Mysterium von Deepdream (Eine Self-Insert-Story) ================================================================================ Kapitel 1: Unschönes Erwachen ----------------------------- Es regnete. Kalte Wassertropfen hagelten herab auf den umliegenden Asphalt. Die kleine Seitenstraße war bis auf ein junges Mädchen völlig verwaist. Wasser tränkte ihre Kleidung und perlte von ihrer Wange ab. Ein Regentropfen, der ihr versehentlich in den halboffenen Mund lief, weckte sie auf. Erschrocken fuhr sie hoch, wobei Spinnenweben vor ihren Augen auf und ab tanzten und ein Schwindelanfall sie überfiel. Sich mit dem rechten Arm abstützend, wartete sie bis ihr Körper zur Ruhe kam. Ihre Augen hielt sie dabei fest zugekniffen. Nach wenigen Augenblicken schlug sie ihre Augen erneut auf. Ihre Arme schmerzten entsetzlich - fast so, als hätte man Brenneseln, vielleicht aber sogar glühende Ketten um sie gewickelt. Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe und schüttelte nochmals den Kopf. Wie im Traum hob sie den Blick und sah sich um. Eine unbekannte Gegend begrüßte sie unfreundlich und der Regen trommelte um sie herum nieder. Die Kälte ließ sie erschaudern. "Wo bin ich?", entfuhr ihr ungläubig, die Arme wegen der Kälte fest vor der Brust verschränkt. Im nächsten Moment weiteten sich ihre Augen in nacktem Entsetzen. Mit panischer Ruhe entschränkte sie ihre Arme und tastete über die Stelle, vor der sie sich zuvor noch befunden hatten. Unter einer dünnen Schicht Stoff ertastete sie ihre grauenhafte Befürchtung. In einer makaberen Faszination drückte sie mit den Fingern ihrer rechten Hand fest zu und verspürte beinahe augenblicklich einen zarten Schmerz aufflammen. Ein Schmerz, der erst abklang, als ihre Finger im nächsten Moment die Kräfte verließen. "Oh nein, nicht, bitte nicht...". Kreischend riss das Mädchen ihr Top samt BH schmerzhaft hoch und stellte ihre cremeweißen Brüste zur Schau, augenblicklich perlten sofort klare Regentropfen an diesen herab. "Scheiße, oh Gott, nein...". Das Entsetzen durchdrang jedes Wort, als sie apathisch an sich herabsah. Sie war ein Mädchen. ... <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Mysterium <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Kapitel 1 - Unschönes Erwachen <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Der Autor besitzt keine Rechte in den Charakteren und wird auch nicht für diese Tätigkeit bezahlt. Er versichert hiermit, dass er diese Geschichte lediglich zu seinem persönlichen Vergnügen und dem der Leser verfasst hat. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> ... Um nachzuvollziehen, warum ein scheinbar völlig normales, junges Mädchen kreischend und mit schreckverzerrten Augen ihre Brüste anstarrt, muss man das Rad der Zeit zurückbewegen. Und zwar bis zur vorherigen Nacht. Was man nun erblickt, ist ein bläulich leuchtender PC-Bildschirm. Ein schwaches Summen vom Rechnerkühler schwingt in der Luft, zudem gesellt sich ab und an das Klicken von Tasten hinzu. Eine junge Person sitzt in gekrümmter Haltung auf ihrem Drehstuhl. Geschäftig fliegen die Finger der besagten Person über ihre Tastatur. Ein beinahe fieberhafter Glanz liegt in ihren Augen, während sie leise vor sich hin murmelt. Diese Person ist ein siebzehnjähriger Junge, trägt sein blondes Haar in einem Pferdeschwanz und geht seinem Hobby nach. Nun muss man allerdings erwähnen, dass ihm dieses Hobby manchmal sogar mehr als seine schulische Tätigkeit bedeutet. Denn für diesen jungen Mann ist es nicht unüblich erst gegen zwei Uhr morgens zu Bett zu gehen. Dass er aufgrund dessen über ständige Kopfschmerzen, insbesondere in der Schule klagt, ist daher nicht weiter verwunderlich. Im Moment jedoch war das Leben perfekt. Zumindest empfand er es so und nichts konnte diesen Eindruck trüben. Denn er hatte endlich Ferien. Zwar nur für zwei Wochen, doch würde er sie vor seinem Computer und mit Kartoffelchips zubringen. Lernen konnte er schließlich auch während der Schulzeit. Als er sich jedoch nach diesem kleinen Gedankensprung wieder auf seine Arbeit am Computer stürzen wollte, fiel ihm ein kleines Fenster im unteren, rechten Rand des Bildschirms auf. "Seltsam", murmelte er. Er war sich sicher, dass er die Internetverbindung gekappt hatte und sein Pop-up-Blocker leistete für gewöhnlich sehr gute Arbeit und hielt ihm die Werbefelder vom Hals. Umso verwunderlich, dass es ihm erst jetzt aufgefallen war. Vielleicht war er ja lediglich zu abgelenkt gewesen. Sich selbst Zuversicht spendend, nickte er bekräftigend und warf einen näheren Blick auf das Fenster. Mit einem Klick vergrößerte er das Feld, bis es seinen ganzen Bildschirm einnahm. Verwirrt zog er eine Augenbraue hoch und kräuselte die Stirn. Vor sich las er in blauen Druckbuchstaben "Bitte bestätigen" und unterhalb ein "Ja, ich bestätige und akzeptierte die Nutzungsbedingungen". "Was zum...?" Er konnte sich nicht entsinnen, ein Programm heruntergeladen oder installiert zu haben. Eventuell war es ja nur ein neues Update seines Virenschutzes. Dennoch krallte sich ein ungutes Gefühl in seiner Magengrube fest und weigerte sich los zu lassen. Er zögerte mit der Maus. Der Grund war ihm selbst nicht klar. Es war schließlich nur ein einfaches Pop-up-Fenster von irgendeinem Programm. Demnach bestand kein Grund zur Beunruhigung. Was sollte also das ganze Getue? Er holte tief Luft und näherte den weißen Mauszeiger dem "Ja, ich bestätige und akzeptiere die Nutzungsbedingungen". Die Schrift wurde augenblicklich von einer weißen Linie unterstrichen. Sein Zeigefinger zitterte über der linken Maustaste, draußen vor seinem Fenster zwitscherte ein Vogel und er klickte. Das Fenster verschwand. Der Junge wartete noch einige Sekunden. Weiterhin geschah nichts und das blieb auch so, als bereits mehrere Minuten verstrichen waren. Erst dann entkrampfte sich sein Magen und er begann zu grinsen. "Ich Idiot...", seufzte er und fuhr sich durch sein Haar. Was hatte er auch erwartet? Eine automatische Selbstzerstörung? Amüsiert schüttelte er seinen Kopf. Er hatte doch tatsächlich Beunruhigung empfunden über so etwas triviales wie ein Bestätigungsfenster? Mit Schwung erhob er sich aus seinem Drehstuhl und öffnete seine Tür, von der aus ihm Ranmas weibliche Seite zugrinste. Ihr feuerrotes Haar schien geradezu zu lodern. Ein Knick lief durch das Poster, dort, wo es ihm einmal zu Boden gefallen war und er es ungeschickt aufgehoben hatte. Er könnte sich immer noch dafür prügeln. Es war zwar nicht so, als ob er nicht genügend Poster besäße, doch handelte es sich hierbei um einen seiner Favoriten. Ein weiteres hing an der Schräge über seinem Bett und zeigte einen schief grinsenden Ryoga, auf dessen Kopf P-chan posierte und fröhlich ein Victory-Zeichen vollführte. Der Junge lächelte das Poster an, salutierte spielerisch und ging durch den Korridor in die Küche. Da seine Mutter momentan außer Haus war, spielte im ganzen Haus Musik. Der junge Mann besaß nämlich die leidliche Tendenz, sehr gerne und sehr laut Musik zu hören. Ein Umstand, der nicht nur seiner Mutter, sondern auch den Nachbarn außerordentlich missfiel. Doch wenn seine Mutter schon nicht anwesend war, so musste er das doch ausnutzen, oder? Die Nachbarn konnte man ja schließlich gepflegt ignorieren – etwa in dem man die Musik noch um eine Nuance höher drehte. Somit betrat er pfeifend die Küche, öffnete den Kühlschrank und genoss die austretende Kälte auf seinem Gesicht. Eilig schnappte er sich zwei Hamburger, öffnete die durchsichtige Kunststoffverpackung und schob die zwei Brötchen in die Mikrowelle. Nach drei hastig aufeinander folgenden Piepstönen war es vollbracht. Das Summen ertönte und durch das Fenster konnte er beobachten wie der Käse eine golbbraune Färbung annahm. Er warf einen achtlosen Blick auf die Küchenuhr und schmunzelte angesichts der Uhrzeit. 03:24, verkündete die Digitaluhr auf dem Küchentisch. "Ziemlich spät", kommentierte er ausgelassen und summte zu den Klängen eines Songs. Die Ferienzeit blieb einfach das Beste am Schüleralltag. Wann konnte man schon sonst ohne schlechtes Gewissen so lange aufbleiben? Das Piepsen der Mikrowelle hallte in seinem Rücken. Mit wenigen Handgriffen entnahm er den Teller, bestrich das Fleisch mit Senf und setzte die andere Brötchenhälfte wieder obenauf. Dann schaltete er das Licht aus und kehrte zu seinem Zimmer zurück. Mit einem beschwingten Grinsen – der Hamburgerduft stieg ihm betörend in die Nase und der Begriff Ferien echote unablässig hinter seiner Stirn - betrat er den Raum und sein Blick wanderte von seinem Bett zum Computerbildschirm. Dann erstarrte sein Lächeln und seine Augen wurden größer. Ein neues Fenster war aufgetaucht. "Bitte bestätigen sie nochmals zur Überprüfung." "Was für eine Überprüfung? Wovon zum Teufel redet das Teil?" Vorsichtig näherte sich der Junge seinem Lieblingsutensil, das ihm so plötzlich unheimlich geworden war. Schritt für Schritt kam er in Reichweite der Tastatur, sowie der Maus. Ein Klick auf das schwarze Kreuz rechts oben, würde dem Spuk ein Ende machen. Der Teller klapperte als er ihn auf dem Schreibtisch neben den vielen Stiften und Blättern abstellte. Dampf stieg von den Hamburgern auf. Der Hunger jedoch hatte einer altbekannten Übelkeit Platz gemacht - sein Magen hatte sich erneut, diesmal heftiger verkrampft. Plötzlich stürzte der Junge vor, ergriff die Maus und schleuderte den Mauzzeiger scharf nach oben in die rechte Ecke. Triumphal hämmerte er auf die linke Maustaste. Nichts tat sich. Panik stieg in ihm auf, als er es erneut versuchte. Und nochmals. Wieder geschah nichts. Ungläubig sondierte er den Fleck an dem das Kreuz sein musste und musste mit Bestürzung feststellen, dass es fehlte. Er konnte die Seite überhaupt nicht wegklicken. "Scheiße, was...?", dann versagte ihm die Stimme. Vor ihm tauchten Zahlen auf. Zweistellige Zahlenwerte, die sich jede Sekunde änderten. "Was...?", krächzte er hervor und verstand in diesem Moment. Tatsächlich veränderten sich die Zahlen, denn der Computer zählte. Und zwar rückwärts. "Oh mein Gott." Sein vorheriger Witz über Bomben kam ihm in den Sinn und eine kalte Furcht ergriff von ihm Besitz. 20, 19, 18, ... Was geschah da? Was zum Teufel war das? 14, 13, 12, ... Befehl! Der Befehl! Was stand dort? Hektisch huschte sein Blick über die Zeile "Bitte bestätigen Sie nochmals zur Überprüfung". Wo war das "Ja" oder "Yes" oder "Ich bestätige"? 9, 8, 7, ... Zu seiner größer werdenden Bestürzung stand sonst nichts in dem Fenster, was ihm hätte weiterhelfen können. Keine Nachricht, kein Bestätigungsfeld, einfach nichts. 5, 4, 3, ... ESC, Alt und Entf! Das war es! Weshalb hatte er nicht früher daran gedacht? Fanatisch hämmerte er auf die drei Tasten ein und der Task-Manager klappte auf. Überglücklich überflog er die Auflistung der geöffneten Programme und kam zu einer ernüchternden Gewissheit. Es gab das Programm überhaupt nicht. Da war keine Seite, zumindest dem Computer nach nicht. Ohne noch einen Gedanken zu verschwenden, stolperte der Junge rückwärts und riss sich vom Monitor los, der mit einem Mal heller zu leuchten schien. Es konnte Einbildung sein, aber er würde nicht bleiben, um dass herauszufinden. Kopflos rannte er durch sein Zimmer. Der Weg von wenigen Metern erschien ihm wie mehrere Kilometer. Sein Blick huschte an dem Poster von Ryoga über seinem Bett vorbei und plötzlich verspürte er das Gefühl beobachtet zu werden. Ungeachtet der wachsenden Panik nahm das Poster seine gesamte Aufmerksamkeit ein. Ohne dass er es überhaupt wahrnahm, wurde aus seinem Sprint ein Schlurfen. Noch dazu bewegte er sich von der offenen Tür fort. Zentimeter um Zentimeter trugen ihn seine Füße näher an sein Bett, über dem das Poster wachte. Dann streckte er seine Hand aus. Kaum eine Handbreit vor dem Papier zögerte er, nur um urplötzlich aufzuschreien. Jetzt war er sich sicher. Jemand hatte ihn beobachtet. Denn nun stach Ryogas Blick in seinen und selbst P-chan schwarze Pupillen zentrierten sich auf ihn. "Oh nein, nein,...", hauchte der Junge und stolperte nach hinten. Mit unsagbarer Mühe kappte er den Einfluss des Posters auf ihn und blickte wieder die Tür an. Sie war geschlossen und Ranmas weibliche Hälfte lächelte ihn wissend an. Das Blaue in ihren Augen schien zu schimmern und ihr Haar wurde scheinbar immer röter. Sein Magen kontrahierte abermals, nur diesmal so stark, dass ihm schwarz vor Augen wurde. Ein Keuchen entrang sich seiner Kehle und entsetzt starrte er das Poster an der Tür an. Es wurde lebendig. Der Gedanke war so absurd, selbst im fortgeschrittenen Stadium der Panik, in dem sich der Junge befand. Dennoch oder gerade deshalb ließ er ihn nicht los und reifte binnen eines Augenblickes zur Gewissheit. Der kalte Schauer über seinem Rücken stockte ihm den Atem - das Poster über seinem Bett. Widerwillig drehte sich sein Gesicht. Er konnte nicht anders. Fast wie von selbst krochen seine Augen über das braune Parkett und von dort auf den Läufer. Dann wanderten sie die Schubfächer hoch und blieben kurz auf seiner Bettdecke hängen. Als sein Blick das Poster fixierte, erstarrte er vor Angst. Das Gefühl, das ihn befiel, war so mächtig, dass es alles verdrängte. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht starrte er auf das Poster und die Hand, die sich ihm näherte. Es war Ryogas Hand und sie war nicht dicker als ein Blatt und dennoch schwebte sie durch die Luft auf ihn zu. Die Finger bewegten sich wie echte Finger, fast so als ob sie aus mehreren Gliedern beständen. Und dann bemerkte er wie sich das Licht seines Computers auf dem Handrücken reflektierte. Fast so als ob die Hand schwitzte. "Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott..." Der Junge war unfähig sich zu rühren und nahm nur am Rande wahr, dass das Licht vom Computerbildschirm gar nicht so intensiv sein konnte, als dass es auf diese Entfernung wiedergespiegelt werden könnte. Seine Panik war so dominant, dass er nur hilflos mit ansehen konnte wie die Hand einen Arm hinter sich herzog. Und dann berührte sie ihn. Er hatte nie sonderlich gerne gebastelt. Schon als Kind ließ er lieber die Finger von Schere und Papier und wendete sich vorzugsweise dem Lesen zu. Seine Abneigung gegen das Basteln rührte allerdings hauptsächlich vom Papier her. Denn die Erinnerung daran, dass er sich im Kindergartenalter einmal dermaßen an einer Papierkante geschnitten hatte, dass sein Ärmel vor Blut getropft hatte, war vielleicht verdrängt, aber nie völlig vergessen. Als die Papierhand nun sein Handgelenk ergriff, riss der Kokon der Panik um ihn. Er schrie und zog seinen Arm zurück. Nur, um zu merken, dass es nicht ging. In seiner Furcht achtete er nicht weiter darauf und verstärkte seine Bemühungen eher noch. Das dünne Papier gab aber trotzdem nicht nach und umwickelte im nächsten Augenblick bereits sein Handgelenk wie eine Eisenkette. Tränen traten ihm in die Augen und er schrie aus Leibeskräften, zog und zehrte. Sein nacktes Entsetzen wuchs, als das Papier damit begann an seinem rechten Arm hinaufzuranken. Weiterhin versuchte er sich los zu reißen, stemmte seine Füße gegen das Bett und zog, rasend vor Hysterie und Angst. In seiner Verzweiflung ergriff er den unmenschlichen Arm und probierte sich daran diesen mit seinen Fingern zu zerfetzen. Seinen Fehler realisierte der Junge fast augenblicklich und doch zu spät. Als bestände es aus Honig oder Sirup, tropfte hautfarbenes Papier auf seinen linken Arm und zog lange Fäden zum Poster. Sofort breitete sich das Papier aus und kroch gierig über den bislang unbehelligten Arm hinweg. "Mein Gott!" Sein Schreien wurde immer gequälter, als ihn das Poster unnachgiebig zu sich zog und sich allmählich an seinem Rücken und seiner Brust herunterarbeitete. Papier schlängelte sich in beängstigender Geschwindigkeit um seinen Körper und nahm zunehmend die Sicht auf seine Kleidung. Der grüne Pullover war bereits nicht mehr sichtbar, die Farbe seiner Jeans konnte man nur noch unterhalb der Knie erkennen. Der Junge fühlte die Verzweiflung immer höhere Wellen in ihm schlagen. Plötzlich wurde aus Angst Wut. Eine Wut, die nur sehr selten anzutreffen ist und nur in bevorstehenden Todessituation an einem Menschen beobachtet werden kann. Es war die Art Wut, die Menschen dazu befähigte hunderte Kilo schwere Autos von sich zu heben, der Pranke eines Bären Paroli zu bieten und auf diese Weise den Tod zu betrügen. Mit einem Kreischen, das seine Stimmbänder zum Bersten spannte, begann sich der Papierarm unnatürlich zu strecken. Der Junge trat Millimeter für Millimeter vom Poster zurück. In seinen Armen und Beinen kontrahierten Muskeln, von deren Existenz er noch nicht einmal etwas wusste. In seinen Augen standen Tränen und sein Gesicht glich einer schmerzverzehrten Grimasse. Dennoch wich er unter Höllenqualen vom Poster zurück. Und dann riss der Arm. Er löste sich wie ein angeklebtes Blatt vom Poster und hing lose an seinem eigenen Arm herab. Er hatte es geschafft. Der Arm hatte sich gelöst. Ungläubig starrte der Junge das Poster an, auf dem wie zuvor Ryoga schief grinste und P-chan ein Victory-Zeichen vollführte. Es hatte sich scheinbar nichts geändert. Außer, wenn man wusste, wohin man sehen musste, denn dem Ryoga auf dem Poster fehlte sein rechter Arm. "Oh mein Gott...", krächzte er, das Bild vor sich keinen Moment aus den Augen lassend. Das konnte nicht wahr sein. Unmöglich, dass das tatsächlich geschehen war, was ihm seine Erinnerung und sein Instinkt versichern wollten. Es konnte nicht sein, dass einer seiner Lieblingscharaktere nach ihm aus einem Blatt Papier gegriffen und ihn... Ja, was? Warum war das geschehen? Wieso hatte der Poster-Ryoga nach ihm gegriffen? Er wollte ihn doch nicht etwa zu sich ziehen? Geistesabwesend streifte er mit seinen umwickelten Händen seinen Pullover. Zumindest hätte sich dieser dort befinden sollen, war allerdings unter Papier verborgen. Ebenso seine Jeans, die den weißen Papierbandagen gewichen war. Unmittelbar vor seinem Gesicht hatte das Papier verharrt. Fassungslos schüttelte der Junge den Kopf und bewegte sich einen weiteren Schritt vom Poster fort. Mit einem Aufschrei stieß er gegen seinen Bürostuhl. Und dann fiel ihm das Licht auf. Es war nicht nur einfach Licht, sondern es schien sich geradewegs durch das Papier und seine Kleidung hindurch zu brennen. Es fühlte sich so an, als würde sich der Papierkokon langsam zuziehen, schärfer werden und ganz langsam durch die Fasern seiner Kleidung schneiden. Sich dabei stetig seiner Haut nähernd, Baumwolle wie warme Butter zerteilend. "Oh nein. Nein, nein, bitte nicht..." Nass vom Schweiß, der ihm über das Gesicht lief und mit ächzenden Muskeln drehte er sich schließlich unter großem Widerwillen zum Monitor um. Es war ein überwältigender Drang, der ihn lenkte und regelrecht zu dieser Handlung zwang. Denn das Letzte, was er wollte, war sich umzudrehen. Er wollte fort von hier. Sein Zimmer hinter sich lassen und trunken vor Freude über seine geglückte Flucht durch die Straßen taumeln. Selbst, wenn er dazu die Tür durchbrechen oder tatsächlich durch das Fenster aus dem zweiten Stock hinaus in die kalte Abendluft springen musste. Er konnte es schaffen, würde fliehen und die Polizei von einer Telefonzelle aus über den Vorfall in Kenntnis setzen. Dann würde er seine Mutter abpassen, wenn diese heimkam und er würde sie unter allen Umständen davon abhalten die Wohnung zu betreten. Alles war so klar in seinem Kopf – jedes wichtiges Detail. Er wusste genau, was er zu tun hatte, sobald er diesem Wahnsinn hier entkam. Doch dann begriff er mit einem Mal und in einem makaberen Moment vollkommener Klarheit, dass seine Überlegungen – so gut durchdacht sie auch sein mochten – von der Bedingung abhingen, dass er überhaupt entkam und dass er es diesmal nicht schaffen würde. Sirupartig verklangen die Sekunden, in denen er sich seinem Arbeitsplatz zuwandte. Er hatte hier viele Jahre voller Freude und Phantasie erlebt – und jetzt verlor er alle zukünftigen, die er wohlmöglich woanders verbracht hätte. Was er sah, war ein weißes Licht. Sein Monitor war in einem pulsierenden Weiß verschwunden. Das Weiß bohrte sich ihm bösartig durch die Augen hindurch und schlug seine Augenlider unnachgiebig auf, statt das es sie verschloss. Noch ehe der Junge erneut hätte Schreien können, begann der Papierarm heftig zu flattern und zog mit der Kraft eines Tornados und zwar ihn hinein ins Licht. In diesem Moment wurden scheinbar alle seine Knochen gleichzeitig gebrochen. Tausende imaginäre Knochensplitter drängten sich in das empfindliche Haut- und Muskelgewebe und verbrannten seine Nervenbahnen. Zum Papierarm gesellten sich flutartig weitere meterlange Papierstreifen, die ebenso dem lebenden Licht entgegenjagten, darin untergingen und sogleich ebenfalls zu ziehen begannen - die Papierstreifen, die wie Bandagen um ihn gewickelt waren. Hysterisch kreischend trat er mit den Füßen auf das Parkett ein und schlug mit den Armen nach den Bandagen. Seine Sicht wurde von einer Flut aus Tränen verwischt, die an seinem panikverzerrten Gesicht entlang strömte. „Nein!“ Ein letzter kehliger Schrei überschlug seine Stimme und verwandelte diese in ein heiseres und zugleich schrilles Krächzen. Bevor er in das pulsierende Leuchten eintauchte, verschwand auch sein Gesicht unter einer wilden Welle von hautfarbigem Papier - die einzige Gnade, die dem Jungen zuteil wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)