Himmel und Erde von matvo (Schatten und Licht, Interlude 1) ================================================================================ Kapitel 8: Freund oder Feind? ----------------------------- „Der Anblick weckt Erinnerungen, nicht wahr?“ Sorgfältig musterte Allen die mächtige Festung Orio, welche über den Ruinen seines ehemaligen Grenzpostens gebaut worden war. Dabei musste er gegen die Sonne anblinzeln, die von ihrem höchsten Stand aus brannte und für angenehme Frühlingstemperaturen sorgte. Dort, wo einst Holzpalisaden standen, erhoben sich mächtige Mauern aus Stein, die sich bis zum Fluss erstreckten. An jeder der vier Ecken der riesigen Anlage erhob sich ein großer Turm, von denen jeder an den Seiten mit einem halben Dutzend Bodenabwehrgeschütze und auf dem Dach mit einem Luftabwehrgeschütz ausgestattet war. Der Einfluss der Zaibacher Technologie war unübersehbar. „Nicht wirklich.“, antwortete Allen dem Kommandanten der Wache, der ihn und Merle in die Feste führte. „Es hat sich zu viel verändert.“ Die einzig offensichtliche Möglichkeit, die Feste zu betreten, war eine Brücke über den Fluss, die zu einem von zwei dicken Stahltüren und einem Fallgitter geschütztem Tor führte. Die Flügeltüren konnten nur nach innen geöffnet werden und das Fallgitter befand sich praktischer Weise direkt dahinter. Wer auch immer hier gewaltsam passieren wollte, musste erst die Türen aus den Scharnieren hebeln und dann das Fallgitter anheben. Es wäre vermutlich sogar einfacher, gleich das ganze Torhaus zu zertrümmern. „Für einen so unbedeutenden Außenposten scheint mir der Aufwand reichlich übertrieben.“, fügte er hinzu. „Erwartet man Krieg mit Farnelia?“ „Nein, aber die Herren in Palas wollen wohl nicht den Eindruck erwecken, als hätten sie aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt. Dass sie dabei völlig überreagieren, fällt ihnen wie immer nicht auf.“, meinte der Kommandant. „Ausnahmsweise stört mich das nicht, denn es macht mich zum Kommandeur der zweitmodernsten Garnison von ganz Astoria. Das einzige, worüber ich mir in Zukunft Gedanken machen muss, ist, woher ich das Geld für die Wartung der empfindlichen Ausrüstung herbekomme.“ „Und welche ist die modernste?“ „Der Luftschiffhafen Rampant natürlich. Vorausgesetzt, die werden irgendwann fertig.“ Allens Blick schweifte ab. An Rampant hatte er auch noch so manche lebhafte Erinnerung. Scheinbar zufällig trafen sich seine Augen mit denen von Merle, die vor dem Kommandanten auf dessen Pferd lag, und sie nickte ihm zu. Jetzt endlich hatte er Gewissheit. Die Herberge, in der Siri ihn haben wollte, befand sich im ersten Ring dieser Festung. Als sie an dem Gasthaus vorbei ritten, sah Allen es sich möglichst genau an. Es war vor allem für die Händler bestimmt, die Orio passierten. Auch hier war er bereits mit Siri gewesen. Die Kolonne jedoch, in der er sich jetzt befand, bewegte sich weiter bis in den zweiten Ring, der den Militärs vorbehalten war. Hier befand sich die zweite, weniger offensichtliche Möglichkeit in die Festung zu kommen. Ein Start- und Landeplatz für Guymelefs und kleine Flugschiffe. Von der Tropfsteinhöhle, die direkt in den Wasserfall mündete, der hinter der Feste lag, wussten die eigenen Besatzer hoffentlich nichts. Allen hatte die Existenz der Höhle selbst dem König und seinen Beratern vorbehalten, mit der Begründung, dass dieses Detail sie wahrscheinlich nur langweilen würde. Kurz vor dem Hauptgebäude stieg der Kommandant ab und holte Merle von seinem Pferd runter. Dann stieß er sie in die Arme eines Soldaten und befahl diesen, sie in den Kerker zu bringen. Widerstandslos ließ sie sich in den Keller des Gebäudes führen, wo sich die Arrestzellen befanden. Allens Weg führte über einen Aufzug bis in den höchsten Stock. Dort geleitete der Kommandant ihn höchstpersönlich in einen reich verzierten Raum mit einem Schreibtisch in der Mitte und zwei Fenster gegenüber der Tür, die den Blick auf die Festung freigaben. Der Offizier winkte die Wachen fort und schloss hinter sich die Tür. „Das ist mein Büro. Hier können wir frei reden.“, sagte er, während er Allen einen Stuhl vor Schreibtisch anbot und selbst dahinter Platz nahm. „Warum konnten wir das nicht schon vorher?“, erkundigte sich Allen. „Ach, wissen sie, einen Mann mit meinem zweifelhaften Ruf wird nie ein verantwortungsvoller Posten übertragen, ohne das ihm ein oder zwei Aufpasser an die Seite gestellt werden.“, erwiderte der Kommandant lächelnd. …mit zweifelhaften Ruf? „Es tut mir leid, aber ich muss euren Namen vergessen haben.“ „Niko Sander. Ihr müsst mir verzeihen. Ich hätte mich euch gerne schon früher vorgestellt, Allen Shezar, aber bei den Soldaten wäre das nicht gut angekommen. So viel Höfflichkeit verdient ein Gefangener normaler Weise nicht.“ „Und das ihr mich mit in euer Büro genommen habt, ist keine Höflichkeit?“, zweifelte Allen. „Ha! Wahrscheinlich denken die, ich wende meine legendäre Verhörtechnik an, bei der ich irgendwelchen schwachsinnigen Idioten Honig ums Maul schmiere und sie mit Alkohol abfülle, so dass sie ihre Loyalität förmlich dahin schmilzt und ich alle Infos bekomme, die ich haben will. Wo wir schon dabei sind…wollt ihr etwas zu trinken?“, bot Sander an, doch Allen lehnte dankend ab, woraufhin der Kommandant mit den Schultern zuckte, eine Flasche aus einer Schublade holte und sich ein Glas einschenkte. „Verzeiht bitte meine Neugier, aber das mit dem zweifelhaften Ruf kann ich nicht glauben.“, sagte Allen, wobei in seinem Ton eine Spur von Misstrauen lag. „Ihr wart mal einfacher Soldat, der sich durch alle Ränge hindurch bis zum Kommandanten gearbeitet hat. Eure Treue dem König gegenüber ist legendär. Ihr besitzt keinen zweifelhaften Ruf.“ „Dennoch bin ich hier.“, entgegnete Sander und lehnte sich mit seinem Glas in Hand zurück. „Am Arsch der Welt, verzeiht den Ausdruck, wo ich keine Chance habe weiter aufzusteigen. Ich weiß selbst nicht, was ich verbrochen habe. Vielleicht war es ja mein Ehrgeiz, der den Zorn von Baron Trias auf mich gezogen hat.“ „Baron Trias?“ „Ja, meinen Quellen zufolge hat er den König dazu veranlasst mich für diesen Posten auszuwählen.“ Allen überlegte fieberhaft. Saß ein neuer Verbündeter vor ihm? „Aber das waren genug Fragen eurerseits. Jetzt hab ich welche.“, forderte Sander und beugte sich zu ihm vor. „Was ist in der Herberge passiert?“ In Allens Gehirn ratterte es wie in einem Uhrwerk. „Das kann ich euch nicht sagen.“ „Warum?“ „Weil ich es nicht weiß.“ „Wie könnt ihr es nicht wissen? Ihr wart doch dabei.“, wunderte sich der Kommandant. „Ich…wachte tief in der Nacht auf und konnte nicht schlafen.“, erzählte Allen. „Also ging ich zum nah gelegenen Bach um ein Bad zu nehmen. Als ich wieder zur Herberge zurückkam, lagen das gesamte Erdgeschoß und die Ställe bereits in Flammen.“ „Also waren alle anderen eingeschlossen.“, schlussfolgerte Sander. „Hat sonst niemand überlebt? Was war mit den Wachen auf den Mauern?“ „Sie sind wohl in das Gebäude gerannt um zu helfen und sind ebenfalls umgekommen.“ „Was ist mit dem Katzenmädchen? Wie konnte sie überleben? Dem Staub auf ihrem Nachthemd nach zu urteilen, muss sie ganz in der Nähe der Festung gewesen sein, als sie einstürzte.“ „Sie rettete sich kurz vor dem Einsturz durch einen Sprung aus einem Fenster der oberen Stockwerke.“, erklärte Allen. „Beeindruckend.“, lobte Sander und sah ihn ernst an. „Genauso wie eure Geschichte. Sie klingt nach dem Seemannsgarn, das ihr sonst immer zum Besten gebt, um Frauen zu verführen.“ „Wohl kaum.“, erwiderte er lächelnd. „Dann wäre ich selbst aus dem Fenster gesprungen, mit dem Mädchen in meinem Arm.“ „Stimmt.“, gab der Kommandant schmunzelnd zu. „Was vermutet ihr als Brandursache?“ „Es muss Brandstiftung gewesen sein.“, antwortete Allen. „Andernfalls hätte sich das Feuer nicht so schnell und gezielt ausgebreitet, dass es niemandem mehr die Flucht ermöglicht.“ „Aber die Brandstifter habt ihr nicht gesehen?“ „Nein, leider nicht.“ „Könnt ihr mir wenigstens etwas über ihre Absichten berichten?“ „Nein, kann ich nicht.“ Seufzend sank Sander in seinen Stuhl zurück und musterte Allen nachdenklich. „Ich habe wohl keine andere Wahl, als euch wegen Mangel an Beweisen gehen zu lassen. Allerdings würde es mich sehr freuen, wenn ihr bis zum Abschluss der Untersuchung in Orio bleiben würdet.“ „Tut mir leid, aber solange kann ich nicht warten. Ich werde hier meine Geschäfte erledigen und dann weiterziehen.“, sagte Allen. „Kann ich ihnen wenigstens für die Dauer eures Aufenthaltes ein Zimmer anbieten?“, fragte Sander, doch Allen winkte ab. „Wir nehmen uns ein paar Räume in dem örtlichen Gasthaus.“ „Ohne Geld? Das wird kaum möglich sein.“ Sander nahm sich ein unbeschriebenes Blatt, kritzelte eine kurze Notiz darauf und gab es Allen. „Geht damit zum Quartiermeister! Sein Büro liegt im Erdgeschoß. Danach könnt ihr und eure Dienerin gehen!“, informierte Sander ihn, woraufhin Allen sich verabschiedete und dessen Büro verließ. Zu seiner Überraschung akzeptierte der Quartiermeister die Notiz ohne mit der Wimper zu Zucken. Während er Allen alles vorlegte, was dieser verlangte, ertönte ein Alarm. „Was bedeutet das?“, fragte der Ritter, in dessen Bauch sich ein ungutes Gefühl ausbreitet. „Ein Gefängnisausbruch, aber…“ Ehe der Unteroffizier ausreden konnte, war Allen bereits verschwunden. So schnell er konnte sprintete er die Treppen hinunter bis in den Gang, an dem die Zellen lagen. Vor einer offenen Tür sah er vier Wachen mit gezückten Schwertern stehen, die Drohungen ausspieen. Als er auf einer Höhe mit der Zelle war, konnte er durch das Gitter hindurch Merle auf einer Liege hocken sehen. Ihre Knie waren angewinkelt und vor Brust gepresst, das Gesicht darin vergraben. Das Hemd, das er ihr überlassen hatte, war gewaltsam aufgerissen worden. Auf dem Boden in der Zelle konnte er eine Wache und einen Offizier reglos liegen sehen. Hinter Allen kam Sander mit einem halben Dutzend Soldaten im Schlepptau herangestürmt. „Was ist hier passiert?“, fragte dieser aufgebracht. Eine der Wachen, welche die Tür blockierten, berichtete: „Ich war auf meinem Kontrollgang, als ich die Tür der einzigen belegten Zelle offen vorfand und die beiden da drinnen liegen sah. Das Mädchen hat sich seitdem nicht gerührt.“ „Allen Shezar, ihr und eure Dienerin steht unter Arrest und bleibt unsere Gäste, solange bis dieser Vorfall geklärt wurde.“, verkündete Sander, woraufhin zwei die Wachen die Zelle betraten. Doch schon im nächsten Augenblick riss Allen sie mit ganzer Kraft zurück und ging zu Merle, ohne dass jemand versuchte ihn aufzuhalten. Sanft nahm er sie dann in seine Arme, wobei er darauf achtete, dass ihre Beine vor ihrem Oberkörper blieben, damit sie auch weiterhin das ursprünglich unter dem Hemd versteckte Waffenmagazin verbargen. Überrascht stellte er fest, dass sie leise wimmerte. „Wir können gehen.“, verkündete er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)