Himmel und Erde von matvo (Schatten und Licht, Interlude 1) ================================================================================ Kapitel 7: Leben oder leben lassen ---------------------------------- Mit Allens Schwert in der Hand und nur mit einem schlichten Nachthemd bekleidet, über dem sie ihr Wurfmessermagazin trug, torkelte Merle aus dem Trümmerhaufen hinaus, der einmal eine gut gesicherte Herberge gewesen war. Eine dicke Staubwolke umgab die eingestürzte Ruine. Die winzigen, von der heißen Luft aufgewirbelten Körner legten sich auf sie wie Schleier, der ihren ganzen Körper bedeckte. Bei jedem Schritt, den sie machte, entzündete sich der Schmerz in ihrem rechten Fußgelenk von neuem und brannte nur langsam aus. Schließlich schaffte sie es dem undurchdringlichen Nebel zu entkommen, doch der Gestank von verbranntem Fleisch blieb. Sobald sie wieder Erde und keine Trümmer mehr unter ihren Füßen hatte, versagten ihre Knie. Sie knickte ein, fing sich gerade noch mit ihrer freien Hand ab und erbrach. Nachdem sie ihren gesamten Mageninhalt ausgeleert hatte, schaffte sie es gerade noch so, sich zur Seite zu Rollen, ehe sämtliche Glieder ihren Dienst aufgaben und sie auf ihrem Rücken liegen blieb. Ohne, dass sie es wollte, fielen langsam ihre Augen zu…bis ein mentaler Kontakt sie wieder aufriss. Auf einmal konnte sie Allen wieder spüren. Wenn ihre Sinne sie nicht täuschten, befand er sich weniger als zwanzig Meter von ihr entfernt am Waldrand. Merle mobilisierte ihre letzten Kraftreserven, um wieder aufstehen zu können. Zu allem entschlossen lief sie dem Wald entgegen. Schon nach ein paar Metern erkannte sie im Schatten der Bäume zwei Personen. Während sich ihre Augen immer mehr an die Dunkelheit gewöhnten und deren Lichtempfindlichkeit sich immer weiter steigerte, erkannte sie Allen. Er lag mit dem Gesicht auf dem Boden. Seine Hände waren über seinem Rücken aneinander gefesselt. Höhnisch grinsend stand der Gezeichnete, dem sie letzte Nacht begegnet waren, mit einem Fuß auf seinem Rücken und sah ihr zu, wie sie immer näher kam. „Bis dort hin und nicht weiter!“, rief er ihr zu und holte ein Dolch raus, den er locker zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt über Allens Hals hängen ließ. „Oder dein Gefährte stirbt!“ Im Schatten der ersten Baumkronen kam sie zum Stehen und fauchte den Gezeichneten an. „Lass ihn gehen oder du bekommst meine Krallen zu spüren!“, drohte sie ihm. „Niedlich! Er schein dir ja sehr viel zu bedeuten, ansonsten hättest nicht solange nach ihm gesucht.“, vermutete er. „War es seine Idee, dass du deine Gedanken wieder öffnest oder hast du diesen Fehler selbst gemacht?“ Merle erschrak. Das hatte sie ganz vergessen. Der Gezeichnete musste sämtliche Bewegungen von ihr mitbekommen und seine Mutanten dem entsprechend koordiniert haben. Sogar die Echos ihrer Gefühle hatte er gespürt. Doch ehe sie die Mauern um ihre Aura wieder aufbauen konnte, stach ihr die rhythmische Bewegung von Allens rechter Hand ins Auge. Sie ließ ihren Geist offen und kaschierte die aufkommende Hoffnung mit künstlicher Wut. „Loslassen!“ „Ich frage mich, wie viel er dir wirklich bedeutet? Ist er dir wichtiger als dein eigenes Leben?“ Kurz nach dem der Gezeichnete dies gesagte hatte, erschienen vier neue Kontakte in ihrem Bewusstsein. Verdutzt stellte sie fest, dass es Mutanten waren und diese sich direkt über ihr in den Ästen befanden. Wie hatte sie die bisher nicht wahrnehmen können. „Überrascht? Du kannst nur so viel spüren, wie ich zulasse.“, erklärte der Gezeichnete schaden froh. „Sie werden dich gleich angreifen. Gleichzeitig werde ich den Dolch hier fallen lassen. Wenn du Allen Shezar hilfst, bist du für meine Lieblinge ein leichtes Ziel. Wenn du dich aber wehrst, wird er sterben. Für welches Leben entscheidest du dich?“ Bevor Merle auch nur realisiert hatte, vor welcher Wahl sie gestellt wurde, schränkte Allen diese weiter ein. Plötzlich von seinen Fesseln befreit, rammte er einen kleinen Dolch in das Bein des Gezeichneten, das ihn gefangen hielt. Der Mann schrie auf und lies dabei seinen Dolch los. Gerade rechtzeitig schaffte es Allen sich wegzurollen. Merle indes hatte eigene Probleme. Die Mutanten stürzten sich kreischend auf sie. Im vollem Vertrauen darauf, dass ihre Gefährte sich nun selbst helfen konnte, zerteilte sie mit dessen Schwert den ersten noch in der Luft. Während Allen aufstand, erschien wie von Zauberhand ein zweiter Dolch in seiner linken Hand. Grimmig stellte er sich dem Gezeichneten. „Mir ist egal, was dieses Gör gesagt hat. Ich werde dein Tod sein.“, schrie dieser, zog sein Schwert und bewegte selbstsicher auf den mitgenommen Ritter zu. Doch bevor er ihn erreichen konnte, stockte er und fiel leblos zu Boden. Als Allen verwundert näher trat, bemerkte er das Wurfmesser im Nacken seines Gegners. Erstaunt sah er zu Merle auf, die sich kaum auf ihren Beinen halten konnte. Um sie herum lagen vier Leichen und ein Messer fehlte in ihrem Magazin. „Der redest zu viel.“, sagte sie grinsend und sackte dann zu Boden. Gerade rechtzeitig fing Allen sie auf und hielt sie in seinen Armen. Sein Gesicht war ihrem sehr nahe, doch ehe Merle auch nur daran denken konnte zu erröten, schlossen sich ihre Augen. Desinteressiert, aber wachsam folgte Ryu dem Geschehen von einer Baumkrone aus. Als der Ritter des Himmels das Katzenmädchen voller Sorge aufhob und wegbrachte, konnte er jedoch nicht anders und musterte das Gesicht seiner Herrin, die neben ihm hockte. Noch nie zuvor hatte er sie so wütend erlebt. Als Merle wieder zur Bewusstsein kam, strich etwas Feuchtes sanft über ihre Wange. Verwundert öffnete sie ihre Augen und sah Allen direkt ins Gesicht, der mit einem nassen Tuch den Schmutz von ihrem Fell wischte. „Ah, du bist wach.“, sagte dieser und trat einen Schritt zurück. Sie brauchte einen Augenblick um feststellen, dass sie gegen einen Baumstamm gelehnt am Ufer eines Baches saß. Ein Blick nach oben verriet ihr, dass es bereits hell war. „Wie lange war ich weggetreten?“, fragte sie mit schwacher Stimme. „Nur ein paar Stunden. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen.“, beruhigte er sie. Dann schwiegen beide. Merles blick blieb am Boden haften und Allen betrachtete mit Sorge ihr ernstes Gesicht. „Falls du reden willst…“, bot er ihr an. „Worüber denn?“, fuhr Merle ihn an und sah wütend auf. „Darüber, dass ich kreuz und quer durch die Herberge gelaufen bin und mein Leben riskiert habe, nur um dich zu suchen? Darüber, dass ich aus Hass und Verzweiflung dutzende Menschen umgebracht habe? Darüber, dass alle anderen tot, wir beide aber am Leben sind? Darüber willst du mit mir reden?“ Sie brach in Tränen aus und vergrub ihr Gesicht zwischen ihre Knie. „Nein, ich will nicht. Ich will alles nur vergessen.“ Da begann Allen zu verstehen, dass für sie die Zeit der Worte noch nicht gekommen war. Und wenn Worte nicht halfen… Langsam ging er auf Merle zu und setzte sich neben sie. Behutsam legte er einen Arm über ihre Schulter. Er wusste, dass er großes Risiko einging. Wenn ihr Stolz über ihre Sehnsucht nach Geborgenheit siegt…würde sie wohl bald die einzige Überlebende sein. Einen Augenblick lang widerstand sie dem sanften Druck seiner Hand, fügte sich dann aber und lehnte sich gegen seine Schulter. Sie weinte nun ohne Zurückhaltung. Nach fünf Minuten waren ihre Tränen schließlich versiegt und sie löste sich von seiner Umarmung. Etwas verlegen rutschte sie eine Handlänge von ihm weg. „Was haben wir noch an Ausrüstung und Verpflegung?“, erkundigte sie sich betont sachlich. „Nichts, außer mein Schwert, deine Wurfmesser und die Kleidung, die wir tragen.“, informierte Allen sie. „Damit werden wir wohl kaum bis zur nächsten Herberge kommen.“, meinte Merle. „Nun, mehr haben wir nicht.“, sagte er nüchtern. Seufzend nahm sie dies zu Kenntnis und prüfte daraufhin ihr Wurfmessermagazin. „Hey, ein Messer fehlt.“, stellte sie erschrocken fest. „Wo ist es?“ „Ich nehme an, noch immer im Nacken des Gezeichneten.“ „Was? Du hast es nicht mitgenommen?“, fragte sie. „Nein. Ich hatte andere Sorgen.“, verteidigte Allen sich. „Idiot!“ „Was ist so schlimm daran?“ „Die Messer, die ich benutze, werden nur in Farnelia hergestellt. Was glaubst du wohl wird passieren, wenn man es findet? Wen wird man die Zerstörung der Herberge anhängen? Einen toten Bauerntölpel oder einer Geheindienstagentin, die so blöd war und Beweise hinterlassen hat?“ Allen blieb ihr eine Antwort schuldig. Stattdessen Knöpfte er sein Hemd auf und hielt es ihr hin. „Es soll nicht gleich jeder sehen, dass du bewaffnet bist.“, erklärte er. So gelassen wie möglich nahm Merle sein Hemd entgegen, jedoch konnte sie sich einen Blick auf seinen nackten Oberkörper nicht verkneifen. Ebenfalls fielen ihr die beiden Unterarmhalfter ins Auge, die er trug. Jeder von ihnen beherbergte einen Dolch. So hatte er sich also befreien können, schlussfolgerte sie. „Gehen wir?“, erkundigte er sich. „Ja.“, bekräftige Merle und sprintete los. Nach wenigen Minuten waren sie bereits wieder bei der Herberge angekommen. „Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis man die Ruine betreten kann.“, merkte er mit einem Blick auf die rauchende Asche an. Beide beobachteten vom Waldrand aus die Ruine. „Konzentrier dich auf das Messer! Wir dürfen nicht gesehen werden.“, wies Merle ihn zurecht. „Wo hatte der Kampf statt gefunden?“ Allen sah sich um. „Genau hier.“, sagte er. „Aber die Leichen scheinen weg zu sein.“ Erst wollte sie es nicht glauben, doch die Erde unter ihren Füßen gab ihm Recht. Die Spuren des Kampfes waren dort noch immer zu sehen. „Hier war jemand fleißig.“, meinte sie. „Hast du eine Idee, wer die Beweise entfernt hat?“ „Nein, aber wer auch immer das getan hat, hat mich in seiner Hand.“ Das Geräusch von galoppierenden Pferden zog die Aufmerksamkeit beider auf sich. „Du hast sie sicherlich schon früher gehört.“, vermutete er. „Ich sagte doch, wir müssen uns beeilen. Schnell weg hier!“, flüsterte sie, doch Allen hielt sie zurück. „Das hat keinen Sinn mehr.“, klärte er sie auf und wies mit einem Nicken auf die näher kommenden Reiter. „Sie haben uns bereits gesehen. Überlass mir bitte das Reden!“ „Ja, Herr.“, sagte Merle so laut, dass die ankommenden Soldaten aus dem Königreich Astoria sie verstehen konnten. Fünf Reiter kreisten die beiden ein. „Identifiziert euch!“, verlangte einer von ihnen. „Ich bin Allen Shezar.“ „Eine kühne Behauptung! Könnt ihr das Beweisen?“ „Nein, meine Papiere sind mit der Festung verbrannt.“ „Und das Katzenweib?“ „Sie ist nur ein Mädchen, das ich unterwegs aufgelesen habe. Ich habe sie als Dienerin eingestellt.“ „Euch hab ich nicht gefragt. Antworte, Mädchen! Wer bist du?“ „Es…ist so, wie mein Herr gesagt hat.“, antwortete sie schüchtern. „Hast du einen Namen?“ „Keinen, den ein Mensch aussprechen könnte.“ „So?“, sagte der Soldat und lachte laut. „Ich muss euch wohl glauben. Aber dass ihr euch, Allen Shezar, jetzt auch Tiere für eure Liebesnächte aussucht, schlägt dem Fass den Boden aus.“ „Ich vergreife mich nicht an Mädchen!“, erwiderte Allen entrüstet. Merle wusste nicht, wer von den beiden sie mehr verletzt hatte. „Da hab ich was anderes gehört.“, erwiderte der Soldat grinsend. „Untersucht sie auf Waffen und verfrachtet sie dann auf die Pferde!“ Widerstandslos lies sich Allen sein Schwert und seine beiden Dolche abnehmen. Als ein Soldat jedoch Merle untersuchen wollte, ging er dazwischen. „Ich vergreife mich nicht an Mädchen und ihr solltet das auch nicht tun!“, drohte er. Ein weiteres Mal kugelte sich der Kommandant der Truppe vor Lachen. „Lasst sie! Was kann so ein billiges Flittchen schon machen.“, sagte er. Äußerlich lies sich Merle nichts anmerken, innerlich kochte sie vor Wut. Umso überraschter war sie, als der Kommandant sie ergriff und sie vor sich auf sein Pferd legte. „Gebt dem Kater hier ein Pferd! Wir bringen beide zum Hauptquartier.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)