Himmel und Erde von matvo (Schatten und Licht, Interlude 1) ================================================================================ Prolog: Sturm auf Palas ----------------------- Andächtig lauschte Siri dem Zirpkonzert der Grillen, während sie im Schutz der Dunkelheit von einer sich gerade entfaltenden Baumkrone aus ein Tor der Stadt Palas beobachtete. Im Fackellicht der Wachen sah sie, wie diese einen Händler überprüften und dessen Fracht filzten. Dabei machten sie sich nicht einmal die Mühe, die Kisten und Körbe zu öffnen, sondern stachen einfach mit ihren Schwertern in die Behälter hinein. Hinter ihr raschelten die jungen Blätter, doch sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Ryu hinter ihr hockte. „Es ist an jedem Tor das Gleiche, Herrin. Alle Eingänge werden auf das Schärfste überwacht.“, berichtete er. „Konntest du feststellen, nach wem sie suchen?“, erkundigte sich Siri scheinbar gelassen. „Nein, Herrin.“ Wie könnte er auch, wenn du ihm nicht beibringst unauffällig Informationen zu sammeln, tadelte sie sich. Doch sie brauchte keine Bestätigung von ihrem Schüler um zu wissen, dass sie selbst der Grund für die hohen Sicherheitsmaßnahmen war. Die ungläubigen und spöttischen Blicke der Wachen, die sie immer wieder auf die Steckbriefe warfen, sagten alles. Es kam wohl nicht alle Tage vor, dass ein Mädchen gesucht wurde, noch dazu lieber tot als lebendig. Jemand musste der Stadtwache einen Tipp gegeben haben, schloss Siri. Egal, was sie getan hatte, es war sicherlich nicht genug um solche Maßnahmen über einen längeren Zeitraum hinweg tragbar zu machen. Und es gab nur eine Person, die wusste, dass sie heute Nacht versuchen würde in die Stadt zu gelangen. Zufällig war es auch die gleiche Person, die ihr befohlen hatte, den Versuch in dieser Nacht zu wagen. „Was ist mit den Wasserwegen?“, hakte sie nach. „Die sind durch Gitter versperrt.“, sagte Ryu. Erst befahl er ihr ihn zu treffen, und dann schickte er Wachen, genau dies zu verhindern. Was ihr Meister wohl damit bezweckte? War das alles nur ein Test? „Das wird kein Problem sein.“, beschloss Siri. „Bring mich zu einem der Zuflüsse!“ „Bitte folgt mir!“, forderte er sie auf. Gleichzeitig ließen sie sich von dem Ast fallen und landeten lautlos auf den feuchten Waldboden. Von dort an sprintete sie durch das Gestrüpp, bis sie an einem Bach kamen, der in einem Rohr endete. Aus ihrer Ausbildung wusste Siri, dass diese Rohre die Schwachpunkte von Palas waren. Als Hitomi von der Katzenfrau entführt worden war, waren beide erst aus Palas geflüchtet, ehe sie durch ein solches Rohr nahe dem Hafen wieder in die Stadt gekommen waren. Damals waren diese Rohre nur durch ein dünnes Drahtgitter, welches die Entführerin mit Hilfe Krallen aufgeschnitten hatte. Jetzt versperrte ein Geflecht aus dickem Stahl den Weg, das zwar nicht so fein gegliedert, dafür aber viel dicker waren. Einen Moment lang überlegte Siri, ob sie die Stäbe irgendwie durchtrennen könnte, gab den Gedanken aber auf. Stattdessen kam ihr eine andere Idee. Die Stangen waren fest im Mauerwerk verankert, doch wenn sie und Ryu gemeinsam ziehen würden, könnten sie es schaffen, das Gitter heraus zu brechen. Wer auch immer den Schaden finden würde, müsste dann von einer großen, gut ausgerüsteten Truppe aus Soldaten als Eindringling ausgehen. Wenn die Wachen mit falschen Vorraussetzungen die Suche starten würden, hätten sie und Ryu es leichter sich zu verstecken. Selbst wenn man sie beide erwischen würde, könnten sie durch ihre vermeintlichen Verbündeten in der Stadt die Verhörspezialisten an der Nase herumführen. „Hilf mir!“, befahl Siri und packte die Stangen mit beiden Händen. Ryu stutzte, half ihr dann aber doch. Erst nach ein paar Sekunden begann die Mauer um das Gitter herum zu bröckeln. „Weiter!“, feuerte sie ihren Schüler an. Schließlich gaben die Mauersteine nach und das Stahlgitter flog ihnen mit einem großen Krachen entgegen. „Verdammt!“, presste sie hervor und kroch unter dem schweren Stahl hervor. Ryu kam eine Sekunde vor ihr auf die Beine. So schnell, wie sie nur konnten, sprinteten sie in geduckter Haltung den Bach entlang. Jedes Mal, wenn einer ihrer Füße auf die Wasseroberfläche traf, hallte ein lautes Plätschern durch die Röhre, weswegen Siri noch einmal fluchte. Innerlich atmete sie dann aber wieder erleichtert auf, als beide das Ende des Rohrs erreichten und sie noch immer niemanden in näherer Umgebung spüren konnte. „Spring!“, wies sie ihren Schüler und stieß sich vom Rand des kleinen Wasserfalls ab, der sich in einem der großen Kanäle ergoss, die das Stadtbild prägten. Zielsicher landete sie auf dem Geländer der gegenüberliegenden Kanalseite. Danach sprinteten sie in kleine Gasse und sprangen zwischen den angrenzenden Häuserwänden hin und her, bis sie auf dem Dach eines der Häuser zum Stehen kamen. Sofort warf sich Siri flach auf den Boden, während sich ihre Finger in die Ziegel gruben, damit sie nicht rutschte. Ryu lag nur ein Meter neben ihr. Einen Moment lang herrschte eine unheimliche Stille, ehe sie von unten lautes Geschrei und das Stampfen vieler Stiefel hören konnten. Eigentlich sollten sie oberhalb ihrer Häscher sicher sein, doch ein schwaches Kribbeln in Siris Kopf sagte ihr, dass es nicht so war. Vorsichtig drehte sie ihren Kopf hin und her, bis sie schließlich ein Leuchten über den Dächern Palas entdeckte, welches schnell näher kam. „Ein Guymelef!“, flüsterte sie. So schnell und so leise, wie sie konnte, packte Ryus Hand und stand auf. Was folgte, war ein Hindernislauf über die Häuser von Palas. Ohne auch nur einen Augenblick langsamer zu werden, sprang Siri, gefolgt von Ryu, über schmale Gassen hinweg und rannten Dächer rauf und runter. Doch so sehr sich beide auch bemühten, der Guymelef war schneller. Zielsicher flog dieser auf die beiden zu, bis das Kribbeln in Siris Kopf zu einem lauten Schrillen wurde, sie ihre Laufrichtung um neunzig Grad änderte und Ryu dabei mitzog. Hinter ihnen rissen die Projektile des Guymelefs das Dach auf, auf dem sie sich eben noch befunden hatten. Die Todesschreie der Bewohner stachen in ihre Gedanken wie ein Messer. Schlitternd kam sie zum Stehen und beobachtete angespannt, wie der Guymelef wendete und zu einem weiteren Anflug ansetzte. „Räuberleiter!“, befahl Siri, woraufhin Ryu ihr seine beiden ineinander gefalteten Hände anbot. Kraftvoll schleuderte er sie ein dutzend Meter weit in den Himmel. Der inzwischen wieder heranrasende Guymelef musste das Bild der in der Luft schwebenden Siri wie eine Herausforderung zum Turntaubenschießen auffassen und visierte sie an. Das Design des Guymelefs entsprach größtenteils dem der Zaibacher und hatte dementsprechend eine Kamera an Stelle eines Visiers. Für jeden Menschen wäre dieser Wurf ein unmöglicher gewesen, doch Siris geschärften Augen machten das nur ein paar Zentimeter breite Panzerglas auch aus hunderten Metern Entfernung sofort aus. Während das Feuer des Guymelefs knapp an ihr vorbeischrammte, zog sie ihr Schwert und schleuderte es mit aller Kraft und maximaler Präzision auf die Flugmaschine zu. Die mit einem Diamanten besetzte Spitze der Klinge schnitt durch die Panzerung und durchtrennte die physische Verbindung zwischen Pilot und Kamera. Siri wurde längst wieder von der Schwerkraft zurückgezogen, als der blinde Guymelef über sie hinweg segelte. Der Pilot konnte seine Maschine nicht mehr beherrschen und mähte beim Aufschlag eine ganze Häuserreihe nieder. Geschockt starrte Siri auf die Absturzstelle und sah zu, wie die erhitzten Energiesteine das Gebälk um sich herum in Brand steckten. Mit Tränen in den Augen beobachtete sie, wie wenige Überlebende sich in Sicherheit brachten und die Flammen nach weiteren Häusern leckten. Plötzlich fühlte sie, wie sich das Rad der Zeit rückwärts drehte und sie vor dem brennenden Farnelia stand. Wieder wollte sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, weggetragen zu werden. Ohne ihren Vater wollte sie nicht gehen. Doch niemand versuchte sie wegzuzehren. Keiner brachte sie in Sicherheit. In Gedanken rief Siri nach ihren Eltern verfluchte ihren Meister mit aller Inbrunst für die Rolle, die er ihr aufgelegt hatte. Beinahe sehnsüchtig wartete sie auf den Schmerz, der sie für ihren Widerwillen strafen sollte. Doch er kam nicht. Nur eine kalte, dumpfe Leere breitete sich langsam und unaufhaltsam in ihrem Innern aus. Von allem scheinbar unberührt trat Ryu von hinten an sie heran und machte so deutlich, dass er auf weitere Befehle wartete. „Das Feuer wird uns Deckung geben.“, sagte sie leise. „Wir gehen.“ Den Tumult durch das Feuer und die Dunkelheit der engen Gassen ausnutzend gelang es dem Duo schließlich zum Gebäude zu kommen, in dem das Treffen stattfinden sollte. Eines der Kellerfenster war wie versprochen offen, durch das sie schnell und lautlos von der Straße verschwanden. Der Raum, in denen sie eingestiegen waren, beherbergte zwei Personen. Siri erkannte ihren Meister sofort, auch wenn dieser einfache Arbeiterkleidung an Stelle eines aristokratischen Gewandes trug. Er saß an einem Tisch, auf dem sich ein Glas Wein und mehrere Stapel Papier befanden. Die andere Person bewachte einzige die Tür, die aus dem Zimmer führte. Es war ein Mädchen, welches wie eine Magd gekleidet war, doch eine rasche Überprüfung ihrer Gedanken zeigte nur Dunkelheit, woraus Siri schloss, dass es sich bei ihr ebenfalls um Gezeichnete handelte. Für einen Augenblick fragte sich Siri, ob dieses Mädchen eine Wahl gehabt hatte. Wohl eher nicht. „Bist du für das Chaos da draußen verantwortlich?“, fragte Trias ohne irgendwelche Begrüßungsfloskeln. „Ja, Meister.“, antwortete Sir ohne zu zögern. Es hätte eh keinen Sinn gehabt zu lügen. „Nächstes Mal solltest du etwas leiser sein.“, riet er ihr streng. „Ist das der Junge, den du rekrutiert hast?“ „Ja, Meister.“ „Gib ihm saubere Kleidung, Ausrüstung und ein Zimmer!“, befahl Trias dem Mädchen an der Tür. Daraufhin forderte das Mädchen Ryu mit Geste auf ihr zu folgen, doch er setzte sich erst in Bewegung, nachdem Siri ihm zugenickt hatte. Als sie und ihr Meister alleine waren, fing er an sie zu instruieren. „Dein nächster Auftrag ist Allen Shezar. Hier in Palas stört er nur. Du sollst ihn mir vom Hals halten.“, informiert er sie. „Soll ich ihn töten?“, fragte Siri so ruhig wie möglich. „Nein, noch nicht. Erst wenn er ein weiteres Mal zum Verräter geworden ist und für vogelfrei erklärt wird, können wir uns endgültig seiner annehmen.“ Trias lächelte. „Dann wird es deine Aufgabe sein ihn zu töten. Dies wird der Beweis deiner Treue sein. Erst wenn du ihn erledigst hast, darfst du zu mir zurückkehren.“ Er nippte an seinem Wein und fuhr fort. „In der Zwischenzeit solltest du eine Spur auslegen, der er folgen kann. Auf seiner Reise sollte er immer etwas zu tun haben. Es darf ihm nie langweilig werden. Deine Spur soll schließlich nach Chuzario führen. Ich will, dass er dort etwas sieht. Er soll aber erst dort ankommen, wenn ich es sage. Bis dahin darf er dieses Land nicht betreten. Hier hast du eine Liste sämtlicher Kontakte zwischen hier und Chuzario. Bis übermorgen Früh lernst du sie auswendig. Dann brichst du mit deinem Schüler auf. Noch Fragen?“ Siri nahm die Liste entgegen und schüttelte mit dem Kopf, da sie wusste, dass sie mit knappen Anweisungen später mehr Freiraum haben würde. „Dein Zimmer ist den Gang runter das zweite auf der rechten Seite. Ich lasse dir Essen bringen. Bis Übermorgen liegen die Liste und ein Bericht über die Vorkommnisse im Tempel der Fortuna auf meinem Tisch. Dein Schwert werde ich dir nicht ersetzen. Morgen hast du genug Zeit, es dir wiederzubeschaffen. Du kannst jetzt gehen.“ Mit gemischten Gefühlen trat Siri in den Gang. Einerseits durfte sie das Vergnügen haben, sich in Zukunft in Allens Nähe aufzuhalten. Andererseits wusste sie, dass sie einen zum Tode verurteilten Ritter beobachten wird, den zu richten ihre Aufgabe war. Auch wenn ihrem Verstand klar war, dass sie alles andere als glücklich darüber sein sollte, frohlockte ihr Herz angesichts der Vorstellung wieder bei ihm zu sein. Vielleicht war es ja der Gedanke, dass sie beide gemeinsam sterben würden, der ihr Herz höher springen lies. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)