Was hast du mir angetan? von abgemeldet (Fortsetzung von Kleiner Schatz) ================================================================================ Kapitel 7: Spiegel der Vergangenheit ------------------------------------ Hi! Unglaublich aber war, es geht weiter. Und bitte haltet mich auf, die Kapitel werden immer länger, wenn das so weiter geht, kommen nur noch fünf Kapitel und das letzte hat dann 50.000 Wörter. >.<' Ich brauche mich gar nicht zu wundern, dass mir die Leser weglaufen, ich würde auch keine Fanfic lesen, bei der jedes Kapitel 10.000 Wörter hat. u.u' Zu meiner Verteidigung: Ich hatte zwischen durch einen Geistesblitz und habe einen neuen One-Shot mit dem Titel 'Katzenregen' angefangen. Mal sehen, wann ich damit fertig werde, zu 2/3n steht er schon. Es folgt nun auch meine langersehnte Namensänderung. Nachdem ich mich in den letzen Monaten sehr viel in der wowszene.de Community herumgetrieben habe, hat sich nun der Nick 'Kairelle' heraus kristallisiert. Ich hoffe an dieser Stelle einfach einmal, dass es den noch nicht auf Mexx gibt. ^^' Lange Rede kurzer Sinn: Viel Spaß mit dem neuen Kapitel. Spiegel der Vergangenheit Erschrocken sah der Schwarzhaarige auf, als sich die Tür öffnete. Er hatte diesem Moment mit Furcht entgegen geblickt und ihn dennoch ebenso herbeigesehnt. In der Tür stand sein Onkel und sah ihn einen Moment lang an, als wüsste er nicht, was er sagen sollte. Schließlich schloss er die Tür hinter sich und nahm auf dem Stuhl neben dem Bett platz. „Wie geht es dir?“ „Gut. Denke ich...“ Ein wenig unsicher blickte der ältere Chinese zu dem Russen, welcher neben seinem Verlobten auf der Bettkante saß und eine Hand auf dessen Oberschenkel gelegt hatte. Aber trotz seines Unbehagens begann er zu erzählen, was sie alle beschäftigte. „Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Wenn ich gewusst hätte, dass du... dann... Was rede ich? Es gibt keine angemessene Entschuldigung dafür.“ „Bitte hör auf dich zu rechtfertigen. Das bringt uns nicht weiter.“ „Entschuldige du hast recht.“ Er holte ein Fotoalbum aus seiner Tasche hervor und hielt es seinem Neffen entgegen. „Das ist das Hochzeitsalbum deiner Eltern.“ Mit klopfendem Herzen schlug Ray es auf. Es gab Fotos von seinen Eltern. Und nie hatte er sie gesehen. Weil er nicht wissen durfte, dass er keine Mutter im allgemeinen Sinne hatte. Er konnte sich nicht erinnern jemals so aufgeregt gewesen zu sein. Mit zitternden Fingern blätterte er den Schmutztitel um, den er einen Moment unsicher angestarrt hatte. Wäre er in einem Gespräch gewesen, so hätte es ihm nun die Sprache verschlagen. Seinen Vater, Richard, erkannte er sofort, doch sein zweiter Vater... Ja. Ihn erkannte er auch sofort. Doch nicht weil er ihn schon einmal gesehen hatte. Oder vielleicht doch. Er war dem Neko-Jin auf diesem Bild wie aus dem Gesicht geschnitten. Nur die Haarfarbe war eine andere. Fragend schaute er zu seinem Onkel auf. Dieser schien zu wissen, was ihn beschäftige. „Was den Namen anbelangt, haben wir dir die Wahrheit erzählt. Er hieß wirklich Fei Ji.“ Der jüngere blätterte noch ein wenig weiter. Fei hatte hellviolettes Haar. Eine Eigenschaft, die in seiner Familie weit verbreitet war. Sie sahen so glücklich aus. Doch er sah fast nur Mitglieder und Bekannte der Ji-Familie auf den Bildern. Ihm war bekannt, dass die Familie Kon nur wenig mit der angeheirateten Verwandtschaft zu tun haben wollte, doch er hätte nicht gedacht, dass ihr Groll schon soweit zurück lag. Er schlug das Buch wieder zu und sah den älteren Mann erwartungsvoll an. Vielleicht war es besser ihn reden zu lassen und dann fragen zu stellen. „Du wirst jetzt sicher wissen wollen, was damals genau geschehen ist... Sie lebten in Hong Kong und wollten uns besuchen kommen. Beziehungsweise wollte mein Bruder es. Richard war von vorneherein nicht begeistert von dieser Idee. Nicht weil er eine Abneigung gegen uns hatte, sondern weil Fei hochschwanger war...“ „Richard, wir hätten längst da sein sollen.“ „Wieso erzählst du mir das? Du bist doch derjenige, wegen dem wir ständig eine Pause machen müssen.“ Der Violetthaarige schwieg. Darauf wusste er keine Antwort. Er kam sich immer wie ein Trottel vor, wenn er mit seinem Mann stritt und den Disput verlor. Pikiert spielte er mit dem Zoom der Kamera in seinen Händen. Sie war auf der langen Autofahrt zu seinem liebsten Spielzeug geworden. „Bist du immer noch böse, dass ich meine Familie besuchen wollte?“ „Ich bin nicht böse, ich denke nur, dass du in deinem Zustand keine so anstrengende Reise machen solltest.“ „In meinem ‚Zustand’?“ „Du weißt, was ich meine. Ich mache mir Sorgen um euch beide.“ „Solange du mich weiterhin in so gute Restaurants ausführst, wie das von eben geht es uns bestens.“ Mit unschuldigem Blick filmte er die Straße. Die Stadt war interessant bei Regen. Die vielen einzelnen Lichter vermischten sich nun zu einem bunten Farbenteppich. Ob die Kamera wohl in der Lage war, dies alles aufzunehmen? Er schwenkte das schwarze Gerät und filmte den Schwarzhaarigen, welcher konzentriert und dennoch gelassen den Verkehr im Auge behielt. „Lächele doch mal.“ Ein amüsiertes Grinsen legte sich auf die Züge. Die Naivität des Neko-Jins war so herzerwärmend, dass man nicht anders konnte, als darüber zu lächeln. Doch Fei ahnte nicht, dass es genau dieser Wesenszug war, der ihn so interessant machte. Vielleicht wäre er vor kindlicher Wut an die Decke gesprungen, wenn man es ihm erzählt hätte. Aber wozu hätte man dies auch tun sollen? Nachdem er den anderen zu dem gebracht hatte, was er wollte, führte er die Kamera weiter und filmte seinen Bauch. Es war immer noch ein Wunder für ihn. Dieses kleine Wesen, welches ihn in den letzten Wochen mit seinen Tritten oft den Schlaf gekostet hatte. Wie glücklich er doch war. Und dankbar für alles was er hatte. Einen wundervollen Mann, er ihn über alles liebte und bald einen Sohn, dem sie ihre Liebe weiter geben konnten. Wenn doch nur der ewige Streit um den Namen nicht wäre. Sie sollten froh sein überhaupt ein Kind zu bekommen und stattdessen stritten sie sich schon seit Monaten um den Namen. Er wollte dem Baby einen chinesischen Namen geben. Rei. Nach seinem Urgroßvater. Es war ein wirklich schöner Name und auch für seine Familie angenehm auszusprechen. Doch Richard wollte einen englischen Namen. Raymond. Furchtbar. Wie ein Amerikaner. Zwar hatte der andere die Hoffnung sich durch die Namensgebung wieder etwas mit seiner Familie in Hong Kong zu versöhnen, doch der Neko-Jin glaubte nicht daran. Sie waren so stur und halsstarrig wie Esel. Er war froh, wenn er seinen Sohn nie in die Nähe dieser Verwandtschaft bringen müsste. Nicht ein einziges Mal hatte jemand von ihnen das Paar besucht. Dabei lebten sie im selben Stadtteil. Wie konnte er seinen Mann nur dazu bringen, ihrem Sohn den Namen zu geben, den er bevorzugte? Seine Familie hatte ja schon Probleme damit Richard richtig auszusprechen, doch bei... ‚Raymond’ würden sie entgültig kapitulieren. Mit einem kleinen Ruck kam das Auto an einer roten Ampel zum stehen. Und scheinbar war dadurch jemand wach geworden. „Schatz, schau mal.“ Verwundert sah der ältere hinüber und lächelte fast augenblicklich wieder. „Haben wir das nicht schon oft genug gefilmt?“ „Es ist jedes Mal wieder aufregend.“ Fasziniert betrachtete er durch das Objektiv die Dellen, die immer wieder auf seinem Bauch sichtbar wurden. Der Kleine strampelte. Dieses Mal war es kein unangenehmes Gefühl. Die Bewegungen waren ganz sanft. Nicht wie vor ein paar Tagen, als Fei vor Schmerzen wimmernd auf dem Bett gelegen hatte, mit dem Glauben, dass dieser Unruhestifter ihm ein Loch in die Bauchdecke treten wollte. Langsam schob sich eine Hand über die deutlich zu sehenden und damit auch nach außen spürbaren Bewegungen. „Er wird immer kräftiger.“ „Schön, dass du das auch einmal bemerkst. Ich habe das schon seit Wochen feststellen müssen.“ „Lass den Kopf nicht hängen. Du weißt doch, ich würde sofort mit dir tauschen, wenn ich könnte. Und außerdem sind es nur noch drei Wochen.“ „Du. Würdest das hier keine fünf Minuten aushalten. Also bleib lieber bei deiner Rolle als Ernährer.“ Amüsiert sah Richard den kleineren an und küsste ihn auf die Wange. In der selben Bewegung flüsterte er dem Violetthaarigen etwas ins Ohr. „Du würdest dich wundern, zu was ich fähig bin.“ Errötend legte der jüngere die linke Hand auf seinen Bauch und streichelte sanft aber bestimmt darüber, um das wilder strampelndere Kind zu beruhigen. Gleichzeitig ließ er die Kamera sinken, während seine Augen auf der starken Wölbung seines Unterleibs lagen. „Was macht dein Vater nur mit mir?“ Seufzend setzte er die Schutzkappe auf die Linse und legte den elektronischen Erinnerungsspeicher auf den Rücksitz. Der Regen hatte noch immer nicht nachgelassen. Wäre es vielleicht doch besser gewesen den Rat des Wirtes anzunehmen und die Nacht in Wenquan zu verbringen? Andererseits war es noch nicht allzu spät und sie mussten nicht mehr weit fahren. Er wollte endlich ankommen. Es war so langweilig, wenn man stundenlang in einem kleinen Raum eingesperrt war. Und es erinnerte ihn wieder an den Tag, den er am meisten fürchtete. Die Geburt. Sicherlich freute er sich wie nichts anderes auf seinen Sohn, doch er hatte Angst vor den Schmerzen. Angst, dass etwas schief gehen würde. Ihm war bewusst, wie gefährlich es immer noch war. Trotz den Fortschritten in der Medizin. Ein flaues Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, als er auf das Wasser sah, welches durch den Wind heftig gegen die Windschutzscheibe gepresst wurde. Wenn sie nur endlich von der engen Straße oberhalb des Sees herunter kamen. Umkehren konnten sie nun nicht mehr. Allmählich zweifelte sogar er selbst an seiner Entscheidung. Insgeheim hatte er gehofft sein Kind hier in den Bergen, im Kreise seiner Familie, zu bekommen. Er vertraute den Leute hier mehr als dem Arzt in der Großstadt. Zwar gehörte Hong Kong noch immer zum British Commonwealth, doch ihm war sein Arzt von Anfang an suspekt vorgekommen. Man hörte schließlich einiges und auch wenn es paranoid klang, hatte er das Gefühl, dass der Mediziner für die chinesische Regierung arbeitete. Den Arzt in seinem Dorf kannte er schon seit seiner Kindheit und niemandem vertraute er mehr, wenn es um seinen Körper ging. „Woran denkst du?“ Er seufzte. „Richard, ich will länger bleiben, als wir es eigentlich geplant hatten. Sei nicht böse, aber ich möchte unseren Sohn hier zur Welt bringen.“ „Warum das?! Ich bin zwar beruhigt, dass du nächste Woche nicht wieder zurück fahren willst, aber wieso willst du ihn unbedingt hier bekommen?“ Mit geschürzten Lippen sah der Neko-Jin den anderen von der Seite an. „Ich traue diesem Charlatan in Hong Kong nicht.“ „Du bist paranoid.“ „Unsere Nachbarin hat gesagt, sie hätte ihn mit einigen Parteimitgliedern gesehen.“ „Und du glaubst ihr das natürlich.“ Beleidigt schwieg er. Vorsicht war doch immer besser als Nachsicht, oder etwa nicht? Erleichtert stellte er fest, dass sie das leicht erhöhte Stück der Straße fast erreicht hatten, welches die letzte Etappe bis zu seinem Heimatdorf darstellte. Das Wetter wurde wirklich von Minute zu Minute schlimmer. Und dann auch noch dieser starke Wind. Sie hatten bereits die Hälfte dieses letzten Wegstückes zurück gelegt, als der Wind noch einmal in all seiner Stärke auffrischte. Die Bäume wirkten wie Grashalme, wurden geknickt und barsten, wenn sie zu schwach waren. Wie konnte dort eine Auto auf einer schlammigen Straße halt finden? Entsetzt stellte der Schwarzhaarige fest, dass von einem Moment auf den anderen weder die Lenkung noch die Bremsen ansprachen. Wie in Zeitlupe erschien es ihm, als er zu seinem Mann hinüber blickte und den Arm nach ihm ausstreckte, als wenn er ihn dadurch schützen könnte. „Fei!“ Und dann war es, als ob jemand bei einem Videorekorder die Vorspultaste gedrückt hätte. Er spürte wie sie die Böschung hinab rutschten. Mit einem Ruck hing er im Gurt. Dieser furchtbare Lärm. Bis alles dunkel und kalt war. Taub. Seltsam. Völlig benommen versuchte er einen klaren Gedanken zufassen, doch nichts konnte ihn zurück in die Wirklichkeit ziehen. Waren Sekunden vergangen? Minuten? Was war genau geschehen? Seine Linke Seite. Es tat weh... Vorsichtig taste er die Stelle ab. Es war feucht. Was war das? Stöhnend versuchte er sich etwas aufzurichten. Seine rechte Seite schmerzte, als sei sie von oben bis unten geprellt. In einer apathischen Bewegung schnallte er sich ab. Noch immer sah er dass Wasser über die gesprungene Windschutzscheibe laufen. Die Schwerkraft zog ihn nach rechts. Ein kurzer Orientierungsversuch zeigte ihm, dass sich der Wagen in einer leichten Schräglage befand. Verwirrt sah er seinen Partner an, welcher bewusstlos auf dem Fahrersitz zusammengesunken war. Die Tür sah furchtbar verbeult aus. Die innere Plastikverschalung war gesplittert. Er räkelte sich um den anderen zu erreichen. Warum war der Sitz so nass? Nirgends schien eine Scheibe zersprungen zu sein. Verunsichert befühlte er den Stoff seiner Hose. Auch dieser war nass. Eine schreckliche Ahnung keimte in ihm auf. Doch der Versuch sie zu verdrängen war nicht von Erfolg gekrönt, denn einige Augenblicke später zog sich ein stechender Schmerz durch seinen Unterleib und brachte ihn zu einem leisen Aufschrei. In panischer Angst hielt er sich den schmerzenden Bauch. „Nein. Nicht jetzt. Bitte, bitte warte noch. Ich flehe dich an. Nicht hier.“ Es war nur ein verzweifeltes Gewimmer. Der Violetthaarige wusste tief in seinem Inneren, dass alles gute Zureden nichts helfen würde. Einen Moment später war der Schmerz vorbei und mit Tränen gefüllten Augen rüttelte er an der Schulter des größeren. Dieser musste sehr weit weggewesen sein, denn eine Ewigkeit schien er nicht zu reagieren. Völlig desorientiert suchten die müden Augen den Boden ab. Zitternd nahm er das Gesicht des anderen in seine Hände und versuchte dessen Aufmerksamkeit zu bekommen. „Richard! Richard sieh mich an! Komm zu dir! Bitte! Ich brauche dich jetzt!“ „Was...? Mein Kopf...“ „Schatz, bitte!“ Keuchend wurde sein Griff fester, als der Schmerz zurückkehrte. Für einen Moment schien er wie betäubt. Es dauerte, bis er wieder fähig war zu sprechen. Die Augen des Schwarzhaarigen hatten ihn mittlerweile gefunden. Besorgt schauten sie ihm entgegen. „Was ist los?“ „Meine Fruchtblase ist geplatzt.“ Gequält lehnte der jüngere sich zurück in den Sitz und legte die Hände auf seinen Bauch. „Bitte sag mir, dass das ein Scherz ist.“ „Sehe ich so aus, als ob ich Scherze machen würde?!“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht schnallte nun auch er sich ab und nahm die Hand des anderen, während er näher heranrutschte, wobei die Karosserie bedrohlich knarrte. Er stellte den Autositz etwas nach hinten, während der Neko-Jin eine weitere Wehe ertrug und somit das herumnesteln an seiner Hose aufgab. „Kannst du mir die Hose ausziehen?“ Mit einem unguten Gefühl ließ er seinen Mann an das Kleidungsstück heran. Alleine schaffte er es einfach nicht und es musste sofort passieren. Es ging alles so schnell. Zu schnell. Wenn er sich recht erinnerte nannte man dies Sturzgeburt. Die Kontraktionen kamen schon in so verflucht kurzen Abständen. Eine Minute. Länger auf keinen Fall. Deutlich spürte er bereits, wie sich der Kopf seines Kindes einen Weg durch sein Becken bahnte. Diese Schmerzen... Seine Beine begannen zu zittern. Am Rande nahm er wahr, wie ihm scheinbar beruhigend über den Kopf gestreichelt wurde. „Ist es so schlimm wie du es dir vorgestellt hast?“ Seine rechte vergrub sich im Polster, die linke unternahm den Versuch die Hand, in welcher sie lag, zu zerquetschen. Ein Schluchzen drang aus seiner Kehle. „Es ist viel schlimmer.“ Was hatten sie ihm bei diesem Geburtsvorbereitungskurs gesagt? Wann musste er pressen? Er erinnerte sich nicht mehr. Alles war so verschwommen in seinem Kopf. Nicht nur das. Alles hatte er vergessen. Einfach alles, was man ihm an diesem Tag beigebracht hatte. Einige Wehen lang dachte er nach, versuchte sich zu erinnern, doch der Schmerz wurde immer schlimmer. Bis etwas in seinem Körper ihm ein Kommando zuzurufen schien. War das der Augenblick um zu pressen? Entfernt hörte er die Stimme seines Mannes, die ihm Mut zu sprach. Seine Hand löste sich vom Polster und tastete schwach die Öffnung in seinem Becken ab. Wenn er die Hautlappen etwas zur Seite schob konnte er den Kopf bereits spüren. Ein gutes Zeichen oder? Aber diese Schmerzen. Seine Sehnen. Seine Muskeln. Seine Haut. Alles war bis zum zerreißen angespannt. Irgend etwas stimmte nicht. Er konnte nicht sagen, woher er es wusste, doch irgend etwas lief gerade gehörig schief. Ängstlich öffnete er die Augen und sah auf seine Hand. Sie war blutverschmiert. Alle Frauen aus ihrem Wohnhaus, mit denen er gesprochen hatte, hatten ihm versichert, dass etwas Blut normal war. Doch sein Schoß erinnerte mehr an ein zum Schlachten angestochenes Schwein. Der Violetthaarige begriff. Ihm würde nicht mehr viel Zeit bleiben. Nun war sowieso alles egal. Wenn nur sein Sohn diese Tortur überlebte. Mehr wollte er doch gar nicht. Schwer atmend zog er den anderen zu sich herunter. „Es ist soweit! Halt ihn fest! Wenn du ihn fallen lässt, bringe ich dich um!“ „Mach dir keine Sorgen.“ Aus halbgeschlossen Augen sah er, wie sich der Schemen neben ihm etwas nach vorne beugte. Er spürte die warmen Hände. Eine zwischen seinen Beinen, bereit um den Kopf des Neugeborenen zu stützen. Die andere auf seinem Bauch. Ein Lächeln schlich sich auf seine Züge und verschwand sofort wieder in einem herzzerreißenden Schmerzensschrei. Nun war er sich sicher, dass es richtig war, was er tat. Er versuchte so lange zu pressen, wie er konnte. Ein neuer schneidender Schmerz kam zu den Wehen hinzu, als er merkte, wie der kleine und dennoch so riesig erscheinende Körper sich einen Weg durch sein Becken bahnte. Völlig auf gelöst und mit den Nerven am Ende ließ er seinen Kopf nach der dritten Wehe gegen die Kopfstütze schlagen. Wieso war es denn immer noch nicht vorbei? Er hatte keine Kraft mehr. Tränen liefen ihm über die Wangen, das Kinn. Tropften herab und verschwanden im Gewebe seines mittlerweile nassgeschwitzten T-Shirts. „Komm schon. Du musst dich nur noch ein Mal anstrengen. Der Kopf ist schon draußen.“ „Das hast du letztes Mal auch gesagt!“ „Dies Mal bin ich mir sicher.“ „Du...!“ Alles weitere ging in einem markerschütternden Schrei über. Nur noch ein Mal anstrengen. Das war leichter gesagt als getan. Mit der Kraft der Verzweiflung versuchte er erneut zu pressen. Wenn es doch nur schon vorbei wäre. Ein weiteres Mal spürte er diesen schneidenden Schmerz. Dann. Endlich. Ein quäkender Schrei. Doch für ihn war es das schönste Geräusch der Welt. Eine unglaubliche Last schien von ihm abzufallen und statt malträtierendem Schmerz breitete sich nun ein unsägliches Glücksgefühl in ihm aus. In völliger Erschöpfung öffnete er die Augen und sah das strampelnde, mit Blut und Käseschmiere bedeckte, Wesen in den Armen jener Person, der bis jetzt als einziger seine Liebe gehört hatte. „Gib ihn mir.“ Mit einem Lächeln, wie es stolzer nicht sein konnte, reichte der Schwarzhaarige ihm das Kind. Es fand auf seiner Brust und von seinen Armen sicher behütet einen festen Platz. Er fuhr über die leicht spitzzulaufenden Ohren. Die wenigen schwarzen Haare. Kaum wagte er es in das kleine Gesicht zu blicken. Zu wunderschön und perfekt war das, was er bereits gesehen hatte. Vorsichtig legte Richard eine Decke um den nackten Körper und drehte ihren Sohn einwenig, um ihn richtig einwickeln zu können. „Er sieht genauso aus wie du.“ „Findest du wirklich? Er hat auch einiges von dir.“ „Eines Tages wird er dein Ebenbild sein. Glaub mir.“ „Stört dich das?“ „Nein. Es ist gut so.“ Traurig schaute er in die feinen Gesichtszüge. Die Augen waren halb geöffnet. Müde sahen ihm seine eigenen bernsteinfarbenen Seen entgegen. Ein wenig wurde die Decke zur Seite geschoben. Der größere hatte sein Taschenmesser gezogen. Mit einem Stückschnur, was er wohl aus einer ihrer Jacken gezogen hatte, band er die Nabelschnur ab und schnitt sie durch. Er hatte sich dieses Messer vor Jahren gekauft und immer in die Berge mitgenommen. Es war jedoch nie zum Einsatz gekommen. Welch Ironie, dass es ausgerechnet jetzt zum ersten Mal benutzt wurde. „Er braucht immer noch einen Namen.“ Auffordernd sah er den Schwarzhaarigen an. „Was guckst du so?“ „Gib du ihm einen Namen.“ „Bist du dir sicher?“ „Du wirst ihn immer bei diesem Namen nennen müssen, also such du ihn dir aus.“ Der andere lächelte entschuldigend und streichelte ihrem Sohn über den Kopf, während sich nun erste Tränen der Freude in seinen Augen sammelten. „Raymond.“ „Ich kann dich wirklich nicht umstimmen?“ „Nein.“ Leidlich sah er wieder in dieses süße Gesicht. „Raymond also. Ray... Eigentlich ist es doch gar nicht so schlecht.“ „Ich dachte, du hasst den Namen?“ „Ich hasse Raymond. Aber Ray klingt niedlich. Versprich mir, dass du gut auf ihn acht geben wirst, wenn ich nicht mehr da bin.“ „Was redest du da?“ „Richard, sieh nach. Habe ich aufgehört zu bluten?“ Der andere schluckte und schüttelte den Kopf. „Wir haben gewusst, wie gefährlich es ist. Du wirst es nicht ändern können. Ich habe nicht mehr viel Zeit, also bitte versprich mir, dass du dich gut um ihn kümmerst.“ Nun stiegen dem älteren endgültig Tränen in die Augen. Er drückte den schwachen Körper an sich und wollte es einfach nicht wahr haben. „Bitte verlass mich nicht! Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen.“ „Ich habe keine Wahl. Versprich mir, dass du Ray beschützen wirst.“ Bis zu diesem Moment hatte der Violetthaarige sich so furchtbar leer gefühlt. Völlig gefühllos. Doch nun fing er hemmungslos an zu weinen. Er wollte nicht sterben. Wollte seinen Sohn aufwachsen sehen, als stolzer Großvater dessen Kinder auf seinem Schoß reiten lassen. Aber all dies würde ihm verwehrt bleiben. Hätten sie doch nur auf den Wirt gehört und wären in Wenquan geblieben. „Es ist meine Schuld, ich hätte nicht nachgeben dürfen. Wenn wir in Hong Kong geblieben wären, wäre das hier nicht passiert!“ „Richard, es ist nicht deine Schuld! Hör auf damit. Niemand ist Schuld! Es war ein Unfall.“ Verzweifelt drückte er den jüngeren noch fester an sich, als könnte er ihn damit für immer im Leben halten. „Ich hätte es verhindern können! Du hast das nicht verdient!“ „Bitte halt mich einfach nur fest.“ Nach einer Weile hatten sie sich wieder einigermaßen gefangen. Deutlich war zu spüren, dass der Neko-Jin immer schwächer wurde. Und noch immer lag dieser Schwur zwischen ihnen im Raum. „Ich schwöre dir, dass ich Raymond beschützen werde. Ihm wird nichts geschehen.“ „Gut...“ Wie lange hatten sie so dort gesessen? Richard konnte es nicht sagen. Es wurde immer kälter. Der Regen hatte etwas nachgelassen, doch noch immer war das leise Prasseln zu hören. Er war völlig in Gedanken versunken, während er seinen Mann in seinen Armen wiegte. Alleine würde er ihn nicht sterben lassen. Plötzlich fing ihr Sohn anzuweinen. Er sah zu dem Kind hinunter, welches noch immer in Feis Armen lag. Vorsichtig hob er dessen Kopf an. Er war so kalt. Und so unnatürlich bleich. „Fei?“ Er reagierte nicht. Mit einem schrecklichen aufkeimenden Schmerz nahe bei seinem Herzen fühlte er den Puls am Hals. Dort war nichts. Kein Pochen. Keine Wärme. Der Violetthaarige war gegangen. Friedlich eingeschlafen. Verzweifelt hauchte er ihm einen Kuss auf die Stirn und entwand das Kind den kalten Armen. Vorsichtig ließ er den leblosen Körper in den Sitz sinken. Mit einem gequälten Aufstöhnen lehnte er sich an die Fahrertür, während er versuchte seinen Sohn zu beruhigen. Ein Blick auf seine linke Seite zeigte ihm, dass die Wunde nicht aufgehört hatte zu bluten. Er hätte den Plastiksplitter vielleicht nicht heraus ziehen sollen. Doch die Angst um Fei war so groß gewesen. Wenn er Ray doch nur beruhigen könnte. Aber der kleine schrie wie am Spieß. In einem letzen Versuch schob er dem Säugling seinen kleinen Finger in den Mund und sofort nuckelte dieser daran. „Du hast Hunger nicht wahr? Es tut mir so Leid, dass ich euch nicht beschützen konnte.“ Es war so kalt geworden. Zitternd drückte er das Kind an seine Brust, um es zu wärmen. Würden sie hier und heute alle das Zeitliche segnen? Er war so müde. Schluchzend hielt er das Baby umklammert. Es war so ungewiss, ob er seinen Schwur halten konnte. Ihm blieb doch selbst nicht mehr viel Zeit. Wann sich die Neko-Jins im Dorf wohl Sorgen machen und nach ihnen suchen würden? Die vordere Deckenbeleuchtung, welche schon die ganze Zeit gebrannt hatte, wurde von einer Sekunde auf die andere dunkler. Der Strom in der Autobatterie schien zur Neige zu gehen. Draußen war es stockdunkel. Kein Stern oder Mond war am Himmel zu erkennen. Er durfte nur nicht einschlafen. Egal wie spät es war. Oder wie erschöpft er sich fühlte. Wenn er einschlief, würde er nicht wieder aufwachen und was sollte dann aus seinem Sohn werden? Ihm durfte nichts geschehen. Niemals. „Seht mal! Da vorne ist etwas!“ Entfernt drangen Stimmen an sein Ohr. Hatte man sie gefunden? Seine Glieder waren so steif geworden. Und seine Sicht so verschwommen. Etwas leuchtete ihm ins Gesicht. Raymonds kleine Hände umfassten seine Finger. Hatte es aufgehört zu regnen? Alles schien mit einem Mal so unendlich weit entfernt zu sein. Mit einem klagenden Laut öffnete sich die Tür zu seiner Linken. Er hatte schon zuvor auf dem Sitz wieder ordentlich platzgenommen. Es war so einfach leichter gewesen. „Richard!“ Erschöpft blickte er zur Seite. Dort war nur ein unscharfes Gesicht mit einem schwarzen Haarschopf, doch wenn er nach der Stimme ging, so musste es sich um Feis Bruder handeln. Nun gab es nur noch eins für ihn zu tun. „Fei?!“ Entsetzt sah er zu seinem Bruder. Dessen Lippen waren beinahe schwarzverfärbt. Die Haut war bleich wie ein Leinentuch. Unter den Augen lagen dunkle Schatten. Sein Schwager schüttelte den Kopf. Mit dieser Gewissheit fiel es ihm schwer die Tränen zurück zu halten. Warum hatte dies geschehen müssen? Der Violetthaarige war doch noch so jung gewesen. Doch etwas störte ihm an diesem Bild. Etwas entscheidendes. „Wo ist das Baby?“ Wortlos wurde ihm das Bündel, welches Richard noch bis eben an sich gepresst hatte, in die Arme gedrückt. Er wurde am Kragen gepackt und der Verletzte zog sich an ihm hoch. „Chen, bitte kümmere dich um unseren Sohn. Zieh ihn auf, als wäre es dein eigener. Am besten du gibst ihn als dein Kind aus.“ „Richard, das kann ich nicht tun. Lass mich dir helfen und dann reden wir noch einmal darüber.“ „Chen, bitte... Versprich mir, dass du Raymond beschützen wirst. Wenn er sicher aufwachsen soll, darf niemand wissen, wer seine leiblichen Eltern waren.“ „Das kann ich nicht tun! Soll ich einfach weiterleben und so tun als ob es euch nie gegeben hätte?“ „Es ist das einfachste für alle. Bring ihn ins Dorf und sorge dafür, dass er Milch bekommt. Er muss schrecklichen Hunger haben. Versprich es... Für Fei...“ „Ja, ich verspreche es.“ Mit einem tiefen Seufzen ließ der andere sich in den Sitz fallen. Er wirkte so friedlich und entrückt. Besorgt beugte der Neko-Jin sich vor, um den Atem seines Schwagers zu überprüfen. Doch dort war nichts. Weder hörte er etwas, noch fühlte einen Lufthauch an seinem Ohr. Betrübt sah er auf den Säugling, welcher zu weinen begonnen hatten. Der kleine würde sich bei diesem schlechten Wetter noch den Tod holen. Er musste schnell in ein warmes und vor allem trockenes Haus gebracht werden. Vorsichtig begann er die Böschung hinauf zu steigen, wobei ihm die blicke der anderen Männer aus dem Dorf folgten. „Chen, es...“ „Ist schon gut. Bitte seid so freundlich und bringt sie ins Dorf. Ich muss mich um meinen Neffen kümmern.“ Nachdenklich betrachtete er die Lichter der Häuser, die in einigen Hundertmetern die Nacht erhellten. Was würde seine Frau sagen? Es stand außer Frage, dass sie den Waisen aufnehmen würden. Doch wie würde es sein, ein Kind im Haus zu haben? Würden sie ihrer Aufgabe gerecht werden? Er musste eine Frau aus dem Dorf finden, die das Baby stillen konnte. Wie sollte er dies von einem Tag auf den anderen bewältigen? Den Sohn seines Bruders großziehen... Zur Zeit stellte dies eine unüberwindbare Hürde für ihn dar. Doch es würde wohl mit der Zeit leichter werden. Ein wenig Entrückt starrte Ray vor sich hin. Es war eine solch tragische Geschichte. Wie aus einem Film. Doch es war geschehen. Sein Verlobter hatte einen Arm um seine Schultern gelegt, doch es vermochte ihn nicht zutrösten. Er konnte seinem Onkel nicht in die Augen sehen und dieser konnte es bei ihm genauso wenig, als er ein weiteres Mal ansetzte. „Zwar hat mir Richard damals das Versprechen abgerungen, dass wir dich adoptieren und nie ein Wort über deine wahren Eltern verlieren sollten, doch ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht. Ich wollte dir zumindest über einen deiner Väter die Wahrheit sagen und auch wenn ich dich bei Fei anlügen musste, war er trotzdem immer ein Teil deines Lebens, selbst unter einer falschen Fassade.“ „Aber wieso? Wieso habt ihr mir nicht einfach die Wahrheit gesagt?“ „Ich hatte versprochen, dich zu beschützen. Was denkst du wohl, was geschehen wäre, wenn ein Verwaltungsbeauftragter der Partei dich nach deinen Eltern gefragt hätte? Du hättest ihm, wie naive Kinder es nun einmal tun, die Wahrheit erzählt. Dann hätten sie dich mitgenommen und wer weiß was mit dir angestellt. Das hätte ich mir nie verzeihen können.“ Der jüngere Chinese wollte etwas kontern, doch er wusste nicht was. Sein Onkel hatte recht. Er hatte einmal gesehen, wie sie eine ganze Familie mitgenommen hatten, nachdem die Tochter nicht bei ihren Eltern versteckt und in Sicherheit geblieben war, sondern sich diesem fremden Mann genähert und ihm von ihrer Familie erzählt hatte. Wenn sie alle sechs Monate in die Dörfer kamen, fragten sie oft die Kinder nach ihren Eltern. Es war grausam. Doch man konnte sich nicht wehren. „Aber woher weißt du das alles? Du hast von dem Unfall berichtet, als ob du selbst in dem Auto gewesen wärst.“ Der ältere reichte ihm eine kleine Kassette. Sie war sehr alt und nicht beschriftet. „Fei konnte noch nie gut mit technischen Dingen umgehen. Er hat vergessen die Kamera auszuschalten und einfach die Schutzkappe auf das Objektiv gesetzt. Sie hat die ganze Zeit aufgenommen. Ich habe noch eine solche Kamera. Wenn du möchtest, kannst du dir das Band ansehen.“ Gedankenverloren drehte er das kleine schwarze Ding in den Händen. Irgendwann würde dieses Band abgespielt werden. Nur ob er jetzt schon dafür bereit war... „Vielleicht sehe ich es mir noch an, bevor wir wieder abreisen. Es wäre nett, wenn du die Kamera nachher vorbei bringen könntest.“ „Möchtest du noch über irgend etwas reden?“ „Nein, ich denke nicht.“ Betretenes Schweigen trat in den Raum. Alles war gesagt worden. Doch bis die gewohnte Vertrautheit und Harmonie zurückkehren würde, schien es noch ein langer Weg sein. Was tat man in Momenten, in denen Worte nicht mehr halfen? In denen die Welt so groß und ungerecht erschien. Können simple Gesten eine Verfehlung wieder gut machen, wenn sie nur von Herzen kommen? Chen legte seine Hand in die seines Neffen und drückte sie auf eine trostspendende Art und Weise, während er dem jüngeren in die traurigen Augen sah. „Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt. Gebt gut auf einander acht, ihr habt es verdient, eine Familie zu haben.“ „Grüß deine Frau und deine Kinder in Paris.“ „Das werde ich. Auf Wiedersehen.“ „Tschüss.“ Es war eine relativ kühle Verabschiedung für zwei Menschen, die einen großen Teil ihres Lebens miteinander verbracht hatten, und Chen Ji ging einfach zur Tür hinaus ohne sich noch einmal umzudrehen. Wozu auch? Man hatte alles gesagt und die Zeit würde zeigen, wie diese Situation in Erinnerung bleiben würde. „Wirst du ihm verzeihen?“ „Ich weiß es nicht.“ „Wieso?“ „Wieso redest du nicht mehr mit deinen Verwandten?“ „Touché.“ Der Chinese fuhr sich durch die Haare, bevor er das Album und die Kassette auf den Nachttisch legte. Ihm gingen viele Dinge durch den Kopf. Verwirrende und aufwühlende Dinge. Gedanken, die in keine klare Richtung gingen. Jedoch wusste er eines ganz sicher. Ehe sie abfuhren, würde er das Grab seines Vaters besuchen. Doch erst einmal würde er wohl das warme Bett hüten. Erschöpft ließ er sich in die Horizontale gleiten und zog sich die Decke über den Kopf. Dann schob er eine Hand unter der Decke hervor uns legte sie auf den Oberschenkel seines Verlobten. „Musst du nicht langsam los?“ „Wohin?“ „Du wolltest doch mit Zhou in die Stadt.“ „Nein, ich bleibe lieber hier bei dir.“ Erfolglos versuchte der Schwarzhaarige ihn vom Bett zu schubsen. „Du hast dich doch so darauf gefreut, also geh schon. Ich komme zurecht.“ „Das sagst du immer.“ Vorsichtig, um dem anderen nicht weh zu tun, legte sich der Russe auf die Konturen, die er durch die Decke erkannte. Ray zog sich die Decke vom Kopf. Gerade so, dass seine Augen heraus schauten. „Nun geh schon. Oder willst du mir etwa beim Schlafen zu sehen?“ „Ich lasse dich ungern allein.“ Der Graublauhaarige zog die Decke noch ein wenig weiter nach unten und küsste den kleineren. Dieser sah ihn genervt an und versteckte sich wieder vollends. Barsch schlug er dem älteren den Ellenbogen in den Bauch. „Verschwinde endlich und lass mich schlafen.“ Er hatte den ganzen Morgen verschlafen. Sich genüsslich räkelnd, sah er auf seine Armbanduhr. Es war viertel nach eins. Vermutlich hatte Mariah längst das Essen fertig. Einen Moment lang lauschte er, ob jemand auf dem Flur war, dann stand er, die Decke um sich geschlungen, auf. In der Küche hörte er Töpfe und Keramikteile klappern, welche in den Geschirrspüler gestellt wurden. Scheu streckte er den Kopf zur Tür herein und sah die Pinkhaarige über die Spüle gebeugt, wie sie einige Soßenreste in den Ausguss spülte. „Hallo.“ Sie fuhr herum und ließ scheppernd den Teller fallen. „Wieso bist du nicht im Bett?“ „Ich wollte sehen, wo du bist.“ „Das ist keine Entschuldigung. Dir wurde absolute Bettruhe verordnet, also sieh zu, dass du deinen Hintern wieder zwischen Deckbett und Matratze schwingst!“ Mahnend sah sie ihn an. Anscheinend war sie ernsthaft besorgt, doch er hasste es, wie ihn alle so mitleidig ansahen. Konnten sie nicht verstehen, dass er einfach nicht mehr daran denken wollte, was am Abend zuvor geschehen war? Demonstrativ setzte er sich an den Küchentisch. „Gab es schon Essen?“ „Ja, ich wollte dich nicht wecken und habe deshalb mit Rin alleine gegessen. Sie hält jetzt ihren Mittagsschlaf. Hast du Hunger?“ „Bedarf das einer Frage?“ Ein Lachen drang aus ihrer Kehle, während sie dem Schwarzhaarigen eine Schüssel mit Reis und einen Teller mit Hähnchenfleisch und Gemüse hinstellte. Sofort stürzte er sich darauf, während sie ihm nur lächelnd zu sah. Früher hatte sie alles getan, um mit den ausgeklügeltsten Leckereien seine Aufmerksamkeit zu erregen. Um zu zeigen, dass sie eine gute Ehefrau sein würde. Damals, als die Welt noch in Ordnung und sie einander versprochen waren. „Du hättest es mir ruhig erzählen können.“ „Ich weiß. Aber ich wollte den richtigen Zeitpunkt abwarten.“ „Lüg nicht. Du wärst wieder weggefahren, ohne mir etwas zu sagen. Wir sind uns wirklich fremd geworden...“ Seufzend legte er die Essstäbchen beiseite, stütze die Ellenbogen auf den Tisch und legte sein Kinn auf die gefalteten Hände. Dann richtete er einen durchdringenden Blick auf die ihm gegenübersitzende Frau. „Was willst du damit sagen?“ „Seit...“ Sie rang nach den richtigen Worten, jedoch schien er sie bereits falsch verstanden zu haben. „Seit was? Seit Kai mich dir weggenommen hat? Es war allein meine Entscheidung. Also hör auf ihn dafür verantwortlich zu machen, dass aus deinen Zukunftsplänen nichts geworden ist.“ „Nein, so meine ich das nicht. Seit du dich geoutet hast, hat sich etwas zwischen uns verändert. Auch wenn ich ihm lange Zeit die Schuld für alles gegeben habe, lag es nicht an Kai. Für dich war ich immer deine beste Freundin. Aber du warst für mich immer mehr als nur mein bester Freund. Du warst meine erste große Liebe. Schon seit Kindertagen. Und zu wissen, dass du schwul bist und meine Gefühle nicht einmal erwidern könntest, wenn du es wolltest, hat meine ganze Welt auf den Kopf gestellt. Von dort an schien alles nur noch schief zu laufen, was ich mit dir getan habe und wenn es nur ein einfaches Telefonat war. Wenn ich uns heute betrachte, habe ich das Gefühl, dich gar nicht mehr zu kennen. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll.“ „Warst du denn wirklich so sehr in mich verliebt? Oder war es nur eine Schwärmerei, in die du von den anderen hinein gedrängt wurdest. Wir waren als Kinder so naiv und haben alles geglaubt, was man uns gesagt hat.“ Traurig lehnte sie ihren Kopf auf einen Arm, während sie mit dem Zeigefinger der rechten Hand unsichtbare Muster auf die Tischplatte zeichnete. „Diese Frage stelle ich mir auch schon seit Jahren. Bis du damals weggegangen bist und irgendwann mit den Blade Breakers zurückkamst, habe ich alles, was mir die Dorfältesten sagt haben, als Tatsache hingenommen. Du warst zu einem so gutaussehenden Jungen geworden... Ich konnte gar nicht anders, als mich für dich zu interessieren.“ Er langte über den Tisch und hielt ihre Hand fest, die immerfort die unsichtbaren Zeichen gemalt hatte. Verlegen sah sie ihn an. Eine Entschuldigung für ihre Worte, lag bereits auf ihrer Zunge. Doch er schaute sie nur mit diesem vertrauten Blick an, der ihn immer so charmant wirken ließ. „Vielleicht waren diese Dinge, die du heute fremd an mir findest, schon immer da und du hast sie nur nicht bemerkt, oder sie vergessen. Als Kind denkt man doch nicht über so etwas nach. Man erinnert sich nur an die schönen Seiten. Außerdem sind wir doch gar nicht so verschieden. Du hast bei Titanic schließlich auch geheult.“ Kopfschüttelt lachte sie. Ja, diesen Film hatten sie sich zu zweit angesehen. Zum Glück für Ray. Denn dieser war beim Untergang des Schiffes so berührt gewesen, dass er vor lauter Tränen die Leinwand nicht mehr sehen konnte. Lee und die anderen hätten ihn sicherlich wochenlang damit aufgezogen. Und dann begriff sie. Sie hatte immer das Bild eines begehrten Jungenmannes im Kopf, wenn sie an ihn dachte. Allerdings war er dies gar nicht für sie. Er war mehr wie die beste Freundin, die jede Frau hatte. Mit der man schwatzen und tratschen konnte. Die einen für nichts auslachte, sondern einen dazu brachte, mit ihr zu lachen. Nun, wo ihr dies bewusst geworden war, würde es vielleicht wieder besser zwischen ihnen funktionieren. Wenn sie den Chinesen nicht mehr länger, als ihre verflossene Liebe, sondern einfach nur noch als ihren besten Freund sehen würde. Doch um dies ohne ein mulmiges Gefühl tun zu können, musste sie sich erst die Frage beantworten, die sie nun schon seit Jahren quälte. „Ja, vielleicht hast du recht. Ich werde noch einmal über deine Frage nachdenken und wenn ich die Antwort weiß, rufe ich dich sofort an, selbst wenn es mitten in der Nacht ist.“ Sie sahen sich in die Augen und lachten. Wie früher. Völlig unbeschwert und frei. Plötzlich klopfte es an der Tür, welche von der Küche nach draußen führte. Erstaunt stand Mariah auf und sah nach, wessen Schemen sich dort durch das Glasfenster in der Tür abzeichnete. „Xue! Schön dich zu sehen. Wie geht es dir?“ Sie umarmte den jungen Mann an der Tür, welcher den Gruß einwenig träge erwiderte. „Frag lieber nicht. Wo ist er? Das ganze Dorf redet schon über ihn.“ Erstaunt sah der Schwarzhaarige zur Tür. Xue... Ihn hatte er seit Jahren nicht gesehen. Und wie auch? Schließlich war es auch schon Jahre her, seit seinem letzten Besuch im Dorf. Ob der Lilahaarige seine intimen Bekanntschaften wohl immer noch öfter als seine Kleidung wechselte? Sie waren so unterschiedlich und trotzdem über mehreren Ecken miteinander verwandt. Wie genau wusste Ray selbst nicht. Aber die lilanen Haare der Jis, welche auch seinen Vater Fei ausgezeichnet hatten, bestätigten dies ganz klar. Doch als er den anderen nun wieder sah, fehlten ihm die Worte. Lächelnd kam dieser herüber und setzte sich an die Seite des Tisches, welche der Wand gegenüber lag. Ein listiger Blick ruhte nun auf ihm, da er so sprachlos war. Die Pinkhaarige kam nun ebenfalls zurück zum Tisch und reichte dem Gast ein Kissen, welcher es mit wehleidigem Blick entgegen nahm. „Danke. Mein Rücken bringt mich um.“ „Du solltest es mit einer Wärmflasche versuchen. Glaub mir, das hilft.“ „Bei mir nicht, davon wird es nur noch schlimmer.“ Seine Augen suchten wieder den Blick des älteren, welcher ihn immer noch anstarrte, als wäre er das neueste Weltwunder. „Was ist? Ist es denn so abwegig, mich in dieser Situation zusehen?“ Erschrocken fuhr er aus seiner Starre auf und wurde augenblicklich verlegen. „Nein. Es ist nur ungewöhnlich. Wann ist es soweit?“ „Oh, ich rechne jeden Tag damit. Den genauen Termin wollte ich nicht wissen.“ „Hast du noch Kontakt zum Vater?“ Der Lilahaarige lachte. „Natürlich. Wir sind seit vier Jahren verheiratet.“ Urplötzlich wusste er nicht mehr, was er sagen sollte. Das war einfach zu außergewöhnlich. Mariah grinste ihn an, während sie zum Kühlschrank ging, um etwas zum Naschen zu holen. „Erstaunlich, dass Xue als erster von uns geheiratet hat, nicht wahr?“ Er nickte nur. Ihm fehlten immer noch die Worte, während sein alter Freund, strahlend wie das pure Leben über seinen stark gewölbten Bauch streichelte und scheinbar nicht glücklicher werden konnte. „Im punkto Kinder warst du aber etwas schneller als ich.“ „Etwas schneller? Rin war bereits sechs Monate alt, als du mir erzählt hast, dass du schwanger bist.“ „Lass mir doch die Illusion.“ „Okay, jetzt habt ihr mich völlig fertig gemacht. Kann ich bitte endlich meinen Nachtisch haben?“ Besorgt sah die Pinkhaarige ihn an und stellte fest, wie blass er erneut war. „Du solltest dich lieber wieder hinlegen.“ „Und dann? Darüber nachdenken, was für ein Egoist ich bin?“ „Ach, das ist doch nicht wahr. Geh mit Xue ins Gästezimmer, leg dich wieder hin, ich komme gleich nach.“ „Dann muss ich ja wieder aufstehen. Ich bin doch gerade erst gekommen, warum tut ihr mir das an?“ Sie versetzte dem Lilahaarigen einen Stoß gegen die Schulter und sah ihn angesäuert an. „Jetzt geh schon.“ Missmutig legte der Schwarzhaarige sich die Decke seines Verlobten über die Beine, während der andere sich gerade sein eigenes Kissen in den Rücken stopfte und sich wohlig seufzend zurück lehnte. Er sah den jüngeren an und fühlte sich dabei so verletzt und missverstanden wie schon lange nicht mehr. „Du musst sehr glücklich sein.“ „Ja, dass bin ich. Zieh nicht so ein Gesicht.“ „Wieso sollte ich anders schauen? Erst Mariah, jetzt du und was wird wohl mit mir?“ Xue legte eine Hand auf seinen Oberschenkel und sah ihn eindringlich an. „Ich bin mir sicher, es wird alles gut. In unserer Familie gab es noch nie eine Veranlagung für Fehlgeburten. Wenn du fest daran glaubst und auf dich acht gibst, wirst du ein gesundes Baby bekommen. Versprichst du mir das?“ „Ja...“ „Gut. Und jetzt zu deinem Freund. Wie ist er so?“ „Naja, ich weiß nicht. Er bedeutet mir eine Menge, aber Mariah wird dir sicher schon von ihm erzählt haben.“ „Du musst ihn wirklich sehr lieben, wenn sie es nie geschafft hat euch auseinander zubringen.“ „Ja, er ist einfach... Ich kann es nicht beschreiben. Er ist anders als andere.“ „Zeigst du mir deinen Verlobungsring?“ Wortlos hielt der Schwarzhaarige ihm seine Hand hin und auf dem Gesicht des anderen erschien ein Lächeln, als er den Ring betrachtete. „Er steht dir. Einen Diamanten könnte ich mir bei dir auch nicht verstellen. Aber du solltest aufpassen. Wenn deine Finger später anschwellen, bekommst du ihn nicht mehr ab und dann muss er mit einer Kneifzange durchgekniffen werden. Trag ihn lieber an einer Kette um den Hals.“ „Das klingt so, als ob du aus Erfahrung sprechen würdest.“ „Ja, leider. Ich wollte meinen Verlobungsring unbedingt beim Geburtstag meiner Schwiegermutter tragen, allerdings war es nicht gerade ein Stimmungsmacher auf der Feier, als meine Schwägerin plötzlich kreischte, dass mein Finger blau anlief.“ Er lachte, während Xue einen Schmollmund zog und die Arme vor der Brust verschränkte. „Das ist nicht komisch. Der Ring ist ruiniert.“ „Tut mir leid, aber das klingt trotzdem ziemlich lustig.“ Die Tür öffnete sich und Mariah kam mit einer Packung Bananensplitt-Eis herein. Sie setzte sich zwischen die beiden an das Fußende des Bettes und reichte ihnen jeweils einen Löffel. „Na, habt ihr es euch auch gemütlich gemacht.“ „Natürlich.“ Der Lilahaarige spielte ungeduldig mit seinem Löffel, während er ihr dabei zu sah, wie sie mit der Verpackungsfolie kämpfte. Sein Nachbar wurde auch immer ungeduldiger, als sie wieder einmal mit ihren Fingernägeln abgerutscht war, schnappte er sich den Plastikbehälter und riss die Folie in zwei Schritten herunter. „Das kann doch nicht so schwer sein.“ Genüsslich tunkte er den Löffel in die cremige Köstlichkeit, doch kaum, dass er ihn zum Mund geführt hatte, wurde ihm die Packung aus der Hand gerissen. „Hey, gib mir auch was ab!“ Die Pinkhaarige duckte sich einwenig, als sie sah, wie die beiden sich böse Blicke zuwarfen, um zu entscheiden, wer das Eis halten und damit in der besseren Reichweite sein durfte. Das sie dabei auf der Strecke bleib und überhaupt nichts abbekam, schien die beiden Schwangeren nicht im mindesten zu stören. Dazu fielen ihr die Worte ihres Mannes ein: ‚Stell dich niemals zwischen eine Schwangere und ihre Gelüste.’ Doch wenn sie sich ihre Freunde so betrachtete, schien es ihr absurd, dass sie selbst auch so schlimm gewesen sein sollte. Die beiden führten sich auf wie Kleinkinder, die sich gleich wegen eines Bonbons schlagen würden. „Wenn ihr gleich anfangt euch an den Haaren zu ziehen, verschwinde ich. Ein Kleinkind reicht mir fürs erste in meinem Leben.“ Die beiden hielten inne und stellten die Packung zwischen sich auf das Bett. Peinlich berührt sahen sie sich an, bevor der Schwarzhaarige sich dazu durchrang etwas zu sagen. „Wie hast du eigentlich deinen Mann kennen gelernt?“ Xue lächelte und legte die linke Hand auf seinen Bauch, während er zu berichten begann. „Vielleicht erinnerst du dich noch an das letzte Mal, als wir zusammen in Lanzhou waren. In dieser Großraumdisco. Dort hat uns ein zwei Jahre älterer Mann ein paar Cocktails ausgegeben. Wir wissen ja alle, dass ich leicht zu haben war, also habe ich mit ihm geschlafen und bin dann einfach gegangen, ohne das wir den Namen des jeweils anderen wussten. Wir sind wieder nach Hause gefahren und ich habe nicht mehr darüber nachgedacht. Zwei Tage später bist du wieder nach Japan zurück geflogen. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen oder miteinander gesprochen, also hatte ich keine Gelegenheit dir zu erzählen, dass der Kerl eine Woche nach unserem Abend in der Disco plötzlich mit einem Strauß roter Rosen vor meiner Tür stand. Er hatte dich erkannt und deinen Lebenslauf gegooglet. Damit fand er unser Dorf und fragte sich zu meinem Haus durch, als er hier war. So etwas hatte noch nie ein Mann für mich getan. Keiner war so sehr an mir interessiert gewesen, dass er einen solchen Aufwand betrieb, nur um mich wiederzusehen. Er war besonders und das gefiel mir. Wir sind von da an gelegentlich miteinander ausgegangen, zwei Jahre später haben wir geheiratet und so kam eins zum anderen.“ „Und du warst ihm nicht ein einziges Mal untreu?“ „Natürlich nicht.“ Pikiert sah der Lilahaarige ihn an. Er war glücklich verheiratet, wozu sollte er da untreu sein? „Tut mir leid, aber so selbstverständlich ist das bei deiner Vergangenheit nicht. Was ist das eigentlich für ein Armband?“ Der jüngere blickte verwundert auf sein Handgelenk. Fragend hielt er es dem Schwarzhaarigen hin, welcher nickte und es weiterhin bestaunte. „Mein Mann hat es mir geschenkt, als ich ihm gesagt habe, dass ich schwanger bin. Es ist schön, nicht wahr?“ Lächelnd nahm der andere das ihm entgegen gestreckte Handgelenk, während seine Augen leuchteten, als er den schwarzlackierten verschlungenen Metallarmreif näher betrachtete. „Ich glaube, ich habe mich verliebt.“ Die drei lachten über diese Aussage. Mariah nahm indes die leere Eispackung und brachte sie in die Küche, als sie sich wieder gefangen hatte. So blieben sie allein zurück und plauderten über dies und jenes. „Hast du eigentlich gar keine Angst vor der Geburt?“ „Ich versuche nicht darüber nachzudenken. Und wenn du jetzt schon daran denkst, machst du dich nur verrückt und die Schwangerschaft wird zur Hölle. Also genieß es lieber, dass sich alle Leute um dich kümmern wollen.“ Unbehaglich zog er die Decke etwas höher und sah zur Tür. Die Holzmaserung war auf einmal unheimlich interessant geworden. „Es ist mit unangenehm, dass alle so besorgt um mich sind. Ich will das nicht ausnutzen.“ „Das solltest du aber unbedingt. Schwanger zu sein ist großartig. Ein Blick und du bekommst alles was du willst.“ Grinsend zupfte Xue an seinen Haaren und begann damit Zopfe in die lange schwarze Mähne zu flechten. „Du scheinst da ja überhaupt keine Skrupel zu haben.“ „Hör auf mich und lass dich verwöhnen. Die letzten Wochen sind eine einzige Quälerei. Dir tun der Rücken und die Füße weh, du siehst nicht mehr, ob du zwei gleichfarbige Socken an hast, manchmal kommst nicht allein aus dem Bett, du kannst nur noch kurze Strecken laufen... Soll ich weitermachen oder reicht dir das?“ „Bitte hör auf, du machst mir Angst. Wozu bekommt man überhaupt Kinder, wenn es so anstrengend ist?“ „Weil ein Kind ein solch Wunderbares Geschenk ist, dass es sich gegen alles andere aufwiegt.“ Die Pinkhaarige war zurück gekommen und strich ihm über die Wange, was ihm ein Lächeln entlockte. „Du wirst sehen. Zwar wirst du weinen, nörgeln und fluchen, aber im Endeffekt lohnt es sich alle mal.“ Er nickte und sah wieder zu Xue. Nach diesem niederschmetternden Ereignis, war er so deprimiert gewesen, doch nun fühlte er sich besser. Dank seiner Freunde. Es würde nichts helfen Trübsal zu blasen. Sie hatten recht, er musste an die schönen Seiten denken, nicht an die schlimmen, die er nicht ändern konnte. „Xue? Darf ich deinen Bauch anfassen?“ Verdutzt schaute der andere ihn an. Es kam äußerst selten vor, dass ihn jemand fragte, ob er ihn anfassen durfte. Die meisten taten es einfach. Oft war dies sehr lästig, aber man gewöhnte sich daran. „Ja. Wenn du möchtest.“ Zögerlich legte Ray seine Hand auf die starke Wölbung. Es war ein seltsames Gefühl. Man merkte auch durch den Stoff hindurch, wie straff die Haut gespannt war und dennoch war sie warm und weich. Der Lilahaarige nahm seine Hand und legte sie etwas höher. Zuerst verstand er nicht, was das bedeuten sollte, doch plötzlich spürte er eine heftige Bewegung unter der Haut. Vor Schreck zog er seine Hand zurück und starrte den anderen entsetzt an. „Was ist? Du musst mich doch nicht gleich ansehen wie ein Alien, nur weil es sich bewegt hat.“ „Entschuldige, ich... also... Ich habe das nur nicht erwartet.“ Listig schmunzelnd sah Xue der Frau in der Runde in die Augen, welche seinen Blick nur amüsiert erwiderte. „Er ist ja noch ganz grün hinter den Ohren. Richtig niedlich.“ „Hey!“ „Du brauchst gar nicht so empört zu tun. Du stellst dich wirklich ziemlich dämlich an.“ Mariah griff in sein Haar, nachdem sie dies gesagt hatte, nahm sie sich eine Strähne heraus und begann sie zu einem Zopf zu flechten. „Könnt ihr dass vielleicht lassen?!“ „Nein.“ Beide antworteten aus einem Munde und machten einfach weiter. Es war irgendwie sehr entspannend und die meterlangen schwarzen Haare fühlten sich wunderbar weich und seidig zwischen den Fingern an. Sie machten noch eine Weile so weiter, in welcher der ältere schmollte, bis mit einem Mal die Tür aufging und kurz darauf Zhou und Kai herein traten. Ersterer sah seine Frau verdattert an, bevor er sich zu einem kläglichen Ausruf zusammen nehmen konnte. „Was macht ihr denn da?!“ „Bitte rettet mich...“ Der Russe lachte, bevor er zum Bett hinüber ging, seinem Verlobten einen Kuss auf die Lippen drückte und sich auch eine von dessen ebenholzfarbenen Strähnen nahm. Mahnend sah er die beiden, welche bereits bei der Arbeit waren, an. „Aber wehe ihr macht ihm Dreadlocks, dann nehme ich ihn nicht mehr mit nach Hause.“ „Ist das eine Drohung oder eine Aufforderung?“ Er knuffte die Pinkhaarige in die Seite, um ihr zu verstehen zu geben, dass es sich bei seiner Aussage um eine Drohung und nichts anderes handelte. „Kai, du Verräter! Hört endlich auf damit, ich will das nicht!“ Rays Stimme war einwenig fipsig geworden, während er versuchte seine Haare vor seiner Brust an sich zu pressen, damit nicht noch mehr Zöpfe darin Platz fanden. Verzweifelt schaute er seinen Freund in die rubinroten Augen, doch dieser blickte ihn nur belustigt an. Währenddessen eroberte sich Xue die Strähne, an welcher er gerade gearbeitet hatte, zurück und rubbelte seinem alten Freund mit der linken Hand über den Rücken. „Entspann dich doch mal.“ Doch dieser lehnte sich nur schluchzend nach vorne und schlang die Arme um den Graublauhaarigen, welcher ihm beruhigend über den Kopf streichelte. „Wieso seid ihr so gemein zu mir?“ „Wir sind nicht gemein, du weißt nur nicht wohin mit deinen überschüssigen Hormonen.“ „Wer bist du überhaupt?“ Überrascht sah Xue auf und suchte den Blick des Mannes, den er bisher nur aus Zeitungen oder dem Fernsehen kannte. Er war wirklich attraktiv. In natura noch viel mehr, als in den Nachrichten. Hier wirkte er nicht so kalt und verschlossen, sondern ganz normal. Wie ein liebender und fürsorgender Ehemann und werdender Vater. Aber in dem Punkt waren wohl alle Männer gleich. Er dachte an seinen eigenen Mann, welcher zu Hause wartete und sich sicherlich schon Sorgen um ihn machte. Auf einmal hatte er eine unglaubliche Sehnsucht nach ihm. Es wurde wohl allmählich Zeit zu gehen. „Mein Name ist Xue. Ich bin ein alter Freund von Ray, habe es aber nie wirklich geschafft von hier wegzukommen. Und ich fürchte, ich werde jetzt leider gehen müssen.“ „Wieso? Stört dich meine Anwesenheit?“ „Nein. Ich möchte einfach nur nach Hause zu meinem Mann. Er sitzt bestimmt schon am Fenster und hält Ausschau.“ Entschuldigend lächelnd reichte der Lilahaarige dem anderen die Hand, welcher sie zum Abschied schüttelte. Dann schwang er die Beine aus dem Bett, woraufhin er von Mariah etwas bestürzt angesehen wurde. „Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen!“ „Doch, siehst du doch.“ „Mariah, du kannst ihn nicht zwingen hier zu bleiben. Ich bringe dich noch zur Tür, Xue.“ Er stand auf und folgte Zhou, welcher den Raum bereits wieder verlassen hatte. Doch in der Tür wurde er noch einmal zurück gehalten. „Versprichst du, dass du uns irgendwann einmal mit deiner Familie in Japan besuchen kommst?“ „Ray, ich weiß nicht...“ „Ich werde dich zur Hochzeit einladen, also stell dich lieber schon einmal darauf ein.“ „Jaja, schon gut.“ Der Schwarzhaarige strahlte über das ganze Gesicht und wank ihm zu. „Es wird dir bestimmt gefallen.“ „Das will ich auch für dich hoffen, denn mich mit einem Baby in ein Flugzeug zu setzen steht nicht gerade auf meiner ‚To do’-Liste.“ „Also... Lass dich nicht unterkriegen. Wir sehen uns spätestens nächstes Jahr.“ „Ja, du auch. Sieh einfach immer nach vorne, egal was das Leben bringt.“ Damit ging er. Oder watschelte. Oder was auch immer... Kai zog den kleineren auf seinen Schoß, schlang die Arme um ihn und wiegte ihn ein wenig, während sein Kopf auf dessen Schulter ruhte. „Jetzt habe ich mich gar nicht bei ihm bedankt.“ „Wofür?“ „Dass er dich wieder zum Lächeln gebracht hat. Du hast seit Tagen nicht mehr so fröhlich ausgesehen. Dieser ganze Nachmittag war von dir so geplant nicht wahr?“ Misstrauisch sah er Mariah an, welche nur aufstand und unschuldig aus dem Fenster schaute. Libellen flogen um den Gartenteich, die Sonne strahlte und Mushu räkelte sich faul auf den aufgeheizten Steinen, die das Wasser einrahmten. „Vielleicht...“ „Du, Mariah? Meinst du, dass du hier irgendwo eine Schachtel Nougat-Parlinen auftreiben kannst?“ Sie drehte sich um. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt am Fensterbrett lehnend. Einen Moment musterte sie den Schwarzhaarigen. Ray bat nie um etwas. Er war schon immer ein sehr pflegeleichter Gast gewesen. Es lag mehr in seiner Natur Hilfe anzubieten, anstatt um sie zu bitten. Sie fragte sich, was Xue ihm wohl erzählt hatte, um diese Veränderung, die sie keinesfalls als negativ empfand, hervorzurufen. „Ich werde nach sehen. Aber versprechen kann ich es nicht. Doch wenn Monsieur Pralinen will, soll Monsieur sie auch bekommen.“ «Danke. Ich glaube, Kai wollte eben auch ‚Danke’ sagen.» «Natürlich wollte er das, aber er würde es nie zu geben, dass ich etwas richtig gemacht habe. Der sture alte Esel.» «Ja, da hast du Recht.» Sie lachten und ernteten nur unverständliche Blicke des anderen. Die Pinkhaarige ging gleich darauf, um in ihrer Vorratskammer nach einer Pralinenschachtel zu suchen, doch da die Tür einen Spalt offen geblieben war, konnte sie deutlich das Gespräch im Gästezimmer hören. „Was habt ihr besprochen? Ging es etwa um mich?“ „Nein.“ „Lüg mich nicht an, ich habe meinen Namen gehört.“ „Es gibt viele chinesische Worte, die genauso oder so ähnlich wie dein Name klingen.“ „Ich weiß, dass ihr über mich gesprochen habt. Also erzähl mir, was sie gesagt hat.“ „Tut mir leid. Das ist eine Privatsache zwischen mir und Mariah.“ „Das kann doch jetzt nicht dein Ernst sein.“ „Doch ist es und jetzt rutsch rüber, ich falle gleich aus dem Bett.“ Es war ihr unmöglich, ein Kichern zu unterdrücken. Die beiden waren einfach zu komisch. Zweifellos bildeten sie ein vollkommene Einheit und sie würde nie wieder versuchen sich zwischen das Paar zu drängen. Sie hatte auch gar keinen Grund mehr dazu. Die Dinge einfach laufen zu lassen, würde von nun an ihre Devise lauten. Und niemals würde sie jemanden erzählen, über was sie mit dem Schwarzhaarigen geredet hatte. Den Russen so herum rätseln zu sehen war viel interessanter. Und rätseln würde er noch eine ganze Weile. Denn Kai sollte nie erfahren, was die beiden zu einander gesagt hatten. Das wars dann auch schon wieder. Es hat mir ungemein viel Spaß gemacht die Geschichte von Fei und Richard zu erzählen und deshalb war dieser Teil auch schon zwei Tage nachdem ich das letzte Kapitel hochgeladen hatte fertig. Mit dem Rest des Kapitels habe ich mich leider etwas schwer getan, weil ich schon seit Monaten mit den Gedanken immer bei meiner Bewerbung auf einen Studienpltz bin. Und ich warte jetzt schon seit vier Wochen auf eine Zusage und es ist noch keine Ende in Sicht. u.u' Nja, genug gejammert, ich freue mich wie üblich über Kommentare und bedanke mich schon einmal im voraus bei allen Kommischreibern. Das nächste Mal lesen wir uns dann mit neuem Nick. MfG Yami PS: Mich interessieren brennend eure Spekulationen darüber, was ich noch mit Xue vorhabe, mal schaun ob jemand darauf kommt. :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)