Himmel und Erde von matvo (Schatten und Licht, Interlude 1) ================================================================================ Kapitel 9: Miteinander ---------------------- Stunden, nachdem Allen und Merle unter Arrest gestellt worden waren, starrte der Himmelsritter aus einem großen Fenster hinab auf den Innenhof der Garnison. Als er mit Merle im Arm in die Arrestzelle geführt worden war, hatte er nicht schlecht gestaunt. Das neue Gefängnis stellte sich als eine Art Unterkunft für wichtige Gäste heraus. Die Räume befanden sich wie das Büro von Sander im obersten Stock des Hauptgebäudes und waren ebenso luxuriös eingerichtet. Auch der ihnen zur Verfügung stehende Platz konnte sich sehen lassen. Neben einem Aufenthaltsraum mit kunstvollem Esstisch gab es noch ein Bad mit einer riesigen Wanne und goldenen Armaturen, ein Schlafzimmer mit Doppelbett, in dem Merle gerade lag, und eine kleine Bibliothek, die aber zur seiner Enttäuschung nur kitschige Romane zur Zerstreuung enthielt. Allen folgte noch immer dem geschäftigen Treiben auf dem Hof, als die Riegel der einzigen Tür zur Wohnung begannen sich zurückzuziehen. Erwartungsvoll drehte er sich zur der schweren Stahltür um, legte aber eine von Desinteresse geprägte Miene auf, als Sander alleine den Aufenthaltsraum betrat. Es war an der Zeit dem großspurigen Kommandanten aus der Hauptstadt zu zeigen, mit wem er es zu tun hatte. Sich selbst musste Allen eingestehen, dass er es dank Merles erfrischender Art ihm gegenüber ebenfalls fast vergessen hatte. „Setzt euch!“, sagte Allen Sander, ehe dieser etwas sagen konnte, und wies auf einen Stuhl am Esstisch. „Was kann ich für euch tun?“ Einen Moment lang musste Sander sich ein Lachen verkneifen, doch Allen lies davon nicht aus der Reserve locken. „Ich wollte eigentlich eure liebreizende Dienerin sprechen.“, verlangte Sander. „Sie ruht sich aus.“, teilte Allen ihm mit. „Ich möchte sie sofort sprechen. Wenn ihr, Ritter Allen Shezar, also die Güte hätten, sie zu holen…“ „Nein, die Güte habe ich nicht, und wenn ihr, Soldat…“ „Ich bin hier.“, unterbrach eine müde Stimme Allens Ansprache. Verwundert wandte sich Allen zum Schlafzimmereingang. Merle lehnte sich erschöpft gegen den Rahmen der offenen Tür und trug noch immer das von Staub bedeckte Nachtgewand mit seinem Hemd darüber. Was auch immer im Gefangentrakt passiert war, sie hatte es noch nicht verdaut. „Was wollen sie?“, fragte sie. „Solltest du nicht etwas Angemessenes anziehen?“, tadelte Sander sie. „Für sie ist es gut genug.“, antwortete Merle selbstbewusst. Langsam kehrte das Feuer in ihre Augen zurück. „Ich wollte dich nur informieren, dass du für den Vorfall im Gefängnis nicht zur Rechenschaft gezogen wirst.“, verkündete Sander. „Nachdem wir den Offizier mit den Videoaufnahmen konfrontiert hatten, hat er die versuchte Vergewaltigung eingestanden. Auch die Dienst habende Wache hat gestanden vom Offizier Geld angenommen zu haben. Beide wurden vom Dienst befreit. Im Namen von der Armee Astorias entschuldige ich mich für ihr Verhalten.“ Insgeheim erwartete Allen die Erlaubnis endlich von hier verschwinden zu dürfen, Merle hingegen war nicht so optimistisch. „Natürlich hatten beide zuvor behauptet, du hättest einen Fluchtversuch unternommen.“, führte Sander weiter aus. „Obwohl diese Geschichte offensichtlich erlogen war, barg sie doch einen wahren Kern.“ In seiner Stimme schwang nun eine Drohung mit. „Du bist bewaffnet. Sowohl der Offizier als auch das Video bestätigen das. Die Tatsache, dass du versteckte Waffen führst, rückt den Überfall auf die Herberge in ein ganz anderes Licht.“ „Wollt ihr etwa behaupten, sie hätte etwas damit zu tun?“, fragte Allen drohend. „Ihr selbst sagtet, dass sie bis zuletzt in der Herberge war. Im Übrigen solltet ihr das Mädchen nicht mehr decken, sonst muss ich euch wegen Mittäterschaft anklagen.“ „Wenn König Aston erfährt…“ „Hier draußen bin ich das Gesetzt.“, stellte Sander klar. „Ihr habt es doch genauso gehandelt. Schließlich habt ihr eigenmächtig entschieden, dem König eines Bauernstaates Asyl zu gewähren und damit Astoria in einen Krieg gegen einen übermächtigen Verbündeten gezwungen. Wir können von Glück reden, dass unser geliebtes Land nicht dem Erdboden gleichgemacht wurde. Also sagt mir nicht, was ich zu tun oder zu lassen habe, Allen Shezar!“ Einen Moment lang schien Allen in den Streit mit einsteigen zu wollen, doch dann knickte er ein. Etwas zu theatralisch, wie Merle fand. „Es ist wohl besser, wenn wir mit der Wahrheit rausrücken.“, sagte er reumütig. „Allen!“, warnte sie ihn, doch er brachte sie mit seinem Blick zu schweigen. „Das Mädchen ist ein Mitglied der königlichen Leibwache von Farnelia. Wir sind auf der Durchreise.“, erzählte er, doch Sander blieb skeptisch. „Die Leibwache will euch doch töten. Wieso solltet ihr ihnen zusammenreisen.“, widersprach er, doch Allen wies das mit einer Geste zurück. „Siri Riston hat nicht im Auftrag der Leibwache gehandelt. Ich geh nach Farnelia um mir das beweisen zu lassen. König Van de Farnel selbst hat sie mir als Eskorte zur Seite gestellt.“ „Ein Mädchen? Ich an eurer Stelle würde an dem Verstand des von euch ach so verehrten Königs zweifeln.“ „Ich bin überrascht, dass sie das sagen, nachdem ihr sie in Aktion gesehen haben.“, sagte Allen, doch ehe Sander antworten konnte, knallte ein schwarzer Waffengurt gegen sein Gesicht. „Das ist es doch, was sie wollten.“, zischte Merle mit fletschenden Zähnen. „Verschwinden sie!“ „Ein einfaches Bitte hätte genügt.“, meinte Sander trocken. Anstatt ihm eine Antwort zu geben, ging Merle in das Schlafzimmer und zog krachend hinter sich die Tür zu. „Ich habe, was ich wollte.“, sagte Sander und erhob sich aus seinem Stuhl. „Richten sie ihr aus, dass in etwa einer Stunde eine Dienerin hier heraufkommen wird, um den Bettbezug zu wechseln und eure alten Sachen mitzunehmen. Das Fräulein sollte sich bis dahin waschen und umziehen, damit sie einer Leibesvisitation unterzogen werden kann und nicht noch einmal das Bett einsaut.“ Mit diesen Worten verließ die Wohnung, doch Allen achtete nicht auf ihn. Stattdessen starrte er auf die Tür, durch die Merle verschwunden war, und gab sich selbst den guten Rat, sie niemals wütend zu machen. Wie angekündigt, betrat nach einer Stunde ein vornehm gekleidetes Mädchen die Räumlichkeiten. Sie vollführte Allen gegenüber einen Knicks, woraufhin dieser auf das Schlafzimmer wies. Sofort fiel ihm auf, mit welcher Anmut sich die Dienerin bewegte. Ihre Körperbeherrschung war selbst für eine gehobene Bedienstete außergewöhnlich. Für ihn war es wenig überraschend, dass man ihr keine Eskorte mitgegeben hatte. Nachdem sie ins anliegende Zimmer verschwunden war, schweiften Allens Gedanken wieder zu Merle. Wie sollte er nach allem, was er über ihre Vergewaltigung in der Zelle gehörte hatte, mit ihr reden? Was sagt man zu einem Mädchen, das etwas so furchtbares erlebt hat? Inständig wünschte er, dass Hitomi jetzt hier wäre. Sie würde die richtigen Worte finden, um Merle wieder aufzurichten und ihr das unverschämte Lächeln zurückzugeben. Plötzlich musste Allen daran denken, wie sie die Beherrschung verloren hatte, als Sander Van beleidigt hatte, und fragte sich, ob sie in seinem Fall wohl ähnlich reagiert hätte. „Was für ein dummer Gedanke!“, tadelte er sich selbst. „Was ist nur los mit mir?“ Doch ehe er über diese Frage nachdenken konnte, öffnete sich die Tür zum Schlafzimmer und die Dienerin trat mit einem Bündel Wäsche in den Händen heraus. Überrascht bemerkte Allen, dass er überhaupt nicht einschätzen konnte, wie lange sie bei Merle gewesen war. Das alles hier ist schlecht für meine Disziplin, stellte er fest. Nach einem weiteren Knicks des Mädchens war Allen wieder allein, was ihm die Gelegenheit gab, ein weiteres Mal in Gedanken zu versinken. Raum war reichlich vorhanden, reichte aber bei weitem nicht aus, um Merle ewig aus dem Weg zu gehen und er hatte noch immer keine Ahnung, wie er mit ihr reden sollte. Sie lies ihn aber auch keine Zeit mehr darüber zu grübeln. Fast lautlos betrat Merle wenig später den Aufenthaltsraum. Allen, der noch immer am Esstisch saß, konnte nicht anders als sich respektvoll zu erheben. Sie hingegen betrachtete ihn skeptisch. „Ich fass es nicht. Dir haben sie die Uniform eines Himmelsritters besorgt und mir nur diesen braunen Fetzen.“, beschwerte sie sich, woraufhin er lächelte. Der braune Fetzen, wie sie es nannte, war ein erdfarbenes, langes Kleid, welches nur eine winzige Spur von Eleganz ausstrahlte. „Das Kleid steht dir ausgezeichnet.“, lobte Allen, was, wie er in Gedanken hinzufügte, total ehrlich meinte. „Machst du Witze?“, fuhr Merle ihn an. „Das Kleid sieht aus, als hätte man es aus Stroh gemacht und mit Scheiße gefärbt.“ „Du bist einer der Menschen, die immer gut aussehen, egal, was sie tragen.“, versuchte Allen sie zu beschwichtigen, woraufhin ihre Wangen aufflammten. Einmal mehr war sie dafür dankbar, dass ihr Fell die Haut vor seinen Augen verbarg. „Außerdem siehst du die Farbe zu negativ. Es gibt auch schöne Dinge, die braun sind.“ „Zum Beispiel?“ „Die Rinde eines Baumes, die fruchtbare Erde eines Ackers…“ „…auf dem Scheiße liegt…“, merkte Merle an. „…oder die Möbel in diesem Zimmer. Sie alle könnten längst umlackiert worden sein.“, zählte Allen auf. „Wenn du mich aufheitern wolltest, lass mich dir sagen, dass du kolossal gescheitert bist.“, teilte sie ihm mit, konnte sich jedoch ein Lächeln nicht ganz verkneifen. „Wenn wir schon mal dabei sind, könnten wir nicht die Einrichtung etwas ändern.“ Es war kein Code, den die beiden mit einander vereinbart hatten, dennoch wusste Allen sofort, worauf Merle hinaus wollte. Auch er hatte die winzigen Linsen, die in jeder Ecke einer jeder Decke eingebaut worden waren, bereits bemerkt. Jeder Raum wurde von Videokameras überwacht. „Keine gute Idee.“, meinte Allen. „Gastgeber sehen so etwas nicht gerne. Aber im Bad sollten wir eine Ausnahme machen.“ „Ist bereits geschehen. Die Dienerin war so freundlich mir zu helfen.“, berichtete Merle. „Allerdings hätte ich nie gedacht, dass eine Garnison überhaupt solche Quartiere hat.“ „Normal ist es nicht, wenn man sich aber den Sinn dieses Stützpunktes ansieht, ist es nicht verwunderlich.“, erklärte Allen. „Schließlich ist Orio ein Prestigeobjekt. Einerseits dazu gebaut um Kritiker aus dem eigenen Land verstummen zu lassen, kann die Garnison auch einen anderen Zweck erfüllen.“ „Und der wäre?“ „König Aston will auch nach außen hin Eindruck schinden. Also lässt er hier auch internationale Konferenzen abhalten. Irgendwo gibt es hier sicherlich auch einen großen Saal und dutzende weitere Quartiere dieser Art. Die ausländischen Diplomaten sollen durch die versammelte militärische Schlagkraft den Eindruck gewinnen, dass sie und damit natürlich auch ihre Länder bei Astoria gut aufgehoben sind. Der Luxus verspricht zudem ein von Geldsorgen befreites Leben, sollten sie sich fügen.“ „Rein zufällig eignen sich die Vorsichtsmaßnahmen in den Quartieren auch zum Einsperren.“, führte Merle Allens Gedankenstrang weiter, während sie an einer Wand klopfte. „Panzerglas, in den Wänden eingelassene Stahlplatten, eine Hochsicherheitstür mit mehreren dicken Riegeln und Überwachungstechnik, soweit das Auge reicht. Dieser Ort ist ein perfekter Spielplatz für jede Art von Politik. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich Aston nicht mag?“ „Irgendwann einmal.“, kommentierte Allen. „Ich sollte es öfters tun.“, nahm sie sich vor. „Was machen wir jetzt?“ „Abwarten.“, schlug er vor. „Nicht mehr?“, erkundigte sich Merle verzweifelt. „Na ja, du wolltest mich doch in die Kraft der Gedanken einführen.“ „Und du wolltest mich in Kampftechniken unterrichten.“ „Was hier wohl kaum möglich sein wird.“, argumentierte Allen. „Na gut. Leg dich auf den Boden!“, seufzte sie. „Was?“ „Du kannst auch ein paar Stunden im Schneidersitz verbringen, falls dir das angenehmer ist.“, schlug Merle grinsend vor und fing an, alle Vorhänge zuzuziehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)