Jin unterbrach den Kuss. Schwer atmend starrte sie hypnotisiert auf den freigelegten Streifen Haut. Ihre Hände legten sich zögernd auf die Säume des Morgenrocks und schoben ihn langsam von seinen Schultern. Der Feuerlord ließ sein Weib keine Sekunde aus den Augen. Sie starrte ihn an. Lange. „Ah … was für ein hübscher Kerl Du doch bist, mein Lord!“, wisperte sie verklärt. „Ich?“, keuchte Zuko. „Du hattest bisher keinen Sehfehler erwähnt …“ Die Furche in der Mitte seiner Brust wurde zum Ziel ihrer Fingerspitzen. Von dort ließ sie sie zögernd hinuntergleiten. Zuko rang um Selbstbeherrschung. Das hier war für seine Jin Neuland, er musste ihr Zeit geben. Aber sie machte es ihm so verdammt schwer, nicht einfach über sie herzufallen. Und dann umgarnte sie ihn auch noch mit diesem leisen Worten ... „Ich hab keinen! Und ich bin auch nicht die Einzige, die Dich schön findet. Als Du getanzt hast … alle Frauen fanden Dich schön!“ Wer hätte gedacht, dass die Haut ihres Drachen so samtig sein würde, so warm und vibrierend. So wundervoll einladend. Als ihre Finger seine Bauchmuskeln erreichten, begannen sie zu zucken. Neugierig auf den Grund für diese Reaktion sah Jin auf, in kochende, brodelnde Begierde. „Hier gibt es nur eine Person, die schön ist. Und das bin nicht ich, Kobold!“ Seine Stimme war so rau. Jin spürte es wie eine Liebkosung. „Darüber werd ich nicht mit Dir streiten, Drache!“, flüsterte sie. Es war ohnehin viel schöner, ihn zu erforschen. Mutiger geworden presste Jin ihre flachen Hände auf den mächtigen Brustkorb, um seine Kraft zu bewundern. „Hast … Du Deine Neugierde bald befriedigt?“ Zukos Atem entwich zischend, als ihre Fingerkuppen seine flachen Brustwarzen fanden. „Ich hab doch …“ Sie fuhr probehalber mit dem Lippen über seine Haut. „... grade erst angefangen!“ Wie er wohl schmeckte? Ihre vorwitzige Zungenspitze machte der Entdeckungsreise ein Ende. Zuko, bisher geduldigstes aller Studienobjekt, riss ihren Mund an sich, küsste sie gierig und hart. Mit sanftem Nachdruck drängte er sie auf die Matratze. Jin seufzte. Im Liegen schien sie diesen Rausch noch intensiver zu spüren. Seine Rabenmähne ergoss sich auf die umliegenden Kissen, umschloss sie beide mit einem Kokon aus Sandelholz und Seide. Als schmelzende Lippen mit gekonnter Meisterschaft ihren Hals und Nacken streiften, erfasste Jin ein leichtes Schwindelgefühl. Ihre eifrigen, wissbegierigen Hände glitten über die tanzenden Muskelstränge seines Rückens. Es war so herrlich erregend, in seiner sorgsam gezügelten Macht zu schwelgen, die Finger in diese Geschmeidigkeit zu drücken. Die Zielstrebigkeit ihres eigenen Tuns löste sich in Nichts auf, als Zukos Mund sich in die Haut ihres Brustbeins brannte. Aus irgendeinem Grund klaffte ihr Morgenmantel bereits erschreckend weit auf, so dass der dünne Stoff gerade noch ihre schwellenden Rundungen bedeckte. Als sie nach unten blickte, durchzuckte Jin eine jähe Hitze. Sein Kopf, über ihre Brüste gebeut, sein schwarzglänzendes Haar, das kühl und wispernd über ihre Haut strich. Nie hatte Jin etwas erotischeres gesehen oder gefühlt. Sie ächzte vor Erwartung und wurde nicht enttäuscht. Eine große Hand legte sich so besitzergreifend um einen der Hügel, dass Jin scharf die Luft einsog. Als seine Finger langsam die lästige Seide beiseite zogen, keuchte sie auf. Der Stoff rieb sündhaft über ihre Haut, reizte ihre prickelnden Brustspitzen. Sie wisperte Unverständliches. Zuko erbarmte sich, erhörte ihr unaufhörliches, unartikuliertes Flehen. Er gab der eigenen Gier nach und schloss die Lippen um eine warme, köstlich erregte Knospe. Seine raue Zunge begann sie zu umspielen; versenkte heiß und nass, ihre Sinne. Dann saugte er sanft. Jin stöhnte, umklammerte seinen Kopf und grub sacht die Nägel in seine Kopfhaut. Das Zimmer begann vor ihrem verschwommenen Blick zu wanken, also schloss sie die Augen. Als er sacht mit den Zähnen zupfte, riss sie sie jedoch wieder auf. „Zuko!“ Sie bäumte sich auf, drängte gegen ihn und merkte halb erschrocken, wie wenig sie beide noch trennte. Ihre Hüften stießen zusammen und Zuko knurrte. Er wusste nicht, wie viel Beherrschung er noch aufbringen konnte. Es war ein wahres Wunder, dass er sie nicht schon in der ersten Minute genommen hatte. Dieses Biest wusste gar nicht, was sie ihm antat. Ihr atemloser, blinder Eifer. Die unkontrollierten Laute, ihre offensichtliche Lust. Das Warten hatte ein Ende! Was er an Umsicht und Geduld aufzubringen vermochte, war erschöpft. Er konnte nur hoffen, sie war erregt genug … Seine Hand legte sich auf Jins Knie, glitt Stück für Stück höher, eroberte das seidenweiche Terrain cremiger Haut. Nur noch ein wenig … „Zuko?“ Sie keuchte fragend seinen Namen. Er antwortete mit einem bezwingenden Kuss. Gleich würde er wissen, ob sie bereit war. Gleich würde er wissen, ob das Himmelreich sich auftat. Agni! Sie war bereit! „AH!“ Mehr als bereit. Sie war süsses, flüssiges Feuer! „Zuko!?“ Jin war vollkommen hilflos. Was tat er? Seine Hand war so wundervoll, seine Finger so schockierend! Und da war etwas, das sie wollte … das sie brauchte. Sein Knie, das schon längst zwischen ihren lag, glitt höher, öffnete sie. Die Muskeln seiner Schenkel waren so hart. Und dass die rauen Härchen darauf so erregend waren, wenn sie sich daran rieb, hätte Jin niemals ahnen können. Zum ersten Mal erlebte sie die Wonne, sein Gewicht auf sich zu spüren. Er küsste sie wild, seine Beine drängten ihre sanft auseinander. Oh Gott! Alles in und an ihr pochte und pulsierte heiß. Er war so unwiderstehlich in seinem Drängen. Er war so anbetungswürdig in seiner Kraft. Er war so … zu viel! Jin verkrampfte. Das würde nie im Leben klappen! Anscheinend hatte er dies nun auch bemerkt, denn er zog sich zurück. Sie entspannte sich wieder. Und zwar genau in dem Augenblick, den Ihr Gatte wählte, um die Ehe zu vollziehen. Es war eher der Schreck, als wirklicher Schmerz, der Jin aufschreien ließ. Das Brennen war eigentlich nur etwas unangenehm. Aber all diese schwebenden, losgelösten Empfindungen waren fort. Na ja, weitgehend. Seine Haut an ihrer; sein Schwere, die sie in die Kissen drückte; sein Duft … all das war noch immer unbestreitbar wundervoll. „Kobold?“, knirschte er. „Ja?“, keuchte sie zaghaft. „Geht´s … wieder?“ „Ich … weiß nicht.“ „Ich sollte es aber wissen!“, presste er durch zusammengebissene Zähne. „Ist es denn nicht vorbei?“ „Nein. Nein, ist es nicht!“ In ihr vergraben zu sein war der Himmel. Regungslos verharren zu müssen, die pure Folter. „Ich glaube … das passt nicht!“ Jin vergrub das Gesicht an seinem Hals. Sie versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Jetzt wäre er mit Sicherheit enttäuscht von ihr. „Was?“ „Du … bist zu groß!“ Zuko erstarrte. Himmel, wusste sie überhaupt, was sie da sagte? „Agni!“ Er konnte sich beim besten Willen nicht weiter zurückhalten. „OH!“ „Tut … es weh?“ „Nein!“, wisperte Jin. Er zog sich zurück, stieß erneut zu. Die Reibung löste herrliche Dinge aus, brennende, kribbelnde Wirbel. Jetzt begann es wieder. Das Schweben, der Schwindel. Mit jedem Mal mehr. Er … er fühlte sich gut an. „Zuko!“ Sie bäumte sich ihm entgegen, ihre Hüften kollidierten. Ihre Finger krampften sich in die Laken und zerdrückten die Seide. Nie hatte sie sich so komplett gefühlt, wie jetzt. Dies hier war ihr bestimmt gewesen, schon immer! Dies hier hatte sie gewollt, schon immer! Als Zukos Bewegungen kraftvoller wurden, wimmerte Jin vor Lust. Jeden seiner Stösse flehte sie herbei. Glitt er zurück, jammerte sie. Ihre Hände klammerten sich an seine sehnigen Flanken. „Hör … nicht auf!“ Statt ihr zu antworten ließ sie nur mehr von sich spüren, beschleunigte das Tempo. Auf seine Ellbogen gestützt, drückte Zuko sein Gesicht in ihr Haar. Konnte es etwas lustvolleres geben, als ihren bebenden, weichen Körper zu lieben? Ihr Sirenengesang galt ihm! Ganz allein ihm! „Zuko! … Bitte!“ Jin wusste selbst nicht, was genau sie eigentlich wollte. Aber er schien es zu wissen, denn er stillte dieses unerträgliche Sehnen. Er nahm sie! Vollkommen, endlos, hart und tief. Lichtfunken wirbelten um Jin, endlose Kaskaden davon. Blitze wüteten tief in ihrem Leib, bis sie in heftigen Krämpfen zuckte. Sie war außer sich. Ihre Fingernägel zerkratzen seinen breiten Rücken. Den Kopf nach hinten geworfen, tief in die Kissen gewühlt, schrie sie ihm ihre Lust und ihre Liebe entgegen. „ZUKO!“ Die Supernova in ihrem Kopf ließ brennende Sterne regnen. Diese bedingungslose Hingabe bedeutete Zukos Ende. Ungezügelt brach seine Leidenschaft sich Bahn. „Jin!“ Er ächzte ihren Namen ins Kissen. Kopf- und haltlos stieß er in sie, bis die eigene, rasende Lust ihn schüttelte. Als ihr Drache den Kopf in den Nacken warf und triumphierend brüllte, erbebte Jin ein zweites Mal. Vor Jahren hatten sie sich gefunden, doch nun ... hatten sie sich erkannt. Die neue Feuerlady lag fassungslos keuchend da, die Arme immer noch fest um ihren Mann geschlungen, während sein heftiger Atem mit den Härchen an ihrer Schläfe spielte. Grund Gütiger ... einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, sie würde diesem Gipfelsturm nicht überleben. Ihre Hände glitten zärtlich über seinen schweissglänzenden Rücken, weiter zum Nacken ... Zuko schien denselben Gedanken gehabt zu haben, denn er hob den Kopf und küsste sie lange und innig. Dabei rollte er ein wenig zur Seite, um sie von seinem Gewicht zu entlasten. Er löste sich von ihr und sah sie an. Sein Blick war ruhig und fragend, als versuche er in abwartender Neugier, ein Rätsel zu erkunden. Jin strich die lange, um sein Gesicht fallende Mähne zurück und liebkoste dabei Schläfen und Haaransatz. „Geht es Dir gut, Kobold?“ „Gut? Ob es mir gut geht?... Hätte ich das hier vor sechs Jahren ...“ Sie hielt ihm den Mund zu. „Mittlerweile sind es fast sechs! Also hätte ich es gewusst, hätte ich Dich in den Hinterhof dieses Teehauses gezerrt und Dir die Schürze vom Leib gerissen!“ „Wirklich?“ „Na ... ich war ja auch so schon kurz davor.“ Ein träges Grinsen war ihr Lohn für diese Frechheit. Sie verteilte kleine Küsse auf Zukos Kinn. „Wann müssen wir denn auf dieses Fest?“ Sein Hals war noch verlockender. „Morgen.“ Ihre Zärtlichkeiten brachen ab. „Was? Aber Du sagtest doch ...“ „Jin, Du warst so panisch, Du wärst getürmt, wenn ich gestanden hätte, Dich für den Rest des Tages zur Sklavin meiner Lüsternheit machen zu wollen.“ „Ah ... ruchloser Recke!“ Sie zog an einer seidigen, schwarzen Strähne. „Schamloser Schurke!“ Sie schlang die Arme um seinen Hals „Barbarischer Bube!“ Ihr Mann bebte, doch Jin hatte den Verdacht, dass das nicht an ihrem Kuss lag. Etliche Stunden später lag Jin zufrieden und faul neben ihrem Gatten. „Zuko?“ Ihr Tonfall war träge. „Ja, Kobold?“, raunte er, mit der Hand der üppigen Rundung ihrer Hüfte folgend. „Du … wirst Du unsre Kinder sich `austoben´ lassen?“ Seine Lippen glitten derweil über andere Hügel. Ah, sie war schon wieder erregt. „Die Jungs, ja.“ Jin hole empört Luft. „Was? Oh! Argh! Die Jungs? Die JUNGS? Du chauvinistischer, frauenverachtender Basta …“ Seine Hand brachte sie zum Schweigen, seine Zunge um den Verstand. Ihre Arme wurden gepackt und erbarmungslos über ihrem Kopf gehalten. Sein ganzes, hartes, heißes, wundervolles Gewicht senkte sich auf sie, als er sich über sie stemmte. „Ja? Was wolltest Du sagen, mein Herz?“ „Ich … Zuko!“, wisperte sie. „Ich bin hier! Bei Dir.“ Eine rasche Bewegung. „In Dir!“ Jin schnappte keuchend nach Luft. Oh Gott! Er war so hart! „ZUKO! Du…“ „Ja, Ich! Kein Andrer, Kobold!“ Jin grub ihren Kopf nach hinten in die Kissen und stöhnte. Nein, kein Andrer. Niemals hätte es ein Andrer sein können. Niemals! Die Stösse seiner Hüften ließen nicht zu, dass sie weiter dachte. Sie wurde wieder zu diesem kopflosen, nur noch fühlenden Körper, der sich gegen ihn drängte, ihm entgegenwarf, um ihn noch tiefer zu spüren. Vergeblich versuchte sie, ihre Hände aus seinem festen Griff zu ziehen. Sie wollte ihn berühren! Zusammenhangslose Laute entwichen ihr und in ihr wuchs wieder diese heiße, prickelnde Spannung. Dann hielt er inne, verharrte über ihr. „ZUKO!“ „Du solltest … nicht immer … so ungeduldig sein!“ „Bitte! Oh, Bitte!!“   Jammerte sie etwa? „Um was …“, keuchte er. „Bittest Du?“ „Dich! Bitte! Gib mir … Ich will Dich!“ „Ich weiß!“ Um nicht die Beherrschung zu verlieren ballte Zuko die Hände zu Fäusten. „Wie? Kobold?“ Durch die wirbelnde Lust ihres Hirns nahm Jin die Frage nur vage wahr. Sie begann schon wieder, sich taumelnd vom Boden zu lösen, und er verlangte von ihr allen Ernstes noch zu sprechen? Über ... Ein harter Stoss ließ sie wimmern. „Wie? Wie willst Du mich haben Kobold?“, knirschte er, schon wieder regungslos. Ihr Flehen war so atemlos, dass er sie kaum verstand. „Jetzt! Schneller! ... Du musst ... stossen! … Fest! Bitte!“ Er packte mit beiden Händen ihre Hüften und Jins Arme waren endlich frei. „So?“ Jetzt bewegte er sich kraftvoll. Mahlend. „So, Jin?“ „JA! ... AHHH!“ Er wusste doch, dass es richtig war! So richtig! Zukos Beherrschung riss, als ihre kleinen Klauen sich in sie seitliche Muskulatur seiner Gesässbacken gruben, um ihn in sich zu pressen. Nur noch fähig, auf seine eigene Lust hinzuarbeiten, rammte er sich in die enge, heiße Nässe. Immer schneller. Immer härter. Immer tiefer. Er wusste nicht mehr, ob er ihr weh tat. Er hörte nur ihre kurzen, atemlosen Schreie. Spürte, wie ihre Nägel seine Haut zerschrammten. Agni, lass es Lust sein! „ZUKO!… Uh!... OOOH! Dann bäumte sie sich gegen ihn, ballte sich um ihn zusammen, katapultierte ihn in ein buntes Flammenmeer. Dort wurde er von den gleichen Krämpfen geschüttelt, wie sie. Er stemmte seinen Oberkörper nach oben, stieß ein letztes Mal mit aller Kraft zu. „JIN!“ Noch einmal. „Jin!“ Keuchend brach er über ihr zusammen. Seinem Weib. Durch die Lust seines Nachbebens konnte er ihr Schluchzen hören. „Jin?“, flüsterte er. Sie vergrub nur das Gesicht an seiner Brust. „Jin? Hab ich Dir weh getan?“ Vehement schüttelte sie den Kopf. „Aber Du weinst!“ „Nein!“ Sie zog ihn zu sich und küsste ihn. „Du hast mir nicht weh getan! Höchstens vor ... vor Lust.“ Es fiel ihr tatsächlich immer noch schwer, dieses Wort auszusprechen, obwohl sie gerade zum vierten Mal überaus leidenschaftlich und gründlich geliebt worden war. „Glaubst Du, man kann daran sterben?“ „Vielleicht, wenn man ein schwaches Herz hat, Kobold.“ „Dann hoffe ich, unsre sind stark wie Rinos.“ Er ließ sich neben ihr auf den Rücken fallen. „Und vielleicht ist es doch ganz gut, wenn Jungs sich ... austoben dürfen. Ich bin jedenfalls sehr dankbar, dass Du so viel geübt hast, Drache!“ Jetzt hatte sie ihn doch tatsächlich zum Lachen gebracht, das Biest. Kapitel 23: Vierzig Zimmer, Küche, Bad -------------------------------------- Als Jin erwachte, war es noch dunkel. Kein Wunder, hatten sie sich doch gestern schon kurz nach Mittag `zurückgezogen´. Sie fröstelte und versuchte, sich an etwas Warmes zu kuscheln. Allerdings war da nichts Warmes. Ihre suchende Hand strich nur über kühle Seide. „Zuko?“ Schläfrig setzte sie sich auf und sah sich um. Sie war allein. In einem zerwühlten, riesigen Bett. Im Licht des hereinscheinenden Mondes konnte sie nur die Konturen der Umgebung erkennen. Eine der beiden hohen, gläsernen Flügeltüren stand halb offen und kühle Nachtluft kam herein. Es war wirklich verwunderlich, dass in einem derart heißen Land die Nächte so kalt sein konnten. Jin rutschte zum Rand des Betts, kletterte hinaus, klaubte ihren Morgenmantel vom Boden und wickelte sich ein. Allerdings war die Seide des Dings viel zu dünn, so beschloss sie obendrein noch in den dickeren Kimono ihres Gatten zu schlüpfen. Der Saum berührte fast den Boden und die Ärmel baumelten bis weit über ihre Hände, aber der Zweck heiligte die Mittel. Dann suchte sie nach ihren wirklich ganz entzückenden, bestickten Pantöffelchen. Was war das nur mit ihr und ihren Schuhen? Ah, da! Hinter dem Spieltisch. Endlich beschuht, ging Jin auf die große halbkreisförmige Terrasse. Hier rankten überall wilder Wein und Klematis. In riesigen Bronzekübeln wuchsen uralte Sträucher. Königslilien, Engelstrompeten und Geissblatt, wetteiferten in ihrer Pracht mit streng zurechtgestutztem Buchs. Silbriges Mondlicht verwandelte die Szenerie in einen gläsernen Feengarten. Ein Feengarten ohne Drachen. Wo war er nur? Entferntes, orangefarbenes Schimmern gab den entscheidenden Hinweis. Weiter unten waren Fackeln entzündet worden. Also folgte Jin dem verschlungenem Fussweg, der links abging. Vorsichtig stieg sie die Stufen hinunter. Hätte ihre gerade noch gefehlt, wenn die fremde Umgebung und das fahle Licht sich mit ihrer Ungeschicklichkeit verbündeten. Das große Außenbassin, an dem der Weg vorbeiführte, wäre herrlich einladend gewesen, hätte sie nicht ohnehin schon ein wenig gefroren. Sie könnte jetzt wirklich ein wenig von der Hitze ihres Schuppentiers gebrauchen. Dem Licht der Fackeln folgend, ging sie weiter. Mitten auf einer großen, runden Plattform fand sie ihn schließlich. Er bewegte sich langsam und konzentriert, als würde er dabei meditieren. Seine Hände sonderten das gleiche goldene Licht ab, das er am Ende des Sonnwendtanzes erzeugt hatte. Jetzt war wohl kaum der richtige Zeitpunkt ihn zu stören. Jin setzte sich auf die Stufen, zog die Knie an, umschlang sie mit den Armen und sah ihm zu. Seit den letzten Stunden schien es unmöglich, die Augen von ihm zu lassen. Zukos Anblick wärmte sie tatsächlich weit mehr, als ihre improvisierte, zusammengewürfelte Kleidung. Plötzlich musste sie an das Teehaus denken. Auch damals hatte sie ihren Blick nicht von diesem seltsamen Jungen abwenden können. Wie verknallt sie gewesen war. `Ach ... und was bist Du jetzt, Missy?´ Jeden Tag nach der Arbeit hatte das Herzklopfen begonnen, weil sie wusste, dass sie zum Teehaus gehen würde. Und jeden Tag hatte sie sich selbst gescholten und sich gefragt, was sie denn überhaupt an diesem einsilbigen Kerl fand. Heute war es gerade diese Einsilbigkeit, die sie so liebte! Wobei … bei bestimmten Themen, oder wenn er meinte, sie über gewisse Dinge aufklären zu müssen, konnte er stundenlang referieren, die Hände hinter dem Rücken verschränkt auf und ab gehend. Das liebte sie mindestens ebenso sehr. Aber das brauchte er ja nicht zu wissen. Wenn Sela sie damals nicht dazu gebracht hätte, über ihren eigenen Schatten zu springen … Ah, sie wünschte wirklich, er würde zum Ende kommen, denn sie hatte das elementare Bedürfnis sich ihrem Lee in genau diesem Moment an den Hals zu werfen. Der Himmel hatte in der Tat ein Einsehen mit Jin, denn nun verbeugte sich ihr Angetrauter gen Osten und beendete die Übung, oder was auch immer es war. Er näherte sich mit langen, geschmeidigen Schritten. Als er ihrer ansichtig wurde stockte er. „Jin? Ich dachte Du schläfst noch.“ „Muss ich denn?“ Zuko legte den Kopf schief. „Natürlich nicht! Aber ich wollte Dich nicht wecken.“ „Hast Du auch nicht. Ich hab nur ein bisschen gefroren.“ „Und dann sitzt Du hier herum?“ Dieser Mann konnte wirklich vernichtend tadelnde Blicke austeilen, das musste man ihm lassen. „Im Bett war´s auch nicht viel wärmer.“ Er schnalzte mit der Zunge und zog sie hoch. „Himmel, Kobold, Du bist ja ganz durchgefroren!“ Sie nickte nur und ließ sich in seine Wärme hüllen. „Warum hast Du denn kein Feuer gemacht?“ HA! Jetzt hatte sie ihn. „Womit denn, mein Gebieter?“ „Womit … Oh.“ Eng kuschelte sie sich an ihn. „In Zukunft werden überall Zündhölzer liegen“, versprach er. „Alternativ könntest auch überall DU liegen“, schlug Jin vor. Mit hochgezogener Braue umfasste er ihr Kinn, hob es an und sah ihr in die Augen. „Mir scheint, ich habe eine unersättliche Bestie erschaffen.“ „Wer hat denn immer wieder angefangen?“ Sie zwickte ihn. „Wer hat mich denn immer wieder angebettelt?“ „Gebett … Oh! Das wüsste ich aber!“ „Hm, Dein Gedächtnis scheint zu leiden, mein Herz.“ „Ich leide wenigstens nicht unter Wahnvorstellungen, oh ... Flammengekrönter!“ Zuko war über diese Unverfrorenheit völlig perplex, und so konnte Jin einen ordentlichen Vorsprung herausschinden. Sie musste allerdings derartig lachen, dass er sie auf Höhe des Bassins spielend einholte, obwohl er nur lange, schnelle Schritte machte, statt zu rennen. „Wie hast Du mich genannt?“ „Ich weiß nicht … vielleicht … Teeschubser, mein Gebieter?“ Der Teeschubser erweiterte sein Tätigkeitsfeld und wurde zum Jinschubser. Als er den geschockten Gesichtsausdruck seiner Frau sah, tat es ihm fast schon wieder leid. Aber nur, bis er den lauten Platscher hörte … schließlich wusste er, wie angenehm das Wasser war. Prustend und strampeln kam Jin hoch. Da stand er, stemmte in arrogantem Triumph die Hände in die Hüften und lüftete langsam und vielsagend seine Rabenschwinge. „Du! … Och! Sich an Kleineren zu vergreifen …“ „Aber Du bist nun mal kleiner, mein Herz!“ Und er liebte es ganz unbestreitbar, sich an ihr zu vergreifen. Er kauerte an den Beckenrand und streckte ihr eine Hand entgegen. Jin nahm sie und zog. „Ich hab schon gebadet, Kobold.“ Sein Gesicht blieb ernst, aber in den goldenen Tiefen seiner Augen tanzte ein Lachen. „Ja, lach nur, Du Muskelberg!“ Mit einer einzigen Bewegung hob Zuko sie aus dem Becken. Tropfnass stand sie vor ihm, während sein viel zu großer Morgenrock an ihr herunterhing. Er zupfte an einem der viel zu langen Ärmel. „Bist Du etwa noch eingelaufen, Knubbelchen?“ Jin hielt ihm eine kleine Faust unter die Nase. „Pass ja auf, Du!“ Die Tatsache, dass die Faust in triefende, dicke Seide gehüllt war, nahm dieser Drohung jedoch den Stachel. „Jetzt werden wir Dir erst etwas Trockenes zum Anziehen suchen!“ „Wo denn?“ „Im Ankleidezimmer.“ „Woher soll ich denn wissen, wo Dein Ankleidezimmer ist? Vielleicht hinter der Haarkämm-Kammer, oder dem Regenschirm-Raum?“ Er verdrehte nur die Augen und zog sie hinter sich her. „Hier!“ Er öffnete eine mit Seide bespannte Tür, „Das Ankleidezimmer. Und dies,“ Er ging auf die linke Seite des Raums und verschob eine Wand, „Sind Deine Kleider. Unterwäsche, Nachthemden, Morgenmäntel, normale Kleidung, offizielle Gewänder, Prunkroben. Weiter hinten befinden sich noch Mäntel und Umhänge. Ich denke dies hier dürfte ausreichen.“ Er zog eine weite Pumphose aus dicker Seide mit passender, knielanger Tunika heraus. Dazu einen etwas kürzeren Hausmantel aus weicher, flauschiger Wolle. Als er ihr diese Auswahl vor die Nase hielt, bemerkte er einen seltsamen Blick. „Du magst wohl keine Hosen?“ „Ich … doch! Aber … das sind ja wohl nicht alles meine Kleider?“ „Natürlich nicht!“, sagte Mylord indigniert. „Bisher ist es nur die Grundausstattung. Die Schneider haben noch alle Hände voll zu tun.“ „Hast Du nicht gesagt, wir müssen sparen?“, hauchte sie fassungslos. „Ja.“ „Warum … hab ich dann mehr Kleider, als in meine alte Wohnung gepasst hätten?“ Zuko blinzelte. „Du bist jetzt die Feuerlady, Jin. Du repräsentierst unser Land.“ „Ach so“, meinte Jin schwach. „Ich nehme an, für die Schuhe gibt es einen Anbau.“ „Die sind hier.“ Er deutete auf einen Schrank mit enormen Ausmaßen und gab ihr einen kurzen Kuss. „Zieh Dich besser um, bevor Du Dich erkältest. Solltest Du ein warmes Bad nehmen wollen, befindet sich der Raum dazu hier.“ Eine weitere Tür wurde geöffnet. „Für heißes Wasser öffnest Du das goldene Ventil. Für kaltes, das silberne. Handtücher liegen hier bereit. Zumeist wird Dir aber ohnehin eine Zofe zur Hand gehen.“ Jin wurde das alles zu viel. „Ich… würde jetzt wirklich gerne ein Bad nehmen.“ Und weglaufen! Zuko spürte ihre Befangenheit. „Möchtest Du lieber allein sein?“ Sie nickte. „Gut. Solltest Du etwas brauchen, ruf mich.“ Sie nickte wieder. Nach einem weiteren, raschen Kuss ging er. Jin setzte sich auf den Rand der Kupfernen Wanne. Sie repräsentierte ein Land. Sie hatte einen Berg aus seidenen Klamotten. Sie lebte jetzt in einem Palast mit fließend Heißwasser. Sie … würde jetzt baden. Das beruhigte die Nerven. Eine halbe Stunde später trug Jin wieder trockene, warme Kleidung und fühlte sich wunderbar entspannt. Als sie ins Schlafgemach trat, stellte sie fest, dass auch Zuko sich umgezogen hatte. Er trug seine bevorzugte, bequeme Kleidung und hatte die Haare zurück gebunden. Ihre eigenen waren ein einziger, nasser Wuscht. „Ich konnte keinen Kamm finden“, murmelte sie, als sein Blick sie umfing. „Anscheinend habe ich an ein paar Sachen nicht gedacht“, erwiderte er entschuldigen. „Du hast ja auch andere Dinge im Kopf, als meine Haare.“ „Eigentlich spielen sie in meinen Gedanken eine nicht unwesentliche Rolle, Kobold. Setzt Dich an den Kamin.“ Jin tat wie geheißen. Zuko trat hinter sie, und begann sich ihrer zerzausten Mähne zu widmen. Er erwärmte seine Hände, kämmte mit den Fingern nach und nach die wirren Strähnen glatt. Auf diese Weise trockneten ihre Locken in Rekordzeit zu glänzenden Flechten. Doch selbst als sie trocken waren hörte er nicht auf, massierte sacht ihre Kopfhaut, strich zärtlich durch ihr Haar. Jin seufzte. Es hatte ganz unzweifelhaft seine Vorteile mit einem Feuerbändiger verheiratet zu sein. Als er sich hinab beugte um ihren Nacken zu küssen, durchrieselten sie wohlige Schauer. Ja, ganz unzweifelhafte Vorteile. Ein unmissverständliches Magenknurren durchbrach die Stille und Jin musste lachen. „Ich habe das Gefühl, wir sollten Dich füttern, Drache.“ „Nun ja“, sagte er kläglich. „Seit dem gestrigen Frühstück …“ Jin drehte sich zu ihm um, kniete auf die Sitzfläche des Sessels und schlang die Arme um ihn. „Armer Schatz! Da muss ich ja dankbar sein, dass Du mich nicht mit Haut und Haaren verschlungen hast, oh …“ Zuko lüftete mahnend die Augenbraue. „... Schuppiger.“ „Hab ich doch! Aber Du bist eben nur eine halbe Portion.“ Kurze Zeit später sass Seine Lordschaft zufrieden kauend vor dem, was er eine ganze Portion nannte. Die Mehrheit der Hochzeitsgäste lag nach einer durchzechten Nacht noch schlafend in ihren Betten, also waren sie die beiden einzigen Anwesenden im großen Speisesaal. Jin hatte ihren Hunger bereits gestillt und sah, das Kinn auf die Fäuste gestützt, fasziniert zu, welche Mengen ihr Ehemann vertilgte. „Jetzt weiß ich auch, warum in Deinen Staatskassen kein Geld mehr ist. Du verfutterst höchstpersönlich die gesamte Jahresernte, stimmt‘s?“ Er schnaubte nur und brach noch ein Stück Brot ab. „Ich musste heute Nacht ja auch hart ackern!“ Sein prüder Kobold wurde knallrot. Iroh Tatzu stand im Durchgang zum Speisezimmer und beobachtete zufrieden das frisch gebackene Paar. Hatte er je zwei glücklichere Menschenkinder gesehen? „Guten Morgen, Allerseits!“ „Onkel Iroh.“ „Guten Morgen, General Iroh!“ „Ach, lass das `General´ doch bitte weg, Kind. Was gibt es denn zum Frühstück?“ Händereibend näherte Iroh sich dem Büffet. Beim Beladen seines Tellers zeigte er beeindruckendes Geschick. Es war unmöglich, noch mehr Nahrung auf ein so kleines Stück Porzellan zu häufen. „Siehst Du, mein Onkel isst noch viel mehr als ich.“ In unantastbarer Erhabenheit wurde eine Teetasse an fürstliche Lippen geführt. „Vielleicht hab ich ja auch härter geackert?“ Zuko spuckte Tee über den Tisch und Jin wurde roter als rot. Iroh machte ein unschuldiges Gesicht. „Nun, diese ganzen Hochzeitsvorbereitungen waren doch sehr anstrengend, nicht wahr?“, meinte er milde. „Ja!“, hustete sein Neffe. „Ich bin auch ganz ausgelaugt vom ... Kartenspielen.“ „Zuko!“ „Ja, mein Herz? Soll ich meinem Onkel verheimlichen, dass wir Lanzenstechen gespielt haben?“ „ZUKO!“ Befriedigt sah Zuko, dass es jetzt an seinem Onkel war, sich zu verschlucken. Tja, Auge um Auge, Tee um Tee! Allerdings funkelte Jin ihn Unheilverkündend an, so wechselte er lieber das Thema. „War das Fest bisher ein Erfolg?“, fragte er seinen Onkel, rahmige Butter auf ein dampfendes Brötchen streichend. „Ein rauschender! Ganz exzellente Schausteller! Ich freue mich schon auf heute Abend.“ „Sind auch Jongleure dabei?“, wollte Jin wissen. „Aber ja und was für welche!“, versicherte Iroh. Zuko bemerkte den spekulativen Blick seiner Frau sofort. „Vergiss es, Kobold. Denk nicht mal dran!“ „Ich? Ich denke doch gar nichts …“ Zuko schnaubte nur. „Ich kann´s bis hierher rattern hören. Ich werde es nicht lernen!“ „Spielverderber!“ Iroh wollte sich gerade nach dem Sinn dieser Konversation erkundigen, als er unterbrochen wurde. „Gtn Morgn!“ Ein zerknautschter Sokka schlurfte herein. Er wurde mehrstimmig begrüsst. „AH! Nicht so laut!“, schimpfte er. „Die verdammten Vögel haben auch schon so einen Lärm veranstaltet. Kannst Du Dir kein anständiges Haus kaufen? Mit allen dazugehörenden Mauern und so?“, maulte er Zuko an. „Entschuldige! Meinen Vorfahren ist wohl der Marmor ausgegangen.“ „Wunderschönen guten Morgen!“ Avatar Aang strahlte in die Runde. „Ist das nicht ein toller Tag?“ „Aang, wenn Du nicht Deine laute Klappe hältst …“ Sokka hielt sich den Schädel. „Es gibt ein neues Mittel gegen Kater, Sokka“, grinste Aang. „Abstinenz!“ „Ich glaub, ich muss gleich kotzen!“, knirschte der Spirituosenliebhaber. Der Speisesaal, zu dem nur bestimmte Gäste zutritt hatten, füllte sich langsam aber sicher mit Verwandten und Freunden. Als Ria hereinkam, winkte sie Jin zu sich. „Guten Morgen, Tante Ria“ „Morgen, Missy! Ich … Ich wollte nur wissen … na ja, ihr seid gestern so schnell verschwunden und nicht wieder aufgetaucht, da hab ich mir Sorgen gemacht. Nicht, dass ich dem Jungen irgendwelche Dinge unterstellen will, Gott behüte, aber ...“ Jins Gesichtsfarbe vertiefte sich schon wieder. Ob das jemals wieder besser werden würde? „Tante Ria! Es geht mir gut!“ „Wirklich?“ „Mehr als gut.“, murmelte Jin leise. Das leichte Wundsein brauchte sie ja nicht zu erwähnen. „Das ist schön!“ Ria, im Grunde schon immer ein wenig sentimental, schnäuzte sich. „Ich freu mich ja so für Dich, Knubbelchen!“ Jin umarmte ihre Tante fest. Sela gesellte sich zu ihnen und bald fand sich Jin in einer Frauenrunde wieder, von ihrem Ehemann durch eine komplette Tischlänge getrennt. Dem tiefen Gelächter nach zu urteilen, das von dort zu ihr drang, sah er sich den gleichen, gut gelaunten Sticheleien ausgesetzt, wie sie selbst. „Und? Wie oft musstet ihr das Bett löschen?“, wollte Toph eben wissen. „Ich … wir …“ „Nicht doch!“, kicherte Sela, „Ich habe gehört, sie hätten die ganze Nacht nur `Karten´ gespielt.“ Sie schaffte es, die Anführungszeichen hörbar zu machen. Mist! Dieses `Gerücht´ hatte also schon die Runde gemacht. Schnell schielte Jin zu Zuko, um zu sehen, ob es ihm vielleicht ebenfalls unter die Nase gerieben wurde; bestimmt wäre er nicht erfreut darüber. Natürlich wurde gerieben. Und wie! Aber Jin unterschätzte die stoische Würde ihres Gatten. Wenn Zuko Dinge an sich abprallen lassen wollte, dann tat er dies. Momentan plagten ihn ganz andere Dinge. Verdammt, immer wieder konnte er ihr perlendes Lachen hören, sah ihr  glückliches, leuchtendes Gesicht, das durch den ganzen Raum strahlte. Jetzt sah sie auch noch her … Urplötzlich fand sich Jin in glühendem Gold gefangen. Sie nahm das Plappern der anderen nur noch als entferntes Rauschen wahr, nicht lauter als ihr hämmernder Herzschlag. In Zukos Augen brannte pure Besitzgier. Er wollte sie. In diesem Moment! Ihr Mund wurde trocken, andere Regionen reagierten gegenteilig. „Ich … äh, entschuldigt bitte, ich ... hab ganz vergessen, äh, die Haare zu flechten … Ich bin gleich wieder da!“ Auf dem Weg durch den Saal schlingerte Jin haarscharf an einer Tischkante vorbei und warf fast einen Stuhl um. Mit ihrem ziemlich beschäftigten Hirn (wie viele Details der vergangenen Nacht hatte sie da Oben eigentlich abgespeichert?) fand sie mit Ach und Krach den Weg zu den fürstlichen Gemächern. Sie hatte die Seitentür schon geöffnet, als eine Hand sie packte, hineinschob und die Tür hinter ihr zuschlug. Dann wurde sie gegen ebendiese Tür gepresst. Zuko verlor keine Zeit. Während ihre Münder gierig verschmolzen verschafften sich seine Hände ungeduldig Zugang. „Die Hose für Dich“, keuchte er. „War eine dumme Idee!“ Er schälte sie aus dem Übermantel. Die Köpfe der schmal geschnittenen Seidentunika hielten seiner Ungeduld jedoch nicht stand und prasselten gegen die Wand. Sofort senkte Zuko den Kopf. Durch ihr hauzartes Leibchen hob er die Fülle ihrer Brüste seinem gierigen Mund entgegen. Jin bog keuchend den Kopf zurück und presste seinen an sich. Sein hingebungsvolles Saugen verursachte heftiges Ziehen in ihrem Leib und brachte sie an den Rand der Beherrschung. „Oooh!“ Diese Vorliebe ihres Mannes würde sie noch um den Verstand bringen. „Oh Gott!“ Ihr wurde dermaßen schwindlig, sie wusste nicht, wie lange sie noch würde stehen können. Wollte er die Aktionen nicht langsam in Richtung Bett verlagern? Zuko richtete sich auf, presste sie wieder eng gegen die Tür. Jin riss keuchend die Augen auf. Ein Bett war anscheinend unnötig! Er drang mit so plötzlicher Vehemenz in sie ein, dass ihr ein leiser Schrei entwich. Halb Lust, halb Schock. Krampfhaft klammerte sie sich an Zuko, doch das Einzige, was sie wirklich aufrecht hielt, war die Tür in ihrem Rücken und seine kraftvoll mahlenden Hüften. Agni! Er liebte den Lärm, den sie nun veranstaltete. Mit einer Hand hielt Zuko ihre Hüften gepackt, mit dem anderen Arm stemmte er sich gegen die Tür. Er hielt den Kopf gesenkt. Sein Haar hatte sich gelöst und fiel vor sein angespanntes Gesicht. Er beobachtete sie. Überwältigt von ihrem Rausch schloss Jin die Augen. „Nein! … Sieh mich an!“ Harsch stieß er die Bitte hervor. Keuchend starrten sie sich an. Seine Augen waren ein brodelnder Schmelztiegel an Emotionen, ebenso tief, wie ihre. Er bewegte sich schneller, beinahe grob. Die Tür würde nicht imstande sein, die heftigen Stösse nach Außen hin zu dämpfen, doch das spielte keine Rolle mehr. Da war so vieles, das sie fühlte. Mit Kopf, Herz, Körper und Seele. Alles was sie hatte, liebte diesen Mann. Alles was sie war, gierte nach ihm. So legte sie ihre ganze Sehnsucht in das einzige Wort, das imstande war, diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen. „Zuko!“ Er wisperte Atemloses in ihr Haar. Fast hätte sie es nicht verstanden … „Ich liebe Dich!“ Sie hatte es zwar gewusst, aber noch nie gehört. Tränen mischten sich mit dem feinen Schweißfilm auf ihrem Gesicht, während sie wieder und wieder seinen Namen flüsterte. Zuko ächzte, stützte sich auf seine Ellbogen und küsste sie mit einer Innigkeit, die an Verzweiflung grenzte. Als die Erlösung kam, schnell und überwältigend, wimmerte Jin die ihre atemlos in seinen Mund. Er antwortete mit einem tiefen Grollen. Jin brauchte über eine Minute, um in die Realität zurückzufinden. Die eben erlebte Intensität war beinahe erschreckend gewesen. Langsam stellte Zuko sie wieder auf ihre eigenen Beine. Mit zitternden Gliedern ordnete Mylady sich, so gut es ging. Wie immer war ihr Liebster sehr viel effizienter und schon fertig, als sie sich durch die wirren Haare strich. „Kobold …“ Zögernd blickte Zuko ihr in die Augen. Warum wirkte er denn so unsicher? „Hm?“, machte sie, leicht desorientiert. „Ich … Entschuldige!“ „Was? Was soll ich denn entschuldigen?“ „Ich behandle Dich nicht, wie ich sollte.“ „Ach nein?“ Jin blinzelte. Ging es schon wieder so eine Feuernation-Sitte? „Nein. Ich war viel zu grob!“, stieß er aus. „Anscheinend kann ich mich einfach nicht beherrschen, wenn es um Dich geht.“ Mit beiden Händen fuhr er sich durch die Haare. „Agni! Fünf Mal! Ich muss verrückt sein! Gleich fünf mal mir einer Jungfrau zu schlafen ...“ „Ich glaube, technisch gesehen war ich das nur beim ersten Mal.“ „Jin! Jetzt behaupte nicht, Du wärst nicht wund.“ Das Blut schoss Jin in die Wangen. Schon wieder! „Herrgott, musst Du diese Sachen immer thematisieren?“ „Verdammt, ja! Wenn ich Dir weh tue, schon!“ „Aber das tust Du nicht!“ „Jin, bitte! Ich führe mich auf wie ein Stier auf Testosteron!“ „War das sonst nicht so?“ `Prima Missy! Jetzt Deine Eitelkeit zu befriedigen ist eine Spitzenidee.´ „Was?“ „War das bei Deinen … Mätressen nicht so?“ „Konkubinen! Und nein, es war nicht so! Könnten wir vielleicht beim Thema bleiben?“ „Wir HABEN kein Thema, denn Du tust mir nicht weh!“ „Ich bin viel zu heftig.“ Jin verschränkte die Arme. Drang überhaupt etwas in diesen Drachenschädel? „Zufällig mag ich es, wenn Du heftig wirst!“, fauchte sie. „Ich werd´s bestimmt auch mögen, wenn Du … sachte bist. Aber das können wir ja nächste Woche versuchen, oder nächsten Monat, oder wir ziehen Lose.“ „Als meine Ehefrau hast Du mehr Rücksicht verdient.“ „Ach?! Soll das heißen die wirklich heißen, hirnschädigenden Aktionen sind den Nicht-Ehefrauen vorbehalten?“ „VERDAMMT! DAS IST NICHT DAS THEMA!“ Jin blinzelte. Er hatte sie noch nie so angebrüllt. Was war nur los mit ihm? „Dann sag mir, um was es geht“, bat sie leise. Sie trat vor ihn. Er hatte sein Gesicht halb abgewandt, wie schon einmal … „Zuko?“ „Wenn ich mich nicht beherrsche passieren Dinge, die ich nicht kontrollieren kann“, flüsterte er. „Und das darf nicht sein. Nicht mit Dir!“ Jin spürte, wie alt diese Angst war und wie tief sie sass. „Zuko! Du hast eben schon die Kontrolle verloren. Und Dein schlimmstes Vergehen war, mich anzuschreien. Gott weiß, ich brülle Dich viel öfter an. Wenn Du fauchen willst, dann fauch!“ Sie zog seine Kopf herunter und legte ihre Stirn gegen seine. „Du wirst mir nicht weh tun. Niemals! Ich kann Dein Temperament mehr als verkraften, Drache, sonst würd ich es nicht so lieben!“ „Aber …“ Sie legte zwei Finger über seinen Mund. „Kein Aber!“ Als die Sorge endlich von ihm abfiel, atmete Zuko tief durch. „Na ja“, raunte er, „Du brüllst wirklich öfter.“ „Sag ich doch!“ „Meist wegen furchtbar unwichtiger Dinge …“ „Zuko …“ „Wie Konkubinen.“ „Willst Du eine Ohrfeige?“ „Willst Du einen Kuss?“ Das war, wie Jin fand, eine vernünftige Verhandlungsbasis. Einige Minuten später waren sie wieder auf dem Weg zum Speisezimmer. Jin mit kunstvoll geflochtenem Zopf, neuer Tunika (na ja ... wenigstens war die Farbe ähnlich) und schon wieder Lippen kauend. „Sie werden alle wissen, was wir getan haben.“ „Wie kann man nur so wild auf eine Sache sein und sich dann dafür schämen, mein Herz?“ „Wild? Wer sagt denn, ICH sei wild darauf? DU hast mich doch so angesehen!“ „Ah, ich musste innerhalb des ersten Tages doch die Fünf erreichen.“ „Pah! Ein wirklich ehrgeiziger Feuerbändiger hätte die Sieben angestrebt.“ „Von mir aus, Kobold.“ Seine Augen brannten lichterloh. „Nein! Ich kann nicht mehr!“ Bevor er sie `überreden´ konnte, floh Jin in den Saal. Das Fürstenpaar schaffte es tatsächlich, trotz anders lautender Wetten, den weiteren Festivitäten beizuwohnen. Nur am letzten Abend der insgesamt dreitägigen Feier fehlten sie für unerklärliche zwanzig Minuten („Fon, Du schuldest mir eine Säckchen neuer Pai Cho Steine!“). Die meisten Gäste erklärten rundweg, dies sei das gelungenste Fest aller Zeiten, und sie hätten nie ein passenderes Paar gesehen. Zehn Tage später sass Jin auf einer kleinen, steinernen Bank und lauschte andächtig. „... und wenn Du die Bediensteten nicht duzt, stiftet das nur Verwirrung. Es wird weder als respektlos noch als nachlässig angesehen, Jin. Ich selbst spreche Fon auch mit dem `Du´ an, obwohl ich den allergrößten Respekt für ihn hege.“ „Ja.“ „Gut. Von Dir geduzt werden also Diener, Sekretäre und kleinere Beamte. Ein `Ihr´ deinerseits steht den Beamten erst zu, wenn sie den Titel eines Ministers tragen. Ich hingegen duze auch diese. Kanzler und geistige Würdenträger bekommen, ohne Ausnahme die höfische Anrede des `Ihr´. Ferner gilt diese auch meiner Mutter und meinem Onkel. Bei offiziellen Anlässen selbstverständlich auch mir.“ „Selbstverständlich!“, nickte Jin. Zukos Augen verengten sich. Versuchte sie etwa, ihn zu verkohlen? „Das beruht jedoch auf Gegenseitigkeit, da Dir, als meinem Eheweib, das `Ihr´ ebenfalls … Lachst Du mich aus, mein Herz?“ Er klang ganz sanft. „Nein!“ Mist, sie konnte das Beben in ihrer Stimme nicht unterdrücken. „Ich glaube aber doch.“ Jetzt klang er noch sanfter. Es wurde brenzlig! „Wirklich nicht!“ „Vielleicht möchtest Du, dass Tian Dich in diesen Dingen unterweist?“ „Nein!“ Dieses von-oben-herab-blicken hatte er bestimmt stundenlang vor einem Spiegel geübt. „Ich bin ja schon still! Ich hab mir auch alles gemerkt.“ „So?“ „Ja!“ „Gut. Also weiter! Wo war ich stehen geblieben? Ah, ja ... Staatsgäste werden, jeweils nach ihren Vorlieben behandelt. Die meisten Mitglieder der Wasserstämme, zum Beispiel, werden es nicht gerne sehen, mit etwas anderem als `Du´ angesprochen zu werden, allerdings gibt es auch hier Ausnahmen.“ Jin sass konzentriert und sittsam da und nickte. „Im Erdkönigreich sieht die Sache, wie Du Dir vorstellen kannst, verzwickter aus.“ Agni, ihre Lippen sahen so weich aus, so … „Die Minister … werden sowohl gesiezt, als auch geküsst.“ „Oh? Ich soll also Minister küssen und Feuerfürsten `Ihrzen´?“, murmelte Jin, immer noch ganz brav. „Ich würd es aber lieber umgekehrt machen!“ Als sie aufsah, tanzte Schalk in ihren Augen. „Brillanter Vorschlag, mein Herz!“ „Und so einfach.“ So platzte Tian Fu, persönlicher Assistent Seiner Hoheit, Zukos II, in eine Szene, auf die er ganz gut hätte verzichten können. Von da an setzte sich eine weiterer, brillanter und einfacher Vorschlag endgültig durch: Wer sich dem Feuerlord näherte, während dieser sich in Gesellschaft seiner Frau befand, hatte die Symptome einer Erkältung vorzutäuschen. Lauthals! Von diesem Tag an hatten die Ärzte des Palastes einen horrenden Verbrauch an Kräutern und Honig zu verzeichnen, denn das ständige Geräusper ging doch ganz enorm auf die Stimmbänder. Kapitel 24: Der blaue Drache ---------------------------- Der Nachtmahr Verschließ Dein Herz, verschließ die Tür, Der Nachtmahr stehet schon dafür! Gewährst Du Einlass des Traumes Macht, So wirst Du um den Schlaf gebracht. Verschließ die Tür, verschließ Dein Herz, Der Nachtmahr bringet Angst und Schmerz! Verkriech Dich unter Deiner Deck´, Der Nachtmahr kommet schon um´s Eck´! Er erdrückt Dich im Bett, er erdrückt Dich im Schlaf, Drum schweig lieber still und sei immer hübsch brav! (Alter Kinderreim der Feuernation, genaue Herkunft unbekannt.) Feuerpalast, dreizehn Wochen später „Bastard!“ Zuko runzelte die Stirn. „Nichtsnutziger Bastard!“ Ah! Nur die üblichen Schmähungen. Eine klauenartige Hand packte seinen Ärmel, zog ihn nach unten, auf den Sterbenden zu. „Komm mit!“, röchelte sein Vater. „Du kannst meinen Thron haben! MEINEN THRON!“ Feuerlord Zuko bewegte sich unruhig im Schlaf. Ein leichter Schweißfilm hatte seine Haut überzogen. Er sass auf dem Thron. Es war kalt. Fürchterlich kalt, obwohl rund um ihn hohe Flammen schlugen. Er sass auf dem Thron, ebenso unbewegt wie dieser. Die einzige Regung auf seinem Gesicht, war der flackernde Wiederschein des Feuers. Zuko konnte sich selbst beobachten, losgelöst von diesem reglosen Körper. Dann spürte er es, sah es ... Seine Narbe verschwand; schmolz. Er war unversehrt. Älter. In der schimmernden Oberfläche des Throns spiegelte sich das höhnische Gesicht Ozais. Zuko riss die Augen auf und lag keuchend im Bett. Würde er diesen Albtraum nicht jeden Monat durchleben, hätte er vermutlich um einiges panischer reagiert. Neumond! Es war nur der Neumond. Die große Sanduhr zeigte erst kurz nach zwei Uhr, also würden heute wohl nicht mehr als diese zweieinhalb Stunden Schlaf herausspringen. Er blickte zu Jin, die noch immer tief und fest schlief und betete, sie auch diesmal nicht zu wecken. Vorsichtig zog er den Arm unter ihrem Nacken hervor, zupfte einige seiner Haarsträhnen aus ihren lockeren Fingern und stand auf. Da sie  immer zu frieren schien, sobald er das Bett verließ, hüllte er sie vorsichtig in eine zusätzliche Decke. Dann ging er leise auf die Terrasse hinaus. Alles wie immer. `Es ist alles wie immer, also beruhige Dich!´ Doch da alles wie immer war, beruhigte er sich nicht. Das schaffte er nie. Nicht nach diesem Albdruck. Mit langen, ungeduldigen Schritten begann Zuko auf der Terrasse hin und her zu streifen, die Arme schützende verschränkt. Wann würde sein Vater ihn nur endlich in Ruhe lassen? WANN? Wäre er irgendwann in der Lage, diese Angst abzuschütteln? Die Angst, so zu werden, wie sein Vater? Egal, wie oft ihm beteuert worden war, diese Gefahr bestünde nicht, Zuko wusste es besser! Er war ihm viel zu ähnlich. Nicht nur äußerlich. Er war ebenso verbissen, besass den gleichen unbeugsamen Willen. Kompromissbereit war er nur an geraden Sonntagen und selbst dann nur, wenn er die Lust dazu verspürte. Hinter seiner Vernunft lauerte all zu oft gedankenlose Arroganz und in seinem Kopf geisterten manchmal Stimmen, die ihm sagten, es gäbe einfachere Wege zum Ziel, als die, die er gewählt hatte. Es gab schließlich nicht viel, das dem Feuer widerstehen konnte. Würde er es merken, wenn ihm das eigene Wesen entglitt? Hatte sein Vater es bemerkt, als dieser fanatische Wahn ihn völlig in Besitz genommen hatte? Ozai war nicht immer so gewesen, wie zuletzt. Wie oft hatte er seiner Mutter dies sagen hören? Wie oft hatte ihn das vor die Frage gestellt, wann er wohl der selben Selbstentfremdung zum Opfer fiel? Würde sie das Selbe über ihm sagen? Würde Jin mit der gleichen, tiefen Trauer, in den Augen sagen: `Er ist aber nicht immer so gewesen!´? Würde sie sich daran erinnern, wie es war, ihn zu lieben? Bei allen Göttern! Hatte er wirklich das Recht gehabt, sie an sich zu binden? Zuko harkte mit den Fingern durch sein Haar und verfluchte seine Zweifel. Sie waren schon früher schlimm genug gewesen, doch nun galt jede seiner Sorgen in doppeltem Maße seiner Frau. Was, wenn er es nicht schaffte, dass Jin glücklich blieb? Was, wenn er den Kampf gegen die kalte Stimme in seinem Inneren eines Tages verlieren würde? Agni sei Dank plagten ihn diese Selbstzweifel nur bei Neumond, sonst würde er noch verrückt! Jin blinzelte müde. Zuko war nicht da. War es wirklich schon Zeit für den Tento? Sie hatte das Gefühl, nur drei bis vier Stunden geschlafen zu haben. Der phosphorisierenden Sand der Uhr zeigte ihr, dass sie damit richtig lag. Ein großer Schatten strich an den gläsernen Türen vorbei und Jin setzte sich  abrupt auf. In der Finsternis konnte sie nur erkennen, wie jemand auf der Terrasse hin und her ging. Hatten die Wachen einen Eindringling übersehen? Aber welcher Heimlichtuer hätte den Nerv, vor dem Schlafgemach des Feuerlords herum zu tigern? Jin schlüpfte aus dem Bett, in einen warmen Hausmantel. Nein, das da draußen war kein Eindringling. Die Bewegungen dieses undeutlichen Schattenrisses kannte sie nur zu gut. „Zuko?“ Da sie in der kalten Nachtluft fröstelte, wickelte Jin sich enger in den Kimono; wie immer trug sie lieber seinen. Der Schemen hielt inne. „Was tust Du denn da?“, fragte sie irritiert. „Nichts! Geh schlafen!“ Ah. Nichts! Na dann … Jin tastete nach den Zündhölzern, die auf einem kleinen, gusseisernen Tisch rechts von ihr liegen mussten. Nachdem sie fündig geworden war, entzündete sie einen dreiarmigen Kandelaber. „Geh zu Bett, Jin!“ „Mach ich. Sobald Du mir sagst, was los ist!“ „Nichts! Das sagte ich bereits!“ Da war wohl jemand gereizt. „Wenn `nichts´ los ist, unterlässt Du es normalerweise nachts wie angebrannt durch die Gegend zu rennen“, meinte Jin sanft. „Gibt es ein neues Gesetz dagegen?“, knurrte Zuko. „Nein …“ „Dann, bei allen Feuern, geh wieder schlafen!“ „Schön, dann sag mir eben nicht, was Dich quält.“ Sie versuchte WIRKLICH, nicht gekränkt zu klingen. „Fein! Gute Nacht!“, sagte ihr Gatte knapp. „Zuko ...“ „Verdammt Jin, lass mich endlich in Ruhe!“ Endlich? ENDLICH? „Schön! Viel Spass noch beim lustigen Grübeln!“, fauchte sie aufgebracht. Jin kochte! Was zum Teufen war denn nur wieder los mit ihm? Nun, ER würde nicht damit rausrücken, soviel war klar. Sie blies die dummen Kerzen wieder aus, was ein Fehler war, denn auf dem Weg zum Bett machten Ihre Zehen Bekanntschaft mit einem Tischbein. Ihre folgenden, deftigen Flüche schlossen den eigenbrötlerischen Tyrannen vor den Fenstern mit ein. Natürlich konnte sie für den Rest der Nacht ebenso wenig schlafen, wie Zuko. Sie lag da und starrte besorgt auf die unruhig umherwandernde Silhouette. So kam es, dass ein äußerst übel gelauntes Herrscherpaar einen Tag begann, der fürchterlicher nicht hätte sein können. Unter der schauderhaften Stimmung seiner Lordschaft hatten unter anderem Fon, Tian Fu, vier Minister und ein Maître des Sauces zu leiden, der es gewagt hatte, eigenmächtig eines der Lieblingsrezepte des Feuergesalbten abzuändern. Jins Laune war um keinen Deut besser. Sie wuselte rastlos im Palast herum, steckte ihre Nase in Dinge, die sie nichts angingen (das schien heute das Hauptproblem zu sein … das DINGE sie nichts angingen, vielen Dank auch!) und eckte überall nur an. Was sie auch tat, sie erntete nur schockierte Blicke, oder unterdrücktes Keuchen. Egal, ob sie in Töpfe gucken oder nur Blumen schneiden wollte. Sie musste sich dringend eine Beschäftigung suchen. Diesen blöden, viel zu großen Palast zu erkunden wäre ja mal ein Anfang. Ihren Leibwächter im Schlepptau machte sie sich daran, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Mit viel Glück bräuchte sie Zuko auf diese Weise für die nächsten zehn Jahre nicht mehr auf die Nerven zu gehen. Die vielversprechendste Tür fand sie ein Stockwerk über ihren eigenen Privatgemächern. Natürlich war das dumme Ding verschlossen. An jedem anderen Tag hätte Jin die Sache vermutlich auf sich beruhen lassen, aber heute war sie nicht gewillt eine weitere Schlappe einzustecken. Schließlich war sie ja auch jemand, oder? Also musste der Schlüssel her! Es benötigte eine volle halbe Stunde knallharter Überredungskunst ihn zu bekommen. In diesen endlosen dreissig Minuten war Jins Einbildungskraft schon zu Höchstform aufgelaufen, so dass sie beim Öffnen der Tür ahnungsvolle Schauer durchliefen. Sie quietschte überaus seltsam. So hohl und kalt. Es war so ziemlich der größte, prunkvollste und imposanteste Raum, den Jin je gesehen hatte. Und er strahlte eine unglaubliche Kälte aus. Von dem Moment an, in dem sie über die Schwelle trat, kam sie sich beobachtet vor, als folge ihr ein hasserfüllter Blick. Vielleicht war es doch keine so gute Idee hier zu sein? Sie wollte bereits wieder gehen, als ihr Blick auf ein riesiges Wandgemälde fiel. Es war in den Schatten verborgen und vermutlich hätte sie es gar nicht entdeckt, hätte nicht in genau diesem Augenblick ein schmaler Sonnenstrahl ein goldenes Augenpaar aufblitzen lassen. Zuko? Zögernd ging Jin darauf zu. Nein! Das war nicht er. Was für ein lächerlicher Gedanke! Der Blick dieser kalten Augen ließ sie zittern. Aus einem überaus schönen, hochmütigen Antlitz starrten sie auf den Betrachter herab. In ein paar Jahren würden Zukos Züge eine exakte Kopie dieses Gesichts darstellen. Bis auf die Narbe. Die Narbe, die er diesem Mann zu verdanken hatte. Jin blickte in die toten, in Öl gebannten Augen des früheren Feuerlords. Schritt für Schritt näherte sie sich, unfähig den Blick abzuwenden. Dies also war Ozai. Der Vernichter. Ozai, der Grausame. Ozai, Vater ihres Gatten. Seltsame Stimmen wirbelten durch ihren Kopf; bedrohlich, angstvoll, gequält, während sie weiterhin wie hypnotisiert in diese Augen starrte ... „Jin!“ Wie ein Peitschenknall gellte ihr Name durch den Raum. „Was zum Teufel tust Du hier?“ Mylady war erschrocken herumgewirbelt. Nun sah sich sich einem wutentbrannten Ehemann gegenüber. „Ich wollte nur …“ „Raus hier!“ „Aber …“ „SOFORT!“ „Zuko …“ „Verschwinde, Jin!“, zischte er erbost. Wie vom Donner gerührt starrte Jin ihn an, konsterniert, wie knapp er sie herumkommandierte. „Wie ... Ihr wünscht!“, würgte sie schließlich hervor und stürmte an ihm vorbei. Blind rannte sie in ihre … nein, SEINE Gemächer zurück. Ihr gehörte hier rein gar nichts! Es schien höchste Zeit, mal wieder ordentlich zu heulen. Während seine Gemahlin sich bereits ihrem Elend hingab, stand Feuerlord Zuko wie vor den Kopf gestossen in den Räumen seines verstorbenen Vaters. Er spürte die gleiche Beklemmung, die ihm schon damals die Luft zum Atmen genommen hatte. Wie konnte es sein, dass er nach all der Zeit immer noch diesem Gefühl der Scham und Minderwertigkeit erlag, wenn es um seinen Vater ging? Es war nur ein Zimmer, nichts weiter, und doch vermochte Zuko sein Unbehagen nicht abzuschütteln. Auf diesem Sessel dort hatte Azula gesessen, als … Abrupt drehte er sich um. „Lasst die Gemächer versiegeln! Ich will sämtliche Schlüssel dafür ausgehändigt bekommen!“, befahl er seinen Wachen und eilte in Richtung Arbeitszimmer davon. Zwei Stunden später beschloss Zuko, sich genug abgeregt zu haben, um sich mit seinem Eheweib auseinanderzusetzen. Vielleicht hatte er vorher doch leicht über reagiert. Aber sie in diesen Räumen zu sehen, hatte ihm seine Angst allzu deutlich vor Augen geführt. Diese Furcht, die unkontrollierbare, manchmal dunkle Seite seines Wesens könne sie eines Tages in die Flucht schlagen. Paradoxerweise handelte er dadurch genau so, wie er es in jedem Fall vermeiden wollte: streitsüchtig, ungerecht und aggressiv. Er fand sie in den Privatgemächern. Sie sass auf einer Fensterbank und sah in die Gärten. Als er sich näherte, versteifte sie sich. „Jin?“ „Ja?“ Sie klang nicht wütend. Instinktiv beurteilte Zuko dies als eher schlechtes Zeichen. „Warum sitzt Du nur da?“ „Ich versuche nichts Falsches zu tun. Oder ist diese Fensterbank nur für Morgens? Soll ich mich anderswo niederlassen?“ „Unsinn!“ „Gut! Dann bleib ich hier.“ Es hatte wohl keinen Sinn, lange um kochende Lava herum zu reden. Am besten kam er gleich auf den Punkt. „Jin, wenn ich Dich von etwas fern halten will, oder Dir etwas verweigere, habe ich gute Gründe dafür!“ Na, wie beruhigend. Er hatte also gute Gründe, sie von sich fern zu halten. „Du weißt, dass Du Dich ansonsten völlig frei bewegen kannst.“ „Oh … schön! Gilt das für all Deine Gemächer, oder nur für Dein Schlafzimmer?“ „Jin!“ „Was? Findest Du diese Frage unberechtigt?“ Jin sprang auf, als ihre erzwungene Ruhe zu bröckeln begann. „Ich nicht! Es schein nämlich unglaublich viele Bereiche zu geben, die mich nichts angehen oder in denen ich mich falsch verhalte. Der einzige Ort, an dem ich Dich zufrieden stelle, ist anscheinend das Bett! Aber wahrscheinlich bilde ich mir selbst DAS nur ein. Ich hatte mir nämlich auch eingebildet, Dein Vertrauen zu besitzen.“ Ihre Finger verkrampften sich. „Lächerlich, nicht wahr?“ „Das ist das Dümmste, das Du je von Dir gegeben hast Jin!“, stieß er aus. „Tatsächlich? Na dann muss es ja wirklich unglaublich dumm sein!“ „Jin, Du kannst nicht meinen, was Du sagst!“ „Ich mein jedes Wort so!“, rief sie, „Ich will wissen, wo ich etwas zu suchen habe und wo nicht. Ich habe nämlich keine Lust mehr, mir die Finger zu verbrennen, nur weil ich Dinge tue, die mir nicht zustehen! Am besten setze ich mich in einen Sessel und sticke Blumen auf Taschentücher. Und ganz bestimmt werd ich nicht mehr versuchen Dich zu verstehen, oder Deine Sorgen zu teilen, da sie Dir ja so ungemein heilig zu sein scheinen.“ Zuko starrte aus dem Fenster. Sie hatte Unrecht! Er verweigerte ihr doch Nichts! Oder? „Es gibt Dinge, die ich mich wahrscheinlich nie loslassen werden“, gab er leise zu. „Und ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen kann.“ „Hast Du Dir mal überlegt, dass das exakt der Grund sein könnte, aus dem sie Dich nicht loslassen?“ Er blieb stumm. „Es gibt also Dinge, die Du mir noch nicht sagen kannst? Fein! Ich kann warten! Doch wenn Du nicht einmal meine Nähe oder meinen Zuspruch akzeptierst, dann tut mir das weh, Zuko! Ich … ich dachte eigentlich, wir wollten unser gesamtes Leben teilen, nicht nur einige Bruchstücke davon.“ Zuko ballte die Fäuste. „Wir teilen nicht nur Bruchstücke!“, knirschte er. „Aber Du hast mich heute zwei mal fortgejagt! Und behaupte nicht, es wäre nicht so gewesen.“ „Jin, Du weißt nicht, wie es ist!“ „Nein! Und ich werd´s auch nie wissen, wenn Du nicht versuchst, es mir zu erklären.“ Endlich wandte sich ihr zu. „Was, wenn Du eines Tages bereust es zu wissen?", flüsterte er. "Was soll ich tun, wenn Du in mich blickst und etwas siehst, das Dich entsetzt? Was, wenn ich dann nicht mehr der sein sollte, für den Du mich gehalten hast?“ Unruhig flackernde Augen hielten Jins Blick fest. „Ich habe unzählige Dinge getan auf die ich nicht stolz bin, Jin, aber damit kann ich leben. Ich weiß jedoch nicht, was noch sein wird. Ich entstamme nämlich zufällig einer Linie größenwahnsinniger Irrer!“ „Zuko!“ Jin legte ihre Hand über sein Herz. „Du bist doch nicht wie sie!“ „Nein?“ Er entzog sich ihr, drehte sich um und starrte wieder aus den Fenstern. „Und warum träume ich dann jeden Neumond davon?“, raunte er. „Warum habe ich ein und denselben Traum, Monat für Monat? Sitze auf diesem verdammten Thron und verwandle mich in meinen Vater? Und denke nicht, ich sei ihm nicht ähnlich, Jin, denn das bin ich! Ich bin ebenso von meinen Zielen besessen, ebenso herrisch und aufbrausend. Vielleicht werde ich auch ebenso verrückt und machthungrig wie er ...“ Jin konnte ihn nur fassungslos ansehen. Wie, um alles in der Welt, hatte er es ausgehalten, diese Ängste für sich zu behalten? „Zuko!“ Sie umarmte, was sie von ihm zu fassen bekam, schmiegte ihr Gesicht in das Haar auf seinen Rücken. „Dein Vater hatte vielleicht ein ähnliches Temperament, aber er hatte einen völlig anderen Charakter! Du wärst zu diesen Dingen niemals fähig. Glaubst Du allen Ernstes, Du könntest ein Kind brandmarken? Denkst Du, Du könntest den Befehl erteilen, eine Familie auszulöschen, oder ein ganzes Dorf? Du hast es in Ba Sing Se nicht mal über Dich gebracht, einen kleinen Taschendieb der Polizei  zu übergeben; Du weigerst Dich beharrlich die Steuern zu erhöhen, bis es Deinen Leuten besser geht. Ich kenne Niemanden, der ein größeres Gerechtigkeitsempfinden hat, als Du. Und ausgerechnet Du hältst es für möglich, wie Dein Vater zu werden? Wie kannst Du so etwas denken?“ Sie drückte ihn so fest sie konnte an sich. „Ich hab Ozais Augen gesehen, Drache, und wenn sie auch nur annähernd so waren, wie auf diesem Bild, dann lass Dir gesagt sein, Du könntest niemals so kalt sein. Niemals! Dafür ist Dein Feuer viel zu hitzig!“ „Jin … er war früher anders. Frag meine Mutter, oder meinen Onkel.“ „Anders? Wenn er anders war, heißt das noch lange nicht, dass er so war wie Du!“ „Woher willst Du das wissen?“ Plötzlich ging Jin auf, dass es auch auf ihrer Seite Dinge gab, die sie bisher für sich behalten hatte. Sie dachte an ihre Drachenträume. „Du denkst vielleicht, ich würde Dich noch nicht gut genug kennen, Zuko, aber da irrst Du Dich! Ich kenne Dich. Das hab ich vom ersten Augenblick an getan.“ Kurze Bilder durchzuckten Jins Geist. Der schreckliche, furchteinflößende Traum, in dem der rote Drache seinen Bruder getötet hatte. „Ich weiß zu was Du fähig bist und zu was nicht!“, flüsterte sie. „Und die Grausamkeiten Deines Vaters gehören ganz bestimmt nicht dazu.“ Zuko drehte sich um. Stumm sah er ihr in die Augen. Dann presste er sie schließlich eng an sich. „Wie kannst Du nur einen solchen Glauben in mich haben, Kobold?“, flüsterte er rau. Jin biss sich auf die Lippe. Sollte sie ihm erzählen, wie speziell ihre Bindung wirklich war? Er würde das ganz bestimmt als sentimentales Geschwätz abtun. „Wie kannst Du ihn nicht haben, mein Schatz?“, wisperte sie. „Nun, zum Beispiel, weil ich mich Dir gegenüber heute ganz schauderhaft benommen habe.“ „Hm … meinst Du, ich muss zukünftig eine Strichliste führen?“ Er zuckte kläglich mit den Schultern. Manchmal war sein Humor irgendwie auf Urlaub, oder machte gerade Mittagspause. „Zuko! Schließlich hab ich auch ganz schön was angestellt. Ich hab die Gemächer Deines Vaters öffnen lassen. Hätte ich das gewusst, dann … Ich wollte keine alten Wunden aufreißen!“ „Das weiß ich, mein Herz.“ „Und ich weiß, dass Du nicht so eklig sein wolltest.“ „Eklig war ich also, hm?“ Zärtlich steifte er ihre Nase mit seiner. „Ja.“ Sie zog seinen Kopf tiefer und küsste die Narbe. „Ganz fürchterlich!“ Zuko knabberte sanft an ihren Lippen. „Ich sollte das nicht tun“, murmelte er. „Warum … denn nicht?“ Ihr Kuss war lang und innig. „Privataudienzen.“ Jetzt wurde der Kuss leidenschaftlicher und Jin begann die Finger mit einigen seinen rabenschwarzen Strähnen zu verknoten. „Privat klingt doch wundervoll!“, hauchte sie. „Oh nein! Nichts da!“ Er machte sich los, bevor das hier noch ausartete. „Ich werd jetzt gehen. Sie warten bestimmt schon.“ „Warum bist Du dann noch hier, Flammengekr…“ Das Wort ging in ihrem Quietschen unter. „Den Rest Deiner Strafe verpasse ich Dir heute Nacht.“ „Tyrann!“ „Frechdachs!“ Jin sah ihm nachdenklich hinterher. Wieder einmal schien es, als sei seine Vergangenheit ein tiefer, schwarzer Schlund, den sie nie vollkommen würde ausloten können. Manchmal wünschte sie sich, sie könnte sehen, was er durchlebt hatte und manchmal hatte sie einfach nur Angst davor. Sein Gesicht, als er in den Gemächern seines Vaters gestanden hatte … Er hatte ausgesehen, als stünde er einer ganzen Armee ruheloser, schauderhafter Geister gegenüber. Bestimmt war es besser, ihn nicht auch noch mit ihren Sorgen zu belasten. Denn seit drei Wochen waren die Drachenträume zurück. Aber nur die schlimmen! Sie rissen Jin, eng an ihren Mann gekuschelt, zwar nicht mehr aus dem Schlaf, doch sie ängstigten sie mehr, als sich sich selbst eingestehen wollte. Sie brauchte Dringend Rat! Und sie wusste auch, wo sie ihn finden konnte. Es klopfte zögerlich an der Tür zu General Irohs Gemächern. „Komm herein, Jin!“ „Woher wusstet Ihr, dass ich es bin?“ „Nun, die Diener benutzen eine andere Tür und Ursa oder Zuko klopfen bei weitem energischer.“ „Störe ich?“ „Aber nein. Niemals! Ich bin mit dieser Kaligraphie ohnehin beinahe fertig.“ Bedächtig setzte er einen letzten Pinselstrich. „Setz Dich doch bitte zu mir. Was hast Du auf dem Herzen, Kind?“ Jin tat wie geheißen und nagte an ihrer Unterlippe. Wie sollte sie dieses Thema nur anschneiden? Am besten frontal. „Hatte ... Tatzu einen Bruder?“ Alarmiert blickte Zukos Onkel auf. „Ja! Warum?“ „War … war er blau? Ich meine, als Drache?“ Der Pinsel wurde achtlos beiseite gelegt. „Ja.“ Er beobachtete Jin scharf. „Du hast wieder geträumt, nicht wahr?“ Sie nickte. „Sein Name war Arkun“, seufzte Iroh. „Er war der Jüngere der Beiden.“ „Weiß man … wie ... wie er gestorben ist?“ Er nahm Jins Hände sanft in seine und blickte sie forschend an. „Ja. Aber warum erzählst Du mir nicht, was Du gesehen hast?“ Jin schluckte. „Er … Er hat ihn getötet, nicht wahr? Tatzu hat seinen eigenen Bruder getötet!?“ Der General zögerte kurz. „Ja, das stimmt. Aber er tat es, weil er es musste!“ „Was hat sein Bruder denn so schreckliches getan, um das zu verdienen?“ „Er war vollkommen verblendet, Jin. Vor Hass, vor Rachsucht. Tatzu hat lediglich sein Weib beschützt. Sein Weib und sein ungeborenes Kind! Arkun hatte versucht Hsui zu töten, und nach allem was wir wissen, nicht nur einmal.“ „Er wollte Hsui umbringen?“ „Ja. Er hasste sie. Hasste sie ebenso sehr, wie alle andern Erddrachen.“ „Ich … in Ba Sing Se hatte ich geträumt, dass Arkun mich verflucht, aber dann waren die Albträume weg. Und ich habe keine Ahnung, warum sie jetzt wieder kommen.“ Sie sah auf, in diese weisen, gütigen Augen. „Ich hab Angst!“, flüsterte sie. „Jin, Mädchen!“ Warm drückte er ihre Hand. „Da bist Du nicht die Erste. Viele Fürstinnen berichteten von ähnlichen Dingen während, äh ... also, als sie …“ Iroh konnte winzige Schweißperlen auf seiner Stirn fühlen. „Du … bist Du … Ich meine, hast Du vielleicht eine Weile … wann hattest Du zuletzt, äh …“ „Mein Gott!“ Jin schlug die Hände vor den Mund. „Ich … MEIN GOTT!“ Die Zahlen überschlugen sich fast in ihrem Kopf. Er hatte Recht. „Ein Baby?!“, hauchte sie. „Ich ... bekomme ein Baby?“ Sie fiel ihm um den Hals. „Ist das nicht ein Glück?“, murmelte der Drache des Westens heiser und gab seiner Schwiegernichte einen Kuss auf die Stirn. Zehn Minuten später sass Jin vor der unvermeidlichen Tasse Tee und köstlichem Gebäck. Zum wiederholten Mal ließ sie die Hände über ihren Bauch gleiten. „Es fühlt sich noch gar nicht schwanger an!“ „Ich bin leider kein Experte auf, äh … diesem Gebiet.“ Selig rechnete Jin nach. Zum wahrscheinlich hundertsten Mal. „Über was würde Zuko sich wohl mehr freuen? Ein Junge, oder ein Mädchen?“ „Ich bezweifle, dass es für ihn einen Unterschied macht.“ „Glaubt Ihr, es wird gesund?“, fragte sie bang. „Alle Kinder unsrer Familie werden kerngesund geboren, Jin.“ Diese Aussage erinnerte Jin an seine Bemerkung von vorher. „Ihr sagtet, die Frauen der früheren Lords hätten ebenfalls solche Träume gehabt.“ „Das, wovon berichtet wird sind eher diffuse Vorahnungen. Manche nur leicht, andere beklemmend. Der Sage nach wird die Essenz eines Drachen niemals ganz vernichtet. Und so heißt es, Arkun werde immer wieder die Nachkommen seines Bruders heimzusuchen. Seine Seele wird in ihren Reihen immer wiederkehren und unter den Kindeskindern Tatzus wird Zwietracht und Missgunst herrschen, bis ...“ Vor Schreck hatte Jin ihre Tasse umgestossen. „Kann das auch meinen Kindern passieren?“, platze sie heraus. „Nein, Jin“, beschwichtigte Iroh sie. „Vor langer Zeit habe ich von einer Prophezeiung erfahren. Allerdings hielt ich sie damals für Unsinn. Ich ... hielt all diese Dinge für Unsinn, bis mein Lebensweg mich zwang, mich auch anderen Realitäten zu stellen. Die Prophezeiung besagt, dass der Fluch des blauen Drachen gebrochen wird, wenn Tatzu seine Gefährtin wieder findet und eine Zeit des Friedens anbricht. Soweit ich das beurteilen kann, ist Beides eingetroffen!“ „Aber, dann hätte ich doch diese Träume nicht mehr“, flüsterte Jin. „Nun, Du erwartest ein Kind. Das macht Dich vermutlich empfänglicher für die verschütteten Erinnerungen Deiner Seele. Vielleicht spürt Arkun seine Macht schwinden und versucht ein letztes Mal, Deine Gedanken zu vergiften. Aber, wie auch immer: Er besitzt nicht mehr die Kraft Dir zu schaden!“ Jin nickte zögernd. Waren es nun Erinnerungen, die sie heimsuchten, oder die gemarterte, aufbegehrende Seele eines Drachen? Und was war mit Zukos Träumen? „Aber Zuko … Er hat ebenfalls Albträume. Jeden Monat!“ Iroh seufzte. „Ich weiß. Er hat sie, seit Ozai starb. Wenn es um seinen Vater geht, wird Zuko vermutlich immer zerrissen sein. Es ist schwer, von einem Menschen, den man um jeden Preis lieben will, nichts als Ablehnung zu erfahren. Es hat lange gedauert, bis Zuko die Hoffnung nach Ozais Zuneigung aufgab und es wird noch länger dauern, bis er seine Schuldgefühle aufgibt. Der Rest der Welt hat ihn dafür gefeiert, zu Ozais Tod beigetragen zu haben, doch für ihn selbst sieht das Ganze ein bisschen anders aus. Er hat seinen Vater getötet. Nicht mehr und nicht weniger. Aber zumindest plagt ihn diese Sache jetzt nicht mehr jede Nacht, sondern nur noch einmal im Monat. Am Anfang hatte ich Angst, es könne ihn dauerhaft aus dem Gleichgewicht bringen, doch das war, Agni sei Dank, nicht der Fall. Er ist viel stärker, als seine Erinnerungen oder seine Zweifel es sein könnten.“ Kurz überlegte Jin, ob sie das Recht hatte, das komplizierte Innenleben ihres Gatten vor dessen Onkel auszubreiten, aber da dieser Mann für Zuko wie ein Vater war, beschloss sie, das Risiko einzugehen. „Er träumt aber nicht nur VON ihm ... Er ... Zuko träumt davon so zu werden, wie Ozai.“ „Was?“ Iroh klang entsetzt. „Agni! Der arme Junge. Kein Wunder ist er danach immer explosiv wie ein Feuersalamander.“ „Und dann hab ich auch noch diesen dummen Fehler gemacht“, gestand Jin kleinlaut. „Fehler?“ „Ich … hab eine verschlossene Tür öffnen lassen. Sie, äh, … es hat sich herausgestellt, dass es die Tür zu Ozais Gemächern war.“ Iroh holte Luft. „Bei Agni, Jin! Das … Du darfst es dem Jungen nicht verdenken, wenn er unangenehm wurde. Er … in diesen Räumen musste Zuko ziemlich schlimme Dinge mit ansehen. Sie sind aus gutem Grund verschlossen. Doch wenn er einsieht, dass Du nicht wusstest, was Du tust, wird er Dir mit Sicherheit verzeihen.“ „Das hat er schon. Aber ich hab trotzdem ein schlechtes Gewissen. Erst quälen ihn seine Träume und dann komm ich noch mit sowas!“ „Doch die Tatsache, wie schnell er Dir verziehen hat, zeigt nur, wie viel stärker euer Band ist, als die alten Verwünschungen eines boshaften Drachen. Arkun kann euch nichts anhaben, Jin.“ Er bemerkte immer noch leichte Zweifel in ihrem Blick. „Warte … ich hoffe, mein verbrauchter Schädel bringt diesen Vers noch zusammen. Keine Ahnung, warum sich diese alten Prophezeiungen immer reimen müssen! Es macht sie nicht gerade verständlicher.“ Iroh legte kurz die Stirn in konzentrierte Falten und begann dann zu zitieren. „Hass des Bruders, Zorn des Drachen, wirst vergebens Deine Brut bewachen! Such Deine Liebe, such Dein Herz, so endest Du der Kinder Schmerz! Durch Äonen von Leid, erkenne Dein Weib. Du wirst sie suchen, sie wird Dich finden! Und Glück wirst auf ewig Du an euch binden.“ „Glaubst Du mir jetzt, Jin?“ Seine neue Nichte dachte nach und atmete schließlich tief durch. „Ja!“, sagte sie und blickte ihn merkwürdig an. „Es sollte auch ein Gedicht für weise, kluge Onkel geben, die Iroh heißen.“ Iroh rieb sich die Nase und wurde ein bisschen rot. „Oh, die! Na ja, die es gibt sind eher ... äh, unpassend! Sie beziehen sich auf … andere Dinge, Du weißt schon.“ Jin musste so lachen, dass sie schon befürchtete, jemand in ihrem Bauch müsse Seekrank werden. Nach diesem Gespräch machte sich Jin daran, diverse Vorbereitungen zu treffen. Man eröffnete dem Feuerlord schließlich nicht alle Tage, Vater zu werden. So kam es, dass eine äußerst gut gelaunte Herrschergattin einen Abend plante, der wundervoller nicht hätte sein können. Kapitel 25: Aus Leuten werden Kinder ------------------------------------ Ratte visierte seine Beute an. Der kleine Salamander würde lächerlich einfach zu fangen sein. Jedenfalls für einen derart unvergleichlichen Jäger wie ihn! Dass dies ein bedauerlicher Irrtum war bemerkte der Kater leider erst im Sprung, denn eine kleine Explosion versenkte ihm die Schnurrhaare. Fauchend, in seiner Ehre zutiefst gekränkt, rannte er um die nächste Ecke. Was für ein fürchterliches Land das hier doch war! Schön, es war warm. Sonnenplätze für die unterschiedlichen kleinen Nickerchen, die so ein Tag erforderte, fanden sich zuhauf. Auch seine Schüsseln waren mit den leckerste Dingen randvoll gestopft, aber als Jagdrevier war dieses neue zu Hause, mit Verlaub gemaunzt, beschissen! Alles hier war entweder heiß, sauheiß oder brannte lichterloh, wenn man es angriff. Ratte brauchte dringend Trost. Wo war diese Menschin, wenn man sie brauchte? In letzter Zeit nahm sie ihre Pflichten überhaupt nicht mehr Ernst. Anscheinend hatte sie sehr oft besseres zu tun, als stolze, schöne, kuschlige Kater zu streicheln. Es wurde Zeit, ihr diese Vernachlässigung vor Augen zu führen. Die Suche gestaltete sich, Dank seines formidablen Geruchssinns läppisch leicht. Nur das Ergebnis war … ernüchternd. Er hatte sie zwar gefunden, aber in diesem Stadium war sie für ihn völlig nutzlos. Sie schmuste mal wieder mit dieser Testosteron-Fabrik herum. Dieser Riesenkater da dünstete aus jeder Pore so viel Pheromone aus, da kam einem spontan das Gewölle hoch! Aber gut, manche hatten´s eben nötig. Rattes jammervolle `armer kleiner Kater´ Solovorstellung verpuffte unbeachtet am Fussknöchel seiner Besitzerin. So was instinktloses! Dann würde er sich eben der dicken Sahne widmen, die bestimmt schon auf ihn wartete. Dazu gab es hoffentlich fangfrischen Mondfisch, oder vielleicht sogar Fasanenleber … Ratte verfiel in leichten Galopp. Na gut. Vielleicht war hier doch nicht ALLES schlecht. Jin war in der Tat zu beschäftigt, um den theatralischen Annäherungsversuchen ihrer Katze Aufmerksamkeit zu schenken. Nach einem ganz köstlichen Abendessen, das den uneingeschränkten Beifall ihres Gemahls gefunden hatte, waren sie schon wieder in die wonnetrunkenste Knutscherei verwickelt. Zukos langsame, genussvolle Küsse ließen Jin fast ihre Mission vergessen. Himmel, wenn er DAS unter Strafe verstand, würde sie in Zukunft sehr, sehr unartig sein! Die Hände tief in seinem Schopf vergraben, versuchte sie förmlich in ihn hineinzukriechen. Völlig berauscht gab sie einen wohligen Seufzer nach dem anderen von sich. Als er begann, ihren Hals mit zärtlichen Bissen zu martern, konnten alle Babys der Welt von ihr aus erst mal eine Nummer ziehen und es sich auf der Wartebank bequem machen. Zuko Tatzu hatte es sich offenbar auf die Fahnen geschrieben, seine Ehefrau um den letzten Rest ihres Verstandes zu bringen und sie hieß dieses Schicksal stöhnend willkommen. „Wolltest Du …“ Wieder ein kleiner Biss. „... mir nicht …“ Seine Hände widmeten sich jetzt ihren Brüsten. „... etwas mitteilen, mein Herz?“ Jin ächzte. „Du unterliegst dem fatalen Irrtum, dass ich ... noch denken kann, wenn Du … Ooh!“ Sie rutschte unruhig auf seinem Schoß herum. „Scht! Wenn Du schon wieder so einen Lärm veranstaltest, ist unser Ruf bald ruiniert!“, raunte er an ihre Kehle. Wie konnte er sie noch necken, während sie bereits völlig außer sich war? „Ich kann … nichts dafür!“, keuchte Jin. Zuko erhob sich, während sie sich an ihn klammerte und trug sie bis vor´s Bett. Ein letzter, leidenschaftlicher Kuss, dann drehte er sie langsam um. „Zum Glück“, flüsterte er von hinten an ihr Ohr, „Gibt es hier …“ Seine Hände glitten mühelos unter ihre Tunika. „... genug Kissen.“ Mit dem Kinn schob er die Haare aus ihrem Nacken und knabberte an der empfindlichen, duftenden Haut dort. Nebenbei begannen seine Hände hingebungsvoll ihre Brüste zu kosen, schenkten den kieselharten Spitzen besondere Aufmerksamkeit. Er rieb, drückte und rollte, bis Jins Kopf auf seine Schulter fiel und sie ein langgezogenes Wimmern hören ließ. „Zeit für Deine Strafe, Kobold!“ Seine Stimme klang wie ein Reibeisen. Schnell entledigte er sie der restlichen Kleidung. „Knie Dich hin.“ „Was?“, keuchte Jin. Kurzerhand half Zuko nach und hob sie auf die Matratze. „Es ist ganz einfach.“ Himmel, sie konnte spüren, wie er sich mächtig gegen sie drängte ... „Wenn Du jetzt schreien willst,“ Mit einem harten Stoss nahm er sie in Besitz. „Schrei in die Kissen!“ Für den ersten, kehligen Laut, kam diese Anweisung allerdings zu spät. Jin bog  den Rücken durch und krampfte die Finger ins Laken. Als er begann sich zu bewegen, wurde sie zu einem stöhnenden Bündel Lust. Es fühlte sich so anders an. Unmittelbarer. Sie spürte Alles von ihm! „ZUKO!“ Eine seiner Hände löste sich von ihren Hüften, strich fast beschwichtigend über ihren ins Hohlkreuz geworfenen Rücken. Er hielt sein Haupt gesenkt und biss die Zähne zusammen. Agni! Wenn er weiterhin zusah, würde er sich nicht lange beherrschen können. Blindlings griff er in ihr Haar und warf keuchend den Kopf in den Nacken. Jins Finger waren so fest in die Seide verkrallt, dass sie schmerzten. Jeden seiner erschütternden Stösse spürte sie bis ins Mark, tiefer als jemals zuvor. Hilflos merkte sie, wie ihr alles entglitt, außer dieser rasenden Lust, die sie in ein wimmerndes Tier verwandelte. Sie spürte Tränen auf ihrem Gesicht und schmeckte Blut, weil sie die Zähne zu fest in die Unterlippe gegraben hatte. „Zuko!“ Sein Name kam als zitterndes Schluchzen. „Ja, Kobold ... JA!“, knurrte er. Jins durchgestreckte Arme rutschten Stück für Stück nach vorn, bis sich ihre Brüste gegen das Laken schmiegten und sich im hämmernden Takt seiner Stösse daran rieben. Sie wäre vollends auf die Matratze gesunken, aber seine starken Hände umklammerten ihre Hüften, während er sie erbarmungslos ritt. Trunkener, taumelnder Schwindel erfasste Jin und von endlosen Spasmen geschüttelt, schrie sie in die Kissen. Doch Zuko war das nicht genug. Er hielt nur kurz inne, nahm sie dann noch heftiger. „Nochmal, Jin!“, presste er durch die Zähne. „Nochmal!“ Hilflos ließ sie ihm seinen Willen. Die Kissen dämpften den Ausbruch ihrer Leidenschaft ein weiteres Mal. Bei seinem letzten, wuchtigen Stoss bäumte sie sich auf, so dass ihr hoher, fast schockierter Schrei durch den ganzen Raum gellte, während ihr geliebter Drache sich seiner eigenen Raserei überließ. Zehn Minuten später war Jin noch immer komplett erledigt. „Zuko?“, flüsterte sie zaghaft. „Hm?“, brummte er. Sie vergrub ihr glühendes Gesicht an seiner Brust. „Benehme ich mich wie eine Hafendirne?“ „Was? Wie kommst Du denn auf diesen Unfug? Ich habe Dich wegen unseres Rufs nur geneckt.“ „Ich mach wirklich eine Menge Lärm dabei.“ „Ja. Und ich liebe jeden einzelnen Schnaufer davon! Ende der Diskussion.“ „Aber die Frau des Feuerlords sollte nicht …“ „Was? Leidenschaftlich sein? Das sehe ich aber anders!“ „Aber …“ „Jin, hör auf. Du bist haargenau so, wie Du sein solltest!“ Eigentlich war sie haargenau schwanger. Ach Du meine Güte! Jetzt hatte sie vor lauter ehelichem Vollzug tatsächlich vergessen, ihm das Wichtigste zu sagen. Jin rutschte zum Bettrand und fischte nach dem Morgenmantel. "Was tust Du?“ Mildes Erstaunen schwang in der Stimme des Erhabenen mit. „Aufstehen!“ Jin verknotete den Gürtel. „Ach …“ Auf seine Ellbogen gestützt lag ihr Gatte da und verfolgte halbwegs interessiert ihre Bewegungen. „Ich muss Dir doch noch etwas sagen!“ „Ich kann mich nicht daran erinnern, im Liegen schlechter zu hören.“ „Könntest Du versuchen später witzig zu sein?“ „Ah, aber wenn ich es absichtlich versuche, klappt es doch nie, mein Herz!“ „Zuko!“ „Ja doch.“ Er seufzte und kämpfte sich aus den zerwühlten Laken. „So, ich stehe.“ „Du bist nackt!“ Nicht das sie generell etwas dagegen hätte … Ganz im Gegenteil! „Sehr scharf beobachtet.“ „Zuko! Zieh Dir bitte was über!“ Er stemmte die Hände in die Hüften. „Himmel Jin! Wird´s denn offiziell?“ „Ich möchte mich einfach zivilisiert mit Dir unterhalten.“ Sie warf ihm seinen Kimono ins Gesicht. „Und `zivilisiert´ schließt den Gebrauch von Kleidung ein?“ „Unbedingt!“ „Erdbürger!“ Er verdrehte die Augen, tat ihr aber den Gefallen und wickelte sich in den Morgenmantel. „So! Zufrieden?“ Na ja, zumindest konnte sich ihr Herzschlag jetzt wieder beruhigen. „Hm, ja. Wird schon gehn.“ „Soll ich vielleicht den Odoro aufbügeln?“, fragte Seine Lordschaft sarkastisch. „Sei nicht albern!“ Zuko enthielt sich der Aussage, WEN er hier für albern hielt. „Können wir uns vor den Kamin setzten?“ „Vor den Kamin? Das Feuer ist aus!“ „Das ist ja nichts, was Du mit etwas gutem Willen nicht beheben könntest, mein Gebieter“, erwiderte sein Weib spitz. Jin hatte sich dieses Ereignis zu genau ausgemalt, um sich jetzt von seiner Bockigkeit davon abbringen zu lassen, die geplante Inszenierung minutiös umzusetzen. Zuko seufzte, entzündete ein Feuer im Kamin und ließ sich auf den großen, weichen Kissen nieder, die davor ausgebreitet waren. Bestimmt wollte sie sein heutiges Verhalten in ruhiger, entspannter Atmosphäre erneut analysieren. ER würde ja lieber schlafen. Jin arrangierte den Faltenwurf ihres Kimonos. `Jetzt sei nur nicht so nervös, Missy! Er kennt das mögliche Resultat dessen, was ihr so treibt, schließlich auch!´ „Hast Du´s bequem?“ „Ja …“, antwortete er gedehnt und bedachte sie mit einem schmalen, misstrauischen Blick. Ob ein Kind mit den gleichen, hinreißenden Goldaugen wohl zu viel verlangt war? „Also …“ Oh nein! Welche ihrer kleinen Reden sollte sie denn nun vom Stapel lassen? Zuko verschränkte die Arme. „Ich höre!“ Jins Hirn war leer wie der Brotkorb eines Bettelmönchs. „Wie findest Du meinen Bauch?“, platzte sie heraus. „Äh ... was?“ „Wie findest Du ihn?“ „Deinen BAUCH?“ „Ja!“ „Etwas weniger spannend als vorher, da Du ja darauf bestanden hast, ihn in Seide zu hüllen.“ „Das meine ich nicht!“ Mist! Sie war dabei, die Sache zu vermasseln. „Er ist völlig in Ordnung. Nichts auszusetzen!“ „Gar nichts?“ „Nein.“ „Und … wenn er dicker wäre?“ „Dann wäre er auch gut.“ Ging es hier um eine Diät? Sie hatte ja wohl hoffentlich nicht vor zu hungern, nur um die Silhouette einer Sanduhr zu bekommen, oder was auch immer grade als schick galt. Auf dürr stand er, mit Verlaub, nämlich überhaupt nicht! „Und wenn er so RICHTIG rund werden würde?“ „Jin, es ist mir egal, wenn Du zunimmst. Du wirst mir immer gefallen.“ Das war wieder einmal unglaublich süß, nur hatte Jin leider Wichtigeres zu tun, als darauf einzugehen. „Es gibt aber die unterschiedlichsten Gründe für einen dicken Bauch“, murmelte sie. Jetzt wirkte er alarmiert. Endlich! „Bist Du krank?“ Herrgott noch mal ... Verstand er heute denn überhaupt nichts? „Nein! Nein ich bin NICHT krank! Ich werd nur einen unglaublich dicken, runden Bauch bekommen!“ Er starrte sie an, dann blinzelte er für den Bruchteil einer Sekunde. Sie konnte förmlich sehen, wie Begreifen in sein Hirn sickerte. Allerdings dauerte es ein wenig, bis sich dies auf seine Mimik auswirkte. Zuko schluckte. „Du … Wir …“ „Nun, ich denke `wir´ ist passender.“ „Aber …“ Jins Mut sank. Das hörte sich ja nicht eben erfreut an. „Ich weiß doch gar nicht … Sie sind so winzig!“ Zuko war aufgesprungen und rannte im Zimmer herum. „Du willst keine Babys?“, hauchte Mylady entsetzt. „Ich … Doch! Aber…“ „Entweder Du willst welche, oder nicht! Es gibt bei Kindern kein Aber!“ Ihre Stimme zitterte bedenklich. `Reiß Dich zusammen, Missy!´ „Ich werd´s kaputt machen!“, stieß er aus. „Was?“ „Ich werd´s bestimmt kaputtmachen! Sie sind zu klein! Und sie zappeln immer!“ Er harkte sich durch die Haare. „Ich kann das nicht, Jin! Ich … ich hab noch nicht mal Bücher darüber gelesen. Ich muss das erst üben!“ „Üben? Zuko … andere Leute üben auch nicht! Es ist ein Kind, kein Musikinstrument. Ins schreiende Ende stopfst Du das Essen, und um das andre Ende kümmerst Du Dich zwei Stunden später.“ „Ich werd ein ganz fürchterlicher Vater sein!“ „Warum? Weil Du nicht willst?“ Jin war jetzt ebenfalls aufgestanden. Mit hoch oben verschränkten Armen stand sie da. „Tut mir leid, Dir das sagen zu müssen, aber Du kannst es Dir leider nicht mehr anders überlegen. Das Ergebnis Deines `Austobens´ ist nämlich unterwegs, ob Dir das nun passt oder nicht. Ich konnte ja nicht ahnen, dass für Mylord nur der Trieb zählt und nicht das was dabei rauskommt.“ Ihre Augen glitzerten vor Wut und Tränen. „Ich geh ins Bett! Gute Nacht!“ „Jin!“ Den flehenden Unterton konnte er sich sparen! „Jin!“ Er hielt sie am Arm fest. „Ich hab doch nur … Ich weiß nicht, ob ich das schaffe!“ „Warum nicht?“ Immer noch wütend sah sie ihn an. „Bisher schien Dir der Gedanke an Kinder nichts auszumachen.“ Sie hatte Recht. Er hatte schließlich immer gewusst, dass er für Erben zu sorgen hatte, aber es waren stets abstrakte Geschöpfe gewesen. In ferner Zukunft. „Da war mir wohl nicht bewusst, dass sie zuerst Babys sind. UNSRE Babys. Ich hab schreckliche Angst, etwas falsch zu machen.“ „Es wäre schon genug, wenn Du Dich freuen könntest!“, flüsterte Jin. Als Zuko ihre Tränen kullern sah, hätte er sich am liebsten getreten! „Kobold ...“ Er zog sie an sich und drückte seine Wange an ihren Kopf.„Verzeih mir! Ich freu mich doch! Ich… hab eben einfach nur Angst.“ Er küsste ihre Schläfe. Jin nickte und schniefte dann leise. „Ich werd schon aufpassen, dass Du nichts falsch machst, Drache.“ „Ja! Bitte!“ Warme, trostspendende Hände strichen über ihren Rücken. „Aber willst Du es denn haben? Das Baby?“ „Natürlich will ich es haben, mein Herz!“ Jin lehnte sich gegen ihn und ließ ich wärmen. „Aber Du hättest es mir früher sagen sollen“, brummte er. „Unsre Akrobatik vorher waren bestimmt nicht gut für das Kind.“ „Quatsch! Wird ja schließlich ein Feuerfuzzi oder eine Feuerlise, also wird es das schon abkönnen.“ „Hm. Ich werd das nachlesen!“ „Wenn Du meinst!“ Sie kuschelte sich enger an ihn. „Lass uns schlafen gehen, ich bin furchtbar müde.“ Dem konnte er nur zustimmen. Zu Jins Glück war die gängige Literatur zu diesem Thema der gleichen Meinung wie sie selbst. `Akrobatik´ schadete dem Baby in keinster Weise. Zu Jins Pech gab es aber unzählige andere Dinge, die in diesen Bergen von Büchern standen. Und Zuko II schien jedes einzelne davon auswendig gelernt zu haben. Sie konnte keinen Schritt mehr tun, ohne irgendeine Bemerkung seinerseits. Nein, DAS durfte sie nicht essen, lieber das! War ihr Getränk auch nicht zu kalt? Stufen??? Stufen waren ja sowas von Tabu! Als er sie auf einer Leiter vorfand, weil sie Ratte von einem Schrank holen wollte, bekam er einen zehnminütigen Anfall. Er wollte ihr sogar vorschreiben, wie oft sie sich in der Nacht zu drehen hatte. Wenn sie ihn dann anbrüllte stand er einfach mit gelassen verschränkten Armen und nachsichtigem Blick vor ihr, denn `man´ wusste ja, wie gerne Schwangere übersensibel reagierten. Gerne? Von gerne konnte gar keine Rede sein! Jin genoss es nicht gerade, sich zwei mal täglich zu überlegen, ob sie ihm nun eine Vase über den Schädel ziehen sollte, oder nicht. Wenn Iroh, Ursa oder Ria sich auf ihre Seite schlugen, warf Zuko nur die Hände in die Luft und bezeichnete sie als eine Bande unverantwortlicher Ignoranten. Ja, wenn es um das Thema `Gefahrenquellen für werdende Mütter´ ging, mieden die Leute den Bereich rund um den Herrscher der Flammen wie eine überfüllte Jauchegrube. Nach ungefähr sechs Monaten Schwangerschaft musste Jin ihm allerdings eines zugestehen: mit den meisten Dingen hatte er Recht. Langsam begann sie, die Last des Babys zu spüren und ihr ohnehin wenig graziler, zweckmässiger Gang wurde zu einer watschelnden Katastrophe. Guter Hoffnung zu sein bedeutete wohl auch, die einschlägigen Klischees zu erfüllen. An einem zur Abwechslung mal verregneten Nachmittag sass sie im Lesezimmer in ihrem Lieblingssessel, damit beschäftigt ein kleines Jäckchen zu besticken. Sie fühlte sich irgendwie launisch und irgendwie dick. Dabei hatte sie sich geschworen, nicht so zu reagieren! Das war eben das Dumme an Klischees. Es gab sie nicht ohne Grund. Seufzend legte sie ihre Handarbeit zu Seite. Wo war Zuko nur? Bestimmt hatte er wieder zu `arbeiten´. HA! In Protzerklamotten ein paar eingeschüchterte Beamten durch die Gegend zu scheuchen, parfümierte Briefchen zu verschicken und Licht- oder feuerbändigend im Freien rum zu hopsen war ja wohl KAUM Arbeit. Sie schielte auf ihren Bauch und strich zärtlich darüber. „`Tschuldige! Dein Papa ist ganz toll, egal, was ich grade denke! Vergiss das nicht, ja?“ Meine Güte. Jetzt fing SIE auch noch an, mit dem Ungeborenen zu sprechen. Zuko tat das ständig! Demnächst würde er wahrscheinlich noch irgendwelche Märchenbücher anschleppen. Sie griff nach der kleinen Schüssel, die neben ihr stand. Mist! Leer. Keine Feuerflocken mehr. Seit sich dieses Flammenbaby in ihr breit machte hatte sie einen unstillbaren Appetit auf dieses scharfe Zeug. Dabei hatten die Dinger sie am vierten Tag ihrer Ehe, als sie zum ersten Mal von Zukos Teller stibitz hatte, fast schachmatt gesetzt. Zuko hatte damals fast eine Armee von Leibärzten gerufen. Und jetzt? Jetzt konnte sie von scharfen Sachen gar nicht genug bekommen. Einschließlich ihres Gatten, aber dieser unverantwortliche Haustyrann zog es ja vor, abwesend zu sein! Jin wollte eben aufstehen, als die Tür sich öffnete und besagter Gatte ins Zimmer trat. Ihre Hormone schwenkten um und konnten, sobald sie seiner Ansichtig wurden, wieder einmal nichts tadelnswertes an ihm finden. Schließlich war er ja auch ein mustergültiger Ehemann, jawohl! Zuko versuchte vorsichtig die Laune seiner Frau auszuloten. Sie war zwar insgesamt extrem ausgeglichen, aber manchmal schaffte sie es aus heiterem Himmel, auch ebenso launisch zu sein. Momentan strahlte sie ihn an. Und er hatte Maßnahmen ergriffen, diesen Zustand aufrecht zu erhalten. Er ging zu ihrem Sessel, beugte sich hinunter und gab ihr einen sanften Kuss. „Und?“, fragte er, die Hände auf beide Armlehnen gestützt, „Wie ist das Wohlbefinden, Ihrer Ladyschaft?“ „Hungrig! Hast Du Feuerflocken dabei?“ „Nein.“ Sie bekam einen besänftigenden Kuss auf die Lippen gedrückt. „Aber ich werde mir wohl die Taschen damit vollstopfen müssen, um weiterhin in Deiner Gunst zu bleiben, hm?“ „Soll das heißen ich bin missgünstig?“ „Nein!“, beeilte Zuko sich zu sagen. „Du kannst es mir ruhig sagen, wenn Du findest, dass ich zickig bin!“ „Das finde ich doch gar nicht.“ „Ach, WER findet es denn dann?“ „Niemand, Jin!“ Er hob ihr Kinn an. „Meinst Du, ich komme jetzt endlich dazu, Dir Deine Überraschung zu unterbreiten?“ „Hm ... ja“, erwiderte sie kleinlaut. „Aber ich bin wirklich zickig ...“ „Nein, mein Herz, Du bist schwanger!“ „Scheint so ziemlich das selbe zu sein.“ „Unsinn! Los, jetzt steh auf und mach ein Gesicht andächtiger Erwartung.“ So stand Jin auf und machte ein Gesicht andächtiger Erwartung. „Jetzt!“, rief Zuko über die Schulter. Erneut öffnete sich die Tür. „Jinny!?“ „Sela?“, quietschte Jin. Seit über einem halben Jahr hatte sie ihre beste Freundin nicht mehr gesehen. „Mein Gott Jinny! Du siehst aus wie ein Hefekloss im Wachstum.“ „Ja! Tu ich!“ Unter Lachen und Weinen fielen sich die Freundinnen um den Hals. Während die Frauen sich überschäumend begrüssten, war es nun an Zuko ein Gesicht andächtiger Freude zu machen. Mittlerweile kannte er seine Angetraute ziemlich gut und dabei war ihm eines klar geworden: Jin hatte einfach zu wenig zu tun hier. Es lag seinem Kobold überhaupt nicht, untätig zu sein. Oh, es gab hunderte von kleinen Pflichten, die sie zu erfüllen hatte. Und bis in drei Monaten würden es sogar noch mehr sein. Trotzdem fehlte es ihr, etwas zu erschaffen. Zu diesem Schluss war er gekommen, als er vor ein paar Tagen die Schärpe getragen hatte, die sie ihm zur Hochzeit geschenkt hatte. Ewigkeiten hatte sie daran herum gezerrt und gezupft, bis das Licht genau richtig auf die Seide fiel. Seiner Jin fehlte das Arbeiten. Das Weben. Und dass ihr etwas fehlte konnte er auf keinen Fall zulassen. „...das könnte ein riesiger Erfolg werden!“, ereiferte sich Sela in diesem Moment. „Stell Dir nur mal vor ... Wenn wir richtig tolle Muster machen, werden sich die Leute darum reißen! Ein kleiner Hauch dieser unvergleichlichen Feuernation-Noblesse. Ein Hauch aus Seide! Wir könnten ganz kleine Tücher machen, für die Leute, die weniger Geld haben, oder Schals und Taschen. Natürlich auch ganze Ballen, und und...“ „Sela! Von was redest Du denn?“ „Na, von unserer Weberei! Entschuldigung ... unsrer kleinen, EXCLUSIVEN Weberei!“, berichtigte sie mit Blick auf Zuko. „Was? Du machst eine Weberei auf? Hier? Das ist ja wundervoll!“ „Nein! Nicht ich. Wir, Jin!“ „Bitte?“ Jin lachte unsicher „Das geht nicht. Ich bin jetzt ... Ich kann den Beruf nicht mehr ausüben. Das gehört sich nicht.“ „Sagt wer?“, fragte Sela. „Na ... das ist eben so. Frag Zuko!“ „Aber er hat´s doch vorgeschlagen." Jin drehte sich um. „Was?“, hauchte sie. Mit überaus zufriedener Mine stand ihr Gemahl mitten im Raum. „Nun, wie Du weiß sind die Staatskassen ziemlich leer. Etwas Profit könnte uns also nicht schaden. Außerdem halte ich es für absolut ehrbar und standesgemäss, wenn sich die Fürstin ihre Zeit damit vertreibt, exquisite und kostbare Stoffe zu kreieren. Wenn sie selbst am Webstuhl sitzt, deklarieren wir dies einfach als eine erforderliche Demonstration der ausgefeilten Handwerkstechnik.“ Zuko beugte sich vor, bis seine Nasenspitze fast gegen ihre stieß. „Sollte sie allerdings während der nächsten drei Monate auf die Idee kommen, etwas derartiges zu tun, deklariere ICH das als Ungehorsam und werde sie nach der Entbindung übers Knie legen! Verstanden?“ Sie hatte verstanden, denn sie erwürgte ihn fast vor Begeisterung. „Ist das Dein Ernst?“, flüsterte sie. „Ich darf mit Sela eine Weberei aufbauen?“ „Aufgebaut wird bereits, mein Herz!“ Sein Gesicht wurde mit Küssen überflutet. „Du bist einfach der wundervollste, klügste, nobelste, schönste ...“ „Wohoo! Äh ... langsam ihr Zwei. Ich sollte vielleicht erst mal das Zimmer verlassen, hm? Ich seh Dich später Jin!“ Sela zwinkerte ihrer Freundin noch kurz zu und ging dann Koffer auspacken. „So war das doch aber gar nicht gemeint“, murmelte Jin. „Ach ... Dann bin ich also gar nicht der wundervollste, klügste, nobelste ...“ „Zuko!“ „Also jetzt, wo Sela weg ist ...“ Er schubste sie mit der Hüfte an. "... sehe ich keinen Grund, die Gunst der Stunde nicht zu nutzen." Wie konnte er sie nur immer noch attraktiv finden? Für Jin war das ein Rätsel. „Krieg ich danach Feuerflocken?“ Natürlich bekam Jin danach Feuerflocken. Sie wurde sogar damit gefüttert. „So. War das jetzt genug, mein unersättliches Weib?“ „Die sind ja alle für das Baby! Ich mag das Zeug nicht mal.“ Eine raue, warme Hand legte sich auf die Wölbung ihres Bauchs. „Du weißt eben, was gut ist, nicht wahr?“ Er sprach schon wieder mit seinem Nachwuchs. Plötzlich spürte Jin einen winzigen Hüpfer. „Was war das?“, stieß Zuko aus. „Ich weiß nicht ... Oh!“ Sie starrten sich an. „Es hat Schluckauf!“, hauchte der werdende Vater. Sein Gesicht in diesem Moment war so ziemlich das wundervollste, was Jin sich vorstellen konnte. Gute drei Monate später war der übervorsichtige Gatte Jin Wes, äh, Tatzus ein nervliches Wrack. Vor vier Stunden hatten ihn die `Segensreichen´, eine fünfköpfige Horde weiß gekleideter Hebammen, hochkant aus seinem eigenen Schlafzimmer geworfen. Eine hatte es sogar gewagt, ihm die Tür direkt vor der Nase zuzuschlagen! In seiner gegenwärtigen Gemütslage wäre es eigentlich angebracht sich hoffnungslos zu betrinken. Aber seine Frau würde ihn noch brauchen, alles andere war unwichtig. „Zuko! Ihr werdet noch ein Loch in diesen teuren Teppich laufen.“ Diese Bemerkung brachte Iroh nur ein abfälliges Schnauben ein. „Ihr helft Jin dadurch kein bisschen.“ „Aber mir!“, fauchte sein Neffe. „Ist Euch bewusst, wie lange sich das Ganze noch hinziehen kann? So was kann Stunden dauern.“ „Ja, DAS hilft mir, Onkel!“ „Hilft es, wenn ich zum hundertsten Mal versichere, dass es bei den Geburten der Tatzus noch nie Komplikationen gab?“ Zuko holte eben Luft, um seinem Onkel eine weitere überreizte Antwort zu geben, als die einzige Information eintraf, die ihm WIRKLICH half. „Hoheit?“ Zuko wurde so weiß wie die Tracht der Frau. „Ja?“ „Ich gratuliere! Ihr seid eben Vater eines …“ Bevor sie die Information los werden konnte, sah die Amme nur noch die Rockschösse seiner Lordschaft um´s Eck verschwinden. „Also MICH interessiert ganz brennend, was es ist!“ Iroh Tatzu strahlte die wohlbeleibte Frau erwartungsvoll an. „Wirklich? Nun …“ Ein Stockwerk höher schlug die Tür zu den Gemächern des Fürstenpaares krachend gegen die Wand. Vier Hebammen wandten sich erschrocken um. Eine von ihnen eilte auf Zuko zu, ein kleines Bündel auf dem Arm. „Euer Lordsch …“ Seine Lordsch ... ließ die Frau links liegen und stürmte zum Bett. Hektisch suchten seine Augen Jins erschöpftes Gesicht nach der Antwort ab, noch bevor er die Frage gestellt hatte. „Geht es Dir gut?“ Seine Stimme hörte sich an, als hätten die Worte sich schon seit Jahrzehnten in dunklen, feuchten Höhlen herumgetrieben und Rost angesetzt. „Ja. Obwohl dieses Baby von Dir ziemlich groß ist!“, murmelte sie matt. Zuko sank auf die Bettkante, griff nach einer kühlen Hand, drückte einen Kuss in die Innenfläche und hielt sie an seine Wange. Sacht strich er eine feuchte Haarsträhne aus Jins Stirn. „Geht´s Dir wirklich gut?“ „Aber ja!“ Das brachte ihr einen vorsichtigen, zärtlichen Kuss ein. „Willst Du denn das Baby gar nicht sehen?“, fragte sie. Seit fast acht Monaten hatte sich alles nur noch darum gedreht und jetzt? „Doch! Natürlich!“ Klang er etwa unsicher? „Euer Hoheit? Möchtet ihr nun Euren Sohn halten?“ Sohn? Er hatte einen Sohn? Zuko schluckte. Halten? Jetzt? Er sah zu Jin. „Möchtest Du ihn vielleicht …“ „Ich hatte ihn schon eine ganze Weile. Nimm Du ihn!“ Der Erwartung in ihren Augen konnte er sich einfach nicht widersetzen und so nickte er. `Es ist ganz leicht!´, beruhigte sich der panische Erzeuger. Kopf halten, Rücken stützen! Kopf halten, Rücken stützen! Du kannst das! Dann waren die angelesenen Theorien samt und sonders vergessen, denn was nun in seinen Armen platziert wurde entsprach so gar nicht seinen Vorstellungen. Wie konnte ein Mensch so winzig sein? Er schrie nicht, er zappelte nicht. Mit geschlossenen Augen lag er seelenruhig da, als läge es gar nicht im Bereich des Möglichen, sein Papa könne irgendetwas falsch machen. Dann regte sich das zerknautschte Gesichtchen. Zuko hielt den Atem an. Bestimmt würde der Winzling jeden Moment zu weinen beginnen. Doch die zarten Lippen verzogen sich nur leicht und machten saugende Bewegungen, was ein entrücktes Hochziehen der väterlichen Augenbraue bewirkte. Er hatte einen Sohn! Agni ... Jin ließ die beiden nicht aus den Augen. Hatte es je einen offensichtlicheren Fall von Liebe auf den ersten Blick gegeben? Zuko war völlig selbstvergessen in den Anblick seines Kindes versunken. Sie hatte ja gewusst, dass es so sein würde. Aber es zu sehen, war dann doch zu viel für ihre Fassung. „Er … er ist so klein!“, raunte Zuko. Jin nickte. „Und so leicht.“ Sie wischte sich über die Wangen. Sofort blickte Zuko auf. „Was ist? Warum weinst Du?“ „Nur ein Bisschen!“ „Warum denn? Möchtest Du ihn wieder halten?“ Das klang fast widerwillig. Jin schüttelte den Kopf. „Nein. Es ist nur mal wieder die Rührung.“ „Ach so.“ Momentan konnte er das sogar nachempfinden. „Halte ich ihn überhaupt richtig?“ „Als hättet Ihr nie etwas anderes gemacht!“, erklang es rechts von ihm. „Onkel!“ „Dann haben wir also einen kleinen Thronfolger, wie?“, fragte der General heiser, den Blick gebannt auf den Säugling gerichtet. Zuko stand auf und übergab vorsichtig das Baby. Erinnerungen an ein anderes Kind schnürten Iroh die Kehle zu. Die Freude um dieses neue Leben kämpften mit der Trauer um ein anderes. Sein eigener Sohn war ebenso winzig gewesen ... „Onkel Iroh?“ Es hatte ihm auch nichts genutzt zu einem starken Mann herangewachsen zu sein. Der Krieg hatte Junge, Alte, Starke und Schwache gleichermaßen ausgelöscht. Auch seinen ehrenhaften, klugen, bedächtigen Lu Ten hatte er gefordert! „Onkel?“ Eine kräftige Hand legte sich sacht auf seine Schulter. In den Augen seines Neffen lag Verständnis und Zuspruch aber auch Traurigkeit. Es tat ihm weh, den Schmerz seines Onkels zu sehen. Iroh blinzelte das Wasser aus seinen Augenwinkeln. Das Schicksal mochte ihm einen Sohn genommen haben, aber vor ihm stand jemand, der ihm mindestens ebenso viel bedeutete. Und auf seinem Arm lag schon ein weiterer Bewerber um seine Zuneigung. Sein Gesicht schmolz vor Rührung und er begann das kleine Wesen sacht zu wiegen. Nach einer Weile hatte er seine Stimmbänder wieder unter Kontrolle. „Was für ein wundervolles Baby ihr zustande gebracht habt! Und ich dachte, ihr beide spielt immer nur Karten.“ Ein schiefes Lächeln überzog Zukos Gesicht. „Das war alles nur Tarnung.“ Plötzlich beschloss der Kronprinz Hunger zu haben und gnötterte quengelnd. „Oh ... da hat wohl wer einen leeren Bauch und möchte zu seiner Mama, hm?“, säuselte Iroh und kitzelte das Baby unterm Kinn. Zuko blinzelte. Diesen Tonfall seines Onkels kannte er überhaupt nicht. Vorsichtig bekam Jin wieder ihren Sohn ausgehändigt. Sie ahnte langsam, wie sehr sie um dieses Privileg zu kämpfen hätte, denn der Kleine war mit einer Verwandtschaft gesegnet, die sich um ihn reißen würde. Allen voran sein vernarrter Vater! Eine Stunde später schlief der neue Sprössling satt in einem Bettchen, dessen Kostbarkeit ihm am bewindelten Hintern vorbei schrammte, dessen Bequemlichkeit aber ausschlaggebend für seine Zufriedenheit war. Inzwischen war er von der gesamten Sippe begutachtet worden. Ursa hatte nur einen Blick auf ihren Enkel geworfen und sofort erklärt, er sei das genaue Ebenbild seines Vaters und somit perfekt! Ria war in glucksende, gurrende Laute verfallen, aus denen man mit etwas Fantasie heraushören konnte, bei dem kleinen Prinzlein handele es sich um das süßeste, kleine Dutziwutzi, das sie je gesehen hätte. Oder so ähnlich. Nur Sela hatte den Überblick behalten, beging allerdings den Fauxpas dies durch die Frage zu äußern, ob da noch Haare nachkommen würden. Zuko schob ein letztes mal eine Haarsträhne aus dem Gesicht seiner schlafenden Frau, warf einen abschließenden Blick in die Wiege und verließ dann lautlos das Zimmer. Draußen atmete er tief durch und ließ die Felsbrocken von seinem Herzen rollen. Sie waren gesund! Sie hatten es überstanden, waren gesund und glücklich! Morgen würde er auf den großen Platz gehen, ihn mit Weihrauch vernebeln und eine ganze Kerzenfabrik opfern. Sein Kobold war gesund. Er machte sich auf den Weg zu den Gemächern seines Onkels, denn es gab noch eine klitzekleine Frage zu klären. „Nur herein, Zuko!“ „Woher wusstet Ihr, dass ich es bin?“ „Nur Eure spezielle Art zu klopfen!“, meinte Iroh milde. „Ah ... So.“ Zuko verschränkte die Arme hinter dem Rücken. So, so. Der Herr Neffe hatte also ein Anliegen. „Wie kann ich Euch helfen?“, half Iroh nach. „Rieche ich Jasmintee?“, konterte der Jüngere. „Ja. Soll ich eine Tasse holen?“ „Bitte!“ „Setzt Euch doch inzwischen.“ Einen kurzen Moment später kam Iroh zurück. „So.“ Er schenkte ein. „Danke!“ Nach einer weiteren Minute beschloss der General, Zuko hätte nun genug getrunken. „Ihr wolltet doch nicht nur Tee, oder?“ „Äh, nein.“ Der Feuerlord hockte ihm gegenüber, die Hände auf den Knien. Es sah ihm so gar nicht ähnlich, so herum zu drucksen. Der General wartete geduldig. „Wir ... also Jin und ich ... Wir hatten uns bereits über einen Namen für das Baby unterhalten.“ „Ja?“ „Ich ... wir wissen nur nicht, ob er Eure Zustimmung findet.“ „MEINE Zustimmung? Es ist euer Kind, meine Zustimmung ist nicht vonnöten.“ „Ganz im Gegenteil, Onkel!“ Zuko stand wieder auf, woraufhin Iroh sich veranlasst sah, das Gleiche zu tun. Warum befummelte der Junge den Kaminsims so unruhig? „Würde es Euch etwas ausmachen, wenn ... wir ihm den Namen Lu Ten geben würden?“ Als er keine Antwort bekam, drehte Mylord sich um. Sein Onkel starrte ihn wie vom Blitz getroffen an. Verdammt! Er hätte sich denken können, dass dies zu schmerzlich für Iroh wäre. „Es tut mir leid!“, sagte Zuko schnell. „Es war nur ein Gedanke. Ich wollte keine schmerzhaften Erinnerungen wachrufen!“ „Du ...“ Die alte Stimme wankte. „... willst ihn Lu Ten nennen?“ „Als ich klein war ... Ich hab ihn nicht besonders oft gesehen.“ Zuko zuckte hilflos mit den Schultern. „Er war schon so erwachsen und hatte trotzdem immer ein wenig Zeit für mich übrig.“ Iroh erinnerte sich. Lu Ten hatte nach einem Heimaturlaub hunderte Geschichten über seinen kleinen Cousin erzählt. Er sei eine unglaubliche Klette, hätte ihm Löcher in den Bauch gefragt und würde Probleme anziehen, wie ein Magnet. `Aber irgendwie ist Zuko etwas ganz Besonderes, Vater!´ Nicht zuletzt war es diesem Satz zu verdanken, dass Iroh vor vielen, vielen Jahren über seinen eigenen Schatten gesprungen war, seine Trauer überwunden und sich Ozais vernachlässigten Jungen angenommen hatte. „Er war so ruhig, wusste stets, was zu tun war. Ich dachte immer, ich könne nie so sein“, endete Zuko leise. Das war zu viel für Iroh! Er packte seinen Neffen und umarmte ihn eine kleine Ewigkeit. „Es wäre die Freude meiner alten Tage, wenn Du Deinem Sohn so tauftest!“, krächzte er schließlich. So wurde der Sohn von Zuko und Jin Tatzu drei Wochen später auf den Namen Lu Ten getauft und dem Ritual der Funken unterzogen. Kapitel 26: Mutterfreuden - Vaterleiden ---------------------------------------- Der Schaukelstuhl knarzte leise, während Jin liebevoll auf den schwarz beflaumten Kopf ihres zwei Monate alten Sohnes hinab sah. Der kleine Bursche saugte derart angestrengt, als stünde eine ernste Milchknappheit bevor. Dass für den Fall der Fälle zwei Ammen bereitstanden, konnte er ja nicht wissen, da seine Mutter alles daran setzte, ihn selbst zu versorgen. Sie nahm eine seiner winzigen Fäuste, drückte kleine Schmatzer auf die zarte Haut und überließ ihren Finger Lu Tens fester Umklammerung. Fast andächtig hingen ihre Augen an seinem Gesichtchen. Das zerknautschte Rosa war einem Teint gewichen, der Pfirsiche dazu gebracht hätte, sich mit einer Existenzkrise in die dunkelste Ecke des Palastes zu verkriechen. Auf den runden, weichen Wangen lagen die gefächerten Halbmonde seiner lächerlich langen, ebenholzfarbenen Wimpern. Der immer klarer werdender Blick zeigte Jins Meinung nach die sehr erfreuliche Tendenz die Farbe von Bernstein anzunehmen. Nur noch ungefähr hundert Nuancen heller, und er hätte die Augen seines Vaters! Wie alle Mütter war Jin der Meinung, ihr Baby sei mit Abstand das süßeste von allen. Nur hatte sie, im Gegensatz zu diesen anderen, verblendeten Frauen natürlich Recht. Immerhin war Zuko der gleichen Ansicht! Noch zufriedener, als der Anblick all dieser kindlichen Perfektion, machten Jin die Geräusche, die Lu Ten von sich gab. Kleine Schmatzer, Gluckser und leises Ächzen bekundeten, wie sehr er seine Malzeit genoss. „So, mein Fröschchen, Zeit für eine kleine Pause. Mama will ihre Milch schließlich nicht auf ihrer Schulter wieder finden.“ Sie nahm ihn in eine aufrechtere Position und strich sanft über den kleinen Bauch. Wie sie diese ruhigen Stunden liebte. Es war die einzige Zeit des Tages in der niemand, aber auch NIEMAND ihr das Baby streitig machte. Wenn Prinz Lu Ten Hunger hatte, blieb selbst seinem Vater nur die Rolle des Zuschauers. Allerdings schaffte Zuko während der letzten zehn Tage nicht einmal das. Sein Terminkalender musste demnächst noch anbauen, so voll war er. Die Abwicklung der Verträge mit dem Erdkönigreich war in die letzte Phase getreten und es galt Theorie in Praxis umzusetzen, was nicht immer ganz reibungslos verlief. Momentan wurde der Feuerlord an allen Ecken und Enden gebraucht. Es gab diverse Streitereien zu schlichten, einige Formalitäten, mit denen sich überforderte Beamte zu lange Zeit gelassen hatten, mussten auf den `kleinen Dienstweg´ gebracht werden, und, und, und. Jin seufzte tief. Seit fast zwei Wochen bekam sie ihren Drachen so gut wie gar nicht mehr zu Gesicht. Gestern war schon der vierte Abend in Folge gewesen, an dem er ins Schlafzimmer gestürmt war, in der Hoffnung, seinen Sohn nach dem Stillen noch ein paar Augenblicke zu sehen. Mit nur mässigem Erfolg hatte Zuko seine Enttäuschung über das friedlich schlummernde Baby zu verbergen versucht. Nachts schlief er dann vor lauter Erschöpfung so tief, dass er nicht einmal das Privileg hatte, den schreienden Knirps aus dem Bettchen zu holen (Jin hatte sich während der viertel Stunde des gemeinsamen Frühstücks bittere Vorwürfe anhören müssen). Als sie ihn fragte, wann er denn bitte schön schlafen wolle, hatte ihr Gemahl nur gemeint, dies sei irrelevant . Sie aber fand es eher irre relevant. Selbst die Flamme der Welt brauchte Schlaf! Das Bäuerchen ihres Sohnes riss sie aus ihren Gedanken. „Wohl bekomm´s, Hoheit!“, sagte sie, auf seinen Rücken klopfend. „Gn!“ „Ja, genau. Ich denke auch, Du bist satt.“ Und satt war für Lu Ten gleichbedeutend mit müde. Zuko würde ihn wieder nicht sehen. Routiniert und energisch zog Jin ihre Kleidung wieder zurecht. „So, wir beide gehen jetzt mal eine kleine Privataudienz machen, hm?“ Mit dem Kind auf dem Arm marschierte sie schnurstracks aus dem Raum und in Richtung der Arbeitszimmer, bevor dieses kleine Faultier wieder einschlief. Überrumpelte Wächter nahmen überstürzt Haltung an, als sie an ihnen vorbei eilte. Auf ihr leises Klopfen hin öffnete Tian Fu die Tür. Im Raum hinter ihm, waren an die zwanzig Männer in eine angestrengte Debatte vertieft. „Hoheit!“ Er verbeugte sich ehrerbietig. „Was kann ich für Euch tun?“ „Das müssen wir erst herausfinden, Tian. Ich ... wäre es vielleicht möglich, Seine Lordschaft für ein, zwei Minuten loszueisen?“ „Ist etwas geschehen, Mylady?“, erkundigte sich Tian erschrocken. „Nein! Das nicht. Es ist nichts furchtbar dringendes. Wenn es nicht geht, wollen wir ihn auch nicht unterbrechen.“ „Nun ...“ Der Sekretär zögerte. „Ich weiß nicht ...“ „Schon gut, ich wollte wirklich nicht stören“, wiegelte Jin hastig ab. „Tian? Was ist denn?“, klang Zukos Stimme ungehalten aus dem Hintergrund. Der Angesprochene schluckte. Er hasste solche Zwickmühlen. Wenn er `Nichts´ sagte, würde er bei der derzeitigen Laune des Sonnengesalbten glatt geröstet, weil er es gewagt hatte, die Fürstin als `Nichts´ zu bezeichnen. Das gleiche Schicksal konnte ihm aber auch blühen, wenn er seinen Herren wegen einer Lappalie störte. „Ich ... weiß nicht, mein Lord.“ Der Größte der Anwesenden löste sich aus dem Pulk der übrigen Männer und kam näher, eine steile Falte auf der Stirn. Jin überlegte ernsthaft, sich unauffällig aus dem Staub zu machen. „Tian! Wenn dies nicht wichtig ist, dann ...“ Das Grollen brach abrupt ab. „Jin?“ „Ähm ...“ „Ist etwas passiert?“, fragte Zuko besorgt, mit Blick auf seinen Sohn. Die Furche über seiner Nasenwurzel wurde eher noch tiefer. Oh je! „Äh ... nein. Ist nicht wichtig! Ich werd wieder gehen. Entschuldige bitte!“ Mittels einer kaum merklichen, hoheitlichen Kopfbewegung wurde Tian Fu diskret in den hinteren Teil des Raumes entlassen. Dann wandte Zuko sich seinem Eheweib zu. „Was ist nicht wichtig, Jin?“ „Nichts! Ich ... ich dachte, Du würdest Lu Ten vielleicht gerne Gute Nacht sagen, aber Du hast überhaupt keine Zeit und ich hätte das wissen müssen.“ Im hinteren Bereich des Büros konnte man das Gemurmel einer halbherzigen Diskussion hören. Seit Stunden drehte sich die Debatte im Kreis. Jin machte Anstalten, mit einem entschuldigenden Blick von dannen zu ziehen. „Gib ihn mir!“ „Du musst nicht ...“ „Gib ihn mir!“, bat Zuko leise. Kaum hielt Mylord seinen Sohn auf dem Arm, sortierten sich alle durcheinander geratenen Prioritäten wie von selbst. DAS hier war wichtig! Satte, zufriedene Kinder waren wichtig, und nicht, ob sich die Grenze eines blöden Damms hundert Meter zu weit auf dem Territorium der einen oder der anderen Stadt befand. Oder ob der Bürgermeister von Sowieso Profit aus dem Bau einer Durchgangsstrasse schlagen konnte, die gar nicht unter seinen Zuständigkeitsbereich fiel, nur weil sein Kollege einen Antrag zu spät eingereicht hatte. Zuko hielt den kleinen, warmen Kopf an seine Wange, steckte seine Nase in die kohlschwarzen Härchen, und atmete den warmen Babyduft. Ja, DAS hier war wichtig! Die fatale Gereiztheit, die er heute an den Tag gelegt hatte, hätte ihm eigentlich sagen müssen, dass er etwas essentielles übersehen hatte. Seine Familie. Er drückte zwei zärtliche Küsse auf das linke Bäckchen seines Stammhalters. „Schlaf schön, mein Spatz!“, murmelte er. Jin blickte ihn an, als wäre sie noch immer unsicher, ob die Störung nun willkommen war oder nicht. Also bückte er sich, um auch ihr einen Kuss auf den Mundwinkel zu drücken. „Und Du, schlaf ebenfalls schön! Es wird vermutlich spät werden.“ Sie nickte und strich, da er sie vor den Augen der anderen abschirmte, kurz über seine Wange. Er glaubte doch wohl nicht ernsthaft, sie würde nicht auf ihn warten. Schließlich musste er noch was essen, und wenn sie es in ihn hineinstopfen müsste. Hinter sich vernahm Zuko ein unsicheres Räuspern. „Euer Lordschaft ...“ Er wandte sich halb um. „Ja, Wesu Ma?“ „Ich ... Verzeiht mir, aber ... Wir fragen uns, äh ...“ Hinter Wesu standen die restlichen Mitglieder der Versammlung. „Ja?“, fragte Zuko, um einen neutralen Tonfall bemüht. „Ob wir ...“ Die Augen des Ministers heftete sich auf den Säugling auf dem Arm seines Herrschers. „Nur einen Blick auf den kleinen Thronerben vielleicht?“ Die Braue des Feuerlords hob sich erstaunt. Seit Stunden schlugen sich diese alten Haudegen hier die Köpfe ein und jetzt standen sie brav Schlange, um seinen Sohn zu sehen? Er drehte sich vollends um. Die jüngeren Männer versuchten lediglich neugierig zu wirken, andere lächelten verklärt, während das letzte Drittel - die wirklich harten Kerle, die alt genug waren, um zu wissen, dass Sentimentalität eben zum Leben gehörte - sich nicht zierte, seine Verzückung offen zu zeigen. „Ah ... Er ist wirklich Euer Ebenbild, Hoheit!", seufzte Wesu entrückt. Er war schon ein Kabinettsmitglied Azulons gewesen, hatte unter Ozai aber sein Amt, und den Titel `Ma´ niedergelegt. Dem Widerstand hatte er durch seine Kenntnisse der alten Wehranlagen unschätzbare Dienste erwiesen. Zuko trat einen Schritt näher, damit der Veteran das Baby besser begutachten konnte. Lu Ten blubberte und der Alte schmolz dahin. „Nur Eure Augen waren damals schon anders. Heller, gar nicht wie die eines Säuglings, wenn Ihr mir diese Bemerkung gestattet.“ Zuko gestattete. Er gestattete auch sämtlichen anderen Anwesenden, seinen Sohn unter die Lupe zu nehmen, denn es schien ganz erstaunliche Dinge mit den meisten dieser Streithähne anzustellen. Die Besichtigung wurde erst durch ein zahnloses, zartrosa Gähnen beendet. Etliche, anstrengende aber durchaus erfolgreiche Stunden später schloss Zuko vorsichtig die Tür, um Jin nicht zu ... Sie schlief ja gar nicht! Nun ja, sie schlief schon, aber in einem Sessel vor dem Kamin, mit einem Buch auf ihrem Schoß. Hatte das Baby eine unruhige Nacht? Leise ging er zu der angelehnten Tür, die in das kleine Kinderzimmer führte und spähte hinein. Hm, im Augenblick schlummerte der Kleine friedlich. Jin regte sich. Die Seide ihres Kimonos verrutschte und spannte über ihren jetzt noch volleren Brüsten. Zuko biss die Zähne zusammen. Sieh gefälligst nicht hin! Sie drehte den Kopf, so dass er ihren anmutigen Nacken bewundern musste. Agni ... Hör auf damit! Im Halbschlaf seufzte sie leise. Ihr Gemahl schluckte. Diese Nacht würde also wieder eine endlose Folter werden. Er fragte sich ernsthaft, wie viele davon er noch aushielt. Mit einem wohligen, warmen Schnurren wachte Jin vollends auf und streckte sich ausgiebig. Gut, er hatte seine Antwort. Nicht mehr viele! Vielleicht wäre es besser, anderswo zu schlafen? „Zuko?“, murmelte Jin schläfrig. „Ja.“ Wenigstens gehorchte seine Stimme ihm noch. „Wie spät ist es?“ „Spät genug! Warum liegst Du noch nicht im Bett, Jin?“ Unter der Decke, wo ich nicht so viel von Dir sehen kann. „Weil Du noch nichts gegessen hast. Ich hab ein paar Sachen bringen lassen.“ „Gut. Ich werd essen und Du gehst schlafen!“ „Ich werd Dir Gesellschaft leisten.“ Sie nahm die Decke von den Beinen und stand auf. „Ich seh Dich grade viel zu selten!“ Nicht selten genug. „Äh ... gut.“ Ein feiner Schweißfilm bildeten sich auf Zukos Stirn, als der Schein des Feuers und die Zartheit der Seide sich gegen ihn verbündeten und einen Pakt der Durchsichtigkeit schlossen. „Könntest Du Dir ... noch was überziehen?“ Oh, er war ja so ein Blödmann! „Was?“ „Ich meine nur ...“ „Gut,“, flüsterte Jin und drehte sich zu dem Tisch, auf dem einige kalte Speisen standen. „Ich werd versuchen dran zu denken, andere Sachen zu tragen bis die Zeichen der Schwangerschaft nicht mehr so sichtbar sind.“ Sichtbar? Was hatte das denn mit sichtbar zu tun? Es ging darum, ob diese Zeichen fühlbar waren. Sie hantierte mit dem Geschirr, aber irgendetwas an ihrer Körperhaltung stimmte nicht. „Jin?“ „... was?“ „Weinst Du?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich ... geh doch lieber zu Bett!“ Jin floh unter die Decken. Es war anzunehmen, dass sie dort auch für immer bleiben würde. War das der Preis für ihr kostbares Baby? Dass dessen Vater sie nicht mehr ansehen wollte? Sie unterdrückte ihr Weinen, bis es weh tat und in der Kehle brannte. „Jin ... was ist denn?“ Zwei Schluchzer entfuhren ihr. `Hör auf damit, Missy!´ „Jin?“ Zukos Hand legte sich auf ihre Schulter. „Geh essen!“ „Erst sagst Du mir, was Du hast!“ „Nichts, was ... zu ändern wäre.“ „Ich will wissen, was es ist!“ Jetzt konnte sie es beim besten Willen nicht mehr zurückhalten und heulte in die Kissen. Zuko explodierte. „JIN! Wenn Du mir jetzt nicht sofort sagst, was Du hast, dann bei Agni ...“ „Du weckst das Baby!“, stieß seine schluchzende Frau hervor. „Das ist mir scheißegal! Was ist mit Dir?“ „Ich bin hässlich! Das ist mit mir!“ „Bist Du übergeschnappt?“ „Nein!“ Sie setzte sich auf. Ließ endlich zu, dass der Zorn größer wurde, als die Scham. „Tu doch nicht so!“, klagte sie ihn an. „Du denkst es doch auch!“ „WAS?“ Sie WAR übergeschnappt! „Du kannst es ja nicht mal mehr über Dich bringen, mich anzusehen! Sobald Du mich siehst, guckst Du weg!“ Den letzten Satz hatte sie mit Müh und Not noch herausgebracht. Jetzt schlang sie die Arme um ihre angezogenen Knie, drückte ihr Gesicht dagegen und weinte herzzerreißend. „Jin, Du wirst noch mal mein Ende sein!“, ächzte ihr Ehemann. Ihr ganzer Körper schüttelte sich vor Kummer. „Jin!“ Er setzte sich auf die Bettkante und zog sie auf seinen Schoß. „Kobold! Wein wenigstens so leise, dass Du mich verstehen kannst!“ Da sie eher noch lauter wurde, hatte sie ihn wohl gehört. „Herrgott, Weib, ich sitze hier seit Wochen auf glühenden Kohlen! Ich versuche mich zu beherrschen, tue alles Menschenmögliche um meine verdammte Lust in den Griff zu bekommen und Du beschuldigst mich, ich würde Dich nicht mehr anziehend finden? Nacht für Nacht liege ich wach, damit ich mich nicht versehentlich an Dir vergreife!“ Das Schluchzen ebbte langsam ab. Abgehacktes, stosshaftes Atmen trat an seine Stelle. „Was?“, hauchte Jin tränennass. „Aber ... warum denn?“ „Warum? Weil Du ein Kind bekommen hast, Jin. Darum! Man muss nunmal warten, bis alles verheilt ist. Und so lange werd ich Dich nicht anrühren.“ Als Jin endlich begriff, wurden ihr vor lauter Erleichterung die Knie zittrig. „Aber es ist verheilt!“, flüsterte sie. „Seit mindestens drei Wochen schon.“ Sie fing wieder mit dem Weinen an, aber diesmal konnte sich dabei wenigstens an ihn klammern. „Seit WANN?“ „Drei Wochen.“ „Das SAGST Du mir nicht?“ Sie umarmte ihn noch fester. „Jin!", presste er zischend durch die Zähne. „Du bist doch tatsächlich die närrischste, verdrehteste Kreatur dieser Erde! Was denkst Du was Du da tust? Absolviert Du grade eine Ausbildung zum Folterknecht?“ Er war stetig lauter geworden. Jetzt sprang er auf, wodurch Jin von seinem Schoß kippte, und begann zu wüten. „Zuko ...“ „NICHTS `ZUKO´!“, schrie er. „Du hättest ja fragen können ...“ „WAS? ICH BIN SEIT WOCHEN EIN EINZIGES WRACK UND DU FINDEST, ICH HÄTTE FRAGEN KÖNNEN?“ Jin blinzelte. Ja, fand sie. Das Baby weinte. „Hör jetzt auf herumzubrüllen!“, fauchte Jin, während sie aus dem Bett kroch. „Du hast Lu Ten geweckt!“ Sie marschierte ins Kinderzimmer. Zuko stapfte lieber gen Tisch, warf sich in einem Stuhl und begann wahllos zu essen. „Sch ... Ist ja gut! Dein Papa wollte kein solcher Idiot sein!“ Der Idiot verengte die Augen. Jin hatte den Kleinen auf dem Arm, und machte dabei die typischen kleinen, hoppelnden Bewegungen, um ihn zu beruhigen. Ihr Sohn schrie aus vollem Hals weiter. „Aber, aber! Hunger kannst Du ja nicht haben, hm? ... Ist ja gut!“, murmelte sie sanft auf ihn ein. Sie versuchte es geschlagene fünf Minuten lang. Ohne Erfolg. Gut, offensichtlich musste ein Fachmann ran. „Gib ihn mir!“ Jin ignorierte ihr Ehe-Anhängsel. „Jin, er weint. Gib ihn mir!“ Aber Jin wollte nicht. Sie wusste nämlich, was passieren würde. Er würde das Baby keine drei Atemzüge auf dem Arm haben und schon würde das verräterische Balg sich beruhigen. Das war immer so! „Jin!“, knirschte Zuko. „Fein! Da!“ Seine Lordschaft, eben noch verantwortlich für das ungeplante, wenig erfreuliche Erwachen des kleinen Windelpupsers, legte sich diesen auf dem Arm zurecht, konzentrierte sich und - siehe da - das Plärren hörte auf. „Na toll! Da ihr die besten Kumpels seid, kannst Du ihn auch ins Bett bringen!“ Vor lauter Frust setzte Jin sich an den Tisch und stopfte sich Kuchen in den Mund. Würde sie eben immer schwanger aussehen! Lag in dem Blick, den Zuko ihr zuwarf etwa ein Hauch Herablassung? „Es ist nur die richtige Atemtechnik, mein Herz.“ „Geh doch anderswo keuchen, mein Häaz!“, äffte sie ihn nach. Ihr Gatte zog es vor, nicht darauf einzugehen, sondern stattdessen seinen Nachwuchs sachgemäß zu verstauen. Als er wieder kam, beendete Jin ihre Zwischenmahlzeit und erhob sich. „Bitte sehr. Euer Büffet, Sire!“ Damit ging sie schnurstracks wieder zum Bett. Leider wirkte die Hochnäsigkeit bei ihr in keinster Weise so authentisch, wie bei seiner Hochwohlbeklopptheit. Der Drache besah sich sein Büffet und spürte den Drang zu sabbern. Endlich würde er seine Zähne wieder an diesem warmen Fleisch laben. „Wage es nicht, unter diese Decke zu kriechen!“ Der Zederrauch klang so bezwingend, dass Jin herumfuhr. Langsam zog Zuko die Fünfflammige vom Kopf und öffnete die Haarschlinge. Durch die schwarzen Strähnen, die ihm nun ins Gesicht fielen, hielten seine glühenden Augen ihren Blick fest. Jins Atmen beschleunigte innerhalb einer Sekunde von null auf verflucht schnell. Ruhig aber effizient begann Zuko die Verschlüsse des Odoro zu öffnen. Achtlos lies er die Prachtrobe zu Boden fallen. Ihr nach wie vor in die Augen starrend, widmete er sich gelassen den Manschetten seines Wickelhemdes. Jins Atemzüge hatten inzwischen verdächtige Ähnlichkeit mit leisem Keuchen. „Warum ...“ Schon allein dieses rauchige Raunen würde sie eines Tages an Verzückung sterben lassen. „... machst Du es Dir nicht schon bequem?“ Warum sank sie nicht einfach auf die Knie und huldigte ihm? Seiner Stiefel hatte er sich schon entledigt, jetzt waren die Beinkleider dran. Jin klammerte sich an einen der Bettpfosten. „Ah, Kobold. Heute keine Experimente! Ich werde ganz sanft sein.“ Langsam, geschmeidig kam er näher, kochte Jins Hirn zu Sülze. Sie konnte ihren hämmernden, jagenden Herzschlag spüren. Überall! Als er vor ihr stand, hob er die Hand und legte sie auf ihre Wange, strich mit dem Daumen federleicht über ihre Unterlippe. „Sag meinen Namen, Kobold!“ Ihr Blick hing noch immer an seinem. „Zuko ...“ Sie hörte sich selbst kaum. Seine Augen ließen von ihren ab, doch nur, um sich auf ihren Mund zu heften. „Wir werden sehen, wie oft er Dir heute noch über die Lippen kommt“, flüsterte die Liebe ihres Lebens und löste den Gürtel ihres Kimonos. Schwarze, sandelholzduftende Seide wisperte über ihr Gesicht, als er langsam den Kopf neigte. Sein strenger Mund schwebte so nah über ihrem. Sie konnte seine Hitze bereits erhoffen, aber dennoch war Jin nicht imstande sich zu rühren. „Zuko!“ Vielleicht erbarmte er sich ihrer, wenn sie ihr Credo sprach. Ihre geöffneten Münder berührten sich fast. Ein bisschen heiß, ein bisschen rau. Jins hechelnder Atem stieß gegen seinen zischenden. „Zuko ...“ Bitte, oh Bitte! Endlich wurde sie erhört, wurde geküsst. Erst neckend, fast zögernd doch irgendwann hatte er genug gespielt, presste sie gegen den Bettpfosten in ihrem Rücken und forderte sein Recht. Als Jins Knie den Dienst versagten, ließ Zuko sie und sich selbst auf die Matratze sinken. Sofort lösten sich seine Lippen von ihren und glitten, eine Feuerspur zurücklassend, tiefer. Die Arme links und rechts ihres Kopfs aufgestützt, berührte er sie ausschließlich mit seinem Mund, streifte damit leicht über ihre überempfindlichen Brüste. An den Knospen ließ er sie kurz und neckend seine Zungenspitze fühlen. Keuchend empfing Jin, was er ihr zugestand. Er wanderte tiefer, gewährte ihr so die zusätzliche Liebkosung der schmiegsamen, kühlen Strähnen seines Haars. Das Kribbeln und Sehnen in Jin wuchs und wuchs, staute sich an. Nur schien er leider alle Zeit der Welt zu haben. „Zuko! Ich ... kann nicht mehr aushalten!“ Sie bäumte sich auf, um seine Haut an ihre zu bekommen, doch er wich zurück. „Noch viel mehr, Kobold!“ „Nein. Bitte!“ Er gönnte ihr keine Antwort, sondern glitt mit den Lippen weiter zu ihrem Bauch, in dem sie seinen Sohn ausgetragen hatte. Mit den Zähnen fuhr er über die zarte Haut, umspielte ihren Nabel mit rauer Zunge. „Komm zu mir, Drache!“, keuchte sie. Doch er gehorchte ihrem Befehl nicht. Jin krallte die Hände in seine Mähne, ihre Arme noch immer in den seidenen Fesseln ihrer weiten Ärmel. Wie von Sinnen versuchte sie ihn an sich zu ziehen. „ZUKO!“ Doch er gehorchte ihrem Flehen nicht. Er gehorchte nur der eigenen Begierde, strich mit dem Mund noch tiefer an ihr hinab. Jin, die die Vergeblichkeit ihres Bettelns eingesehen hatte, lag zitternd da. Fassungslos. Erwartungsvoll. Verloren. „Nun werden wir sehen, ob Du wirklich unversehrt bist.“ Jetzt brachte er auch seine Hände ins Spiel, öffnete sie sacht. „Du kannst nicht ...!“ „Doch, Jin!“ Langsam kam ein Finger in sie. Sie bäumte sich keuchend auf, den Körper schmerzhaft gespannt. „Tut es weh, Kobold?“ Er klang abgehackt. „Nein!“ Sie schüttelte heftig dem Kopf. Wenn er doch endlich zu ihr käme! Was er dann tat, entlockte ihr einen kurzen, spitzen Schrei, der in zitterndes Wimmern überging. Hilflos krümmte sie sich ihm entgegen. Sie sah nur sein schwarzes Haar, das über ihren Leib flutete. Ihre Hände rissen daran, als sie seinen Kopf packte und an sich presste. Sie sollte das nicht tun! ER sollte das nicht tun! Aber diese wissenden Finger, die sie dehnten und ausloteten, seine Zunge, rau, heiß und nass ... Guter Gott. Guter Gott! „So ist es gut, Jin!“ Gut? Sie würde sterben, verglühen in diesem ganz speziellen Flammenkuss. Doch er machte weiter, trieb sie in den Abgrund. „ZUKOOO!!“ Zuko ballte die Fäuste, bis seine Knöchel weiß hervortraten. Verdammt! Seine Gier war so groß, er konnte sich kaum in Zaum halten. Er hätte wissen müssen, dass ihr Ausbruch zu viel für ihn sein würde. Nein! Nicht zu viel. Nur fast ... nur fast! Gerade als Jin ihre Umgebung wieder einigermaßen wahrnahm, kam er nach oben und hob seinen machtvollen Körper über sie, ohne sie jedoch zu berühren. Er verschränkte ihrer beider Hände, zwang ihren Blick in seinen, versengte sie mit Gold. „Du weißt, dass Du mir gehörst, nicht wahr, mein Herz?“, presste er durch die Zähne. Jins Augenlider zuckten. „Ja!“, wisperte sie. Es war nie anders gewesen. Niemals! „Dann schenk Dich mir!“ Endlich senkte er sein Gewicht auf sie. „Schenk Dich mir, Jin!“ Zum ersten Mal war er es, der flehte. Sie sah die Lust seine wundervollen Augen überfluten, als er in sie drang und so ihr tiefstes Sehnen stillte. „Ja ... immer!“ Jetzt, als er zur Gänze in ihr war, merkte Jin, wie empfindlich sie noch immer war. Er war jedoch vorsichtig genug, diese Empfindsamkeit in Wollust zu wandeln. Jin flüsterte seinen Namen, stöhnte glückselig auf und wand sich unter ihm. Nichts kam dem gleich. Nichts! Kein noch so glühender, andersartiger Flammenkuss der Welt. Sie durfte wieder in seiner Kraft schwelgen, durfte seine Stärke fühlen. Ihre bewundernden, zärtlich fordernden Hände fuhren langsam die muskulösen Arme entlang, weiter über breite Schultern, zu dem kraftvollen Hals ... „Zuko!“ „Schmerzt es?“, knirschte er. „Nein! Nein! Lieb mich einfach!“, hechelte sie. Sein Rücken wölbte sich anmutig im langsamen, unaufhaltsamen Takt der tiefen Vereinigung. Jin ächzte und krallte ihre Nägel in ihm fest. Agni! Endlich würde er wieder die Zeichen ihrer Leidenschaft tragen. „Lieb mich, Zuko!“ Ihre Stimme brach. „Kobold ...“ Er gab den Versuch auf, sein Tempo, seine Kraft und sein Ungestüm zu zügeln. Er stemmte sich auf die Arme und stieß. Zu hart, zu schnell? Falls ja, konnte er es nicht ändern. Jin durchzuckten helle Blitze aus Eis und Feuer. Als sie merkte, dass nichts mehr sie hielt, zog sie seinen Mund auf ihren herab, um ihre lustdurchtränkten Laute zu dämpfen. Heftig bockte sie gegen ihn, rieb sich an ihm, dehnte den eigenen Höhepunkt bis zur Schmerzgrenze aus, bis sie erschöpft aufs Bett sackte. Nach einigen Augenblicken brach Zuko über ihr zusammen, das Gesicht stöhnend in ihr Haar gepresst. Kurze Zeit später lag eine ermattete Lady Jin neben ihrem Ehemann und ließ zärtlich einige seiner Haarsträhnen durch ihre Finger gleiten. Eine Frage kam ihr in den Sinn. Da sie eher delikater Natur war, vergrub sie, bevor sie sie stellte, ihr Gesicht in seiner Halsbeuge. „Das ... das hast Du noch nie gemacht“, flüsterte sie. Zuko brauchte gar nicht erst zu fragen was `das´ war. Er musste grinsen. Seine Jin hatte eben diesen etwas verdrehten Sinn für Anstand. Kleiner, frecher, prüder Kobold! Allen Flammen sei Dank, schaffte sie es ihm gegenüber aber nie, diese Prüderie aufrecht zu erhalten. „Man soll seine Trümpfe eben nie alle auf einmal ausspielen. Es ist wie beim Pai Cho, mein Herz. Erst der weiße Lotusstein.“ Zwei ihre Finger spazierten in winzigen Schritten auf seinem grandiosen Bauch umher. Selbst schuld, wenn er so verlockend muskulös war. „Ich finde `weißer Lotusstein´ ist ein ziemlich seltsamer Name dafür.“ Prompt wurde ihr vorwitziges Mundwerk für geschlossen erklärt. „Du hast mir gefehlt, Kobold!“ „Ich war doch hier, Drache.“ Sie küsste ihn sacht. „Ja, aber ich konnte Dir nicht so nah sein wie sonst, denn womöglich hätte ich mich dann vergessen.“ „Hm ...“ Sie legte ein Bein über seine. „Ich liebe es, wenn Du Dich vergisst. Ich kann Dich dann im Fundbüro einsammeln und ... NICHT KITZELN!“ Nach einem weiteren, langen Kuss wurde sie wieder ernst. „Was dachtest Du eigentlich, wie lange ich mich noch erholen muss?“ „Na ja. Die Andern sprachen von drei bis vier Monaten. Ich bin fast durchgedreht!“ „Drei bis vier? Wer sagt denn sowas?“ „Alle!“ „Alle? Du hast alle gefragt?“ „Äh ... nein! Es stand so in den Büchern. In einigen. Na ja , ich hab Onkel gefragt. Und ... äh ... Fon und vielleicht Kuroto.“ „Du hast also wieder mal Bücher gelesen und bist zusätzlich rumgerannt, um Volksbefragungen durchzuführen?“ „Man sollte immer gründlich sein!“, murmelte er matt. „Gründlich? Ja, drei bis vier Monate scheinen mir extrem gründlich zu sein. Das gilt vielleicht für die Frauen hier. Ts, Feuernations-Mimmis!“ „Weißt Du auch, was für die Männer hier gilt, mein Herz?“, fragte er harmlos. „Dass sie zu viele Bücher lesen?“ Ihre Arme wurden eingefangen und über ihrem Kopf festgehalten. „Nein, Du Unschuldslämmchen! Dass sie die ganze Nacht durch Lanzenstechen spielen können!“ Na ... DAS hatte sie ja schon gewusst. Am nächsten Tag war die Gereiztheit Seiner Lordschaft auf wundersame Weise verschwunden. Lady Jin hatte die Strapazen der Geburt offensichtlich vollständig überwunden. Ungewöhnlich früh, wie die meisten fanden. Endlich wieder ausgeglichen und ruhig bekam Zuko die anfallenden Probleme samt und sonders in den Griff. Er hatte quasi über Nacht zu seinem alten Ich zurückgefunden. Unerträglich souverän und leicht spöttisch. Und wenn es um seinen Sohn ging, leider auch ziemlich rechthaberisch, wie seine Frau fand. Rechthaberisch und unbeschreiblich talentiert. Nie krähte Lu Ten lauter, als zu den Gelegenheiten, in denen sein Vater `Himmelsdrache´ oder `Was macht der Vulkan´ mit ihm spielte. Papa brauchte auch nur einmal kurz Luft zu holen, und man überlegte zweimal, ob man das komische Ding da wirklich in den Mund stecken sollte. Als die ersten Zähnchen den Prinzen plagten, lernte Jin ein weiteres, bisher unentdecktes Talent ihres Mannes kennen: Er hatte eine ganz wundervolle Singstimme. Stundenlang ging er, das Baby auf dem Arm, auf und ab und summte Lu Ten `Lauf der Zeit´ ins Ohr. Es war das einzige, das den Kleinen beruhigen konnte, wenn er mit fieberroten Bäckchen den Kopf an die Schulter seines Vaters drückte. Es war zum aus der Haut fahren! Würde sie diesen Mann nicht so abgöttisch lieben, hätte sie ihn glatt zum Teufel gewünscht. Manchmal. Fast. Na ja, gelegentlich. Vielleicht? Master Lu Ten, inzwischen stolze elf Monate alt, sass auf dem Boden und schielte konzentriert in eine Schüssel mit Feuerflocken, die zwischen seinen Beinen stand. Mit kleinen, pummligen Finger griff er sorgfältig nach einer einzelnen und steckte sie sich in den Schlund. Zielgenau nahm er die nächste ins Visier. „Fo!“ Der persönliche Kammerdiener Seiner Lordschaft öffnete gehorsam den Mund. „Hmm!“, brummte er mit wenig Enthusiasmus, was glucksendes Lachen hervorrief. „Ontl!“ Mit der gleichen Aufmerksamkeit wurde Iroh Tatzu dabei beobachtet, wie er die etwas durchweichte Flocke ass. „Ah!“, machte Lu Ten, als `Ontl´ es unterließ, sein Wohlbehagen zu bekunden. „Hm, köstlich!“, log Iroh. Sein goldäugiger Großneffe strahlte ihn an. Pedantisch seinem Ritual weiter folgend, stopfte er die nächste Flocke wieder in den eigenen Mund. „Fo!“ Besabberte Fingerchen hielten ein weiteres Exemplar der leicht entschärften Delikatesse auffordernd in die Luft. „Ob er bei `Igitt!´ auch lacht?“, fragte Fon verzweifelt. „Das steht zu bezweifeln, mein Freund. Er teilt immer so akkurat. Ob Zuko uns wohl vierteilen lässt, wenn wir und aus dem Staub machen?“ „Da wir als Babysitter abkommandiert wurden, bestimmt!“ „FO!“ „Himmel, er ist genauso herrisch wie sein Vater.“ Schicksalsergeben öffnete Fon den Mund. „Er meint es ja nur gut, Fon.“ Beim Anblick des diebischen Vergnügens der kleinen Hoheit bezweifelte Irohs alter Waffengefährte das allerdings stark. „Warum müssen wir uns noch mal um ihn kümmern?“, wollte er wissen. "Ontl!" „Weil Jin Zuko etwas mitzuteilen hat.“ Heldenhaft würgte Iroh seine Ration hinunter. „Was? Schon wieder?“ „Nun, die beiden scheinen eine recht fruchtbare Kombination darzustellen.“ „Fo!“ „Musste das Kerlchen ausgerechnet den verbohrten Gerechtigkeitssinn seines Vaters erben?“, klagte Fon, der gerne auf eine weitere Runde Sabberflocken verzichtet hätte. „FO!“, mahnte Lu Ten streng. Also wirklich! Diese mangelnde Kooperationsbereitschaft war nicht zu dulden. Kapitel 27: Nachtschatten ------------------------- Vier Zimmer weiter wurde Jin fast die Luft abgeschnürt. „Zuko! ... Ich brauch meine Rippen noch!“ Da sie nichts derartiges von ihren Lippen gesagt hatte, wurden sie erbarmungslos zerquetscht. „Diesmal freust Du Dich ja auf Anhieb, Drache“,flüsterte sie nach einer Weile. Zuko presste sie an sich und nickte nur. „Nach der Geburt lässt Du mich diesmal aber wissen, wann Du Dich erholt hast“, raunte er. Mylady lächelte. „Vielleicht sollten wir diesmal eine Wasserheilerin holen ...“ Sie bekam einen seltsamen Blick zugeworfen. Widersprach dieser Vorschlag vielleicht der Feuernations-Anstandsregeln Nummer einhundertachtundvierzig? „Knubbelchen, Du bist ein Genie!“ Zur Feier des Tages beschloss Jin, über diesen Kosenamen hinwegzusehen. „Ich kann ja nicht zulassen, dass die gesamte Nation ins Chaos gestürzt wird, nur weil Du Deine Lüsternheit wieder nicht unter Kontrolle hast, oh mein Gebieter.“ Ihr Gebieter hob seine Rabenschwinge. „Lüstern? Ich?“ „Ja.“ „Du bist hier diejenige, die den Ruf der Unersättlichkeit genießt, Kobold.“ „Och! Eine derart freche Lüge von sich zu geben ...!“ „Aber es ist allgemein bekannt, dass Du mich geradezu anbetest, mein Herz!“ „Ist auch bekannt, dass Du der arroganteste, anmaßendste Kerl bist, der je unschuldige Teetassen missbraucht hat, um seinen Lebensunterhalt zu erschleichen?“ Zuko legte das Kinn auf ihren Scheitel. „Aber ja. Dieses Wissen rangiert in den Köpfen der Leute gleich hinter der Tatsache, wie unrettbar ich Dir verfallen bin.“ Jin, die gerade mit der Schelte hatte fortfahren wollen, schloss schnell den Mund. „Wirklich? Dann ist ja gut!“, seufzte sie zufrieden. „Sollen wir Deinen Onkel und Fon jetzt von ihrem Schicksal erlösen?“ „Und ihnen den ganzen Spass verderben?“ „Du hast wohl noch nie eine Schüssel Feuerflocken mit Lu Ten teilen müssen, hm? Sonst wüsstest Du, dass das kein Spass ist!“ „Alte Männer lieben Babysabber“, behauptete er unverfroren. „Hast Du das mal wieder irgendwo gelesen?“ Für diese Frechheit wurde sie nur von Oben herab angefunkelt. Jins zweite Schwangerschaft verlief noch reibungsloser, als die erste. Es plagten sie keine Albträume, keine seltsamen Launen, nichts! Nicht einmal der klitzekleinste Wermutstropfen schwamm im Freudenkelch des Feuerlords und seiner Familie. Er hätte gleich wissen müssen, dass etwas nicht stimmte. Aber Glück kann einen dazu verleiten, Vorsicht und Misstrauen abzulegen. Doch als er und Jin überglücklich ihren zweiten, kerngesunden Sohn in den Armen hielten ahnte noch niemand, wie sehr diese Idylle binnen eines Jahres bedroht werden würde. Ein Jahr. Die Frist lief ab. Ein Jahr später In der Nacht zum ersten Geburtstag seines Zweitgeborenen schrak Feuerlord Zuko kurz nach Mitternacht aus dem Schlaf. Er wusste sofort, was ihn geweckt hatte. Das Kribbeln! Es schien eine Ewigkeit her zu sein, seit ihn dieses Gefühl zuletzt gepackt hatte. Er zwang sich liegen zu bleiben und ruhig weiter zu atmen. Das Adrenalin schärfte seine Sinne auf nahezu schmerzhafte Art und Weise. Jedes noch so kleine Geräusch dröhnte in seinen Ohren. Als er sicher war, dass sich außer Jin und ihm niemand im Zimmer befand, glitt er lautlos aus dem Bett. Mit zusammengekniffenen Augen spähte er in die düsteren Schatten und Zwielichter der Nacht. Da war niemand. Doch sein wie wild hämmerndes Herz und die verkrampfte Nackenmuskulatur belehrten ihn eines besseren. Irgendetwas war definitiv nicht in Ordnung! Zuko schlich zu einer der großen Pflanzen, die Jin neben den gläsernen Türen hatte aufstellen lassen und belauerte aus dieser Deckung Terrasse und Treppen. Auch hier war nichts zu sehen. Das konnte doch nicht sein. Sein sechster Sinn hatte ihn noch nie betrogen. Angespannt stand er schließlich mitten im Raum, wartete, ob die Gefahr sich offenbaren würde. Vergebens. Angst begann in ihm hochzukriechen und drohte seine Wahrnehmung zu verwässern. Woher kam dieses verdammte Gefühl nur? Mittlerweile schien es von allen Seiten auf ihn einzustürmen. Zuko schloss die Augen, stieß die gesamte Luft aus seinen Lungen und leerte seine Gedanken. Lee! Er stürzte zu einer angelehnten Tür. Warum hatte er nicht gleich daran gedacht, nach dem Baby zu sehen? Die Luft im Kinderzimmer war trocken, eisig und roch nach Asche. Sie frass sich tief in Zukos Lungen. Sein Sohn lag in seinem kleinen Bett und schlief ahnungslos. Schnell nahm Zuko das Kind auf den Arm, trug es ins Schlafzimmer und entzündete ein wärmendes Feuer im Kamin. Was war los? Was, zur Hölle, war nur los? Woher kam diese Kälte im Kinderzimmer? Als er mit den Fingerknöcheln sacht über Lees Wange strich, sog er scharf die Luft ein. Der Kleine glühte! Als hätte es die Sorgen seines Vaters gespürt, begann das Kerlchen leise zu wimmern. „Zuko?“ Jin klang verwirrt. Ihr Ehemann sah auf, mit einem Ausdruck, den sie an ihm noch nie gesehen hatte. Panik. „Was ist?“ Sie bekam keine Antwort, denn Zuko rannte, seinen Sohn auf dem Arm, bereits durch das Vorzimmer, zu der Tür, die auf den Korridor führte, und riss sie auf. „Ein Arzt! Sofort!“, herrschte er die aufgeschreckten Wachen an. Als er wieder ins Schlafzimmer kam, war Jin hellwach und stand im Zimmer. „Was ist denn los?“, fragte sie mit Blick auf Lee, der inzwischen leise weinte. Er wirkte verwirrt. Ebenso, wie sein Vater. „Ich weiß nicht! Er hat Fieber! Und im Kinderzimmer war es eiskalt!“ Er stieß diese Worte fast anklagend aus. „Amma!“, jammerte Lee kläglich. Schnell streckte Jin ihre Arme aus und nahm einem wiederstrebendem Zuko sein Kind ab. Der Kleine warf erleichtert die Ärmchen um ihren Hals „Amma!“ „Ja,“ murmelte sie gegen seine Schläfe. „Mama ist ja da!“ Nach einigen abgehackten Atemstössen beruhigte Lee sich wieder und kuschelte sich vertrauensvoll seine Mutter. „Zuko?“ Der Drache tigerte auf und ab. „Wo bleibt der verfluchte Arzt?“ „Zuko?“ „Was?“, bellte er. „Er hat kein Fieber.“ „Natürlich hat er!“ „Nein. Er ... seine Temperatur ist völlig normal.“ „Unsinn, Jin!“, blaffte Zuko gereizt. „Er glüht! Du kannst das nur nicht beurteilen; Du frierst doch eh immer.“ Lee lutschte mittlerweile zufrieden an den Bändern von Jins Nachthemd. „Er hat nichts! Wenn er gejammert hat, dann vielleicht wegen eines neuen Zahns ...“ „Er HAT nicht gejammert!“ Jin starrte ihn an und verstand überhaupt nichts mehr. „Warum hast Du ihn dann aus dem Bett geholt?“ „WEIL ETWAS NICHT STIMMT! ER HAT FIEBER, VERDAMMT NOCH MAL!!“, brüllte Mylord mit geballten Fäusten. Das Schreien seines Vaters bewirkte, dass der kleine Prinz missmutig greinte und das Gesicht an Mamas Hals drückte. „Schon gut!“, lenkte Jin ein. „Der Arzt kommt ja gleich!“ Inzwischen machte sie sich allerdings größere Sorgen um ihren Mann, als um ihren Sohn. Es kam nicht nur ein Arzt, sondern gleich vier. Und keiner konnte bei Prinz Lee Fieber feststellen. „Messt noch mal!“ „Mylord ...“ „MESST NOCH MAL!!“ Die Ärzte verfielen in Hektik, und untersuchten das erstaunlich geduldige Kind erneut. Jin stand daneben, musterte besorgt ihren Drachen und kaute an ihren Fingernägeln. „Was ist denn hier los?“ Ursas sanfte Stimme schwebte durch den Raum. „Mutter! Endlich jemand, der seine Sinne noch beieinander hat!“ Zuko schoss auf die Großfürstin zu, nahm ihre Hand und zerrte sie zu seinem Sohn. „Hat er Fieber? Ja oder Nein?“, verlangte er zu wissen. Der Blick, den er den Anwesenden zuwarf, während Ursa sich über ihren Enkel beugte, besagte, was für Stümper sie alle waren. „Nein. Er hat keins.“ „Bitte?“, flüsterte Zuko. Wollten sie ihn alle für dumm verkaufen, oder für verrückt erklären lassen? Er wusste doch, was er fühlte! „Ihr irrt euch. Alle! Er glüht förmlich!“ Sechs Augenpaare sprachen eine andere Sprache. „Hört auf mich so anzusehen!“, raunte er. „Zuko!“ Jin fasste nach seiner Hand und zog ihn beiseite. „Lee hat kein Fieber. Und ... im Kinderzimmer war es auch nicht kalt.“ In ihren jadegünen Augen stand tiefe Sorge. Sorge um ihn. „Du denkst also, ich halluziniere?“ „Nein! Natürlich nicht!“ Sie hob seine Hand an ihre Wange. „Ich denke nur, dass Du zu vielleicht ängstlich bist, wenn es um die Kinder geht.“ „Ängstlich?“, fauchte er. „Ich habe keine Angst, dass er Fieber hat, ich FÜHLE es!“ Ärgerlich zog er seine Hand fort. „Drache ...“ Tränen verschleierten ihren Blick. „Sieh mich nicht so an, Jin!“ Zuko schüttelte den Kopf und fuhr sich mit beiden Händen durch die offene Mähne. „Sieh mich nicht so an!“ „Wie denn? Ich sehe Dich ganz normal an.“ „Nein! Du glaubst, mit mir stimmt etwas nicht.“ „Ich ... Ich mach mir nur Sorgen.“ Sie machte sich Sorgen? Um IHN statt um ihr krankes Kind? Aber vielleicht war es ja gar nicht Lee, der krank war. Vielleicht war es er selbst. War es das? Fing es jetzt an? Hatte es bei seinem Vater auch so begonnen? Mit eingebildeten Gefahren, lauernden Irrtümern? Hatte Ozai ebenfalls diese grundlose, tiefe Panik verspürt? „Du denkst, ich werde verrückt!“, flüsterte Zuko. „Nein“, antwortete sie, sich zur Ruhe zwingend. „Das ist nicht wahr.“ „Und wenn doch? Was ist, wenn es so ist?“ Jin war entsetzt. Was sagte er denn da? Und warum zitterte er? Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände. „Es ist aber nicht so! Du bist nur überarbeitet, Schatz! Du hattest seit Wochen nicht mehr als ein paar Stunden Ruhe. Warum gehst Du nicht rüber und hältst Deinen Sohn im Arm, bis er einschläft? Dann werden Deine Sorgen bestimmt verfliegen.“ Zuko nickte langsam. Er musste sich auf sie verlassen. Falls er den Verstand verlor, wäre Jin eben die Stimme der Vernunft. Sie gab ihm einen zärtlichen Kuss. Den bekümmerten Blick, mit dem sie ihm hinterher sah, bemerkte er nicht. Zuko ging auf zu Ursa, die gerade ihren Enkel herzte. Lee wirkte fröhlich und zufrieden. Er war also tatsächlich nur überängstlich gewesen. „Irre ich mich, oder ist es mitten in der Nacht?“, klang eine verschlafene Stimme von der Tür. „Onkel!“ Iroh erfasste die Lage mit einem schnellen Blick in die Runde. „Wer ist krank?“, fragte er scharf. „Niemand“, gab Zuko zu. „Ich dachte, Lee hätte Fieber.“ „Hm“, brummte der General und schlurfte näher. „Er sieht doch aber putzmunter aus. Nicht wahr? Putzmunter bist Du.“ Er kitzelte das Baby am Hals. Kaum hatte er Kontakt mit der weichen Haut, zog er abrupt seine Finger zurück. „Aber ... er hat doch Fieber! Hohes!“ „Was?“ Sofort griff Zuko nach seinem Sohn. Kaum berührte sein Vater ihn, fing Lee erneut an, wie am Spieß zu brüllen. Zuko riss keuchend seine Hände fort und machte zwei ziellose Schritte rückwärts. Das Kind war so heiß, dass er sich fast daran verbrannt hätte. Jetzt rannte Jin zu Ursa, nahm ihr Baby und drückte es fest an sich. Sie tauschte einen verstörten Blick mit ihrem Mann. „Was geht hier vor?“, raunte Zuko. In keinem der Gesichter, in die er blickte, stand die Antwort. Sie wussten ebenso wenig wie er, was dieses Phantom-Fieber zu bedeuten hatte. Doch er kannte jemanden, der es vielleicht tat. „Onkel, die Signalfeuer sollen umgehend entzündet werden!“ „Die Weißen?“, wollte Iroh wissen. Zuko nickte. Sein Onkel war also zu dem gleichen Schluss gekommen. Sie brauchten die Hilfe des Avatar! Kapitel 28: Der Schmerz des Drachen ----------------------------------- Die Signalfeuer waren eines der simpelsten, aber genialsten Kommunikationsmittel, die der Feuernation zur Verfügung standen. Sie verbreiteten sich in Windeseile, da in Sichtweite eines jeden Signalturms der nächste schon darauf wartete, ebenfalls entzündet zu werden. Diese Türme waren flächendeckend überall verteilt, selbst auf den Meeren. Durch Pulver, die in das Feuer geschüttet wurden, ließ sich die Farbe der Flammen verändern, so dass sie Eingeweihten eine Botschaft übermittelten konnten. Bei `Weiß´ würden seine Freunde sofort wissen, dass der Feuerlord ihre Hilfe benötigte. Sie würden hoffentlich nur ein paar Stunden brauchen um hier zu sein. Stunden, die Zuko vorkamen wie eine Ewigkeit! Wie immer, wenn seine Unruhe zu groß wurde, hetzte er mit langen, ungeduldigen Schritten auf und ab. Jin sass auf einer Kante des riesigen Ehebetts, die verkrampften Hände zwischen die Knie geklemmt. Nie hatte sie blasser ausgesehen. Oder besorgter. Ihr angstvoller Blick folgte jeder seiner fahrigen Bewegungen. Sie wusste ja nicht mal, um wen sie sich mehr sorgen sollte; Ihr Kind, oder ihren Mann. Inzwischen war es kurz vor Morgengrauen, aber Zuko hatte momentan andere Dinge im Kopf, als den Tento. Die Sonne musste heute ohne die Assistenz ihres obersten Dieners auskommen. Um ehrlich zu sein, konnte sie ihm heute den Buckel runterrutschen, die Sonne. Er warf sich in einen Sessel und begrub den Kopf in den Händen. „Wo, zum Teufel, bleiben sie?“, stieß er zum vielleicht zwanzigsten Mal aus. Jin ergriff nun, da er endlich still hielt, die Gelegenheit und ging zu ihm. Sie setzte sich auf die Armlehne und zog versuchsweise seinen Kopf an ihre Schulter. Er ließ es schweigend zu. „Sie kommen doch! Aber selbst mit dem Bison dauert es eine Weile“, flüsterte sie an seine versengte Schläfe. „Ich habe aber keine Weile! Du magst das ja anders sehen. Bei Dir brüllt er ja auch nicht, als wären tausend Dämonen hinter ihm her. Er erträgt meine Nähe nicht. Mein eigener Sohn!“ Jin sah es ganz und gar nicht anders, aber im Augenblick war Zuko viel zu verletzt, um das zu sehen. Also hielt sie ihn einfach nur fest. Es klopfte leise und Iroh Tatzu trat ein, in der Hand eine alte, staubige Schriftrolle. „Onkel, wo wart Ihr denn?“, wurde er sofort angeblafft. Iroh überging diese patzige Frage. Er wusste schließlich, Zukos Tonfall entsprang nur der Angst. „Wo ist Ursa?“, wollte er statt dessen wissen. „Da es Lee besser geht, wenn er nicht in meiner Nähe ist, kümmert sie sich um ihn. Außerdem schreibt sie einen Brief an irgendeine Nonne, die angeblich horrende Erfahrung mit fieberhaften Infekten haben soll. So hat sie wenigstens etwas zu tun ...“ „Hm. Einen Versuch ist es wert“, meinte Iroh und eilte zu einem kleinen Schreibtisch, um das antike Schriftstück zu entrollen. „Ich hielt es für angebracht, etwas in den alten Schriften zu stöbern! Ich habe tatsächlich die Urschrift von Unas Prophezeiung gefunden.“ „Ich wüsste nicht, wie diese alten Reime uns weiterhelfen sollten!“, knurrte Zuko. Iroh wechselte einen raschen Blick mit Jin. „Nun ... Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, dass ... äh, dass sie sich auf Dich und Jin beziehen könnten?“, fragte er seinen Neffen vorsichtig. „Natürlich habe ich das!“, fauchte Mylord, stand auf und stakste erneut im Zimmer umher. „Mit `Träger der Feuerblume´ werden wohl kaum irgendwelche Floristen gemeint sein!“ Gut gewürzter Sarkasmus ätzte Löcher in Zukos Stimme. „Außerdem liegt es sonst auch nicht in meiner Art, mich nach paar schmachtenden Blicken eines dahergelaufenen Görs einfach auf unbefristete Zeit zu vergaffen.“ Die Blicke, die ihm das dahergelaufene Gör jetzt zuwarf, waren alles andere als schmachtend. Lediglich die Aussage, er hätte sich auf unbefristete Zeit vergafft, ließ Jin die Ruhe bewahren. Er hatte es gewusst? Die ganze Zeit, in der sie hin und her überlegt hatte, ob sie ihm von den Vermutungen seines Onkels und ihren Träumen erzählen sollte, hatte er es schon gewusst? „Es tut mir leid, Jin!“, stieß Zukos zerknirscht aus. „Ich wollte damit nicht sagen ...“ Sie griff nach seiner Hand und drückte sie in stummem Einverständnis. Momentan waren ihre Sorgen zu groß, um sich wegen ein paar unbedachter Worte zu zieren. „Du hast Bescheid gewusst?“ Auch Iroh schien perplex. „Über die Prophezeiung?“, schnaubte Zuko. „Sie ist ja wohl kein Geheimnis.“ „Aber die wenigsten kennen sie wirklich.“ „Die Weissagung ist irrelevant, Onkel! Falls sie sich auf uns beziehen sollte, stimmt sie leider nicht, denn momentan ist von einem gebrochenen Fluch noch nichts zu sehen. Falls es Euch entgangen ist: Mein Sohn reagiert auf mich, als sei ich ein Scheusal! Ich halte das durchaus für ein Zeichen von Zwietracht.“ „Nun ... diese Dinge erledigen sich nicht immer von selbst“, beruhigte ihn sein Onkel. „Vielleicht sollten wir den Text etwas gründlicher untersuchen?“ „Ich habe weder Zeit für schwachsinnige Gedichts-Interpretationen, noch fürs Teeschlürfen oder Pai Cho oder irgendeine Eurer sonstigen Lieblingsbeschäftigungen!“, rief Zuko am Ende seiner Geduld. „Fein!“ Iroh klang leicht beleidigt. „Dann investiert Eure kostbare Zeit eben in sinnloses Herumgerenne, ich bin sicher, es aktiviert Euer Denkvermögen ungemein!“ „Was meint sie mit `des Bruders Schmerz´?“ Jins Frage unterbrach das Wortgefecht zwischen Neffe und Onkel. Während die beiden sich stritten hatte sie zum ersten Mal den gesamten Text gelesen. „Lass sehen ...“, brummte Iroh. „Hier, die letzten beiden Zeilen!“ `Wohl Dir Drachenherz, Wohl Deinen Erben! Des Bruders Schmerz wird endlich ersterben.´ „Hmm ... Damit ist Tatzus jüngerer Bruder Arkun gemeint. Soweit wir wissen, hatte Arkuns Rachsucht einen Grund. Einen sehr traurigen. Er hatte in der jahrelangen Fehde zwischen den Erd- und den Feuerdrachen Frau und Kind verloren und wurde vor Trauer halb wahnsinnig. Er versuchte Hsui auszulöschen, weil er allen Erddrachen den Tod geschworen hatte. Es heißt, er wollte eben den vernichtenden Schlag gegen sie führen, als Tatzu in letzter Sekunde dazu kam. Ihm blieb nichts übrig, als seinen Bruder zu töten.“ „Arkun verlor seine ganze Familie? Das ist ja furchtbar!“, hauchte Jin. Zuko fuhr blitzschnell herum „Furchtbar?“, knirschte er, „Und was ist damit, dass er den Rest seiner Familie im Sterben verflucht hat? Was ist damit, dass uns seit Jahrtausenden Hass, Neid und Missgunst zerfressen? Was ist damit, dass mein eigener Vater mich verabscheute? Dass er meine Schwester umbrachte ... Was ist DAMIT, Jin?“ Aufgebracht deutete er auf seine flammende, nie verblassende Narbe. „Das ist ebenso furchtbar!“, flüsterte sie. „Aber ...“ „Es gibt kein ABER!“ „Was würdest Du denn tun, wenn mir oder den Kindern etwas zustieße?“ „SCHWEIG!“ Zuko sank auf einen Stuhl und presste seine Hände gegen die Schläfen. Schon die bloße Vorstellung machte ihn krank, einsam und elend. „Bitte schweig!“ Ohne seine Kinder gäbe es keine Hoffnung mehr. Und ohne Jin ... Ohne Jin gäbe es weder Lachen noch Liebe. „Zuko!“ Sie ging vor seinem Stuhl in die Hocke und griff nach seinen Händen. „Er hat sie geliebt, Drache.“ „Aber ich kann nichts dagegen tun!“, raunte er. „Sie sind tot. Ich kann sie ihm nicht wieder geben. Wie soll ich seinen Schmerz denn enden? Wie?“ „Vielleicht wird Aang uns diese Frage beantworten können“ warf Iroh ein. Aang. Ja! Vielleicht würde Aang es können. Den einzigen Lichtblick an diesem Morgen voll banger Fragen bescherte Prinz Lu Ten. Jegliche Zweifel, wie ER auf seinen Vater reagieren würde, zerstreuten sich in alle Winde, als er mit Ursa zusammen das Zimmer betrat und sofort auf stämmigen Beinchen zu seinen Eltern rannte, um wie immer den Tag damit zu beginnen, dicke, feuchte Schmatzer großzügig aber gerecht auf deren Gesichter zu verteilen. Die gute Laune des Kronprinzen ließ erst etwas nach, als ihm schonend beigebracht wurde, Papa hätte heute nun doch keine Zeit, wie versprochen mit ihm und seinem Bruder Drachen steigen zu lassen. Dabei hatte der Pimpf doch Geburtstag! Doch Lu Ten hatte das Gefühl, sein Vater sei sehr, sehr traurig darüber und so beließ er es bei einem kurzen Vorschieben der Unterlippe. Da seine Mama auch nicht besonders glücklich aussah, folgte Lu Ten seiner Großmutter bereitwillig ins Spielzimmer. Große konnten ja so seltsam sein! Zwei Stunden später wurde endlich Appa, das Flugbison, gesichtet. Die Freunde des Feuerlords hatten alles stehen und liegen lassen und sich sofort auf den Weg gemacht. Aang war - außer den Herren Tatzu - der einzige, der Lees Fieber fühlen konnte. Zuko wollte ihn  daraufhin natürlich sofort in die Geisterwelt komplimentieren, doch sein Onkel bestand darauf, die kleine Truppe erst einmal aufzuklären. Eine Zeitverschwendung, die Seine Lordschaft mit unmutsvollem Zähneknirschen quittierte. „Wollt ihr damit sagen, einer eurer Vorfahren war ein, äh ... Halbdrache, dessen Geist, oder was auch immer, seit Generationen eure Familie drangsaliert?“, wollte Sokka eine viertel Stunde später ungläubig wissen. Iroh nickte, Zuko schnaubte nur. „Oh Mann! Und ich hielt schon Tophs Verwandtschaft für eine Plage!“ Das blinde Mädchen, das seit fast zwei Jahren seine Frau war, verpasste Sokka eine harte Kopfnuss. „Ich hatte Dich vorgewarnt, aber Du wolltest ja partout heiraten!“ „Na, wenn ich´s nicht gemacht hätte, wären sie Dich ja nie losgeworden.“ Toph öffnete den Mund zu einer entsprechenden Erwiderung. „Könntet ihr vielleicht später weiter turteln?“, fauchte Zuko seine beste Freundin und deren Angetrauten an. „Wenn wir dieses klitzekleine Problem in den Griff bekommen haben und euer Patenkind nicht mehr von irgendwas oder irgendwem besessen ist?“ „Natürlich. Entschuldige! Aber er hat angefangen.“ In seltenen Fällen konnte selbst Toph kleinlaut sein. Aang, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte, ergriff nun das Wort. „Gut. Ihr habt also einen ruhelosen Urahnen, aber den genauen Grund für seinen Unfrieden kennt niemand. Ist es das?“, fragte er. „Nun ja,“, begann Iroh, der Analytiker, „Seine unvollendeten Rachegelüste könnten natürlich die Ursache sein. Oder die Tatsache, dass sein Bruder ihn getötet hat. Die dringendste Frage ist: Wie können wir ihm seine Ruhe verschaffen? Etwas plagt ihn und wir ...“ „Soll ich vielleicht noch eine Wasserpfeife holen lassen, damit dieses kleine Schwätzchen hier noch gemütlicher wird?“ Zukos Stimme knisterte gefährlich. „Wir könnten dann versuchen, Aang mittels einer längeren Grundsatzdebatte auf die höhere Bewusstseinsebene zu versetzten. Diese ganzen Spekulationen haben keinen Sinn! Die einzig gültigen Antworten kann uns Arkun selbst geben, also schlage ich vor, dass Aang seinen Hintern endlich in die Geisterwelt schafft!“ Die anderen sahen ihn an und blinzelten. „Ok!“ machte Aang schnell, bevor der Tonfall des Sonnengekrönten NOCH unangenehmer werden konnte. Wenn Zuko die Geduld verlor war er wirklich wie die Pest am A ... vatargesäss. Es wurde Zeit, die Dimension zu wechseln. Auf der anderen Seite empfing Aang eine unerwartete Leere. Meist hielten sich auf dieser Ebene mehrere Geister auf, doch hier fühlte er lediglich die vage Präsenz einer einzigen, zutiefst zermürbten Seele. Er hatte in der immateriellen Welt schon die unterschiedlichsten Umgebungen gesehen, aber noch nie eine solche Ödnis. Die realen Konturen des Palastes waren noch als fahle Umrisse zu erahnen. Aang schärfte sein drittes Auge, den Sinn für das Übernatürliche. Einige hundert Meter vor ihm, etwas rechts, begann es schwach zu leuchten, als er schließlich eine erkennbare Aura wahrnahm, kalt, abgestumpft und lebensfeindlich. Es war das Zimmer, in dem das Baby spielte. Er hatte also eine Spur. Diese Energie musste von irgendwoher kommen. Der junge Avatar ging näher und konzentrierte seine Gedanken auf das Leuchten, bis er eine Fährte erkennen konnte, die sich wie ein feiner, silbriger Faden vor ihm herzuziehen begann. Jetzt hatte er ihn! Die Spur führte Aang immer tiefer in alte, fast vergessene Katakomben; das steinerne Herz des Palastes. Zehn Minuten später bekam er endlich das Geschöpf zu Gesicht, das für die Ödnis und Einsamkeit verantwortlich war. Blau und silbern schimmernd kauerte es in einer Grabkammer, dem einzigen Raum, der in dieser Welt Substanz zu haben schien. Sein langer Leib war um eine verfallene Gedenktafel geschlungen. Langsam, als müsse er erst entscheiden, ob diese Störung seiner Aufmerksamkeit überhaupt würdig sei, hob der Drache das Haupt. Gelbe, kalte Augen glommen Aang aus dem Zweilicht entgegen. „Ah! Ich habe Dich erwartet, Weltenwandler.“ Die tiefe, seltsam substanzlose Stimme klang, als käme sie aus hunderten enger Kehlen, rau geworden durch irrsinnige Schreie der Wut. „Bist Du Arkun?“ „Stellst Du immer Fragen, deren Antworten Du schon kennst, Mönch? Ich hatte mehr erwartet.“ Gut, wenn der Blaue unbedingt die direkte Konfrontation wollte, sollte er sie haben. „Warum vergiftest Du mit Deiner Hoffnungslosigkeit dieses Kind?“ „Weil ich es kann!“ „Das soll der Grund sein? Einfach nur Hass, um des Hasses Willen? Das glaube ich Dir nicht. Dieser Junge ist erst ein Jahr alt!“ Das alte Wesen blieb hochmütig und ungerührt, gab keinen Ton von sich, doch in Aangs Schädel formte sich langsam ein Name. Kiram ... „Ist es wegen Kiram?“, fragte er schnell. Der mächtige Kopf des Drachen schoss vor. Ein schmerzhaftes, irres Fauchen war zu hören. „Woher kennst Du diesen Namen, Mönch?“ „Nun, das ist eben eine der Antworten, deren Frage ich nicht kenne.“ Ein irisierender Blick durchbohrte Aang. „Sie nahmen ihn mir, als er ebenso alt war. An seinem Jahrestag! Und Zirah ...“ Die Luft um den Drachen wurde kälter und beißender. „Zirah versuchte ihn zu retten. Sie haben sie mir ebenfalls genommen. An einem Tag, Mönch. An einem Tag haben sie mir alles genommen! Von da an gab es nichts mehr für mich, außer dem Hass. Beantwortet das Deine zweite Frage?“ „Aber ... wenn Dich sonst nichts hält, warum folgst Du ihren Seelen nicht? Warum bist Du noch hier?“ Das Lachen des Drachen war tonlos, dumpf und zischend. Wie trockene Luft, die über hohle Knochen streicht. „Ihren Seelen? IHREN SEELEN?“ Gelbe Augen starrten in die von Aang; tiefe Brunnen, angefüllt mit Bitterkeit und Schmerz. Die Trauer darin war unbeschreiblich tief und unbeschreiblich alt. „Sie haben ihre Körper verscharrt. Sie warfen sie in ein Loch und ließen sie verrotten! Weißt Du, was das für ein Feuerwesen bedeutet? Ahnst Du es?“ „Ich weiß es!“, flüsterte Aang entsetzt. Um die Seele eines Feuerwesens zu befreien mussten seine sterblichen Überreste den Flammen übergeben werden. Es nur zu vergraben war das Schlimmste, was man ihm antun konnte. Er konnte kaum fassen, wie jemand zu so einer frevelhaften, unheiligen Handlung fähig sein sollte. Selbst den schlimmsten Feinden musste die Gnade einer angemessenen Bestattung zuteil werden! „Hätten sie sie in die tiefste Hölle verbannt, ich wäre ihnen gefolgt, Weltenwandler. Aber da ist nichts, dem ich folgen kann. Ihre Essenz ist gefangen. In einem fauligen, stinkenden Loch! Sie werden erst frei sein, wenn die Welt im Feuer endet. Ebenso wie ich. Also kümmert sie mich nicht, die Welt! Je eher sie endet, desto besser.“ „Das tut mir sehr leid, Arkun!“ „Wirklich, Mönch?“ Forschend legte der Drache den Kopf schief. „Ich glaube fast, Du sagst die Wahrheit. Doch es ist egal. Mich schert Dein Mitgefühl nicht, denn es ist nur eine Hülle. Ich hatte auch das Mitgefühl meines Bruders. Doch was hat es mir gebracht? Obwohl es die Schlammwühler waren, die meine Gefährtin und meinen Sohn mordeten, hat Tatzu es gewagt, eine der Ihren zu erwählen! Obwohl unser König und unser Vater durch die Hand der Erddrachen gefallen waren, trug eines ihrer Weiber sein Kind unter dem Herzen! Mein Schmerz war ihm in diesem Moment gleichgültig und er war es auch im Augenblick meines Todes. Warum sonst hätte er mich dem Feuer übergeben? Warum ließ er meine Seele frei, wenn er wusste, dass sie zur ewigen Einsamkeit verdammt würde? Ist das Mitgefühl, Mönch? Selbst sein letztes Versprechen hat er gebrochen ...“ „Ein Versprechen? Was hat er versprochen?“ „Geh! Ich will nicht mehr mit Dir sprechen!“ „Was, Arkun? Ich gehe erst, wenn Du mir sagst, was Tatzu Dir versprochen hat!“ „Er versprach sie zu finden. Als Antwort auf meinen Fluch gab mein ach so edelmütiger und stolzer Bruder mir ein Versprechen. Ein Versprechen, das er brach. Mein Bruder, der alles erreichte, was er sich vornahm. Außer dieser Kleinigkeit! Erwartest Du wirklich, dass ich die Brut seines Wiedergängers verschone, Mönch?“ Den letzten Satz spie er verächtlich aus. „Es ist nicht nur der Hass, der Dich zu diesen Dingen verleitet, nicht wahr?“ Forschend blickte Aang in die kalten, gelben Augen. „Hass alleine könnte nicht so lange bestehen. Du willst etwas. Du ... hast immer noch Hoffnung!“ „Hoffnung?“, höhnte der Drache. „Nein! Seit fast zweitausend Jahren warte ich. Ich habe keine Hoffnung mehr übrig, dummer Mensch!“ „Doch! Du hast mich erwartet. Und Du beobachtest die Nachkommen Deines Bruders. Hast Du auf den Wiedergänger gewartet?“ Trockenes, boshaftes Kichern geisterte wieder durch den Raum. „Schon lange nicht mehr! Denkst Du, dieser ... Zuko wäre der erste? Vier Wiedergänger sah ich kommen und gehen. Und jeder nahm meine Hoffnung mit ins Grab. Und weißt Du auch warum, Mönch?“ Das löwenartige Maul befand sich nun direkt vor Aang. „Keiner von ihnen WOLLTE mir helfen. Ebenso wie mein Bruder, dachten sie nur an sich selbst. Oh ... zwei davon haben sich durchaus bemüht. Es war fast erbärmlich, wie sehr. Aber sie alle wollten nur den Fluch brechen, um ihre Familie zu schützen. Keiner half UNS! Auch dieser wird es nicht.“ „Doch! Er wird.“ „Ah! Er ist Dein Freund, wie ich sehe. Wie drollig! Und wie wenig Du uns verstehst, Weltenwandler. Dein `Freund´ trägt die Seele eines Feuerdrachen. Er verfolgt seine eigenen Ziele; so lange, bis er sie erreicht. SEINE, nicht die eines anderen!“ „Zuko wird das Versprechen einlösen!“, sagte Aang voller Überzeugung. „Zuko“, flüsterte der Drache fast entzückt. „Wird einen Sohn haben, der ihn fürchtet und verabscheut. Und mit der Zeit wird das Herz Deines Freundes sich erneut verhärten. Ich hatte ihn schließlich schon einmal soweit. Ich hatte ihn dazu gebracht, den eigenen Vater zu hassen!“ „Nein! Mag sein, dass Du Ozai dazu gebracht hast, seinen Sohn zu hassen. Aber umgekehrt war es nicht so. Zuko hat seinen Vater nicht gehasst. Und jetzt komm endlich auf den Punkt, und sag mir, wo die Suche beginnt! Oder willst Du Zirah und Kiram am Ende gar nicht helfen?“ „Es Dir zu sagen, würde bedeuten, mich törichter Hoffnung hinzugeben.“ „Das tust Du doch ohnehin, Arkun, denn Du weißt, dass DIESER Wiedergänger endlich seine Gefährtin fand. Das ist der Schlüssel nicht wahr? Wie es in der Prophezeiung steht.“ Das Biest sah Aang lange an und senkte dann müde den Kopf. „Lass mich hoffen, dass es so ist, Mönch. Ein letztes Mal will ich noch hoffen ...“ „Dann sag mir, wie wir sie finden können!“ Geister hatten letztendlich immer einen Plan. Soviel wusste Aang aus Erfahrung. Und sie hatten immer Hoffnung, denn sonst hörten sie auf zu existieren. „Untersucht das Zeichen seiner Macht. In seinem Inneren ließ Tatzu den Ring einarbeiten, der mich mit Zirah verband. Diesen Ring muss er tragen. Statt des Eigenen.“ Aang stutzte. Er sollte von Zuko verlangen, seinen Ehering abzulegen? „Ah ... allmählich siehst Du das Problem, Mönch. Er wird sich weigern. Sein Stolz und sein Misstrauen werden ihn hindern, meine Sache über seine zu stellen. So ist es immer.“ „Er wird es tun!“ Der Avatar hoffte, dass seiner Stimme die Zweifel nicht anzuhören waren. „Wir werden sehen. Und vergiss nicht: Wenn er es nicht um unseretwillen tut, wird er sie niemals finden. Nur wenn er in Wahrheit mit mir fühlt wird er sie spüren. Im Osten, Weltenwandler! Sie schreien aus dem Osten zu mir.“ Aang brauchte einige Sekunden, bevor die leichte Desorientierung, die er nach jedem Wechsel der Ebenen spürte, nachließ. Etliche erwartungsvolle Gesichter starrten ihn an. „Und?“ Wie erwartet kam die ungeduldige Frage von Zuko. „Wir können ihm helfen!“ „Wirklich?“ „Ja! Wo ist Deine Krone?“ „Die Hono?" „Ja." „In den Privaträumen." Geschlossen eilte die Gruppe in die Gemächer des Feuerlords. Normalerweise waren sie für Außenstehende nicht zugänglich. Zielgerichtet stürmte Zuko zu einer Schatulle aus Ebenholz und öffnete sie. Die Fünfflammige schimmerte geheimnisvoll auf ihrem Bett aus dunkelroten Samt. „Hier!" Ohne zu zögern gab Zuko das kostbare Symbol seiner Herrschaft weiter. Aang drehte das uralte, goldene Artefakt in den Händen. „Hmm ... Wo soll hier denn ein Ring sein?“ „Ein Ring?“, fragte Iroh. „Ja. Im Zeichen der Macht soll ein Ring eingearbeitet sein.“ „Aber dann müsste eine Nahtstelle, oder ähnliches zu sehen sein“, murmelte der General. Inzwischen fingerte er ebenfalls an der Krone herum. „Ich seh nichts!“ „Vielleicht kann Toph etwas fühlen? Immerhin ist das Ding aus Metall“, schlug Katara nun vor. Doch auch das schlug fehl. Nachdenklich betrachtete Jin ihren Gatten. Dabei verfing sich ihr Blick an dem seltenen Anblick einiger loser Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht fielen. Normalerweise trug er sie nicht so offen, sondern ... Sie griff in die Schatulle. „Zuko ...“ Mylord blickte auf. Als er die Rundklammer, an der die Hono festgesteckt wurde, in der Hand seiner Ehefrau entdeckte, sog er scharf die Luft ein und griff danach. Natürlich! Dieser große, ovale Ring war ebenso alt, wie die Krone selbst. Rechts und links befanden sich Löcher, durch die tagtäglich eine dicke, Haarnadel aus Ebenholz gesteckt wurde. Verzierte Löcher! Probehalber fuhr Zuko mit dem Fingernagel unter die Ornamente. Eines davon schien sich lösen zu lassen ... Augenblicke später kam darunter ein kreisrunder Hohlraum zum Vorschein. Zuko ließ den Inhalt in seine Hand gleiten. Es war ein schlichter, wunderschöner Goldring. „Du hast ihn gefunden, Kobold!“ Nachdem der erste Schritt getan war, erzählte Aang seinen Freunden in aller Kürze, was sein Besuch in der Geisterwelt ans Licht gebracht hatte. „... es gibt also nur einen Weg, seine Trauer zu beenden. Seine Frau und sein Kind müssen dem Feuer übergeben werden.“ Er deutete nun auf das alte Schmuckstück, auf der Handfläche seines Freundes. „Arkun sagte, hiermit wärst Du in der Lage, ihre Überreste zu finden. Es war sein Ehering.“ „Gut! Dann los!“ Zuko strebte Richtung Tür. „Äh...“ Aang kam nicht einmal dazu, seinen Satz zu beginnen, denn der Feuerlord hatte ein neues Problem: Sein Weib klebte auf diese ganz bestimmte Art und Weise an seinen Fersen. „Wo willst Du hin?“, verlangte Zuko zu wissen. „Mit!“, entgegnete Jin. Ihr Tonfall verriet, für wie dämlich sie seine Frage hielt. „Nein. Du bleibst hier!“ „Das werde ich nicht! Ich komme mit Dir.“ „Jemand muss hier bei den Kindern bleiben!“ „Deine Mutter und Dein Onkel sind hier.“ „Jin! Lu Ten und Lee brauchen Dich jetzt!“ „Und Du? Was ist, wenn Du mich brauchst?“ „Das tue ich! Aber hier. Wenn ich mir auch noch Sorgen um Dich machen muss ...“ „Ich will Dich aber nicht alleine lassen!“, flüsterte Jin. „Das wirst Du auch nicht. Seit neun Jahren trag ich Dich bei mir. Warum sollte sich das jetzt ändern?“ „Mach jetzt keine Witze darüber!“ In ihren Augen standen Tränen. „Witze?“ Zuko schüttelte den Kopf. „Ich mach keine Witze.“ „Was, wenn es gefährlich wird?“ „Das wird es nicht! Und falls doch, möchte ich erst recht, dass Du hier bist.“ Er konnte ihre Unentschlossenheit sehen, als sie ihre Unterlippe bearbeitete. „Bitte, Kobold, zwing mich nicht, es Dir zu befehlen!“ Für eine Sekunde blitzte Trotz aus Jins Augen. „Schön!“, wisperte sie schließlich. „Aber wenn Du Dir auch nur ein Haar krümmen lässt, werde ich Dir das nie verzeihen!“ „Mir wird nichts geschehen, mein Herz!“ Schnell, um sich nicht noch einer sentimentalen Anwandlung hinzugeben, presste Zuko ihr einen heftigen Kuss auf die Lippen und drehte sich dann rasch um. „Lasst uns gehen!“ „Äh ... Zuko?“ Aang startete einen zweiten Anlauf. „Was denn noch?“ „Du musst den Ring tragen!“ „Das tue ich doch!“ Zuko bemerkte den seltsamen Blick seines Freundes. „Was?“ „Du, äh ... Du musst ihn RICHTIG tragen!“ „Richtig? Du meinst ... anstelle meines eigenen?“ Der Avatar nickte. „Nein! Vergiss es!“ „Hey, ich hab die Regeln nicht gemacht! Geister sind eben manchmal ein wenig ... exzentrisch.“ „Ich werde meinen Ring nicht abnehmen!“ „Arkun hat gesagt, Du würdest zu stur sein.“ „Was?“ „Er hat gewusst, dass Du nicht helfen willst.“ Aang klang enttäuscht. „Ich will nicht?“ Zuko stieß ein hartes Lachen aus. „Es geht um meinen Sohn! Natürlich will ich!“ „Nein, Zuko! Das ist es ja: Es geht nicht um Lee! Es geht um Deine Vorfahren. Um Arkun, um Zirah und um ihren Sohn.“ Zuko wandte sich ab und starrte, die Fäuste schmerzhaft geballt, mehrere Minuten ins Leere. Wie konnte das alles nur so schnell auf ihn einstürzen? Er blendete sein inneres Chaos aus. Diese Welt, die langsam begann, sich aufzulösen. Seine Welt, die doch gestern noch so vollkommen gewesen war. Die Welt, deren gesamte Existenz von seiner Familie abhing. Von Jin. „Zirah ... war das ihr Name?“, fragte er schließlich leise. „Ja.“ „Es bedeutet `die Selbstlose´“, murmelte Zuko. Eine andre Welt war mit ihrem Tod auf immer zerbrochen. Seine Hand schloss sich fest um das kühle Metall des Rings. „Also gut!“, raunte er. „Schlüpfen wir eben in die Haut des Drachen.“ Schnell, bevor er es sich anders überlegte, zog er den eigenen Ring vom Finger und drückte ihn Jin in die Hand. „Wage es nicht, ihn zu verlegen, Kobold!“ „Ich pass darauf auf“, versprach sie leise schniefend, ohne ihm jedoch in die Augen zu sehen. „Nicht weinen, mein Herz! Aang wird es schon schaffen“, flüsterte er leise. Jin nickte, umfasste sein Gesicht und blickte in die geliebten, sorgenumflorten Drachenaugen. „DU wirst es schaffen!“ Damit schlang sie die Arme um seinen Hals und presste ihren Mund fest auf seinen. Ihr Mann ignorierte die Tatsache, dass dieses Verhalten vor den Augen so vieler Zuschauer eigentlich unangemessen war, und küsste lange und innig zurück. Sie waren eben im Begriff, Appa zu besteigen, als Iroh Tatzu sich in einem Tempo näherte, das man - royale Abstammung hin oder her - guten Gewissens als Rennen bezeichnen konnte. „Einen Augenblick!“, schnaufte er. „ich dachte dies hier könnte nützlich sein.“ Er hielt Zuko eine recht geräumige, kunstvoll geschnitzte Kiste aus Ebenholz entgegen. „Sie ist geweiht. Für die Gebeine!“ Sein Neffe nickte. „Das hätte ich vergessen. Danke, Onkel!“ Er blickte den General eindringlich an. „Achtet Ihr auf Jin und die Kinder?“ „Natürlich, mein Junge. Viel Glück!“ „Appa, Jipp Jipp!“, rief Aang. Also flogen sie nach Osten. Wie der Drache sie angewiesen hatte. Erst nach zwei Stunden brach Zuko sein brütendes Schweigen. „Bist Du sicher, dass Arkun Dir keine weiteren Hinweise gegeben hat?“ „Ja. Er wusste auch nicht mehr. Sie müssen irgendwo im Osten sein.“ Der Feuerlord presste die Lippen zusammen. „Was ist, wenn ich nach weiteren zwei Stunden noch immer nichts fühle?“ Aang betrachtete das versteinerte Profil neben sich. Einen verschlossenen Zuko waren sie alle gewohnt. Die meiste Zeit über würde er sich eher in Öl sieden lassen, als irgendetwas von sich preiszugeben. Doch jetzt wurde er ganz offensichtlich von Sorge um sein Kind zerfressen. Würde der blaue Drache Recht behalten? Würde auch dieser Nachfahre Tatzus scheitern, weil die eigene Angst größer war, als das Bemühen um Arkun und dessen Familie? Nein! Der junge Avatar kannte seinen Freund besser. Zuko mochte stur und dickköpfig sein, aber engstirnig war er nicht. Er würde Gnade vor Recht ergehen lassen, und dieser leidenden Seele helfen, egal wie viel Elend sie über die Welt gebracht hatte. Er musste es ganz einfach. Er brauchte nur noch einen winzigen Anstoss! „Der Name Kiram ... bedeutet er auch etwas?“, fragte Aang ruhig. „Der Geschenkte. Warum?“ „So hiess sein Sohn. Er starb an seinem ersten Geburtstag.“ Zuko senkte den Kopf. Darum hatte der Drache also den heutigen Tag gewählt. Lees ersten Geburtstag. „Gab ihm das das Recht, all das Unglück zu verursachen? Und damit meine ich nicht nur die Zerrissenheit meiner Familie. Vielleicht hätte es ohne ihn nie diesen Krieg gegeben.“ „Vielleicht“, gab Aang zu. „Für ihn zählte nur seine verdammte Rache!“ Zukos Freunde öffneten synchron den Mund. „Nein! Sagt Nichts!“, unterbrach er sie. „Für mich zählte auch nur eines. Meine verdammte Ehre, nicht wahr?“ Der Moment ,in dem er sich selbst den Spiegel vorhielt, war alles andere als angenehm. Er war ebenso gewesen. Und jetzt? Würde er anders reagieren, wenn jemand es wagen sollte, seine Familie auszulöschen? Nein. Er wäre nicht mehr er selbst. Er würde die Verantwortlichen gnadenlos jagen, zu Tode hetzen und eigenhändig in die Hölle peitschen! Und dann ... würde sein Schmerz ihn wahllos weiter wüten lassen. „Ich schätze, wir haben eine Spur“, murmelte Aang leise, als er das schwache Glimmen an Zukos Ringfinger bemerkte. Der Rest gestaltete sich im Grunde recht einfach. Die Gefahren der unwirtlichen Gegend beschränkten sich auf die üblichen Monster aus dem Tier und Pflanzenreich. Nichts, womit das eingespielte Team nicht im Handumdrehen fertig wurde. Zuko war trotzdem froh, dass Jin nicht zu Gesicht bekam, wie eine Riesenseeschlange ihn mit grünem Sekret voll triefte. Oder wie sie in Schwierigkeiten gerieten, weil Aang darauf bestand, ein Rudel angreifender Pythonpanther nicht zu töten sondern lediglich `auszuschalten´. Die Kratzer, die sie dabei einsteckten, waren für Kataras Heilkräfte zum Glück keine wirkliche Herausforderung. Das Gift schon eher. Schließlich gelangten sie zu der Stelle, die der Ring ihnen wies. Gemeinsam standen sie vor dem verschütteten Eingang einer Höhle. „Also gut. Dann lasst uns mal sehen, was da drin ist“, meinte Toph. Zusammen mit Aang machte sie sich daran, Erde, Geröll und Schutt beiseite zu schaffen. Der muffige Geruch, der ihnen entgegenschlug, machte deutlich, dass seit Jahrhunderten niemand mehr in dieser Gruft gewesen war. Während im Erdkönigreich verstaubte, schaurige Geheimnisse ans Licht geholt wurden, gab es im Feuerpalast eine Person, die während der Abwesenheit Seiner Lordschaft eine nahezu perfekte Imitation seiner morgendlichen Unruhe ablieferte. Lady Jin ließ sich durch nichts davon abbringen, unentwegt die gesamte Länge des privaten Wohnzimmers abzuschreiten. Sela versuchte es trotzdem. „Jin, wenn ich Dir weiter zusehe, bekomm ich noch eine Nackenzerrung!“ Als Antwort schlang ihre Freundin die Arme noch fester um sich. „Knubbelchen, Du machst die Kinder ganz unruhig ...“ „Das weiß ich, Tante Ria! Ich kann es aber beim besten Willen nicht ändern. Vielleicht solltet ihr lieber draußen mit ihnen spielen.“ „Und Dich hier allein lassen? Schlechte Idee!“, schnaubte ihre Freundin. „Lenkt es Dich vielleicht ab, wenn ich Dir erzähle, was heute Vormittag in der Weberei vorging?“ „Ich denke nicht.“ „Egal! Ich sag´s Dir trotzdem. Seit Dein tadelloser Ehemann darauf bestanden hat, uns diesen Griffelspitzer zur `Hilfe´ beiseite zu stellen, ruiniert Tian meine gesamte Organisation! Ich meine ... es lief alles wunderbar! Haben wir schwarze Zahlen geschrieben, oder was? Ich brauche keinen hirnlosen Advokaten, der mir sagt, wie ich die verdammte Gewinnspanne erhöhen kann. Sie war hoch genug! Ständig scharwenzelt er mir vor der Nase herum und tritt mir auf die Zehen, als würde die Werkstatt ihm gehören.“ „Sela! Wenn Du ein Problem mit Tian Fu hast, dann solltest Du das mit ihm besprechen. Er macht seine Sache sehr gut! Wir haben einen Riesenerfolg, seit er sich um manche Dinge kümmert.“ Jin hatte jetzt wirklich nicht die Geduld, diplomatisch zu sein. „Ach ... und den hatten wir nicht, bevor dieser Briefe-Schmierer sich eingemischt hat? Sag mir doch gleich, dass Du und Zuko mich für unfähig haltet, die Geschäfte zu leiten!“ „Sela, bitte! Das sagt doch keiner!“ Als ihre Geschäftspartnerin erneut zu einer Tirade ansetzten wollte, verlor Jin die Beherrschung. „Ich hab momentan wirklich andere Sorgen, als Dein Geplänkel mit dem Assistenten meines Mannes!“, fuhr sie Sela an. „Verstehe!“, sagte diese eingeschnappt. „Sela ... ich bin es nicht gewohnt, mich zu fragen, wo Zuko ist und ob es ihm gut geht.“ „Ja. Ich weiß. Tut mir leid. Tian bringt mich eben auf die Palme! Ich bin jetzt still.“ Jetzt hielt Ria es für angebracht, ihr Vertrauen in ihren Schwiegerneffen zu untermauern. „Jin, Liebes! Dein Mann kann bestens auf sich aufpassen, das weißt Du doch.“ „Ja“, flüsterte Mylady und sank auf einen Sessel. „Außerdem sind die andern doch bei ihm“, half Sela. „Ja.“ Die andern. Aber nicht sie! Nervös drehte Jin Zukos Ring zwischen den Fingern. Er war ein wenig größer als der ihre, glich ihm ansonsten allerdings völlig. Ein Siegel prangte auf dem kostbaren, verzierten Quadrat aus Gold, das den Ring krönte. Gedankenverloren strich Jin mit einer Fingerspitze immer wieder über das eingravierte Drachenkopfzeichen, welches seit Gründung der Feuernation als Wappen des Hauses Tatzu diente. Was sollte sie nur tun, wenn ihm etwas zustieß? Der Gedanke ließ ihre Hände verkrampfen und die Ecken des Siegels bohrten sich in ihre Haut. Sie spürte einen kurzen Widerstand, dann gab etwas nach. „Was?“, fragte Ria, als ihre Nichte erschrocken Luft holte. „Ich hab seinen Ring kaputt gemacht!“ Auch das noch. „Was? ... Jinny!“ Den Tränen nahe linste die Mylady auf die Bescherung. Aber ... der Ring war ja gar nicht beschädigt! An einer Seite hatte sich das Wappen ein wenig gehoben. Zukos Ring hatte Scharniere? Vorsichtig klappte Jin die  Abdeckung vollends auf. Was darunter zum Vorschein kam, ließ die Tränen, die in ihren Augen gestanden hatten, endgültig überfließen. Unter dem Wappen, in kostbarstes Gold gebettet, war ein winziger, wunderschöner Drache aus grüner Jade eingelassen. „Bestimmt lässt er sich reparieren!“, meinte Sela schnell, als sie die Nässe auf Jins Wangen sah. Mylady schüttelte den Kopf. „Er ist ...“ Sie räusperte sich. „Er ist nicht kaputt!“ „Sondern?“ „Nichts! Ich bin einfach nur ein sentimentales Weib!“ Ria, neugierig wie immer, schaute ihrer Nichte über die Schulter. „Oh, was ist das für ein Mechanismus? Ein Geheimfach? Ist das ... hat das was mit dieser Drachengeschichte zu tun?“ Jin nickte. Hatte ihre eigener Ring etwa den gleichen verborgenen Mechanismus? Als sie mit dem Fingernagel versuchsweise an den Kanten entlang fuhr, erklang ein leise Klicken. Obwohl sie wusste, was sie zu sehen bekommen würde, hielt sie den Atem an, als der Rubindrache zum Vorschein kam. Sie wusste selbst nicht, weshalb Anspannung und Sorge plötzlich um so vieles geringer wurden, aber es war so. Egal was passieren würde, sie und Zuko gehörten zusammen. Und er wusste es ebenso gut, wie sie. Lu Ten, der schon den ganzen Tag ungewöhnlich still gewesen war, nahm die Tränen seiner Mutter zum Anlass, die einzige Frage zu stellen, die ihn heute wirklich beschäftigte. „Wo is Papa?“ Jin wischte schnell mit den Händen über ihre Wangen, hob den Knirps auf ihren Schoß und strich die Haare aus seiner Stirn. „Er muss ganz dringend nach etwas suchen, Fröschen!“ „Ich will aber zu meinem Papa!“ beharrte ihr Erstgeborener. „Ich weiß. Er kommt so schnell er kann wieder her!“ „Ich will meinen Papa!“ Die Unterlippe des kleinen Thronanwärters zitterte. Er wurde fest in eine liebevolle Umarmung gezogen. „Scht ... Er ist ja bald wieder da, mein Schatz. Er ist bald wieder da!“ Es war so viel leichter ihn zu trösten, ihm zu beteuern, dass alles gut werden würde, jetzt wo sie selbst wieder fest daran glaubte. Kapitel 29: In dem Verborgenes entdeckt und die Welt ins Lot gerückt wird ------------------------------------------------------------------------- Fünf dreckstarrende, müde Gestalten wurden in eine dichte Wolke aus Schutt und Staub gehüllt, obwohl Aang sein Möglichstes tat um die untaugliche Luft unentwegt nach draussen zu schaffen. Zukos Flamme schuf in einem Umkreis von vielleicht drei Metern zwar ausreichend Licht, aber jenseits davon herrschte undurchdringliche Finsternis. „Herrgott, Toph!“, hustete Katara. „Sagtest Du nicht, es wäre gar nicht mehr so viel Gestein aus dem Weg zu räumen?“ „Ich sagte nicht mehr SO viel! Aber Du kannst gern versuchen, das Zeug mit Wasser wegzuspülen. ICH kann auch nichts dafür, wenn hier alles verschüttet ist!“ „Zuko, bist Du sicher, dass die Richtung stimmt?“ fragte Sokka. „Ja.“ „Na ja, ich mein ja nur... es ist ein Haufen Arbeit. Wär nicht so toll, wenn sie umson...“ „Ich BIN sicher!“ „Äh... gut!“ „Interessiert es euch, dass ich durch bin, oder möchtet ihr lieber weiter streiten?“ flötete Toph. „Du bist die Beste!“ stiess Zuko hervor, als er den Durchgang sah, den sie geschaffen hatte. „Hey! Das ist MEIN Satz!“ „Oh, Sokka, Du bist ja eifersüchtig! Wie süss!“ seine Frau klimperte mit den Wimpern. „Pf! Als ob!“ maulte er. „Hab ich gar nicht nötig!“ „Nein, Sülzkopf, hast Du auch nicht!“ Die Dunkelheit, die hinter der durchbrochenen Barriere lag hatte eine noch bedrohlichere Qualität, als die vorherige. Unaussprechliches schien in ihr zu lauern. Unaussprechliches und unausweichliches. Im Schein der Flammen konnten sie erkennen, dass sie nun von engen Gängen umgeben wurden, die eindeutig von Menschenhand erschaffen worden waren. „Da lang!“ Zuko deutete nach Links. Er brauchte nicht mehr auf den Ring zu sehen; er wusste auch so, wo sie entlang mussten. Die Enge, die Dunkelheit, die faulige Luft... all dies schnürte ihm fast die Kehle zu. Der Gedanke, hier verscharrt zu werden, durch Tonnen feuchter Erde und kalten Gesteins von Sonne, Wärme und Licht getrennt, war unerträglich. „Ausnahmsweise hoffe ich ja, dass ich mich irre, aber ich hab das Gefühl, dass hier ziemlich viele... Leute oder Wesen begraben wurden. Ich kann in dieser Erde nur Tod spüren.“ Selbst Toph fühlte sich hier unwohl. „DU fühlst wenigstens nicht ihre Geister.“ meinte Aang nur knapp. Sie gingen weiter, bis sie auf eine Felsplatte stiessen, die den Tunnel versperrte. „Ist das da oben eine Inschrift?“ fragte Sokka. „Ich kann die Zeichen gar nicht lesen.“ „Es sind alte Drachenrunen.“ murmelte Zuko. „Kannst Du sie lesen?“ „Ich kann´s versuchen...“ Er starrte stirnrunzelnd auf die verwitterten Gravuren und begann sie zu entziffern. `Feueratmer, Geisseln des Himmels! Möget ihr hier liegen, verborgen und verloschen bis ans Ende der Zeit!´ „Dann haben sie hier tatsächlich nur Feuerdrachen begraben? Das ist ja furchtbar!“ flüsterte Katara, die Gedanken aller aussprechend. „Nicht begraben... verscharrt!“ knirschte der Feuerlord. Er konnte seinen Zorn nur mühsam unter Kontrolle halten. Die Gräuel des letzten Krieges waren zahlreich gewesen, aber dies... „Lasst sie uns da raus holen!“ Die meisten Gebeine waren einfach nur wahllos auf dem Boden verstreut; Einigen wenigen war die zweifelhafte Ehre zuteil worden, einen besonderen Platz einzunehmen. „Was sind das für Nischen?“ fragte Katara. „Was steht auf den Schildern?“ „Es sind die Namen der drakonischen Fürstenhäuser.“ antwortete Zuko. Der König der Erddrachen hatte die Knochen von Mitgliedern der wichtigsten Familien wie Trophäen zur Schau gestellt. „Hier liegen Angehörige des Hauses Badur. Die Königskaste...“ Er deutete auf die zentralste Nische, direkt gegenüber des Eingangs. „Und hier... sind offenbar Mitglieder des hohen Hauses Kairoku. Sie waren die Leibwächter der Königsfamilie und stellten die oberste Kriegerkaste dar. Es... waren meine Vorfahren.“ „Dann müssten die Gebeine von Zirah und Kiram hier sein.“ murmelte Aang. Zuko nickte. Er holte tief Luft und machte sich an die grausige Arbeit, die unzähligen Knochen aus der Nische zu schichten. „Ich... hab einen...“ „Was ist?“ wollte Toph wissen. „Du zitterst ja wie verrückt!“ „Nichts! Es... ist nur unangenehm, sie... anzufassen.“ Unangenehm? Als er eben in Berührung mit dem Knochen gekommen war, war schneidende Kälte seinen Arm hochgeschossen. Aber so wusste er wenigstens, dass er die richtigen Gebeine erwischte. Nach fünfzehn Minuten rann Zuko der Schweiss über das Gesicht. Mittlerweile war sein Arm beinahe taub vor Kälte und die Schmerzen strahlten auf den gesamten Körper aus. „Zuko... meinst Du nicht, dass das genug Knochen sind?“ Katara klang besorgt. „Nein!“ presste er durch die Zähne. „Es fehlt... noch ein Schädel.“ „Vielleicht solltest Du mal Pause machen?“ Wenn selbst Sokka seiner Besorgnis um Zuko Ausdruck verlieh, zeigte das eines ganz deutlich: Die Freunde des Feuerlords rechneten jeden Augenblick damit, dass er an seine Grenzen stossen würde. „Nein!“ Wie besessen räumte er die Nische weiter aus. Selbst wenn seine Grenzen kämen... Gut, sollten sie doch! Hinter Grenzen ging es meistens weiter! Er würde jedenfalls nicht aufhören... Als seine Hand sich um etwas kleines, rundes schloss, ging er vor Schmerz in die Knie. Endlich hatte er den grausigsten seiner Funde gemacht... „Zuko!“ Dieser Ruf kam aus mehreren Kehlen gleichzeitig. „Das... war´s. Ihr... könnt die Kiste schliessen!“ keuchte der Feuerlord, nachdem er den winzigen Schädel in den Kasten aus Ebenholz gelegt hatte. Langsam versuchte er, wieder auf die Beine zu kommen. „Geht´s Dir gut? Du bist ziemlich... blass.“ meinte Aang. „Bestens! Toph, wie viele Meter Erdreich sind über dieser Kammer?“ „Hm...“ die Erdbändigerin legte ihre Hand an die Höhlenwand. „Ich würde sagen, an die fünfzehn Meter.“ „Kannst Du für einen Kamin sorgen?“ „Ein Loch? Durch Fünfzehn Meter Fels?“ Zuko nickte. „Klar kann ich! Aber nur von oben. Hier unten ist nicht genug Platz für den Schutt.“ „Gut. Dann geht ihr nach Oben, nehmt die Holzkiste mit und sorgt für das Loch in der Decke, sonst bekomme ich hier rein gar nichts zum Brennen.“ „Du willst das hier abfackeln?“ fragte Sokka entsetzt. „Ja. Es waren Feuerwesen. Ich muss es tun.“ „Dazu braucht es ein Inferno! Du willst nicht allen Ernstes hier in dieser Höhle ein so grosses Feuer machen, Zuko!? Dir wird die Atemluft ausgehen!“ Katara konnte schon an seinem Gesichtsausdruck sehen, dass sie sich die Worte hätte sparen können. „Aang wird eben von oben für Durchzug sorgen müssen!“ „Und wenn der Rauch trotzdem nicht schnell genug abzieht?“ fragte Aang. „Dann hat mich wohl eine Pechsträhne erwischt!“ „Versteh ich das richtig?“ mischte sich Sokka wieder ein. „Du riskierst hier wider besseren Wissens deinen Arsch und wenn´s schief geht sollen wir unsren auch noch riskieren?“ „Nein! Ihr sollt mir nur von aussen helfen!“ „Hey! Wofür hältst Du uns? Für eine Bande von Drückebergern? Wir riskieren unser Leben für wen, und sooft WIR wollen, klar?“ wild gestikulierte Sokka in die Finsternis. Zuko holte tief Luft. „Ich will gar nicht, dass...“ „Klappe!“ unterbrach ihn Toph. „Das wird wie in alten Zeiten!“ sie grinste verklärt. „Was für alte Zeiten? Wir haben Zuko nie gerettet!“ warf Sokka ein. „Dann wird´s ja wohl höchste Zeit!“ meinte Katara nur. „Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg. Aber wir würden es nie schaffen, alle Gebeine nach draussen zu schaffen.“ murmelte Zuko. „Wir müssen diesen Seelen jedenfalls helfen, soviel steht fest!“ nickte Aang. „Und es scheint mir ein ganz guter Plan zu sein.“ „Ja, wenn man auf geräucherte Ex-Prinzen steht!“ maulte Sokka. „Der Rauch ist zwar ein Problem, aber im Gegensatz zu euch, kann ich wenigstens die Hitze ertragen, also macht euch um mich keine Sorgen!“ Zuko sah seinen Freunden hinterher, als sie die Höhle verliessen. Er wünschte, er könnte so zuversichtlich sein, wie seine Worte. Die einzigen sterblichen Überreste der hier Begrabenen waren Knochen. Sie zum Brennen zu bringen erforderte eine bei weitem höhere Temperatur, als... nun ja, als bei normalen Leichen. Die Finger seiner linken Hand wanderten automatisch zum Ringfinger der Rechten, doch statt über das gewohnte Relief des Siegelrings strich er nur über einen glatten goldenen Reif. Er ballte die Fäuste. Hatte er das Recht, dieses Risiko einzugehen, obwohl seine Familie auf ihn wartete? Jin würde ihm nie verzeihen, wenn er... Aber hatte er das Recht, es NICHT zu tun? Die kalte Einsamkeit dieses Erdlochs liess nur einen Entschluss zu. Er musste dies hier versuchen, denn alles andere wäre selbstsüchtig und das würde ihm Jin ebenso wenig verzeihen. Aber er durfte sich keinen Fehler leisten, nicht den kleinsten! Wie schon einmal, Jahre zuvor, zog ein Paar grüner Augen durch seine Erinnerung. Doch mittlerweile bedeuteten sie ihm viel mehr, als damals... So viel mehr! Für einen Augenblick wankte sein Entschluss, das ganze Vorhaben in die Tat umzusetzen. Jin, inzwischen eigentlich recht zuversichtlich, dass ihr Gatte bald unbeschadet wieder auftauchen würde, war gerade dabei Lee eines seiner geliebten Fingerspiele zu zeigen, als ein äusserst seltsames Gefühl sie überkam. Sie sah auf, als kalter Ostwind über sie hinweg streifte. „Noch ein bisschen grösser, Toph!“ schrie Zuko und blinzelte Staub aus seinen Augen. „Und falls ihr da oben Holz findet, werft es herunter!“ Ihm war alles willkommen, das ihm helfen würde, hier ein Inferno zu veranstalten. Die Öffnung über ihm wurde noch breiter, sogar einige Sonnenstrahlen erreichten den Boden... Iroh beobachtete die Frau seines Neffen scharf. Sie war aufgestanden, stand an der Brüstung und blickte nach Osten. „Was ist, Jin?“ „Ich weiss nicht... Nichts!“ murmelte sie. Ihr war nur kalt bis auf den Grund ihrer Seele. „Das war alles. Mehr Holz gibt es nicht!“ schrie Katara. „Gut! Es wird genügen!“ Zuko verteilte schnell auch diesen letzten Rest Holz. In Ermangelung von Weihrauch beschränkte er den Totenritus auf ein uraltes, kurzes Gebet, welches er sprach, während er sich in den kleinen Fleck aus Sonnenlicht am Boden der Höhle kniete. Dann stellte er sich an den Ausgang der Höhle. „Ich hoffe, dies ist nichts, was Du mir vergeben musst, Jin!“ flüsterte er. Er holte tief Luft, pumpte sich ein letztes Mal mit wertvollem Sauerstoff voll, bevor er die Hölle entfesselte. „Jin?“ „Ich glaube, mir ist das Essen nicht gut bekommen...“ „Agni, Du bist ja leichenblass, Kind!“ „Wirklich? Ich... so schlimm ist es nicht. Es kribbelt nur... überall.“ Die Haut an den Händen des Feuerlords war über das Stadium des Blasenwerfens schon lange hinaus. Sie löste sich ab, hinterliess hässliche, dunkelrote Stellen. Doch das bei weitem grössere Problem war der Sauerstoff. Er wurde im Feuer schneller verbraucht, als gut für dessen Verursacher war. Nur noch ein wenig... viel war nicht mehr übrig von den Gebeinen. Als Zuko nur noch das quälende Beissen des Rauchs in seinen Lungen spürte sank er auf die Knie. Die Flammen um ihn hatten inzwischen ein Eigenleben entwickelt und tosten unvermindert weiter. Schwärze wollte sich seiner Sinne ermächtigen, doch er liess sie nicht zu. Zuerst musste er hier raus! Er musste durchhalten! Jin zuliebe! Taumelnd und strauchelnd suchte er einen Weg aus diesen Hochofen. Noch ein paar Schritte, dann wäre er direkt unter dem Loch in der Decke. Nur noch ein paar... Aber es war so verlockend, einfach zu bleiben, bis die Schmerzen aufhören würden. Es ginge bestimmt ganz schnell, er musste nur hier liegen bleiben... Jin hielt Zukos Ring umklammert, bis ihre Knöchel weiss wurden, doch plötzlich wurden ihre Finger schlaff und er entglitt ihr. „Zuko!“ Nein! Er durfte hier nicht bleiben! Er musste weiter; nur noch ein Stück! Sonst würde er seine Frau nicht wieder sehen... Dann blieb nur noch der Gedanke für ein einziges Wort. Jin! Es gab ihm die Kraft für einen letzten Schritt. Dann hob sich der glühend heisse Boden unter seinen Füssen und katapultierte ihn ins Licht, wo er sich endlich den ersehnten Luxus einer Ohnmacht gestattete. Inzwischen hatte Iroh Jin wegen ihrer wackligen Knie in einen weichen Sessel komplimentiert. Da sass sie nun und starrte ins Leere. „Himmel, Mädchen! Du hast ja eiskalte Hände!“ Er wärmte sie, so gut es ging, zwischen seinen. „Fon, ich denke Ginseng wäre angebracht...“ murmelte er. Der Kämmerer nickte stumm und verliess den Raum, um Tee zu holen. „So... jetzt sag mir mal, was los ist, Kind.“ „Ich weiss doch nicht!“ flüsterte die Gattin seines Neffen. „So komisch hab ich mich erst einmal gefühlt.“ „Wirklich? Wann war das?“ „Wann? Ich... es war die letzte Nacht während des Kriegs, glaub ich... Ja! Ich bin aufgewacht. Und am nächsten Morgen waren alle ganz aus dem Häuschen, weil der Krieg vorbei war. Ich hatte mich noch gewundert, warum mir ausgerechnet in dieser Nacht der Schreck so in die Glieder gefahren war...“ Iroh betete stumm, dass sie nicht mitbekam, wie alle Farbe aus seinem Gesicht wich. Sie sprach von dem Augenblick, in dem er Zuko beinahe umgebracht hätte. Verflucht! Hätte er doch nur darauf bestanden, mitzugehen! Als Fon den Tee brachte, hatte der General ihn ebenso nötig, wie Jin. „Oh Mist! Was sagen wir nur Jin, wenn wir ihn halbtot nach Hause bringen?“ hauchte Sokka entsetzt. „Sokka, sei still! Katara wird ihn schon wieder hinbekommen!“ murmelte Toph. „Oder?“ setzte sie bang hinzu, als ihre Schwägerin nichts sagte. „Sicher, wenn ich mich dann mal endlich konzentrieren dürfte...“ Von den Vieren war Toph schon immer diejenige gewesen, die am meisten an Zuko gehangen hatte. Vielleicht weil sie beide einen ähnlichen Dickkopf hatten und vom Reden meistens nicht allzu viel hielten, oder weil sie nicht so oft das Ziel seiner Hetzjagden gewesen war, wie die anderen. Feuerpalast, viereinhalb Stunden später Iroh Tatzu war weit entfernt von seiner sonstigen Ausgeglichenheit. Seit Stunden war er fast ausser sich vor Sorge, hatte jedoch die ganze Zeit über sein Möglichstes getan, sich vor Jin nichts anmerken zu lassen. Bestimmt sah er die Sache zu schwarz, denn inzwischen hatte sich seine Schwiegernichte einigermassen beruhigt, ausserdem hatte der Junge schon ganz andere Situationen überstanden! Doch, so sehr er auch versuchte, zuversichtlich zu sein, es gelang ihm erst wieder, als er seinem zerlumpten, derangierten Neffen fast die Rippen brach, sobald Appa festen Boden unter den Füssen hatte. „Agni sei Dank, Du bist wohlbehalten! Wart ihr erfolgreich?“ Eigentlich war seine Frage rhetorischer Natur, denn er wusste, dass Zuko andernfalls nicht hier wäre. Der Feuerlord nickte trotzdem. „Wie geht es Lee?“ flüsterte er. „Wie zuvor. Scheinbar gut, doch wenn ich ihn anfasse, fühlt er sich fiebrig an und quengelt. Jin bringt ihn und Lu Ten gerade zu Bett“ „Gut! Wir sollten die Feuerbestattung umgehend durchführen. Ist der Hohepriester bereit?“ „Ja, aber warum flüsterst...“ „ZUKO!“ Lady Jin rannte mit gerafften Röcken auf die Flugplattform, heroisch alle Etikette in den Wind schiessend. Ihr Gatte verfuhr ähnlich, stürmte ihr entgegen, fing sie auf und umklammerte sie wie irrsinnig. „Geht´s Dir gut?“ wisperte sie. Er nickte in ihre Locken. „Aber Du siehst schrecklich aus! Geht es Dir wirklich gut?“ „Ja!“ flüsterte er rau. „Alles bestens!“ Er wurde, schreckliches Aussehen hin oder her, mit stürmischen Küssen bedacht. „Die Kinder schlafen. Lu Ten hat den ganze Tag nach Dir gefragt. Und ich war... Na ja, jedenfalls hoffe ich, dass das der letzte deiner Urahnen ist der eine haarsträubende Mission für Dich bereit hält.“ „Ich wüsste von keinem weiteren, mein Herz!“ „Warum flüsterst Du denn die ganze Zeit?“ „Ja, die Frage stellt sich..“ murmelte Iroh. „Ich hab ein wenig Rauch abbekommen.“ „Also war es doch gefährlich!?“ Sein Weib klang recht vorwurfsvoll. „Mmm, nicht sehr...“ Sokka, dieses Wunderwerk der Diplomatie wählte just diese Sekunde, um einen Hustenanfall zu bekommen. „Wirklich?“ fragte Jin mit schmalen Augen. „Es lief jedenfalls glimpflich ab. Doch jetzt sollten wir uns zuallererst um Zirah und Kiram kümmern.“ So wurden die sterblichen Überreste der Angehörigen Arkuns auf dem grossen Platz der ewigen Flamme Kairokus übergeben. Zuko II vollzog zusammen mit dem Hohepriester die uralten Riten, die für die Bestattung von Mitgliedern der königlichen Familie überliefert waren und gab die Asche sodann in kostbare Urnen. Danach wies Aang den Weg zur Grabkammer des Drachen. Zumindest versuchte er es... „Von hier aus müssten es noch ungefähr zweihundert Schritte nach Südwesten sein.“ meinte er, als sie vor einer massiven Mauer standen. „Aber dann liegt es direkt im Herzen der königlichen Grabkammern.“ raunte Zuko. Sie fanden die zugemauerte Kammer tatsächlich gleich hinter einer der ehrwürdigsten Gedenkstätten des Palastes, der Gruft, in der die Asche Tatzus und Hsuis beigesetzt war. Es war erstaunlich, mit wie viel Prunk der erste Feuerlord das Mausoleum seines Bruders hatte ausstatten lassen. Ganz offensichtlich war dem Toten sehr viel Respekt und Liebe entgegengebracht worden, trotz des Fluchs, den er im Sterben über seine Familie verhängt hatte. Erst nachfolgende Generationen hatten den Zugang verschlossen und in Vergessenheit geraten lassen. Nun war die alte Pracht verwittert, verfallen und kaum noch kenntlich, unter der dicken Schicht aus Staub und Spinnweben. In der Mitte des Raums stand eine zerbrochene Gedenktafel, deren Schrift noch immer deutlich lesbar war. `Hier ruht die Asche Arkuns, Sohn des Feuers. Eh Du Frieden findest werde ich nicht ruhn! Im Frieden such die Vergebung für mich. Tatzu, aus dem hohen Hause Kairoku´ In der östlichen Wand war eine Nische eingelassen, die eine einzelne, reich verzierte Urne enthielt. Darüber prangten drei goldene, noch immer glänzende Schilder. Arkun Zirah Kiram Mit grossen Bedacht stellte Zuko die beiden Urnen an ihre schon vor Jahrtausenden bestimmten Plätze. „Ich hoffe, nun kannst Du mit den Deinen ruhen, Arkun!“ flüsterte er. Als er die die Urne Arkuns näher in Augenschein nahm, fiel ihm eine kreisförmige Einkerbung auf, deren Form und Grösse seltsam vertraut waren... Der Ring! Er zog den schlichten Goldreif vom Finger und drückte ihn in die dafür geschaffene Aussparung. Kurz schien es, als glühe das Schmuckstück auf. Zukos Nackenhaar sträubte sich. Für den Bruchteil eines Sekunde wurde er des Drachen gewahr und tiefe Zufriedenheit überkam ihn. Er hatte das Versprechen eingelöst! Als sie die Familiengruft hinter sich gelassen hatten, wendete sich der Feuerlord an seinen Onkel. „Onkel, erinnert mich morgen bitte daran, die restliche Mauer entfernen und den Raum säubern zu lassen, schliesslich ist diese Kammer ein Teil der fürstlichen Grabgewölbe.“ Zuko hatte inzwischen die Lautstärke eines Nachtfalters erreicht... wenn das so weiter ging, hätte er in ein paar Stunden überhaupt keine Stimme mehr. „Selbstverständlich! Aber jetzt solltet Ihr Euch ausruhen. Ich schicke Euch noch einen Arzt, der sich dieses schrecklichen Gekrächzes annimmt.“ „Nein!“ krächzte es. „Ich werde die Ärzte morgen aufsuchen, heute will ich nur noch meine Ruhe!“ Und seine Familie! Mehr als alles wollte er seine Familie um sich haben! „Wie Ihr wünscht!“ Zuko nahm die Hand seiner Frau und sie drehten sich zu ihren Freunden. „Wir schulden euch allen mehr, als wir sagen können. Ich... Danke!!!“ Vier Gesichter strahlten, grinsten oder feixten die beiden an. „Schon gut, die Herren und Damen Feuerfuzzi! Aber morgen erwarten wir ein Riesenfest zu unseren Ehren!“ Seit ihr unentbehrlicher Freund wieder zweifelsfrei unter den Lebenden weilte, sah Toph keinen Grund mehr, ihn anders zu behandeln, als sonst. „Das Rauschendste, dass ihr euch vorstellen könnt!“ versprach Jin. „Solange es nicht zu teuer wird...“, wisperte Zuko. Sein Weib trat ihm auf die Zehen. „Solltest Du nicht Deine Stimme schonen, Schatz?“ „Meinen Geldbeutel aber auch!“ „Er meint es nicht so!“ versicherte Jin den anderen hastig. „Hey, das wissen wir doch! Aber jetzt...“ Katara gähnte verhalten „brauchen wir alle eine Mütze voll Schlaf!“ Wie immer traf sie damit den Nerv der Gruppe! Als Zuko und Jin ihre Gemächer betraten, wurden sie von Ursa erwartet, die ein Auge auf die schlafenden Kinder gehabt hatte. „Zuko!“ Sie eilte zu ihrem Sohn und umarmte ihn fest. „Bist Du wohlauf?“ „Ja! Ich sehe bei weitem schlimmer aus, als ich mich fühle!“ „Ich will doch hoffen, dass Du Dich auch besser fühlst, als Du Dich anhörst...“ Ihr beeinträchtigter Sohn nickte . „Gut! Sehr gut! Dann lass ich euch jetzt allein. Du kannst mir morgen alles berichten... oder aufschreiben. Schlaft gut und hoffentlich ruhig!“ Damit entschwand die Grossfürstin. Kaum war sie weg, tat Zuko sein Möglichstes seine Frau in Grund und Boden zu verblüffen. Statt schnurstracks ins Kinderzimmer zu gehen, ging er in Richtung Ankleidezimmer, kramte in den Regalen, ging ins Badezimmer, um Wasser in die Wanne und sich selbst häuslich nieder zu lassen. „Ich muss diesen Gestank loswerden.“ flüsterte er, als Jin sich näherte. Sie nickte. „Agni, ich rieche wie ein Stück Holzkohle!“ Jin nickte wieder und trat hinter ihn. „Lass mich Deine Haare waschen!“ sagte sie und griff nach dem Tiegel mit der Minzpaste. „Du musst nicht...“ „Ich will aber!“ Sie begann die Paste in seinem Haar zu verteilen und massierte eine Zeit lang sanft seine Kopfhaut. Zuko legte seufzend den Kopf zurück und entspannte ein wenig. Siedendheiss fiel Jin etwas ein. Dieses etwas angelte sie nun mit seifigen Händen aus ihrem Ausschnitt... Nach dem Beinahe-Unfall hatte sie es für klüger gehalten, seinen Ring an einer Kette zu befestigen. "Ich hab hier noch was, das Dir gehört!" Prompt hielt er ihr seine Rechte hin, um den Ringfinger bestücken zu lassen. „Das sind Verbrennungen, oder?“ fragte sie leise. „Mhm.“ „Hast... Du Schmerzen?“ „Nein.“ „Gar keine?“ „Leichte.“ Aha! Also wohl eher das, was „man“ als leicht bezeichnete... „Dann ist´s ja gut!“ sagte sie schwach und spülte sorgfältig den Schaum wieder aus. „So... denkst Du, Du riechst jetzt wieder gut genug, um nach Deinem Sohn zu sehen?“ Er nickte so zögernd, dass Jin sich veranlasst sah, ihn mit einem liebevollen Kuss zu bedenken. „Du hast Angst, dass das Fieber immer noch da ist, oder?“ „Natürlich. Ich habe keine Ahnung, was in diesem Drachen vorgeht. Vielleicht wollte er uns nur falsche Hoffnungen machen...“ „Dann solltest Du das schleunigst überprüfen.“ „Ich weiss.“ rasselte er. Nach einem weiteren innigen Kuss erhob sich Jin vom Wannenrand und ging ins Schlafgemach. Im Leben Zuko Tatzus hatte es nur wenige Augenblicke gegeben, in denen er sich so unsicher gefühlt hatte, wie jetzt, beim Betreten des Kinderzimmers. Helles Mondlicht fiel durch die riesigen Fenster und überhauchte dem Raum mit weichem Grau und Silber. Leise trat der Feuerlord ans Bett seines jüngsten Sohnes und lauschte eine Zeit lang den tiefen, regelmässigen Atemzügen. Endlich gab er sich einen Ruck, bückte sich und legte vorsichtig seine Fingerknöchel an die Stirn des Kindes. Zuko entwich ein erleichtertes Stöhnen als er nur die übliche, gesunde Wärme spürte. Die Knie wurden ihm weich, so dass er sich kurzerhand neben dem Bett auf den Boden niederliess. Seine Augen hingen unentwegt an dem kleinen Gesicht, während er sachte wieder und wieder über die dunklen Locken strich. Von der Tür her hörte er die bange Frage seiner Frau. „Er... ist wieder in Ordnung?“ Ihre Stimme wankte so sehr, dass er Mühe hatte, sie zu verstehen. Selbst mit gesunder Kehle hätte er kein Wort herausgebracht also sah er sie nur an, wie sie verloren im Türrahmen stand, unsicher einen blossen Fuss auf den anderen gestellt, und nickte. Plötzlich regte sich Lee und wachte auf. Schlaftrunkene, grüngoldene Augen blinzelten verwirrt und langsam ins Zwielicht. Zuko zog hastig seine Hand zurück und hielt den Atem an, als der Junge das Gesicht verzog. Er hatte es doch gewusst! Tatsächlich begann Lee nun leise und unwillig zu knöttern. Als er entdeckte, dass er nicht allein war streckte er fordernd die Arme aus. „Padda!“ Seit fünf Minuten kniete Zuko auf dem Boden und hielt seinen Sohn viel zu fest an sich gedrückt. Aber statt bei dieser Behandlung Anzeichen des Unwohlseins von sich zu geben, hatte der kleine Kerl lediglich seinen Kopf vertrauensvoll auf die breite Schulter seines Vaters gelegt. Was ihm allerdings ein wenig seltsam vorkam, war die Tatsache, dass dieser sonst so unerschütterliche Riese leise weinte. Doch an ihm schien es nicht zu liegen, denn er bekam permanent zärtliche Küsse auf Schläfen und Stirn gedrückt. „Alles Gute zum Geburtstag, mein Spatz!“ Das raue Flüstern klang sehr, sehr wackelig. Das erste Drittel der Nacht verbrachte Zuko damit dicht neben Jin sitzend sein inzwischen wieder friedlich schlummerndes Kind im Arm zu halten und immer wieder in das Zimmer seines Ältesten zu wandern, um dort nach dem Rechten zu sehen. Während des zweiten Drittels betrachtete er andächtig die inzwischen eingenickte Feuerlady. Zu guter Letzt gab er der eigenen Müdigkeit nach, kroch unter die Decke, zog Jin eng an sich, steckte die Nase in ihr Haar und schlief, endlich, ein. Seine Welt war wieder im Lot... und sie duftete nach Orangenblüten! Aangs Welt hingegen verlagerte sich wieder einmal. Doch diesmal wechselte er nicht absichtlich in die Geistwelt, er wurde hineingesogen. „Weltenwandler?“ „Hm? Bimüdö....“ „Weltenwandler!“ „Hä? Was??“ „Bist Du da Mönch?“ „Ja!... Ja, bin ich!“ Als es Aang endlich gelang, sich zu orientieren, erkannte er die Umgebung kaum wieder. Der Drache sass inmitten der Grabkammer, die nun statt dumpfer, einsamer Kälte pulsierende Wärme auszustrahlen schien. Vormalig fahle Farben waren weichem Licht gewichen. Auch das Biest selbst hatte eine verblüffende Wandlung durchlaufen. Die hellen Augen des Drachen waren nicht länger gelb und boshaft... mattes Gold blickte Aang entgegen und er durfte einen Blick auf das Wesen werfen, dass früher als das freundlichste und zugänglichste Mitglied seiner Familie gegolten hatte. Dankbarkeit lag in den Drachenaugen. Dankbarkeit, Glück und Zufriedenheit. „Ich wusste nicht, ob Du noch einmal kommen würdest, also rief ich Dich.“ „Ja... das ist in Ordnung. Ich hab nur grade geschlafen..äh, schlafe gerade.“ „Anders konnte ich nicht mit Dir in Verbindung treten, mein müder Freund.“ „Was kann ich für Dich tun, Arkun?“ „Nichts! Nichts und Alles!“ Wandlung hin oder her, Rätsel schienen dem Blauen immer noch ein diebisches Vergnügen zu bereiten. „Du hast bereits alles getan und dafür danken meine Familie und ich Dir von ganzem Herzen! Dir und dem Wiedergänger. Ich möchte, dass Du ihm unseren Dank übermittelst... und meinen bescheidenen Segen.“ „Natürlich! Es wird ihn freuen das zu hören.“ „Wird es das?“ fragte der Drache leise. „Denkst Du, er kann sich nach all dem an meinem Dank erfreuen? Agni weiss, ich habe falsch gehandelt und doch kann ich es nicht bereuen, denn es gab mir Zirah wieder. Sie und unseren Sohn. Doch Dein Freund... ich habe ihm viel angetan!“ „Ja, das hast Du! Doch ich denke er versteht, warum Du so gehandelt hast, schliesslich musste er, um das Versprechen einzulösen mit Dir fühlen. Das tat er. Und er tut es noch. Eines möchte ich wissen, Arkun; Die, die vor ihm waren... sind sie nur gescheitert, weil sie die Gefährtin nicht gefunden hatten?“ „Ja. Sie hatten eine Drachenseele, aber ihr Herz hatten sie nicht entdeckt. Und so wussten sie nichts von meinem unendlichen Schmerz. Ein Drachenherz, Mönch, kann nur einmal wahrhaft lieben, doch dann bis ans Ende der Zeit. Die anderen Schatten meines Bruders fanden die Liebe nicht. Jeder von ihnen starb einsam und kinderlos. Aber von ihnen war auch keiner Tatzu so ähnlich, wie dieser. Ich wusste, dass er die Stärke haben würde. Ich wusste nur nicht, ob er bereit wäre, sie in meine Dienste zu stellen.“ „Er hatte ein Versprechen einzulösen.“ „Seine Schuld ist nun hundertfach abgegolten, doch ich will mehr!“ Aang fixierte den Drachen. Kam der alte Hochmut etwa wieder zum Vorschein? „Ich möchte... brauche seine Vergebung, Weltenwandler.“ „Aber er hat Dir bereits vergeben, Arkun. Deinem Andenken wird nun wieder ebenso viel Ehrerbietung entgegengebracht, wie einst. Der Gedanke an Deinen Frieden macht ihn glücklich... Er hat Dir vergeben! Und jetzt sag mir; Bist Du auch bereit ihm zu vergeben?“ „Ich habe nichts zu vergeben.“ „Auch nicht das lange Warten? Warst Du nicht verbittert, weil Dein Bruder sein Versprechen nicht hielt?“ „Ich WAR es, ja. Wir standen uns einst sehr nahe, mein Bruder und ich. Tatzu brach niemals ein Versprechen. Dessen hätte ich mich erinnern müssen, ich hätte ihm Vertrauen müssen, doch statt dessen verfluchte ich ihn. Ich habe nichts zu vergeben!“ „Dann ist endlich alles getan, Arkun, und Du kannst den Deinen folgen.“ „Ja!“ Die Drachenaugen leuchteten. „Nach all der Zeit... Ich hoffe, Du ahnst, wie tief mein Dank an euch beide ist... Aang.“ „Ah, Du kennst meinen Namen ja doch.“ „Ja! Und vergessen werde ich ihn nicht. Leb wohl, Weltenwandler. Ebenso wie Zuko und Jin.“ „Jins Namen kennst Du auch?“ Der Drache lachte leise. „Ich kenne alle Namen dieser Welt, Mönch. Auch den von Katara...“ „Kata... Hey, bleib gefälligst hier!“ rief der Avatar, als er bemerkte, wie die Konturen den grossen Leibs sich langsam auflösten, bis sie schliesslich die Gestalt eines Mannes angenommen hatten. Er war sehr gross, hatte die Augen des Drachen, eine dunkle Mähne, in die seltsame Zöpfe geflochten waren und sah Zuko verblüffend ähnlich. „Leb wohl, Aang! Und finde endlich den Mut, Dich ihr zu zeigen, wie Du bist, denn sie liebt Dich... Du musst es sie nur wissen lassen!“ Nach einem letzten Lächeln und einer Verbeugung voll nachsichtigen Spotts ( der Kerl war WIRKLICH mit Zuko verwandt, soviel stand fest! ) verschwand Arkun, Sohn des Feuers. „Ja! Leb wohl...“ schimpfte Aang ihm hinterher. „Verdammte Geister! Erst holt er mich symbolisch aus dem Bett und dann reibt er mir noch DAS unter die Nase. Vielen Dank auch!“ Er stampfte zurück zu seinem Bett... rein symbolisch natürlich! Am nächsten Morgen war Zukos Welt noch immer im Lot. Selbst dann noch, als die Ärzte ein striktes Verbot verhängten, die fürstlichen Stimmbänder zu beanspruchen und eine eklige Mixtur aus pappsüssem Honig und gallebitteren Kräutern verschrieben. Auch die liebevollen Sticheleien seiner Freunde, wo zu Teufel denn seine übliche Geschwätzigkeit abgeblieben wäre, taten der Vollkommenheit dieses Tages keinen Abbruch. Der grosse Knall kam erst am Mittag. Hinterher wusste Zuko nicht einmal mehr, wer das unselige Thema angeschnitten hatte, aber irgendwann gab Sokka eine dramaturgisch stark ausgeweitete Fassung der gestrigen Ereignisse von sich... trotz der warnenden Tritte, die der Feuerlord ihm noch verpasste. Jin wurde kalkweiss. „Du hast was?“ flüsterte sie. „Du hast in dieser Höhle ein Selbstmordkommando durchgezogen, weil dort noch weitere Gebeine lagen?“ Zuko gestikulierte beschwichtigend. „Musste es tun!“ hauchte er. „Du musstest? DU MUSSTEST? Musstest Du mir auch verschweigen, was vorgefallen ist?“ erbost sprang sie auf. „Musstest Du so tun, als sei alles nur ein Spaziergang gewesen? Du musstest GAR nichts, Du leichtsinniger Idiot!“ zischte sie. „Dinge, die IN Höhlen liegen, können dort auch ganz leicht rausgeholt werden! Du hättest diese Knochen nicht gleich an Ort und Stelle einäschern müssen!“ „Zu lange!“ „ZU LANGE??? DU... Und wenn es weitere sieben Jahre gebaucht hätte... Ist Dir in den Sinn gekommen, dass Du wesentlich länger tot gewesen wärest, als das?“ „Jin!“ krächzte er, im verzweifelten Versuch, seine Stimme mit einzubeziehen. „Nein!“ sie ballte die Fäuste. „Komm mir heute ja nicht mehr unter die Augen!“ „Aber Jin, wir mussten ihre Seelen befreien!“ verteidigte Aang seinen Freund. „Von Dir...“ zornige, grünfunkelnde Augen fixierten nun den Avatar. „hätte ich einen so gedankenlosen Schwachsinn am wenigsten erwartet! Ich wünsche noch einen schönen Tag allerseits!“ Als Zuko ihr hinterher wollte, hielt Iroh ihn auf. „Ich halte es für klüger, sie jetzt allein zu lassen.“ „Aber sie...“ Mist! Seine verdammte Stimme versagte schon wieder. „ist wütend!“ „Wirklich?“ fragte sein Onkel sarkastisch. „Völlig zurecht, wie mir scheint! Euer Leben so aufs Spiel zu setzten.... Wenn ich noch das Recht dazu hätte, würde ich Euch übers Knie legen!“ Nun fühlte sich Toph verpflichtet, in die Bresche zu springen: „Aber was hätten wir denn tun sollen?“ „Nachdenken? Euch später um die Sache kümmern?“ fragte der General täuschend sanft. „Falls es euch bisher entgangen ist: Zuko steht eine komplette Armee zur Verfügung. Ich bin fast sicher, sie wären in der Lage gewesen, die Gebeine binnen einer Woche zu bergen und zu verbrennen! Doch statt darüber nachzudenken habt ihr lieber ein kleines, privates Abenteuerchen genossen, nicht wahr?“ Keiner wagte es, ihn anzusehen. „Ich werde mich jetzt um Jin kümmern, wenn ihr erlaubt!“ Er rauschte von dannen. Ja, auch der Drache des Westens beherrschte bei Bedarf die Kunst des stilvollen Abgangs! „Ich hab´s ja gleich gesagt!“ seufzte Sokka, der den Stein ins Rollen gebracht hatte. Für den Rest des Tages sprach Jin kein Wort mit ihrem Ehemann. Und er? Er hatte nicht einmal die Chance, seine Argumente ins Spiel zu bringen, denn um sie zum Zuhören zu zwingen, hätte er schon in der Lage sein müssen zu brüllen statt zu krächzen oder zu wispern. Sobald er ein Zimmer betrat, indem sie sich aufhielt, beschloss sie auf der Stelle, sich dort nicht mehr aufhalten zu wollen. Sie duldete seine Gegenwart nur im Beisein der Kinder, was durchaus einer der Gründe sein mochte, dass er die beiden Bengel ständig mit sich herumschleppte. Es war ihm scheinbar unmöglich ihre Abwehr zu durchbrechen und er fühlte so frustriert wie damals, in Ba Sing Se. So kam es auch, dass das abendliche Fest eher verhalten, denn rauschend wurde. Lady Jin und General Iroh beehrten es zwar mit ihrer Anwesenheit, legten jedoch die Attitüde von Packeis an den Tag. ( Sie strahlten Eiseskälte aus und wenn man sich mit ihnen anlegte, gingen sie auf Kollisionskurs! ) Nachdem sie sich zurückzogen hatten, zeigte sich, dass Jin sogar eines ihrer unumstösslichsten Prinzipien über Bord warf. Sie schnappte sich ihr Bettzeug und marschierte ins Ankleidezimmer. Dabei lehnte sie es sonst strickt ab, Meinungsverschiedenheiten oder Dispute, egal wie gross diese sein mochten, im Schlafzimmer auszutragen. Nun ja, um genau zu sein, trug sie ja auch nichts aus... Dass seine Frau so derart wütend auf ihn sein konnte war eine neue, sehr schmerzliche Erfahrung für den Sonnengesalbten. Ihre Wut über seinen unbedachten Leichtsinn war allerdings nur ein Bruchteil der Emotionen, die Jin in dieser Nacht plagten. Angst, Schrecken und bohrende Zweifel liessen sie kaum schlafen. Die seltsame, beklemmende Panik, die sie ganz unzweifelhaft in genau dem Moment überkommen hatte, als er sich der Gefahr ausgesetzt hatte... Sie konnte dieses entsetzliche Gefühl der Leere einfach nicht vergessen. Dazu kam das schmerzliche Wissen, dass es diesen Bereich in seinem Leben gab, in den sie wohl nie würde vordringen können. Was sollte sie tun, wenn er eine solche Entscheidung noch einmal treffen würde? Wenn sie wieder dazu verdammt wäre, tatenlos daneben zu stehen? Ausserdem bestand ihr morbides Hirn darauf, sich die schrecklichsten Möglichkeiten auszumalen, was ihm alles hätte zustossen können. Die Bilder brannten sich in ihr wehes Herz... Am nächsten Morgen beschloss seine Lordschaft, sein Kobold sei nun lange genug böse auf ihn gewesen. Ihm wurde leider postwendend klar gemacht, dass sich das Universum nicht IMMER nach seinem Willen richtete. Er verlegte er sich sogar auf Schmeicheleien... ER! Doch ganz offensichtlich besass er keinerlei Begabung hierfür, denn er erntete nur verheerend vernichtende Blicke. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als auf die baldige Funktionstüchtigkeit seiner Stimmbänder zu hoffen. Aber dann... Jin würde schon sehen, was es ihr einbrachte, nicht einmal mehr mit ihm streiten zu wollen! Und siehe da: Abends zeigte sich, dass es sich ausbezahlt machte, die Klappe gehalten und ununterbrochen diesen grauenhaften, klebrigen Schleim hinuntergewürgt zu haben, den die Leibärzte verschrieben hatten. Zumindest versuchte Zuko dies zu glauben. An die Möglichkeit, seine Stimme könnte auch von allein geheilt sein, wollte er lieber nicht denken, sonst stünden diese Quacksalber mitsamt ihrer Vorliebe für Salbeihonig noch vor morgen Früh auf der Strasse. Doch jetzt hatte er ohnehin wichtigeres zu tun. Es wurde Zeit, den Palastsegen auf Vordermann zu bringen. Er stellte seine Beute in deren Arbeitszimmer. Ehe Jin auch nur einen Mucks von sich geben konnte, wurde sie in einen Sessel bugsiert. Empört schoss sie hoch und eilte zur Tür. „Vergiss es! Sie ist abgeschlossen!“ Ah... man konnte also schon wieder einigermassen sprechen?! Sie hoffte nur, dass es immer noch höllisch weh tat! Sie schwenkte sofort in Richtung Terrasse um. „Da ist auch abgeschlossen!“ Sie drehte sich um und sah sich verschränkten Armen und schmalen Augen gegenüber. „Mach auf!“ „Ich denk nicht dran! Du wirst mir jetzt endlich zuhören!“ Würde sie das? „Es ist mir völlig gleichgültig was Du sagst!“ „Jin! Du weisst selbst, dass Du nicht ewig wütend auf mich sein kannst!“ „Wer sagt denn, ich sei wütend? Ich weiss jetzt nur, wo Deine Prioritäten liegen, das ist alles!“ „Unsinn! Am liebsten würdest Du mich mit blossen Händen erwürgen, so zornig bist Du!“ Was für ein läppischer Versuch, sie aus der Reserve zu locken... sie musste einfach nur völlig ruhig bleiben, dann würde er schon aufgeben! „Ah... jetzt werde ich erneut mit Schweigen bestraft. Sehr originell! Wann gedenkst Du denn, wieder mit mir zu sprechen? Zum Jahreswechsel? Bei offiziellen Anlässen? Oder erst bei meiner Beisetzung?“ DAS war ja sowas von NICHT komisch! „Jin, sei doch bitte vernünftig!“ Das war´s! „VERNÜNFTIG??? Aus Deinem Mund hat dieses Wort die ungefähre Bedeutung eines Floh-Eis!“ Endlich stritt sie wieder mit ihm! Hoffentlich war seine Erleichterung ihm nicht anzumerken... „Bitte? Es gibt mehr als genug Leute, die bezeugen können, dass ich überaus vernünftig bin!“ „HA! Bezahlte Lakaien? Ja!! DARAUF würde ich mir auch was einbilden!“ Zuko II straffte sich gekränkt. „Ich mag ja ab und an mein Temperament nicht unter Kontrolle haben, aber trotzdem bin ich einer der am rationalsten denkenden Menschen, die dieser Planet zu bieten hat!“ „ICH LACH MICH TOT! Dann gibt´s Dich wohl zweimal!? Ich seh nämlich nur einen leichtsinnigen, bekloppten Abenteurer, der sein Leben und das Glück seiner Familie aufs Spiel gesetzt hat!“ schrie sein Weib aufgebracht. „Was hätte ich denn Deiner Meinung nach tun sollen?“ knirschte Zuko und kam näher. „Däumchen drehen?“ „Die Knochen hätten geborgen und DANN erst verbrannt werden können! Egal wie lange es gedauert hätte!“ „Wundervoll, sie dort weiter vor sich hinmodern zu lassen! Ist es das, Jin? Wärst Du dann zufrieden mit mir? Wenn ich vor lauter Vorsicht so gehandelt hätte, als wären sie mir gleichgültig? Soll ich aufhören, ein Kämpfer zu sein? Möchtest Du Dir einen zahnlosen Drachen als Haustier halten? Ist es das Jin? IST ES DAS?“ Verdammt! Seine Stimme war noch nicht soweit, sie zu dieser Lautstärke hoch zu trimmen... „Verlangst Du von mir, mich zu ändern... zu einem Feigling zu werden?“ fragte er rau. „Dann sag es mir!“ Jin schluckte ihre Tränen hinunter, bis sich ein unlösbarer Knoten in ihrem Magen bildete. „Du weisst genau, dass das nicht stimmt!“ würgte sie hervor. „Aber anscheinend sind in Deinen Augen alle, die erst nachdenken, bevor sie handeln Feiglinge!? Na vielen Dank auch!“ Ungeduldig fuhr sich Zuko in die Haare und zerstörte damit die unvergleichliche Vollkommenheit von Fons Friseurkunst. „Jin... wir sahen keine Alternative. Weder ich, noch einer der anderen.“ „Die anderen... Ja! Meinst Du Deine Freunde, die es gewohnt sind, die haarsträubendsten Abenteuer zu bestehen? Die auch Kämpfer sind? Die Freunde, die Du im Gegensatz zu mir dabeihaben wolltest? Tut mir leid, aber das kann ich alles nicht bieten. Ich bin leider nur ein Feigling, der lieber nachdenkt, als sich blind in Gefahr zu stürzen!!!“ „Jin! Du bist kein...“ „Was bin ich nicht? Bändiger? Kämpfer? Nein! Damit kann ich leider nicht dienen. Ich bin nur die langweilige Jin We.“ „Tatzu!“ knirschte er. „Das einzige das ich bändigen kann, oh Fürstlicher, ist Seide! Er schüttelte den Kopf und öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte stellte Jin endlich die Frage, die seit gestern schmerzhaft in ihrem Kopf herumgeisterte. „Fehlt es Dir?“ flüsterte sie. „Was?“ „Die Kämpfe, die Abenteuer, der Nervenkitzel... Fehlen sie Dir? Vermisst Du sie? Sitzt Du bei mir und den Kindern und denkst an frühere Zeiten?“ „Bitte? Es soll mir fehlen? Du kreuzt so vehement und oft die Klingen mit mir, dass mir meine Jugend dagegen wie ein Spaziergang vorkommt. Wenn Du mit heissem Wasser hantierst, um Tee zu machen hab ich mehr Abenteuer, als gut für mich ist. Deine Angewohnheit immer alles zu verdrehen was ich sage raubt mir noch den letzten Nerv, denn Du tust es mit Absicht! Das da draussen war hundertmal erholsamer, als hinter den Kindern her zu rennen, oder Tians ellenlange Aufsätze zu lesen! Und gemütlicher als hier war es allemal, meine Eislady. Vergiss vor lauter Wut über die angeblich leichtsinnige Gefährdung meines Lebens am besten doch gleich, dass ich es überlebt habe, dann kannst Du mich in Zukunft NOCH besser ignorieren!“ „Du verstehst ja nicht mal, warum ich so wütend und verletzt bin oder?“ schrie sie. „Hast Du auch nur einen Augenblick an mich oder die Kinder gedacht, als Du in dieser Höhle warst?“ „Ich habe,“ seine Kiefer würden demnächst zu Knochenmehl zerfallen, so fest biss er die Zähne zusammen. „jede verdammte Sekunde an Dich gedacht! Weil es mir Stärke gab und Zuversicht. Ich MUSSTE es tun! Das ist etwas , das DU nicht verstehst. Ich konnte die Seelen nicht ihrer Einsamkeit überlassen! Vielleicht wäre ich früher dazu in der Lage gewesen, diesen Ort tatenlos wieder zu verlassen, bevor ich wusste, wie es ist, zu jemandem zu gehören. Aber jetzt weiss ich es Jin! Und es ist das Unumstösslichste, das ich kenne, zu Dir zu gehören. Es gibt nichts, dass wichtiger ist. NICHTS! Und wenn Du für den Rest unseres Lebens böse auf mich sein wirst, dann gehöre ich, in Agnis Namen, eben zu einem Weib, das mir an die Gurgel will.“ „Du hast kein Recht, mir dafür böse zu sein, dass ich wütend auf Dich bin!“ flüsterte Jin unter Tränen. „ICH BIN NICHT BÖSE!!! Ich will nur, dass Du mir endlich verzeihst!“ Er stapfte zur Terrasse schloss die vermaledeite Tür auf und warf sie dermassen heftig hinter sich zu, dass das Glas zu zerspringen drohte. „DANN HALT SOLANGE LIEBER NICHT DIE LUFT AN!“ Mistkerl! Sturer, hirnverbrannter, leichtsinniger Idiot! `Es gibt nichts, dass wichtiger ist...´ bestimmt hatte er gedacht, sie damit einwickeln zu können. `es ist das Unumstösslichste, das ich kenne, zu Dir zu gehören´... Unumstösslich war vielleicht sein lebensmüdes Ego, dass er aufs Spiel gesetzt hatte. Sie würde ihm nicht verzeihen, jedenfalls nicht so bald! Zukos abendliches Training forderte an diesem Tag mehrere Opfer: Einen Samtvorhang, eine kostbare Vase zwei bis drei leichtere Prellungen und zudem kleinere Blessuren der Krieger, die das Pech, äh... die Ehre gehabt hatten, als Trainingspartner seiner Lordschaft zu fungieren. Danach forderte Zukos Laune das letzte Bisschen Geduld fast aller Mitglieder des Hofstaats, sowie einige Krokodilstränen seines ältesten Sohnes, der gar nicht wusste, warum er dafür ausgeschimpft wurde, die antiken Mosaike mit bunter Farbe zu verschmieren, denn so waren sie doch viel schöner! Jin hatte das Gefühl, seit mindestens drei Stunden wach zu liegen. Sie lag in diesem unbequemen Bett im Ankleidezimmer und fror. `Eislady!´ Sie fror so erbärmlich, dass sogar ihre Unterlippe zitterte. `...bevor ich wusste, wie es ist, zu jemandem zu gehören.´ Sie war so müde, dass ihre Augen brannten. `Und es ist das Unumstösslichste, das ich kenne, zu Dir zu gehören!´ Sie war so unglücklich, dass Tränen über ihre Schläfen rannen. Da! Im Schlafgemach regte sich etwas! Hastig wischte Jin die Nässe fort, legte sich auf die Seite und schloss die Augen. Sie ahnte, was jetzt kam. Auf Grund der Erkenntnis, in welcher Gefahr Zuko tatsächlich geschwebt hatte, war sie gestern erst weit nach Mitternacht eingeschlafen. Es war ein äusserst unruhiger Schlaf gewesen, aus dem sie nach nur vier Stunden hochgeschreckt war. Dabei hatte sie feststellen müssen, dass sie nun unter einer zusätzlichen Decke lag, die SIE jedenfalls nicht geholt hatte. Jin hatte es gerade noch geschafft, sich schlafend zu stellen, als eine halbe Stunde später Zuko hereingeschlichen kam, um das Ding wieder mitzunehmen. Seither fragte sie sich, warum er nicht wollte, dass sie von seiner Fürsorge wusste. Es wäre in diesem ganzen Streit doch ein Pluspunkt für ihn... Die Tür öffnete sich kaum hörbar. Von seinen heimlichen Schritten bekam sie überhaupt nichts mit. Es war wirklich beängstigend, wie leise sich dieser Mann bewegen konnte! Mit unendlicher Vorsicht hüllte der Feuerlord seine Gattin in flauschige, schützende Wärme. Warum stand er so lange da? Warum ging er nicht? Wenn er noch länger blieb, würde sie wieder anfangen zu weinen... Dann schloss sich die Tür. Schnell kroch Jin aus ihrem endlich warmen Bett, schlich nun ihrerseits zur Tür und öffnete sie einen winzigen Spalt, um hinaus zu linsen. Wie vermutet war der Streifzug ihres Mannes noch nicht vorüber. Die Tür zum „kleinen“ Kinderzimmer war nur angelehnt. Momentan war er also bei Lee... Ging das jetzt etwa jede Nacht so? Streifte ihr Drache unruhig durch die Finsternis, aus lauter Sorge um seine Familie? Als er das Schlafzimmer wieder betrat musste Jin sich zusammenreissen, um sich nicht durch ein zu hastiges Zuschieben der Tür zu verraten. Doch die Aufmerksamkeit ihres Observierungsopfers war ohnehin auf etwas anderes gelenkt, denn jetzt verliess er den Raum in Richtung des anderen Kinderzimmers. Er wollte sich noch von der Sicherheit seines Erstgeborenen überzeugen. Lippenkauend stand Jin hinter ihrer Tür. Der Drache hatte sie entwaffnet. Wieder einmal! Es war schlichtweg unmöglich, sich länger einzureden, er hätte während dieser todesmutigen Aktion nicht an sie und die Kinder gedacht. Sie konnte ihm unmöglich noch länger grollen. Zuko schloss erleichtert die Tür hinter sich. Alles war in Ordnung! Seine Familie war gut geschützt und schlummerte friedlich! Jetzt würde er vielleicht auch für ein paar Stunden zur Ruhe kommen... Er schlief nur leider so verflixt schlecht ohne dieses sture Weib an seiner Seite! Unwillkürlich glitten seine Augen zu der fest verschlossenen Tür, die das Ankleidezimmer von den übrigen Gemächern trennte. Er seufzte tief. Wenn Jin ihm nicht bald verzieh, würde seine Unausgeglichenheit noch den Weltfrieden gefährden! Deprimiert wendete er sich seiner kalten Schlafstatt zu und blinzelte erstaunt. Jin sass mit angezogenen Knien mitten auf der Matratze, die Hände um ihre kleinen Zehen gelegt und starrte ihn trotzig an. „Tu das nie wieder, Drache! Wenn Du noch mal eine halbe Höhle abfackelst, sorg dafür, dass ich es nicht erfahre, denn sonst erwürg ich Dich wirklich!“ „Jin...“ Zuko machte einen Schritt in ihre Richtung. Sie krabbelte zum Bettrand und warf die Arme um ihn. „Ich bin keine Eislady!“ schluchzte sie „Nein.“ „Ich gehör zu Dir, egal wie wütend ich auf Dich bin!“ Sie schniefte. „Ja.“ „Aber Du hast mich zu Tode erschreckt!“ weinte sie an seinen Hals. „Ich weiss!“ „Ich hatte hick so furchtbare Angst um Dich!“ „Es tut mir so leid, mein Herz!“ Sie küsste ihn hingebungsvoll und presste ihn an sich. „Es gab einen Grund, warum ich diese Sache überstanden habe... überstehen musste. Du warst die ganze Zeit bei mir. Nur der Gedanke an Dich hat mich da rausgeholt.“ gab er zu. Für die nächsten fünf Minuten wurde er wie irrsinnig umklammert und von Tränen durchweicht. „Sch, Kobold... ich bin doch bei Dir!“ Dass diese Aussage den Tränenstrom nur noch verstärkte, hätte er allerdings wissen müssen... "Tut Dein Hals noch sehr weh?" fragte Jin rau, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. Wie kam sie denn jetzt DARAUF? "Nein! Vielleicht... ein bisschen." „Manchmal macht es mir Angst, wie sehr ich Dich liebe, Drache!“ flüsterte sie stockend. „Manchmal? Dann bist Du besser dran als ich, Kobold!“ raunte er seitlich an ihren Nacken. Wenige Sekunden später, als er den letzen Rest Stoffs von ihr zupfte, entrang sich der Feuerlady bewunderndes Wispern. „Auf dieser Welt bist du doch bestimmt mit Abstand der Mann mit den geschicktesten Händen...“ Es war doch wirklich erfreulich, wenn man Talente besass, die derart gewürdigt wurden! „Ach ja? Ich bin gerne bereit, Dir die gesamte Bandbreite ihrer Geschicklichkeit zu demonstrieren!“ „Zuko!“ Einige Bandbreiten später schlief seine Lordschaft tief, fest und um ein Vielfaches zufriedener, als in der vorangegangenen Nacht. Für ein paar Stunden war nun er derjenige, der müde, aber andächtig betrachtet wurde. `So, Missy... Er ist unversehrt! Wenn Du Dich dann bitte wieder einkriegen würdest?!´ Sie kriegte sich wieder ein, aber erst, nachdem sie jeden Zentimeter seiner Gesichtskonturen zart mit den Fingerspitzen nachgezeichnet hatte. Jin erwachte mit einem wohligen Seufzer, der eindeutig den warmen Händen auf ihrem Leib und dem harten Körper in ihrem Rücken zu verdanken war. „Guten Morgen, Kobold!“ Morgen? Es war noch immer Dunkel. Wäre es jetzt nicht eher Zeit für... Sie schielte zur Uhr. Tatsächlich; Er verpasste den Tento! „Hast Du... Ooh!“ sie kam ins Stocken, als er nun auch seinen Mund ins Spiel brachte „...heute... keine Sonne zu wecken?“ „Aber das tue ich doch gerade, mein Herz!“ Na ja, wenn er die Sache SO betrachtete... Wer war sie denn, ihm etwas auszureden? Sie war auf jeden Fall hitzig genug, um die Konkurrenz der Sonne nicht fürchten zu müssen! Kapitel 30: Das Geschenk ------------------------ oder: Flämmlein, Flämmlein in der Hand, wer ist der Schönste im ganzen Land? Gaoling, Territorium des Erdkönigreichs, drei Jahre später Gegen vier Uhr Nachmittags, wurde Jin die Sache zu bunt. Die Bewohner der hiesigen Residenz des Feuerlords verhielten sich heute samt und sonders überaus seltsam. NOCH seltsamer als sonst! Permanent traf sie auf Leute, die mit zusammengesteckten Köpfen an irgendwelchen Ecken herumlungerten, um auseinander zu stieben, sobald sie sich näherte. Unzählige unschuldige Mienen wurden so demonstrativ zur Schau gestellt, dass selbst ein Okto-Hai im Blutrausch sich die Zeit genommen hätte, Verdacht zu schöpfen. Jin kannte den Grund für diese Geheimniskrämerei nur zu gut. Aber war es wirklich nötig, die ganze Welt mit hineinzuziehen? Nein! Ein Geburtstag war schließlich kein weltbewegendes Ereignis. Man wurde eben ein Jahr älter, Herrgott noch mal! Selbst Tante Ria hatte diesen dämlichen `Wart´s-nur-ab-bis-Du-DAS-siehst-Blick´. Wenn er schon drei Tage vor dem tatsächlichen Ereignis einen solchen Wirbel veranstaltete ... „Was soll das heißen, es kommt zu einer kleinen Verzögerung, Tian?“ „Nun ... anscheinend gab es doch unerwartete Probleme beim Transport, mein Fürst.“ „Unerwartet? Wem, bitte sehr, war nicht klar, dass es bei der Lieferung DIESER Sache Probleme geben würde?“ „Äh ... jedem. Ich meine keinem, Herr!“ „Prächtig! Wirklich ganz prächtig! Der Geburtstag ist in drei Tagen. DREI TAGE, Tian! Entgegen der landläufigen Meinung bin ich leider noch nicht im Stande, den Lauf der Sonne aufzuhalten.“ Tian, seit fast einem Monat mit dieser höchst brisanten, streng geheimen und kaum lösbaren Aufgabe betraut, war an einem Punkt angelangt, wo er der Erhaltung des eigenen Lebens anscheinend weit weniger Bedeutung beimaß als sonst, denn andernfalls hätte er sich die nächste Bemerkung verkniffen. „Tatsächlich, Hoheit? Ich bin schockiert!“, murmelte er gedankenlos. Das unruhige Umherwandern seines Herrschers fand ein jähes Ende. Zuko drehte sich langsam um und spießte seinen Assistenten auf goldene Eiszapfen. „Hast Du gerade“, schnurrte er sanft. „versucht komisch zu sein, Tian?“ „NEIN!“ Der Schweiss auf Tian Fus Stirn nahm sich das Recht auf spontane Versammlungsfreiheit und bildete feine Tröpfchen. „Niemals, Mylord!“ Doch unbarmherzige Augen quetschten die Wahrheit aus ihm. „Vielleicht ein wenig“, gab Zukos Assistent schwach zu. „Ich wollte Euch lediglich aufheitern, Hoheit!“ Er wurde lange und nachdenklich angesehen. Die Schweisströpfchen-Truppe hatte zwischenzeitlich beschlossen, Spass haben zu wollen und begann eine rasante Talfahrt über Tians Gesichtszüge. „Aufheitern?“ „Äh ... ja.“ „Wie nett. Dann kann ich dem Hofnarren, den ich mir heute noch ansehen wollte, getrost absagen, da der Posten bereits besetzt ist. Aber vielleicht möchte er ja die freiwerdende Stelle als Sekretär?“ Der Spassmacher in spe straffte sich. „Wie Ihr meint, oh Erhabener!“ Zuko horchte auf. Wenn Tian ihn `Erhabener´ nannte musste er ziemlich gekränkt sein. Jetzt hatte er auch noch einen beleidigten Mitarbeiter zu besänftigen. „Tian, dies war nur ein Versuch meinerseits, ebenfalls komisch zu sein. Ich dachte Sela hätte Dir inzwischen die Grundlagen des Humors vermittelt.“ Sela. Das Gesicht des jungen Diplomaten verklärte sich, als er an die diversen Dinge dachte, die seine Frau ihm heute morgen vermittelt hatte. „Tian!“ „Was, Herr ... Äh, wie bitte?“ „Du bekommst schon wieder diesen Wiederkäuerblick!“ „Verzeiht, Hoheit!“ Tian kam unweigerlich der Gedanke, dass er bestimmt immer noch weit weniger von diesem Blicken zu verzeichnen hatte, als die vor ihm stehende Flamme des Volkes. Diesmal jedoch unterband sein Großhirn einen weiteren Ausflug ins Fach der Komik. „Das Geschenk wird also nicht rechtzeitig eintreffen?“ „Damit ist nicht zu rechnen, mein Lord.“ Für die nächsten zwei Minuten klebte Tians Blick unbeteiligt an der Decke. Wie jedes mal, wenn Zuko II das Rote vom Himmel fluchte. Nachdem er seinem Ärger Luft gemacht hatte, ging der Feuerlord ohne Umschweife zu Plan B über. „Wenn die Lieferung HIERHER schon nicht klappt, dann sorge bitte dafür, dass sie bis zu unsrer Heimkehr im Feuerpalast ankommt! Das verschafft Dir eine zusätzliche Woche!“ „Ihr könnt Euch auf mich verlassen, Herr!“ „Gut! Alternativen für den Stichtag?“ „Äh ... Schmuck?“ „Nein.“ „Ein ... seltenes Haustier?“ „Nein!“ „Ein kleines Landgut?“ „NEIN!“ „Ich hätte da einen Vorschlag!“, kam eine vorwitzige Stimme von der Tür. Zuko sortierte schnell seine Mimik, bevor er sich umdrehte. „Jin! Was für eine Freude, Dich zu sehen!“ HA! Heuchler! „Von was für einem Vorschlag sprichst Du, mein Herz?“ „Ein passendes Geschenk für mich.“ „Ein Geschenk? Ach ja ... Dein Geburtstag!“ Er rieb sich die Nase. „Den hätte ich ja fast vergessen.“ „Du brauchst gar nicht so unschuldig zu tun, Mylord. Ich WEIß, dass etwas im Busch ist. JEDER hier weiß das!“ „Jeder?“ Grollend wendete sich Seine Lordschaft nach rechts. „Ähhm...“ „Wir sprechen später darüber, was ich unter Verschwiegenheit verstehe, Tian! Mit `Niemand´ meinte ich auch Dein Weib.“ zischte Zuko seinen armen, in die Enge getriebenen Sekretär an. „Ich hatte ihr lediglich gesagt ...“ „Später! Du darfst Dich zurückziehen.“ „Ja, mein Fürst!“ Tians Verbeugung wirkte recht deprimiert. „Nun, Kobold, was führt Dich her?“ „Meine Füsse, oh Strahlender!“ Für diese Bemerkung erntete Jin umgehend den entsprechenden Blick. „Soll ich mich dem Thema langsam nähern, oder direkt?“, fragte sie. „Meiner Nerven zuliebe wäre mir langsam ja lieber, aber dazu scheinst Du mir zu ungeduldig zu sein.“ „Witzbold! Gut, dann eben schnell! Ich weiss, Du stellst wegen des Geburtstags alles auf den Kopf. Ich will das nicht, Zuko! Es ist nur ein dummer Geburtstag, nichts weiter. Ich werde ein Jahr älter. Leider hat es mich wieder nur unwesentlich weiser gemacht, und das war´s auch schon. Ich will kein teures Geschenk!“ „Wer hat denn was von teuer gesagt?“, murmelte ihr Gatte. „Eigentlich will ich überhaupt nichts. Na ja ... kein DING, jedenfalls.“ „Du willst kein Ding?“ Zuko blinzelte. „Ja.“ „Und wie hab ich das zu verstehen? Könntest Du `Ding´ näher definieren?“ „Ding eben. Zeugs. Kram. Ich brauch nichts! Ich hab von allem mehr als genug. Das einzige, wovon ich bei weitem nicht genug habe, bist Du!“ „Ach ...“ „NEIN! Nicht SO!“ Die Gedankengänge dieses Mannes waren manchmal wirklich eingleisig zweideutig. „Schade.“ „Zuko!“ „Ja, schon gut“, seufzte er. „Kann ich davon ausgehen, dass Du über meinen augenblicklichen Zeitmangel sprichst?“ „Ja.“ „Tut mir leid, Jin, aber ich weiß momentan kaum wo mir der Kopf steht. In zwei Tagen werden die Delegationen aus Omashu und Kyoshi hier eintreffen und wir haben noch nicht einmal die Verträge komplett ausformuliert.“ „Ich weiß ja.“ „Zudem steht das Feuerfestival an.“ Mist, das hatte sie ja ganz vergessen! Ihr Geburtstag fiel dieses Jahr auf den Tag der Flammen. Dann konnte sie sich ihre Idee mit dem geschenkten Tag gleich wieder abschminken. „Ja ... hab ich vergessen“, murmelte sie. „Jin, mir gefällt es doch auch nicht, Dich und die Kinder kaum noch zu sehen.“ „Ja. Ich dachte nur, dass Dir eine kleine Pause vielleicht ganz gut täte, aber Du hast zu viel Arbeit, also verschieben wir das.“ Ihr Gatte fasste nach ihren Händen. „Ich kann nicht umhin Deine Enttäuschung zu bemerken, Kobold.“ „Ich werd sie schon überwinden!“ „Und was ist, wenn ich Dir ein absolut sensationelles Geschenk verspreche?“ Das Geschenk. Schon wieder. „Muss ja was ganz tolles sein!“ Selbst in ihren eigenen Ohren mangelte es ihrer Stimme an Enthusiasmus. „Zweifelst Du daran?“ „Nein. Nein, wirklich nicht! Ich werd mich bestimmt wie wahnsinnig freuen!“ „Ja, das wirst Du!“ „Gut!“ Sie strahlte ihn an. Es war so ziemlich das erzwungenste Lächeln, das er je an ihr gesehen hatte. „Dann lass ich Dich mal weiter arbeiten!“, meinte sie betont fröhlich, küsste ihn sacht und ging. Weiter arbeiten? Das war leichter gesagt, als getan. Nachdem sie weg war, sagte Zuko sich zwar, wie sehr sein Geschenk sie zum Strahlen bringen würde. Das Dumme war nur: Es würde nicht rechtzeitig da sein. Er konnte sie an ihrem Geburtstag doch nicht mit einem aufgesetzt glücklichen Lächeln und traurigen Augen durch die Gegend laufen lassen. Aber das Festival begann nun mal an eben diesem Tag. Er konnte an einem so hohen Feiertag nicht einfach blau machen. Er hatte versprochen der Eröffnungszeremonie hier in Gaoling beizuwohnen und ... Und was? Er stürmte zum Klingelzug. „Tian!“ Der Gerufene kam prompt. Er hatte gelernt, sich Schelte sofort abzuholen, anstatt die Sache auf die lange Bank zu schieben. „Sag bitte meinem Onkel, ich wünsche ihn zu sprechen.“ „Ja, Hoheit. Sofort, Hoheit.“ Kinderzimmer der Residenz, eine Stunde später „So, Aya-Maus. Jetzt schlaf schön und träum süß!“ Aya-Maus hatte leider andere Pläne und ließ sich nicht so einfach abspeisen. „Papa!“ „Papa muss heute noch arbeiten.“ „Nein! Eaßt Papa!“ Die Art, wie das Bärhörnchen energisch unter die Schulter geklemmt wurde, zeigte, dass Zukos Tochter nicht bereit war, irgendwelche Kompromisse einzugehen. Verdammtes Feuerfuzzi-Erbgut! Zärtlich strich Jin über die schwarzen Locken. „Schatz, er kann heute nicht! Komm, ich les´ Dir noch was vor ...“ „PAPAAAAAAAAAAAAA!“ Mylady platzte der Kragen. „Er KANN nicht! Ich weiss, das ist traumatisch, aber heute hat leider nur Deine langweilige Mama für Dich Zeit, die die Stimmen von Quietsch und Quatsch zwar nicht so perfekt intonieren kann, wie Dein perfekter Papa, aber der hat perfekterweise KEINE ZEIT!“ Es war ein Fehler gewesen. Ganz eindeutig! Riesige, goldene Augen starrten sie erschrocken und verständnislos an, die kleine Unterlippe zitterte erbärmlich. „Tut mir leid Schätzchen!“, wisperte Jin schnell und nahm ihr zweieinhalb Jahre altes Mädchen fest in den Arm. „Ich wollte nicht schimpfen!“ Zu spät! Dicke Tränen quollen bereits über. Aya hatte doch nur das sehr natürliche Bedürfnis sich in der etwas ungewohnten Umgebung an Vertrautem festzuhalten. Und ihr geliebter Papa war nun einmal der Innbegriff der Vertrautheit. Was war nur über sie gekommen, das Kind so anzufahren? Und noch erschreckender: Was war nur über sie gekommen, DIESES Thema anzuschneiden? Blieb nur zu hoffen, dass die Kleine noch gar nicht begriff, was ihre fehlgeleitete Mutter da gerade vom Stapel gelassen hatte. Jin WAR ja überhaupt nicht eifersüchtig auf Zukos Beziehung zu den Kindern. Es gab wohl kaum etwas, was ihr mehr Freude bereiteten, als die Tatsache, wie sehr die komplette Bande ihn anbetete. Aber manchmal, ganz manchmal, hatte sie das Gefühl nur die zweite Geige zu spielen. Dabei war es völlig natürlich, wenn für ihre Sprösslinge jede Minute mit ihrem Vater von unendlicher Kostbarkeit war. Er war von ihnen beiden einfach derjenige, der weit weniger Zeit hatte. Und seit zwei Monaten hatte er VIEL weniger davon. „Mammmma!“ „Scht ... Ich hab´s doch nicht so gemeint! Alles in Ordnung!“ „Biß nis mehr böße?“, piepste es. „Aber nein, Maus. Ich war nie böse!“ Beschwichtigend küsste Jin ihr Kind. „Iß Papa böße?“ „Nein, Spatz! Er wäre so gerne hier. Aber weißt Du, viele Leute brauchen Papas Hilfe und er will ihnen so schnell helfen, wie es geht. Darum arbeitet er noch so spät. Doch er hat mir extra die Küsschen für Dich mitgegeben!“ „Wiatliß?“ „Ja! Da schau!“ Jin öffnete ihre Linke. „Da ist einer.“ Sie schmiegte die Hand gegen eine weiche Wange. „Noch einer.“ Jetzt kam die andere Seite. „Da sind noch zwei.“ Sacht tupfte sie mit den Fingerspitzen auf Ayas Augenlider. „Und noch einer!“ Jin drückte einen festen Schmatzer auf das Schnütchen ihrer Tochter. „Papa hat auch gesagt, ich muss ihm unbedingt seine Küsschen noch vorbeibringen.“ Aya begriff sofort, was ihre Mutter wollte. Vorsichtig wurden die feuchten Küsse für die Wangen erst in die eine Hand gedrückt, dann in die andere. Dann folgten die Fingerspitzen. Zur Abrundung gab es noch einen auf den Mund. Genauso, wie sie das bei Papa immer machte. „Nun schlaf, mein Flämmchen!“, murmelte Jin, den genauen Wortlaut ihres Gatten wiederholend, wenn er die Kleine zu Bett brachte. Endlich war Aya bereit, sich in die Kissen zu kuscheln. „Muss ich mir die Küsse jetzt von Mama holen?“ „PAPA!“ Dieses Kind konnte aufleuchten wie eine Festtags-Laterne. Lächelnd setzte sich der Feuerlord auf den Bettrand seiner Tochter. „Voaleßn!“, lispelte Prinzessin Aya. „Dazu ist es heute viel zu spät, Spatz“, meinte er und stopfte die Decke um sie herum akribisch fest. „Abba Twiitß und Twatß?“ „Quietsch und Quatsch? Die schlafen doch schon lange.“ „Wiatliß?“, fragte Aya enttäuscht. „Ja! Deswegen solltest Du das auch ganz schnell tun. Und morgen les ich Dir das ganze Buch vor, hm?“ „Wiatliß?“ Es war eindeutig ihr momentanes Lieblingswort. „Wirklich!“ Zuko stupste die kleine Nase an. „Veaßprochn?“ „Versprochen!“ Damit beugte er sich über Aya und vollzog das Gute-Nacht-Ritual. Ein Kuss auf jede Wange, einen auf jedes Augenlid und zu guter Letzt der Schmatzer auf die Lippen. Danach hielt er sein Gesicht so, dass ihm die gleiche Behandlung zuteil werden konnte. „Nun schlaf, mein Flämmchen!“ Aya nickte. Allerdings war da noch eine Sache ... „Mama!?“ „Was denn?“ „Iß will noch ein Tuß!“ Sie bekam drei. Wiatliß dicke! Zwanzig Minuten später, nachdem Zuko endlich den Odoro losgeworden und auch Lee unter Dach und Decke gebracht worden war, nahm Seine Lordschaft ein längst überfälliges Nachtmahl ein. Währenddessen folgte er den begeisterten Ausführungen seines Ältesten, der ihm die Faszination der hier beheimateten Insektenwelt vor Augen führte. Am lebenden Objekt! Jin versuchte verzweifelt, ihre Aversion gegen diesen sehr speziellen Vertreter des Tierreichs zu verbergen (die Kinder sollten schließlich nicht etepetete werden), schenkte Tee in Zukos Tasse und mopste sich als Gegenleistung einen kleinen Krebs vom Teller. Ihr Gatte wölbte den Rand seiner Braue. „... und wenn sie sich fürchten, fangen sie an, ganz übel zu stinken!“, referierte Prinz Lu Ten eifrig. „Von einer Demonstration bei Tisch bitte ich dennoch abzusehen, mein Sohn!“, stellte Zuko schnell klar. „Klar!“, sagte der Sechsjährige enttäuscht, als er, wie schon so mancher Wissenschaftler vor ihm, an der Ignoranz seiner Umwelt scheiterte. „Bestimmt ahnt Dein Großonkel noch nichts von dieses Mysterium ...“, murmelte sein Vater scheinbar beiläufig, als er das lange Gesicht sah. Lu Tens Augen leuchteten auf. Aber ja. Onkel Iroh! „Oder Fon. Ich frage mich, wie er auf meuchelnde Käfer reagieren würde. Rein hypothetisch, natürlich.“ „Zuko ...“ „Ja?“ Der erhabene Diener der Sonne bot eine Studie ahnungsloser Unschuld. „Darf ich aufstehen?“, fragte Lu Ten prompt. „Sicher“, antwortete Zuko, bevor Jin ihren Sohn davon abhalten konnte, den Streich zu planen. Ihr Ältester kam eindeutig nach ihm und war somit von der Veranlagung her eher ernsthaft. Da konnte es nicht schaden, auch mal seine Lausbuben-Qualitäten zu fördern. Das Glitzern, das der Prinz in den Goldaugen hatte, als er von dannen zog, erfreute seinen Erzeuger ungemein. „Wie hinterhältig von Dir!“ Jin stibitzte einen weiteren Krebs von Zukos Teller. „Hinterhältig? Ich? Du, Kobold, stiehlst mein Essen.“ „Mundraub ist doch aber nicht stehlen!“ „Mundraub nennst Du das?“ „Natürlich!“ Sie kaute ohne Andeutung eines schlechten Gewissens. „Verstehst Du unter Mundraub etwas anderes, mein Gebieter?“ Sie stellte die Frage so keck, dass selbst ein Heiliger die Anspielung verstanden hätte. Von Heiligkeit war Zuko allerdings wieder einmal meilenweit entfernt. Sein sehnsüchtiger Blick heftete sich auf ihre Lippen. „Ich würde Dir nur allzu gerne demonstrieren, was ich darunter verstehe, aber ...“ „Aber?“ „Ich muss nachher noch einige Papiere durchsehen.“ Er strich entschuldigend über ihre Wange. „Oh. Ja ... gut!“ Sie zupfte ein wenig Fleisch von der Ente. „Jin ...“ „Ich versteh das doch, Zuko!“, murmelte sie. „Ich glaube nicht“, erwiderte er. „Es ermöglicht mir nämlich, an Deinem Geburtstag frei zu nehmen.“ „Was?“, hauchte Jin. „Wirklich?“ Zuko lächelte leicht. Sie klang fast wie seine Aya. „WIRKLICH?“ Mittlerweile wuchs sich sein Lächeln zum Grinsen aus. „Zuko!“ Sie fiel ihm um den Hals, was nicht gut für seine Tischmanieren war. Ein Stück Krebsfleisch landete auf sündhaft teurer Seide. „Aber das Festival?“ „Nun, der Eröffnung werde ich beiwohnen müssen, aber danach kann Iroh mich vertreten.“ „Und Du wirst deswegen kein schlechtes Gewissen haben?“, hakte sie nach. „Nein.“ Nach einer kurzen, sehr privaten Knutsch-Orgie ließ sie ihn los. „Dann husch an die Arbeit, oh Faulpelz!“ Daraufhin maulte Zuko etwas Unverständliches über tyrannische Ehefrauen, die einem nicht einmal eine ordentliche Malzeit gönnten. Eineinhalb Stunden später kam besagte Ehefrau an den Schreibtisch des Faulpelzes, nahm ihm den Pinsel aus der Hand und meinte, sie sei eher bereit, auf ihren gemeinsamen Tag zu verzichten, als zuzusehen, wie er sich krumm schufte. Er wurde aufs energischste zum Sofa gezerrt, einer brühend heißen Tasse Tee zugeführt und auch sonst nach allen Regeln der Kunst verhätschelt. Zuko seufzte. Er liebte es, verheiratet zu sein, soviel stand fest! Nachdem sie ihn wie immer über seinen Arbeitstag ausgequetscht hatte, (sie war der unumstösslichen Meinung, es entledige ihn eines Teils seiner Sorgen. Erstaunlicherweise stimmte das auch.) setzte sie sich hinter ihn und bearbeitete geschickt seine verspannte Rückenmuskulatur. „Hast Du schon überlegt, was Du am Samstag tun möchtest, Kobold?“ „Ich darf mir was überlegen?“ Sie schmiegte sich an seinen Rücken und legte ihr Kinn auf seine Schulter. Aus den Augenwinkeln beobachtete Zuko, wie Lu Ten sich ins Zimmer schlich und hinter einem Sessel Deckung suchte. Der Bengel hatte noch genau sieben Minuten, bis zur Schlafenszeit. „Natürlich!“ „Hmm.“ „Du hast noch keinen Schlachtplan?“ „Nein“, gab sie kläglich zu. „Meine kleine Taktikerin!“ Dafür wurde an seinem Ohrläppchen gezogen. „Können wir auch weg?“ „Wenn es nur für einen Tag wäre.“ „Ich ... ich würd furchtbar gerne mal wieder nach Ba Sing Se.“ „Ba Sing Se?“ „Mhm. Ein bisschen in alten Erinnerungen schwelgen.“ „Mit dem schnellsten Drachen sind es von hier nur zwei Flugstunden. Ich sehe also nichts, was dagegen spricht.“ „Was zum TEU ...? VERDAMMTER BENGEL!!!“ Der Schrei kam aus einem angrenzenden Zimmer, in dem Fon während ihres Aufenthalts die gesamte Wäsche lagerte. Zuko stand gemächlich auf, näherte sich der Tür und schob sie auf. „Fon?“ Das leise Fluchen verstummte abrupt. „Hoheit!“ „Gibt es einen Grund für diese Entgleisung?“ „Nein, verzeiht!“ Fon war alles, aber keine Petze. „Ah. Was ist das für ein Geruch?“ „Geruch, Herr?“, fragte der Kammerdiener, in einer grünlichen Wolke stehend. Leises Kichern erklang hinter dem Sessel. „Ja. Geruch. Wird von den Rezeptoren der Schleimhäute der Nase wahrgenommen, Du weißt schon ...“ „Äh ... ich rieche nichts!“ „Deine Loyalität gegenüber meinen Söhnen ist wirklich unübertroffen, Fon! Ich werde Lu Ten ausrichten, dass Du diesen bestialischen Gestank wie ein Mann ertragen hast!“ „Danke, Hoheit!“, meinte Fon sarkastisch. „Ach, und öffne bitte die Fenster. Dass diese Biester derart widerlich stinken, hätte ich nicht gedacht.“ „IHR habt ...“ „Bitte?“ „Nichts, Herr!“ „Gut. Ich dachte schon, ich hätte da eine leise Anspielung gehört.“ „Nein, Herr Ich würde niemals andeuten, Ihr stecktet mit Eurem Sohn unter einer Decke.“ Der Sessel gluckste leise. „Dann ist es ja gut. Wenn Du den Käfer findest, entsorg ihn bitte, ohne Dein Gewissen mit seinem ohnehin zu kurzen Leben zu belasten.“ „Natürlich, Hoheit.“ Sie alle kannten schließlich den Kronprinzen. Wenn Lu Tens Streich mit dem Ableben eines unschuldigen Müffelkäfers endete, würde es zu keinem weiteren mehr kommen. Nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte, beugte Zuko sich über den Sessel. „Ich muss sagen; Perfekte Zeitplanung, mein Sohn“, grinste er. „Schlafenszeit!“ Am Tag der Flammen war ganz Gaoling auf den Beinen, um der Eröffnung des Feuerfestivals beizuwohnen. Schließlich bekam man nicht allzu oft die Gelegenheit, den Feuerlord nebst Gemahlin in persona zu sehen. Doch dieses Privileg genoss man nur bis kurz vor Mittag, denn wie sich herausstellte, hatte das Paar noch andere Verpflichtungen. Kurios war nur, dass für diese Verpflichtungen die prächtigen Roben in aller Hinterlist gegen schlichte, abgetragene Erdnations-Kleidung getauscht wurden. Gute zwei Stunden später erlebte Ba Sing Se trotz des Friedenspaktes eine klammheimliche Invasion. Das Herrscherpaar der Feuernation fiel inkognito in die Metropole ein. Lady Jin betrat die Stadt mit erwartungsvoller Freude, ihr Gatte mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze. Sofort stellten sie eines zweifelsfrei fest: Ba Sing Se war zum größten Teil noch immer lebhaft, bunt und lärmend. Es gab einen Ort, von dem anzunehmen war, er würde Mylady ein wenig traurig stimmen. Also besuchten sie ihn zuerst. Der kleine Friedhof strahlte die gleiche wohltuende Ruhe aus, wie früher. Jin legte die beiden mitgebrachten Blumen nieder. Es war so lange her, dass sie hier gewesen war ... „Wir könnten ihre Gebeine überführen lassen, mein Herz“, murmelte Zuko. „Mhm. Ich weiss nicht. Ich werd´s mir überlegen.“ Sie strich zärtlich über die verwitterte Steinplatte. Stumm drückte Zuko ihr die Hand. Danach steuerten sie die Färbergasse an. Mit gemischten Gefühlen stand Jin vor dem hübschen, kleinen Häuschen, in dem ihre winzige Wohnung gelegen hatte. Farbe platzte von der Fassade und einige Schindeln schienen sich vom Dach gelöst zu haben, doch noch immer strahlte das Haus die alte, charmante, schrullige Wärme aus. Der Abstecher zum ehemaligen Teehaus zeigte, dass die miefende Suppenküche mittlerweile ihrerseits etwas anderem Platz gemacht hatte. Einem gemütlichen kleinen Teehaus. Der dortige Kellner wunderte sich nicht wenig über das seltsame Paar. Ein finsterer Typ, der von Manieren rein gar nichts zu halten schien, denn er behielt stur die Kapuze über dem Schädel und ein scheinbar verwirrtes Frauenzimmer, welches kontinuierlich vor sich hin kicherte. Aber sie zahlten gut. Auf ihrem weiteren Streifzug mussten Zuko und Jin feststellen, wie sehr manche Teile Ba Sing Ses sich verändert hatten. Meister Yoms Weberei war in einen anderen Bezirk gezogen und `Willste-Fisch-iss-ihn-frisch´ hatte die Zeit leider ebenso wenig überdauert, wie der Platz der hundert Kerzen. Er hieß nun Platz des neuen Friedens und wurde von einem an Hässlichkeit kaum zu überbietenden Denkmal überschattet. „Ach Du rote Sieben!“, entfuhr es Zuko, als sie ihn betraten. „Nein! ... Oh! Was haben die denn gemacht?“, hauchte Jin. „Wo ist denn der Brunnen?“ „Anscheinend dieses Monstrosität zum Opfer gefallen“, murmelte ihr Gatte lakonisch. „Aber ... das können sie doch nicht machen!“ „Ich befürchte, sie haben schon.“ Mylady hatte Mühe, ihre Fassung zu bewahren. Ausgerechnet dieser Platz. Bisher war dieser Besuch wirklich nicht ganz das, was sie sich davon versprochen hatte. Das kleine, gemütliche Restaurant, Schauplatz ihres ersten, desaströsen Rendezvous, existierte noch und entschädigte sie für so ziemlich alles. Jin fand es ganz entschieden wundervoll, hier zu sitzen, sich an ihre damalige Unsicherheit zu erinnern, an seine verzweifelt bemühte Miene, und zu wissen, dass sie schon damals nicht als einzige bis über beide Ohren verliebt gewesen war. Das Essen war, wie schon damals, ziemlich lecker. Die Gesellschaft, wie schon damals, ziemlich anregend. Und am Ende bestellte Zuko doch tatsächlich Dessert, für sich und seine ... Freundin. Auf diese Weise mit ihrer alten Stadt wieder versöhnt, schlenderte Jin an Zukos Seite durch die unzähligen Gassen. Aufgrund des Feiertags waren sie noch dichter bevölkert, als gewöhnlich und da es inzwischen zu dämmern begann, wurden überall bunte Fackeln und Lampen entzündet. Als sie sich dem Stadtzentrum näherten wurde das lärmende Treiben um sie herum noch dichter. Unzählige kleine Stände boten die unterschiedlichsten Waren feil. „Feuerflocken!“, gierte Jin. „Hast Du eine Vorstellung davon, WAS sie hier unter Feuerflocken verstehen, Kobold?“ „Ja! Im Gegensatz zu Deinen Köchen, was Essbares!“ Sie schnappte sich seine Börse und stellte sich in die Warteschlange. Ihren geplagten Begleiter ließ sie an einem zugigen Hauseck stehen. Zuko verschränkte die Arme, lehnte gegen einen Laternenpfahl und wartete. Nach kaum einer Minute geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Zum einen hob ein kräftiger Windstoss Zukos Status als `Herrscher, inkognito´ auf, indem er ihm die Kapuze vom Kopf riss und zum andern wurde er beinahe Opfer eines perfiden Anschlags. Ein vielleicht fünfjähriger Junge fuchtelte auf Höhe der fürstlichen Kniescheiben unsachgemäss mit zwei Holzschwertern herum. „Chen! Lass das bitte!“, rief die überforderte Mutter. „Aber ich bin doch gar nicht Chen!“, schrie Chen, „Ich bin ZukkooOOO!“ Äh ... Bitte? Bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass der Winzling, der heute ausnahmsweise nicht auf den Namen Chen hörte, das Areal um sein linkes Auge großzügig mit roter Farbe verschmiert hatte. Was zum ... Linker Hand des Feuerlords (des Echten) wurde gekichert. Dreistimmig! Da er sich als `dafür nicht zuständig´ erachtete, ignorierte Zuko das Gegiggel. Er wollte eben seine Kapuze zurückbefördern, als er angesprochen wurde. Manche Leute waren eben einfach nicht in der Lage ein Mienenspiel zu deuten. „Euer Lordschaft! Welche Ehre!“ MIST! Verdammter Mist. Auch das noch! „Hallöchen Hoheit!“ Das klang eindeutig anzüglich war aber eindeutig nicht Jins Stimme. „Na, DAS nenn ich doch mal einen Feuerlord.“ Zuko schielte vorsichtig nach Links und erspähte drei aufgebrezelte Grazien. Kichern. Wo zum Teufel war dieses Eheweibsbild, wenn man es brauchte? „Ja, eindeutig der strammste, den wir bis jetzt gesehen haben.“ „Aber voll!“ Redeten die Grazien über ihn? Und wurde er etwa von schwülen Blicken abgetastet? „Du bist wohl auf dem Weg zum Wettbewerb, mein Großer?“ So wie die junge Dame blinzelte, musste sie was im Auge haben. „Wettbewerb?“, echote Mylord wieder besseren Wissens tonlos. „Ja, klar! Der Zuko-Doppelgänger-Wettbewerb.“ Klar. Glasklar. Der... was? Hinter den Grazien, die ihn mittlerweile dicht umlagerten, tauchte Jin auf. Endlich nahte Rettung! „Da musst Du einfach mitmachen!“, zwitscherte die mit dem Wimpernflattern. „Ja! Echt! Du siehst sowas von authentisch aus!“ Die Rothaarige war offensichtlich sehr darauf erpicht, dass jeder merkte, wie authentisch sie authentisch aussprach. „Wirklich?“, mischte sich nun eine überaus bekannte und überaus belustigte Stimme ein. „Ich hab aber gehört, Seine Lordschaft soll rasend attraktiv sein! Nahezu atemberaubend.“ Freches, jadegrünes Strahlen glitt langsam und genüsslich Zukos Körper entlang. Jins Lächeln war reine Spitzbuberei. Dieses Weib hatte eindeutig die falsche Stellung inne. Sie hätte Wegelagerer werden sollen. „Ja, und?“, fragte die Größte des Trios schnippisch. „Umso besser passt es.“ Prompt bekam Zuko von ihr einen einladenden Blick zugeworfen, der jedoch eher von Schlafmangel, denn von Verlockung zeugte. „Mhm.“ Jins Stimme bebte vor Schalk. „Ja ... Geht so.“ Ihre Augen ließen ihn wissen, wie sehr es ging. „Geht so? Also ICH denke, er wird gewinnen!“, flötete der Rotschopf. „Also ICH denke das nicht!“, knurrte Zuko kaum hörbar. „Doch! Bestimmt! Den Gewinner vom letzten Jahr schlägst Du um Längen. Echt!“ „Ja, echt!“, meinte Miss Klimperblick. „Ach ja?“, knarzte das Objekt der Begierde. „Toll. Wenn ihr noch gute Plätze ergattern wollt, solltet ihr schleunigst los.“ Es war zwar ein Schuss ins Rote, aber er traf. Ein paar `Huch´s und `Ohje´s später war das Trio verschwunden. „Ein überaus kluger Pai-Cho-Zug, Drache!“ Jin strahlte ihn an und steckte sich eine Feuerflocke in den Mund. Zuko schnaubte nur. In seiner Eile, den Schauplatz zu wechseln, rempelte er gegen einen gestressten Familienvater. „Bitte um Verzeihung!“ „Schon gut!“, blaffte der Mann. „Was für ein Haufen von Spinnern! Als Erwachsener sollte man wirklich besseres zu tun haben, als verkleidet durch die Stadt rumzurennen“, knurrte er mit vielsagendem Blick auf Zuko. „Freak!“, fügte er noch hinzu. Laut genug, um auch gehört zu werden. „Ts! Spießer!“, rief Mylady. „Jin!“, zischte Zuko. „Was denn?“, fragte die dreifache Mutter seiner Kinder. „Er IST ein Spießer!“, klärte sie ihren pedantischen, traditionalistischen und prinzipientreuen Ehemann auf (das Wort `spießig´ wollen wir an dieser Stelle tunlichst meiden!). Bevor Zuko seine eigene Meinung über kostümierte Irre kund tun konnte, lenkte Jin ihn ab. „Da! Schau!“ Sie zeigte auf ein schreiend buntes Plakat, in dessen Mitte etwas prangte, das anscheinend ein Konterfei des Feuerlords darstellen sollte. `Großer Zuko-Look-Alike-Contest zum Feuerfestival-Finale! Sei dabei, auf dem Platz der Mitte!´ „Das ist ...“ „So süß!“, hauchte Jin. „Entsetzlich!", intonierte der Gebieter der Flammen. „Süß!“, widersprach sie trotzig. „Die will ich sehen!“ „WAS?“ „Ich will da hin! Vielleicht find ich ja Ersatz.“ „Ersatz?“ „Ja. Du bist immerhin auch schon Einunddreissig.“ „Fast!“, knirschte er. „Pah, die zwei Monate.“ „Da kriegen mich keine zehn Rhinos hin!“ Leider stellte sich heraus, dass Ehefrauen weit bessere Arbeit zu leisten verstanden, als diese Viecher. Überdies hatte Jin beschlossen er könne ebenso gut auch ohne Tarnung herumlaufen, und so hielt ihn jetzt jeder für einen unzurechnungsfähigen Spinner. Je näher sie dem Platz der Mitte kamen, umso mehr `Zukos´ kreuzten ihren Weg. Manche schlecht, andere grottenschlecht. „Ah! Vielleicht möchte der Herr noch eine Feuerblume?“ Zuko drehte sein Gesicht in Richtung einer älteren Händlerin, die ihm die gleiche, halbierte, rote Maske hinhielt, die ihnen heute schon ein paar mal untergekommen war. „Oh, ich seh schon, Ihr Bedarf ist gedeckt. Nichts für ungut, junger Mann. Sehr gelungenes Kostüm, wirklich!“ Sie nickte anerkennend. „Nicht Viele entscheiden sich für das `Inkognito-Outfit´. Die meisten ziehen sich rote Glitzerklamotten über und meinen, man sähe nicht, wie billig der Stoff war. Pf! Falls Sie übrigens etwas für die reizende junge Dame suchen sollten ... Ich hab hier was ganz besonderes!“ Flink zog die Dame ein seidenes Schultertuch unter der Theke hervor. „Hier! Die beste Seide, die Sie kriegen können. Stammt direkt aus dem Feuerpalast. Ich hab sogar ein Zertifikat dafür.“ „Aus dem Feuerpalast?“, fragte Jin neugierig und trat näher. „Ja. Sehen Sie nur, wie wundervoll die winzigen Drachen gearbeitet sind. Ich hab gehört, die Feuerlady höchstpersönlich entwirft diese Stücke. Hach! So was romantisches! Aus Ba Sing Se stammt sie, jawohl!“ „Gaoling!“, warf Zuko, ganz Fachmann, ein. „Papperlapapp! In Ba Sing Se hat sie jedenfalls gelebt. Und hier hat sie auch den Feuerlord getroffen. Hach!“, seufzte sie wieder. „Ich hab damals ihre Verlobung gesehen. Stand zwar weit weg, aber ... SO was romantisches! So ein STATTlicher Mann!“ Bevor noch ein `Hach´ folgen konnte, ergriff Zuko der Stattliche Maßnahmen. „Was kostet das Tuch?“ „Fünfzig Yu. Aber das ist es mehr als wert! Stammt schließlich ...“ „Direkt aus dem Feuerpalast. Wir haben es verstanden.“ „Ist er wirklich so imposant, der Feuerlord?“, wollte Jin von der Händlerin wissen. „Hach ... Und wie! Ein Bild von einem Mann!“ Das Bild von einem Mann verzog schmerzlich das Gesicht. „Und dieses Sonnendings, das er vorgeführt hat ... Sagenhaft! Man sagt, die beiden schweben immer noch im siebten Himmel.“ „Ja!“, wisperte die Gattin des Sonnendings..., äh -Gekrönten. „Das hab ich auch gehört. Dabei ist die Ehe grade im verflixten siebten Jahr. Aber, er soll ja angeblich nicht umsonst der Feuerlord sein.“ Die beiden Frauen kicherten verschwörerisch. Das HACH so imposant stattliche Feurlord-Inkognito-Imitat Imitat stand mit fest verschränkten Armen etwas abseits. „Hach ja, SO ein glückliches Mädchen!“ „Ja!“, bestätigte Jin träumerisch, während sie mit leuchtenden Augen ihren Drachen betrachtete. „So ein glückliches Mädchen.“ Um dem Tratsch endlich ein Ende zu bereiten, trat Zuko wieder näher. „Wir nehmen den Schal.“ „Also wirklich! Mein Tuch als Schal zu bezeichnen...“ „Wunderbar!“, flötete die Verkäuferin. „Was für eine gute Wahl! Die Seide soll viel Glück bringen, hab ich gehört. Vor allem,“ sie zwinkerte schelmisch. „Was die Liebe angeht!“ „Gut!“, wisperte Jin und beugte sich vor. „Er ist nämlich noch ein bisschen ... störrisch.“ „Hach, ein Dickschädel? Lieber so, als umgekehrt, Mädchen! Soll ich´s einpacken?“ „Oh, nicht nötig. Ich leg´s gleich um!“ „So ist´s recht!“ Ein letztes Mal strich die Händlerin liebevoll über den weichen, schimmernden Stoff. „Hier, bitte sehr. Viel Glück soll´s Ihnen bringen!“ „Danke schön!“, strahlte Jin. Der Blick der älteren Frau fiel auf den wartenden Zuko. „Ist ja aber schon auch ein Hübscher“, flüsterte sie in Orkanlautstärke. „Ja, nicht wahr?“ Während des restlichen Wegs lag ein verklärter Blick in den Augen Ihrer Ladyschaft. So, so... Seide aus dem Feuerpalast galt also als Glücksbringer in Liebesdingen. Hach! Der Platz der Mitte war ziemlich voll, was Zuko sehr entgegen kam. Würde ihm grad noch fehlen, sich diese Bekloppten aus der Nähe ansehen zu müssen. „Wo willst Du denn hin?“, fragte er, als Jin sich durch die Menge schlängelte. „Nach vorn. Da gibt´s flambierte Litschibeeren.“ Sie zog ihn mit sich. Als sie den Stand erreichten, ging Jin schnell noch einige Schritte mehr. „Jin? Wehe Du ...“ „Hallo?“, machte der recht unmotivierte junge Mann am Anmeldeschalter. „Hallo!“ „JIN!!!“ „Kann man sich noch anmelden?“ „Klar. Er hier?“ „Ja.“ „Nein!“ „Was denn nun?“ „NEIN!" „Doch!“ „Entscheidet euch mal!“ „Auf keinen Fall, Jin!“ „Und wenn ich mir das zum Geburtstag wünsche?“ „Tust Du nicht!“, ächzte Zuko schwach. „Tu ich wohl!“ „Ich kann doch hier nicht einfach ...“ „Hey, warum nicht?“, meldete sich der Experte am Schalter zu Wort. „Deine Aufmachung ist doch gar nicht mal so schlecht. Also?“ „Bitte!“ Jin fingerte an Zukos Ärmel. Er beschloss diesen Manipulationsversuch an sich abprallen zu lassen. „Das ist das Unmöglichste, das Du je von mir verlangt hast!“, knirschte er. „Ich will auch nie wieder was!“ „Wer´s glaubt.“ „Bitte, Drache!“ Sein `Inkognito-Outfit-Ärmel´ wurde gezwirbelt. Zuko versuchte mit allen Mitteln, nicht an die Traurigkeit in ihren Augen zu denken, als sie entdeckt hatte, wie sehr ihre Stadt sich verändert hatte. Hier bot sich die Gelegenheit, sie zu entschädigen. „Bei allen Feuern, Jin!“, murmelte er. „DANKE!!!“ sie umhalste ihn fest. „Er macht mit!“ „Na supi!“ Das klang etwas lahm. „Name?“ „Lee!“, sagte Jin. „Song“, knurrte Zuko. „Was jetzt?“ „Lee Song.“ „Ok! Bist Nummer achtundzwanzig. Ihr müsst da rüber!“ Na toll, auch noch eine gerade Zahl! Zwanzig Meter weiter bekam der neue Kandidat eine zerfledderte Nummerntafel in die Hand gedrückt. „Da! Und jetzt schnell hinter die Bühne. Eigentlich hätte Jo Dich gar nicht mehr reinlassen dürfen.“ Eigentlich wäre ihm das auch lieber gewesen! Vielleicht sollte jemand mit Jo mal ein Gespräch über Arbeitsethik führen. „Du gehörst zu ihm?“, wendete sich der Aufsichtsfuzzi an Jin. „Ja.“ Aber sowas von! „Gut. Kannst da lang, dann bekommst noch nen guten Platz.“ Bevor sie ging, warf Jin ihrem Gemahl noch eine Kusshand zu. „Viel Glück, mein Schatz!“ „Ja“, murrte der. „Tausend Dank auch!“ Jin bekam tatsächlich einen hervorragenden Platz in Reihe zwei. Auf der Bühne standen, beziehungsweise hopsten ein paar durchgeknallte Teenager mit mehr als fragwürdigen Frisuren herum und sangen ein Lied über die Regenzeit. Die Tonart war allerdings derart schräg, dass Jin sich fragte, warum der Himmel seine Schleusen nicht tatsächlich öffnete. Hinter ihr kreischten einige junge Dinger sich in Extase. Offenbar standen die Jungs hoch im Kurs. Nach der ... Musik betrat ein grinsender, händereibender, spindeldürrer Mensch die Bühne. „JAAA! Das waren die FANNTASSTISCHEN Boys von Ba Sing Se Motel! APPLAUSSS! Ja ... ganz fanntasstisch, wirklich!“ Erneut rieb er sich die Hände. „Doch nun, verehrtes Publikum, kommen wir zum Höhepunkt des heutigen Feuerfestivals!“ Ein Goldzahn blitzte auf. „Wirklich hoher Besuch steht uns ins Haus. SO viel Royalismus auf einem Haufen haben Sie garantiert noch NIE zu Gesicht bekommen!“ Er ließ eine kleine, professionelle Pause für Gelächter. „Und hiiier startet die Vorrundeee! Applaus für unsere diesjährigen fannntasstischen Kandidaten! Ihre Lordschaften, Ihre königliche Hoheiten, Ihre Herrlichkeiten, die Einzigen, die Erhabenen... Zukooooos die Zweiteeeeen!“ Jubel brandete auf. Als Kandidat Nummer achtundzwanzig, die Bühne betrat, pfiff Ihre königliche Hoheit, Lady Jin, schrill auf zwei Fingern. „Aah!“, seufzte es hinter ihr. „Das ist mit Abstand der heißeste dieser Typen!“ Zukos Fantruppe! Jin hatte die Grazien fast schon vergessen gehabt. Das hier versprach wirklich ungemein lustig zu werden. Als Vorletzter betrat der kürzeste Feuerlord, den die Welt je gesehen hatte, die Plattform. Ungefähr fünf Jahre alt, marschierte der Dreikäsehoch auf stämmigen Beinen hinter seinen Konkurrenten her. Er trug ein `Prinzen-Kampf-Outfit´, zwei Holzschwerter, eine Zottelfrisur und war einfach zum Anbeissen. Die Zuko-Versammlung auf der Bühne trug in der Tat die unterschiedlichsten Kostüme. Von `Verbannter Flüchtling´, über `Teekellner´ (wie zur Hölle war DAS ans Licht gekommen?) und `Sonnwendtänzer´ bis hin zur vollen `Herrschermontur´ war alles vorhanden. Kurzhaarfransen, wallende Mähnen, Haarschlaufen mit und ohne Krone ... Doch bezeichnenderweise gab es nur einen, der das unscheinbare, verwaschene, olivbraune `Zwar-schon-Fürst-aber-inkognito-unterwegs-Gewand´ mit Pferdeschwanz trug. Er tat dies allerdings mit so finsterem Gesicht, und daher mit so viel unfreiwilliger Überzeugungskraft, dass es die Schlichtheit der Gewandung mehr als wett machte. Als Jin Zukos versteinerte Miene sah schwankte sie zwischen Belustigung und schlechtem Gewissen. „Ah! Das ist mindestens so gut, wie das mit dem Käfer!“, murmelte eine bekannte Stimme links von Jin. „Fon?“ „Hoheit!“ „Pst! ... Was machst Du hier?“ „Ich bewache Seine Durchlaucht.“ „Du bist uns heimlich hinterher?“ „Aber nein! Der General weiß Bescheid. Und, mit Verlaub, hier zu stehen ist recht leichtsinnig von Euch.“ „Warum? Es kennt mich doch keiner!“ „Ja. Darum lässt Euch der Herr auch nicht aus den Augen. Hält Euer Bad in der Menge für kuschelig!“ Dann war der Ausdruck in Zukos Augen vielleicht doch keine Rachsucht, sondern eher Vorsicht? „Ich werd ihn mal beruhigen“, brummte Fon und zog die Kapuze vom Kopf. Er ließ sich gar dazu hinreissen, seinem Herrn zuzuwinken Das war eines der wenigen Male, da Zuko über die Eigenmächtigkeit des früheren Meisterspions zutiefst erleichtert war. Um Jin musste er sich nun keine Sorgen mehr machen. „SOOO! Zu guter Letzt kommen wir zu unserem letzten Herausforderer. Meine Damen und Herren, der Gewinner des letzten Jahres: Paaaaaan Chaaaang!!“ Beim Anblick DIESES Feuerlords biss Jin sich heftig auf die Lippen, während Fon für volle zwei Minuten nicht aufhören konnte zu kichern. Pan Chang, alias Zuko II, war ein überaus ansehnliches Exemplar der männlichen Gattung und der Innbegriff gesunden Selbstbewusstseins. Er schritt elegant herein und hob siegesgewiss die eindrucksvoll starken Arme. Auf seinem sonnengebräunten Antlitz prangte ein charmantes, strahlend weißes Lächeln inklusive Grübchen. Er trug natürlich ein Sonnentänzer-Outfit, denn eine Aufmachung, bei der der Damenwelt der Anblick dieses perfekt definierten Oberkörpers entginge, wäre pure Verschwendung gewesen. Zuko entgleisten die Gesichtszüge. Diese Type hatte im letzten Jahr gewonnen? SO stellten ihn sich die Leute vor? Als dummen, eitlen, aufgeblasenen Gecken? Er klappte den Mund wieder zu und knirschte stattdessen mit den Zähnen. Jin konnte den Augenblick, in dem sein Kampfgeist erwachte, auf die Sekunde genau bestimmen, denn seine Augen begannen unheilvoll zu glühen. Der eingeölte Schönling hatte nicht mehr die geringste Chance, soviel stand fest. Hinter Jin tuschelten die drei Grazien miteinander. „Also, ich weiß gar nicht, warum der letztes Jahr gewonnen hat. SO toll ist er nun wirklich nicht!“ „Aber echt!“ „Voll ... äh voll nich!“ Zukos Groupies hatten, wenn schon nichts anderes, wenigstens Geschmack. „JAA! Höchste Zeit für die Vorrunde. Nur fünf kommen weiter, Herrschaften, nur fünf, also wählen Sie weise!“ Das Ganze gestaltete sich recht einfach. Während eine sechsköpfige Band für musikalische Untermalung sorgte, bildeten die Feuerlords und Prinzen eine Parade, trotteten ein paar Runden über die Bühne, mussten sich drehen, und wenden, um am Ende wieder auf ihre Plätze zu gehen. Dann durfte jeder Zuschauer für seine drei favorisierten Kandidaten die Hand heben, um deren Weiterkommen zu sicher. Jin hob ihre bei ihrem Ehegatten, dem Knirps und selbstverständlich Pan Chang. Konkurrenz belebte schließlich nicht nur das Geschäft, sondern auch das Glitzern in gewissen Drachenaugen. Nun folgte der eigentliche Wettbewerb. Die Einzelrunden. Zunächst wurden die fünf verbleibenden Zukos einzeln nach vorn gerufen und hatten die Gelegenheit, auf besondere Verarbeitung oder Details ihrer jeweiligen Kostümierung aufmerksam zu machen. Unnötig, zu erwähnen, dass Seine Lordschaft in dieser Rolle nicht besonders glänzte. Er stand einfach nur da. Stur, stumm, erhaben wie ein Bollwerk und ließ sich gezwungenermaßen begaffen. „Mann! Der hat echt voll die Feuerlord Attitüde!“ „Echt! Das ist ja sowas von herrschermässig!“ „ZIEMLICH aristokratisch, wenn ihr mich fragt!“ So langsam schmerzten Jins Lippen, vom vielen drauf beissen. Als Zuko wieder auf seinem Platz stand, hatte dieser Pan-Chang-Schnösel doch tatsächlich den Nerv ihn anzusprechen. „Hey, Mann ... Nicht schlecht, Kumpel! Aber Deine Narbe, Mann ... Findest Du nicht, die ist ein bisschen zu übertrieben? Ich könnte Dir nachher ein paar Tipps geben, wenn Du willst.“ „Jepp!“, sagte der Gebieter der Flammen, starr geradeaus blickend. Nachdem alle fünf Kandidaten sich präsentiert hatten, wurden sie von der Bühne geschickt. „SOOO! Fanntasstisch, nicht? Wirklich tolle Bewerber dieses Jahr! Doch jetzt wollen wir auch wissen, was IN ihnen steckt. Meine Damen und Herren, machen sie sich bereit, die erstaunlichsten Dinge zu sehen! Das wird ganz fanntasstisch! Starten wir also Runde drei, diiiiiiee Talentshoooooooow!“ „Ach Du meine Güte!“, rutschte es Fon heraus. „Das hab ich nicht gewusst“, meinte Jin erschrocken. Ihr schwante übles. Armer Drache! Der erste, er stellte `Kellner-Zuko´ dar, rezitierte ein ellenlanges Gedicht über die Sonne, von dem die Zuschauer nach jeder Strophe dachten, es sei vorbei. Leider wurden sie jedes mal enttäuscht. Danach kam `Mini-Zuko´, der überaus ernsthaft und mit beeindruckendem Geschick mit seinen Schwertern auf imaginäre Gegner eindrosch. Der dritte, anscheinend `Krönungs-Zuko´, jonglierte, was Jin beinahe einen Lachkrampf abgerungen hätte. Dann kam `Sonnyboy-Zuko´, Pan Chang. Er zog sein halbes Muskeltrainingsprogramm durch. Liegestütze, Liegestütze einarmig, Gewichtheben. Danach, als sein Oberkörper die richtige Patina aus Schweiss und Öl aufwies, nahm er noch einen Kampfstab und schwang ihn ein paar mal durch die Luft. Als letzter kam `Zuko-Zuko´ auf die Bühne. Das heißt ... er wurde eher gezerrt. Jin warf ihm einen bangen Blick zu. Sie sollte schliesslich wissen, falls er ihr baldiges Ableben bereits plante. „SO, Herrschaften, der Letzte im Bunde: Unsere viel versprechende Nummer achtundzwanzig! Was gedenken Hoheit uns darzubieten?“ „Nichts!“ Das Trio hinter Jin seufzten im Chor. Der Moderator seinerseits, kam nur ganz kurz aus dem Konzept; Er war ja nicht umsonst ein Profi. „Aber, aber ... nur dekorativ zu sein reicht nicht, im Kampf um die Krone!“ Er grinste schmierig ins klatschende Publikum. „Denkst Du, ich mach das hier zum Spass?“, zischte er Zuko durch die Geräuschkulisse an. „Denkst Du, ich?“, fauchte der zurück. „Tu was! Sonst werden die da unten verdammt ungemütlich!“ Bevor die Situation eskalierte hielt Mylady es für angebracht, einzuschreiten. „Er spielt Tsungi Horn!“, schrie sie, vorauf sie ein strafender, funkensprühender Blick traf. „AAH!“, machte der leidgeprüfte Moderator erleichtert. „Haben wir ein Tsungi Horn da?“, fragte er in Richtung der sechs gelangweilten Musiker. „Nö, nur Flöten!“ Goldener Triumph blitzte Jin entgegen. Mist! Sie ignorierte ihr schlechtes Gewissen und hüpfte hoch, um die Instrumentenauswahl besser sehen zu können. Da! Eine Kniegeige. „Er kann auch Gum Jo spielen!“ „FANNTASSTISCH! Ein überaus talentierter Musiker also!“ Mittlerweile schwitzte der arme Zeremonienmeister Blut und Wasser. So was von mangelnder Kooperationsbereitschaft war ihm noch nicht untergekommen! „Jetzt mach schon! Beweg Deinen Arsch und hol die verdammte Geige!“, presste er durch die Zähne. Kandidat achtundzwanzig fletschte seine ebenfalls. „Du kannst mich mal!“ „Hey, KEINER hat Dich gezwungen hier zu sein.“ Das stimmte so nicht ganz. Aber in einem hatte der Mann recht: Zuko hatte einen Grund, hier zu sein. Einen Grund mit immer besorgter dreinblickenden, Jade-Augen. Und da es sein erklärtes Ziel war, diese Augen zum strahlen zu bringen, musste er wohl oder übel mitmachen. Außerdem, bevor dieser Schmalzheini vom letzten Jahr wieder gewann ... So stapfte Zuko nach rechts, schnappte sich Gum Jo und Bogen und ließ sich damit auf der Mitte der Bühne in den Schneidersitz fallen. „Ich wünschte, ich hätte Enkel, denen ich hiervon erzählen könnte!“, murmelte Fon entrückt, während sein Herr versuchsweise an dem bauchigen Instrument mit dem überlangen Hals zupfte. Der Sonnengekrönte verzog das Gesicht. Das Ding da war ebenso verstimmt wie er selbst! Gekonnt machte er sich daran, den Schaden einzudämmen, drehte hier und da, bis er mit dem Klang zufrieden war. „Hey, was spielst Du?“, rief einer der Musiker. „Lauf der Zeit.“ „Was?“ „LAUF DER ZEIT!“, brüllte Agnis oberster Diener. Seine Groupies schmolzen dahin. „Aha ... Tonart?“ „Glühend-moll!“ „Hä?“ „G-MOLL!“ „Okay, okay!“ Zuko gönnte Jin noch einen letzten, flammenden Blick, bevor er zu spielen begann. Es war wie immer. Erst sträubte er sich ganz fürchterlich und dann versank er in Konzentration. Nach den ersten beiden Takten gab es für ihn nichts mehr, außer der Musik. Nur spielte er für ihren Geschmack viel zu selten. Selbst diesem billigen, zerschrammten Instrument entlockte er wundervoll gläserne, zerbrechliche Klänge. Das Publikum lauschte der alten, melancholischen Weise mit einer Bewunderung, die an Andacht grenzte, doch niemand war so verzückt, wie Lady Jin. Er spielte tatsächlich ihr Lieblingslied! Ah, sie liebte es, ihm zuzuhören. Sie liebte es, ihn dabei anzusehen. Damit war sie beileibe nicht die einzige. „Gott! Der ist ja wirklich umwerfend!“ „Ja ... Echt!“ „Ziehen wir Streichhölzer?“ Moooment! Feilschten diese Tussis etwa um ihren Mann? Zeit, ein paar Illusionen zu zerstören. Jin drehte sich um. „Ich will euch ja nicht frustrieren“, flüsterte sie. „Aber, er ist schon vergeben!“ „Ach ja?“ Die Große konnte das mit dem von oben herab blicken wirklich gut. „Sagt wer?“ „Ich!“ „Du? ... Und diese Sahneschnitte?“ „Ja.“ „Ts, erzähl das Deiner Oma!“ Jin zuckte mit den Schultern. Dann eben nicht. Die Sahneschnitte beendete ihren Vortrag und tosender Applaus brandete auf. „JAAA! FANNTASSTISCH! Das war also unser letzter Kandidat! Wirklich tolle Runde, ganz tolle Runde! Und jetzt wird es auch schon Zeit abzustimmen. Denken sie daran: Es kann nur EINEN geben!“ Hätte Jin auch nur in Erwägung gezogen, ihr Drache könne nicht gewinnen, hätte sie vielleicht nicht für den Knirps gestimmt. Aber am Ende stellte sich heraus, das der `Oh-wie-süß-Faktor´ ausreichte, um dem Dreikäsehoch mit knappem Vorsprung die Krone zu sichern. Zuko wurde zweiter und gestattete sich natürlich postwendend, ihr einen dieser Ich-hab´s-ja-gewusst-Blicke zuzuwerfen. Immerhin bekam er er statt der goldenen Pappkrone eine silberne. Nach Beendigung des Spektakels verlief sich die Menge recht schnell. Jin und Fon machten sich auf den Weg, ihren Gebieter hinter der Bühne in Empfang zu nehmen. Sie kamen in genau dem Augenblick dort an, den die drei Grazien wählten, sich auf ihr Opfer zu stürzen. Zuko war noch nicht ganz die Treppe herunter gestiegen, als sie auch schon um ihn herum scharwenzelten. Am forschesten war Miss Klimperwimper. „Hey... Du hast doch jetzt bestimmt einen Riesenhunger?“ „Ja.“ „Ah... dann möchtest Du also noch was essen?“ Der Rotschopf lächelte verheißungsvoll. „Ja.“ „Wir fragen uns nämlich gerade, welche von uns Du wohl einladen willst“, schnurrte sie. „Ja?“ „Ja! Wir finden es übrigens ziemlich unfair, dass Du nicht gewonnen hast. Aber ... wir hätten noch ein paar Trostpreise in petto!“ „Echt?“ „Ja, echt!“, kicherte das Trio. „Toll!“, knurrte Zuko „Da hab ich ja sowas von kein Interresse!“ Sprach´s und schnappte sich tatsächlich die Hand dieser grünäugigen Ziege. Da noch zwei Flugstunden vor ihnen lagen, schritt Geheimkommando-Feuernation im Eiltempo durch die Stadt, verließ sie durch das Südost-Tor und ging schnurstracks zu den versteckt wartenden Flugdrachen. Fon bestieg ohne Umschweife das kleinere Exemplar und flog voraus. Zuko überprüfte noch gewissenhaft das Geschirr ihres Flugtiers und zurrte die Gurte des Doppelsitzes nach, als Jin beschloss, endlich ihr Gewissen zu beruhigen. „Drache?“ „Hm?“ „Danke für den Tag!“ Seine Antwort bestand aus einem ausgiebigen Kuss. „Gern geschehn!“ „Und ... danke, dass Du bei dem albernen Wettbewerb mitgemacht hast! Ich weiss, wie viel Überwindung es Dich gekostet hat.“ „Danke? Ich hab ja nicht mal gewonnen.“ „Aber in meinem Herzen schon!“ „Ah ... darum hast Du auch für den Dreikäsehoch gestimmt?“ „Oh, er war einfach ZU niedlich!“ „Soso, dann muss ich mich also in Zukunft vor jüngeren Männern in Acht nehmen?“ „Hmmnein“, sagte Jin gnädig. „Noch nicht!“ „NOCH nicht?“ Er strich sich nachdenklich übers Kinn. „Weisst Du, vielleicht sollte ich mir doch meine Trostpreise abholen gehen?“ „Du brauchst Trost?“, flüsterte sie. „Sag das doch gleich, Mylord!“ Sie zog seinen Kopf zu sich und bedachte ihn mit liebevollen Zärtlichkeiten. „Zuko?“ Was denn; war das etwa schon alles, was er an Trost bekommen würde? „Hm?“, fragte er, Jin weiter im Arm haltend. „War es sehr schlimm?“ „Na ja ...“ „Ach komm schon! Von dem Moment an, als ernsthafte Konkurrenz aufgetaucht ist, hat es Dir doch Spass gemacht, oder?“ „Ernsthafte Konkurrenz? Bezeichnest Du diesen Muskelmatsch mit Karotten-Teint etwa als Konkurrenz für mich? Diesen tumben, eitlen Fatzke?“ „Wieso? Er war doch charmant. Und Seine Muskeln waren wirklich ziemlich beachtlich.“ „Beachtlich missgestaltet und glitschig, ja. Aßserdem ist es unter der Würde eines Feuerlords CHARMANT zu sein.“ Er achtete peinlichst darauf, das Wort ebenso zu betonen, wie sie es getan hatte. Sie musste kichern, wurde dann jedoch wieder ernst. „Aber ... Zuko?“ „Was denn noch, Kobold?“ „Ich ... hab Dir doch damit nicht den Tag verdorben, oder?“ Er hob ihr Kinn, um sie anzusehen. „Ein Tag an dem diese Augen vor Lachen und Schalk so glücklich funkeln?“ Eine Locke wurde sacht hinter ihr linkes Ohr gestrichen. „Nein, mein Herz!“ Jin schnürte ihm fast die Luft ab, so fest umarmte sie ihn jetzt. „Dieser Tag war das schönste Geschenk, das Du mir machen konntest!“ „Ah, Du solltest nicht so vorschnell urteilen, Kobold!“ „Vorschnell? Es gibt kein besseres Geschenk!“ „Wollen wir wetten?“ „Unmöglich!“ „Tststs“, tadelte er. „Hab doch ein wenig mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten.“ Dann fiel Zuko jedoch ein, wie mangelhaft seine Fähigkeiten in puncto Zeitplanung gewesen waren. „Es, äh ... ist nur so, dass es noch nicht da ist ... das Geschenk." „Hab ich doch schon mitgekriegt. Aber, dass ausgerechnet DIR so was passiert, tsts." „Ja", brummte er. „Wir sollten schleunigst Baldrian besorgen, bevor Du deswegen noch einen Anfall bekommst. Du kannst diesen Fauxpas ja später mit Deinem CHARME wieder wettmachen, auch wenn das unter Deiner Würde ... Au! Nicht ...." Falls Jin den Satz vervollständigte, ging er in ihrem Gelächter jedenfalls hoffnungslos unter. In dieser Nacht lag Seine Lordschaft schlaflos neben seiner Frau. Der Grund hierfür war albern und eigentlich ebenso unter seiner Würde, wie charmante Grübchen. Nichts desto trotz plagte es ihn. Es gab eine Sache, zu der er noch nie die Meinung seines Eheweibes gehört hatte. Ganz einfach, weil er bisher nie daran gedacht hatte, sie zu fragen. „Zuko?“ „Ja?“ Sie war wach? „Warum schläfst Du denn nicht?“, murmelte Jin verschlafen. „Ich, äh ... nur so.“ „Nur so?“ Sie stütze sich auf einen Ellbogen. „Ja …“ „Unsinn! Du hast doch was!“ Na ja, WANN er seine Neugier stillte, war ja im Grunde egal, warum also nicht jetzt gleich? „Ich weiß, dass meine Narbe Dich nicht sonderlich stört“, begann Zuko. „Aber … was würdest Du sagen, wenn es eine Möglichkeit gäbe, sie verschwinden zu lassen?“ Seine Stimme klang rau und das nicht nur aufgrund des Schlafmangels. „Die Narbe? Wie kommst Du denn jetzt darauf? Wegen des Wettbewerbs?“ „Ja.“ Jin setzte sich auf und entzündete die Kerzen auf ihrem Nachttisch. „Zuko! Sie stört mich nicht nur `nicht sonderlich´, sondern überhaupt nicht!“ „Und wenn man sie entfernen könnte?“ Etwas sagte Jin, dass er diese Frage nicht nur zum Spass stellte. „Kann man denn?“ „Vielleicht. Gnau wüssten wir es erst, NACH dem Versuch. Vor Jahren deutete Katara an, diese Möglichkeit bestünde, wenn sie ihre Heilkräfte durch die Wirkung eines bestimmten Wassers verstärkt.“ „Das hast Du mir nie gesagt.“ „Ich hatte nicht mehr dran gedacht.“ Sie strich sein Haar zurück. „Möchtest Du es denn?“, fragte sie leise. „Ich hab zuerst gefragt!“, entgegnete er. Jin schlang die Arme um die Knie und atmete tief durch. „Wenn sie Dich stört, Drache, sollte Katara versuchen, sie zu entfernen, aber ...“ „Aber?“ „Ich ... Bestimmt findest Du das jetzt gleich ganz schrecklich von mir ... Ich weiß, für Dich hat die Narbe nur Schmerzen, Angst und Einsamkeit bedeutet. Wahrscheinlich mehr, als ich mir vorstellen kann, aber ... Sie gefällt mir! Schon immer. Als ich sie zuerst gesehen hab, dachte ich nur, dass Du sehr genau wissen musst, was Schmerz bedeutet. Und ... ich wollte ihn Dir nehmen. Den Schmerz und den Zorn. In meinen Augen ist die Narbe schön. Sie hat Dich zu dem Menschen gemacht, der Du bist. Und an diesem Menschen möchte ich nichts ändern. Nicht das Geringste! Doch Du würdest mir auch ohne sie gefallen und wenn sie Dich an zu viele Dinge erinnert, solltest Du versuchen, sie loszuwerden.“ „Ja!“, raunte Zuko. „Sie erinnert mich an Vieles. Vor allem an den Menschen, der ich niemals sein möchte.“ „Dein Vater?“ Er nickte. „Wenn er das nicht getan hätte, wäre ich ihm womöglich gefolgt. Vielleicht hätte ich ohne den Schmerz und ohne die Scham viele Dinge nicht hinterfragt. Und ja, sie hat mich zu dem gemacht, der ich bin. Sie erinnert mich an die Tatsache, dass aus jedem zornigen Jungen ein glücklicher Mann werden kann. Sie ist ein Teil von mir.“ „Ja, das ist sie!“ Erleichtert drückte Mylady einen Kuss auf das versehrtes Augenlid ihres Gemahls. „Es gibt noch einen weiteren Grund, aus dem ich sie vermissen würde“, flüsterte sie. „Der wäre?“ „Sie ... sie ist wie ein Stück Drachenhaut.“ Jin suchte nach den richtigen Worten zu ihren Gedanken. „Als hätte Dein Vater den Drachen zum Vorschein gebracht, als er Dein Gesicht verbrannte.“ Sacht, ganz sacht, strich sie über die ledrige Haut. „Meinen Drachen!“, wisperte sie, als sie sich über ihn neigte. Ein paar liebevolle Küsse später war Lady Jin nach Spielen zumute. „Narbe hin oder her.“ Neckende Küsse landeten auf seinem Mundwinkel. „Für mich warst, bist und bleibst Du...“ Die Hände, die nun über Zukos Oberkörper glitten, waren schon weit mehr als nur neckend. „... von allen patzigen Kellnern dieser Welt, der mit Abstand attraktivste!“ Frech machte sie sich über seinen Hals her. „Und was ...“, ächzte Zuko. „... ist mit den freundlichen?“ „Aber, aber ...“, säuselte seine Gattin. „Wer interessiert sich schon für die?“ Zu allem Überfluss brachte sie ihre kleine, raue Zunge ins Spiel, so dass den Feuerlord glühende Schauer durchliefen. „JIN!“ „Hab ich Dir eigentlich schon erzählt, wie gut Du schmeckst, Drache?“ Sein „Nein!“ war eher ein unverständliches Keuchen. „Deine Küsse“, hauchte sie gegen seinen geöffneten Mund. „Schmecken nach Zimt ... und einem Hauch Ingwer.“ Er versuchte sie zu küssen, doch Jin legte ihr Fingerspitzen über seine Lippen. „Und Deine Haut ...“ Ihre Nägel furchten leicht und langsam über die Muskulatur seines Bauchs. „Ist mindestens ebenso köstlich.“ Schwer atmend lag Zuko da und ließ sein Weib gewähren. Er ballte seine Fäuste und rang um Zurückhaltung. Hätten sie sich heute Nacht nicht schon ausgetobt, wäre ihr kleines Spielchen hier und jetzt zu Ende! „Sie schmeckt wie die ersten Walnüsse, die man schon das ganze Jahr herbeigesehnt hat.“ Ihre Augen glitten zu seiner Halsbeuge. „Jeder sagt einem, sie wären noch nicht reif.“ Jins Mund legte sich zärtlich an seiner Kehle. „Aber ... man muss sie einfach probieren.“ Aufreizend fuhr sie mit der Zungenspitze seinen Hals hinab. „Sie sind ein bisschen süß.“ Als sie die lustvolle Verkostung auf seine Brust ausgedehnte, knirschte Zuko mit den Zähnen. Lange hielt er dies nicht mehr aus. „Und ein bisschen bitter“, wisperte Jin, mit dem Mund tiefer gleitend. „Sie sind noch so herb, dass ihr Geschmack auf der Zunge brennt. Aber es ist das Köstlichste, was es gibt!“ Mittlerweile spürte er ihren Atem über seinen Bauch streifen. „So schmeckst Du, Drache!“ Als ihre Zunge seinen Nabel umspielte, bäumte Zuko sich auf und warf keuchend seine Selbstbeherrschung über Bord. „GENUG!“ Jin wurde gepackt und nach oben gezogen. Seine Hände in ihrem Haar vergraben, küsste er sie voller Besitzgier. Und Jin? Sie schwelgte darin! Möge der Himmel ihr beistehen, aber sie liebte diese ganz spezielle Dominanz von ihm einfach viel zu sehr. Schwielige, raue Hände glitten über ihre Arme und zogen sie über ihren Kopf. Im flackernden Kerzenschimmer brannten sich seine Augen in ihre, als er groß über ihr aufragte. „Weißt Du denn auch, was Drachen mit Kobolden tun?“, grollte er. Jin war zu atemlos, also schüttelte sie nur den Kopf. „Sie verschlingen sie!“ Immer noch ihren Blick festhaltend, stieß er in sie. Sie umklammerte ihn so fest sie konnte. „Mit Haut ...“ Er bewegte sich, tief, aber langsam. „Haaren ...“, ZU langsam für Jins Geschmack. „Herz ...“ Ein ungeduldiges Wimmern entfuhr ihr. „Und Seele!“ „Zuko ...“, stöhnte sie. „Was?“, knirschte er. „Du ... OOooH ... verdammt!“ „Drück Dich doch ... etwas genauer aus ... mein Herz.“ „Mach doch!“, japste sie, den Rücken wölbend, „MACH!“ „Wer“, keuchte er. „ ...hat denn ... mit der Folter angefangen?“ „Bitte!“ Sie liebkoste ihn fieberhaft, versuchte ihn näher zu zerren. „BITTE Liebling!“ Auf diese Forderung hin gab Mylord seine Zurückhaltung auf und liebte seine Frau mit dem Feuer und der ganzen Gründlichkeit, für die er so berühmt war. Im Gegenzug gab sie sich mit all dem Eifer hin, für den er sie so liebte. „ZUKO!“ Als sie sich gegen ihn warf und ihre Nägel in seinen zuckenden Rücken grub blitzte in den Gedanken seiner Lordschaft kurz die Erkenntnis auf, dass Kobolde auch etwas mit Drachen taten. Sie zerfetzen ihnen bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Haut. Feuerpalast, eine Woche später Die Feuerlady quietschte erschrocken auf. „Ein wenig mehr Vertrauen, wenn ich bitten darf!“ „Aber ich SEH nichts!“ „Das ist der Sinn einer Augenbinde, Kobold.“ Zögerlich setzte Jin ihren Fuss nach vorn. „Wo sind wir?“ „Im Palast.“ „Ts! DAS weiss ich auch!“ „Dann brauchtest Du nicht zu fragen.“ Jin schnupperte. „Wir sind im Orangenhain, nicht wahr?“ „Möglich.“ „AHAAA! Dann kann ich das Ding ja abnehmen!“ „Nein.“ „Und wenn ich stolpere?“ „Fang ich Dich.“ „Wie galant!“ „Nein, praktisch. Solltest du Dich verletzen, müsste ich mich in rücksichtsvoller Zurückhaltung üben. Tag UND Nacht.“ „Ich kann Dich grinsen hören.“ „Ja, Du hast in der Tat ganz erstaunliche Ohren, mein Herz!“ Jin öffnete den Mund, merkte jedoch, dass ihr keine passende Erwiderung in den Sinn kommen wollte. Zuko führte sie noch einige Schritte weiter, bis er endlich mit dem Standort zufrieden war. „So. Jetzt darfst Du!“ Geschickt entknotete er ihre Augenbinde. Sie standen tatsächlich im Orangenhain. Das letzte Licht der Dämmerung fiel durch das Geäst der alten Orangenbäume und schimmerte auf unzähligen, zarten Blütenblättern. Jin blinzelte in die erwartungsvolle Miene ihres Mannes. „Oh. Das nenn ich mal ein imposant stattliches Geschenk!“, hauchte sie und nestelte sofort am Gürtel seines strengen, prächtigen Kimonos. Sie hatte ihm diesen Übermantel zu seinem dreissigsten Geburtstag überreicht. Ein großer scharlachroter Drache prangte auf dem Rückenteil. Es hatte sie vier volle Monate gekostet, das Muster zu erstellen und den Stoff zu weben und weitere zehn Tage, die Augen hinein zu sticken. Sie bestanden aus hauchfeinen Fäden reinen Goldes, in fünf unterschiedlichen Schattierungen. Die Wirkung hatte ihre kühnste Erwartungen übertroffen. Zuko liebte dieses Kleidungsstück, trug es seitdem zu fast jeder Gelegenheit. Jin hatte den leisen Verdacht, dies könne der Grund für seinen Ehrgeiz sein, ein absolut umwerfendes Geschenk für sie zu finden. Dabei war seine Freude über den Kimono alles, was sie als Lohn für ihre Mühe je brauchte und wollte. „Und das Ganze auch noch im fürstlichen Privat-Kostüm. Das war schon immer mein Lieblingsoutfit!“ Bevor Zuko auch nur einen Ton sagen konnte, fand Jin eine andere Beschäftigung für seinen Mund. „Das ist FAST so gut, wie der Tag in Be Sing Se“, murmelte sie genüsslich gegen seine Lippen. „Kobold! Dürfte ich Dich ausnahmsweise einmal bitten, Deine Hände für zehn Minuten bei Dir zu behalten?“ „Was? Nicht mal auspacken darf ich? Ist ja langweilig!“ „Du darfst Dich umdrehen!“ Jin schlug die Hände vor den Mund. Eine volle Minute starrte sie fassungslos auf ihr Präsent. Hatte sie WIRKLICH geglaubt, diesmal könne er sich unmöglich selbst übertreffen? Tränen füllten ihre Augen und ließen das Züngeln hunderter Kerzen zu einem einzigen goldenen Schimmer verschmelzen. Als sie schließlich das Gefühl hatte, wieder sprechen zu können, musste sie zweimal ansetzten. „Du ...“ Sie versuchte es mit räuspern. „Du hast ... den Brunnen nachbauen lassen?“, piepste sie. Natürlich hatte er ihre Enttäuschung in Ba Sing Se bemerkt. Aber dass er dies hier tun würde ... Es KONNTE auf diesem Planeten einfach keinen anbetungswürdigeren Kerl geben! „Nein, Jin“, raunte er in ihr Ohr. „Das IST der Brunnen!“ Der Brunnen, an dem sie ihren ersten Kuss bekommen hatte. Der Brunnen, an dem ihr Drache zu ihr zurückgekehrt war. Der Brunnen, an dem ihr die ersten holprigen Worte der Liebe entschlüpft waren. Der Brunnen, an dem er sie in sein Herz hatte sehen lassen. Der Brunnen, an dem er sie hatte wissen lassen, dass es für immer sein würde. Sie warf sich herum, ihm in die Arme und weinte herzzerreissend. Mittlerweile kannte Zuko seine Frau gut genug, um ihre Tränenflut als Rührung einstufen zu können. Sentimentaler, liebevoller, kleiner Kobold! Und wie schon einmal, als sie gemeinsam vor diesen alten Steinen gestanden hatten, schwoll ihm die Brust vor Stolz darüber, dass er sie glücklich gemacht hatte. „Zuko!“, schluchzte Jin. Er lächelte leise in ihr duftendes Haar. „Wie ... hast hicks Du das ... geschafft?“ „Nun, es stellte sich heraus, dass die Frau von Nuro V unsere Beziehung für überaus, äh ... romantisch hält. Sie überredete ihren Mann, meiner etwas extravaganten Bitte zu entsprechen. Hätte ich gewusst, durch was für ein Monster er den Brunnen ersetzt ... Für den Transport mussten wir natürlich Toph einspannen.“ „Das ist hicks ja wohl ... die mit Ab hicks stand romantischste Ge hicks ste, die mir je unterkommen hicks wird!“ „Agni bewahre, Jin! Ich hatte doch nur die Hoffnung, dass Du mir jetzt auf ewig ausgeliefert bist und ich die süßen Freuden Deines willfährigen Leibes plündern kann.“ „Lügner! Soweit hattest Du mich doch hicks schon vor der ersten Tasse Tee!“ „Ja. Ich hab Dich jedoch noch nie an diesem Brunnen geliebt, Kobold.“ Wie immer hielt Zuko Tatzu nicht viel davon, seine Zeit mit Reden zu verplempern, hob sie kurzerhand hoch und trug sie zu dem steinernen Zeugen ihrer Verbindung. Dort wurde Jin nun derart gekonnt geküsst, dass ihre Knie Mus wurden. Oh, dieser Mann verstand es Geschenke zu überreichen. Ganz eindeutig! Epilog: Der Schatz der Lady Jin ------------------------------- Feuerpalast, wieder einmal knapp zwei Jahre später... „Bitte, haltet still, Mylord!“ Ungehalten lugte Meister Lu hinter seiner Staffelei hervor. „Wenn ihr ständig so herumzappelt, werden Eure Haare schlohweiß sein, bis ich das Werk beenden kann.“ Zuko verzog das Gesicht, was natürlich ein ungeduldiges Zungenschnalzen des Künstlers zur Folge hatte. Statt der offiziellen Tracht, die auf sonstigen Bildnissen zu sehen war, trug Mylord heute zivil: Akkurater Pferdeschwanz, schlichte, strenge Kleidung. Lady Jin hatte schließlich ausdrücklich ein Gemälde ihres Gemahls verlangt, nicht des Fürsten. Meister Lu hatte den Auftrag sofort angenommen, denn er liebte Herausforderungen. Seine leichte Schwäche für die Feuerlady spielte dabei wirklich nur eine klitzekleine Rolle. Allerdings brachten ihn die subtile Mimik und der kaum greifbare Ausdruck in den Augen Seiner Lordschaft schier an den Rand seines Könnens. Leider war es ebendieser Ausdruck, auf den die Auftraggeberin so unendlich viel Wert legte. Zum guten Glück jedoch hatte Lu das Auge eines Künstlers und die Seele eines Schurken. So hatte er auf einen Trick zurückgegriffen. Da sich das Gesicht des Sonnengekrönten um eine winzige Winzigkeit veränderte, sobald Mylady den Raum betrat, hatte der Maler ein Portrait von ihr in Sichtweite seines störrischen Klienten aufgestellt. Es hatte wahre Wunder bewirkt. Ja, er war wirklich ein Genie! Der Klang hellen Kinderlachens drang von draußen herein, woraufhin der Herrscher zum Fenster linste. „HOHEIT!“ Der Gescholtene zuckte schuldbewusst zusammen. Und die Leute hielten IHN für despotisch? „Tßu mir, Lee! Ich ßteh frei!“, rief eine hohe Stimme. „Du fängst den Ball sowieso nicht!“ „Tu ich WOHL!“ Zuko seufzte abgrundtief. Wenn Jin nur nicht darauf bestanden hätte, dieses blöde Bild von ihm machen zu lassen. Jetzt musste er, statt sich seinen kleinen Nervensägen zu widmen, den einzigen freien Tag der Woche für diesen Unsinn opfern. Und das nur, um sich von einem pinselschwingenden Tyrannen herumkommandieren zu lassen! „Hoheit... der Faltenwurf! Ihr habt ihn ja schon wieder durcheinander gebracht!“ Ungnädig hob Zuko seine Braue. Jammerlappen! „Verzeihung, Meister Lu.“ Aus dem Garten kam ein gedämpftes, unschönes Geräusch, dem verdächtige Stille folgte. Zuko spannte sich an. Als das Weinen anfing, war er bereits aufgesprungen und setzte mit einem seitlichen Sprung über die Fensterbank. „HOHEIT!“ Frustriert warf Meister Lu sein Handwerkszeug beiseite. „Also wirklich... Ich kann so nicht arbeiten!“ Hatte er das wirklich nötig? Soviel royale Spontanität brauchte er sich doch nun wirklich nicht gefallen zu lassen, oder? Wie üblich war Seine Durchlaucht war an der Unfallstelle der Erste. Er kniete ins Gras und zog vorsichtig die kleinen Hände vom Gesicht seiner schreienden Tochter. „Ich hab gar nicht auf ihre Nase gezielt“, stieß Lee betroffen hervor. „Ich weiß!“, beruhigte Zuko ihn. Wundervoll... wenigstens blutete Aya nicht. Dafür heulte sie wie ein Steppenwolf. „Scht... ist gut!“, schnell wurde die Prinzessin in tröstenden Armen geborgen. Sacht drückte Zuko ihren Kopf an seine Schulter und strich über ihr Haar. „Nichts passiert, Flämmchen. Die Nase ist nicht gebrochen!“ Da sie sich mit ihren grade mal vier Jahren momentan in ihrer theatralischen Phase befand, verdoppelte Aya ihre Lautstärke. „Es tut mir leid, Aya!“ Lee stand völlig hilflos neben seiner Schwester, selbst Gefahr laufend, Tränen in die Augen zu bekommen. Mit der freien Hand strich Mylord nun auch über diesen dunklen Kopf. „Es geht ihr gut, Lee. Sei das nächste Mal einfach ein bisschen weniger stürmisch“, murmelte er. Sein Zweitgeborener hatte ein scheinbar unübertreffliches Talent, Schwierigkeiten anzuziehen. „Ich hab ja gleich gesagt, sie fängt ihn nicht“, mischte sich nun auch noch Lu Ten ein. Zuko verdrehte die Augen. Der Kronprinz war eindeutig der Besserwisser des Trios und kam somit eindeutig nach... ihm. Inzwischen hatte sich eine Armada schuldbewusster, übereifriger Menschen eingefunden. „Ich... Verzeiht Hoheit! Ich war nur kurz weg, um die Mäntel der Kinder zu holen!“, beeilte sich die Gouvernante zu sagen. „Schon gut!“ Zuko stand auf, seine Tochter noch immer auf dem Arm. Aya schluchzte nur noch leise, und das vermutlich vor allem aus einem einzigen Grund: die so hoch geschätzte, väterliche Aufmerksamkeit noch eine Weile länger geniessen zu dürfen. Ein Trick, der beschämend gut funktionierte, denn sie bekam kleine Küsse auf Schläfen und Stirn gedrückt. „Sch... Nicht mehr weinen, Spätzchen!“ Da sich das Kind langsam beruhigte, zogen sich, bis auf das Kindermädchen, alle übrigen Dienstboten zurück. „Ach, nein... Hast Du es schon wieder geschafft, Dich von der Sitzung abhalten zu lassen?“ Alarmiert von dem kleinen Aufruhr, hatte Lady Jin ihre Arbeit stehen und liegen lassen. „Ich, äh... Aya bekam den Ball auf die Nase.“ verteidigte Zuko sich. „Ist sie gebrochen?“, fragte Jin erschrocken. Als Reflex auf das böse Wort fing Aya wieder mit dem Jammern an. „Bestimmt!“, schniefte nun auch Lee. „Papa sagt, nein!“ verbesserte ihn Lu Ten. „Gib sie mir!“ Mylady streckte ihrer Tochter die Arme entgegen und nahm kurz die Situation in deren Gesicht unter die Lupe. Keine Tragödie in Sicht! Sie wiegte die Kleine sacht, was sie allerdings nicht davon abhielt, ihrem Gatten einen mahnenden Blick zuzuwerfen. „Wo sind die Zwillinge?“, wollte er wissen, jedoch mehr um sie abzulenken. „Schlafen! Musst Du nicht Modell sitzen?“ „Jin, sie hat geweint. Ich musste nach ihr sehen!“ „Ich weiß ja. Aber jetzt weint sie nicht mehr.“ „Aber...“ „Zuko!“ Agni! Hatte er es wirklich nötig, seine freie Zeit mit diesem Farbkleckser zu verplempern? „Dafür schuldest Du mir etwas, Kobold!“, knurrte er empört, drehte sich um und marschierte in Richtung Atelier. „Ich kann mir schlimmere Schicksale vorstellen“, murmelte sie. „Das hab ich gehört!“, schnaubte der Gebieter der Flammen entrüstet. Sein Tonfall ließ keinerlei Zweifel daran, dass sie heute Nacht aufs köstlichste würde büssen müssen. Jin schielte ihm hinterher. Himmel, dieser Ehemann von ihr hatte wahrhaft eine wundervolle Art der Fortbewegung. `Missy, hältst Du es nach so vielen Jahren wirklich immer noch für angebracht, Dir bei seinem Anblick die Augen aus dem Kopf zu stieren?´ „Warum darf Papa denn heute nicht mit uns spielen?“, klagte Lu Ten. „Es ist doch Sonntag!“ „Weil er mir einen Gefallen tut, Schatz.“ „Sonntags?“, bohrte der kleine Pedant nach. „An einem anderen Tag hat er leider keine Zeit dazu“, seufzte Jin. Hätte sie nur nicht diese dämliche Idee gehabt. Sie verdarb nicht nur Zuko den Tag, sondern auch den Kindern. „Soll ich mit euch spielen?“, fragte sie. „Abba...“, lispelte Aya. „Du kannßt gar nich ßo doll rennen, wie Papa!“ Na bitte! Da hatte sie´s mal wieder. Eine Woche später war Jin jedoch heilfroh, die dämliche Idee gehabt zu haben. Meister Lu hatte sie rufen lassen, da er es, trotz der dauernden Fluchtversuche seines Modells, endlich geschafft hatte, das Gemälde zu vollenden. Er zog die Abdeckung von der Leinwand. Jin schnappte überrascht nach Luft. „Ja... Ich darf wohl sagen, es ist eine meiner eher genialeren Leistungen, Mylady.“ „Das klingt ziemlich bescheiden, Meister Lu!“, hauchte Jin hingerissen. „Es ist... ganz und gar großartig. Ihr habt es tatsächlich geschafft, sein Wesen einzufangen. Besonders die Augen! Sie... sie wirken so lebendig.“ Der Maler strahlte. „Nicht wahr? Ich habe wirklich lange experimentiert! Aber ein winziger Hauch Goldstaub hier und da... Voilà!“ Das erklärte das authentische Glitzern in den Drachenaugen. „Die Wirkung zeigt sich bei der Miniatur natürlich etwas weniger eindrucksvoll“, murmelte Lu entschuldigend, während er Jin ein kleines Bild, etwa halb so groß wie ihre Handfläche, überreichte. Trotz der geringen Größe war es erstaunlich detailliert und ausdrucksvoll. „Sagtet Ihr nicht, Miniaturen lägen Euch nicht besonders, Meister Lu?“ „Nun...“ „Ihr habt ja geschwindelt!“ Lu lächelte die Gattin seines Herrschers an und erntete ein warmes Strahlen. „Ich danke Euch sehr. Eure Arbeit übersteigt all meine Erwartungen!“ „Ah, Hoheit... Euer Dank wiederum übersteigt mein Können!“, hörte er sich sagen. In den Siebenundfünfzig Jahren seines Lebens, hatte er sich noch nie zu einer solchen Bescheidenheit hinreissen lassen. Aber dieses Persönchen hatte es ihm einfach angetan. Wenig später schlich Mylady in die kleine, private Bibliothek der fürstlichen Gemächer. Vor einer kleinen Kommode ging sie auf die Knie und fischte eine Kette aus ihrer Tunika, an der ein kleiner Schlüssel hing. Schnell nahm sie einen Ebenholz-Kasten aus der Kommode, schloss ihn auf und holte ihren unbezahlbaren Schatz ans Licht. Mit vorsichtigen Händen nahm sie Stück für Stück aus der kleinen Truhe. Eine Dose mit Milchzähnchen lag obenauf, gefolgt von einer etwas lädierten Papierkrone, von der die silberne Farbe schon abblätterte; eine halb niedergebrannte Schwimmkerze; ein vergilbtes, ausgefranstes Haarband und, zu guter Letzt, das Kronjuwel: ein unscheinbarer Coupon aus lackierter Pappe. Er besass schon längst keinerlei Wert mehr, da das Teehaus, welches er bewarb, schon vor langer Zeit geschlossen hatte. Dieses Herzstück ihres Schatzes wurde nun zärtlich gestreichelt, geküsst (es sah ja niemand zu) und aufs Penibelste wieder verstaut. Die gleiche Behandlung wurde nun auch dem kleinen Bildnis Zuko Tatzus zuteil, bevor es als neueste Errungenschaft, dem Schatz der Lady Jin einverleibt wurde. Doch dann wurde Jins träumerische Nostalgie jäh unterbrochen. „MAMMAAAAAA!“ Das Drama entpuppte sich als Stich eines Bienenfalters, der schnell verarztet und beinahe ebenso schnell wieder vergessen war. Man konnte vor Papas Besuch schließlich nicht so ein Theater machen. Ehrensache! In der Tat waren die Freunde an diesem Sonntag alle versammelt. Mindestens vier Mal im Jahr trafen sie sich für einige Tage. Im Winter am Nord- oder Südpol, zum Frühling im Erdkönigreich, im Sommer hier und im Herbst in einem der Lufttempel. Zuko saß unter einem großen, knorrigen Kirschbaum und lass, während die Zwillinge Kiram und Zirah keine zwei Meter von ihm entfernt auf einer Decke schlummerten. Als er aufblickte fesselte ihn die Harmonie der abendlichen Szene. Sonderbar, wie zutiefst zufrieden ihn der Anblick seiner erweiterten Familie machte. Da war die tatsächliche Verwandtschaft: Sein über alles geschätzter, unentbehrlicher Onkel Iroh, seine endlich zu Ruhe gekommene Mutter, die mittlerweile nicht weniger geliebte Tante Ria. Zudem hatte Zuko den Verdacht, Kommandant Kuroto demnächst ebenfalls in der Familie willkommen heißen zu können. Großfürstin Ursa wurde immer etwas verlegen, sobald der alte Haudegen auftauchte. Lautes Fauchen, gefolgt von einem orangefarbenen, flauschigen Blitz, lenkte die Aufmerksamkeit des Erhabenen nun auf eine Bande kleiner Spitzbuben: Seine Kinder, die mehr Lachen in diesen ehrwürdigen Palast gebracht hatten, als er jemals für möglich gehalten hatte. Auch seine vier Freunde und deren Nachwuchs gehörten inzwischen ebenso unumstösslich zu Zukos Familie, wie Tian Fu und Sela. Und Fon... Ein beinahe liebevolles Lächeln huschte über Mylords Gesicht, als er seinen getreuen Diener dabei beobachtete, wie er Master Lee eine strenge, aber respektvolle Predigt über den Umgang mit teurem Porzellan erteilte. All diese Menschen bedeuteten ihm so unendlich viel. Und dann, wie um diesen lauen Sommerabend perfekt zu machen, schlenderte die Person, die ihm auf dieser Welt am meisten bedeutete, über die Rasenfläche auf ihn zu. „Was liesst Du da?“, fragte Jin und lugte neugierig auf das Buch in seiner Hand. „Neun Folgen der Misswirtschaft und wie ihnen entgegenzuwirken ist“, antwortete Zuko. „Hm. Doch so spannend?“, bemerkte sie, setzte sich neben ihn und legte sich seinen Arm um die Schulter. „So kann ich nicht mehr umblättern“, murmelte der Gebieter der Flammen. Sein Weib übernahm die verantwortungsvolle Aufgabe für ihn. Jins Blick fiel auf die kleine Horde unterschiedlich großer Kinder. „Himmel, wenn die Zwillinge demnächst auf noch laufen lernen, wird das Gewimmel richtig unübersichtlich.“ „Du musst abends einfach fünf einsammeln und hoffen, dass es unsere sind." „Ja. Es musste ja unbedingt Deine Lieblingszahl sein, oder?“ „Dass die letzten ein Doppelpack waren, ist nicht meine Schuld!“, brummte Zuko, ohne den Blick von seiner Lektüre zu nehmen. „Kam es Dir denn ungelegen?“ „Aber nein! Umblättern bitte.“ Sie blätterte. „Ich hoffe, Selas Baby braucht nicht mehr so lange“, meinte sie nach einer Weile, „Ich kann es kaum erwarten, Tian als Vater zu sehen.“ „Er wird das arme Ding vermutlich zuerst vermessen und dann nach seiner Steuernummer fragen“, bemerkte ihr Gatte trocken. Jin kicherte. „Blättern, bitte.“ Sie tat wie geheißen, verflocht ihre Finger mit denen seiner freien Hand und legte den Kopf an seine Schulter. Für eine ganze Zeit war das Rascheln der Buchseiten und das gelegentlich herüber wehende Lachen die einzigen Geräusche, die sich in das leise Zirpen der Zikadenfrösche mischten. Während nun große Tische in den Garten getragen wurden, lieferte die untergehende Sonne ein fast lächerlich buntes Schauspiel. Bald war Essenszeit, wie unschwer an Lu Tens, Lees und Ayas ungeduldigem Gehopse erkennbar war. Sie waren die gleichen Vielfrasse, wie ihr Vater. Da saß nun also Lady Jin, in die Betrachtung ihrer zärtlich geliebten Kleinode versunken. Sie nahm die Hand des größten ihrer Schätze, drückte einen innigen Kuss darauf und legte sie an ihre Wange. „Wofür war der denn?“, fragte die Stimme aus Zedernrauch und Samt. „Für Dich, Drache!“, flüsterte das verliebte Mädchen mit den jadegrünen Augen leise. „Einfach nur für Dich!“ ---ENDE--- Epilog des Epilogs Selbstredend lebten unsere kleinen und großen Helden für den Rest ihrer Tage allesamt glücklich und zufrieden. Ein kleiner, erfolgloser Taschendieb namens Takeru, der das Glück gehabt hatte, einen wachsamen Feuerfürsten beklauen zu wollen, wurde in dessen Diensten zu einem äußerst großen, äußerst erfolgreichen Mitglied der fürstlichen Leibgarde. Genug Pfirsiche machen eben aus jedem Knilch ein gestandenes Mannsbild. Ein getreuer Wächter der Erdkönigs, ein gewisser Lao, bekam regelmässig Päckchen mit den herrlichsten Schlemmereien, da sein unfehlbarer Geschmack Zuko II davor bewahrt hatte, seine Zukünftige in irgendein zweifelhaftes Etablissement auszuführen. Großfürstin Ursa schaffte es spielend, den überzeugten Junggesellen Ru Kuroto in einen noch überzeugteren Ehemann zu wandeln. Tian und Sela waren beinahe so produktiv, wie das Herrscherpaar. Ja, ja... Tintenfässer sind tief! Tante Ria fand ihr unerwartetes Glück bei dem griesgrämigen Hof-Chefkoch für sättigende Beilagen. Anfangs hatte der Herr es nur auf ihr Kloss-Rezept abgesehen, später auf mehr. Sehr viel mehr! Iroh und Fon spielten weiterhin leidenschaftlich Pai Cho und machten sich einen Spass daraus, ihrem Fürsten das ein oder andere Schnippchen zu schlagen. Schließlich musste Zuko der Erneuerer ja auf Trapp gehalten werden. Auch sonst waren sie keine Kinder von Traurigkeit, umschifften aber beide in weiträumigem Bogen den Hafen der Ehe. Lord Zuko und Lady Jin gingen als nahezu legendäres Liebespaar in die Geschichte ein. Ihre unverbrüchliche Ehe war mit fünf Kindern gesegnet. (Von denen, Agni sei Dank, nur eines eine chronische Krankheit zu verzeichnen hatte. Die Epilepsie Prinz Lees stellte sich jedoch als unproblematisch heraus und war durch Medikamente spielend in den Griff zu bekommen.) Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, dass Zuko seinem Titel als Feuerlord auch weiterhin alle Ehre machte. Er war und blieb ein überaus, äh... leidenschaftlicher Mann. Sehr zum Vergnügen seiner Gattin! Last but not Least: Danksagung: So, das war´s also. Meine erste auf Papier gebannte Geschichte... Es fiel mir ziemlich schwer, ein Ende zu finden, denn ich hatte selten an einer Sache mehr Spass und Freude, was nicht zuletzt euer Verdienst ist. Ich danke jedem einzelnen Leser, der bis zum Schluss dabei geblieben ist, um mit den Zuko & Jin zu weinen, zu streiten und zu lachen. Ich kann nur hoffen, die kleine Reise hat euch allen ebenso gefallen, wie mir. Die Zwei haben mich oft genug Bauklötze staunen lassen, das kann ich euch versichern! Ein Riesendankeschön natürlich an alle Kommentar-Schreiber: Ihr wart das Salz in der Suppe und habt mir nicht wenige wertvolle Tipps gegeben Ich werd´s vermissen, jeden Tag zum Mac zu rennen, um mir Lob und Schelte zu holen.^^ Ganz besonders muss ich auch zwei überaus geduldigen Menschen danken, die es mit Bravour ertrugen, dass sich meine Welt für die letzten vier Monate nur noch um Zuko & Jin gedreht hat (Okay, das tut sie immer noch, aber... scht!). Tine und Pe(tra); Ich hab euch stundenlang das Ohr abgekaut und euch gezwungen zu jedem Satz eure Meinung abzugeben, und das, obwohl ihr nicht mal Avatar-Fans seit. Es tut mir leid!!! Aber für die nächste Geschichte nehm ich euch wieder als Beta-Leserinnen (Hörerinnen) unter Vertrag. Apropos nächste Story: Mehr über Zuko und Jin gibt es in "Die Söhne des Drachen" zu lesen. Dort werden Lu Ten und Lee durch Irrungen und Wirrungen gejagt, die sie bis dato wahrlich nicht gewohnt waren. Wenn ihr also mal bei ihnen vorbeischauen wollt ... sie können Hilfe wirklich gut brauchen. ^^ Das war´s von meiner Seite aus! ... ... ... Oh, Ah! Da möchte noch wer etwas loswerden: Onkel Iroh dankt allen, die an seinen manchmal durchaus schwierigen Neffen geglaubt und ihm die Daumen gehalten haben. Agnis Seegen auf euer Haupt und wenn ihr in dunkler Nacht Wärme und Licht braucht: Sucht nach einem hitzköpfigen Feuerbändiger. Sie sind wirklich besser als ihr Ruf! ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)