Lycan von Brirdy ================================================================================ Lycan ----- Teil 1 – Der Anfang Es war dunkel und still. Nur hin und wieder konnte man im fahlen Licht des Mondes schemenhaft Gestallten erkennen, die sich ihren Weg durch den Wald suchten. Plötzlich durchbrach ein lautes Knacken die Stille. Irgendwo war ein Ast unter dem Gewicht eines zu hastig gesetzten Fußes gebrochen. Schlagartig wurde es überall lebendig. Man konnte das Trommeln von mehreren Tatzen, das schaurige Heulen aus zahlreichen, kampfbereiten Kehlen vernehmen. „Lauf, Lycan! Pass auf, dass sie dich nicht kriegen!“ Eine Stimme hallte laut und schrill durch den Wald. Noch mehr Äste brachen und die Geschöpfe der Nacht konnten ihren Gegner nun noch schneller aufspüren. Eine wilde Jagd begann, allen voran ein kleiner Junge von etwa zehn Jahren. „Lauf!“ ertönte erneut die Stimme, doch es war zu spät. Einer der Werwölfe hatte sich bereits auf den Menschen, keine zwei Meter vor ihm gestürzt und seine gewaltigen Fänge in dessen Fleisch vergraben. „LYCAN! Nein! Nicht er, nicht er!“ Eine zierliche junge Frau, fast selbst noch ein Kind, lief zwischen den Bäumen hervor und blieb nur wenige Meter von dem wütenden Wolf entfernt stehen. „Nein!“, sagte sie erneut. „Nicht er, nicht auch noch ihn. Reicht es euch denn nicht, dass ihr schon meine Eltern getötet habt? Meine Schwestern?“ Den Tränen nahe ließ sie sich auf die Knie sinken. „Mein einziger Bruder“, flüsterte sie, „Mein einziger Bruder... er mochte euch, weißt du das?“ Ihre Stimme wurde wieder lauter. „Weißt du wie wir ihn nennen sollten? Lycan! Er hörte auf keinen anderen Namen mehr... er wollte einer von euch sein... er war fasziniert von euren Gestallten, fasziniert vom Vollmond. Und ihr? IHR TÖTET IHN!“ Stille folgte auf ihre Worte. Der Werwolf, der noch vor wenigen Augenblicken ganz wild darauf gewesen war, den Körper unter seinen Tatzen in Stück zu reißen, hielt inne und hob den Kopf. Für einen winzigen Augenblick schien es so, als würde er ganz von seinem Opfer ablassen, ehe er den Kopf wieder senkte. Doch wider erwarten seines Zuschauers biss er nicht noch einmal zu, sondern leckte behutsam über die offene Wunde. Dann richtete er sich auf seine Hinterläufe auf und verwandelte sich langsam in einen Menschen zurück. Sein Blick streifte die junge Frau, als er den fast leblosen Körper in seine Arme nahm. „Ich werde ihn mit mir nehmen. Mach dir keine Sorgen um ihn.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand zwischen den Bäumen. Trotz seiner guten Ohren bemerkte er nicht, wie die junge Frau von hinten gepackt und in die Dunkelheit gezerrt wurde. Auch vernahm er die leise Stimme nicht, die zunächst höhnisch lachte und schließlich beruhigende Worte von sich gab. „Komm mit mir, meine Schöne! Dein Bruder ist verloren. Verloren an diese räudigen Hunde, die nur das Töten im Sinn haben. Schließ dich uns an... komm zu uns und erkenne die wahre Schönheit der Nacht.“ ~*~*~ Teil 2 – Die Legende „Wer ist das, Jacob?“, wurde er von Kritan, dem Führerwolf, begrüßt, als er sich dem Jagdtrupp des Rudels näherte. „Ein Junge“, war die Antwort. „Ich hielt ihn für einen dieser Blutsauger und wollte ihn töten, als eine Frau, seine Schwester offensichtlich, zwischen den Bäumen hervor kam und mich anbrüllte. Er wollte eine Kreatur der Nacht werden, sagte sie. Also nahm ich ihn mit. Ich hoffe, du gestattest mir, ihn zu unserem Ältesten zu bringen.“ Er machte eine Pause. „Sein Name ist Lycan.“ „Ja, geh nur“, nickte Kritan. „Und sorge dafür, dass seine Wunden geheilt werden.“ „Lycan... Lycan, der Weise... er war einer der ersten Werwölfe... getötet im Kampf gegen Vampire... getötet von seiner eigenen Schwester. Die Legende... ihr dürft die Legende nicht vergessen... er kommt zurück... er rächt sich.“ ~*~*~ Das Dorf des Clans lag weit ab von den Siedlungen der Menschen. Nur zu erreichen, wenn man den beschwerlichen Weg zu Fuß ging, denn es war gänzlich unmöglich die steinigen und schmalen Wege mit einer Kutsche zu befahren. Doch nur wenige wagten es. Die Angst, aus den Wäldern von wilden Tieren angefallen zu werden, zu stürzen und nicht mehr vorwärts zu kommen, war zu groß. Die Werwölfe jedoch hatten keine Schwierigkeiten. Ihre Augen waren zu gut, ihre Fänge zu gewaltig, als dass ein Tier sie überraschen würde. Die einzige Gefahr waren die feindlichen Vampire, die ihnen hier gerne auflauerten. Doch diesmal gelangten sie ohne Probleme zurück in das Dorf, das den – zumindest für sie – wohlklingenden Namen Howling Cave trug. Schon von weitem konnte man die Daheimgebliebenen erkennen, die auf dem großen Dorfplatz alles für das Schlachtfest vorbereiteten. Jedes Mal, wenn das Jagdrudel nach einer erfolgreichen Jagd mit reichlich Beute zurückkehrte, wurden die besten Jäger geehrt. Die Fleischbeute wurde ausgenommen, zur Lagerung präpariert und ein nicht geringer Teil noch am selben Abend verspeist. Die Trophäen, meist die Zähne gefallener Vampire, die ihren Weg gekreuzt hatten, wurden während dem Festmahl ausreichen bewundert. So auch heute. Normalerweise waren immer alle Wölfe des Dorfes anwesend, keiner wollte sich der fröhlichen Gesellschaft entziehen. Jacob jedoch schritt, den Jungen noch immer auf dem Arm, zu Sheila, die sich meist um die Verletzten kümmerte. „Würdest du dir bitte seine Wunden ansehen, ehe du zum Fest gehst? Ich möchte ihn nachher zu unserem Ältesten bringen“ Mit einem Nicken wies Sheila den anderen an, Lycan auf eine Liege nur wenige Meter entfernt zu legen. Kurz besah sie sich die Wunde und richtete sich schließlich wieder auf. „Viel kann ich hier nicht tun. Am besten, du nimmst ihn erstmal mit. Ich werde mich später noch mal um ihn kümmern. Aber sei vorsichtig!“ Erneut hob Jacob den Jungen in seine Arme, ließ ein „Bis später!“ in Richtung der Wölfin hören und machte sich auf dem Weg zum Haus des Ältesten. „Mit einem Fest beginnt es, mit Leid wird es enden. Und der eine beschreitet den Weg. Den Weg, die Wahrheit zu finden... Im Laufe der Zeit entschwunden, durch Tod getragen ins Licht. Die Schlacht wird kommen, wenn das Grauen über die Welt einbricht.“ ~*~*~ „Sein Name ist Lycan, sagst du?“ „Ja!“ Im schummrigen Licht der Hütte konnte man kaum etwas erkennen. Doch als Jacob das leise Klirren einiger Phiolen hören konnte, wusste er, dass der Junge seinen Wunsch erfüllt bekam. Beim nächsten Vollmond würde er sich, wie alle Jungwölfe, zum ersten Mal in einen Wolf verwandeln. „Kennst du die Legende?“ Ein alter Mann, der selbst in seiner Menschengestalt einem Wolf nicht unähnlich sah trat in den Lichtschein, den die Sonne durch einen Spalt des Fensters warf. „Die Legende?“ fragte Jacob. „Es gibt eine Legende.“ Der Älteste blickte den anderen Werwolf eine Weile an, ehe er fort fuhr. „Vor 300 Jahren gab es schon einmal einen Jungen wie ihn. Auch er wurde zu einem von uns, auch er trug den Namen Lycan. Seine Schwester jedoch war eine von IHNEN, den anderen. Keiner von beiden wusste um das Schicksal des anderen und so standen sie sich eines Tages auf dem Schlachtfeld gegenüber. Beide erkannten einander, doch auch beide wussten, dass sie auf verschiedenen Seiten standen. Und so wurde Lycan getötet, getötet von seiner eigenen Schwester. Es hieß, er würde wieder kommen und sich an ihr rächen.“ „Und Ihr meint, dieser Junge...?“ Jacob beendete die Frage nicht. „Ich meine es nicht. Ich weiß es!“ war die feste Antwort. „Die Legende lebt... zwei wurden geboren... eines hier, eines dort... Geschöpfe der Nacht sind sie beide... getrennte Wege gehen sie jedoch... sie treffen sich wieder... die Welt wird ins Gleichgewicht gebracht.“ ~*~*~ Teil 3 – Die Wandlung Der erste Vollmond kam bald. Die Luft war erfüllt von lauten Schreien, die die Qualen der ersten Verwandlung mit sich brachten. Lycan, der die ersten Stunden in seiner Wolfsgestallt alleine verbrachte, war im Wald auf der Jagd. Kein Tier, Mensch oder Vampir würde ihm heute Nacht entkommen. Seine Instinkte waren zu gut, er konnte – nein – wollte den Wolf nicht unter Kontrolle halten. Und so jagte er in wilder Hast hinter einem Reh her. Äste krachten, scheuchten andere Waldtiere auf, doch niemanden kümmerte es. Der Wald schien sich zu lichten und Lycan fand sich auf derselben Lichtung wieder, auf der nur wenige Tage zuvor sein Schicksal besiegelt wurde. Im Körper des Wolfes gefangen, nahm er die bekannte Umgebung nicht wahr. Sein einziger Gedanke galt dem verängstigten Tier. Doch er war nicht der einzige, der in dieser Nacht zum ersten Mal auf der Jagd war. Der Boden, auf den er seine Tatzen setzte war blutgetränkt. Zweifellos das Werk eines unerfahrenen Vampirs. „Was der Tag verhüllt, bringt die Dunkelheit ans Licht. Im Licht des Mondes offenbaren sie beide ihre wahre Gestallt... zeigen wer sie wirklich sind... wer sie einst waren.“ ~*~*~ Teil 4 – Die Rache Zwei Jahre später: „Kritan! Kritan!“ Laut rufend lief Agrona, die Friedensverhändlerin über den Platz auf die Hütte des Führerwolfes zu. „Sie kommen!“ keuchte sie außer Atem, als sie die Türe ruckartig aufstieß. „Heute Abend werden sie den ersten Angriff starten.“ Mit einem Satz war Kritan auf den Beinen. Es würde nun also endlich beginnen. „Jacob, du kümmerst dich um den Jungen!“, war seine erste Anweisung, als er aus der Hütte trat. Auf dem Platz davor hatten sich bereits ausnahmslos alle Werwölfe versammelt. Nur wenige Stunden später waren sie gerüstet. Die Blutsauger konnten kommen! „Die Schlacht beginnt... blutige Tage, rot und dunkel... Zwei gibt es... sie töten sich... sind schon gestorben... die Rache beginnt.“ ~*~*~ Schwerter klirrten, Pfeile zischen sirrend durch die Luft, blutige Leiber stürzten zu Boden, blieben reglos liegen. Zähne bohrten sich in sich windende Körper, rissen große Fleischwunden. Die schrillen Kampfschreie der Vampire ertönten von überall her, vermischen sich mit dem angriffslustigen Heulen der Wölfe. Suchende Augen huschten wachsam umher, jeder wollte den EINEN zuerst erblicken, ihn töten. Doch Bruder wie Schwester schienen nicht zwischen den anderen zu sein. Sie standen etwas abseits der Schlacht, auf der Lichtung, wo alles begann. Ein Vampir und ein Werwolf, beide mit Schwertern in der Hand, beide wissend, dass der andere ein Feind war, getötet werden musste. Und dennoch regte sich keiner. Weder er noch sie. Sie blickten sich in die Augen, die nahezu identisch waren. Erkennen lag in ihnen, erkennen, dass es die eigene Schwester, der eigene Bruder war, den man töten sollte. Lycan, der jüngere von beiden senkte sein Schwert. Jede Vorsicht fallen lassend, ging er einige Schritte auf den Vampir zu, hoffend seine Schwester würde auch ihn erkennen, in wieder in die Arme schließen, so wie sie es früher so oft getan hatte. Diesen Augenblick nutze die andere. Mit einem schrillen Schrei, dem erhobenen Schwert stürzte sie sich auf den Feind. „LYCAN!“ Jacob trat wenige Meter hinter dem jungen Wolf aus dem Dickicht. Aus einem in den vergangenen zwei Jahren trainierten Reflex heraus hob Lycan ebenfalls seine Waffe, wehrte den Schlag des Vampirs ab, und stach schließlich mit einer einzigen fliesenden Bewegung zu. Blut quoll aus der Wunde und mit einem röchelnden Schrei sank der Körper vor ihm zu Boden. Sterbende Augen richteten sich auf den perplexen Jungen. „Mörder!“ Stille bereitete sich auf dieses letzte, anklagende Wort hin aus. „Komm, Lycan, es ist vorbei!“ Nach Minuten des Schweigens wollte Jacob den Jungen von diesem Ort weg ziehen. „Du bist kein Mörder, Lycan. Du hast getan, was du tun musstest. Was jeder von uns getan hätte.“ Tröstende Worte, die versuchen sollten den Jungen aus seiner Erstarrung zu reißen. „Aber... sie war meine Schwester! Sie hätte niemals versucht mich zu töten! Sie...“ „Lycan!“, rief Jacob, packte den Jungen an den Schultern und schüttelte ihn leicht. „Lycan, hör mir zu!“ Doch der Junge reagierte nicht. Er starrte wie gebannt auf den blutigen Körper zu seinen Füßen. „Sie hat mich geliebt“, flüsterte er. „Sie hat mich geliebt!“ „Liebe, was ist das schon... Ein Vampir, ein Werwolf... zwei Feinde, zwei Freunde... Ihr müsst kämpfen... töten... und sie ist tot... “ ~*~*~ Teil 5 – Das Ende Mit dem Tod der EINEN war auch die Schlacht vorüber. Die Werwölfe feierten ihren Sieg, auch wenn viele der Ihren gefallen waren. Auf einer kleinen Anhöhe etwas abseits vom Dorf saß Lycan, mit seinen Gedanken bei den Dingen, die vor wenigen Stunden passiert waren und deren wirkliche Bedeutung er erst eben erfahren hatte. Eine Legende, fast 300 Jahre alt. Eine Rache, die endlich erfüllt wurde. „Zwei Brüder, zwei Schwestern... getrennt durch die Nacht... vereint durch den Tod und verraten durch Hass. Die Legende ist wahr, hat sich erfüllt... der Tag ist gekommen, der Tag ist vorbei...“ ~*~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)