Am Rande der Nacht von Lethal ================================================================================ Kapitel 4: Feuer, Eis und Beethoven ----------------------------------- Sie waren zu dritt, einer blasser als der andere. Der vorwitzige Riese, der bei mir hockte und mich angrinste, dazu ein stämmiger, gedrungener Kerl, der mich mit seinem Gewicht binnen Sekunden auf dem Fußboden festgenagelt hatte, und ein Schweigsamer in meinem Alter, der als stiller Beobachter in der Ecke stand. Auf der Straße wären mir die Drei nie aufgefallen. Zwar unterschieden sie sich stark voneinander, doch jeder für sich sah, solang er den Mund nicht öffnete, so gewöhnlich oder ungewöhnlich aus wie jeder andere. Keine Lederjacken, die bei jeder Bewegung knirschten, keine langen, schwarzen Mäntel oder Ränder um die Augen, wie man vielleicht hätte vermuten können. Vielmehr auf den ersten Blick ganz normale Menschen, die einem überall begegnen konnten. Der Vorwitzige schnippte vor meinem Gesicht. Ich hörte auf, den Kerl in der Ecke anzustarren, von dem ich vermutete, dass er für diesen Eingriff hier verantwortlich war und richtete mein Augenmerk stattdessen auf die Person vor mir. Der Stämmige half mir ein wenig dabei, indem er meinen Kopf schmerzhaft nach oben verdrehte, sodass es meinem Gesprächspartner möglich war, mir in die Augen zu sehen. „Hat’s dir Spaß gemacht?“, zwitscherte er. Ich wartete. Wenn er merkte, dass ich nicht begriff, würde er mir schon mitteilen, was er meinte. Außerdem war es schwierig zu reden, wenn man einen Feuerball im Mund hatte. Neugierig überlegte ich, welche Farbe er wohl haben würde, wenn er meinem Gegenüber das Gesicht versengte. „Ich hab dich was gefragt“, versuchte er es erneut und rückte näher. Jetzt oder nie. Ich gab ihm die verlangte Antwort. Das Feuer hatte dieses Mal seine natürliche Farbe. Orangerot fraß es sich in die Züge des Riesen, der kreischend durch die Kabine sprang und sich selbst schlug. Mit aller Kraft warf ich mich herum, um mich von dem Muskelpaket über mir zu befreien, doch der Griff, in dem dieses mich festhielt war unnachgiebig wie ein Schraubstock. „Die Schnalle“, raunte der Junge in der Ecke gelassen. Ich atmete tief ein, um die nächste Flamme zu spucken, doch bevor es dazu kam, spürte ich, wie mir eine Art Gürtel oder ein flaches, stabiles Seil um Kinn und Kopf gelegt wurde. Mit einem festen Ziehen an dessen Verschluss wurden meine Kiefer aufeinandergepresst und das Feuer blieb mir buchstäblich im Halse stecken. Ich fühlte mich auf einmal wie ein Hund mit Maulkorb. Na wenigstens musste ich so nicht mit den Dreien reden. Das Antlitz des Riesen war inzwischen bedauerlicherweise gelöscht und regenerierte sich bereits wieder. Ich hatte auf bleibendere Eindrücke gehofft. „Das war keine gute Idee“, sagte er bedrohlich leise. Langsam glitt er wieder in die Hocke, seine Augen in meine bohrend. Sie schimmerten rötlich, die Pupille war verengt wie bei einer Katze. Was war er? Hatte das tote Mädchen nicht normale Pupillen gehabt? „Wir sollten uns nachher n Schluck von ihm genehmigen“, schlug er den anderen Beiden vor. An einer leicht wippenden Bewegung über mir erkannte ich, dass der Schraubstock dem durchaus zugetan war. Nur aus der Ecke kam nicht sofort eine Reaktion. „Wartet damit bis wir wissen, wer er überhaupt ist“, lautete das Urteil schließlich. „Tja, da das kleine Streichholz ja nicht mehr sprechen kann, müssen wir da wohl mal einen Blick auf seinen Ausweis werfen“, überlegte der Vorwitzige. Mir blieb aber auch gar nichts erspart. Er trat um mich herum und wollte sich an meinen Hosentaschen zu schaffen machen. Ich ruckte heftig mit dem Kopf in Richtung des groben Rucksacks, den ich mitführte. „Da drin?“ So gut ich konnte nickte ich. Kurz darauf hörte ich den Reißverschluss und ein suchendes Scharren in meinen Habseligkeiten. „Mal sehen, was haben wir denn hier...? Physik heute, Fortgeschrittene Informatik 25 – hui, siehst gar nicht aus wie ein Freak, wo sind die Pickel und die Brille? – English Advanced, Analysis II, Einführung in die Japanische Schrift... Na immerhin schon der zweite Band. Ein ganz Schlauer. Kommst du von der Schule oder wie? Mineralwasser... Kondome? Bist n kleiner Aufreißer, was Streichhölzchen? Oh, hier wird’s interessant... Notizen. Trägst du dir da ein, wen du als nächstes umbringst?“ Er kramte das kleine Heft heraus und ich freute mich ein wenig, als er darin zu blättern begann. “Mist…. Kann jemand von euch Italienisch?” Wenn er jetzt noch Anspielungen auf die Mafia, Pizza oder Spaghetti machte, würde ich Mittel und Wege finden, ihn richtig zu verbrennen, schwor ich mir. „Der Ausweis“, schnarrte es da jedoch aus der Ecke. Unser Beobachter war fast noch genervter als ich, was ihn mir sympathisch machte. „Und beeil dich ein Bisschen. Es wird warm hier drin.“ Ein vielsagender Blick in meine Richtung teilte mir mit, dass er sehr wohl wusste, an wem das lag. Ich war stinksauer und ich hatte Angst und das spiegelte sich in der Raumtemperatur deutlich wider. Der Witzbold fand mein Portemonnaie, las die Daten auf meinem Ausweis, brach in Lachen aus. Ja, ja, mein Name war schon lustig. Irgendwann würde ich das doch mal ändern lassen, beschloss ich. „Virgin Kori. Du bist noch Jungfrau? Da helf ich dir gern...“ Meine Gesichtszüge erstarrten. Schlagartig verwandelte sich der Fahrstuhl in eine Sauna. Der Kerl in der Ecke drückte die flache Hand an die Wand des Aufzuges und ich schaute nicht ohne Bewunderung zu, wie sich diese mit einer hauchfeinen Eisschicht überzog, wodurch es wieder kühler wurde. „Wenn ich ihn einfrieren muss, weil ihr ihn unnötig provoziert, bekommt ihr sein Blut sicherlich nicht mehr“, ermahnte er seine Gehilfen. „Wohnt er nun da, wo Noriko gestorben ist?“ „Jepp“, sagte der Witzbold. Der erwartungsfrohe Unterton in seiner Stimme machte mir Sorgen. „Dann red ich mit ihm“, entschied der Eckposten, „Bedient euch danach meinetwegen.“ „Willst du nichts?“ Zum ersten Mal hörte ich den Stämmigen reden. „Nein. Du weißt auch warum“, knurrte es aus der Ecke. „Schon vergessen, Fettsack? Er is clean“, ergänzte sein mitteilsamer Kumpane. Ich wünschte mir einen Moment lang, Blicke könnten töten. Der redselige Riese hätte in diesem Moment das Zeitliche gesegnet. So tauschte er nur mit dem Beobachter die Plätze. „Wenn es nicht seine Freundin gewesen wäre, die du auf dem Gewissen hast, hätte ich ihn nicht mitgenommen, das kannst du mir glauben“, sagte der Junge sanft. Das brachte eine Alarmglocke in mir zum Klingen. Vielleicht, kam es mir in den Sinn, ist er der Schlimmste von den Dreien. Vielleicht kann er sich deshalb diese Freundlichkeit leisten. „Also, sag mir ein paar Mal „Ja“ oder „Nein“ und dann ist es auch schon vorbei. Die Beiden werden dir ein bisschen Blut abnehmen, aber das ist nicht mal so viel wie bei einer Blutspende. Sonst sollte dir eigentlich nichts passieren, wenn du dich gut benimmst.“ Seh’ ich aus wie ne Zapfsäule?!, dachte ich erbost, betrachtete den jungen Mann aber weiter aufmerksam. „Also, bringen wir’s hinter uns?“ Ich nickte folgsam. Wartete. „Hast du sie umgebracht?“ Er zeigte mir ein Foto des Mädchens, das in einem Staubsaugerbeutel in meiner Schublade ruhte. Nun, eigentlich war es nicht nur meine Schuld. Ich nickte abermals und schüttelte gleich darauf den Kopf. „Was soll das denn nun schon wieder heißen?“, fauchte der Witzbold. „Ruhe“, verlangte mein Gegenüber. „Gib mir Zettel und Stift und du gib ihm die rechte Hand frei. Dass ihr Drachen aber auch ausgerechnet mit eurem Sprechorgan Feuer spucken müsst...“ Der Verkäufer wirft dem schmal gebauten Jungen einen ratlosen Blick zu. „Ich kann dir wirklich nichts verkaufen, wenn du mir nicht sagst, was du haben willst“, erklärt er hilflos. Ich schaue von dem Kinderbuch auf, das ich mühsam zu lesen versuche – verdammtes Japanisch - und lasse mich gern von dem Geschehen am Tresen der Buchhandlung ablenken. Der etwa Sechzehnjährige hebt den Arm als greife er etwas aus der Luft und beginnt, mit dem unsichtbaren Gegenstand auf seiner Hand zu schreiben. Ganz klar, was er will. Ich suche mir ein Wörterbuch. Als ich die Worte für Papier und Stift herausgesucht habe, hat der Verkäufer immer noch keine Ahnung, was von ihm verlangt wird. Ich gehe also hin und bringe meine neugewonnenen Vokabeln an den Mann. „Papier und Stift“, sage ich, auf den Jungen deutend. „Will schreiben“, fällt mir auch noch gerade ein. Etwas verdutzt sieht der Verkäufer mich an, lässt es dann aber auf einen Versuch ankommen und besorgt das Genannte, woraufhin der Junge einen kleinen, freudigen Satz macht. Die wasserblauen, fast katzenartig geschnittenen Augen, die in krassem Gegensatz zu seinem sonst sehr asiatischen Aussehen stehen, leuchten. Blitzschnell hat er notiert, was er haben möchte und ich will gerade wieder gehen, da hält mich der Verkäufer zurück. Ich kann nicht alles übersetzen, was er zu mir sagt. „Sie verstehen ihn...“, dringt es zu mir durch. „Können Sie mir sagen, was ein ... Junge mit einem Buch über ... will?“ „Entschuldigung, was für ein Junge, was für ein Buch?“, frage ich zurück. Der Mann versucht es einfacher: „Er kann nicht hören, aber er will ein Buch über Musik kaufen.“ Beide Beteiligten werfen mir einen hilfesuchenden Blick zu, doch das Einzige, was mir dazu einfällt, kann ich nicht in dieser Sprache sagen. Ich nehme mir meinerseits den Zettel und schreibe: „So what? Beethoven was deaf, too.“ – Na und? Beethoven war auch taub. Mit dem praktischen Verständnis scheint es bei dem Verkäufer nicht weit her zu sein, aber Allgemeinbildung hat er. Von dem Argument überzeugt holt er das verlangte Buch, während ich unauffällig das Wörterbuch in meine Tasche fallen lasse. Der Taubstumme reißt daraufhin das benutzte Blatt von dem Notizblock, ergänzt es um eine weitere Botschaft und deponiert es mit einem verschwörerischen Grinsen ebenfalls in meinem Beutel. Dann erst bedankt er sich mit einer leichten Verbeugung. Ich gehe lieber, da der Verkäufer zurückkommt. Draußen lasse ich mich einige Meter weiter vor einen Hauseingang sinken, lege die zerschlissene Mütze für das Geld auf den Boden und hoffe, dass die Polizei nicht allzu bald hier auftaucht und mich wegjagt, weil ich bettle. Ich brauche endlich Arbeit oder ein Flugticket in ein Land, dessen Sprache ich beherrsche, denke ich, verstimmt über das, was ich hier tue. Verstohlen werfe ich wieder einen Blick auf das gut versteckte Wörterbuch. Der Zettel liegt noch da. Gerade habe ich mühsam das neckische „Das hab ich gesehen“ entziffert, da hebt jemand die Mütze vor mir auf und setzt sie mir auf den Kopf. Der Junge aus der Buchhandlung. Sein Lächeln ist eindeutig frech, doch die Tüte, die er umfasst wie einen kostbaren Schatz passt nicht ganz zu der selbstbewussten Ausstrahlung. „Verrietest du mich?“, frage ich vorsichtshalber. Er schüttelt vehement den Kopf, legt den Finger auf seine Lippen, grinst noch breiter. Es grenzt an ein Wunder, dass er mich unter den erschwerten Bedingungen seiner Behinderung und meiner miesen Grammatik überhaupt verstanden hat. Ich kann es kaum fassen und bin umso irritierter, als er übergangslos auf ein Schild auf der gegenüberliegenden Straßenseite deutet und den Kopf fragend schräg legt. Nach einiger Zeit erkenne ich, mehr an den Bildern als an dem Schriftzug, dass es dort verschiedene Nudelsuppen gibt. Mein Magen knurrt augenblicklich, doch das hört er ja zum Glück nicht. Es gibt da nur ein Problem... Ich ziehe das Innere meiner leeren Hosentaschen nach außen. In derselben Zeit hat er jedoch schon ein Portemonnaie aus den seinigen gezogen. Seine Finger lenken meine Aufmerksamkeit nacheinander auf vier Dinge: Mich, den Imbiss, die Geldbörse und schließlich ihn selbst. Man möge mich einen Schmarotzer nennen, aber das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich schüttelte den Kopf und zerrte an meiner festgehaltenen Linken. „Gut, ich hab verstanden, mach ihm die Linke los. Mit der Rechten kann er nicht schreiben. Bin ich froh, dass du dich im Gegensatz zu diesen Trotteln auf nonverbale Kommunikation verstehst.“ Er verdrehte die Augen in Richtung seiner Komplizen. Das konnte ich ihm nicht verübeln. „Es war ein Unfall“, kritzelte ich mit fliegender Feder auf den Notizblock. „Ich bin davon aufgewacht, dass sie mich gebissen hat und dann kamen auch schon die Krämpfe und sie war tot.“ „Gut, hattet ihr sonst Körperkontakt?“ Verwirrt zog ich die Augenbrauen hoch. Was bitte? Nun, sie hatte mich festgehalten und eine Weile tot auf meinem Bauch gelegen. Das rechtfertigte ein Nicken, fand ich. „Du...“, grollte es aus der Ecke des Witzboldes. Ich mach dich fer-“ „Hast du mit ihr geschlafen?“, unterbrach ihn der Stillere. Sein Geduldsfaden schien zum Zerreißen gespannt. Ich schüttelte resolut den Kopf, woraufhin er mich mit einem Blick ansah, als würde er mich am liebsten vor Freude umarmen. Der eifersüchtige Witwer verstummte... vorerst. „Hast du dich irgendwann gefühlt, als stündest du neben dir?“ Das ist bei mir seit einigen Wochen Dauerzustand, war ich versucht zu antworten, schüttelte jedoch nur erneut den Kopf. „Aber verbrannt hast du sie, sagt mein Freund hier.“ Das gab ich zu. Rick hatte nun mal drauf bestanden. „Wo ist die Asche jetzt?“ „Bei mir zu Hause“, schrieb ich. Die Information wurde an die anderen beiden weitergegeben. „Der lügt doch! Da hab ich alles durchwühlt, gleich als er losgefahren ist!“ Oh wunderbar. Ich bin sicher, du hast hinterher auch wieder aufgeräumt. Ich ergänzte die Ortsbeschreibung um die entscheidenden Details. Der Junge nahm den Zettel und brach in schallendes Gelächter aus. „Danke, das war’s schon“, meinte er freundlich. „Wir holen sie uns dann von dort.“ Ehe ich etwas dagegen unternehmen konnte, wurde mir die linke Hand wieder auf den Rücken geklemmt. „Bon Appetit“, drang es an mein Ohr. Ich brüllte hinter den geschlossenen Lippen und begann zu toben, doch es half nichts. Zum zweiten Mal an diesem Tage wurden Zähne in meinen Hals geschlagen. Ich spürte ein Saugen und hörte schmatzende Geräusche, bei denen sich mir der Magen umdrehte. Davon abgesehen war die Prozedur nicht gerade schmerzfrei. „Du verpasst was“, frohlockte der Muskelprotz, nachdem beide ihren Anteil gehabt hatten. „Süß mit einer leisen herben Note. Wunderbar im Abgang. Da muss ein bisschen Dämon irgendwo mit drin sein, und jede Menge Mensch. Nicht so karieserregend wie die reinrassigen Drachen. Und die Wirkung ist bestens.“ Dankesehr. Offenbar ein echter Kenner. „Mach ihn los. Es ist schon ein Wunder, dass wir so viel Zeit hatten“, erwiderte der Enthaltsame frostig. Der sehnsüchtige Blick, den er meinem blutenden Hals zuwarf blieb von mir nicht unbemerkt. Meine Kiefer wurden wieder befreit und ich dicht vor die vereiste Wand gezerrt. „Spuck sie aus“, befahl der Stämmige. Wehmütig entledigte ich mich meiner so lang gehüteten Flamme. Das Eis an der Wand schmolz nicht, es verdampfte. „Sei so nett und reiß dich noch zusammen, bis wir rausgeklettert sind“, bat mich der Ex-Junkie. „Verdient habt ihr’s nicht“, brummte ich, „Nun haut schon ab.“ Genau das taten sie auch. Sie verschwanden nach oben hinaus und wenig später setzte sich der Aufzug wieder in Bewegung. Die anstehende Chefbesprechung erschien mir plötzlich so harmlos wie ein Kaffeekränzchen. Als ich endlich oben ankam, hatten sich die Bissspuren bereits verflüchtigt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)