Quicksand von Meggy-Jo ((~ GaaraXYuka~)) ================================================================================ Kapitel 1: Entführung --------------------- Es war einer dieser Tage kurz nach den Sommerferien, in denen die Luft in meiner Heimatstadt Frankfort still zu stehen schien und die Temperatur bei gefühlten vierzig Grad lag. An solchen Tagen verzichtete ich darauf, nach der Schule mit dem Bus nach Hause zu fahren und blieb zusammen mit meinen Freundinnen Rachel und Kim im Schatten einiger breiter Buchen auf dem Schulhof sitzen. Ich lag schon halb schlafend dort, den Kopf auf meinen Rucksack gebettet, und betrachtete die vorbeiziehenden Wolken. Direkt neben mir saß Kim – aufgeregt in einen Bericht über ihren neuen Freund Jason vertieft. Ich war froh, dass ich nicht so tun musste, als würde ich ihren langatmigen Ausführungen über die Augenfarbe dieses Jungen zuhören, diesen Teil nahm Rachel mir ab. Immer wieder nickte sie interessiert und nur ihre Finger, mit denen sie unruhig ihre langen schwarzen Haare zu kleinen Zöpfen flocht, zeigten, dass auch sie gern auf Kims Bericht verzichtet hätte. „Hey, Yuka“, wandte sie sich schließlich in einer Atempause von Kim an mich. „Was machen eigentlich deine Eltern? Ist nicht bald wieder der alljährliche Familienbesuch angesagt?“ Das war ein verzweifelter Rettungsversuch ihrerseits und ich wünschte, sie hätte dieses Thema erst gar nicht angeschnitten. Es war etwas, das ich vergeblich zu verdrängen versuchte. „Leider“, seufzte ich unwillig. „In zwei Wochen kommen meine Verwandten aus Japan. Ich kann nur hoffen, dass Dad nicht von mir verlangt, dass ich auch noch Zeit mit ihnen verbringe. Wir haben bald ein wichtiges Spiel, dafür muss ich trainieren.“ „Du immer mit deinem Lacrosse!“ Kim verdrehte die Augen und wandte sich dann wieder der Maniküre ihrer Fingernägel zu. Meine Begeisterung für diese Sportart konnte sie nicht mal ansatzweise nachvollziehen. „Kein Wunder, dass du keinen Jungen abbekommst! Du hast doch bestimmt einen süßen, japanischen Cousin, der auch zu Besuch kommt. Ich würde mir so eine Gelegenheit nicht entgehen lassen.“ „Aber auch nur, weil du die größte Schlampe der Schule bist“, feuerte ich zurück und setzte mich auf, um ihr in die Augen sehen zu können. Kim war zweifellos die ungekrönte Schulprinzessin der Frankfort Junior Highschool, das konnte sie nicht leugnen. Sie versuchte es auch gar nicht erst, sondern warf provokant ihr platinblondes Haar zurück und setzte ein gönnerhaftes Lächeln auf. „Immer noch besser als die größte Schlägerbraut der Schule.“ Wütend starrte ich sie an und ballte die Hände zu Fäusten. Am liebsten wäre ich ihr für diesen Kommentar an die Kehle gesprungen, doch Rachel drückte mich sanft mit einer Hand an meiner Schulter zurück. „Ganz ruhig, Mädels“, sagte sie beschwichtigend. „Es ist Freitag, am Wochenende macht eine neue Boutique im Einkaufszentrum auf – es gibt keinen Grund, sich schon wieder zu prügeln.“ Kim lehnte sich seufzend zurück und ließ ihren Blick über meinen Körper gleiten. Diese abschätzende Geste wäre nur ein weiterer Grund, ihr meinen Lacrosseschläger um die Ohren zu schlagen. Der Stock mit dem Fangnetz lag nur ein paar Zentimeter neben mir; es wäre eine Affäre weniger Sekunden, ihn zu nehmen und meiner Wut damit Luft zu machen. „Ist ja gut, es tut mir Leid“, meinte Kim schließlich und setzte ein Lächeln auf. „Ich versteh’s trotzdem nicht. Wenn du nicht jeden, der dir im Weg steht, an die nächste Wand drücken würdest, hättest du längst einen süßen Typen abgekriegt. Hey, wie wär’s denn mit dem da?!“ Mit plötzlicher Aufregung deutete sie Richtung Straße. Ich drehte mich mäßig interessiert um und hielt nach dem Objekt ihrer Begeisterung Ausschau. Der schmale Gehweg war großteils leer; die vielen überflüssigen Straßenlaternen, die zur Schule gehörten, machten es ohnehin nahezu unmöglich, darauf zu laufen. Es gab nur eine einzige Person, die mir ins Auge stach: Ein rothaariger Junge, sehr klein, sehr schmächtig und dennoch Aufsehen erregend. Hell schien die Sonne auf ihn hinab und entfachte in seinen Haaren ein atemberaubendes Farbenspiel. Ursprünglich waren sie wohl feuerrot gefärbt, doch jetzt funkelten sie in allen erdenklichen Kupfer- und Orangetönen. Wie flüssige Bronze. „Also wenn der Typ nicht mal ziemlich heiß ist, dann weiß ich auch nicht“, sagte Kim und ich konnte das Schmunzeln aus ihrer Stimme heraushören. Als hätte der Junge sie gehört, hob er urplötzlich den Kopf und starrte in unsere Richtung. Für Sekundenbruchteile nur glitt sein Blick über den niedrigen Holzzaun und die Dornenbüsche des Schulgeländes zu uns hinüber und ich erstarrte unter diesem Blick förmlich zu Stein. Er wandte sich sofort wieder dem Muster des Gehwegs zu seinen Füßen zu und dann verschwand er im Schatten eines besonders großen Dornenbusches, während ich noch immer wie paralysiert dort saß, die Finger verkrampft in den roten Stoff meines Rocks gekrallt. Eine Gänsehaut fiel trotz des warmen Sonnenscheins über mich herein. Ich hatte seine Augen gesehen – übertrieben dick mit Kajal umrandet, hellgrün wie echte Jade und völlig gefühllos; leer und tief wie ein dunkler Abgrund. „Wenn du heiß auf die gleiche Stufe wie extrem beängstigend stellst - ja“, sagte Rachel. Kim lachte. „Komm schon, heutzutage sind die bösen Jungs doch die besten! Und Yuka findet ihn anscheinend auch toll.“ Das hob meine Starre schlagartig auf und ich fuhr wütend zu Kim herum. „Hör bloß auf damit!“ Kim lachte fröhlich weiter und klopfte mir auf die Schulter. „Weiß ich doch. Ich finde nur, mit dreizehn sollte man sich schon mal nach einem passenden Typen umsehen, oder? Und interessant war der Kerl ja echt; ich hab ihn hier noch nie gesehen.“ Ich seufzte auf. Was das betraf, gingen unsere Meinungen eindeutig auseinander. Aber das war nun mal Kims Art, also wählte ich meine Antwort mit Bedacht. „Auf jeden Fall interessanter als dein Jason, aber das war’s auch schon.“ Diese kleine Retourkutsche musste ich mir einfach gönnen. Bevor Kim mir Kontra geben konnte, erhob ich mich und schulterte meinen Rucksack. „Ich muss dann auch mal los, meine Mum wartet bestimmt schon“, erklärte ich übertrieben freundlich. Rachel und Kim musterten mich grinsend, wie ich mir ein paar Grashalme vom Rock klopfte, und mich dann mit meinem Lacrosseschläger in der Hand zum Gehen wandte. „Okay, okay, die Runde geht an dich“, lenkte Kim ein. „Bis morgen dann“, schloss Rachel sich an. Sie hatte es schon vor längerer Zeit aufgegeben, unsere kleinen Gefechte untereinander zu kommentieren. „Aber wenn du noch einmal was gegen Jason sagst, hau ich dir deinen komischen Schläger um die Ohren!“ Ich begnügte mich damit, Kim für diesen Kommentar nur den ausgestreckten Daumen zu zeigen, ehe ich mit einem „Bye!“ vom Schulhof lief. Hinter mir hörte ich noch einmal Kims helles Lachen, dann begann sie aufgeregt von etwas Neuem zu erzählen. Wahrscheinlich diesem rothaarigen Jungen von vorhin. Es fröstelte mich bei der bloßen Erinnerung an ihn oder besser gesagt nur seinen Blick. Es war erschreckend, was für unschöne Effekte zu viel Kajal bei Männern erzielen konnte. Auch wenn das bei dem Rothaarigen sicher nicht der Hauptgrund gewesen war. Seine Augen waren von Natur aus unheimlich. Doch ich schob den Gedanken rasch beiseite. Gruselige Typen gab es an jeder Straßenecke, wozu sich also den Kopf über einen weiteren von dieser Sorte zerbrechen? Nachher würde ich noch wie Kim enden und jedem halbwegs passablen Jungen hinterher hecheln und darauf konnte ich getrost verzichten. Wahrscheinlich hatte sie sogar Recht damit, dass ich längst eine gewisse Auswahl beim anderen Geschlecht hätte, wenn ich mich nicht immer wie ein Schläger mit Rock benehmen würde. Gedankenverloren betrachtete ich mein Spiegelbild in einem Schaufenster, an dem ich vorbeilief. Rein äußerlich würde wohl niemand auf die Idee kommen, dass ich bereits zwei Schulverweise wegen Körperverletzung auf dem Konto hatte. Ich war schlank und zierlich, lediglich an meinen Oberarmen sah man die Muskeln vom Lacrossespielen. Meine Haut war elfenbeinfarben, egal wie oft ich in der Sonne war, aber da hatte ich die praktische Ausrede halbjapanischer Abstammung und roter Haare. Zumindest dafür war meine hüftlange Haarpracht gut, wenn sie mir schon beim Lacrossespielen immer die Sicht behinderte. Und die krampfhaft auf niedlich getrimmte rot-weiße Schuluniform der Frankfort Junior High war auch nicht gerade vorteilhaft für meinen Ruf. Kopfschüttelnd löste ich mich von dem Schaufenster. Mir konnte es egal sein, solange ich in Sport tragen durfte, was ich wollte, und mein Körper fit genug für Lacrosse war. Im Gegensatz zu Kim - die verbrachte täglich mehrere Stunden mit Styling. Ich überquerte die mäßig befahrene Straße und bog in den Cove Springs Park ein. Mächtige Eichen und Kiefern säumten den kiesbestreuten Weg zu beiden Seiten und ich war dankbar für den Schatten. Normalerweise waren um diese Zeit immer einige Kinder im Park, die Fußball spielten, doch heute waren die Grünflächen völlig leer. Kein einziger kleiner Grundschüler, der mir seinen Ball an den Kopf schoss und den ich dafür in den Springbrunnen auf der anderen Seite des Rasens werfen musste. Meine Mundwinkel zuckten bei der Erinnerung daran - es war immer wieder schön, sich an diesen Nervensägen zu rächen. Und dann wurde mein Lächeln auf einen Schlag von einer heftigen Gänsehaut vertrieben. „Bleib stehen und sag mir, wo ich hier bin.“ Das war es, das schrecklichste Geräusch, das ich je gehört hatte. Eine Stimme, so rau und kratzig wie das Schaben der Tür einer alten Villa, die jahrhundertelang nicht geöffnet worden war – dunkel und verheißungsvoll wie das Verderben selbst. Ich konnte spüren, wie mir das Adrenalin durch die Adern schoss und jeder Zentimeter meines Körpers sich auf Flucht einstellte. In Zeitlupentempo drehte ich mich um und hielt meinen Schläger dabei fest umklammert. Er war aus Massivholz, das müsste als Verteidigung reichen. Langsam, ganz langsam, hob ich den Kopf und blinzelte unter ein paar meiner roten Ponysträhnen nach oben. Jadegrüne Augen bohrten sich wie ein spitzer Eisblock in meinen Körper und mich erfasste ein schier übermächtiger Fluchtreflex. Vor mir stand der rothaarige Junge von vorhin. Der Junge mit den leeren Augen. Der Junge, den Kim als heiß und Rachel als beängstigend bezeichnet hatte. Rachel hatte Recht gehabt. Beim ersten Mal war ich zu sehr von seinem puren Blick gebannt gewesen, um auf sein komplettes Äußeres zu achten. Allein sein Gesicht wirkte schon viel zu glatt und erwachsen für das Alter, auf das ich ihn schätzte. Die kindlichen Proportionen hatten sich bereits fast gänzlich aufgelöst und auf seiner Stirn stach eine feuerrote Tätowierung in Form eines japanischen Schriftzeichens hervor. Auf eine groteske Art und Weise harmonierte dieses Zeichen sogar mit seiner ungewöhnlichen Hautfarbe; er war blass, unnatürlich blass, und dieser Effekt wurde nur noch durch seine schwarze Kleidung unterstrichen. Über der einen Schulter hing zusätzlich ein weißes Band aus Stoff, über der anderen ein braunes Lederband. Vor seiner Brust gingen der Stoff und das Leder ineinander über und beides diente dazu, ein unförmiges Gefäß auf seinem Rücken zu halten. Ich vermutete, dass es eine Vase aus Lehm war, auch wenn ihre Größe fast an die des Jungen heranreichte Das Gefäß hätte ebenso gut in eine Villa aus einem Horrorfilm gepasst, wie seine Stimme. Bei seinem Anblick schalteten sich sämtliche natürliche Schutzreaktionen meines Körpers ein; ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen und meine Finger an dem Lacrosseschläger versteiften sich. Dieser Junge war nicht größer als ich selbst und sehr zierlich gebaut – eigentlich müsste es ein Leichtes sein, ihn zu überwältigen und die Flucht zu ergreifen. Doch ich konnte es nicht. Ich war panisch und zugleich wie paralysiert vor Angst. „Du sollst mir sagen, wo ich hier bin.“ Wieder diese urböse Stimme, nur schärfer als zuvor, und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Ich taumelte einen Schritt zurück und wollte mich umdrehen, um wegzurennen. Doch meine Beine wollten sich nicht bewegen, sie zitterten viel zu sehr. Ich musste einen ausgesprochen erbärmlichen Eindruck machen, dermaßen panisch vor einem schmächtigen Dreizehnjährigen zu stehen. Dieser Gedanke brachte zumindest ansatzweise wieder Klarheit in mein Hirn. Ich schluckte hart und versuchte, Ruhe zu bewahren. Dieser Junge war definitiv nicht normal, wahrscheinlich ein begeisterter Anhänger von Marilyn Manson, unter seinem T-Shirt überall tätowiert und mit haufenweise Drogen und Zigaretten in den Hosentaschen. Aber das war es auch schon. Er war ein Freak, nichts weiter als ein Gothic, oder wie auch immer die sich nannten. Da musste schon mehr kommen, um mich in Panik zu versetzen! Ich atmete tief durch und straffte die Schultern, krampfhaft um Ruhe bemüht. „Ein ‚Hallo’ wäre vielleicht erst mal angebracht“, sagte ich betont locker. Nur ein leichtes, kaum hörbares Zittern schwang in meiner Stimme mit. Seine Augen verengten sich und ich spürte sofort wieder diesen Anflug von Panik in mir. „Du hast mich wohl nicht verstanden. Sag mir jetzt, wo ich mich befinde“, verlangte er finster. „Bist du irgendwie auf Drogen, oder so? Aber von mir aus … das hier ist Frankfort, die Hauptstadt von Kentucky. Nicht übermäßig interessant für Touristen, falls du einer bist.“ Ich wunderte mich selbst darüber, wie fest ich klang, aber eine große Klappe hatte ich schon immer gehabt. „Wie kommt man von hier ins Windreich?“ Langsam verstand ich, was mit dem Kerl los war. Seltsames Verhalten und Realitätsverlust – er war high. Diese Erklärung war so herrlich logisch, dass sie mich all meine instinktive Angst und Vorsicht vergessen ließ. „Ach, weißt du“, sagte ich lässig und wedelte nachsichtig mit meinem Schläger in der Luft herum. „Ich hab keine Ahnung, was für ein Zeug du genommen hast, muss wohl ziemlich heftig gewesen sein, was? Bleib das nächste Mal lieber bei deinem Dealer, wenn du auf dem Trip bist. Wir sind hier in den Vereinigten Staaten von Amerika und ein Windreich gibt es nicht. Aber war schön, dich mal kennen gelernt zu haben, vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Bye, Kiffer!“ Ich drehte mich um und ging Richtung Springbrunnen, um mich schnellstmöglich aus dem Staub zu machen. Ich war kaum zwei Schritte gekommen, da schoss ein glühend heißer Schmerz in meinem rechten Bein hoch. Das Bein knickte unter mir weg und ich fiel hart auf den unbefestigten Weg zu meinen Füßen. Mir entglitt der Lacrosseschläger und dieser fiel mit einem Klappern neben mir in den Staub. „Verdammt …was zum…“, fluchte ich leise und tastete nach meinem rechten Bein. Meine Finger glitten durch warme Flüssigkeit, die an meiner Haut hinabtropfte. Blitzschnell setzte ich mich auf und starrte auf mein Bein. Bei diesem Anblick drehte sich mein Magen um. Überall war Blut. Auf meiner ganzen Wade, bis runter zum Knöchel. Mein Blut. „Du wirst dableiben“, befahl die raue Stimme über mir und ich sah erschrocken hoch. Er stand über mir und musterte mich noch immer mit diesem eiskalten Blick. „Was … was hast du gemacht…?“, hauchte ich tonlos. „Ich dulde kein respektloses Verhalten.“ Mein Herz begann zu rasen. Wieso war ich nicht weggerannt, als ich noch die Chance dazu gehabt hatte? Hätte ich nur auf meinen Instinkt gehört! Hätte ich meinem natürlichen Reflex nur dieses eine Mal nachgegeben! Hilflos starrte ich hinab auf mein Bein. Es war über und über mit Blut bedeckt, obwohl die eigentliche Wunde sich lediglich über eine Länge von etwa zehn Zentimetern zog. Wie auch immer er das angestellt hatte, es war ein sehr sauberer Schnitt, nur etwas Dreck klebte an der Wunde. Sand, um genau zu sein. „Was soll das?! Wie hast du das gemacht, Junkie?! Und warum, verdammt?! Ich hab dir doch nichts getan!“, keifte ich zu ihm nach oben, mühsam um einen festen Tonfall bemüht. Ich wollte keine Schwäche zeigen, so sehr mein Bein auch wehtat. Seine Jadeaugen bohrten sich in meinen Körper. „Du wirst dableiben“, befahl er. „Du bleibst solange da, wie ich es dir sage. Und jetzt zeigst du mir sofort den Weg zurück ins Windreich.“ „Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Du brichst mir das Bein, nur damit ich dich in ein Land bringe, dass es gar nicht gibt! Lass mich gefälligst in Ruhe, oder ich ruf die Polizei!“ „Du kannst froh sein, dass ich nicht ernst gemacht hab. Dein Bein ist geprellt, nichts weiter. Ihr seid so ein schwächliches Menschenpack…“ „Hast du eine Ahnung, wie weh das tut?! Brutales Arschloch! Ich hol' die Bullen, die stecken dich in den nächsten Knast, da kriegst du nie wieder Drogen! Du kannst mich…“ Ein surrendes Geräusch unterbrach mich, und irgendeine wabernde Masse schoss aus der Vase auf seinem Rücken heraus, direkt auf mich zu. Ich wurde an meinem verletzten Bein gepackt und herumgeschleudert, bis ich kopfüber in der Luft hängen blieb. Etwas hielt mich am Bein fest, ansonsten hing ich völlig orientierungslos in der Luft, etwa anderthalb Meter über dem Boden. Und direkt vor mir waren seine Augen. Leer und kalt blitzten sie aus seinem glatten Gesicht hervor. Ich vergaß zu atmen und mein Magen drehte sich zum wiederholten Male um. Mir war schwindelig, speiübel und mein rechtes Bein fühlte sich an, als würde es jeden Augenblick abfallen. „Ändere deinen Tonfall und zwar sofort!“, zischte der Junkie. „Ein falsches Wort, ein Ungehorsam, ein Fehler und ich töte dich. Ich kann dich auch gleich jetzt töten und noch dazu diese ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen. Alle werden sterben, alle bis auf den Letzten. Also, ich frage dich noch mal: Wie kommt man von hier ins Windreich?“ Meine Gedanken rasten und durch den Adrenalinstoß arbeitete mein Gehirn übernatürlich schnell. Wegrennen konnte ich nicht, wahrscheinlich war ich mit dieser Verletzung nicht einmal in der Lage, zwei Meter weit zu kommen, geschweigedenn mich aus diesem Griff zu befreien. Auf meine Schreie hatte bisher niemand reagiert, also musste ich mich alleine im Park befinden - auf Hilfe konnte ich also nicht bauen. Mir blieb nur eine Möglichkeit: Ich musste sein Spiel mitspielen. Wenn ich nur so tat, als wüsste ich, wo dieses Windreich war, könnte ich Hilfe holen. Es gab eine Polizeidienststelle, gar nicht weit entfernt. Wenn es mir gelang, ihn dorthin zu dirigieren, hatte ich vielleicht eine Chance. „Ich weiß es, ich weiß es doch! Ich bring dich hin, wirklich!“, versicherte ich hektisch. „Ich kann dir den Weg zeigen! Es ist ziemlich weit, aber nicht unmöglich!“ „Du bist dir hundertprozentig sicher?“ Gleichzeitig mit diese kalten Worten schloss sich die wabernde Masse fester um mein verletztes Bein und drückte sich in die Wunde. Ich schrie auf und krampfte mich vor Schmerzen zusammen. Dabei erhaschte ich einen kurzen Blick nach oben auf mein Bein. Es war mittlerweile bis zum Oberschenkel mit Blut überzogen, aber das eigentlich Seltsame befand sich an meinem Knöchel: Diese wabernde Masse, die sich geschmeidig wie Wasser hin und her bewegte, um mein Bein zu quetschen. Allerdings war sie hellbraun und grobkörnig, genau wie das, was schon vorhin an meiner Wunde gehaftet hatte: Sand. Dieser Junkie folterte mich mit selbstständig handelndem Sand. Ich schüttelte heftig den Kopf. Nein, das konnte nicht sein! Ich musste bewusstlos sein und das hier war nur ein verrückter Traum. Sand konnte sich nicht selbstständig bewegen! Meine Schmerzen waren allerdings viel zu real für einen Traum. „Ich hab dich was gefragt!“, zischte wieder diese urböse Stimme und der Sand schüttelte mich. Ich keuchte gequält und krallte meine Hände an meinen Kopf. „Ja! Ja, verdammt! Ich bin sicher!“ Schlagartig verschwand die wabernde Masse und ich fiel auf den Boden; mein Rucksack löste sich endgültig und landete neben mir auf meinem Lacrosseschläger. Alles um mich herum drehte sich und mein gesamter Körper tat weh - jeder einzelne Zentimeter. Ich keuchte erneut und dann übergab ich mich mitten auf dem Gehweg. Das konnte alles nicht wahr sein! Wieso nur half mir niemand? Warum gebot niemand diesem Irren Einhalt? War denn wirklich niemand in der Nähe des Parks, der mich schreien hörte? Und wieso hatte der Junkie gerade mich ausgesucht? „Wenn du dich jetzt ausgekotzt hast, steh endlich auf und komm“, kommandierte er und wandte sich zum Gehen. Leise murmelte er noch etwas zu sich selbst, das ich nur halb verstand. „Von wegen, die Kleine ist was Außergewöhnliches … Sie ist nur schwach und jämmerlich wie jeder andere auch … Ich hätte erst gar nicht auf Shukaku hören sollen…“ Ich ballte die Hände zu Fäusten. In mir machte sich unbändiger Stolz und Ehrgeiz breit, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Hastig stützte ich mich mit beiden Armen am Boden ab und versuchte auf die Beine zu kommen, ohne die verletzte Seite zu belasten. „Ich … bin nicht … schwach!“, keuchte ich wütend. Er würdigte mich nicht einmal eines flüchtigen Blickes. „Dann beweg dich endlich, bring mich ins Windreich“, gab er unbeteiligt zurück. Ich machte einen Schritt nach vorne und biss mir sofort auf die Unterlippe, um nicht zu schreien. Es tat höllisch weh; mein rechtes Bein schien regelrecht zu glühen. Doch ich wollte mir nichts anmerken lassen und stolperte so würdevoll wie möglich an ihm vorbei. „Wie … machst du das mit dem Zeug in deiner Vase? Ist das wirklich Sand?“, fragte ich mühsam. „Ja. Ich kontrolliere den Sand und bin selbst der Sand. Und jetzt schweig still.“ Ich schluckte. Er musste wirklich krasse Drogen genommen haben, wenn er sich selbst auch noch für ein Wesen aus Sand hielt. Aber wie kontrollierte er dann diese wabernde Masse? Ich stellte diese Frage vorerst zurück, und entschied mich, etwas weniger Kompliziertes zu fragen. „Wie heißt du?“ Der rothaarige Junge hob den Kopf und starrte einige Sekunden lang mit unergründlichem Blick in den azurblauen Sommerhimmel. Ich dachte schon, er würde meine Frage ignorieren, doch da erhob er seine raue Stimme wieder mit all ihrer finsteren Ausstrahlung. „Ich bin … Sabaku no Gaara.“ Kapitel 2: Schuldig ------------------- In den Nachrichten hört man ständig von Entführungen. Psychisch gestörte Männer mit einem Maschinengewehr passen die Tochter reicher Politiker auf dem Nachhauseweg ab und verschleppen sie in ein einsames Gebäude. Um das Klischee perfekt zu machen, sind die Männer auch noch schwarz angezogen, haben überall Narben und vergewaltigen ihr Opfer erst ein paar Mal, bevor es getötet wird. Ich hatte so etwas hundertmal in Filmen gesehen, ohne dass es mich sonderlich beunruhigt hätte. Dagegen war mein Kidnapper ein völlig anderes Kaliber - Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er mit einem einzigen Blick die gesamte amerikanische Armee in Panik versetzen könnte. „Du bist viel zu langsam.“ Und wieder zuckte ich beim Klang dieser tiefen, harten Stimme unwillkürlich zusammen. Fahrig strich ich mir ein paar verschwitzte Ponysträhnen aus dem Gesicht und nutzte die Gelegenheit, um anzuhalten und mich an einer Hauswand anzulehnen. Dass Laufen so anstrengend sein konnte, hätte ich nie für möglich gehalten. „Tut mir leid, wenn ich mit einem geprellten Bein keine Geschwindigkeitsrekorde mehr aufstellen kann“, knurrte ich bissig. Er sah mich an und irgendetwas über seinen Augen zuckte. Bei normalen Menschen waren an dieser Stelle Augenbrauen, doch Gaara schien keine zu haben oder sie waren abrasiert. Eine reichlich dämliche Modeerscheinung. „Du bist erbärmlich. Für einen Ninja sollte das kein Problem sein“, sagte er. „Ninja?“, wiederholte ich verständnislos. Er atmete hörbar durch den Mund aus und ich konnte erkennen, wie seine Geduld schwand. „Stell dich nicht dümmer, als du ohnehin schon bist. Ich fühle dein Chakra.“ „Wow, herzlichen Glückwunsch! Wie schön für dich! Wenn du mir jetzt noch erklären würdest, was dieses Chakra sein soll, würde ich dich vielleicht sogar verstehen!“ Sein kalter Blick ließ mein Gesicht versteinern. Wahrscheinlich hätte er mir am liebsten sämtliche Eingeweide aus dem Körper gerissen und sie zur Organspende freigegeben. „Im Gegensatz zu allen anderen Leuten hier hast du ein Chakrasystem in deinem Körper. Kontrolliere es gefälligst und heile deine Wunde." Ich schnaubte amüsiert. Diese Drogenillusion wurde immer lächerlicher. „Gerne, hast du sonst noch einen Wunsch? Soll ich vielleicht noch mal eben schnell zum Weißen Haus fliegen und den Präsidenten zur Verstärkung holen? Bestimmt ist er begeistert von uns und unserem Chakrasystem und stellt uns unter Naturschutz. Ich seh die Schlagzeile schon vor mir ‚Neue Mutation der menschlichen Gene entdeckt: Junge kann Sand kontrollieren und Mädchen Wunden heilen’. Wir zwei werden berühmt, Junkie.“ Gaara kniff die Augen zusammen und musterte mich abschätzend. „Du machst dich lustig“, stellte er kühl fest. Es klang fast, als wäre er stolz darauf, das durchschaut zu haben. Ich grinste. Allmählich hatte ich fast das Gefühl, mich an seine gruselige Ausstrahlung zu gewöhnen, und das tat gut. „Du lädst dazu ein.“ Seine Augen kniffen sich weiter zusammen; der schwarze Rand schien immer größer zu werden. Einen Moment lang war es still und ich glaubte schon, ihn sprachlos gemacht zu haben. Doch da verschränkte er die Arme vor der Brust und sagte nur einen einzigen, knappen Satz. „Deine beiden Freundinnen werden sterben.“ Der Sensenmann selbst hätte diese Aussage nicht authentischer rüberbringen können und dennoch nahm ich sie nicht ernst. Ich wusste nicht, was es war – Naivität, meine Freude über die neugewonnene Immunität gegenüber seinen Augen oder einfach nur kindische Sorglosigkeit – das mich dazu bewegte, ihm nur ein fröhliches Grinsen zu schenken und dann mit einem betont lockeren „Das würde sich in dem Artikel über uns Mutanten bestimmt auch gut machen“ meinen Weg am Straßenrand entlang fortzusetzen. Es war dumm, diese Drohung zu ignorieren, denn er hatte es zweifellos ernst gemeint. Doch ich wiegte mich in Sicherheit – was konnte ein schmächtiger Dreizehnjähriger schon groß anrichten? Mehr als die Verletzung an meinem Bein war nur mit Sand garantiert nicht zu schaffen. Außerdem war es nicht mehr weit bis zur Polizeidienststelle. Es gab keinen Grund zur Panik, da war ich mir sicher. Er war ein Junkie, nichts weiter als ein Drogensüchtiger, das hielt ich mir immer wieder vor Augen. Die Polizeidienststelle in Frankfort war ein kleines, unscheinbares Gebäude mitten im Stadtinnern. Die Wände waren mit Efeuranken übersät und an den wenigen freien Stellen sah man den Putz an den Hauswänden abbröckeln. Auch die dunkelbraunen Fensterrahmen bräuchten dringend einen neuen Anstrich; so wirkte das Gebäude eher wie eine Anlaufstelle für Asoziale aus dem Ghetto. Immerhin passte das ausnehmend gut zu meinem Junkie von Kidnapper. „Wir müssen da rein“, erklärte ich mit einem kurzen Seitenblick auf Gaara. Er hatte sich mittlerweile meinem bescheidenen Tempo angepasst, was seine Stimmung jedoch nur noch weiter in den Keller getrieben hatte. Das Jadegrün seiner Augen schien regelrecht gefroren zu sein. „Zu welchem Zweck.“ Ich wusste nicht, wie, aber irgendwie schaffte er es, selbst Fragen wie Befehle klingen zu lassen. Krampfhaft konzentrierte ich mich auf einen Laternenmast direkt hinter ihm. Ich war zwar eine gute Lügnerin, doch im Angesicht seiner beängstigenden Augen ging ich lieber kein Risiko ein. „Ich will mich bei den Leuten da drinnen vergewissern, ob wir auch auf dem richtigen Weg sind“, sagte ich ruhig und gab mir alle Mühe, meine Gesichtszüge zu kontrollieren. Wie ich es nicht anders erwartet hatte, musterte Gaara mich eingehend; seine Jadeaugen wanderten hypnotisch genau über jeden Zentimeter meines Gesichts, auf der Suche nach jedem nur noch so geringen Anzeichen einer Lüge. Doch ich hatte Glück, denn da donnerte lautstark ein Pickup die Straße entlang und direkt an Gaara vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, ein erschrockenes Zucken von Gaaras Muskeln erkennen zu können. Ebenso schnell, wie es gekommen war, war es aber auch wieder verschwunden, und Gaara strahlte wieder die Autorität selbst aus. „Sag mir, was das war“, verlangte er. Ich seufzte leise. Konnten seine Drogen wirklich so stark sein, dass er nicht mal mehr wusste, was ein simpler Pickup war? „Das war ein Pickup. Ein Auto mit Ladefläche. In Kentucky gibt es die Dinger wie Sand am Meer.“ Keine Regung in seinem Gesicht. „Lass mich raten, im Windreich gibt’s keine Autos, stimmt’s?“, fragte ich und grinste ihn an. Zu meiner Überraschung war seine Antwort nicht mal eine weitere Morddrohung. „Nein. In Zukunft benutzen wir nur Wege ohne Autos.“ „Wie Sie wünschen, Sir!“ Ich salutierte und musste mir das Lachen verkneifen. Sollte er doch seine Befehle geben, ich hatte nichts zu befürchten. Schließlich gab es für uns keine Zukunft. Genau genommen gab es nicht mal ein „uns“. Rasch drehte ich mich zur Straße und heftete meinen Blick auf das Polizeigebäude. „Also, können wir dann? Je schneller wir dort sind, desto schneller kommen wir ins Windreich!“ Er trat neben mich – wahrscheinlich seine Version einer Zustimmung. Ich wartete noch, bis zwei BMW Mini Cooper vorbei waren, dann überquerte ich die Straße und trat durch die schmale Drehtür in das Polizeigebäude ein. Ein aufdringlicher Geruch von Akten, Gebäck und Kaffee schlug mir entgegen und sofort begann mein Magen zu knurren. Es sollte mich nicht wundern, immerhin hatte ich seit der Mittagspause nichts mehr gegessen und mittlerweile war fast Abend. Ein bulliger Polizist mit einem Stapel Akten auf dem Arm hinderte mich daran, weiter über meinen Magen nachzudenken; mit einem groben „Aus dem Weg, Kleine!“ drängelte er sich an mir vorbei und verschwand in einem der anliegenden Flure. „Verdammt, Bourdon! Sei doch nicht immer so unhöflich gegenüber den Teenagern!“, rief eine aufgebrachte Stimme ihm hinterher, und schon tauchte die zugehörige Person neben mir auf. „Entschuldige ihn bitte, manchmal ist mein Partner so versessen auf seine Arbeit, dass er seine Umwelt gar nicht mehr wahrnimmt.“ Dieser Polizist schien mir weitaus sympathischer zu sein, er hatte helle, blaue Augen und ein freundliches Lächeln. Ich erwiderte das Lächeln und gab mir dabei Mühe, mein verletztes Bein ein Stück weit hinter dem wuchtigen Blumentopf neben mir zu verstecken. Zwar hatte ich längst eine schmale Blutspur von der Tür bis hierher hinterlassen, aber einen Versuch war es wert. „Schon in Ordnung. Das verstehe ich vollkommen“, versicherte ich mit meiner artigsten Kleinmädchenstimme und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich mir überhaupt nicht überlegt hatte, wie ich die Polizisten überhaupt darauf aufmerksam machen wollte, dass ich mich gerade in der Gewalt eines mordlüstigen Kidnappers befand. Gaara stand direkt neben mir und würde mir unter Garantie den Hals umdrehen, wenn ich gleich mit der Tür ins Haus fallen würde. Dumm war er aber auch nicht; er würde mich auch nicht mit einer anderen Person zusammen allein lassen. Die Angelegenheit wurde doch komplizierter, als ich vermutet hatte. Der Polizist schien nichts Ungewöhnliches an mir festzustellen und blieb freundlich und hilfsbereit. „Kann ich dir vielleicht helfen? Was möchtest du denn hier?“ Ich wollte von diesem rothaarigen Psycho gerettet werden, verdammt noch mal! Unruhig zupfte ich an der Schleife herum, die vorne an dem T-Shirt meiner Schuluniform angebracht war. Der rot-weiße Stoff war mit Staub und Matschspritzern befleckt – wahrscheinlich die Überreste meines Sturzes im Park. Mein Gesicht sah bestimmt auch nicht viel besser aus. Dieser Gedanke brachte mich auf die perfekte Idee. „Ach, eigentlich nichts Besonderes. Ich bin nur vorhin hingefallen und würde mir gern den ganzen Dreck abwaschen. Wissen Sie, ich habe gleich ein Date und die Zeit reicht nicht mehr, um nach Hause zu kommen … Es ist ein Notfall“, erklärte ich und bemühte mich um einen verlegenen Tonfall sowie eine möglichst exakte Kopie von Kims Gesichtsausdruck, wenn sie von ihrem momentanen Freund redete: Große, aufgeregte Augen, an der Unterlippe herumkauen und ein Hauch von Hyperventilation. Mein Schauspieltalent schien an diesem Tag das Licht der Welt zu erblicken. Es zuckte um die Mundwinkel des Polizisten herum und er nickte mit einem verständnisvollen Augenzwinkern. „Ich verstehe, es ist anscheinend sehr dringend. Die Personaltoilette ist in dem Gang dort drüben, gleich die erste Tür rechts. Du kannst es gar nicht verfehlen.“ „Vielen Dank. Ich beeile mich auch“, sagte ich mit einem übertrieben erleichterten Seufzen. „Kein Problem. Bis dann!“ Der Polizist warf mir noch ein Lächeln zu und verschwand dann in demselben Flur, wie sein unfreundlicher Kollege zuvor. Nur für den Fall, dass er sich noch mal zu mir umdrehte, setzte ich noch einen auf meine Theatervorstellung in der Rolle als jungsverrücktes Girly drauf, und zog mein T-Shirt ein Stück nach unten, sodass der Ausschnitt ein paar Zentimeter tiefer wurde. Dass man sich so sehr erniedrigen musste, nur um einen hirnkranken Junkie loszuwerden! „Er ist weg, du kannst mit der dämlichen Show aufhören“, knurrte Gaara. Obwohl er leise sprach, ließ der Klang seiner dunklen Stimme mich schon wieder zusammenzucken und ich ärgerte mich selbst darüber. So viel zu meiner neuen Immunität gegenüber ihm. „Das weiß ich auch“, grummelte ich und trat auf den Gang, der zu den Toiletten führte, zu. „Aber es war alles für einen guten Zweck. In der Damentoilette hält sich nämlich eine Bekannte von mir auf. Sie kommt aus dem Windreich und kann uns vielleicht sogar dahin begleiten. Wenn du mich also kurz entschuldigen würdest, damit ich sie holen kann…“ Innerlich überreichte ich mir bereits den dritten Oskar für nützliche Spontaneinfälle an diesem Tag. Würde mein Dad sich noch einmal über meine viel zu lebhafte Fantasie beschweren, würde ich ihn an den heutigen Tag erinnern. Gaara hob zweifelnd seine nicht vorhandenen Augenbrauen und ich verwand all meine Konzentration darauf, mir meine Lüge nicht anmerken zu lassen. „Wer ist diese Bekannte?“, fragte er misstrauisch. „Sie heißt Keiko.“ Seine Fantasiewelt schien japanisch angehaucht zu sein und das war der einzige japanische Name, den ich kannte. Free Willy sei Dank. (Erklärung: Der echte Wal, nach dessen Vorlage der Film „Free Willy“ gedreht wurde, hieß Keiko.) Er schien einen Augenblick lang zu zögern, dann schob er den Träger seiner Vase zurecht. Gut möglich, dass ich mir nur einbildete, dass das eine drohende Geste sein sollte. „Ich komme mit.“ Ich verdrehte genervt die Augen. „Welchen Teil des Wortes Damentoilette verstehst du nicht?“ „Das ist eine geschäftliche Angelegenheit, keine zwischengeschlechtliche. Ich habe keinerlei Interesse an den sexuellen Aspekten dieser Örtlichkeit, das solltest du wissen.“ Es klang, als zitiere er den Text aus einem Lehrbuch über Triebtäter, nur leider passte seine Beharrlichkeit überhaupt nicht in meinen Plan. „Auf der Damentoilette haben Männer nichts verloren und damit Ende der Diskussion!“, zischte ich langsam wütend. „Du bleibst hier und ich bin sofort wieder mit dem Mädchen aus deinem Windreich zurück! Ich hau dir schon nicht ab!“ Gaara verschränkte die Arme und atmete mühsam kontrolliert durch den Mund aus. Ich merkte, wie er mit dem Gedanken spielte, ein Blutbad anzurichten, diesen dann aber doch verwarf. „In Ordnung. Geh. Drei Minuten, nicht länger“, kommandierte er. Ich nickte und grinste siegessicher. Geschafft! Da breitete sich ein leichtes Brennen an meinem verletzten Bein aus und das Blut quoll mit einem Mal wieder daraus hervor. „Was geht denn jetzt ab?!“, rief ich erschrocken und wich vorsichtshalber einen Schritt zurück. Die Schmerzen waren stärker als zuvor und das, wo ich mich gerade daran gewöhnt hatte. Gaara musterte mich kühl, doch ich glaubte auch einen Funken Befriedigung in seinen Jadeaugen erkennen zu können. „Ein bisschen Sand in deiner Wunde, nichts weiter. Das greift das Fleisch an und führt zu leichten Schmerzen. Nur eine Vorsichtsmaßnahme.“ Am liebsten hätte ich den Blumentopf neben mir genommen und ihn mitsamt der Mini-Palme im Innern in Gaaras Gesicht geknallt. Hatte dieser selbstsüchtige Verbrecher noch nie etwas davon gehört, dass Dreck in frischen Wunden zu lang anhaltenden Infektionen führte?! Wenn mein Bein nur wegen ihm amputiert werden musste, würde ich ihn so lange verprügeln, bis er nie wieder in der Lage sein würde, nur ein kleines bisschen Haschisch zu sich zu nehmen! Mühsam beherrscht drückte ich die Kiefer aufeinander, um meine Zunge in Zaum zu halten, bevor sie ein paar wüste Beschimpfungen ausspuckte. Ich musste mich zusammenreißen, nur noch dieses eine Mal. „Wie umsichtig von dir. Dann bis gleich“, presste ich langsam hervor, dann fuhr ich herum und rauschte halb humpelnd, halb würdevoll zur Toilette. Mein Zorn verklang erst wieder, als ich die weiße Holztür hinter mir geschlossen hatte, und mich an einem der Spülbecken anlehnen konnte, um mein Bein zu entlasten. Seufzend blickte ich in den Spiegel, aus dem mich ein von Aufregung gerötetes und staubverklebtes Gesicht anstarrte. Ich sah schlimmer aus als nach einem Lacrossespiel gegen die Oberstufe. „Entschuldige, Kleine, aber für Passanten ist hier kein Zutritt.“ Hinter mir kam eine schlanke Blondine mittleren Alters aus einer der Kabinen und musterte mich abschätzend. Ihrer Kleidung nach zu urteilen war sie Beamtin – Glück für mich. Meine Rettung war zum Greifen nah. „Sorry, aber es ging nicht anders“, sagte ich und beschrieb ihr so schnell ich konnte meine Situation, bevor Gaara misstrauisch werden und vielleicht auf die Idee kommen würde, in die Toilette zu platzen. Das Gesicht der Blondine – sie hieß übrigens Inspektor Atkins – wechselte dabei stetig zwischen Schrecken und Unglauben. Sie schien nicht recht zu wissen, was sie von meiner Geschichte halten sollte. „Das ist wirklich kein Scherz!“, beteuerte ich also, nachdem ich geendet hatte, und fuhr mir nervös mit allen zehn Fingern durch die Haare. Wieso musste auch alles so kompliziert sein?! „Da draußen in der Empfangshalle ist ein dreizehnjähriger Junkie, der mir den Hals umdreht, wenn ich nicht tu, was er von mir verlangt! Schauen Sie doch mal mein Bein an! Glauben Sie, ich würde mir das selbst antun, nur um Sie zu verarschen?“ Prüfend glitt ihr Blick über mein Bein, an dem das Blut in einem schmalen Rinnsal hinab floss und sich in einer kleinen Pfütze zu meinen Füßen sammelte. „Hat dir dieser Junge seinen Namen gesagt?“, fragte sie schließlich zusammenhanglos und ich erkannte, wie ernst ihre Stimme war. Jetzt war sie nicht mehr irgendeine Blondine, jetzt war sie Polizistin im Dienst. Sie nahm die Situation ernst, was mich ungemein erleichterte. „Er nennt sich Sabaku no Gaara, davon ist Gaara der Vorname. Der Rest ist eine Art Titel, aber ich denke mal, diesen Namen hat er sich nur in seinem Rausch ausgedacht.“ „Bist du sicher, dass er unter Einfluss von Drogen stand? Hatte er Schweißausbruch oder waren seine Pupillen geweitet?“ Ich seufzte genervt. „Was weiß denn ich! Ich seh ihm nicht gern in die Augen, weil er einen immer ansieht, als würde er einen am liebsten nur mit seinem Blick aufspießen! Der Kerl ist unheimlich, aber so was von! Und normal ist er garantiert nicht, das können Sie mir glauben! Er macht dauernd Morddrohungen, redet von Ninjas…“ Inspektor Atkins gab mir mit einem Nicken zu verstehen, dass sie genug gehört hatte, und zog ein Walkie-Talkie aus ihrer Hosentasche hervor. „Ich verständige meinen Partner. Er wird sich diesen Gaara mal ansehen und versuchen ihn in Untersuchungshaft zu stecken.“ Ich lächelte erleichtert und ließ mich vollständig gegen das Spülbecken hinter mir sinken. Lange würde ich es nicht mehr auf den Beinen aushalten, so viel war klar. Mit halbem Ohr hörte ich der Inspektorin zu, die ihrem Kollegen mit ein paar kurzen Sätzen die Situation erklärte, und dann gespannt wartete. Anscheinend hielt sie es für besser, mich nicht allein zu lassen und selbst zu gehen. Einige Minuten geschah nichts und ich nutzte die Zeit, um eins der Papiertücher mit Wasser zu tränken und mir damit notdürftig den Dreck aus dem Gesicht zu wischen. Das hier war definitiv der verrückteste Tag meines ganzen Lebens. Ein erstickter Schrei von Inspektor Atkins ließ mich zusammenzucken und beinahe mit dem Kopf gegen den Spiegel knallen. Erschrocken drehte ich mich um und musterte die Blondine; sie hatte sich eine Hand vor den Mund geschlagen und sah zutiefst geschockt aus. Dann drückte sie einen Knopf an dem Walkie-Talkie und redete mit sich überschlagender Stimme auf die Person am anderen Ende ein. „Hey, Leute, hier ist Atkins. Wir haben ein massives Problem in der Empfangshalle. Ein gewalttätiger Jugendlicher ist dort und hat anscheinend Smith gerade außer Gefecht gesetzt. Wir müssen mit allen verfügbaren Einheiten gegen diesen Kerl vorgehen und seid um Himmels Willen vorsichtig!“ Kurz hörte sie ihrem Gesprächspartner zu, ehe sie heftig den Kopf schüttelte und sich fahrig eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. „Nein, ich kann nicht kommen. Der Kerl hat ein Mädchen gekidnappt und ich bin mit ihr auf der Toilette im Erdgeschoss. Ich muss auf sie aufpassen. Geht alle gemeinsam gegen den Jungen vor, und zwar mit Gewalt.“ Wieder kurzes Schweigen. „Ja, notfalls bringt ihn um.“ Inspektor Atkins nickte noch mal und ließ das Walkie-Talkie dann wieder sinken. Rasch nahm sie einen tiefen Atemzug, um sich zu beruhigen; anscheinend war etwas Schlimmes vorgefallen. „Bei Ihrem Partner ging der Punk ab, hm?“, fragte ich. Mit blitzenden Augen starrte sie mich an; mit diesem ordinären Satz hatte ich mich eindeutig im Ton vergriffen. „Ja, verdammt! Bei Smith geht der Punk ab! Wahrscheinlich hat dein Möchtegern-Ninja ihn kalt gemacht!“, zischte sie aufgebracht. „Ich hab ihn nur noch schreien gehört; wir können nur hoffen, dass er es überlebt hat! Hättest du nicht sagen können, wie heftig dein Gaara ist?! Wir gehen jetzt mit allen verfügbaren Leuten auf ihn los!“ Das reichte, um mich gänzlich in Rage zu bringen. Ich war das Opfer, verdammt noch mal! Was konnte ich denn dafür, was mein Kidnapper tat?! „Ich hab doch gesagt, er redet dauernd wirres Zeug von Morden und der ganze Scheiß! Hätte ich es etwa mit Leuchttafeln und Spruchbändern ankündigen sollen: ‚Achtung, der Kerl, der mir das Bein gebrochen hat, ist gefährlich!’, oder wie stellen Sie sich das vor?!“ Gellende Schreie von nicht allzu weit entfernt hinderten Inspektor Atkins daran, mir zu antworten. In blankem Entsetzen riss sie die Augen auf und nahm ihr Walkie-Talkie zur Hand. „Leute? Hey, was passiert da bei euch?“, rief sie mit etwas schriller Stimme. Aus dem Gerät kam nur undefinierbarer Krach; es klang wie eine Mischung aus schweren Dingen, die zu Boden fielen, ersticktem Keuchen und vereinzeltes Spritzen von Flüssigkeit. „Elendes, wertloses Menschenpack…“, raunte schließlich eine eiskalte, raue Stimme, die ich mittlerweile aus Tausenden heraushören würde. Auf einen Schlag wurde mir klar, wie ernst die Situation war. Ich hatte ihn unterschätzt. Und zwar gewaltig. „Verdammt!“, presste Inspektor Atkins zwischen den Zähnen hervor und eilte zur Tür. „Ich geh nachsehen, aber du bleibst da! Rühr dich nicht vom Fleck, da draußen ist Alarmstufe Rot!“ Die Tür schlug zu und ich hörte, wie sie mit hastigen Schritten verschwand, während wenige hundert Meter entfernt das Gemetzel weiterging. Die Schmerzensschreie hallten bis zu mir hin und das machte mich schier verrückt. War das wirklich Gaara? Machte er jetzt all die Drohungen wahr, die er mir an den Kopf geworfen hatte? War er am Ende doch nicht geistesgestört und diese seltsame Geschichte mit dem Sand stimmte? Ich drückte mich in die Ecke des Badezimmers und krallte meine Hände in meine Haare. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und die Panik zehrte an meinen Nerven. Dort draußen war hundertprozentig die Hölle los – ob die Polizisten Gaara überhaupt gewachsen waren? Wie stark war sein Sand wirklich? Und falls tatsächlich einige von ihnen ernsthaft verletzt wurden … war das dann meine Schuld? Diese Vorstellung war so schrecklich und gleichzeitig so unmöglich, dass sie mich fast um den Verstand brachte. Ich konnte nicht glauben, dass Gaara wirklich so gefährlich sein sollte, wie er immer tat – er war doch praktisch noch ein Kind, wenn auch mit zu viel Kajal im Gesicht. Nein, das konnte nicht sein. Ich musste mich schnellstmöglich vergewissern, dass alles in Ordnung war. Noch ehe ich es selbst realisiert hatte, war ich durch die Tür gestürmt und rannte den Gang entlang. Die gellenden Schreie und der Krach wurden immer lauter, je näher ich der Empfangshalle kam; ich konnte ersticktes Röcheln, wilde Flüche und ein paar Schüsse hören. Und alles wurde immer lauter. Vor mir öffnete der Flur sich und ging in die kreisrunde und mit Blumenkübeln vollgestellte Empfangshalle über. Der einzige Unterschied war, dass die vielen Palmen nun mit roter Flüssigkeit bespritzt waren, ebenso wie die cremefarbenen Wände und das Linoleum zu meinen Füßen. Scharfer Geruch von Blut stieg mir in die Nase. Wie paralysiert blieb ich stehen und starrte auf das Szenario des Grauens, das sich mir bot. So etwas geschah nur in hirnlosen Horrorfilmen von Stephen King. In Büchern, Serien, meinetwegen auch Alpträumen, aber nicht im wahren Leben! Inspektor Atkins hing knappe zweihundert Meter vor mir in der Luft, aufgehängt an einem breiten Striemen hellbraunen Sand. Die wabernde Masse lag um ihre Schultern und fraß sich dort in ihr Fleisch. Es war schwierig, sie überhaupt noch zu identifizieren, da ihr Gesicht vollkommen entstellt war: Die Nase hing verbogen zur linken Seite, Ober- und Unterlippe gingen völlig in Blut unter und statt ihren Augen befand sich nur noch eine Mischung aus Blut und einer geleeartigen Flüssigkeit in den leeren Augenhöhlen. Hätte sie nicht geschrieen, hätte man sie nicht mal mehr als lebend bezeichnen können. Nach einem schier endlosen Augenblick erbarmte sich der Sand schließlich ihren Höllenqualen und zerfetzte ihren Oberkörper. Wie ein heftiger Regen ergossen sich Blut und Eingeweide über den gesamten Raum, und ich zuckte vor Schreck zurück, als mir etwas gegen die Brust geschleudert wurde. Reflexartig fing ich den warmen, nassen Gegenstand und wünschte mir im selben Augenblick, es nicht getan zu haben. Eine rot-violette Masse drückte sich in pulsierenden Bewegungen gegen meine Finger und pumpte durch abgetrennte Adern Blut in meine Handfläche. Ich brauchte keine eins in Biologie, um das menschliche Herz in meiner Hand zu erkennen. Mit einem hysterischen Aufschrei ließ ich das Organ fallen und presste mich an die Wand hinter mir. Wohin ich auch sah – in der gesamten Empfangshalle lagen verstümmelte Körper von toten Polizisten. Nur zwei Personen bewegten sich noch, und die befanden sich am anderen Ende des Raums. Durch den Schleier des Entsetzens, der mich fesselte, erkannte ich Gaara – in völliger Ruhe einen Arm ausgestreckt, um den der Sand sich schlängelte. Selbst auf die Entfernung blitzten seine Augen bedrohlich und eiskalt und dieser Anblick fraß binnen Sekunden ein tiefes, schwarzes Loch der Panik in meinen Bauch. Das letzte Opfer musste in eben diesem Moment kapitulieren und ließ die Pistole fallen, mit der er bis eben erfolglos auf Gaara geschossen hatte. Als wolle das Schicksal mich nur noch zusätzlich verhöhnen, war es ausgerechnet der sympathische Polizist, der mir vorhin geholfen hatte. Dieser wahnsinnig freundliche und hilfsbereite Mensch - er war absolut unschuldig, er hatte das nicht verdient! Das musste ich verhindern! Ich wusste nicht, wie, aber irgendwie gelang es mir, mich von der Wand abzustoßen und meine schwachen Beine vorwärts zu zwingen. Vorwärts, mitten durch die vielen Leichen. „Gaara! Lass ihn in Ruhe! Hör auf, sofort!“, schrie ich und merkte selbst, wie erbärmlich ich klang. Doch es schien zu helfen; Gaara wandte seinen Blick von dem Polizisten ab und fixierte mich mit seinen Jadeaugen. Er sah mich mit einer solchen Kälte an, wie ich sie vom Teufel selbst nicht anders erwartet hätte. Hektisch schob ich mich zwischen ihn und den Polizisten, der sich hilfesuchend an eine Wand drückte. Er zitterte sogar noch mehr als ich. „Es reicht! Das ist genug!“ Ich ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass meine Fingernägel blutige Striemen in meine Handflächen bohrten, und dann ging die Panik einfach mit mir durch und ich verlor jegliche Kontrolle über meine Zunge. „Du hirnkranker, verhaltensgestörter, unausstehlicher Psychopath!“, polterte ich in voller Lautstärke los. „Was bildest du dir eigentlich ein! Hast du überhaupt eine Ahnung, was du da gerade angerichtet hast! Was glaubst du, wer du bist! Ein Ein-Mann-Unternehmen für die Neuauflage der Terroranschläge vom elften September?! Nur weil du dich zugekifft hast und dich für einen Ninja mit Chakra oder was weiß ich für einer Scheiße hältst, kannst du doch nicht … Wie hast du das gemacht?! Zeig schon, wo ist deine Knarre?! Oder war’s ein Sprengsatz?! Du bist doch auch nur ein ganz normaler Mensch, nur mit einem Riesenknall! Kontrolle über den Sand – Gott, geht’s noch dämlicher!“ Schwer atmend stand ich ihm gegenüber, zwar noch immer mit zittrigen Knien, aber mit gestrafften Schultern. Es reichte, ich wollte mir diesen Alptraum nicht länger gefallen lassen! „Ich bin also nur ein normaler Mensch … ein vollkommen normaler Mensch…“ Gaara sprach die Worte langsam und verächtlich aus. Seine Augen verengten sich gefährlich weit und schmerzhaft intensiv wurde mir klar, was für einen großen Fehler ich gerade begangen hatte. „Ich zeige dir, wie normal ich bin.“ Und dann brach der Sturm los. Schier unendliche Sandmassen wirbelten auf und fielen über den Polizisten her. Ich fuhr herum und sah, wie zwei schmale Sandstränge sich um seine Handgelenke schlossen und ihn so an die Wand drückten. Gequält kniff der Mann die Augen zusammen und ächzte. „Der Sand wird jetzt seinen rechten Daumen abtrennen“, verkündete Gaara düster. Die Worte waren kaum ausgesprochen, da schloss ein Teil des Sandes sich um die rechte Hand des Polizisten und mit einem knackenden Geräusch fiel der Daumen zu Boden. Direkt vor meine Füße. Mein Inneres gefror und mein Gesicht versteinerte förmlich. Fast konnte ich wieder das noch schlagende Herz von vorhin in meiner Hand fühlen – widerwärtig und unmenschlich. „Jetzt bricht er sein linkes Fußgelenk.“ Ich hörte den Polizisten schreien und sah das Blut spritzen. Und im selben Augenblick wusste ich, dass es meine Schuld war. Ich hätte ihn nicht provozieren dürfen, niemals. Ein Blick in sein Gesicht reichte doch schon, um zu wissen, dass er gefährlich war und nicht nur bluffte! Aber was hatte ich dumme Egoistin getan? Ich hatte so getan, als wäre alles ganz normal, mich verhalten, als wäre er ein Klassenkamerad von mir. Ich war schlicht und ergreifend zu naiv gewesen, um die Gefahr, die von ihm ausging, zu realisieren! Und der Horror ging unaufhaltsam weiter. „Er bricht beide Schlüsselbeine.“ „Nein!“, schrie ich schrill und stürzte mich auf den Polizisten, um ihn zu befreien. Doch der Sand war hart wie Stein und meine Finger fanden daran keinen Halt. Es war unmöglich, ihn zu entfernen; meine Fingernägel brachen ab und hinterließen blutige Spuren auf meiner Haut. Hilflos starrte ich in das leichenblasse Gesicht des Polizisten. Seine Schreie waren mittlerweile einem kraftlosen Wimmern gewichen und in seiner Qual hatte er sich die gesamte Unterlippe abgebissen. „Es tut mir Leid! Mister, es tut mir leid!“, beteuerte ich verzweifelt und bemerkte erst jetzt, dass mir vor Panik die Tränen die Wangen hinab rannen. Ich fühlte mich grauenhaft: Hilflos, panisch, nutzlos, hatte Todesangst und dann war da auch noch dieses schwere Gefühl der Schuld. All diese Menschen waren nur wegen meiner Dummheit gestorben und dieser herzensgute Mann musste nur leiden, weil ich meine Klappe nicht im Griff hatte. „Der Sand trennt jetzt beide Handgelenke ab.“ Ich fuhr erneut herum und versuchte Gaara festzuhalten, damit er aufhörte, doch der Sand blockte mich ab und ließ mich nicht mal einen Meter vor ihn kommen. „Selbst mit deinen beschränkten Fähigkeiten solltest du es bemerkt haben…“, sagte Gaara und der Sandschild verzog sich so weit, dass ich wieder sein Gesicht sehen konnte. Nicht der kleinste Hauch Reue oder überhaupt irgendeine menschliche Emotion lagen in seinem Blick. „Das passiert mit jedem, der sich mir widersetzt.“ Meine zittrigen Knie gaben nun endgültig nach und ich sank kraftlos zu Boden. Verkrampft presste ich meine Hände gegen meinen Kopf, als könnte ich so die erstickten Schreie und das Wimmern daran hindern, zu mir durchzudringen. Ich hielt es nicht aus, ich wollte hier raus! „Ja! Ja, verdammt, ich hab’s kapiert!“, würgte ich hervor und hob den Kopf, um Gaara anzusehen. Sein Blick lag unerschütterlich fest auf mir; er sah mich an wie ein minderwertiges Insekt, das ihm sogar zu erbärmlich war, um die Energie zu verschwenden, es zu zerquetschen. „Du bist ein Ninja, du bist ein Wesen aus Sand, du tötest ohne zu zögern, du kommst aus dem Windreich! Ich glaube dir!“, versicherte ich verzweifelt und meine Stimme war heiser vor Aufregung. „Ich bring dich in deine Heimat, wirklich! Aber hör auf! Ich versprech’s dir: Ich tu alles, was du willst! Ich bring dich, wo auch immer du hin willst! Ich verteidige dich gegen die Bullen! Wirklich, alles, was du willst! Du Chef, ich nix – von mir aus! Aber hör auf, Gaara, bitte, lass das! Diese Menschen können nichts dafür!“ Die Worte waren aus mir herausgeflossen wie ein nicht enden wollender Strom, und zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, was ich alles damit anrichtete. Ich hörte nur, wie der Sand dem Polizisten hinter mir das Genick brach und dessen abgetrennter Kopf anschließend über den blutverspritzten Linoleumboden rollte. „Na endlich. Jetzt verstehen wir uns.“ Gaaras Stimme klang weit entfernt, wie hinter einem dichten Schleier versteckt. Das änderte allerdings nichts daran, dass bei ihrem Klang eine heftige Gänsehaut, fast schon wie Schüttelfrost, über mich hereinfiel. Er drehte sich um und ging in völliger Ruhe auf die Drehtür der Polizeidienststelle zu. „Steh auf und komm mit. Das hier war Zeitverschwendung, außerdem bist du nutzlos. Du musst lernen, dein Chakra zu beherrschen, sonst stehst du nur im Weg rum, wenn diese Parasiten wieder angreifen. Hast du das innerhalb von zwei Tagen nicht geschafft, töte ich dich.“ Ich wusste nicht, ob es Absicht war, dass er bei seinen Worten den abgetrennten Schädel eines Polizisten zertrat, aber dieses Krachen reichte schon, um mich panisch in die Höhe zu katapultieren. Wacklig hielt ich mich auf den Beinen und folgte ihm dann, langsam aber bestimmt. Diese bis jetzt längste Rede, die ich je von ihm gehört hatte, verriet mir alles, was ich vorerst wissen musste: Er hatte von einem Zeitlimit von zwei Tagen gesprochen. Für die nächste Zeit war ich an ihn gefesselt. Ich war die Bedienstete eines psychopathischen Killers. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich hoffe, man merkt einigermaßen, wieso ich die Ich-Perspektive wähle: So kann ich alles aus Yukas Sicht beschreiben und das soll genau der Hauptkontrast der Story sein: Yuka und ihre naive, streitsüchtige Weltanschauung und daneben Mister Murderer Gaara. Es ist also gewollt, wenn einige Stellen literarisch nicht ganz korrekt sind, es ist einfach aus Yukas Sicht. Deshalb hab ich auch die meiste Zeit über „American Idiot“ von Green Day gehört, passt einfach perfekt zu ihr. Momentan ist Yuka nichts weiter als ein American Idiot xD Kurze Frage: Wie sieht es mit den Gewaltszenen aus? Wie gefällt euch die Beschreibung? Sie machen einen großen Teil der Story aus, deshalb ist es mir wichtig, dass sie gut rüberkommen. Ich hab übrigens keinen Doktortitel in der Biologie, also falls die Stelle mit dem menschlichen Herz nicht korrekt war, tut’s mir leid. See ya^^ Meggy Kapitel 3: Fassaden ------------------- Ich wusste nicht, wie lange ich es geschafft hatte, ihm durch die wenig befahrenen Seitenstraßen zu folgen, bis ich endlich wieder Gefühl in meine tauben Glieder bekam und mein frenetischer Pulsschlag sich halbwegs beruhigte. Noch immer lag mir der ätzende Geruch von Blut in der Nase, doch immerhin verschwanden der Schwindel und die Übelkeit allmählich. Vollkommen erschöpft hielt ich an und ließ mich auf ein paar Treppenstufen sinken. Ich war in einer Ecke Frankforts gelandet, die ich für gewöhnlich mied, denn dort trieb sich vorzugsweise der Abschaum der Highschool herum: Drogendealer, Kleinverbrecher und Alkoholiker. Gegen diese Typen war ich die heilige Jungfrau Maria. „Ich hab dir nicht erlaubt, dich zu setzen.“ Müde hob ich den Kopf und blickte auf den Mörder der gesamten Polizeieinheit Frankforts. „Entschuldigung, wenn ich es nicht gewohnt bin, dass ein halbes Dutzend Menschen vor meinen Augen abgeschlachtet wird!“, zischte ich und ärgerte mich selbst über das mitgenommene Zittern in meiner Stimme. „Du könntest die Nächste sein.“ Er sagte es so ruhig, als wäre es eine völlige Selbstverständlichkeit und jetzt verstand ich auch, wie normal eine solche Drohung für ihn war. Ich schluckte und rang nach einer passenden Antwort. „Hey, wir haben etwas ausgemacht, oder etwa nicht? Wir arbeiten zusammen, also lass mich in Ruhe.“ „Falsch. Du tust, was ich sage, und zwar ohne Widerworte“, knurrte er und mein Pulsschlag schoss sofort wieder in die Höhe. Entschieden schüttelte ich den Kopf und versteinerte mein Gesicht, in der Hoffnung, das würde mich unnachgiebig erscheinen lassen – natürlich nur, wenn man von meinen geröteten Augen absah. „So geht das aber nicht. Sklave und Herrscher: Nein, danke. Gleichberechtigte Zusammenarbeit: In Ordnung.“ Ich war selbst überrascht davon, wie überzeugend ich klang und machte den Versuch eines selbstgefälligen Lächelns. Das Jadegrün seiner Augen wurde schlagartig einen Farbton dunkler, wie es mir schien, und ich hatte Mühe, seinem Blick standzuhalten. „Wieso sollte ich mich mit dir“- er würgte das Wort voller Verachtung heraus –„…auf eine Stufe stellen.“ Diese reichlich grobe Beleidigung gab mir neuen Mut und so erhob ich mich und sah ihn ernst an. Nur gut, dass er nicht auch noch größer als ich war. „Ganz einfach: Ich bin die einzige Amerikanerin mit Chakra, das hast du selbst gesagt. Also bin ich ein potentieller Mutant. Und wenn du nicht zufällig Arnold Schwarzenegger oder Jackie Chan über den Weg läufst, findest du keinen nützlicheren Partner“, erklärte ich, nachlässig mit einer Hand gestikulierend. Morde hin oder her – die Logik war auf meiner Seite. Er hob eine seiner abrasierten Augenbrauen und sah mir direkt in die Augen. Mir wurde beinahe schwindelig unter diesem mörderischen Blick, doch ich schluckte meine instinktive Angst hinunter und straffte die Schultern. Mut und Wahnsinn lagen eben doch nah beieinander. „Aber du kannst dein Chakra nicht kontrollieren. Außerdem weißt du nicht mal, wo das Windreich liegt. Du bist absolut wertlos für mich.“ Damit sprach er mein zweites Hauptproblem an und brennender Ehrgeiz kam in mir hoch, gemeinsam mit Selbsterhaltungstrieb. Er mochte brutal sein und am längeren Hebel sitzen, aber ich war nicht bereit, mich unterzuordnen wie ein willenloser Sklave! Amerika war immer noch ein Rechtsstaat! Entschlossen wischte ich all meine Angst, Verzweiflung und das Entsetzen über die Ereignisse im Polizeirevier beiseite. Ich wollte nicht vor ihm zittern; jetzt galt es, ihm erst einmal zu beweisen, dass er mit mir nicht länger so umspringen durfte. Ich war Yuka Ashihira, Lacrosse-Champion der Regionalliga und meist vorbestrafteste Schülerin der ganzen Frankfort Junior High. Ich hatte immer noch einen Ruf zu verteidigen! Also schob ich energisch das Kinn vor, blendete die Erinnerung an all das spritzende Blut und die zerfetzten Menschenkörper aus und verschränkte die Arme vor der Brust. Meine Gesichtszüge wurden härter, meine Augen schmaler, und dann setzte ich zu der verrücktesten und selbstmörderischsten Rede meines Lebens an. „Ich hab weder eine Ahnung, wer du wirklich bist, noch wo du herkommst. Ich weiß nur, dass ich etwas an mir habe, das du brauchst oder dir zumindest einen Vorteil verschafft. Das heißt, wir sind beide aufeinander angewiesen. Klar, du bist der große, starke Mörder und ich im Vergleich dazu nur ein mickriges Großmaul, aber du weißt so gut wie ich, dass du mich brauchst. Also, Gaara, ich biete dir einen Deal an: Ich gebe mein Bestes, um dich in deine Heimat zu bringen – wo auch immer das liegt. Dafür lässt du deinen Sand von mir und hörst auf, alles zu killen, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Und jetzt schau nicht wieder so, als wolltest du mich nur mit einem Blick köpfen und meine Körperteile auf dem Schwarzmarkt verscheuern! Ich arbeite mit dir zusammen, aber nur, wenn du dich halbwegs normal benimmst! Das heißt keine Morddrohungen, keine Gewalt und dein Sand bleibt hübsch in dieser Vase auf deinem Rücken. Klar soweit?“ Die schwache Stimme der Vernunft in mir verkündete mein baldiges und äußerst schmerzvolles Ableben, während mein arroganter Teil sich so waghalsig-cool wie Johnny Depp in seiner Rolle als Jack Sparrow in Fluch der Karibik fühlte. Nur, dass der Gegenspieler kein verfluchter Zombie-Pirat, sondern ein Klappergestell von einem dreizehnjährigen Jungen war. Besagtes Klappergestell musterte mich, abschätzend und kühl wobei er bis in mein Innerstes zu dringen schien; ich fühlte mich ihm nackt und schutzlos ausgeliefert. Und das nur, weil er vor mir stand und mich anstarrte! Meine Psyche musste definitiv in Mitleidenschaft gezogen worden sein. „Du hast keine Angst vor mir“, stellte er schließlich mit einem seltsamen Unterton in seiner rauen Stimme fest, den ich nicht recht einzuordnen wusste. Es musste irgendwo zwischen Verwirrung und Zorn liegen, beides jedoch in Zaum gehalten. Diese Antwort warf mich aus der Bahn. „Na ja“, sagte ich, um mir etwas Zeit zu verschaffen und setzte ein Grinsen auf. „Glaubst du, du kannst mich beeindrucken, indem du ein paar Leute abschlachtest? Das hab ich alles schon hundertmal in Filmen gesehen, obwohl du durchaus mit Saw mithalten kannst. Ich bin abgehärtet, würd ich mal sagen.“ Das war die Übertreibung des Jahrhunderts, doch er schien mir die Lüge abzukaufen. Er kniff nur die Augen leicht zusammen und sagte kein Wort mehr. „Also, haben wir einen Deal?“, fragte ich schließlich, weil ich mir nicht sicher war, wie lange ich es noch schaffen würde, die Starke zu spielen. „Du wirst tun, was ich dir sage.“ Himmel, war der Kerl gruselig bei jeder noch so banalen Aussage! Ich musste all meine Energie auf eine gleichmäßige Atmung verwenden und nickte. „Ich werde tun, was du sagst, solange dadurch niemand zu Schaden kommt. Aber das heißt nicht, dass ich dein Eigentum bin. Gleichberechtigte Partner, klar?“ Seine Lippen zuckten und einen Moment lang rechnete ich fast damit, dass wieder der Sand auflodern und auf mich losgehen würde, doch dann nickte er nur und schob seine schmalen Hände in die Taschen seiner schwarzen Hose. Es war das erste Mal, dass mir auffiel, wie zerbrechlich sein Körper eigentlich wirkte: Seine Hände waren blass, die Finger lang und dünn und an seinen Handgelenken stachen die blauen Adern überdeutlich hervor. Wahrscheinlich war es schlichtweg der krasse Kontrast zwischen seinen erwachsenen, kalten Augen und seinem kindlichen Körper, der mir diese instinktive Furcht einflößte. „Sehr gut!“, rief ich, um mich selbst abzulenken, und streckte ihm kameradschaftlich die Hand hin. „Dann hör endlich auf, mich immer ‚du’ zu nennen. Mein Name ist…“ „Ich will deinen Namen nicht hören.“ Irritiert von dieser schroffen Unterbrechung sah ich in seine gefrorenen Augen. „Wieso das? Wir sind Partner, also können wir uns ruhig normal ansprechen!“ „Wir arbeiten zusammen, solange bis ich mein Ziel erreicht habe. Danach bist du auch nur ein weiteres Opfer. Und ich will die Namen dieser wertlosen Opfer gar nicht hören.“ Er sagte es, als wäre es von Anfang an beschlossene Sache gewesen, dass ich früher oder später durch seine Hand sterben würde. Ich musste mich umdrehen, damit er nicht sah, wie mir die Gesichtszüge entglitten und meine Schultern ganz automatisch zu zittern begannen. Diese Angst vor ihm war allgegenwärtig, so sehr ich sie auch zu verdrängen versuchte, und das ärgerte mich. „Dann komm einfach mit, solange du noch Zeit mit einer lebenden Partnerin verbringen kannst“, zischte ich leise. Das sollte scharf klingen, missglückte allerdings völlig. Ich wollte gerade zu einem überzeugenderen Satz ansetzen, als mich das kratzende Geräusch von Rollen auf Betonboden erstarren ließ. Mit einem Quietschen kam es direkt hinter mir zum Stillstand. „Hey, Japan-Girl! Schwing deinen knochigen Hintern sofort von unserem Platz, sonst setzt’s was! Und nimm deinen komischen Freund gleich mit!“ Ich stöhnte auf. Großartig, das hatte mir gerade noch gefehlt! Betont lässig drehte ich mich um und blickte geradewegs auf drei nur wenig ältere Jungen, die mit ihren Skateboards am Eingang des Skaterparks standen. Jeder in ganz Frankfort kannte diese Typen. Sie waren erst im zweiten Jahr auf der Highschool und benahmen sich schon, als wären sie der ganzen Welt überlegen. Dabei war das Einzige, das sie wirklich gut konnten, sich mit ihren Skateboards so richtig schön auf die Fresse zu packen. Mit einer gewollt arroganten Geste warf ich meine Haare zurück und trat neben Gaara. „Ach, darf ich meinen Lieblingsskatern nicht mehr beim Hinfliegen zugucken?“, rief ich provokant zurück und bedachte den größten der drei mit einem spöttischen Grinsen. „Übrigens, Mike, wie geht’s eigentlich deinem minderbemessenen besten Stück? Hab gehört, du hast dir das Teil bei ’nem Slide an ’nem Treppengeländer zerquetscht…?“ Die halbe Stadt redete seit über einer Woche von kaum etwas anderem mehr, als vom Verlust von Mikes Zeugungsfähigkeit. Mike – ein ebenso großer wie muskulöser, aber im Prinzip harmloser Kerl – ließ sein Board zu Boden gleiten und trat einige Schritte auf mich zu. Die anderen beiden flankierten ihn und ich verstand schon, was ihre feindseligen Blicke mir sagen sollten: Kleine Junior Highschool Girls hatten sich aus der Potenz - beziehungsweise Impotenz, in diesem Fall - eines Zehntklässlers herauszuhalten. Das war etwas, das ich nur zu gut gewöhnt war. Stress mit Oberschülern war Teil meines Alltags und es war direkt beruhigend zu wissen, dass dieser Teil meines normalen Lebens auch während meiner seltsamen Gefangenschaft weiterging. In gewisser Weise gab es mir Sicherheit und das tat gut nach all der Angst und den sich überschlagenden Ereignissen. „Das muss ja ganz schön hart sein, in Zukunft nur durch einen Schlauch zu pinkeln. Aber sieh’s positiv: Du hast zumindest keine Freundin, die darunter leiden müsste.“ Ich schenkte ihm ein bösartiges Lächeln und verschränkte die Arme vor der Brust. Mike kniff die Augen zusammen und blieb direkt vor mir stehen. Obwohl er fast zwei Köpfe größer als ich war, vermochte ich nicht den Ansatz von Respekt zu empfinden. Was war er schon, verglichen mit Gaara! „Und was für einen dürren Gartenzwerg hast du da dabei? Ist der aus der Klapse ausgebrochen?“ Offenbar war ich nicht die Einzige, der Gaaras offensichtliche Abnormalität ins Auge stach. Ich konterte mit einem zynischen Lachen. „Dieser Stil nennt sich Emo. Aber wundert mich nicht, dass du keine Ahnung von Stil hast.“ Ein scharfer Windzug zischte an meiner Wange vorbei und ich war froh, schon vorsorglich ein Stück zur Seite gerückt zu sein, sonst hätte Mikes Faust ihr Ziel garantiert nicht verfehlt. „Weißt du, was das Problem an dir ist, Japan-Girl?“, knurrte er. „Du merkst nie, wann du es übertreibst.“ „Immerhin ist sie ein minimales, unbedeutendes Stückchen weniger erbärmlich als du wertloser Haufen Fleisch.“ Ich konnte das Adrenalin der drei Jungen förmlich pulsieren hören, als Gaara diesen eiskalten Satz aussprach, und das bereitete mir unverschämtes Vergnügen. „Schon gut, mach dir nur keinen Stress, Gaara“, sagte ich lässig und schob mich an den drei Jungen vorbei. „Kastrierte Kerle sind nicht auf meinem Niveau. Komm, wir gehen.“ Und dann geschahen plötzlich mehrere Dinge gleichzeitig. Der blonde Kerl neben Mike zerrte mich an der Schulter zurück und fixierte mich mit eisernem Griff. Mike selbst holte aus und rammte seine Faust dann mit solcher Wucht in meinen Bauch, dass mein Magen sich zum x-ten Mal an diesem Tag umdrehte und ich würgen musste. Fast gleichzeitig loderte um Gaara herum feiner Sand auf und machte sich zum Angriff bereit. Ich wusste, was er vorhatte, und hob abwehrend eine Hand, um ihn aufzuhalten. Diese Kerle waren kein Blutvergießen wert. „Schon gut, Gaara“, japste ich atemlos und hielt mir mit einer Hand den schmerzenden Bauch. Langsam hatte ich genug davon, von allen Leuten als Fußabtreter und Opfer zum Frustabbau verwendet zu werden, und so riss ich den Kopf hoch und funkelte Mikes Clique wutentbrannt an. An Gaara konnte ich mich nicht abreagieren, doch diese wichtigtuerischen Idioten hatten es nicht anders verdient. „Hey, Mike“, zischte ich leise. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass sogar Kim härter zuschlägt, als du?“ Der Rest war Routine. Alles Dinge, die ich hundertmal getan hatte und die mir in Fleisch und Blut übergegangen waren. Mike bekam meine Faust ins Gesicht – natürlich mit dem Handballen nach oben stoßend, sodass im Idealfall sogar noch die Nase brach. Für die beiden anderen zückte ich mein Taschenmesser und verpasste ihnen ein paar nette Andenken auf die nackten Arme. Es war immer wieder amüsant zu hören, wie lächerlich sich die erschrockenen Schreie dieser harten Kerle anhörten. „Fuck! Das kriegst du zurück, verlass dich drauf, du dreckige Hure!“, fluchte Mike, ehe er sich mit seinen beiden Freunden aus dem Staub machte. Zurück blieben nur ein paar Blutspritzer auf dem Boden. Befreit atmete ich aus und wischte die Klinge meines Messers an einem Taschentuch ab. Es gibt nichts, das schwerer zu entfernen ist, als eingetrocknetes Blut auf Stahl. „Die wären wir los“, stellte ich grinsend fest und drehte mich wieder zu Gaara. Es überraschte mich, dass er sich nur auf meine Bitte hin aus dem Getümmel herausgehalten hatte; offenbar war er doch teamfähiger, als ich gedacht hatte. „Du hast die Kerle fertig gemacht, obwohl sie dir sowohl körperlich, als auch zahlenmäßig überlegen waren." Er klang eindeutig überrascht. Ich warf ihm ein schiefes Grinsen zu und vergaß für einen Augenblick voll und ganz, dass ich mit meinem Kidnapper – oder auch Partner, wenn man das so bezeichnen konnte – redete. „Gewohnheit, nichts weiter. Wenn mir jemand auf die Nerven geht, kriegt er eine in die Fresse und fertig.“ Gaara hob eine seiner nicht vorhandenen Augenbrauen; sein Blick wurde dabei erneut so intensiv, als würde er bis in mein Innerstes blicken, doch ich vermochte keine Angst zu spüren. Ich fühlte mich sicher in meiner Rolle als Schlägerin, die ich zur absoluten Perfektion ausgefeilt hatte. „Und du weißt, dass du damit bei mir keinen Erfolg haben wirst. Darum handelst du mit mir bessere Vertragsbedingungen aus.“ Ich verstand nicht ganz, was er mir damit sagen wollte, nickte aber dennoch überschwänglich. Er kniff die Augen kurz zusammen, dann drehte er sich abrupt um und ging auf den Ausgang des Skaterparks zu. „Unter Umständen bist du doch nützlich. Jetzt komm und such das Windreich.“ „Seh ich aus wie ein Suchhund?“ Ich verdrehte die Augen und folgte ihm in gemäßigtem Tempo. An seiner Ausdrucksweise würde sich wohl nie etwas ändern: Befehle, Befehle und noch mal Befehle. Wie beim Militär. „Das sagst du, um davon abzulenken, dass du keinen Plan hast.“ Er warf mir einen abschätzenden Seitenblick zu und ich hätte ihm am liebsten diesen überlegenen Ausdruck aus dem Gesicht geprügelt. „Was erwartest du denn vor mir?! Dass ich allwissend bin?!“, keifte ich und atmete heftig aus. „Ich denke, ein Besuch in der Bibliothek könnte nicht schaden. Vielleicht gibt es ja Bücher über diese X-Faktor-Geschichten und PCs mit Internetanschluss sind da auch. Irgendwo steht bestimmt etwas über übernatürliche Dinge.“ „Übernatürliche Dinge…“, wiederholte er leise und ich verstand, dass das eine Frage sein sollte. „Na ja, du behauptest, aus einem Land zu kommen, von dem ich noch nie gehört hab, obwohl ich eine Eins in Erdkunde hab'. Außerdem kannst du ja wohl kaum behaupten, dass deine Sandnummer normal ist. Wenn du mir von deiner Heimat erzählst, kann ich vielleicht herausfinden, wie du wieder hinkommst.“ „Dann gehen wir jetzt zu so einer Bibliothek.“ Diesen Begriff schien er zu kennen, was mich überraschte. Bisher schien ihm alles an Frankfort fremd gewesen zu sein. Zweifelnd warf ich einen Blick zum Himmel hinauf, der bereits in allen erdenklichen Rot- und Orangetönen gefärbt war. Die Schatten der Bäume am Wegrand wurden länger und auch die Temperatur hatte sich herabgekühlt. „Es ist schon spät, die Bibliothek hat bestimmt nicht mehr offen. Wir sollten uns ein Nachtlager suchen. Ich kann es meinen Eltern sicher irgendwie erklären, wenn du eine Nacht bei mir zu Hause schläfst, also…“ „Nein“, unterbrach er mich kalt und ich warf ihm einen irritierten Seitenblick zu. „Wir gehen nicht zu dir nach Hause. Ich riskiere nicht, dass dich irgendetwas ablenkt. Dir ist jeglicher Kontakt mit Bekannten verboten.“ „Hast du schon mal was von Kontrollwahn gehört?“ Sein Blick blieb hart und mir wurde klar, dass ich verloren hatte. „Okay, okay, wie der große Gaara befiehlt! Ich such' uns eine andere Übernachtungsmöglichkeit!“ Mit einem unwilligen Schnauben beschleunigte ich meine Schritte und war froh darüber, dass wenigstens die Wunde an meinem Bein nicht mehr wehtat. Allerdings schien Gaara nicht mal meine Kooperationsbereitschaft genug zu sein, denn sein Gesichtsausdruck war skeptisch, als ich einige Minuten später vor dem städtischen Einkaufszentrum Halt machte. Sein Blick wanderte an der Front des dreistöckigen Gebäudes aus weißem Sandstein hinauf und wieder hinab – kein Zeichen übermäßiger Begeisterung, auch wenn das von Gaara ohnehin nicht zu erwarten gewesen war. „Das ist unser Einkaufszentrum, da bekommt man Waren wie zum Beispiel Lebensmittel und Klamotten gegen Geld“, erklärte ich altklug und konnte nicht widerstehen, ihm eine kleine Grimasse zu schneiden. „Für heute ist es schon geschlossen, also können wir problemlos eine Nacht da drin verbringen, wenn wir keine Einbruchspuren hinterlassen und morgen wieder draußen sind, bevor die ersten Leute kommen. Das ist aber nicht weiter schwer, weil morgen Samstag ist, da machen alle Geschäfte erst gegen elf auf.“ „Ihr braucht so ein großes Gebäude zum Einkaufen…“ Seinem Tonfall nach zu urteilen, empfand er die Amerikaner als vollkommen verblödet und größenwahnsinnig und das kränkte meinen Vaterlandsstolz. „Kann dir ja egal sein. Mach das Türschloss mit deinem Sand auf, dann ist alles im Lot. Aber um Himmels Willen vorsichtig! Niemand darf sehen, dass jemand eingebrochen ist!“ Rasch sah ich mich auf der Straße um, doch es war niemand zu sehen. Wir hatten einen günstigen Zeitpunkt erwischt: Es war kurz vor Feierabendbeginn, also noch keine Autos von nach Hause kommenden Berufstätigen. Gaara folgte mir an die breiten Schiebtüren aus Glas, die mit einigen massiven Vorhängeschlössern sowohl an der Außen- als auch an der Innenseite versehen waren. Sicherheit wurde bei uns schon immer groß geschrieben, vor allem in Anbetracht der vielen Drogendealer und anderen Gesetzesbrechern – wahrscheinlich zählte selbst ich zu potentiellen Einbrechern. „Wieso sollte ich das tun“, knurrte Gaara leise und sah mich erneut mit diesem intensiven Blick an, der mir das Gefühl gab, ein wehrloses, ausgeliefertes Kindergartenkind zu sein, das seine Mama verloren hatte. Wenn mein Kidnapper eines außer Morden beherrschte, dann war es Psychoterror. Ich hatte das erste Mal seit längerer Zeit Schwierigkeiten, meine Stimme nicht zittern zu lassen. „Ganz einfach: Ich brauch Schlaf und was zu essen. Da drinnen kriegen wir das. Klingelt’s?“ Einen kurzen Moment lang schien er verwirrt zu sein, dann hatte er sich allerdings sofort wieder im Griff und wandte sich in stoischer Ruhe der Tür zu. „Sicher … Menschen brauchen ja Schlaf…“, murmelte er rätselhaft und ich fragte mich unwillkürlich, ob er nicht doch die ein oder andere illegale Substanz zu sich genommen haben könnte. Ob Drogendealer oder nicht – Schlösser knacken war kein Problem für ihn. Binnen Sekunden hatte sein Sand die Vorhängeschlösser entsichert und das Tor geöffnet. Das gesamte Einkaufsparadies Frankforts lag mir zu Füßen und obwohl meine weiblichen Shopping-Gene längst nicht so sehr entwickelt waren, wie die von beispielsweise Kim, fühlte ich einen Anflug kindlicher Aufregung in mir, als ich Gaara ins Innere des Einkaufszentrums führte – natürlich nicht, ohne vorher die Eingangstüren wieder vorschriftsmäßig zu schließen. Falls später noch ein Nachtwächter vorbeikommen sollte, durfte ihm nichts auffallen. Zielstrebig steuerte ich die neue Boutique, die hier morgen eröffnet werden sollte; den Gerüchten zufolge war sie der absolute Hammer. „Das hier muss es sein!“, rief ich aufgeregt, als ich einen Laden im Erdgeschoss entdeckte, vor dem ein großes Plakat mit der Aufschrift „Eröffnung“ stand. Zwar waren – wie bei allen anderen Geschäften auch – die Rollläden vor dem Schaufenster und der Eingangstür heruntergelassen, aber wozu hatte ich einen Profi-Einbrecher dabei? Eine kleine Handbewegung von ihm, ein bisschen Sand, der den Rollladen hochzog und die Tür öffnete, und schon war ich im Paradies. Es genügte ein kurzer Blick in die bereits fertig eingerichtete Boutique, um voll und ganz von der Qualität dieses Ladens überzeugt zu sein. Kim wäre an meiner Stelle wohl vor Begeisterung in Ohnmacht gefallen. Beinahe andächtig trat ich in das Geschäft und betätigte den Lichtschalter an der Wand. Und dann war es um mich geschehen. „Chucks! Die haben Chucks! Meine Chucks!“, schrie ich voller Begeisterung und stürmte zu dem kleinen Tisch, auf dem jede Menge Exemplare meiner Lieblingsschuhmarke aufgereiht standen. Doch ich interessierte mich nur für ein einziges Modell, das ich auch gleich übermütig an mich riss: Schwarze Chucks mit roten und silbernen Totenköpfen darauf. Seit ich sie das erste Mal im Internet gesehen hatte, hatte ich vergeblich versucht, mir welche zu besorgen. „Ich sehe hinter diesem Ort keinen Sinn für deine Aufgabe“, riss mich eine raue Stimme aus meiner Verzückung und seufzend ließ ich die Schuhe wieder sinken. Verstand er die normale Begeisterung eines Mädchens für coole Kleidung denn wirklich so wenig? „Ich dachte, wir könnten hier ein bisschen shoppen gehen, ohne zu bezahlen.“ Grinsend wandte ich mich ihm zu, die Schuhe noch immer fest an meine Brust gedrückt. Kim würde vor Neid platzen, wenn sie sah, dass ich die Schuhe vor ihr ergattert hatte! Dieses Design war mehr als selten! Gaaras strafender Blick sagte genug und so entschied ich mich, schnell etwas ernster zu werden. „Weißt du, es geht dabei um Tarnung“, erklärte ich hastig und machte eine ausladende Handbewegung auf die zahlreichen Kleiderauslagen. „Die Polizei wird anfangen, uns zwei zu suchen, weil du ja dieses Blutbad anrichten musstest. Wenn wir uns mit neuen Klamotten tarnen, finden sie uns nicht so schnell.“ „Keiner dieser Typen wird je wieder die Gelegenheit haben, nur ein einziges Wort zu sagen.“ Ich verdrehte die Augen. „Aber die Überwachungskameras haben uns garantiert gefilmt, Intelligenzbestie!“ „Gewöhn dir auf der Stelle diesen provokanten Tonfall ab.“ Seufzend stellte ich meine geliebten Chucks zurück auf den Tisch. „Ja, ja, schon kapiert. Aber eine Tarnung brauchen wir auf jeden Fall. Ich dachte da an ein bisschen Gothicstyle; weißt du, die haben bestimmt auch Make-up hier, dann kann ich uns zwei richtig umstylen.“ „Du weißt, dass mir kein Mensch dieser Welt etwas anhaben könnte“, sagte er gereizt. „Aber unser Deal war: Keine grundlosen Menschenopfer mehr. Verstößt du dagegen, bin ich aus der Sache raus und du kannst jemand anderen mit Chakra suchen.“ Daraufhin schwieg er beharrlich und ich zog es vor, den Kühlschrank unter dem Verkaufstresen zu plündern, in dem ich Sandwiches und Cola fand – wahrscheinlich Verpflegung für die Mitarbeiter. Nach der kleinen Mahlzeit fühlte ich mich schon um einiges besser und ließ mich auf eine quietschgelbe Ledercouch fallen, die neben einer Auswahl ebenso farbenfroher Sommerkleider stand. Mein Körper fühlte sich wie gerädert an und ich hatte fast das Gefühl, mein verletztes Bein gar nicht mehr bewegen zu können. „Ich denke, wir sollten jetzt schlafen gehen“, seufzte ich müde und zupfte an den Klettverschlüssen meiner Schuhe herum. „Sonst wird vielleicht noch jemand misstrauisch, wenn er von draußen sieht, dass hier drinnen noch Licht brennt.“ Überraschenderweise hatte Gaara dagegen nichts einzuwenden; sein Sand betätigte wie auf Kommando den Lichtschalter und schlagartig lag der Raum im Dunklen. „Gut. Schlaf.“ Die eisige Stimme klang erschreckend nah und ich riss den Kopf hoch. Glücklicherweise konnte ich noch die schemenhaften Umrisse von ihm erkennen; er hatte sich auf dem Stuhl direkt neben meiner Couch niedergelassen und starrte mich an. Wollte er so etwa die ganze Nacht neben mir hocken, nur um zu verhindern, dass ich mich aus dem Staub machte, während er schlief? Er war absolut paranoid. Und leider auch intelligent. Er würde mir nie eine Gelegenheit zur Flucht lassen. Seufzend zog ich die Decke, die über der Rückenlehne der Couch ausgebreitet gewesen war, bis zu den Schultern hoch und rollte mich auf den Rücken. Es war alles andere als ein angenehmes Gefühl, alleine mit einem blutrünstigen Kidnapper zu sein und schlafen zu müssen. Allein der Gedanke daran, was er alles mit mir anstellen könnte, während ich schlief, drehte mir den Magen um. „Was ist mit dir? Bist du nicht müde?“, fragte ich und sah zu ihm auf. Im schwachen Dämmerlicht waren seine funkelnden Jadeaugen das Einzige, an dem ich ihn identifizieren konnte. „Ich schlafe nicht“, antwortete er kühl. „Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich weglaufe. Ich halte mich für gewöhnlich an meine Versprechen.“ Seine Augen bekamen einen abwesenden Ausdruck, als würde er durch mich hindurchsehen, ohne mich wirklich wahrzunehmen. „Ich schlafe nie.“ „Sollte ich jetzt beeindruckt sein? Wow, mein übermenschlicher Kidnapper braucht nicht mal Schlaf!“ Ich verdrehte die Augen über diese absurde Behauptung. „Komm schon, ich bin kein Kleinkind, dem man alles erzählen kann. Kein Mensch übersteht mehr als ein paar Tage ohne Schlaf.“ „Hör endlich auf, mich mit normalen Menschen auf ein Niveau zu stellen!“, zischte er verärgert und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich ergriff die Gelegenheit beim Schopf, um mehr über ihn herauszufinden. Je mehr ich über ihn wusste, desto höher lag auch die Chance, ihn wieder loszuwerden. „Und wo genau liegt der Unterschied zwischen dir und uns minderwertigem Menschenpack? An deinem Chakrasystem?“ Sein Blick wurde schlagartig wachsam; er hatte mein kleines Manöver durchschaut. „Das geht dich nichts an“, sagte er schroff. Ich richtete meinen Oberkörper auf, die Decke dabei noch immer um mich gewickelt. „Doch, das tut es! Du sagst doch, ich soll mein Chakrasystem kontrollieren, aber wie soll ich das machen, wenn du mir nichts darüber sagst? Wenn du mich trainierst, bin ich doch viel nützlicher für dich! Und vielleicht müsste ich dann auch nicht mehr schlafen, genau wie du!“ „Meine Fähigkeiten haben nichts mit Chakrakontrolle zu tun. Das ist einzigartig.“ Seine Stimme war kälter, aber auch leiser als zuvor. Er senkte den Kopf und sah auf die unförmige Vase, die er zu seinen Füßen abgestellt hatte. Er wirkte melancholisch, als wäre das alles – seine Kontrolle über den Sand und seine immense Stärke – eine schrecklich große Last für ihn. Das war das erste Mal, dass er mir wie ein völlig normaler dreizehnjähriger Junge vorkam. Und es faszinierte mich. „Also bist du besonders talentiert?“, bohrte ich weiter. Er hob den Kopf und sah mich scharf an. „Halt jetzt die Klappe und schlaf, oder ich sorg dafür, dass du ein paar Tage lang überhaupt nicht mehr aufwachst!“, drohte er, auf einen Schlag wieder mein gewalttätiger Entführer. „Hör bloß auf, dich wie meine Mom zu benehmen. Der Spruch gehört ihr.“ Und diesen Satz warf sie mir mit Vorliebe an den Kopf, wenn wir unsere allabendliche Diskussion über das Schlafengehen hatten. Gaaras Körper spannte sich an, als hätte ich gerade irgendeinen Schalter in seinem Innern umgelegt. Verkrampft krallte er eine Hand in seine Haare und drückte sich tiefer in den Stuhl. Ich erschrak über diese Reaktion und machte mich instinktiv etwas kleiner. „Deine … Mutter … hasst dich … also … auch…“ Leise und gepresst kamen die Worte über seine Lippen; es kostete ihn offensichtlich Mühe, sie auszusprechen, und er wirkte so aufgewühlt, dass es mir Angst machte. Ich wusste nicht, zu was er in der Lage war, wenn seine Stimmung kippte. Hastig schüttelte ich den Kopf und presste die Decke dichter an mich. „Nein, tut sie nicht! Es ist nur … wir haben eben oft Streit miteinander und dann rutscht ihr so etwas heraus. Wir haben beide ein sehr aufbrausendes Temperament, deshalb passiert so was.“ Er sah zu mir auf, mit einem merkwürdig verwirrten Gesichtsausdruck. „Sie droht dir Gewalt an, ohne dich zu hassen…?“, murmelte er halb fragend. Möglichst unauffällig rutschte ich ein Stück zurück. Er wirkte wie ein typischer Psychopath aus Horrorfilmen, der Gefühle nicht verstand, und das beunruhigte mich. „Das passiert eben im Zorn – man denkt nicht darüber nach, was man sagt. Meine Mom hat mich lieb, aber wenn wir sauer aufeinander sind, streiten wir uns eben. Das ist ganz normal“, erklärte ich möglichst ruhig. Er starrte mich nur weiterhin an und ich versuchte vergeblich, den Ausdruck in seinen Augen zu entschlüsseln. Er wirkte verwirrt, leicht geschockt und irgendwo auch traurig und zugleich wütend, doch irgendetwas schien all diese Gefühle in ihm zurückzuhalten. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was er mit mir anstellen würde, wenn dieses etwas verschwinden und seine ganzen Emotionen überkochen würden. „Hast du dich noch nie mit deiner Mutter gestritten?“, fragte ich aus einem plötzlichen Entschluss heraus. Das war ein Fehler. Ein überaus großer und fataler Fehler. Seine Augen zuckten und schienen sich wie zwei spitze Dolche in meinen Körper zu rammen. Sein Blick lag so voller Hass auf mir, dass ich mich unwillkürlich nach heute Nachmittag zurückversetzt fühlte. Dieser Junge war die Verkörperung der Hölle. „Sprich. Niemals. Wieder. Über. Meine. Familie!“ Abrupt und hart wie die Kugeln aus einem Maschinengewehr prasselten die Worte auf mich nieder. Ich zuckte zurück, als er mit einer ruckartigen Bewegung aufstand und zu einem der kleinen Fenster in der Boutique ging. In der fast vollkommenen Dunkelheit konnte ich nur noch schemenhaft seine schmale Gestalt erkennen. Er wollte nicht, dass ich ihn so sah: Verwirrt und mit Gefühlen, wie jeder normale Mensch auch. Erst langsam konnte ich mich wieder entspannen und löste meine Finger von der Decke, in die sie sich gekrallt hatten. Seine Familie war eindeutig sein wunder Punkt, das sollte ich mir besser merken. Aber war das nicht bei allen Psychopathen so? „Okay, ich hab’s kapiert. Nur keine Panik“, sagte ich in dem vergeblichen Versuch, locker zu klingen. Stille lag für einige Sekunden im Raum. „Darf ich morgen meiner Familie einen kurzen Besuch abstatten?“ Ich wusste, dass das der absolut falsche Zeitpunkt für diese Frage war, doch ich wollte die Stimmung irgendwie auflockern. „Auf keinen Fall.“ Noch immer schwang ein Hauch von Aufregung in seiner eisig kalten Stimme mit und eine Gänsehaut kroch dabei über meinen Körper. „Mein Dad wird sonst aber die Bullen einschalten!“ „Die sind doch sowieso schon hinter uns her.“ Ich seufzte leise. „Das schon, aber ich muss einfach mit ihnen sprechen und ihnen sagen, dass es mir halbwegs gut geht.“ „Zu welchem Zweck.“ Jetzt klang er wieder vollkommen ruhig, wenn auch noch immer drohend, und das machte mich mutiger. „Weißt du, meine Eltern sind ein bisschen überbesorgt um mich“, erklärte ich munter. „Mein großer Bruder muss gerade seinen Wehrdienst absitzen und ist als Soldat in den Irak geschickt worden. Wir bekommen vielleicht einmal im Monat einen Brief, dass er noch lebt, aber jetzt sind meine Eltern noch besorgter um mich, wenn sie schon die ganze Zeit Angst um meinen Bruder haben müssen.“ Hätte mir heute Morgen jemand gesagt, dass ich unsere komplizierte Familiensituation vor einem Massenmörder ausbreiten würde, hätte ich ihm wohl einen Vogel gezeigt, und auch jetzt fühlte ich mich alles andere als wohl dabei. Seine Gestalt am Fenster spannte sich wieder an. „Sie sind besorgt um dich…“, murmelte er leise und klang wieder so, als wäre er mit den Gedanken weit entfernt. Menschliche Gefühle schienen ihm völlig rätselhaft zu sein. „Ähm … ja. Das sollten sie auch, schließlich bin ich ihre Tochter.“ Ich lachte etwas hilflos. „Und sie wären traurig, wenn sie wüssten, was ich mit dir tu.“ Wieso hatte ihm noch kein Filmregisseur eine Rolle für „The Ring 3“ oder etwas Ähnlichem angeboten? Gaara war wie geschaffen für die Rolle des psychopathischen Killers. Gegen ihn war diese Samara aus Teil eins und zwei die reinste Witzfigur. „Na ja, mein Dad würde wohl sagen, dass das die Strafe des Himmels dafür ist, wie viele Leute ich schon verprügelt hab. Und meine Mom würde sich eine M60 organisieren und damit auf dich losgehen, denk ich mal“, vermutete ich nervös und lachte erneut, obwohl mir gar nicht danach war. Gaara drehte sich zu mir um und musterte mich; er stand zu weit entfernt, als dass ich seinen Blick deuten könnte. „Dann hasst dich dein Vater…!“, stellte er mit dumpfem Triumph fest. Ich stöhnte auf und fühlte mich allmählich, als rede ich mit einem Außerirdischen. „Ach, Gaara, ist das denn so schwer zu verstehen? Wenn man zusammenlebt, hat man eben seine Differenzen und ist manchmal sauer aufeinander, aber wir sind doch trotzdem eine Familie! – Auch, wenn ich manchmal auf sie verzichten könnte…“ Seine Augen verengten sich leicht, doch er blieb ruhig. „Menschliche Gefühle sind unlogisch.“ „Ich weiß. Aber was soll man machen?“ Seufzend ließ ich mich nach hinten sinken und starrte an die Zimmerdecke. „Und so unlogisch es auch ist – Ich fühle mich nicht wohl, mit dir in einem Zimmer zu schlafen.“ „Du hast keine Anforderungen zu stellen.“ „Ja, ja, Mister Universum…“, meckerte ich leise und verkroch mich unter der Decke. Ich hörte, dass Gaara noch eine Weile stumm in dem Zimmer herumlief, ehe er sich irgendwo hinter mir hinsetzte und dort verharrte. Seine Blicke auf mir waren überdeutlich zu spüren und ich hätte ihm dafür den Hals umdrehen können. Erst musste ich ihm so etwas Simples wie Gefühle erklären und jetzt das! Wie krank konnte ein Mensch noch sein! Mit einem Stoßseufzer ergab ich mich schließlich in mein Schicksal, schloss die Augen und drehte mich zur Seite um. Wie ich es letztendlich schaffte, trotz den Blicken eines psychopathischen Mörders auf mir einzuschlafen, war mir selbst ein Rätsel. Und wahrscheinlich lag es an eben diesen unkomfortablen Umständen, dass ich in dieser Nacht das erste Mal seit einiger Zeit wieder von einer ganz bestimmten Person träumte. „Mhm … Matt…“ Kapitel 4: Ninja oder Laborexperiment? -------------------------------------- Ich liebte diese Träume. Ich liebte es, Matt in aller Vollkommenheit zu sehen, gerade so, als wäre er noch immer bei mir. Als hätten die drei Jahre ohne ihn niemals existiert und wir wären immer noch die beiden sorglosen Kinder, die miteinander spielten. Wir waren an einem Strand, in diesem wunderschönen Traum, und rannten um die Wette. Die Sonne stand hoch am Himmel, eine leichte Brise strich über das azurblaue Meer – es war ein durch und durch friedlicher und schöner Ort. „Komm schon, du lahme Ente!“, rief Matt mir lachend über die Schulter hinweg zu. Mit seinen zwei Jahren Altersunterschied hatte er eindeutig einen Vorteil, doch ich ließ mich nicht unterkriegen und rannte nur noch schneller, bis ich mit vollem Schwung gegen Matts Rücken prallte. Reflexartig griff er nach meinem Arm und zog mich so mit sich, als er zu Boden fiel und einmal über mich rollte. Mein sorgloses Lachen erstarb, denn da drückte seine Hüfte unabsichtlich gegen meine und im selben Augenblick wurde mir klar, dass es einen Unterschied zu damals gab: Ich war nicht mehr das kleine, naive und freche zehnjährige Mädchen, sondern eine Jugendliche, die mehr als genau wusste, was sie wollte. Grinsend blieb Matt über mir liegen und ich konnte sehen, wie seine azurblauen Augen unter dem Sonnenlicht aufblitzten. Auch er war etwas älter geworden als in meiner Erinnerung, doch sein sonnengebräuntes Gesicht mit den sanften Zügen und den vereinzelten Sommersprossen war noch immer dasselbe, ebenso wie die blonden, halblangen Haare, die ihm in die Stirn hingen. „Das war unfair“, sagte er amüsiert und hielt mich an den Handgelenken fest, doch ich hätte mich ohnehin nicht wehren wollen. „Und was hast du vor, dagegen zu unternehmen?“, grinste ich und hob herausfordernd eine Augenbraue. „Hm … mal überlegen … Kindern sollte man nichts durchgehen lassen, oder?“ Seine weiche Stimme wurde leiser, als er sich zu mir hinunterbeugte und ich seinen Atem auf meinem Gesicht fühlen konnte. Während ich innerlich vor Aufregung und Freude kurz vor einem hysterischen Anfall, kam meine Antwort so routiniert, wie es sich für eine Heranwachsende gehörte. „Hältst du mich etwa immer noch für ein Kind?“, flüsterte ich und warf ihm einen – wie ich glaubte – brennend intensiven Blick zu. Es verfehlte seinen Zweck nicht; die Luft schien vor Spannung zu vibrieren, doch es war ein ausnahmslos angenehmes Gefühl. Langsam kam sein Gesicht näher und mir begann die Luft auszugehen. Die ganze Welt um mich herum, selbst der unsagbar schöne Strand, schien zu versinken und alles, was ich noch sehen konnte, war er. Mein Matt. Mein durchgeknallter Lieblings-Sunnyboy, schon seit ewigen Zeiten. „…Nein…“ Ein quälend langsam ausgesprochenes Wort und dann kam er noch näher. Seine Wärme war allgegenwärtig, an meinen Handgelenken, auf meinem Unterleib und auch auf meinen Lippen. Mir entfuhr ein genießerischer Seufzer. „Mhm … Matt…“ Und dann – kurz bevor unsere Lippen sich endlich treffen konnten – verschwamm Matts vertrautes Gesicht plötzlich und wurde vom Meer verschlungen. Doch es war nicht mehr die ruhige, azurblaue See von vorhin, nun war es ein unergründlich tiefer, furchteinflößender, jadegrüner Ozean. Erschrocken über die unvorhergesehene Störung blinzelte ich und kaum hatten meine Augen sich scharf gestellt, schoss ich mit einem Schrei in die Höhe. Das war kein Ozean, es waren Augen. Schwarz umrandete, harte, furchteinflößende und dennoch faszinierende Jadeaugen. Schlagartig war ich zurück auf dem Boden der Tatsachen. Ich befand mich nicht in meiner kleinen, perfekten Traumwelt mit perfekten, weißen Sandstränden und einer Körperbeherrschung, die mich immer das Richtige tun ließ. Die Realität sah anders aus und die Realität hieß Gaara. Mein Kidnapper Gaara, der mich dabei anstarrte, wie ich von meinem ersten Kuss träumte. „Sag mal, hast du sie noch alle?!“, kreischte ich und drückte mich an die Rückenlehne der Couch, so weit wie möglich entfernt von dem rothaarigen Jungen, der doch tatsächlich die Frechheit besaß, neben meinem Nachtlager zu knien und mich aus wenigen Zentimetern Entfernung anzustarren. Seine Augen verengten sich leicht, doch er sagte kein Wort. Er starrte mich nur weiterhin mit diesem unergründlichem Blick an, der mir das Gefühl gab, ein Versuchsobjekt in einem Labor zu sein. Und das machte mich wütend. „Willst du mich zu Tode erschrecken, oder was sollte das?! Das ist doch krank! Du bist der reinste Stalker!“ Gaara ging gar nicht erst auf diese Vorwürfe ein und blieb völlig ruhig, wenn auch bedrohlich. „Wer ist Matt?“ Ich blinzelte verwirrt und verstand gar nichts mehr. „Wie kommst du jetzt darauf? Und … woher zum Teufel kennst du ihn überhaupt?“ Trotz meiner Bemühungen gelang es mir nicht, die Nervosität aus meiner Stimme zu verbannen. Konnte er jetzt etwa auch noch Träume lesen? „Du hast seinen Namen genannt, während du geschlafen hast. Immer wieder.“ Es klang beinahe wie ein Vorwurf. „Und du hast dabei gelächelt.“ Aus Nervosität wurde mit Lichtgeschwindigkeit Verlegenheit und das kam wirklich selten bei mir vor. Ich spürte, wie meine Wangen sich röteten und kroch etwas tiefer unter meine Steppdecke, um das zu vertuschen. Na großartig, jetzt wurde ich schon von meinem Kidnapper bei meinen peinlichen Träumen beobachtet! „Ja und! Ich hab von ihm geträumt, ist doch wohl meine Sache!“ Das war ein lächerliches Ausweichmanöver und Gaara dachte nicht mal daran, es darauf beruhen zu lassen. „Du sagst mir jetzt, wer er ist." „Wieso sollte ich das tun? Das ist eine Privatangelegenheit!“ „Weil ich es nicht dulde, dass du Geheimnisse vor mir hast. Ich verbiete es dir.“ Entnervt warf ich die Decke auf den Boden und beugte mich vor. So fest ich nur irgendwie konnte, starrte ich ihn an. „Verdammt noch mal, er ist der große Bruder meiner besten Freundin! Wir haben früher immer zusammen gespielt, bis er auf ein Internat gegangen ist! Bist du jetzt zufrieden? Ich träume von meiner Sandkastenliebe – Was ist so schlimm daran?“ Gaara runzelte die Stirn, doch das tat der Schärfe seines Blickes keinen Abbruch. „Er ist also schon lange weg…?“ „Ja, seit drei Jahren, um genau zu sein! Du kannst ihm also nichts antun, falls du das vorhattest, Arschloch!“, fuhr ich ihn aggressiver als beabsichtigt an. Die bloße Vorstellung, dass Gaara mit Matt dasselbe oder gar noch Schlimmeres als mit den Polizisten anstellte, machte mich regelrecht rasend. Doch daran schien er ausnahmsweise nicht mal gedacht zu haben; er wirkte nachdenklich. „Ihr Menschen seid wirklich dumm…“, murmelte er vor sich hin und ich verdrehte die Augen. Ich hasste es, wenn er völlig gewöhnliche menschliche Gefühle analysierte und bewertete, als würde er fremde Lebensformen erforschen. Immerhin war auch er nicht mehr als ein weiterer dummer Mensch – zwar mit beschissenem Charakter, aber davon kannte ich auch so schon genug Exemplare. „Lieber habe ich dumme Gefühle, als zu dumm zu sein, um sie zu verstehen“, gab ich schnippisch zurück und lehnte mich wieder zurück. Gaara ging nicht auf diese provozierende Bemerkung ein, sondern richtete sich auf und sah dann gefährlich ruhig auf mich hinab. „Ich verbiete dir diese Gefühle. Ich verbiete dir, von ihm zu träumen. Und ich verbiete dir, an ihn zu denken. Verstößt du dagegen, werde ich ihn finden und mich solange mit ihm beschäftigen, bis du ihn vergessen haben wirst.“ „Das wagst du nicht!“ Ruckartig setzte ich mich auf und starrte in sein regloses Gesicht. Das würde er nicht wagen! Das konnte er nicht bringen! Meinetwegen konnte er jeden Polizisten dieser ganzen Stadt niedermetzeln, aber nicht Matt! Gaara blieb seiner Angewohnheit, mich geflissentlich zu ignorieren, treu und wandte sich ab. „Merk dir das gut. Das wird geschehen, wenn du Ärger machst." Seine Stimme klang unheilvoll und kratzig wie ein Sargdeckel auf einem Friedhof. Auf einem dunklen Friedhof. Auf einem dunklen Friedhof bei Mitternacht. Auf einem dunklen Friedhof bei Mitternacht, wenn man allein ist und… „Jetzt komm, wir gehen zu dieser Bibliothek“, unterbrach besagte Sarg-Stimme, die jedem Film über Graf Dracula Ehre gemacht hätte, meine hysterischen Gedankengänge. „Dürfte ich möglicherweise vorher die Erlaubnis erhalten, ein paar ganz gewöhnlichen menschlichen Bedürfnissen nachzugehen?“, fragte ich sarkastisch und quälte mich von der Couch hoch. „Menschliche Bedürfnisse…?“ Ich stöhnte genervt auf und deutete auf die Tür zur Personaltoilette der Boutique. „Menschen haben ein Problem damit, die ganze Zeit mit dreckigen Klamotten rumzulaufen! Schreib dir das meinetwegen in deinen Bericht über das unlogische Verhalten von menschlichen Lebensformen!“ Mit einem unwilligen Schnauben lehnte er sich gegen eine Wand. „Zehn Minuten und keine Sekunde länger.“ Ich musste mich zusammenreißen, um meine Zunge in Zaum zu halten und lediglich mit einem zynischen „Wie großzügig. Ich habe zu danken, Meister Gaara“ auf der Personaltoilette zu verschwinden. Kaum war ich in dem kleinen Raum verschwunden, fühlte ich mich jedoch schlagartig besser. Die Toilette war größer, als ich erwartet hatte, und beinhaltete sogar eine kleine Dusche mit bereitliegenden Handtüchern. Ohne lange zu zögern, drehte ich den Schlüssel im Schloss herum, schälte mich aus meiner völlig verdreckten Schuluniform und verschwand unter der Dusche. Das kühle Wasser fühlte sich himmlisch auf meiner von Staub und Blut verdreckten Haut an und ich entspannte mich zusehends unter dem Wasserstrahl. Wer hätte gedacht, dass ich je in eine Boutique einbrechen würde! Ich musste bei diesem Gedanken lächeln und warf meine Haare über die Schultern nach hinten. Das hier war wohl der Traum einer jeden Schülerin: Alle Klamotten, die man wollte, in direkter Reichweite, dazu einkaufen ohne bezahlen zu müssen und das alles zusammen mit einem Jungen, der nur Augen für dich hat und durchdreht, wenn du länger als ein paar Minuten außer Sichtweite bist. Kopfschüttelnd drehte ich den Wasserhahn weiter auf. So gesehen sollte ich mich eigentlich glücklich über diesen Augenblick schätzen. Wäre da nicht dieses kleine Detail, dass Gaara nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte und mein Kidnapper war. Ich war mir noch immer nicht sicher, ob ich seine verrückte Geschichte mit Chakra und Ninjas glauben sollte, aber in Angesicht seiner durchgeknallten Sandtechniken war die Idee gar nicht mal mehr so abwegig. Gab es nicht schon viele Theorien über das Gefüge unserer Welt und Paralleluniversen? Ich kam nicht dazu, darüber nachzudenken, denn da blieben meine Augen an der Decke der kleinen Duschkabine hängen. Dort flog eine hellbraune Kugel in der Luft herum, die mir zuvor nicht aufgefallen war. „Was zum…“, murmelte ich leise vor mich hin und drehte den Wasserstrahl ein Stück weit herunter, um besser sehen zu können. Die Kugel war nicht größer als ein Tennisball und schwebte von undefinierbaren Kräften gesteuert in der Luft. Ich konnte erkennen, dass die hellbraune Farbe in der Mitte abbrach – dort war ein hellgrüner Fleck, der direkt auf mich gerichtet war. Hellgrün mit schwarzem Rand, um genau zu sein. In diesem Fleck befand sich ein mikroskopisch kleiner, schwarzer Punkt, kaum größer als ein Nadelöhr. Und dann schloss sich der grüne Fleck einmal kurz, nur um sich kurz darauf wieder zu öffnen, und die Erkenntnis schoss wie Dynamit in mein Hirn. Das war kein grüner Fleck in einem hellbraunen Tennisball. Das war ein Auge, das mich aus einer Sandkugel heraus betrachtete - Mitten unter der Dusche! „…Triebgesteuerter Psycho…!“, hauchte ich fassungslos und starrte das Auge an, das ruhig auf mich zurückblickte. Mein Kidnapper war ein Spanner. Mit fliegenden Fingern stürzte ich aus der Dusche, wickelte mir flüchtig ein Handtuch um und rauschte dann zurück in die Boutique. Ich war sauer. Stinksauer und das war ein Zustand, in dem keiner gern als Zielscheibe für mich herhielt. „Sag mal, was bildest du dir eigentlich ein, du perverses Arschloch!“ Gaara stand in völliger Ruhe an die Wand gelehnt und schien sich keiner Schuld bewusst zu sein. Er reagierte noch nicht mal, als ich mich mit bebenden Schultern vor ihm aufbaute und mit meinem tödlichsten Blick fixierte. „Hast du 'n Rad ab?!“, polterte ich in voller Lautstärke los. „Bei dir hackt’s doch! Hirnverbrannter, asozialer, notgeiler Spanner! Geh gefälligst woandershin, wenn du dir einen runterholen willst, aber lass mich in Ruhe!“ „Für wen hältst du dich eigentlich, so mit mir zu sprechen.“ Dieser scharfe Satz war wie eine drohend erhobene Messerklinge und dennoch ließ ich mich vom Zorn mitreißen und blendete die vernünftige Stimme des Selbsterhaltungstriebs in mir aus. „Die Frage ist doch wohl, für wen du dich hältst! Ist das etwa dein Hobby - Mädels unter der Dusche bespannen? Lass mich raten, das geilt dich noch mehr auf, als Leute niedermetzeln! Du bist so ein perverser Flachwichser! Ich…“ Ich brachte kein einziges Wort mehr heraus. Mein Mund war plötzlich mit einer grobkörnigen Masse gefüllt, die bis in meinen Hals drang und mich sogar am Atmen hinderte. Erschrocken keuchte ich auf und begann zu husten. Diese undefinierbare, grobe Masse brannte in meiner Kehle und es kostete mich alle Kraft, sie auszuspucken. Hellbrauner Schlamm platschte auf den Boden, noch leicht durchnässt von meinem Speichel, aber deutlich zu identifizieren. Es war Sand. Dieser Mistkerl hatte versucht, mich mit Sand zu ersticken! „Was … sollte denn das jetzt wieder?“, japste ich atemlos und spuckte noch ein weiteres Mal aus, um die restlichen Sandkörner aus meinem Mund zu bekommen. Trotzdem blieb ein ekliges Gefühl in meinem Hals zurück und ich traute mich kaum, Gaara anzusehen. Hätte er nur etwas mehr Sand genommen, wäre das definitiv mein Ende gewesen. „Das ist anscheinend die einzige Möglichkeit, deine vorlaute Klappe zu stopfen“, knurrte er unbeteiligt. Für ihn war das offenbar ein vollkommen normales Verhalten. „…sagte der notgeile Spanner.“ Ich hob den Kopf und war kurz davor, mir einen schweren Gegenstand zu schnappen und ihn nur ein einziges Mal in Gaaras leichenblasses Gesicht zu schmettern. Ich wollte nur einmal sehen, wie dieser überlegene und unbeteiligte Ausdruck verschwand und er Schmerzen verspürte. Gaara verschränkte die Arme vor der Brust und schien allmählich ernsthaft genervt zu sein. „Das war nichts weiter als eine Vorsichtsmaßnahme. Ich traue dir durchaus zu, dass du jede Gelegenheit zur Flucht wahrnimmst, darum hab ich dich beobachtet. Nichts weiter.“ Glaubte er im Ernst, ich ließ mich so leicht zufrieden stellen? „Schon mal was von Paranoia gehört?! Ich werd' ja wohl kaum durch den Abfluss in der Dusche abhauen!“ „Solange du mir gehörst, gehe ich keine Risiken ein.“ Um ein Haar wäre ich erneut dem Erstickungstod erlegen, nur diesmal ohne Fremdeinwirkung. „Aber sonst geht’s noch, oder wie?“, quietschte ich und funkelte ihn empört an. „Bin ich ein Möbelstück? Oder ein Haustier? Ich – Bin – Nicht - Dein - EIGENTUM! Geht das jetzt endlich mal in dein Spatzenhirn?“ „Doch, genau das bist du. Slave.“ (=Sklave) Ich schnappte nach Luft und starrte ihn entgeistert an. Ich wusste nicht, ob ich ihm dafür den Hals umdrehen oder einfach gehen sollte. Das war ja wohl die Höhe! „Sag das noch mal!“, zischte ich zwischen den Zähnen hervor. „Sag mir das noch mal ins Gesicht! Trau dich und du kannst deine Knochen einzeln zusammensammeln!“ Gaara sah mich nur vollkommen ungerührt an und es sprang mir förmlich an die Kehle, wie wenig ihn all das interessierte. Für ihn war ich in der Tat nicht mehr als ein Haufen Fleisch, den er großzügig zu seinem Eigentum erklärt hatte. „Slave“, wiederholte er kühl und lief dann mit ruhigen Schritten an mir vorbei. „Und jetzt zieh dir endlich was an, ich hab nicht ewig Zeit.“ Wäre mein Blick nicht im selben Moment auf den feuchten Sandklumpen am Boden gefallen – ich schwöre, ich wäre ihm an die Gurgel gegangen und hätte so lange auf ihn eingeprügelt, bis er nie wieder in der Lage wäre, solche unverschämten Frechheiten von sich zu geben. Doch so gab ich dem schwachen Funken Selbsterhaltungstrieb in mir nach und verzichtete darauf, mich mit meinem übernatürlichen Kidnapper anzulegen. Stattdessen machte ich auf dem Absatz kehrt und stolzierte so würdevoll wie möglich durch die Boutique, um mir ein paar Klamotten auszusuchen. Immerhin das war ein Lichtblick – Welches Mädchen träumte nicht davon, in einem Laden freie Auswahl zu haben? Und so kam es, dass ich mir an diesem Tag einen lang gehegten Wunsch erfüllte und wenige Minuten später im geilsten Outfit meines Lebens das Einkaufszentrum verließ. Der Plan, mich derart zu verkleiden, dass mich niemand mehr als Yuka Ashihira erkannte, war mehr als erfolgreich beendet. Mein Dad würde mir lebenslangen Hausarrest für diesen Aufzug verpassen! Ich trug einen rot-schwarz karierten Minirock, ein schwarzes Trägertop mit gerafftem Ausschnitt und schwarze Lederhandschuhe, die die Finger freiließen. An einem Arm hing zusätzlich eine schwarz und rot gestreifte Armstulpe und ich trug mehrere Stachelarmbänder, sowie einen ebenso mit Stacheln verzierten Gürtel und ein schwarzes Halsband. Sogar auf meine geliebten Chucks hatte ich verzichtet, jetzt trug ich das erste Mal in meinem Leben schwarze Schnallenstiefel und wusste nicht, ob ich mich selbst als Rockerbraut oder Gothic bezeichnen sollte, zumal ich auch noch übertrieben viel Kajal aufgelegt hatte. Bei Gaara fiel diese Entscheidung weitaus leichter. Ich hatte ihn solange angeschrieen, bis er endlich eingewilligt hatte, ebenfalls andere Klamotten zu tragen und seinen Sand in einer unauffälligen Umhängetasche zu verstauen. Und – so sehr ich diesen Kerl auch verabscheute – ich musste zugeben, dass er nach dieser kleinen Styleänderung wirklich mehr als passabel aussah. Wer hätte gedacht, dass dem rothaarigen Jungen ein einfaches Muskelshirt und eine dunkle Hose in Kombination mit denselben Stachelbändern wie bei mir so gut stehen würden? Er war wie geschaffen für diesen Look und fiel in der Menschenmenge kaum mehr auf. Wäre er mir einfach so in diesen Klamotten über den Weg gelaufen, hätte ich mich wohl sogar nach ihm umgedreht, doch jetzt wehrte ich mich hartnäckig gegen die Tatsache, dass er absolut fantastisch aussah. Einen gravierenden Nachteil brachte unsere Verkleidung allerdings mit sich: Jeder hielt uns für nicht mehr zurechnungsfähig. Allein schon der Blick, mit dem die Bibliothekarin uns bedachte, als wir friedlich in die Stadtbibliothek spazierten, sprach Bände: Sie wartete förmlich darauf, dass wir eine Spritze rauskramten, um uns eine neue Ladung X-Tasy zu spritzen. Ich gab die typische Rocker-Gelassenheit zum Besten und ignorierte die Frau, die schon eine Hand am Telefonhörer hatte – wahrscheinlich, um im Notfall die Bullen holen zu können, falls wir austicken sollten. Ich setzte mich in völliger Ruhe an einen der Computer und suchte zunächst mit Hilfe einer Internetsuchmaschine nach Informationen über übernatürliche Geschehnisse. Ein zugegeben sehr vages Thema, wie ich nach siebzehn Websites über Teufelsbeschwörung und Hellseherei feststellen musste. Entnervt strich ich mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht (gar nicht so leicht, ohne sich dabei mit einem der vielen Stacheln die Augen auszustechen!) und wandte mich Gaara zu, der auf einem Stuhl neben mir saß. Man sollte es kaum glauben, aber er hatte tatsächlich auf meine Aufforderung hin Platz genommen, ohne mir Gewalt anzudrohen. „Du sagst also, du kommst aus einer anderen Welt?“, fragte ich mäßig interessiert und riskierte einen kurzen Seitenblick auf die Bibliothekarin. Sie saß außer Hörweite, beobachtete uns aber trotzdem unablässig. Gaara zuckte betont desinteressiert die Schultern. „Das hier ist auf jeden Fall nicht meine Heimat.“ „Und was ist deine Heimat?“ Innerlich war ich schon längst darauf eingestellt, dass er Klapsmühle oder Kinderheim antwortete, doch in dieser Hinsicht enttäuschte er mich. Er musterte mich nur einige Sekunden lang abschätzend, als versuche er herauszufinden, ob ich diese Information wert war, ehe er seine raue Stimme in all ihrer gespenstischen Aura erhob. „Suna-Gakure.“ Ich runzelte die Stirn. „Ist das in Japan?“ „Es liegt im Windreich.“ „Wind-reich?“, echote ich perplex und drehte mich ganz zu ihm. „Und das soll ein vollwertiges Land sein?“ Genervt verschränkte er die Arme vor der Brust, was ihn nur noch mehr wie einen Rocker im Kleinformat wirken ließ. „Wozu sollte ich dir das erklären.“ „Weil ich dich sonst vielleicht nicht hinbringen kann…?“ Ich seufzte tief und verfluchte die Entscheidung, mich ihm als Partnerin angeboten zu haben. „Gaara, verdammt, kapier das doch: Wenn du dich nicht mit mir arrangierst, kann ich dir nicht helfen! Kapito? Slave nur nützlich, wenn Großmeister Gaara sich dazu herablässt, ein paar Infos publik zu machen!“ „Nicht, wenn du für ein anderes Land als Spion arbeitest“, antwortete er kalt und setzte wieder seinen Deine Lunge hängt gleich an der Türklinke-Blick auf. Ich stöhnte genervt. „Wie oft denn noch: Ich bin eine ganz normale Schülerin. Ich bin weder Spion, noch kann ich kämpfen; das Einzige, das ich wirklich gut kann, ist Lacrosse, aber das war’s auch schon. Vielleicht ist bei dir zu Hause gerade Krieg, aber ich hab nichts damit zu tun.“ „Es herrscht kein Krieg, aber als Shinobi ist es auch meine Aufgabe, das zu verhindern.“ „Und was ist jetzt wieder ein Shinobi?“, fragte ich gedehnt. Er hob eine seiner nicht vorhandenen Augenbrauen und musterte mich abschätzend. Anscheinend hielt er mich für den dümmsten Menschen, dem er je begegnet war. „Ein Shinobi ist ein Ninja. So wie ich.“ „Du hast aber nicht viel mit diesen Meuchelmördern aus dem 19. Jahrhundert gemeinsam“, stellte ich munter und nicht ohne Spott fest. „Wo sind denn deine Wurfsterne? Und dieses schwarze Outfit?“ Auf einen Schlag war er voll und ganz bei der Sache. „Die Shinobi aus deinem Land tragen also ein schwarzes Outfit! Ihr seid also auch eine Kriegsmacht!“, stellte er mit dumpfem Triumph fest. Ich konnte nicht mehr an mich halten und lachte leise auf, so un-Rocker-typisch das auch war. „Es gibt seit Jahrhunderten schon keine Ninjas mehr. Oder willst du mir erzählen, dass du aus dem alten Japan kommst?“ „Ist dieses Japan in der Wüste? Oder jenseits davon?“ „Was für eine Wüste denn? Kommst du aus einer?“ Das würde zumindest erklären, weshalb ihm die heißen Sommertemperaturen nichts ausmachten und er eine spezielle Verbindung zu Sand zu haben schien. Gaara nickte, so leicht, dass man fast schon eine Lupe brauchte, um es zu erkennen. „Das Windreich besteht so gut wie nur aus Wüste. Die umliegenden Länder dürften dagegen ähnliche geografischen Gegebenheiten haben, wie es hier der Fall ist.“ Ich versuchte mir seine merkwürdige, kleine Welt vorzustellen, musste aber bereits nach wenigen Sekunden aufgeben. Das alles erschien mir viel zu unvorstellbar, einfach … unfassbar. „Also kommst du aus einer Gegend, in der sich alles um Ninjas dreht? Jedes Land hat seine Ninja-Truppen und alle haben Krieg untereinander?“, hakte ich nach und vergaß völlig, meine Lautstärke zu drosseln. Ich bemerkte nicht mal, dass die Bibliothekarin aufsah und begann, uns mit merkwürdigen Blicken zu mustern. „Nein.“ Gaara seufzte und setzte sich etwas auf seinem Stuhl zurecht; anscheinend wollte er sich jetzt dazu herablassen, mich unterbelichtetes Menschenwesen in seine Geheimnisse einzuweihen. „Es ist ganz einfach: Die Länder haben Frieden untereinander und sind Verbündete, aber damit keines der Länder erst auf die Idee kommt, einen Krieg heraufzubeschwören, wird immer dafür gesorgt, dass jedes Land gleich viele Ninjas als Streitmacht hat. So wird ein Gleichgewicht hergestellt und der Frieden kann herrschen.“ Es hörte sich seltsam an, ausgerechnet aus dem Mund des bösartigsten und verrücktesten Menschen des ganzen Universums das Wort Frieden zu hören, doch ich blieb möglichst ernst und nickte, als ergab das alles einwandfrei Sinn. „Und wofür sind die Ninjas dann gut? Seid ihr so was wie die Polizei?“ „Teilweise bestrafen wir Verbrecher, aber eigentlich machen wir so gut wie jeden Auftrag, den man uns gibt.“ „Also kann ich dich auch engagieren, um meine Katze vom Baum holen zu lassen?“ Diesen Kommentar konnte ich mir einfach nicht verkneifen und ich musste bei der Vorstellung des rothaarigen Mörders bei einer Katzen-Rettungsaktion grinsen. Gaara rümpfte kaum sichtbar die Nase und wandte den Blick von mir ab. Es war faszinierend, dass sogar er beleidigt sein konnte, obwohl es bei ihm sehr viel bedrohlicher als bei jedem anderen Menschen wirkte. Ich war jedoch nicht gewillt, seine gesprächige Phase so schnell verstreichen zu lassen und beugte mich ein Stück zu ihm hin, ein aufmunterndes Lächeln auf dem Gesicht. „Ich hab das also richtig verstanden, dass bei euch jeder schon von klein auf als Ninja arbeitet? Selbst Kinder lernen kämpfen?“ Diese Geschichte – ob nun wahr oder ausgedacht – war sehr viel komplexer und faszinierender, als ich es je erwartet hätte. Entweder er litt an einer wirklich starken psychischen Störung, oder… Ich wollte mir selbst nicht gestatten, an die zweite Möglichkeit auch nur zu denken. Er fixierte ein Bücherregal, ließ sich aber dazu herab, mir zu antworten. Es war nicht zu übersehen, wie sehr er sich selbst dazu zwingen musste, mit mir zu sprechen; ich vermutete, dass er sich als Ninja verpflichtet fühlte, einen Weg zurück in seine Heimat zu finden, auch wenn das hieß, sich mit einer dummen Göre wie mir zu unterhalten. „Das ist bei den meisten Menschen in den versteckten Dörfern der Fall“, sagte er kalt. Wäre ich aufmerksamer gewesen, wäre mir sofort ins Auge gestochen, wie die Bibliothekarin sich bei seinen leisen Worten weiter zu uns beugte, um besser zuhören zu können. „In jedem Land ist ein verstecktes Dorf, das die Ninjas ausbildet. Suna-Gakure ist dieses Dorf vom Windreich.“ „Und du bist einer dieser Ninjas? Du erledigst Aufträge für dein Land, obwohl du noch so … jung bist? Bei uns würde man das als Kinderarbeit bezeichnen.“ Ruckartig wandte er mir den Kopf zu und ich zuckte unwillkürlich unter der plötzlich brennenden Intensität seines Blickes zusammen. Sein Gesicht war so hart, mit solch festen, unnachgiebigen Zügen, dass mir meine Frage mit einem Mal regelrecht lächerlich vorkam. Kein normaler Mensch würde je auf die Idee kommen, Gaara als Kind zu bezeichnen. „Ich bin nur aus einem Grund Ninja.“ Seine Stimme war nun dunkler und auch rauer und ich spürte, wie eine Gänsehaut über meinen Körper kroch. „Ich werde jeden Menschen außer mir töten. Jeden einzelnen. Solange, bis es nur noch mich auf der Welt gibt.“ Einen irrationalen Augenblick lang wollte ich aufspringen, aus der Bibliothek rennen und so schnell wie möglich die nächste Militärbasis aufsuchen. Es war unmöglich, Gaara bei diesen Worten keinen Glauben zu schenken; seine feste Überzeugung war förmlich mit Händen greifbar. Er wollte töten, noch viel mehr, als ich es bisher gesehen hatte. Und er lebte dafür. Darum war er kein Kind mehr, nicht einmal mehr ein Teenager, so wie ich – er war eine Maschine, nur aufs Töten programmiert. Kalt und prüfend musterten mich seine Jadeaugen und ich sah die Erkenntnis in ihnen aufblitzen, dass er endlich sein Ziel erreicht hatte. „Du verstehst, in welcher Lage du bist“, stellte er befriedigt fest. „Du überlegst, wie du am besten flüchten kannst. Aber das ist sinnlos, denn du gehörst längst mir, Slave.“ Ich krallte meine Hand um die Maus des PCs und versuchte mich daran zu erinnern, wie man gleichmäßig atmet. Es fiel mir erst wieder ein, als ich aus dem Augenwinkel heraus eine hastige Bewegung der Bibliothekarin ausmachen konnte. Ihre Hand war blitzschnell in einer Senke unter der Tischplatte ihres Schreibtischs verschwunden und hatte dort irgendetwas Rotes berührt. In mir schoss eine merkwürdige Mischung aus Angst, Aufregung und auch Erleichterung hoch, denn ich hatte bei unserer Ankunft in der Bibliothek genau gesehen, was sich dort befand. Der Alarmschalter, der die Polizei informierte. In wenigen Minuten würden die Bullen auf der Matte stehen. Die Bibliothekarin hatte uns belauscht und genau richtig kombiniert – Ja, verdammt noch mal, ich war in der Gewalt eines Psychopathen! Doch ebenso schnell wie die Freude gekommen war, kam auch die Ernüchterung: Ein paar Polizisten hatten Gaara nichts entgegenzusetzen! Es würde nur enden, wie gestern im Polizeirevier. Ich wusste, dass ich nicht zulassen durfte, dass erneut unschuldige Menschen ums Leben kamen. „Zumindest bin ich mir jetzt im Klaren darüber, dass das Internet uns nicht viel weiterbringen wird“, sagte ich langsam und bedächtig, um Zeit zu schinden. Ich musste Gaara von hier fortschaffen, bevor die Polizisten ankamen, nur wie? Wenn wir schon mal hier waren, wollte er mit Sicherheit auch Ergebnisse sehen, sonst würde er sicher wieder durchdrehen und meine Eingeweide verkrampften sich bei dem bloßen Gedanken an seinen übermächtigen Sand. Im Ernstfall war ich ihm schutzlos ausgeliefert – keine sehr aufbauende Gewissheit. Hastig wandte ich mich wieder dem Computer zu und druckte in aller Eile ein paar Informationen über Ninjas, sowie einen Artikel über mögliche Paralleluniversen aus. Meine Finger zitterten bei jeder Bewegung und mir wurde heiß in der stickigen Bibliothek und unter Gaaras kalten Blicken. Das Schicksal unschuldiger Polizisten und auch der leider viel zu aufmerksamen Bibliothekarin lag in meinen Händen; war ich nicht schnell genug, mussten sie alle sterben. Aber wenn ich immer nur vor den Polizisten flüchtete, was sollte dann aus mir werden? Diese ebenso selbstsüchtige wie berechtigte Frage lag mir schwer im Magen. Gaara hatte selbst gesagt, dass er mich aus dem Weg räumen würde, sobald ich ihm nicht mehr nützlich war, doch ich wusste nicht einmal, wie ich ihm überhaupt nützlich sein konnte. Er kam offenbar aus völlig anderen Verhältnissen, als ich sie kannte und wo auch immer er lebte – ich war wohl kaum in der Lage, ihn dorthin zu bringen. Diese ganze Geschichte war viel zu komplex für eine einfache Psychose und seine Macht über den Sand war erst recht nicht wissenschaftlich zu erklären. Wer also war er, verdammt noch mal? Und wie kam ich lebend von ihm weg? Ich hatte Schwierigkeiten, den ausgedruckten Artikel aus dem Drucker zu holen, so sehr zitterten meine Hände, und ich überflog das Blatt Papier noch mal flüchtig, ohne auch nur einen Buchstaben zu lesen. Ich wusste, so konnte ich nicht mehr weitermachen; er war ein ausgebildeter Killer mit übermenschlichen Fähigkeiten und vollkommen zerstörter Psyche. Vielleicht war er sogar das missglückte Experiment irgendeines Wissenschaftlers, das sich irgendwie aus dem Labor befreit hatte, so wie in diversen Horrorfilmen à la Resident Evil. Ich verfluchte meine lebhafte Fantasie dafür, dass ich überhaupt auf solche Ideen kam, doch je länger ich darüber nachdachte, desto logischer erschien es mir. Die Lösung des Mysteriums Gaara war ebenso simpel wie schockend: Er musste ein Laborexperiment sein. Nur wenige hundert Meilen westlich von Kentucky gab es durchaus Wüsten; wahrscheinlich hatte man ihn dort festgehalten und Experimente mit ihm durchgeführt. Die Kontrolle über den Sand war dann mit Sicherheit eine spezielle Genmutation, die sie künstlich herbeigeführt hatten, und deshalb war Gaara auch so ein psychisches Wrack und verstand menschliche Gefühle nicht. Er hatte sie in diesem Labor einfach nie gelernt, war nur wie eine Laborratte behandelt worden und jetzt … jetzt war er wohl ausgebrochen und wollte Freiheit. Wenn man ihm in diesem Labor diese ganze Geschichte mit den Ninjas, Aufträgen und Frieden eingetrichtert hatte, glaubte er wohl daran und suchte nach dieser Welt, in die er zu gehören glaubte. Mein Atem ging schwerer und ich musste keuchen, um noch Luft zu bekommen. Ich verstand nicht, wieso ich noch nicht früher auf diese Erklärung gekommen war, schließlich passte doch alles zusammen! Zaghaft riskierte ich einen Seitenblick auf Gaara, der mich weiterhin monoton anstarrte und meine sichtliche Unruhe und Nervosität zu genießen schien. Kalt und glatt wie Jadesteine blitzten die blassgrünen Augen aus seinem Gesicht hervor und auf einen Schlag hegte ich nicht mehr die Spur eines Zweifels: Er war ein Laborexperiment. Dieser unverschämt gutaussehende, rothaarige Junge, dessen knochiger Körper sich gegen sein etwas zu enges Muskelshirt drückte, war ein Mutant auf der Flucht. Und ich hatte mit ihm zusammen in einem Raum geschlafen! Verkrampft schloss ich eine Hand um die Tastatur der Maus und erhob mich von dem unbequemen Stuhl. Mit der anderen Hand löste ich die Kabel, die die Tastatur mit dem Rechner verbanden, und gerade wollte ich die Tastatur mit aller Kraft auf Gaaras Kopf zerschmettern, um dann hysterisch zu flüchten, als eine fröhliche Stimme mich zu Stein erstarren ließ. „Hey, Yuka! Das ist ja mal ein Wunder: Du in einer Bibliothek! Und wo hast du denn die Klamotten her? Die sind ja echt der Hammer!“ Mir brach der Schweiß aus und rann über meine Stirn. Langsam, ganz langsam und bedächtig drehte ich mich um und erblickte Rachel, die fröhlich winkend quer durch die ganze Bibliothek auf mich zukam – die warnenden Blicke und Gesten der Bibliothekarin schien sie gar nicht registriert zu haben. Und gleichzeitig hörte ich ein leises, aber deutliches Knurren neben mir. Gaara gefiel diese Störung nicht, ganz und gar nicht, und hätte er eine Ahnung, was jeden Moment noch zusätzlich auf ihn zukommen würde… Lähmende Panik fesselte meinen Körper und ließ mich stocksteif neben dem Schreibtisch stehen bleiben, eine Hand um die Tastatur gekrallt, während Rachel lachend vor mir Halt machte. Ihre schokoladenbraunen Augen wanderten neugierig hinüber zu Gaara, ohne dass sie auch nur im Mindesten bemerkte, in welcher Gefahr sie gerade schwebte. „Rachel … nein…“, presste ich hervor, doch meine Stimme war so kratzig, dass ich nicht einmal sagen konnte, ob sie mich verstand. Ich wusste nur eins: Rachel durfte nichts passieren. Egal, was das für mich oder die Polizisten oder die Bibliothekarin oder mein missglücktes Laborexperiment namens Gaara bedeutete. Kapitel 5: Todeskälte --------------------- „Sag bloß, du willst dich hier freiwillig weiterbilden? Dass ich das noch mal erleben darf!“, lachte Rachel und kam noch einen Schritt näher, um mein neues Outfit genauer betrachten zu können. Ihr konnte unmöglich entgehen, wie verkrampft ich war, doch offenbar interpretierte sie das nur als Verlegenheit darüber, dass sie mich zusammen mit einem Jungen erwischt hatte. Falls man Gaara überhaupt als Jungen bezeichnen konnte. Reflexartig biss ich mir auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. Das sollte eine Warnung sein, doch wieder verstand Rachel nicht, sondern zwinkerte mir verständnisvoll zu, ein verschwörerisches Lächeln auf dem Gesicht. „Ich versteh schon“, sagte sie und warf einen viel sagenden Seitenblick auf Gaara. Wie viel Falsches konnte man in diese Situation nur hineininterpretieren? Rachel brach diesbezüglich sämtliche Rekorde, denn sie lächelte fröhlich weiter und klatschte dann kurz in die Hände. „Ach, übrigens, kennst du schon die neuesten News? Es ist was echt Irres passiert! Halt dich besser fest; das glaubst du nicht! Nächsten Monat kommt wirklich und wahrhaft Johnny Depp nach Frankfort!“ Der Stimmungsunterschied in der stickigen Bibliothek war förmlich mit Händen zu greifen; Nervosität und trügerische Ruhe schwangen um in grenzenlose Begeisterung, die mich binnen Sekunden in Besitz genommen hatte. Gaara und der kurz bevorstehende Sturm von Polizisten waren vergessen. „Das ist nicht dein Ernst!“, quietschte ich schrill und schlug mir eine Hand vor den Mund. Rachel nickte übermütig mit dem Kopf und ihre Augen begannen zu glitzern. So beherrscht und ruhig sie auch sonst war – bei Johnny Depp wurde selbst sie zum kreischenden Fangirl. „Doch!“, rief sie und drängte sich an den PC. Mit fliegenden Fingern öffnete sie eine Fan-Homepage zu Johnny Depp und deutete dann auf den Bildschirm. „Guck, hier ist es offiziell angekündigt! Nächsten Monat macht Johnny Depp eine Autogramm-Tour quer durch Kentucky, weil er ursprünglich auch hier aus der Gegend stammt!“ Jetzt war es endgültig um mich geschehen. Johnny Depp, wirklich der Johnny Depp aus Fluch der Karibik und From Hell! Mister „Klar soweit?“ und seines Zeichens geilster Schauspieler alive! In unserer Stadt, zum greifen nah! Mit einem hysterischen Aufschrei beugte ich mich zu dem Computer und las den kurzen, aber prägnanten Text, auf dem tatsächlich eine Tour durch ganz Kentucky angekündigt war. „Oh mein Gott!“, kreischte ich und fiel mir mit Rachel in die Arme. Gemeinsam drückten wir uns die Nase am Bildschirm platt, denn dort war sogar noch ein Bild von ihm in seiner Rolle als Jack Sparrow zu sehen. „Der Typ ist einfach zu genial, um noch menschlich zu sein!“ Rachel ließ sich nicht lange bitten, in mein Jubelgeschrei einzustimmen und all ihre sonstige Beherrschtheit über Bord zu werfen. „Johnny, heirate mich!“ „Ich will ein Kind von dir!“ „Oder gleich zwei!“ „Johnny Depp for ever!“ Ein ohrenbetäubend lauter Knall ließ den Fußboden erzittern und holte mich unsanft in die Realität zurück. „Das Gebäude ist umstellt! Lassen Sie die Geiseln frei!“, dröhnte eine metallisch verstärkte Stimme durch die Halle und der Schock fuhr mir in alle Glieder. Hektisch wirbelte ich herum, Rachel noch immer halb untergehakt, und starrte zum Eingangstor der Bibliothek, das nunmehr zerstört war. Draußen auf der Straße hatten sich mindestens zwei Dutzend Polizisten mit schussbereiten Waffen versammelt, allerdings keine normalen Polizisten. Ich kannte diese schwarze Kleidung und Schutzwesten aus diversen Filmen: Das war eine SWAT-Einheit. Agenten, die nur auf wirklich gefährliche Aufträge geschickt wurden, die die Sicherheit des ganzen Landes betrafen. Ich verstand gar nichts mehr; hatte ich etwa wirklich Recht mit meiner Vermutung, dass Gaara ein staatlich organisiertes Experiment war, oder wieso fuhren sie gleich derartig große Geschütze für eine gewöhnliche Entführung auf? Ein breitschultriger Mann mit Megaphon schob sich aus der Menge heraus und blickte starr ins Innere der Bibliothek. „Ich wiederhole: Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus, dann geschieht Ihnen nichts! Andernfalls eröffnen wir das Feuer!“ Ich hatte nicht die Zeit, auch nur mit der Wimper zu zucken; schon stand Gaara vor mir und hatte seine Umhängetasche geöffnet. Seine gefrorenen Augen ließen nichts Gutes verheißen und ich musste schlucken. Unterbewusst fasste ich Rachels Arm fester. „Ja, genau Sie!“, rief der Polizist, jetzt an Gaara gewandt. „Wir wissen über diese Entführung Bescheid! Nehmen Sie die Hände hoch und kommen Sie ganz langsam heraus!“ Gaara hatte nicht mal ein müdes Schulternzucken für die SWAT-Einheit übrig. „Ihr nervt…“, knurrte er finster und sein schmaler Körper spannte sich an. Er hasste es, Befehle erteilt zu bekommen und da baute sich auch schon hellbrauner Sand um ihn herum auf und ich wusste, was geschehen würde. Im selben Augenblick verschwand die fröhliche, aufgedrehte Yuka Ashihira und machte Platz für mein neues Ich, Gaaras Sklavin (wenn man so wollte), die in einer aussichtslosen Schlacht verzweifelt zu retten versuchte, was nicht mehr zu retten war. „Ray, schnell, komm!“, zischte ich, packte sie am Arm und zerrte sie mit mir. Wir waren kaum unter einem der Schreibtische verschwunden, da brach der Sturm schon los. Sand sauste durch die Luft, es krachte und Menschenknochen brachen. Im Gegenzug begannen die Polizisten zu schießen – unerträglich laut prasselten die Gewehrkugeln durch die Luft, doch keine einzige traf ihr Ziel, das wusste ich, ohne hinsehen zu müssen. Stattdessen schrieen die vielen Schützen, sie schrieen all ihre Todesqualen zum Himmel hinaus, die wie eine gigantische Welle auf Rachel und mich niederzubrechen schienen. „Was zur Hölle ist das? Was ist da los?“, kreischte Rachel in schriller Panik und reckte sich, um sich aus meinem Griff zu befreien und unter dem Tisch hervorzublicken. Da rollte der abgetrennte Kopf der Bibliothekarin an uns vorbei; die leeren, giftgrünen Augen der dahingemetzelten Frau blickten starr ins Leere und Rachels Hand streifte versehentlich ihre eiskalte – todeskalte – Wange. Ein spitzer Schrei ertönte, von dem ich mir nicht sicher war, ob er von mir oder meiner Freundin gekommen war, und ich schnellte blitzartig vorwärts und zog sie wieder zu mir unter den schützenden Tisch. „Sieh nicht hin! Gott, Ray, schau mich an! Mich, nur mich! Alles okay, uns passiert nichts!“, sagte ich ebenso hektisch wie beschwörend, obwohl mein gesamter Körper zitterte wie Espenlaub. Ich war am Ende, absolut fertig und hatte kaum noch Kontrolle über meinen Körper, aber eins war fest und unwiderruflich in meinen Verstand eingebrannt: Ich musste Rachel beschützen. Rachel starrte mich an, aus großen, ungläubigen Augen, die tausend stumme Fragen stellten. Bisher war immer sie die Ruhige, Überlegene gewesen, die mich beschützte, doch jetzt war es genau umgekehrt. „Es ist alles in Ordnung!“, beteuerte ich und drückte sie an mich, völlig egal, ob ich damit mich selbst oder sie beruhigen wollte. „Alles wird wieder gut! Er tut uns nichts, ich versprech es dir! Aber mach die Augen zu, Ray, bitte!“ Ich spürte ihren zierlichen Körper in meinen Armen zittern und wimmern, viele schreckliche Minuten lang. Dieses Blutbad schien länger zu dauern, als das letzte im Polizeirevier, und ich versuchte krampfhaft sowohl meine Augen als auch meine Ohren davor zu verschließen. So viele unschuldige Menschenleben – Wie hatte ich das nur zulassen können? Wir schienen eine endlose Zeit dort unter dem Schreibtisch zu hocken, verkrampft die Arme umeinander geschlungen, als könnten wir das Unheil so voneinander abhalten, und ich wünschte mir wirklich nichts sehnlicher, als Rachel aus der ganzen Angelegenheit herauszuhalten. Es genügte, dass Gaara mich da hineingezogen hatte, doch meine Freunde ging das absolut nichts an! Erst nach einer Ewigkeit, wie es mir schien, verhallten die gellenden Schmerzensschreie und das Spritzen des Blutes. Mein Instinkt befahl mir, in meinem sicheren Versteck zu bleiben, doch mein Verstand wusste es besser: Gaara sah mich als sein Eigentum und als Solches hatte ich anwesend zu sein. Immer. Ob es mir gefiel, oder nicht. Und er würde zweifellos nur noch wütender werden, wenn ich mich danebenbenahm. Also blieb mir nichts anderes übrig, als meinen gefühllosen Körper in die Höhe zu zwingen und auch Rachel mitzuziehen. Je näher sie bei mir blieb, umso besser konnte ich sie beschützen, so glaubte ich. „Alles wird gut, glaub mir“, flüsterte ich ihr beschwörend zu, als ich ihr unter die Arme griff und ihr auf die Beine half. Ich riskierte einen flüchtigen Blick in die Bibliothek und spürte, wie mein Magen sich bei diesem Anblick umdrehte. Verstümmelte Menschenkörper, so weit das Auge reichte. Nicht mal die SWAT-Einheit hatte Gaara nur das Geringste entgegenzusetzen. Er selbst stand noch immer bewegungslos inmitten des Gemetzels, das er angerichtet hatte; seine Arme hingen schlaff zu beiden Seiten hinab und er hielt den Kopf gesenkt. Fast schien es mir, als wolle er einen Augenblick lang innehalten, um das Ergebnis seiner Taten zu genießen. Es fröstelte mich bei der bloßen Vorstellung, doch zugleich war ich erleichtert, dass es nun vorbei war. Er hatte sich jetzt bestimmt genug abreagiert. Alle Polizisten waren tot und die möglicherweise angeforderte Verstärkung würde wohl lange genug auf sich warten lassen, um uns die Flucht zu ermöglichen. „Wir … sollten jetzt abhauen…“, sagte ich leise und lächelte nervös, als Gaara sich noch immer nicht regte. Er schien geradezu in einer Art Trance zu sein. Zaghaft trat ich ein paar Schritte auf ihn zu und vergaß Rachel dabei völlig, die eingeschüchtert hinter mir zurückblieb. „Oder … Gaara? Komm, wir gehen, bevor die Verstärkung kommt. Wir sollten…“ Die Worte blieben mir im Hals stecken, als er sich ruckartig zu mir wandte und mich mit seinen eiskalten Augen anstarrte. „Dieses Mädchen…“, knurrte er kaum hörbar und sein Blick glitt weiter zu Rachel. „Was soll das? Ich habe es dir gesagt: Keine Gefühle, keine Freunde, keine Liebe. Nur ich.“ So schnell ich konnte, baute ich mich vor Rachel auf und breitete beschützend beide Arme aus. „Gaara, hör auf!“, widersprach ich energisch und schüttelte den Kopf. „Ich kann doch nichts dafür, dass ich sie getroffen hab! Und sie ist keine Bedrohung, wirklich nicht!“ „Geh aus dem Weg.“ „Hast du sie noch alle?! Verdammt, komm doch mal wieder runter! Ray hat keinem etwas getan! Lass sie in Ruhe; ich warne dich! Wenn du meinen Freunden etwas antust, bekommst du ernsthafte Probleme mit mir! Du bist ein Monster!“ Seine Augen verengten sich und einen schrecklichen Herzschlag lang zog er zischend die Luft ein. Er war wütend, sehr viel wütender als ich ihn je zuvor erlebt hatte. Und dann hörte ich Rachels Schrei. Laut und gellend und schmerzverzerrt. Blitzartig fuhr ich herum und streckte die Arme aus, um sie festzuhalten und zu beschützen, doch meine Hände gingen im Meer von spritzendem Blut unter. Es lief nicht alles in Zeitlupe ab, wie es in Filmen immer der Fall war, allerdings war mein Gehirn durch den Adrenalinstoß in der Lage, ein paar kurze Momentaufnahmen zu machen. Ich sah schokoladenbraunen Augen – weit aufgerissen und von roten Krampfadern durchzogen, dann knickte ihr Kopf nach hinten um und wurde vom Meer ihrer schwarzen Haare verdeckt. Scharlachrotes Blut spritzte aus ihrem Unterleib hervor und überzog ihre helle Haut mit tausend Flecken; dann fiel ihr Oberkörper völlig von ihrem Becken ab und wurde nach hinten gegen ein Bücherregal geschleudert. Schlaff fielen die abgetrennten Beine vor mir zu Boden und gingen in einer Blutlache unter. Bücher fielen aus dem Regal und prasselten auf den Körper meiner Freundin hinab; ein Bildband über Wüsten öffnete sich genau über ihrem Kopf und dann war es still. Rachels abgetrennter Oberkörper lag blutverspritzt unter einem Berg Bücher. Unbarmherzige Kälte fraß sich durch meine Glieder und lähmte mich. Ich fühlte mich wie eine eiskalte Statue aus Stein, ebenso bewegungsunfähig wie nutzlos. Kein einziger Gedanke wollte mehr durch mein Hirn fließen; es war, als wäre mir das Leben entrissen worden und zurück blieb nichts als diese Kälte und Starre. Alles ist okay, uns passiert nichts, hatte ich gesagt. Ich hatte sie angelogen. Meine Sandkastenfreundin Rachel. Mein Teamkapitän. Meine Vermittlerin bei jedem Streit mit Kim. Der freundlichste und friedliebendste Mensch der Welt. „…Nein…!“ Ich schnellte vorwärts, so schnell, dass ich über meine eigenen Beine stolperte und direkt neben ihr zu Boden fiel. Meine Hände zitterten zu sehr, als dass ich irgendetwas hätte greifen können, also beugte ich mich über ihren Körper und schob mit beiden Armen die vielen Bücher beiseite. Als wolle das Schicksal sich auch noch über mich lustig machen, waren es allesamt Werke über Wüsten, schrecklich weite Sandwüsten – wie sehr ich sie hasste! „Rachel! Ray, Rachel, sag was!“, flehte ich hektisch und meine Stimme überschlug sich in ihrer schrillen Tonlage; ich konnte mich selbst nicht mal mehr verstehen. Hastig schob ich ihr die langen Haare aus dem Gesicht und versuchte das Blut abzuwischen, das an ihrem Mund hinabfloss, doch meine ungeschickten Bewegungen verschmierten alles nur noch weiter. Ich wusste nicht, was ich tun sollte – Wie funktionierte eine Herzrhythmusmassage? Konnte ein Mensch mit abgetrennten Beinen überleben? Gab es dort unten irgendwelche lebenswichtigen Arterien, die jetzt zerstört waren? Oder konnte sie noch ein halbwegs gutes Leben im Rollstuhl führen, wenn ich mich genug beeilte? Die Panik verschleierte mein Hirn und ich konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Ich musste die Blutung am Unterleib stoppen, ich musste den Notarzt rufen, ich musste eine Mund-zu-Mund-Beatmung machen. Hastig ergriff ich ihr dünnes Handgelenk und fühlte den schwachen Puls. Aber wenigstens hatte sie noch Puls, das gab mir einen Vorsprung. „Ray, keine Panik! Alles okay, ich rette dich! Alles wird gut, ich kann das! Wirklich! Aber du darfst nicht einschlafen, bleib wach!“ Ich schlug leicht gegen ihre leichenblasse Wange und erst dann entdeckte ich das Blut, das sich an ihrem Rücken immer schneller ausbreitete. Ich konnte deutlich das Loch in ihrem Rücken erkennen, aus dem irgendetwas Bläuliches herausragte. Einer der beiden Lungenflügel, wie ich vermutete. Mein Inneres gefror erneut, denn mir war klar, was das bedeutete. Das menschliche Lungengewebe ist extrem empfindlich und allein das Reißen einer einzigen Lungenvene oder –arterie genügt schon, um das ganze Organ kollabieren zu lassen. „Yu…ka…“ Mühsam bewegte Rachel die bläulichen Lippen und hustete gleich darauf. Ein neuer Schwall Blut floss dabei aus der herausstehenden Lunge und ihre Lieder flatterten, doch sie hielt die Augen mühsam einen kleinen Spalt breit geöffnet. Ich schüttelte hektisch den Kopf und nestelte an meiner Armstulpe herum, um sie zu zerreißen und anschließend als Verband benutzen zu können. „Sprich nicht, halt einfach nur still! Du musst dich schonen, sonst kann ich dich nicht retten!“, murmelte ich vor mich hin. Ich wollte es mir selbst einreden, mich davon überzeugen, diesen winzig kleinen Strohhalm der Hoffnung nicht loszulassen. Doch auch Rachel wusste, dass es diesen Strohhalm nicht mehr gab. „Lass es…“, presste sie leise hervor und sah mir direkt in die Augen. Erneut schüttelte ich den Kopf, noch heftiger als zuvor. „Nein, Ray! Ich lass dich nicht hängen! Ich…“ „Lauf weg...so schnell...du...kannst...“ Und dann schlossen ihre zitternden Lieder sich endgültig und ihr Kopf kippte zur Seite, während das scharlachrote Blut sich um ihren Körper herum verteilte. Ich sackte in mir zusammen, kraftlos, als wäre meinen Muskeln jegliche Energie entzogen worden. Schlaff fielen meine blutigen Hände in meinen Schoß; die in aller Eile abgenommene Armstulpe segelte sanft hinab und blieb auf Rachels Brustkorb liegen. Stille legte sich über die verwüstete Bibliothek, und einen schrecklichen Augenblick lang war ich unfähig, auch nur zu atmen. Ich fühlte nichts mehr, weder Kälte noch Schmerz, noch irgendetwas. Ich war einfach nur leer. „Was … hab ich falsch gemacht…?“ Die Worte kamen von selbst aus mir heraus und gehörten nicht zu mir. Sie waren zu metallisch und zittrig, um ein Teil von mir zu sein – wie eine defekte Maschine. Ich schloss die Augen, doch selbst dann verschwand das Bild Rachels nicht aus meinem Kopf. Ununterbrochen sah ich ihr leichenblasses Gesicht vor mir, das Blut an ihrem Mundwinkel, den herausragenden Lungenflügel, ihre zusammengekniffenen Augen, denen langsam der Glanz entwich… Ich hatte sie nicht retten können. Ich war einen knappen Meter von ihr entfernt gewesen und hatte gewusst, in welcher Gefahr wir schwebten. Dennoch hatte ich nichts getan, um sie zu schützen. Es war alles meine Schuld. Ich hatte meine Freundin umgebracht. Ruckartig setzte ich mich auf und schüttelte den Kopf so heftig, dass meine Haare mir schmerzhaft ins Gesicht peitschten. Es war mir unmöglich, das zu glauben: Rachel würde nie wieder zurückkommen und es war allein mein Fehler. Weil ich so dumm gewesen war, mich mit einem Mörder einzulassen. Glühend heiß explodierte diese Erkenntnis in mir und schoss wie ein Feuer quer durch meinen Körper. Ich fuhr in die Höhe, wandte mich ab und vergrub beide Hände in meinen Haaren. „Nein … Nein, Scheiße! Ray, nein!“, entfuhr es mir in unkontrolliert schriller Lautstärke und ich begann mit abgehackten Schritten auf der Stelle kreisend zu laufen. „Das wollt ich nicht! Ich hab doch selbst nicht gewusst, was ich machen soll … das war doch nicht meine Absicht … ich meine … Rachel, bitte! Hilfe! Ray! Ray! Ray, ich…“ Ich warf meine Haare nach hinten, ohne mich darum zu kümmern, dass ich mir dabei mit meinem Nietenarmband die Wange aufschlitzte. Ich konnte schlicht und ergreifend nicht glauben, dass ich allein für Rachels Tod verantwortlich war – das ging nicht! „Du! Du verdammter Scheißkerl!“, schrie ich und fuhr zu Gaara herum. Ich bebte am ganzen Körper und konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassen, nur eins wusste ich noch: Es war sein Verdienst, dass ich das zugelassen hatte. Ich war nicht alleine Schuld. Und er besaß diese absolute Gefühllosigkeit, ohne die geringste Regung dortzustehen und mich nur anzustarren, er war sich nicht einmal dessen bewusst, was er gerade getan hatte! Das war der Augenblick, in dem ich das erste Mal vollkommen die Kontrolle über mich verlor, und all die Verzweiflung und der Hass mich wie eine meterhohe Welle unter sich begruben. Ich spürte den blutverspritzten Boden unter meinen Stiefeln beben, als ich blindlings losrannte, bis ich direkt vor Gaara stand und dann mit beiden Armen ausholte. „Das ist alles deine Schuld, deine gottverdammte Schuld! Sie hatte niemandem etwas getan, verdammt noch mal! Ich hasse dich! Ich HASSE dich, elendes Monster!“, kreischte ich und meine unnatürlich hohe Stimme schmerzte mir selbst in den eigenen Ohren. Unkoordiniert schlug ich mit beiden Fäusten auf ihn ein und schrie einfach weiter. Ich wusste nicht einmal, was ich ihm alles an den Kopf warf, die Worte quollen unkontrollierbar aus mir heraus, wie ein Spiegel meiner gebrochenen Seele. Es kümmerte mich nicht einmal, dass sein Sand mich abwehrte und sämtliche Schläge an der Sandwand abprallten, während er selbst unversehrt blieb. Dieses Chaos an Verzweiflung, Hilflosigkeit, Angst und Selbstverachtung musste irgendwie raus, ob es etwas brachte, oder nicht. Ich schlug blindlings weiter auf ihn ein und kniff die Augen fest dabei zu, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen. Er, die Verkörperung meiner persönlichen Hölle! Er hatte alles kaputtgemacht, mein normales, ruhiges Leben, und er hatte mich dazu gebracht, Rachels Tod zuzulassen! Nur wegen ihm war ich so schrecklich nutzlos und eine Gefahr für meine Umwelt! Und von dieser Bestie hatte ich zeitweise geglaubt, er könnte ansatzweise so etwas wie Gefühle entwickeln! „Ich hasse dich, so sehr! Verpiss dich doch einfach, fahr zur Hölle, aber lass mich endlich in Ruhe! Du sollst sterben! Hörst du, sterben! Du hast es doch nicht anders verdient! Kratz ab! Dich vermisst doch eh keiner! Du sollst in der Hölle schmoren, für immer und ewig!“ Wäre ich aufmerksamer gewesen, wäre mir das unheilvolle Knurren aufgefallen, das in diesem Augenblick erklang, doch ich hatte mich längst von meiner Umwelt abgekapselt, ich wollte das alles nicht mehr! Ich wollte nicht mehr in das Gesicht des Mörders meiner Freundin sehen oder all die Leichen und das Blut sehen müssen. Es sollte endlich aufhören! Ich wollte wieder Yuka Ashihira sein, ein ganz normales Highschool Girl! In dem heillosen Chaos all meiner Gefühle spürte ich nur noch diesen Wunsch, endlich von hier wegzukommen. Gaara würde mich nicht freilassen, es würde alles nur so weitergehen. Als Nächstes würde er Kim töten, dann meine Eltern, dann meinen Bruder im Irak… Ruckartig stoppten meine Schläge auf die Sandwand, die mittlerweile um einiges stärker als zuvor vor Gaara wucherte, und zog mein Messer aus der Rocktasche. Viel konnte ich nicht gegen ihn ausrichten, doch ich wollte mich ihm nicht mehr unterordnen. Meinetwegen würde ich bei dieser Aktion draufgehen, aber ich musste es versuchen. „Ja, sterben sollst du!“, wiederholte ich schrill und wollte mich gerade mit aller Kraft auf die Sandwand stürzen, als ich urplötzlich zu Stein erstarrte. Dieses Wesen hinter der schützenden Sandwand, das war nicht mehr mein Kidnapper Gaara. Sein Gesicht hatte sich verändert: Die komplette linke Gesichtshälfte war von bröckelndem, hellbraunen Sand überzogen, der sich immer weiter seine Haut entlang zu ziehen schien. Statt seines linken Ohrs hing an seinem Kopf nur noch ein groteskes, ebenfalls aus Sand geformtes Gebilde, das an Dämonen einer Schauergeschichte erinnerte. „Sei … doch endlich still! Du … bist … meine … Beute! Genau wie jeder andere auch, hörst du! Du! Bist! Meine! Beute!“, zischte er mit schrecklich lauter und verzerrter Stimme und ging leicht in die Knie. Er machte sich zum für mich todbringenden Angriff bereit, das bemerkte ich, doch mir blieb keine Zeit zum reagieren, denn noch bevor ich den Anblick seines ungeheuerlich missbildeten Gesichts halbwegs verarbeitet hatte, ertönte ein Knall, der meinen ohnehin schon verwirrten Kopf beinahe platzen ließ. Instinktiv ließ ich das Messer in meiner Hand fallen und warf mich zu Boden, als ich eine gewaltige Explosion ganz in meiner Nähe ausmachen konnte. Gaaras neue, hohe und verzerrte Stimme schrie – ein grauenvoller Schrei, den ich nie wieder vergessen würde – und aus den Augenwinkeln heraus sah ich, dass die Explosion ihn direkt getroffen hatte. Der Sprengkörper war so präzise, dass er nur auf einen kleinen Radius wirkte, doch auch ich blieb von der Sprengung nicht unversehrt. Mitten in meinem Fall zu Boden, zwischen Gaaras Schrei, seiner grotesk verzogenen Fratze und dem Schmerz der Explosion, erhaschte ich einen letzten Blick auf Rachel. Ihr misshandelter Körper lag noch immer unter einigen Büchern und einen Herzschlag lang war mein einziger Wunsch, dass das nicht ihr Grab bleiben würde. Dann wurde es schwarz um mich herum und sowohl Gaara als auch Rachel waren weg. Zurück blieb nur eine männliche, energische Stimme, die ununterbrochen auf mich einzureden versuchte, obwohl ich nur die Hälfte ihrer Worte verstand. Es war ein chaotisches Wirrwarr an Buchstaben und Lauten, deren Sinn ich nicht entschlüsseln konnte. „Sicherheit … Deine Eltern … Hauptquartier … CIA … Atomsprengsatz…“ Kapitel 6: Central Intelligence Agency (=CIA) --------------------------------------------- Seit vielen schier unendlichen Stunden saß ich in diesem engen Raum und kauerte mich auf dem äußerst provisorischen Feldbett zusammen. Weitere Möbelstücke hätten in das Zimmer nicht einmal hineingepasst – größer als fünf Quadratmeter konnte mein Aufenthaltsort kaum sein. Ich war mir nicht sicher, wer mich hierher gebracht hatte, geschweigedenn, wo genau ich mich befand. Ich erinnerte mich nur sehr verschwommen an einen breitschultrigen Mann mit einer Gasmaske auf dem Gesicht, der mich auf dem Feldbett abgesetzt und vergeblich versucht hatte, mir etwas zu erklären. Doch ich war nicht in der Lage gewesen, mich auf seine unverständlichen Worte zu konzentrieren, ich hatte mich nur zitternd zusammengekauert und vor mich hingewimmert, bis er die Versuche der Kontaktaufnahme abgebrochen und mich allein gelassen hatte. So lag ich jetzt seit vielen Stunden dort und erst langsam fand ich wieder in die Realität zurück. Die vergangenen Ereignisse waren merkwürdig verzerrt in meinem Unterbewusstsein gespeichert und etwas hinderte mich daran, auf alle Einzelheiten zurückzugreifen. Ich wusste noch, dass ich nach Rachels Tod so wahnsinnig wütend gewesen war und auch Gaara schien noch gefährlicher als sonst gewesen zu sein. Dann war da diese Explosion gewesen, Schmerzen, ein paar Stimmen und jetzt war ich hier in einer beengten, kalten Zelle. Die Klimaanlage war viel zu hoch gestellt; ich hatte bereits eine Gänsehaut am ganzen Körper und spürte die frostigen Luftströme, die mich umgaben. Meine Zähne begannen aufeinander zu klappern und dieses Mal nicht wegen meiner Panik, sondern aufgrund der schier unerträglichen Kälte. Je mehr Gefühl ich in meine steifen Glieder bekam, desto stärker fiel mir das auf, und ich bekam erneut Angst. Wollte man mich hier drinnen bis zum Erfrierungstod festhalten? Normal konnte das frostige Klima auf keinen Fall sein, aber wozu hatte man es künstlich herbeigeführt? War ich jetzt zum Staatsfeind Nummer eins erklärt worden, weil ich Gaara begegnet war? Ich wollte gerade aufstehen, um nach der Tür dieser Zelle zu suchen, als ein schmaler Spalt Licht in den dunklen Raum fiel und ich geblendet blinzelte. „Yuka Ashihira? Bist du wieder bei Bewusstsein?“, drang dieselbe energische Männerstimme wie kurze Zeit zuvor während meines Dämmerzustandes an mein Ohr. Zaghaft öffnete ich die Augen und sah auf zu der Tür, die sich geöffnet hatte. Im Türrahmen stand der breitschultrige Mann, noch immer in der ungewöhnlichen Uniform und mit der Gasmaske – ein alles andere als Vertrauen erweckender Anblick. „J-Ja…?“, krächzte ich dementsprechend zaghaft und rollte mich unbewusst wieder zusammen. War ich jetzt etwa an denselben verrückten Wissenschaftler geraten, der auch Gaara erschaffen hatte? Hatte dieser Psychopath mich in dem eiskalten Raum bereits zu einem weiteren Mutant gemacht und ich wusste es noch nicht einmal? Der Mann schien meine Befürchtungen zu erraten, denn er lockerte seine bisher angespannte Haltung und hob die Hände, als wolle er mir zeigen, dass er keine Waffen bei sich trug. Allerdings trug er dicke Gummihandschuhe an beiden Armen. „Keine Sorge, du bist jetzt in Sicherheit“, versicherte er und seine Stimme klang weicher als zuvor. „Ich arbeite für die CIA. Das alles sind nur Vorsichtsmaßnahmen, du brauchst keine Angst zu haben. Dein Kidnapper ist in Gewahrsam und alles ist wieder gut. Aber jetzt komm bitte mit, ich muss noch eine kurze Untersuchung an dir durchführen. Zu deinem eigenen Wohl, versteht sich.“ Ich wusste nicht, ob ich ihm vertrauen sollte, doch er nahm mir die Entscheidung ab, indem er mich vorsichtig auf seine Arme hob und dann aus der eiskalten Zelle trug, als würde ich nichts wiegen. Er brachte mich in einen großen Raum, wo er nur kurz ein silbrig glänzendes Gerät – fast wie ein Metalldetektor – über meinen Körper gleiten ließ und dann zufrieden nickte. „Sehr gut, es ist alles wieder in Ordnung. Keine bleibenden Schäden“, stellte er zufrieden fest und nahm die Gasmaske ab. Unter der unförmigen Maske kam ein regelrecht gutaussehender Mann mittleren Alters mit warmen, braunen Augen zum Vorschein, der mich freundlich anlächelte. „Entschuldige bitte die ganzen Umstände, aber wir mussten dich zu deinem eigenen Wohl einsperren. Bei dem Angriff auf deinen Kidnapper waren wir gezwungen, einen besonderen Sprengstoff einzusetzen und leider bist auch du damit in Berührung gekommen. Der Sprengsatz enthält zu einem kleinen Teil sehr stark komprimierten Atomsprengstoff und ich denke, du weißt, was das bedeutet, oder?“ Ich nickte, sehr langsam, und bemerkte, dass mein Gehirn bereits leistungsfähiger war, als ich gedacht hatte. „Atomsprengstoff zerstört sämtliche menschlichen Zellen - eine absolute Superwaffe“, erklärte ich leise und sah leicht fragend zu dem Mann auf. Er nickte und schälte sich nun auch aus seinen Handschuhen, die er neben der Gasmaske auf einem kleinen Tisch ablegte. „Vereinfacht gesehen: Ja. Wie gesagt bist leider auch du mit dem Sprengstoff in Berührung gekommen, deshalb mussten wir dich einsperren. Dir ist vielleicht schon die extreme Kälte dort drinnen aufgefallen, aber das war notwendig, um die Atomteilchen, die bei der Explosion in deinen Körper gelangt sind, absterben zu lassen, bevor sie Schaden bei dir anrichten können. Deshalb musste ich auch Schutzkleidung tragen, denn diese überaus gefährlichen Atomteilchen verbreiten sich schnell und führen zu unheilbaren Krankheiten. Tut mir leid, falls ich dir damit Angst gemacht haben sollte.“ Er lächelte entschuldigend, doch ich winkte ab. In meinem Zustand hätte ich selbst unter völlig normalen Umständen Panik bekommen, das war mir schon klar, also war es nicht weiter schlimm. Da gab es nur eine Frage, die mich noch beschäftigte. „Was ist aus Gaara geworden?“, fragte ich und merkte selbst, wie zaghaft ich klang. Ein Teil von mir hoffte aus tiefstem Herzen, dass er bei der Explosion gestorben war, ein anderer wollte ihn lieber lebendig haben, um ihn selbst möglichst schmerzhaft ins Jenseits befördern zu können. Beide Teile ließen mich beinahe etwas Angst vor mir selbst haben. „Dein Kidnapper heißt also Gaara…?“ Der CIA-Agent legte die Stirn in Falten und musterte mich nachdenklich, als müsse er überlegen, wie viel von der Wahrheit er mir gefahrlos erzählen konnte. Schließlich lächelte er und machte einen freundlichen Wink zum Ausgang des Raums, der wahrscheinlich als Labor genutzt wurde. „Um ihn brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Er ist außer Gefecht gesetzt und befindet sich in Gefangenschaft. Er ist absolut keine Gefahr mehr für dich, du bist wieder frei. Aber lass uns doch gehen, du möchtest bestimmt deine Eltern sehen, nicht wahr?“, lenkte er ab und sein Manöver gelang. „Meine Eltern?“, fragte ich überrascht und schluckte. „Sie sind hier? In einem Gebäude der CIA?“ „Natürlich. Dein Gesundheitszustand war sehr schlecht, deshalb waren wir verpflichtet, sie zu holen. Komm doch mit.“ Sanft legte er mir eine Hand auf die Schulter und führte mich durch die Tür hinaus aus dem ungemütlichen Labor. Dahinter erstreckte sich ein weitläufiger, zu beiden Seiten mit Betonwänden gesäumter Flur. Grelle Neonleuchten strahlten von der Decke herab und verbreiteten ein unangenehmes Licht, das meine Augen blendete. „Verzeihung, aber gute Lichtverhältnisse sind unerlässlich für unsere Arbeit hier“, entschuldigte der Agent sich auch sofort und beschleunigte seine Schritte. Ich kniff die Augen zusammen und starrte zu Boden, um meine Augen ein wenig zu schützen. Ich bezweifelte, dass es irgendein menschliches Wesen hier drinnen ohne Sonnenbrille für längere Zeit aushalten könnte. „Für Ihre Arbeit?“, wiederholte ich langsam. „Was genau bedeutet das? Was für Arbeit wird hier verrichtet? Wo genau bin ich eigentlich?“ „In einer Einsatzzentrale der CIA in Louisville. Unsere Arbeit sollte dir eigentlich geläufig sein: Wir sind der Auslandsnachrichtendienst, das bedeutet, wir beschaffen Informationen über ausländische Regierungen, Vereinigungen und Ähnliches, um zu verhindern, dass die Vereinigten Staaten irgendeinen Schaden von diesen ausländischen Machenschaften tragen könnten.“ Es war kaum zu übersehen, dass diese Antwort auswendig gelernt worden war, um sie allen dummen, kleinen Bürgern vorzutragen, und er hatte Pech, denn ich gehörte nicht zu der Mehrheit der patroitistischen Amerikaner, die blind allen Politikern Glauben schenkten. Ich dachte nicht daran, mich so schnell zufrieden zu geben. „Und was hat meine Entführung mit ausländischen Machenschaften zu tun? Gehört Gaara etwa zu der Al-Quaida, oder wie darf ich das verstehen?“ Leider lief er so vor mir, dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Ich hatte keine Chance anhand seines Gesichtsausdrucks irgendeine Gefühlsregung auszumachen. „Wir untersuchen noch, was es mit ihm auf sich hat. Aber das ist derzeit für dich zweitrangig. Das Wichtigste ist, dass es dir einigermaßen gut geht.“ Und wieder gelang sein Ablenkungsmanöver, da wir am Ende des viel zu grell belichteten Flurs angelangt waren, und er mich in das anliegende Zimmer führte. Dieser Raum war eine echte Wohltat für mich: Freundliche, helle Holzmöbel, lindgrün gestrichene Wände und ein paar angenehme Leuchten in der weißlichen Holzdecke. Besonders ins Auge stach mir eine grüne Stoffcouch, die neben einem Bücherregal stand, denn von dieser Couch erhoben sich zwei Personen, als ich ins Zimmer trat. Ein einziger Blick genügte, um zu wissen, dass ich mich auf Hausarrest gefasst machen konnte. „Gott, steh mir bei! Was ist denn jetzt schon wieder in meine unberechenbare Tochter gefahren?“, rief mein Dad in übertriebener Dramatik aus und fügte noch ein paar leise Stoßgebete auf Japanisch hinzu, die ich nicht verstand. „Daichi! Kannst du nicht einmal mit dem Meckern aufhören?! Sie lebt noch, Scheiße, Mann, sie ist okay! Yes! VICTORY!“, quietschte meine Mom dazwischen und lief mit schnellen Schritten auf mich zu. Meine Eltern waren schon immer etwas eigen und die unterschiedlichsten Personen dieses ganzen Planeten, aber noch nie war ich so glücklich darüber gewesen, wie in diesem Moment. Ich war nur knapp einem Psychopathen entkommen, ein Atomsprengsatz hatte mich erwischt, ich war in einer Zentrale der CIA, aber Mom und Dad waren noch immer dieselben Verrückten! Ich warf mich ohne das geringste Zögern in die Arme meiner Mom und schmiegte mich an ihren vertrauten, warmen Körper. Es fühlte sich so unsagbar gut an, endlich wieder in Geborgenheit zu sein, ohne Angst zu haben oder über das Schicksal vieler Menschenleben entscheiden zu müssen. Ich war froh, all meine Tränen bereits verbraucht zu haben, sonst wären sie garantiert wiedergekommen, als meine Mom mich sanft an sich drückte und mir über das verdreckte Haar strich. „Yuka, Schätzchen, geht’s dir auch wirklich gut? Du siehst schrecklich aus, ich meine … nicht so schrecklich, aber … Ach, mein Mädchen, es tut mir so leid! Du hast bestimmt eine Riesenscheiße durchmachen müssen!“ Meine Mom kann nicht sonderlich gut mit Worten umgehen, doch ich verstand sie auch so. Wir verstehen uns schon immer bestens, egal, wie oft es zwischen uns kracht. Sie ist fast genau so impulsiv und temperamentvoll wie ich und sieht wie eine größere Kopie von mir aus, nur mit kurzen Haaren. Ich brachte kein einziges Wort über die Lippen, darum nickte ich nur und vergrub meinen Kopf am weichen Stoff ihres T-Shirts. So konnte ich allerdings nur wenige Sekunden verharren, denn da näherte sich mein Dad und zerstörte den wohltuenden Frieden. „Yuka Ashihira, würdest du mir bitte die Ehre erweisen, deinen unmöglichen Aufzug zu erklären? Von dem, was du schon wieder angestellt hast, will ich gar nicht erst anfangen! Einbruch ins Einkaufszentrum, Diebstahl, Körperverletzung...“ Daichi gab es auf, meine Verbrechen aufzählen zu wollen und fuhr sich mit einer Hand durch die kurzen, schwarzen Haare. In solchen Augenblicken frage ich mich wirklich, ob er mit mir verwandt sein kann, oder ob ich nicht doch das Ergebnis einer Nacht zwischen einem coolen Amerikaner und meiner Mom im betrunkenen Zustand bin. Auch Mom konnte keinerlei Verständnis für seine Anschuldigungen aufbringen und sah verärgert zu ihm auf. „Deine Tochter ist gerade erst einem Psycho entkommen, wenn du deine Moralpredigt also bitte zurückstellen könntest...!“, zischte sie und ich konnte mir ihren vernichtenden Gesichtsausdruck bildlich vorstellen. Daichi schaltete auf stur, wie meistens. „Entschuldigung, dass ich Wert darauf lege, dass unsere Tochter nicht schon in diesem Alter zur Kriminellen wird!“ „Sie war Opfer eines Kriminellen, das ist ein kleiner Unterschied!“, giftete Mom zurück und verstärkte ihren Griff um meine Schultern. „Und deshalb stiehlt sie diese Asozialen-Klamotten?!“ „Das ist nicht asozial, das ist Streetstyle! Freu dich doch, dass sie Interesse an Mode entwickelt!“ „Ich soll mich freuen, dass sie aussieht wie diese Kiffer, die am Skatepark rumlungern?!“ Jetzt waren sie bei einem gefährlichen Thema angelangt und Mom geriet immer mehr in Rage. Unwillkürlich fragte ich mich, ob die beiden sich im Klaren darüber waren, dass sie sich hier vor einem CIA-Agenten stritten und ihre Tochter nur knapp einem Massenmörder entkommen war. „Wir können stolz auf sie sein!“, ereiferte sie sich immer weiter. „Wie viele Mädchen enden in einem knallpinken Zimmer und schmachten Poster von irgendeiner Boygroup an! Yuka ist...“ „Ähm, Misses Ashihira?“, mischte der Agent sich vorsichtig ein und trat zwischen meine Eltern. Daichi seufzte tief und fuhr sich erneut durch die kurzen Haare, dann wandte er sich dem etwas perplexen Mann zu. „Entschuldigen Sie bitte. Die Ansichten meiner Frau Mary und mir über Kindererziehung sind sehr verschieden...“ „Schon in Ordnung, aber wir sollten uns jetzt den entscheidenden Dingen widmen, denn meine Zeit ist sehr begrenzt. Übrigens, mein Name ist Wilson. Ich habe mich um Ihre Tochter gekümmert.“ Ich war Mister Wilson zutiefst dankbar, dass er diese sinnlose Diskussion, die meine Eltern cirka alle zwei Wochen führten, beendete. Meistens endeten diese Streitgespräche damit, dass meine Mom Dad einen in der Nähe liegenden Gegenstand an den Kopf warf und dann aus dem Haus stürmte. Eine Angewohnheit, die heute nicht gerade praktisch gewesen wäre. Auch Mary beruhigte sich etwas und löste sich von mir, um Mister Wilson die Hand zu reichen. „Wir sind Ihnen wirklich dankbar, dass Sie Yuka von diesem durchgeknallten Kerl befreit haben.“ „Was werden Sie jetzt mit dem Kidnapper machen? Und wer war das überhaupt?“, erkundigte Daichi sich. Ich sah Mister Wilson an, dass ihn diese Frage etwas verunsicherte, doch das Lächeln auf seinem weichen Gesicht blieb bestehen. „Wie ich Ihrer Tochter bereits gesagt habe: Zurzeit wird noch untersucht, wer er ist. Bisher konnten wir nur herausfinden, dass er cirka dreizehn ist und sich Gaara nennt. Er scheint amerikanischer Abstammung zu sein, denn er spricht Southern-Dialekt. Wahrscheinlich stammt er hier irgendwo aus der Gegend“, erklärte er und wandte sich dann mir zu. „Vielleicht weiß Yuka noch mehr über ihn, aber ich finde, wir sollten ihr erst etwas Zeit geben, alles zu verarbeiten, bevor wir sie befragen. Du willst jetzt sicherlich erst mal deine Ruhe, oder, Yuka?“ Ich nickte matt und rang mir ein Lächeln ab. So seltsam dieser Mister Wilson mir auch schien, diesbezüglich hatte er Recht; mein Kopf schien fast zu platzen. „Gut. Dann bringe ich Sie drei jetzt zu der Wohnung, die wir für Sie vorbereitet haben. In einigen Tagen können wir dann mit den Befragungen anfangen“, sagte Mister Wilson und machte Anstalten, den Raum zu verlassen. Mary sah ihm verwirrt nach. „Was für eine Wohnung? Wir wollten eigentlich wieder nach Hause gehen.“ „Tut mir leid, aber vorerst müssen wir Sie hier behalten. Das sind Anweisungen von ganz oben, gegen die ich machtlos bin, aber seien Sie versichert: Es dient alles nur Ihrer Sicherheit. Wenn Sie mir nun also folgen würden...“ Ich spürte deutlich, dass diese Bitte meinen Eltern widerstrebte und mir selbst ging es auch nicht anders. Welcher normale Durchschnittsbürger wollte schon in einer CIA-Zentrale festgehalten werden? Außerdem war es deutlich zu spüren, dass dieser Mister Wilson unseren Fragen auswich und das beunruhigte mich. Natürlich blieb uns keine andere Wahl, als ihm zu folgen und die doch recht gemütliche Wohnung im zweiten Stock der Zentrale zu beziehen, doch eigentlich hätte mir zu diesem Zeitpunkt schon klar sein müssen, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Eine Nacht lang lag ich wach und zitterte ununterbrochen vor Angst, Gaara könnte plötzlich in mein Zimmer marschiert kommen und mich wieder mitnehmen. Die zweite Nacht hatte ich Alpträume von Rachel, die mir vorwarf, dass ich allein die Schuld an ihrem Tod trug. In der dritten Nacht hatte ich einen leichten Schlaf und nach der vierten war ich schließlich wieder fit und spielte Lacrosse in dem Teil der Zentrale, den ich mit meiner Familie betreten durfte. Man hatte uns fast eine gesamte Etage zugewiesen, die wohnlich eingerichtet war, im Gegenzug durften wir besagte Etage aber unter keinen Umständen verlassen. Alles, was wir brauchten, wurde uns gebracht, und ich fühlte mich wie in einem Gefängnis. Da war es einfach nötig, sich mit Lacrosse ein bisschen abzureagieren. Seit fast zwei Stunden war ich schon in einem völlig leeren Raum und übte gezieltes Werfen; sehr viel mehr konnte man ohne Mitspieler auch nicht üben. „Ach, verdammt! Irgendwann werd ich hier drinnen noch verrückt!“, entfuhr es mir und zum hundertsten Mal an diesem Vormittag ließ ich meinen Frust an dem kleinen Ball im Netz meines Lacrosseschlägers aus, indem ich ihn mit voller Kraft auf das Zielnetz schleuderte. Ein leises Ritsch ließ erkennen, dass das Netz diese Misshandlung nicht mehr lange überleben würde, aber immerhin hatte ich getroffen. Der Ball zappelte einwandfrei im Netz. Seufzend ließ ich meinen Schläger sinken und stützte mich auf meinen Knien ab. Lange konnte das nicht mehr so weitergehen; es grenzte an Freiheitsberaubung, was das CIA mit meiner Familie und mir anstellte! Heute Morgen hatte Mister Wilson mich bezüglich meiner Entführung und Gaara verhört, doch wie üblich hatte er sich geweigert, irgendwelche Informationen über den Rotschopf preiszugeben. Allmählich wurde ich mir immer sicherer, dass Gaara tatsächlich nichts weiter als ein Laborexperiment war, und sie mir deshalb alles verschwiegen. Langsam richtete ich mich auf und ließ meinen Blick durch den unmöbilierten Raum gleiten. Mir wurde flau im Magen bei diesem Gedanken und ich musste schlucken. Wenn dem wirklich so war, was hatte das CIA dann mit uns vor? „Yuka? Wir hätten noch einige Fragen an dich, komm bitte mit.“ Die Stimme drang so unvorhergesehen an mein Ohr, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte und mich um die eigene Achse drehte. Mister Wilson stand im Rahmen der breiten Tür aus festem Eisen und lächelte mir entgegen. Selbst auf die Entfernung konnte ich erkennen, wie unecht das Lächeln war, denn seine sonst so warmen Augen blieben unberührt. Es lag wohl an den vielen schlimmen Dingen, die mir widerfahren hatten, dass ich weitaus sensibler für solche Kleinigkeiten geworden war. Ich ließ mir allerdings nichts anmerken und trat lächelnd auf Mister Wilson zu. „Schon wieder? Um was geht es denn?“, fragte ich möglichst unbeschwert und schulterte meinen Lacrosseschläger. Es gab mir Sicherheit, ihn als Waffe bei mir zu wissen. „Nichts besonders Kompliziertes. Wir wollen nur deine Informationen noch einmal mit unseren Untersuchungsergebnissen vergleichen." Er legte mir eine Hand auf die Schulter und noch bevor ich mich zur Wehr hätte setzen können, hatte er mich schon mit sich gezogen. Er brachte mich in den gleichen Raum wie am Morgen: Kein sehr gemütliches Zimmer mit vielen Maschinen, deren Funktionsweisen mir absolut schleierhaft waren, und ungewöhnlich hoher Decke, die von Strahlträgern gehalten wurde. Diesmal warteten zwei weitere Agenten auf mich, die sich erst gar nicht vorstellten, sondern mich nur anwiesen, mich auf einen klapprigen Stuhl zu setzen und den Mund zu halten. Insgeheim taufte ich sie Mister Taktlos und Mister noch viel Taktloser. Mit einem dumpfen Knall schloss Wilson die schwere Tür hinter mir und ich spürte, wie mich eine Gänsehaut überlief. Die Sache war mir alles andere als geheuer; die Stimmung hatte sich im Vergleich zu meinem letzten Verhör heute Morgen drastisch geändert. Die Agenten schienen etwas herausgefunden zu haben, das sie in Alarmbereitschaft versetzte. Ich verwandte all meine Energie darauf, ein Lächeln aufzusetzen und meine Blicke betont ruhig zwischen den drei Männern umherschweifen zu lassen, die auf der anderen Seite des Tisches standen. „Hat Gaara sich dir gegenüber je über seine Herkunft geäußert?“, kam schließlich die erste Frage so plötzlich wie ein Pistolenschuss. Diese beiden neuen Agenten hatten weitaus weniger Taktgefühl als Wilson. Ich legte die Stirn in Falten und stellte den mitgenommenen Lacrosseschläger neben mir auf dem Boden ab, um etwas Zeit zu gewinnen. „Na ja … verrücktes Zeug eben…“, sagte ich vage und grinste gewollt naiv. „Was genau hat er dir erzählt?“, trompete einer der beiden Mister Taktlos und gab mir damit das Gefühl, ich wäre hier der Täter und nicht das Opfer. Wilson schien mein entgeisterter Gesichtausdruck aufgefallen zu sein, denn er nahm mit einem Lächeln gegenüber von mir Platz und zwinkerte mir aufmunternd zu. Dennoch blieben seine Augen kalt und ich wusste, dass er nur eine Show abzog. „Jedes Detail ist wichtig für uns, Yuka. So einen bösen Menschen muss man doch verurteilen können, nicht wahr?“, flötete er. Ich musste ihn mir unwillkürlich in einer pinken Schürze vorstellen, wie er in exakt diesem schleimigen Tonfall ein paar Kleinkindern Süßigkeiten verkaufte. Die Vorstellung erheiterte mich und so erzählte ich einfach munter drauflos von all den Geschichten über Ninjas, die Gaara mir anvertraut hatte. Es entsprach doch sowieso alles nicht der Wahrheit, wozu sollte ich es also geheim halten? Süßigkeitenverkäufer-Wilson machte sich Notizen, während ich erzählte, und nickte schließlich zufrieden. Allerdings entging mir nicht der alarmierte Ausdruck in seinen samtbraunen Augen, als er einen kurzen Blick auf Mister Taktlos und Mister noch viel Taktloser riskierte. „Und ist dir irgendetwas Besonderes an ihm aufgefallen? Ich meine, außer seinem Sand und diesem einen Moment, als sein Gesicht sich verändert hat?“, hakte er schleimig-freundlich nach. „Na ja, eigentlich nicht. Er schien nur sehr wenig von amerikanischer Kultur zu verstehen und er hat behauptet, nie zu schlafen.“ Ich zuckte die Schultern und gab wieder mein naives Grinsen zum Besten. „Ein Fall für die Klapsmühle, wenn Sie mich fragen. Haben Sie schon herausgefunden, wo er herkommt? Und wie er das mit dem Sand angestellt hat?“ Mister Taktlos und Mister noch viel Taktloser schoben sich neben Wilson und auf einen Schlag verflog meine angeheiterte Stimmung. Die beiden musterten mich überaus ernst und prüfend, das gefiel mir überhaupt nicht. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte das Zimmer verlassen, doch ich wollte nicht paranoid erscheinen. Das waren immer noch Polizisten und hatten den Bürgern dieses Landes zu dienen. „Ja, durch deine Informationen können wir uns jetzt wohl zu nahezu hundert Prozent sicher sein, woher Gaara stammt“, sagte Mister Taktlos nach einer langen Minute des Schweigens und drehte leicht an der Schnalle seines Gürtels. Aus irgendeinem Grund hatte diese Bewegung für mich etwas Drohendes an sich; wahrscheinlich war ich jetzt völlig durchgedreht, nur weil ein Klappergestell ein paar Mal vor meinen Augen Amok gelaufen war. Ich rief mir den guten Ruf der CIA ins Gedächtnis und lächelte. „Cool, und was ist bei Ihren Untersuchungen herausgekommen?“ Wieder ein kurzer Blickwechsel der drei Agenten, dann stand Wilson auf und überließ seinen beiden Kollegen das Feld. „Gaara ist kein Mensch. Zumindest nicht das, was wir unter menschlich verstehen.“ „Da erzählen Sie mir wirklich nichts Neues. Der Kerl hat mir nur mit ein paar Sandkörnern fast das Bein gebrochen – so dumm bin ich dann doch nicht, dass ich nicht merke, wie abnormal der Idiot ist“, sagte ich leichthin und hätte am liebsten losgelacht. Für diese umfassende Erkenntnis brauchte die CIA vier Tage? Doch mein Lächeln erstarb, als Mister Taktlos seine nüchterne Stimme erneut erhob. „Er stammt nicht von unserem Planeten. Seine Gene sind vollkommen anders aufgebaut, als alles, was die Wissenschaft bisher kennt. Dennoch hat er menschliches Aussehen und spricht unsere Sprache, darum müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen. Entweder er gehört zu einer Unterart der Spezies Mensch, die uns noch nicht bekannt ist, oder er ist eine neue Kriegswaffe der Iraker. Aber unabhängig dessen, was genau er ist, steht eines fest: Gaara ist eine Gefahr.“ Ich verkrampfte mich und schwieg. Das hatte ich insgeheim zwar bereits vermutet, doch in voller Lautstärke ausgesprochen, wirkte es weitaus bedrohlicher. Der Agent sprach unbarmherzig weiter und schien mich mit seinen Blicken förmlich aufspießen zu wollen. Mir wurde heiß, obwohl ich luftige Kleidung trug. „Die SWAT-Einheit, die die Bibliothek gestürmt hat, war glücklicherweise so intelligent, sofort die CIA als Verstärkung anzufordern, als sie bemerkten, wie übermenschlich der Gegner ist. Du kannst also froh sein, dass du noch lebst, nur leider gibt es da ein Problem…“ Sein nicht weniger taktloser Partner ergriff das Wort und vergrub seine Hände dabei in den Taschen seiner Hose. „Gaara ist also eine uns fremde Lebensform, wo auch immer er genau herkommt. Er ist aggressiv und hochgefährlich, außerdem kann ihn nichts außer stark komprimiertem Atomsprengstoff verletzen. Wir haben dem Präsidenten bereits davon berichtet und er hat die einzig richtige Entscheidung getroffen.“ Er seufzte leise und ich glaubte fast, es tat ihm im Innern leid, was jetzt folgen würde, dann zog er eine Pistole aus der Hosentasche und richtete sie auf mich. „Wir erforschen die Entdeckung Gaara unter strengster Geheimhaltung und werden eine ganze Reihe Experimente an ihm durchführen. Würde irgendetwas davon an die Öffentlichkeit dringen, würde das eine Massenpanik erzeugen, darum müssen alle Mitwissenden eliminiert werden. Alles zur Sicherheit unseres Staates.“ Der Schock lähmte mich; völlig bewegungslos verharrte ich auf dem klapprigen Stuhl und starrte in den dunklen Lauf der Waffe. Ich war nicht in der Lage, den Sinn dieser Worte zu begreifen – das war doch nicht möglich! Das war die CIA! Sie arbeitete zum Wohle aller Amerikaner! Und ich hatte nichts verbrochen, ich war das Opfer! Mit einem leisen Klicken entsicherte der Agent die Pistole und trat einen weiteren Schritt auf mich zu. „Es tut mir leid, aber ich denke, du verstehst das“, fuhr er ruhig fort und gab seinem Kollegen einen Wink, dass er mich festhalten sollte. „Jeder Mitwissende zu viel könnte eine Massenpanik heraufbeschwören und dieses Risiko können wir nicht eingehen. Ich versichere dir, dass es schnell gehen wird. Es tut nicht weh, glaub mir.“ Grob packte der andere mich an der Schulterpartie meines T-Shirts und fixierte mich so am Stuhl. Selbst wenn ich mich hätte bewegen können, hätte ich keine Chance gehabt, mich zu befreien und auch der Lacrosseschläger war außerhalb meiner Reichweite. „Nein … Hilfe…“, würgte ich hervor; meine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Wimmern und gleich darauf begann ich zu zittern. Wie in einem heftigen Schüttelfrost wurde mein Körper durchgerüttelt und ich konnte hören, wie meine Hände immer wieder unkoordiniert gegen den Tisch vor mir schlugen. Es war zu eng, viel zu eng. Ich musste hier raus, sofort. Sobald sie mit mir fertig waren, würden sie meinen Eltern dasselbe antun und danach würden sie systematisch jeden Menschen eliminieren, der mir je begegnet war. Alles nur um ihre verdammte Geheimhaltung zu wahren, diesen trügerischen Schein von Ruhe in unserem durch und durch verdorbenen Land. So war es doch immer, genau wie damals bei den Anschlägen auf die World Trade Center. Bloß keine Informationen an die Öffentlichkeit durchlassen, nur immer schön die Wahrheit verschweigen und das dumme Volk in Unwissenheit lassen. Diese Denkweise sprang mir aus den kalten Augen des Agenten entgegen. Was war schon mein kümmerliches Leben gegen die Scheinvorstellung der perfekten USA mit ihrer perfekten Regierung? „Wir sind stolz darauf, dass du dich für dein Land opferst. Lebe wohl“, sagte er und griff an den Abzug. Ich wollte schreien und um mich schlagen, doch mein Körper versagte mir den Dienst. Die letzte Zeit war zu viel für mich gewesen, all der Stress, der Druck und die ständige Angst um mein Leben – ich konnte nicht mehr. Und dann knallte es. Wie ein gellender Schrei in trügerisch ruhiger Nacht, der mir in den Ohren schmerzte. Ich hatte die Augen schließen wollen, doch nicht einmal das hatte ich mehr geschafft. Ich sah Rauch aufwirbeln, spürte einen Schmerz an meinem Kopf und dann … dann sah ich ihn. Kapitel 7: Killerinstinkt ------------------------- Er, die Verkörperung meiner persönlichen Hölle, hatte mich gefunden, als mein Leben auf Messers Schneide stand. Und er war noch weitaus schrecklicher, als ich ihn in Erinnerung hatte. Welche Experimente auch immer sie in den vergangenen Tagen mit ihm durchgeführt hatten, das Ergebnis hatte kaum mehr etwas mit dem rothaarigen Jungen Gaara gemein. Sein Anblick war abscheulicher als alles, zu dem meine Fantasie je fähig gewesen wäre - eine Ausgeburt der Hölle, beängstigender als jeder Alptraum eines Kindes. Meine Augen hingen wie fixiert an seinem missgebildeten Körper und ich bemerkte nicht einmal, dass der Schmerz an meinem Kopf lediglich einem Stück der zerstörten Eingangstür zu verdanken war, die mir entgegengeschleudert worden war, als er sich mit purer Gewalt Eintritt verschafft hatte. Er war nicht mehr er selbst, nicht einmal ansatzweise. Sein glattes, leichenblasses Gesicht war völlig mit grobkörnigem Sand überzogen, wieder stand an der linken Kopfseite ein spitz zulaufendes, groteskes Ohr ab und selbst seine faszinierenden Augen waren nicht wieder zu erkennen. Statt dem altbekannten, jadegrünen Ozean starrte er aus riesigen, grellgelben Augen auf seine Beute und ein tiefes Knurren grollte in seiner Kehle. Auch einer seiner schmächtigen Arme war dem sandförmigen Gebilde einer riesigen Pranke gewichen und schnellte nun auf mich zu. Die Agenten hatten Recht gehabt. Er war nicht menschlich, dieses Monster konnte kein Mensch sein! Er war mutiert, wenn auch noch nicht ganz, denn sein Unterleib schien noch immer menschlich. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, in übernatürlicher Geschwindigkeit auf unseren Tisch loszugehen und noch bevor ich einen einzigen Muskel rühren konnte, hatte seine Monsterpranke den Agenten hinter mir gepackt und wie einen Tennisball gegen die Wand geschleudert. Es knallte unerträglich laut und dieses Geräusch ließ mich ruckartig in die Höhe schnellen. Ich drehte mich unkoordiniert um die eigene Achse und versuchte Richtung Ausgang zu kommen, doch ich war nicht schnell genug. Schon stürmte Gaara wieder auf mich zu und ich erstarrte vor Schreck, obwohl ich erkennen konnte, dass sein vor Wut rasender Blick allein Wilson und Mister Taktlos galt. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er mich in seinem blinden Zerstörungswahn ohne mit der Wimper zu zucken niedermetzeln würde. Da kam das Adrenalin in mir hoch und auf einen Schlag wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich wollte leben. Ich wollte das alles überleben, ich wollte mich nicht herumschubsen lassen! Hastig griff ich auf den Tisch und schnappte mir eine der rätselhaften Maschinen. Sie war aus Eisen und hatte eine pfannenähnliche Form – auf jeden Fall ausreichend als Waffe. Fest schloss ich beide Hände um den Griff der Pseudo-Pfanne und schlug dann mit aller Kraft zu. „GROOOAAARR!“ Gaara – beziehungsweise das Monster, zu dem er geworden war – stieß einen schmerzverzerrten Schrei aus und wurde von der Wucht meines Schlages zurückgeschleudert. Ich verlor keine Zeit und nutzte den kurzen Moment seiner Unachtsamkeit aus, indem ich meine Pfannenwaffe schulterte und auf Wilson zustürmte, der sich zusammen mit Mister Taktlos an einem Schrank zu schaffen machte. Wahrscheinlich suchten sie dort drinnen nach einer Waffe, die es mit Gaara aufnehmen konnte. „Wo sind meine Eltern? Sagen Sie mir sofort, wo Sie sie hingebracht haben, sonst können Sie was erleben!“, schrie ich so laut ich konnte und holte vorsichtshalber schon mal mit der Waffe aus. Ich musste einen mehr oder minder lächerlichen Eindruck machen: Eine schmächtige Dreizehnjährige mit verheultem Gesicht, die zwei CIA-Agenten mit einer Pfanne bedroht. Hinter ihr ein vor Wut rasender Mutant. Steven Spielberg wäre begeistert über diese hervorragende Filmkulisse. Besagter Mutant war schneller, als Wilson mir antworten konnte. „Aus dem Weg!“, knurrte er und ich spürte den Boden unter seinen schweren Schritten beben. Ruckartig fuhr ich herum und starrte direkt in zwei riesige, gelbe Augen. Er war nah, näher, als ich gedacht hatte. Ich konnte den Sand auf meiner Haut spüren, der wie ein ganz sachter Schleier um ihn herum in der Luft schwebte. Ebenso wie das beängstigende Feuer, das in seinen Augen glühte. Doch in diesen Augen spiegelte sich mehr als blinde Zerstörungswut wider, viel mehr. Einen Herzschlag lang glaubte ich, in seine Seele blicken zu können. In ein tiefes, verschlungenes Gewirr aus Unverständnis, Einsamkeit und … Schmerz. Er empfand Schmerzen, noch tausendmal schlimmere, als man es körperlich je wahrnehmen könnte. Und der Anblick dieser brennend intensiven Qual war es wohl, der mich dazu verleitete, die Pfanne fallen zu lassen und ihn stattdessen am Kragen seines Shirts zu packen. „Gaara, verdammt noch mal, sieh mich an! Schau mich an und sag mir, wer ich bin!“, raunte ich. „Ich bin’s! Ich bin bei dir und du Scheißkerl verstößt gerade gegen unsere Abmachung!“ Er gab ein zischendes Geräusch von sich und schüttelte heftig den mutierten Kopf, doch obwohl er sich mit vollem Krafteinsatz gegen meinen Griff wehrte, gelang es mir, ihn an Ort und Stelle zu halten. „Ja, im Abhauen seid ihr Männer immer die Größten, ich weiß schon! Aber du bleibst gefälligst da! Du kennst mich doch! Slave, dein Eigentum, der wertlose Haufen Fleisch! Schalt dein Spatzenhirn gefälligst mal ein!“ Wieder drang ein tiefes Grollen aus seiner Kehle, doch im Gegenzug dazu erkannte ich eine Änderung in seinen Augen: Das Gelbgrün schien zu verblassen und ließ einen schmalen Streifen Jadegrün hindurchschimmern. „Geh … weg … Hau ab und stirb!“, würgte er hervor und seine viel zu hohe Stimme klang merkwürdig verzerrt. Er hob seine mutierten Arme und holte zu einem mit Sicherheit für mich tödlichen Schlag aus, doch irgendetwas schien ihn zu quälen und das verlangsamte seine Bewegungen. Es gelang mir, mich unter dem kraftvollen Hieb hinwegzuducken, nur um sein missgebildetes Gesicht gleich darauf wieder mit festem Blick zu fixieren. „Das kannst du vergessen! Ich gehöre dir! Das hast du selbst so bestimmt, also halte dich gefälligst auch daran!“ Gaara begann zu zittern und hielt sich gequält mit beiden Pranken den Kopf. Es war ein erschreckender Anblick, doch ich spürte, dass ich auf dem richtigen Weg war. Was auch immer man mit ihm angestellt hatte, das war die richtige Methode, ihn wieder normal zu machen – falls man das Subjekt Gaara überhaupt jemals als normal bezeichnen konnte. Also nickte ich mit dem Kopf und ereiferte mich immer weiter. „Ja, das hast du selbst so eingerichtet! Und ich will dir gehören, ich will dir helfen! Du hast zwar einen an der Klatsche, aber du wirst mir keine Knarre an den Kopf halten, solange ich tu, was du willst. Hörst du, ich bin bei dir! Bei dir! Nicht bei diesem Monster, das sie aus dir gemacht haben! Du bist Sabaku no Gaara und ich bin dein Opfer, das Mädchen ohne Namen, und ich möchte, dass du jetzt etwas für mich tust“, erklärte ich so überzeugend wie möglich und sah prüfend in seine weit aufgerissenen Augen. Er wand sich in meinem Griff umher, als würde man ihn wieder und wieder mit elektrischen Schlägen massakrieren; vielleicht hatten sie ihm noch weitere manipulierte Gene gespritzt um seine Mutation auf das nächste Level anzuheben. Und das musste ich um jeden Preis vermeiden, koste es, was es wolle. Als der Gaara, den ich kannte, war er halbwegs kontrollierbar, also musste ich diese Mutation schnellstmöglich umkehren. Ich nahm einen tiefen Atemzug und löste eine Hand vom Kragen seines Shirts. Eine falsche Bewegung und er würde mich in der Luft zerreißen, doch paradoxerweise gewöhnte ich mich an die stetige Todesangst. „Gaara, ich möchte, dass du deine Augen schließt. Mach die Augen zu und vertrau mir. Vertrau Slave! Du kannst dich auf mich verlassen, das weißt du doch. Ich hab immer alles getan, was du verlangt hast und du hast mich zu Unrecht bestraft … und jetzt zieh dir das rein, du hast meine Freundin vor meinen Augen zu Tode gefoltert und trotzdem steh ich hier vor dir. In Dummheit bin ich amerikanischer Meister, aber du kannst mir vertrauen!“ Und das Unfassbare geschah: Seine gelb-grün vermischten Augen schlossen sich. Er keuchte, senkte den Kopf und dann stand er zitternd still. Er litt. Aber er kämpfte dagegen an. Es wäre eine unverzeihliche Lüge zu behaupten, dass mich das in diesem Augenblick kalt gelassen hätte. Ich löste mit äußerster Vorsicht auch meine andere Hand von seinem Kragen und ließ sie über seine sandbedeckte Schulter gleiten. Sanft schlossen meine Finger sich um den Riemen, der die unförmige Vase auf seinem Rücken hielt, und öffneten ihn. „Es ist alles okay, ich befrei dich nur von dem Ding hier." Vor Aufregung wagte ich kaum zu atmen und meine Stimme klang sehr viel weicher als für gewöhnlich, ob beabsichtigt oder nicht. Gaara rührte sich – mal abgesehen von dem ständigen Zittern – keinen Millimeter und so konnte ich den Riemen problemlos abstreifen. Vorsichtig ließ ich die Vase zu Boden gleiten und schob sie einige Meter weit weg. Wie ich vermutet hatte, begann der Sand sich in das Gefäß zurückzuziehen. „Siehst du, alles wird wieder gut“, flüsterte ich und strich sacht den Sand von seinen Schultern. Die eben noch feste Masse bröckelte nun in sich zusammen ließ sich relativ einfach entfernen. Ich war erleichtert, dass darunter derselbe menschliche Körper wie in meiner Erinnerung zum Vorschein kam, und ohne es wirklich zu bemerken, lächelte ich. Das erste Mal seit vielen Tagen hatte ich wieder das Gefühl, für etwas nützlich zu sein. Jemandem zu helfen und das Unheil verringern zu können. Schließlich traute ich mich auch, ganz zart sein Gesicht zu berühren, oder besser gesagt die abscheuliche Maske aus Sand, die langsam bröckelte. Ich brauchte nur ganz leicht darüber zu streichen, da fiel die Masse auch schon gänzlich ab, ebenso wie die beiden mutierten Arme. Zum Vorschein kam Gaara. Der schmächtige, blasse und unausstehliche Gaara, den ich kannte. Er atmete schwer und stand in sich zusammengesunken da, die Schultern schlaff nach unten hängend und den Kopf gesenkt. Auf seinem feuerroten Haarschopf tanzte das Licht aus den grellen Neonleuchten und verursachte ein ebenso beeindruckendes Farbenspiel wie bei unserer ersten Begegnung. Nur mit dem Unterschied, dass er mir jetzt keine Angst mehr machte. Ich konnte nicht anders, als zu lächeln und meine Hände zurückzuziehen, obwohl ich gerne gewusst hätte, wie seine leichenblasse Haut sich anfühlte. „Da bist du ja wieder … Unausstehlicher Psychopath…“, flüsterte ich und das Lächeln schwang in meiner Stimme mit. Ich glaube nicht, dass ich je zuvor so freundlich mit ihm gesprochen hatte. Ich war einfach nur glücklich. Genau einen Herzschlag lang, bis ich Wilsons ungewöhnlich harte Stimme hinter mir hörte. „Sehr gute Arbeit, Yuka. Möglicherweise kannst du uns doch noch nützlich sein, wenn du ein so gutes Verhältnis zu unserem Experiment hast. Wenn du für uns arbeitest, könntest du unter Umständen noch länger am Leben bleiben und…“ „Bei Ihnen hackt’s wohl!“, unterbrach ich ihn grob und fuhr herum. Wilson hob eine Augenbraue und ich konnte mir schon vorstellen, dass er noch nie zuvor eine dreizehnjährige Schülerin mit einem derartig bösartigen Blick gesehen hatte. Wenn ich wütend bin, bekommt es sogar mein Dad manchmal mit der Angst zu tun. „Gaara ist kein Experiment, das man einfach in den Schrank stellt und quält, wie es einem gerade passt! Sehen Sie das denn nicht, er ist auch nur ein Mensch! Sie können weder ihn noch mich hier einsperren wie Vieh!“, fuhr ich ihn an und trat entschlossen auf ihn zu. Wilson zückte eine Pistole und richtete sie auf mich; sein Blick war kalt und emotionslos. „Du bist noch zu jung, um das zu verstehen, Kleine. Manchmal müssen eben Opfer gebracht werden, damit das ganze Land Frieden haben kann. Das hier ist kein Zeichentrickfilm, in dem man alles mit Nächstenliebe regeln kann, das hättest du bestimmt noch verstanden, wenn du älter geworden wärst. Aber die Reise endet hier für dich, Fräulein! Ich werde … AH!“ Sein eigener Schrei schnitt ihm das Wort ab, als die Pistole mitsamt der Hand, die sie festgehalten hatte, zu Boden fiel. Feines Blut sprühte aus seinem Armstumpf hervor und vernebelte mir die Sicht. Ich brauchte keine zwei Sekunden, um zu wissen, wer das gewesen war. Und ebenso viel Zeit kostete es mich, die Gunst der Stunde zu ergreifen und mich auf Wilson zu stürzen. Mit meinem gesamten Körpergewicht riss ich ihn zu Boden und verharrte halb kniend über ihm. „Sie haben sich das falsche Experiment ausgesucht!“, zischte ich aggressiv und drückte ihn mit beiden Händen auf den Boden. „Ich entscheide selbst, wann meine Reise endet, kapiert, Arschloch?! Also, Sie sagen mir jetzt sofort, wo meine Eltern sind, oder Sie verlieren mehr als nur Ihre Scheißhand!“ Wilson keuchte und spuckte Blut und dann machte er einen großen Fehler. Langsam hob er seine noch mit dem Arm verbundene Hand und hielt den erhobenen Mittelfinger in meine Richtung. „Glaub mir, der Tag wird nie kommen, an dem die CIA sich vor einem Grünschnabel wie dir ergibt … Geh nach Hause und spiel wieder mit deinen Puppen, Kleine.“ Ich kniff die Augen zusammen und schlug mit einer Faust auf seinen Brustkorb. „Schnauze! Sagen Sie mir, wo meine Eltern sind! Ich warne Sie, ich bring Sie um!“ Seine Lippen verzogen sich mühevoll zu einem spöttischen Grinsen. „Fuck you, Baby.“ Und dann geschah es wieder. Mein Gehirn schaltete sich ab und ich spürte glühenden Hass in mir brennen. Wie eine übermächtige Welle riss der Zorn mich mit und drang in jede Zelle meines Körpers ein. Ich wusste nicht, wie ich das gemacht hatte, aber plötzlich hatte ich mein Taschenmesser in der Hand und der kühle Stahl fühlte sich verdammt gut an. „Ich sagte, Sie Drecksack sollen mir endlich sagen, wo meine Eltern sind! Wo sind sie, wo, verdammt?!“ Kurz schloss ich die Augen und als ich sie wieder öffnete, sah ich nur noch Blut. Meine Hand holte wieder und wieder aus und rammte das Messer mit aller Kraft in seine Brust. Immer schneller, immer tiefer und etwas hielt mich davon ab, seine Schreie wahrzunehmen. Ich sah nur sein schmerzverzerrtes Gesicht, auf dem sich das Blut ebenso wie auf mir selbst absetzte. „Wo?! Wo sind Sie?! Wo, verdammt noch mal?!“ Ich stieß unkontrollierte Schreie aus und griff mit beiden Händen an den Messergriff, um noch härter zustechen zu können. Die Luft um mich herum schien ausschließlich aus Blut zu bestehen. Es spritzte auf meine Haut, drang mir in Mund und Nase und verklebte meine langen Haare, die mir ins Gesicht peitschten. Unbewusst leckte ich mir über die spröden Lippen und biss die Zähne gleich darauf wieder fest zusammen; der Blutgeschmack wurde stärker und seltsamerweise hatte er kaum etwas Abstoßendes an sich. Ich wollte doch nur, dass es aufhörte! Ich hatte nichts Falsches getan! Dieses Arschloch hatte es nicht anders verdient! Unter mir spürte ich Wilson in einem verzweifelten Todeskampf zucken, doch ich hielt ihn mühelos im Griff. Fast hatte ich das Gefühl, irgendetwas hätte mich stärker als zuvor gemacht und wenn es nur der Hass war, der glühend heiß in meinen Adern brannte, als hätte ich eine zweite Sorte Blut. Nichts von außen drang mir zu mir durch, nur dieses Feuer, nur diese eine Bewegung meiner beiden Hände und … da war noch etwas, erst leise und dann immer lauter. „Hey … Hey! Slave…! Das reicht…“ Eine raue Stimme, die selbst durch das Feuer in meinen Adern zu mir durchdrang. Ich kannte diese Stimme, sie war wichtig für mich. Äußerst wichtig sogar. Langsam hob ich den Kopf und sah durch den Schleier blutverschmierter Haare, der mir ins Gesicht hing, nach oben in den altbekannten jadegrünen Ozean. Gaara sah mich ganz ruhig an, beinahe schon vorsichtig und ich glaubte, etwas Stolz erkennen zu können. Stolz auf das, zu dem er mich getrieben hatte, auch wenn er mich gleichzeitig in die Realität zurückholte. Das pulsierende Brennen in meinen Adern zog sich zurück, gerade so weit, dass ich es kontrollieren und in erträglichem Maß halten konnte. Ruckartig schoss ich in die Höhe und wich von Wilsons mittlerweile bewegungslosen Körper zurück; mein Messer fiel klappernd zu Boden. Ich sah mich um, noch immer etwas benebelt, doch das verschwand, als mein Blick auf den letzten CIA-Agenten fiel. Er hatte eine Handgranate aus dem Waffenschrank gekramt und hielt diese etwas zittrig in den Händen. Verübeln konnte man es ihm kaum – selbst für ihn war es sicher kein alltäglicher Anblick, wenn eine Dreizehnjährige einen Agenten abstach. „Das war’s! Fahrt doch zusammen zur Hölle!“, brüllte er und schleuderte uns die Handgranate entgegen. Ich stürzte nach vorne und angelte nach meinem Lacrosseschläger, der wenige Meter vor mir am Boden lag. Mein Hirn arbeitete unnatürlich schnell und ich wusste, was ich zu tun hatte. Das war wie Lacrosse. Ein Schläger und ein Ball, wenn man so wollte. Und ich hatte ein Tor zu verteidigen. Wenn es eins gab, das ich auch ohne das mysteriöse Feuer in meinen Adern zustande bringen konnte, war es Lacrosse spielen. Also tat ich, was ich schon mein halbes Leben lang tat: Den Ball fixieren, Schläger präzise nach vorne schlagen und das Ziel anpeilen. Mein Ziel hieß Mister Taktlos. Gegen das Ergebnis waren die letzten Regionalmeisterschaften ein Witz. Ich fing die Handgranate im Netz des Schlägers auf und schleuderte sie dann auf direktem Wege zum Absender zurück. Die darauffolgende Explosion war unglaublich. Trotz der starken Rauchentwicklung konnte ich sehen, wie der Agent in Fetzen gerissen wurde und gleich darauf alles in seiner näheren Umgebung entflammte. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Decke herunterkommen würde und der ganze Laden zusammenkrachte. „Komm, wir müssen hier raus!“, rief ich also und stürmte auf die Tür zu, die Gaara niedergewalzt hatte. Im Weg stand nur noch der Tisch, an dem sie mich verhört hatten, und er war voll beladen mit allerlei Akten und kleinen Geräten. Ich hatte achtlos daran vorbeirennen wollen, doch mein Körper stoppte von selbst, als ich eine Akte mit der Aufschrift Gaara entdeckte. Unschlüssig blieb ich neben dem Tisch stehen und starrte auf die Akte. Die Zeit lief mir davon, nebenan wurden meine Eltern womöglich gerade umgebracht, aber was wäre, wenn die CIA wirklich ernsthafte Dinge über Gaara herausgefunden hätten? „Worauf wartest du? Beweg dich endlich!“, knurrte eine kalte Stimme neben mir und ich riskierte einen kurzen Blick zur Seite. Gaara stand neben mir, wieder in voller Lebensgröße und mit Vase auf dem Rücken. Es war mein Gaara, der rothaarige Junge, den ich vor wenigen Minuten gerettet hatte. Im Nachhinein betrachtet wusste ich nicht einmal genau, was mich dazu verleitet hatte, aber es schien die richtige Entscheidung gewesen zu sein. Schließlich hatte er mir gegen Wilson geholfen und schien mit mir kooperieren zu wollen. Letztendlich wollten wir doch beide dasselbe: Von der CIA loskommen. Ich schluckte und nickte leicht mit dem Kopf. Ob ich es nun wollte oder nicht, wir waren Partner in dieser Sache. Abscheuliches Sandmonster hin oder her. Hastig hob ich einen olivgrünen Rucksack von dem Tisch auf und packte sowohl die Akte als auch einen USB-Stick und ein Handy ein. Dabei fiel mir das erste Mal auf, wie sehr meine Hände von Blut beschmiert waren, doch für den Moment war es mir egal. Es ging ums Überleben, alles andere konnte später folgen. „Bin schon fertig. Folg mir, ich weiß, wo es hier rausgeht. Aber zuerst müssen wir meine Eltern finden“, erklärte ich, schulterte den Rucksack und stürmte dann aus dem Raum. Gaara lief spielend leicht neben mir her, obwohl ich ein Tempo vorlegte, das jedem professionellen 100-Meter-Läufer Ehre gemacht hätte. „Zeitverschwendung“, wiegelte er knapp ab. Für ihn war die Sache damit anscheinend erledigt, für mich aber noch lange nicht. Ich hielt an und starrte ihn sauer an. „Jetzt hör mir mal zu: Ohne meine Familie geh ich hier nicht raus! Wir sitzen beide im selben Boot und ich hab dich rein zufällig gerettet, also wirst du mir dabei helfen!“ Er kniff die Augen ein Stück weit zusammen und mir war klar, dass ich ein Blickduell auf lange Sicht nicht gewinnen konnte, deshalb griff ich zu anderen Mitteln. „Du vertraust mir doch! Du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst! Ich bin vielleicht eine Nervensäge und ein Großmaul, aber ich kenne mich hier aus und ich würde dich nicht in Gefahr bringen! Ich gehöre dir, schon vergessen?“ Seine blasse Hand schoss in die Höhe und wies mich mit einer simplen Geste an zu schweigen. Für einen Moment lang legte sich Stille über den Flur und Gaara tat nichts weiter, als mich peinlichst genau zu mustern. Ich konnte ein leichtes Beben meines Körpers nicht unterdrücken, doch Angst empfand ich keine. „Ich lasse nicht zu, dass Shukaku dich bekommt, das ist alles“, sagte er schließlich rätselhaft. „Du bist mein und er darf sich nicht an dir austoben. Ich brauche dich noch, deshalb wäre es unpraktisch, wenn dir etwas passieren würde.“ Wieder musterte er mich sehr genau und mein eigener Pulsschlag dröhnte mir in den Ohren. „Ich bringe deine Eltern zu dir, wenn du dann endlich Ruhe gibst. Du bleibst genau hier stehen und rührst dich nicht vom Fleck. Wenn du zulässt, dass dich irgendjemand fertig macht, gnade dir Gott!“ Und mit diesen äußerst seltsamen Worten verschwand er schneller, als ich auch nur hätte blinzeln können. Ich schluckte hart und starrte auf meine Hände. Das Blut begann zu trocknen und hüllte mich in einen widerwärtig verwesten Geruch. Es war mir schleierhaft, dass ich diesen Geruch vorhin nicht wahrgenommen hatte. Vorhin, als ich… Mein Magen drehte sich um und nur das Feuer in meinen Adern hinderte mich daran, mich an Ort und Stelle zu erbrechen. Ich hatte einen Menschen getötet. Nicht nur versehentlich – ich hatte sogar nach seinem Tod noch auf ihn eingestochen. Und dieses brennende Gefühl war noch immer in mir. Seit wann hatte ich diesen Killerinstinkt? Nur ein Wort spukte in meinem Kopf umher, ausgesprochen von einer mir nur zu gut bekannten, rauen Stimme. „Chakra.“ Gaara hatte seine Gründe, mich ausgesucht zu haben. Er hatte für alles einen triftigen Grund. Nur ich hatte keine Erklärung dafür, wieso ich ihm vertraute. Kapitel 8: Gut und Böse ----------------------- Meine Mom ist Hysterikerin und in vielen Situationen noch weitaus kindischer als ich. Mein Dad ist Japaner aus einer traditionsreichen Familie und die Verkörperung von Strenge und Disziplin. Und jetzt stelle man sich diese beiden Charaktere bitte einmal vor, nachdem sie vom Kidnapper ihrer Tochter aus einer CIA-Zentrale verschleppt wurden. „Oh, Schätzchen, was ist denn nur mit dir passiert? Was hat er dir jetzt schon wieder angetan? Bist du verletzt? Wo kommt denn nur das ganze Blut an dir her?“ „Ich sage es dir schon jahrelang: Das Kind hat den falschen Umgang. Und dieser rothaarige Punk ist ja wohl die Krönung! Mit Gewalt gegen die CIA vorzugehen – der Kerl ist doch nicht mehr ganz richtig im Kopf!“ Ich musste mich vor meinen Eltern aufbauen und mit beiden Armen in der Luft herumwedeln, um endlich zu Wort zu kommen. „Es gibt momentan wirklich wichtigere Dinge zu regeln!“, rief ich so laut ich konnte und nahm einen tiefen Atemzug. „Die CIA-Agenten wollen uns umlegen, deshalb musste Gaara euch gewaltsam da rausholen. Es ist ernst! Wir stehen auf der Abschussliste der Vereinigten Staaten von Amerika!“ Dads alleiniger Blick reichte schon, um mir klarzumachen, dass er mich für vollkommen übergeschnappt hielt. „Was redest du denn jetzt wieder für wirres Zeug? Diese Leute haben dich gerettet und zwar vor ihm!“ Er deutete missbilligend auf Gaara, der zutiefst genervt ein Stück abseits stand. „Und heute hat Wilson mir eine Knarre an den Kopf gehalten und es war Gaara, der mich gerettet hat!“ Ich trat einen Schritt zurück, um mein Vertrauen zu dem Rothaarigen deutlich zu machen. „Mom, Dad, er hat sein Leben riskiert, nur um aus dem Versuchslabor der CIA auszubrechen und mich zu beschützen. Er mag brutal sein, er hat Menschen umgebracht und er hat eine Schraube locker – okay, das geb ich zu! Aber er ist auf unserer Seite!“ Mom öffnete den Mund ein Stück weit und starrte mich entgeistert an. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck, er verhieß einen Skandal. „Kleines … Ist er etwa dein Freund?“, fragte sie äußerst langsam und bedächtig. Etwas anderes wäre auch kaum zu erwarten gewesen; ich hatte meine schlechte Meinung vom anderen Geschlecht stets überdeutlich zur Schau getragen. Ich atmete zischend ein und spürte, wie meine Wangen sich röteten. Das war ja wohl absolut absurd und erniedrigend! „Wir sind eine reine Zweckgemeinschaft!“, widersprach ich schrill und wischte dieses überaus peinliche Thema mit einer Handbewegung beiseite. „Also, die CIA-Leute wollen alle Mitwissenden aus dem Verkehr ziehen, deshalb stehen wir auf ihrer schwarzen Liste. Ihr zwei müsst schnellstmöglich ins Ausland verschwinden, so weit wie möglich weg. Am besten nehmt ihr den nächsten Flieger nach Japan und geht zu Daddys Verwandtschaft, da dürftet ihr vorerst sicher sein.“ Rasch trat ich auf meine Eltern zu und wies auf die schmale Straße, die vom Parkplatz der CIA-Zentrale, auf dem wir uns mittlerweile befanden, wegführte. „Wenn ihr einen Flug innerhalb der nächsten Stunde bekommt, haben sie euch bestimmt noch nicht gefunden. Also los, beeilt euch!“ Mom legte mir die Hände auf die Schultern. „Was wird aus dir, Schätzchen?“ Die Sorge klang deutlich aus ihrer Stimme hervor, auf genau dieselbe Art wie früher immer, wenn ich als kleines Kind im Stadtpark auf die über zehn Meter hohen Bäume geklettert war, und sie Todesangst ausgestanden hatte, dass ich herunterfallen und mir den Hals brechen könnte. Jetzt kam der schwierige Teil. Ich setzte ein tapferes Lächeln auf, auch wenn ich sie am liebsten angebettelt hätte, mich mitzunehmen. „Gaara braucht mich noch. Ich werde ihm helfen, in seine Heimat zurückzukehren und dann komm ich nach, so schnell ich kann. Er passt schon auf mich auf, keine Panik.“ Dad hatte bereits voller Empörung den Mund geöffnet, um zu einer gehörigen Standpauke anzusetzen, doch überraschenderweise ließ Mom ihn mit einem warnenden Blick verstummen. Verwirrt sah ich zu ihr auf und erkannte statt des erwarteten Panikausbruchs eine seltsame Mischung aus Verständnis und Freude in ihrem Gesicht. Sie zwinkerte mir zu und nickte dann verstehend, als wäre es das Normalste der Welt, mit einem Mutanten zusammen abzuhauen. „Ich verstehe. Tu, was du tun musst, aber pass auch wirklich auf dich auf“, lächelte sie verschwörerisch und strich mir über die verdreckten Haare. „Mary, bist du denn von allen guten Geistern verlassen!“, polterte Dad auch schon los. Allerdings biss er bei meiner Mom seit jeher auf Granit: Sie war stur wie ein Maulesel und hatte in ihrer Ehe eindeutig die Hosen an. Mom lächelte mich einfach nur an und erinnerte dabei fast ein wenig an ein kleines Kind vor dem Schaufenster eines Spielwarengeschäfts. Dann beugte sie sich zu mir und küsste mich flüchtig auf die Wange. „Probier ruhig dasselbe aus, wie ich damals, als ich mit deinem Vater zusammen durchgebrannt bin“, flüsterte sie mir leise ins Ohr. „Er ist dein Freund, ich merk schon.“ Ich wusste nicht, ob ich meine Mom für diese über alle Maßen demütigende Unterstellung schlagen oder nur beschimpfen sollte. Sandmann, der Psychopath und ICH! Lieber würde ich den Skaterjungen Mike nehmen, und der hatte nicht mal mehr einen besten Freund in der Hose! „Du bist doch…“, setzte ich tonlos vor Empörung an, doch Mom legte mir einen Finger auf die Lippen und schüttelte liebevoll den Kopf. „Schon gut, Kleines. Du brauchst es nicht zuzugeben. Ich hab dich lieb, bis bald.“ Sie nahm mich noch mal kurz in den Arm, ehe sie endgültig zurücktrat und sich dann an einem schwarzen Landrover zu schaffen machte, der auf dem Parkplatz bereit stand. Dad war mindestens so perplex wie ich und konnte ihr nur aus großen Augen zusehen, wie sie die Fahrertür mühelos mit einer Haarklammer knackte und in das Auto rutschte. Bevor ich auf die Welt gekommen war, hatte sie als Automechanikerin gearbeitet, und so war es für sie eine Angelegenheit weniger Minuten, den Landrover auch ohne die passenden Schlüssel anspringen zu lassen. „Daichi, jetzt komm schon! Deine Tochter und unser Schwiegersohn in spe müssen los, also beeil dich!“, flötete sie und winkte ihn zu dem soeben geknackten Auto. Dad sah aus, als würde er jeden Augenblick in Ohnmacht fallen; ich konnte ihm nicht verübeln, dass er den Autoknacker-Fähigkeiten meiner Mom nicht sonderlich zugetan war. Vor allem, wenn das entwendete Fahrzeug der CIA gehörte. „Hör gefälligst mit dem Mist auf! Das ist kein Spiel! Wenn wir das machen, sind wir gesuchte Verbrecher!“ Mom lachte und klopfte auf den Beifahrersitz. „Wenn wir das nicht machen, sind wir gleich einen Kopf kürzer, also komm schon!“ Selbst gegen japanische Logik war das ein absolutes Todschlagargument und so fügte mein Dad sich fluchend in sein Schicksal. Er ermahnte mich noch einmal, auf mich aufzupassen und Gaara bei der nächstbesten Gelegenheit loszuwerden, ehe er sich mit einer Umarmung verabschiedete und dann in den Landrover kletterte. Er ist nicht besonders gut darin, Gefühle zu zeigen, und das ist eines der wenigen Dinge, die wir gemeinsam haben. So konnte ich meinen Eltern nur halbherzig lächelnd nachwinken, als sie sich auf den Weg machten und mich mit meinem „Freund“ – wie hätte ich meine Mom für diese Unterstellung schlagen können! – allein zu lassen. Hätte ich damals gewusst, dass ich sie das letzte Mal sehen sollte … ich wäre mit ihnen mitgegangen, Gaara hin oder her. So aber konnte ich mich selbst in Sicherheit und in dem Glauben wiegen, alles würde schon bald wieder seinem gewohnten Gang folgen. „Also, kannst du mir in vollständigen, zusammenhängenden Sätzen, die nur Wörter mit nicht mehr als drei Silben enthalten und die ich auch verstehe, erklären, was da drinnen los war?“, wandte ich mich an Gaara. „Nicht hier, nicht jetzt. Wir verschwinden." Ich verdrehte die Augen über sein gewohntes Befehlsgehabe. Allerdings hatte er mit seiner Einschätzung Recht und so sah ich mich auf dem Parkplatz nach einer geeigneten Fluchtmöglichkeit um. Ein Auto war ich noch nie zuvor gefahren und Gaara erst recht nicht. Blieb also nur noch ein pechschwarzes Motorrad, das wohl versehentlich von einer Zivilperson hier abgestellt worden war, wenn schon kein stylischer Helikopter wie in all den Actionfilmen zur Verfügung stand. Mit ein paar schnellen Schritten war ich bei dem Motorrad – eine 125er Varadero, wie ich feststellte, also ein relativ kleines Modell – und natürlich ließ mich auch hier das Actionfilm-Klischee im Stich: Der Schlüssel steckte nicht! Konnte sich die Realität nicht ein bisschen an der Filmindustrie orientieren, in der die Helden ganz lässig den Bösewichten entkommen? Aber wozu hatte ich einen Mutant dabei, der den Sand beherrschte? Binnen Sekunden hatte Gaara mir einen Zweitschlüssel aus Sand erstellt und saß vor mir auf der Maschine. Das erste Mal in meinem Leben war ich froh darüber, dass meine Mom all ihr Wissen über Autos und Ähnliches immer mit Freuden mit mir teilt: Ich hatte so ein Teil zwar noch nie gefahren, aber grob wusste ich über die Funktionsweise Bescheid. „Nimm beide Hände an die Griffe am Lenker“, wies ich Gaara an. Mir war schon klar, dass ihm die Aktion hier nicht gerade behagte, doch die einzige Alternative wäre, auf den nächsten Bus zu warten. Und damit hätten wir im Falle einer Verfolgungsjagd sofort verloren. Also eröffnete ich kurzerhand Yukas Fahrschule für Mutanten und Gaara befolgte mit seinem berühmten Todesblick meine Anweisungen. Er war nicht gerade ein Naturtalent und hatte seine Probleme mit der Kupplung – dafür braucht man nun mal Feingefühl und das ist alles andere als Gaaras Stärke – aber kurz darauf rasten wir wirklich die Landstraße entlang. Ja, rasen war das einzig zutreffende Wort. Gaara hörte nicht auf Gas zu geben und wir mussten längst schneller als hundert Stundenkilometer sein, was bei diesem Motorrad nahe an der Endgeschwindigkeit lag und jeden ungeübten Fahrer in Todesangst stürzt. Der scharfe Fahrtwind trieb mir die Tränen in die Augen und schnitt mir in die nackten Arme. Ich verfluchte die Tatsache, weder Helm noch Schutzkleidung zu tragen, denn so blieb mir keine andere Wahl, als mich mit aller Kraft an Gaara festzukrallen und mein Gesicht an seinem Rücken zu vergraben, beziehungsweise an dem Sand, der ihn umgab. Immerhin hatte er in soweit mitgedacht, dass er seine Vase in flüssigen Sand aufgelöst hatte, der wie eine kleine Mauer zwischen uns stand. Ich stutzte trotz der gefährlichen Situation. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass ich ihn noch nie direkt berührt hatte. Immer nur den Sand. Genau so wenig, wie er je meinen Namen genannt oder Interesse an mir gezeigt hatte. Nicht, dass ich das wollen würde, aber irgendwo war es doch nur normal, dass ich ein etwas besseres Verhältnis zu ihm aufbauen wollte. Allein schon, um ihn davon abzuhalten, alle paar Jubeljahre Amok zu laufen. Ein heftiger Windstoß wehte diese Gedanken vorerst davon und rasch konzentrierte ich mich wieder darauf, Gaara mit Handzeichen unsere Verkehrsregeln zu erklären und ihm den Weg zu weisen. Eigentlich wusste ich selbst nicht genau, was unser Ziel sein sollte, aber nach einer knappen Stunde auf dem Freeway machten wir an einem verlassenen Bauernhaus Halt, das mitten in der Einöde am Rand eines Waldstücks stand. Ich schwang mich möglichst elegant von dem Motorrad, das Gaara mit Müh und Not vor der Eingangstür des Hauses zum Stehen gebracht hatte. „Was wollen wir hier?“ Er musterte die verwitterte Hausfront mit sichtlicher Missbilligung. Das Gebäude hatte definitiv schon besser Zeiten erlebt: Die weiße Farbe blätterte vom Holz ab, einige Fensterscheiben waren eingeschlagen und am Dach fehlten mehrere Ziegel, doch mir war alles recht, solange e sunbewohnt genug war. „Wir verstecken uns und planen die nächsten Schritte. Hier wird die CIA uns bestimmt so schnell nicht finden und wir sind in Sicherheit.“ Ich erklomm die wenigen Stufen zur baufälligen Veranda des Hauses und rüttelte vorsichtig an der Tür. Es quietschte unerträglich laut, doch dann schwang die Tür auf und mir stieß moderiger Geruch entgegen. Es musste schon lange niemand mehr hier gewesen sein. Von der Decke hingen sogar einige Spinnennetze herab und ich senkte angewidert den Kopf, als ich eintrat. Ich folgte dem beengten Flur bis in die Wohnküche, die sich direkt anschloss. Auch hier bemerkte man, wie lange das Haus schon verlassen war: Die wenigen Möbel aus morschem Holz waren zentimeterdick mit Staub bedeckt. „Also, das ist für die nächste Zeit unser Wohnsitz“, sagte ich und drehte mich leicht zu Gaara um. Er stand in dem niedrigen Türrahmen zur Küche und musterte mich sichtlich desinteressiert. An seinem schwarzen Muskelshirt klebten noch immer vereinzelt Sandkörner – das erinnerte mich an mein eigentliches Vorhaben. Ich trat auf den wackligen Küchentisch zu und ließ mich vorsichtig auf einen der nicht weniger Vertrauen erwecken Stühle fallen. Erstaunlicherweise ertrug er mein Gewicht, ohne in sich zusammenzukrachen. Ich räusperte mich und sah zu Gaara auf. „Und jetzt wird es Zeit für ein paar Antworten, Mister Murderer.“ Sein Blick wurde schlagartig wachsam und obwohl er sich nicht von der Stelle bewegte, war es mir, als würde er auf Distanz gehen. „Ich bin dir nichts schuldig“, knurrte er und seine Stimme klirrte vor Kälte. „Obwohl ich mein Chakra aktiviert habe?“ Provokant lächelte ich ihn an und lehnte mich über den Tisch ein bisschen in seine Richtung. Das war etwas, das ihn unter Garantie interessieren würde. Tatsächlich hob Gaara seine nicht vorhandenen Augenbrauen und blickte in meine Richtung. Keine einzige Gefühlsregung sprach aus seinem glatten Gesicht; wie so oft kam es mir vor, als wäre er nicht in der Lage, überhaupt irgendetwas zu empfinden. Außer vielleicht diesen tiefen, verschlungenen Schmerz, als er verwandelt gewesen war. „Wenn du keine Behinderung mehr für mich sein willst, musst du noch viel trainieren.“ Ich war so vertieft gewesen, dass ich beim Klang seiner rauen Stimme unwillkürlich zusammenzuckte. Es kostete mich einige Sekunden, wieder in die Realität zurückzufinden und das nur halb ehrliche Lächeln aufzusetzen. „Also war das wirklich Chakra? Dieses Brennen … es hat sich angefühlt, als würde sich Feuer mit meinem Blut vermischen und durch meinen Körper fließen…“ „Es ist bei normalen Menschen nicht immer so intensiv, aber ja.“ Ich nickte und betrachtete meine Handflächen. Jetzt war ich also offiziell ein Mutant. Großartig. „Und … ergreift es immer so Überhand, wie vorhin? Werde ich jedes Mal austicken und Leute niedermetzeln, wenn ich es aktiviere?“ Ich hatte Mühe, meine Stimme nicht zittern zu lassen. „Nein. Normalerweise entdeckt ein Mensch sein Chakra schon sehr früh, aber weil du es so lange unter Verschluss gehalten hast, hat sich alles aufgestaut und es ist außer Kontrolle geraten, als es endlich freigelassen wurde.“ „Was genau ist es denn? So eine Art neues Genmaterial?“ Er seufzte und schien zutiefst genervt davon zu sein, welch unwissendes Wesen er da vor sich hatte. „Stell es dir wie einen zweiten Blutkreislauf vor. Du hast diesen Chakrakreislauf seit deiner Geburt, aber bisher hat sich dein ganzes Chakra im Mittelpunkt des Kreislaufes aufgehalten. Nachdem es jetzt freigekommen ist, fließt es wie eine zweite Sorte Blut durch deinen Körper und du kannst es kontrollieren und an verschiedenen Stellen konzentrieren, oder auch freilassen.“ Eine Gänsehaut kroch bei dem Wort freilassen über mich und wieder schoss das Bild dieses abscheulichen Sandmonsters durch meinen Kopf. Ich traute mich nicht, ihn zu fragen, ob dasselbe auch einmal mit mir geschehen könnte. Stattdessen beschloss ich, zum eigentlich wichtigsten Teil dieser Konversation zu kommen, und kontrollierte meine Gesichtszüge wieder, als ich zu ihm aufsah. Er stand dort, wie in Stein gemeißelt, ohne sich einen einzigen Millimeter bewegt zu haben. Ich seufzte auf. „Jetzt komm doch endlich her und setz dich hin. Ich hab wirklich keinen Bock, mich durch das ganze Zimmer hinweg mit dir zu unterhalten.“ Seine Augen zuckten unwillig, doch ich ließ ihm erst gar nicht die Chance, zu widersprechen. „Schwing deinen Hintern her, oder ich hack mir selbst die Hände ab. Und erzähl mir mal bitte, wie du mit einem händelosen Komplizen gegen die CIA ankommen willst. Ich warne dich, ich hab nichts mehr zu verlieren, also glaub mir besser“, knurrte ich im Brustton der Überzeugung und funkelte ihn angriffslustig an. Einen Moment lang starrte er mir prüfend in die Augen; dann erachtete er meine Drohung der Selbstverstümmelung wohl als glaubhaft und saß auf einem der Stühle, ohne dass ich hatte erkennen können, wie er überhaupt darauf zugelaufen war. Spiderman konnte gegen ihn einpacken. „Na bitte, es geht doch“, lächelte ich und lehnte mich zurück. Wir hatten beide nicht das Bedürfnis nach großer Nähe; Gaara saß auf der äußersten Kante seines Stuhls und so weit von mir entfernt, wie möglich. Doch es war ein Anfang. „Ich finde, ich habe jetzt endlich ein Recht darauf, zu wissen, wer du bist“, sagte ich entschieden und verschränkte die Arme vor der Brust. „Von jetzt an keine Geheimnisse mehr, kapiert? Also, Frage Nummer eins: Was für Experimente haben sie mit dir gemacht?“ Er kniff die Augen zusammen und schwieg. Das war offenbar ein wunder Punkt. „Okay, nächste Frage: Wer oder was ist Shukaku?“ Ein leichtes Funkeln, aber noch immer keine Antwort. „Was war in der CIA mit dir los?“ Keine Antwort. „Arbeitest du für eine irakische Terrororganisation?“ Keine Antwort. Frustriert stieß ich die Luft aus und fuhr mir durch die Haare. So stur konnte ein einziger Mensch doch nicht sein! „Hör mal, wir können das hier sehr lange machen, aber ich steh nicht eher auf, bevor ich nicht weiß, mit wem ich es zu tun habe. Wir sind jetzt ein Team und du kannst mich nicht mehr herumschubsen, wie es dir in den Kram passt. Wir müssen zusammenarbeiten und eins sag ich dir: Du kannst dich verdammt glücklich schätzen, dass ich das überhaupt mache! Du bist nämlich ein Arschloch, der schlimmste Scheißkerl, der mir je untergekommen ist! Und ich hasse dich! Ich hasse dich und will dich in viele, nette, kleine Einzelteile zerlegt in einem Sarg sehen! Du spielst mit den Leben von unschuldigen Menschen, du kümmerst dich einen Scheißdreck um deine Umwelt! Sieh doch mal Rachel an! Sie hatte niemandem je etwas getan, sie ist regelmäßig in die Kirche gegangen, sie hat für jeden immer ein Lächeln übrig gehabt und was machst du?! Du bringst sie um, ohne jeden Grund! Sie war meine Freundin und du gefühlloser, selbstsüchtiger Ignorant kommst so einfach daher und…“ „Sag du mir nicht, wer oder was ich bin!“ Da war sie wieder, die altbekannte Angst vor dieser todeskalten Stimme, und ich machte mich reflexartig kleiner. Mein Mut war ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war. Gaara hatte sich zu mir über den Tisch gelehnt und fixierte mich mit seinen starren, kalten Jadeaugen. Drohend. Verheißungsvoll. Und doch irgendwo verletzt … als befänden sich mikroskopisch kleine Tränenspuren auf dem Jadegrün. Eingebrannte Tränenspuren, die er schon ewig mit sich herumtrug. Ich wagte kaum zu atmen, während er mich so anstarrte als wäre er drauf und dran mir die Eingeweide um die Ohren fliegen zu lassen. Erst nach einer kleinen Ewigkeit, in der ich regelrechte Todesangst ausstand, atmete er sehr langsam und kontrolliert durch den Mund aus und lehnte sich wieder zurück. „Du weißt nichts von mir … Du verstehst überhaupt gar nichts…“, flüsterte er und nahm dann wieder seine Position in möglichst großem Abstand zu mir ein. Ich sackte in mir zusammen; meine Muskeln gaben nach und ich hatte Mühe, meinen frenetischen Pulsschlag halbwegs in Zaum zu halten. „Genau das … möchte ich aber“, würgte ich hervor und hypnotisierte die verstaubte Tischplatte, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Ich … möchte verstehen, was in dir vorgeht.“ „Du kennst die Wahrheit doch schon längst. Du hast es mir doch selbst ins Gesicht gesagt.“ Er atmete bedächtig ein. „Ich bin ein Monster.“ Ich erinnerte mich noch genau daran, als ich ihm das an den Kopf geworfen hatte. Das war in der Bibliothek gewesen, nachdem er Rachel getötet hatte. Kurz bevor sein Körper sich zum ersten Mal so verändert hatte. Ich brauchte einige Sekunden, ehe ich antworten konnte. „Aber … dieses Ding aus Sand in der CIA-Zentrale … das warst nicht du.“ „Das war Shukaku.“ Shukaku. Immer dieser Name, doch nie sagte er mir, was es damit auf sich hatte. Ich spielte mit einer meiner Haarsträhnen und versuchte cool zu wirken. Er sollte nicht bemerken, wie sehr mich das alles aufwühlte. „Was genau ist er?“, hakte ich nach, den Blick weiterhin auf den Tisch konzentriert. „Er ist das Monster in mir.“ Wie schwer es doch war, nur aus seiner nüchternen Stimme herauslesen zu wollen, was in ihm vorging. Langsam hob ich den Kopf und blinzelte zu ihm hinüber. Er wirkte gefasst, wenn auch nur mit Mühe. Seine Kiefer waren aufeinander gepresst und er hatte einen merkwürdigen Ausdruck in den Augen, den ich nicht recht einzuordnen wusste. „Gaara, ich hab wirklich keinen Bock darauf, dir jedes Wort aus der Nase ziehen zu müssen, also mach endlich die Klappe auf! Sag mir, wer du bist, so schwer kann das doch nicht sein! Ich hab doch wohl ein Recht darauf zu wissen, wer der Mörder meiner Freundin ist!“, entfuhr es mir ungewollt taktlos. Stille legte sich über die verrottete Wohnküche und mein Herz hämmerte vor Anspannung. Ich war mir sicher, dass mein Ende gekommen war, und lauschte in panischer Angst meinen wahrscheinlich letzten Herzschlägen. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann richteten seine Jadeaugen sich auf meinen Körper und er sprach mit ungewöhnlicher Lautstärke. „So, du willst also wissen, wer dieses schwächliche Mädchen auf dem Gewissen hat? Ich sag dir, wer ich bin! Ich bin Sabaku no Gaara, das verstoßene Monster aus Suna-Gakure.“ Seine Worte prasselten hart und schnell auf mich ein. Einen kleinen Moment lang funkelte er mich wutentbrannt an, ehe er die Arme vor der Brust verschränkte und mit derselben nüchternen Gefasstheit wie eh und je fortfuhr. „Genau genommen liegt ihr alle gar nicht so falsch mit euren Vermutungen. Ich bin ein Experiment und ich bin eine Kampfmaschine. Mein Vater herrscht über unser Land und musste sich etwas einfallen lassen, weil Suna-Gakure an militärischer Stärke verlor. Darum hat er ein uraltes Sandmonster von schier unvorstellbarer Macht in einem noch ungeborenen Kind versiegelt. Das Kind sollte die Kräfte des Dämons nutzen und die ultimative Waffe werden, so war zumindest der Plan.“ Ich wagte kaum zu atmen und starrte ihn aus geweiteten Augen an. „Dieses Kind warst du“, stellte ich heiser fest und musste schlucken. „Dein Vater hat seinem eigenen Baby einen Dämon eingepflanzt…“ „Und dabei hingenommen, dass seine Frau bei meiner Geburt starb – ja. Anfangs war ich auch sein ein und alles: Er hat mich nach Strich und Faden verwöhnt und ich wurde rund um die Uhr von meinem Onkel Yashamaru umsorgt. Allerdings hatte er Shukakus Macht unterschätzt. Ich konnte mit dieser Kraft nicht umgehen und als es immer öfter zu … Vorfällen … kam, beschloss er, mich aus dem Weg zu räumen, da ich eine Gefahr für das Dorf geworden war.“ „Dein eigener Vater?!“, entfuhr es mir entsetzt, doch er überging meinen Ausruf. „Jeder hat mich gemieden, außer Yashamaru. Bis ich sechs Jahre alt war, da hat auch er einen Anschlag auf mich verübt. Er gab mir die Schuld daran, dass meine Mutter bei meiner Geburt gestorben war, und er war es auch, der mir kurz vor seinem Tod gesagt hat, was meine Mutter für mich vorgesehen hatte.“ Er schloss die Augen und seine Hände verkrampften sich kaum merklich. „Meine Mutter…“, fuhr er schließlich sehr leise fort, „…hat mich noch viel mehr gehasst, als alle anderen. Sie nannte mich Gaara, weil sie wollte, dass ich zum Werkzeug ihrer Rache am Dorf werde. Lebe nur für dich selbst … kämpfe nur für dich selbst … liebe nur dich selbst … das bedeutet der Name Gaara. Töte jeden, bis du der letzte Mensch auf Erden bist.“ Langsam sah er wieder zu mir und erst jetzt verstand ich die Tränenspuren auf seinen undurchdringlichen Jadeaugen. Sein Gesicht war glatt und unbewegt, seine Stimme fest, doch seine Augen würden ihn immer verraten. Geboren als Kampfmaschine. Einsam und gehasst von aller Welt. Verraten von seiner einzigen Bezugsperson. Und jetzt konnte er sich nur noch an das klammern, das seine Mutter in einer Kurzschlussreaktion nur aus blindem Hass gesagt hatte. „Mein Vater sah es als letzten Ausweg, mich durch ein spezielles Jutsu aus seiner Dimension zu verbannen. Er war es, der mich von Suna-Gakure hierher verbannt hat, um mich endlich loszuwerden. Darum bin ich hier. Darum will ich zurück, um mich an ihm zu rächen. Bist du jetzt endlich zufrieden, Slave?“ Das war es, das gab mir den Rest. Ich hatte ihn hassen wollen, ich hatte Sabaku no Gaara so sehr hassen wollen, für all das, was er mir angetan hatte. Doch ab diesem Augenblick konnte ich es nicht mehr. Aus einem Reflex heraus stand ich auf und trat auf ihn zu. Ich hatte es noch nicht einmal selbst realisiert, da stand ich schon neben seinem Stuhl und lehnte mich zu ihm hin. Gaaras Augen zuckten und ich sah feinen Sand um ihn herum aufwirbeln. Dieselbe Schutzreaktion wie immer, wenn ihm jemand zu nahe kam. „Was zum Teufel machst du da?“, fragte er scharf. Ich stockte, halb erschrocken vor ihm, halb über mich selbst. „Na, was wohl? Dich in den Arm nehmen, du Hirni“, murrte ich leise und versuchte zu vertuschen, dass meine Wangen sich röteten. Genau genommen wusste ich nicht mal, was mich zu dieser unlogischen Aktion verleitete, mal abgesehen von völlig natürlichem Mitleid. „Diese Geste … steht für Zuneigung, oder etwa nicht?“ Er verstand offensichtlich gar nichts mehr und ließ seine abwehrende Haltung nicht fallen. Die Peinlichkeit hatte damit ihre Vollendung gefunden. „Diese Geste steht dafür, dass ich deinem gestörten Dad verdammt noch mal liebend gern die Fresse polieren würde! So sieht’s aus, Dreckskerl! Aber wenn du nicht willst – bitte!“ Ich nahm seine Reaktion als willkommenen Anlass, mich aus der Affäre zu ziehen, und mit aufgesetzter Wut ein paar Schritte zurückzutreten. Lediglich die Röte meines Gesichts verriet, wie peinlich mir mein plötzlicher Anflug von Mitgefühl war. Ich hatte doch nicht tatsächlich meinen Kidnapper umarmen wollen! Herr, lass Hirn regnen, für mich bitte eine extragroße Portion! Rasch strich ich mir ein paar Haarsträhnen zurück, um mich wieder zu fassen; dann erst kam ich auf unser eigentliches Gesprächsthema zurück, Gaara dabei allerdings den Rücken zugewandt. „Das ist krass, weißt du … D-Du bist v-v-vielleicht ein Arschloch, a-aber das hast du nicht verdient … I-Ich m-m-meine nur…“ Ich räusperte mich und wäre am liebsten aus dem Zimmer gestürmt. Mit menschlicher Kommunikation hatte diese Stotterei nun herzlich wenig zu tun, aber über Gefühle sprechen war nie meine Stärke gewesen. Erst recht nicht mit einem Wesen der Spezies Mann. Langsam drehte ich mich zu ihm um und starrte auf den Kragen seines Shirts. Ein Blick in sein Gesicht und ich würde vor Scham über die Fast-Umarmung anfangen zu kreischen, das war mir klar. Teenager sind vielleicht doch so hysterisch, wie in den Medien immer behauptet wird. „Jetzt bist du nicht mehr allein, auch wenn ich nicht freiwillig bei dir bin. Aber ich will, dass du nach Hause kommst, damit du deinen Dad dafür so richtig schön ungespitzt in den Boden rammen kannst … ist nämlich echt unterste Schublade, was der da so treibt … und jetzt … muss ich schlafen gehen!“ Ich stürmte aus der Küche, so schnell mich meine Beine trugen, und hetzte die baufällige Treppe hinauf ins Obergeschoss, wo es in der Tat einige Schlafzimmer mit Betten gab. Schlafen gehen um knapp fünf Uhr nachmittags war wirklich die großartigste Ausrede des Jahres, vor allem in diesen von Milben, Ratten und allerlei sonstigem Getier bevölkerten Betten, aber ich musste raus aus dieser Küche. Weg von Gaara. Weg von dieser Peinlichkeit. Weg von der Versuchung, ihn wie einen normalen Menschen zu behandeln. „Er ist ein Verbrecher … ein gottverdammter Scheißkerl! Ich muss ihn hassen! Ich muss! Sonst bin ich doch auch nicht die heilige Jungfrau Maria! Wegen ihm sind Mom und Dad weg! Und er hat Rachel auf dem Gewissen!“, fluchte ich, kaum dass ich auf einem der Schlafzimmer war, und schlug mit der Faust gegen die Fensterscheibe. Klirrend zerbarst sie und eine spitze Glasscherbe rammte sich in meine Haut. Meine Hand hinterließ einen blutigen Striemen auf dem halb zerstörten Fenster, als sie daran hinunterglitt und ich schluchzend auf die Knie fiel. Gaara war ein normaler Mensch, ein ganz normaler Mensch mit Gefühlen, dem im Leben einfach zu viel Scheiße widerfahren war, aber ich hatte ihn verdammt noch mal zu hassen! Ich presste meine Hand an meine Brust, um die Blutung zu stoppen, und kauerte mich zusammen. Ich wusste nicht, was ich noch glauben sollte; alles in meinem Kopf schien miteinander zu verschwimmen. Die Fronten von Gut und Böse vermischten sich und ich fühlte mich regelrecht zerrissen in meinem vergeblichen Versuch, noch den Überblick zu behalten. Wie so oft in letzter Zeit. Kapitel 9: Final Call --------------------- „Letzte Nacht hast du nicht gut geschlafen. Du hast geweint.“ Und täglich grüßt der Sand-Mutant, auf seine ganz spezielle Art und Weise, versteht sich. Ich sah genervt von meinem provisorischen Frühstück – bestehend aus ein paar Äpfeln aus dem angrenzenden Waldstück – auf und streckte Gaara, der wie aus dem Boden gewachsen im Rahmen der Küchentür stand, die Zunge raus. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du der reinste Stalker bist?!“, rief ich ihm angriffslustig zu. Das Mitgefühl vom vergangenen Nachmittag schien ich wieder halbwegs los zu sein, und das tat gut. „Ich beobachte dich, wann ich will. Und du solltest wissen, dass es für mich nicht gerade vorteilhaft ist, wenn du andauernd die Nerven verlierst. Reiß dich gefälligst zusammen, Slave.“ Ich schoss wie elektrisiert von meinem Stuhl hoch und starrte ihn entgeistert an. Das war ja wohl die Höhe! Erst gestern hatten wir ein so wichtiges Gespräch geführt und ich hatte geglaubt, zumindest sein eingeschränktes Vertrauen zu besitzen, und jetzt das! Es war kaum zu übersehen, dass er ohne Mutter aufgewachsen war – so ein widerwärtiges Verhalten konnte nur männliche Erziehung hervorbringen! „Jeder einzelne Polizist in den Vereinigten Staaten sucht nach mir, mein Leben ist total im Eimer und zwar wegen dir! Also mecker mich hier bloß nicht an! Und nur, dass wir uns richtig verstehen: Nenn mich noch einmal Slave und ich jag dir mit einer Handgranate alle zweiunddreißig Zähne ins Gehirn!“, fuhr ich ihn wütend an, die Hände kampfbereit zu Fäusten geballt. Gaara musterte mich kurz und nickte dann mit einem blassen Schimmer von Befriedigung. „Schon besser. Du bist weitaus nützlicher, wenn du dich so verhältst“, stellte er fest, als wolle er mich bei einem Wettbewerb beurteilen. „Komm jetzt mit. Wenn du auch nur im Geringsten eine Hilfe sein willst, müssen wir viel an dir arbeiten.“ Wie so oft sparte er sich nähere Erklärungen und lief zielstrebig Richtung Haustür. Slave hatte jetzt wohl brav hinterher zu dackeln. Ich verdrehte entnervt die Augen und stampfte mit dem Fuß auf, sodass die morschen Holzdielen kläglich quietschten. „Ach, scheiß die Wand an! Weiß der Teufel, warum ich das hier mach!“, fluchte ich leise vor mich hin, ehe ich ihm folgte. So viel dazu, dass der gestrige Tag keine Spuren hinterlassen hatte. Ich Idiotin hatte wirklich Mitleid mit ihm, das war wohl der einzige Grund, weshalb ich ihm gehorchte. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass er mir schneller mein Lungengewebe aus der Brust reißen und gleichmäßig in dieser Bruchbude verteilen könnte, als ich Gelegenheit hätte, „Johnny Depp, ich will ein Kind von dir“ zu sagen. „Wir beginnen mit dem Freisetzen von Chakra, fahren mit Chakrakontrolle und einer Einführung in Tai-Jutsu fort und gegen Ende bring ich dir noch etwas Nin-Jutsu bei“, erklärte Gaara, auf dem weitläufigen Wiesenstück hinter dem Bauernhaus angekommen. Ich seufzte erneut und verschränkte die Arme vor der Brust. „Okay, und jetzt bitte noch mal ohne Fremdwörter. Mein Japanisch ist wirklich dürftig, mal abgesehen davon, dass die Sprache beschissen ist und…“ „Von jetzt an sprichst du nur, wenn ich es dir sage“, schnitt er mir das Wort ab und wies auf den matschigen Boden. „Hinsetzen.“ „Bei dir hackt’s doch! Das ist meine Lieblingsjeans, die versau ich mir doch nicht in der Drecksbrühe!“ Ich schüttelte energisch den Kopf. Diese Matschflecken würde ich nie wieder aus der Jeans herausbekommen, das stand ja wohl völlig außer Frage! Gaara kniff die Augen ein Stück weit zusammen, als versuche er einen komplizierten Sachverhalt zu erfassen. „Du willst nicht, dass das Stück Stoff dreckig wird…?“, wiederholte er verständnislos. „Das ist nicht irgendein Stück Stoff, du Intelligenzbestie! Die Jeans hat mein großer Bruder mir zu Weihnachten geschenkt und drei Tage später musste er in den Irak. Das ist ein Erinnerungsstück für mich, also pass ich darauf auf.“ Ich atmete heftig aus und funkelte ihn drohend an. „Und wehe, du kommst jetzt wieder mit so einem behinderten Kommentar, dass ich keine Gefühle haben darf!“ Ein heftiger Windstoß glitt über die Wiese und bis auf das leise Rascheln von Blättern wurde es still. Gaara schien nachzudenken, während er mich unentwegt anstarrte. „Nein“, sagte er schließlich äußerst langsam und bedächtig, „ich verbiete dir nur noch manche Gefühle. Das ist anscheinend wichtig für dein Chakra. Also, konzentrier dich jetzt ganz auf deinen Bruder. Leite all deine Gefühle für ihn in deine rechte Hand und wenn du dich bereit fühlst, schlägst du damit gegen den Baum neben dir.“ „Ach, Gaara, wie stellst du dir das denn vor? Gefühle sind doch keine Gegenstände, die man hin und herbewegen kann!“ Wenn das kein Beweis dafür war, dass Kindererziehung ohne eine Frau im absoluten Desaster endete! „Versuch’s einfach.“ „Ich sagte doch, das geht nicht, du unterbelichteter, hirnkranker…“ „Sofort!“ Jetzt war er aufgebracht, das erkannte ich an dem feinen Sand, der ihn umgab und unruhig in der Luft züngelte. Ich hob abwehrend die Hände und trat einen Schritt zurück. „Jaja, ich mach ja schon. Nur keine Panik“, lenkte ich ein und atmete einmal tief ein und aus. Mir lagen allerlei Flüche und Schimpfwörter auf der Zunge, doch für den Moment schluckte ich sie hinunter und schloss stattdessen die Augen. Mein Bruder. Es fiel mir nicht schwer, die Erinnerung an ihn abzurufen; wir waren immer die allerbesten Freunde gewesen. Er, Kim und Matt – das hatte meine komplette Kindheit ausgemacht. Ich fühlte deutlich, wie die Anspannung langsam von mir abfiel, als ich an diese wunderbar friedliche Zeit zurückdachte, in der wir noch sorglose Kinder gewesen waren. Das Leben war damals so einfach gewesen, ohne korrupte Polizisten, ohne Todesangst, ohne Mutanten. „Weißt du, wenn mein Bruder wüsste, was du mit mir anstellst, würde er mit seiner ganzen Kampfeinheit kommen und dich in handliche Einzelteile zerlegen“, flüsterte ich und mein Lächeln schwang in meiner Stimme mit. „Er hat mir immer gesagt, ich soll stark sein und mir nichts gefallen lassen. Er ist genau so eine Kämpfernatur wie ich, aber er ist ernster. In ihm steckt ein bisschen zu viel von Dad, schätz ich mal…“ Ich schwieg kurz und rief mir sein Gesicht in Erinnerung: Dieses schmale, immerzu blasse Gesicht mit den warmen Augen, den erwachsenen Gesichtszügen und dem wirren, roten Haarschopf. Er war schon immer viel größer und stärker und reifer als ich gewesen, fast wie ein Ersatz für meinen Vater, der ständig arbeiten musste. „Er heißt Jake … Na ja, eigentlich Jacoby, weil Mom ihn unbedingt nach dem Sänger ihrer Lieblingsband benennen wollte, aber er nennt sich immer Jake. Er ist fünf Jahre älter als ich und hat immer auf mich aufgepasst. Wir sind ständig zusammen gewesen, er ist der coolste große Bruder der ganzen Welt und du kannst dir nicht vorstellen, wie die Mädchen ihn immer umschwärmt haben. Schließlich hatte er sogar eine richtig coole Freundin, aber als er sich für den Wehrdienst gemeldet hat … da war sie natürlich total fertig. Sie hat immer noch Angst, dass er nicht wieder heimkommt … Jake ist eben ein Idiot! Er wollte unbedingt etwas für unser Land tun, nur deshalb hat er sich in den Irak schicken lassen, der alte Trottel. Aber ich mach mir da keine Sorgen; sobald er genug Terroristen zu Tode geballert hat, kommt er wieder. Er ist unverwüstlich, wie so eine Kakerlake. Er darf sich einfach nicht fertigmachen lassen, das geht nicht. Immerhin hat er mir versprochen, dass er bei den nächsten Lacrosse-Regionalmeisterschaften wieder da ist und mir zusieht … und er hält seine Versprechen … Er darf seine Freundin nicht so hängen lassen … und mich auch nicht…“ Ich bemerkte, dass meine Stimme zu zittern begann, und verstummte. Ich hasste es, wenn mich dieser Zustand überfiel, darum biss ich mir auf die Lippen und versuchte mich zusammenzureißen. Mit Schwäche hatte ich in letzter Zeit schon viel zu oft Bekanntschaft gemacht – ich war es leid, mich von mir selbst übermannen zu lassen. Hastig ballte ich meine rechte Hand zur Faust und holte damit aus. Wenn ich diese Psychonummer hier schon mitmachen musste, dann wollte ich es auch bis zum Ende! „Und deshalb wird dieser verdammte Depp gefälligst auch ohne einen Kratzer wieder zurückkommen!“, rief ich aus und schlug auf die knorrige Eiche neben mir ein. Der Aufprall war mit einem gewaltigen Ächzen verbunden und es raschelte ungewöhnlich laut im Blätterdach. Unter meinen Fingern schien das Holz förmlich in seine Einzelteile zu zerbersten und noch bevor ich die Intensität des Schlags zurücknehmen konnte, senkte die Eiche sich zur Seite und es knallte dumpf. Ein paar Matschbrocken wirbelten mir ins Gesicht, dann war es wieder still. Langsam öffnete ich die Augen und wollte ihnen im nächsten Augenblick nicht glauben. Da lag die knorrige, mindestens drei Meter hohe Eiche entwurzelt am Boden. Auf ungefähr mittlerer Höhe ein Loch in Form einer Faust in dem schon halb morschen Stamm. „War … ich das?“, hörte ich mich fragen und starrte ungläubig auf meine noch immer zur Faust geballte Hand. Sie schien leicht zu vibrieren, ansonsten war nichts Ungewöhnliches erkennbar. Gaara nickte mit dem Kopf und wandte sich von mir ab. „Es wird besser. Jetzt können wir mit der Arbeit anfangen“, sagte er kühl und trat auf das anliegende Waldstück zu. „Komm mit.“ Arbeit. Wer hätte gedacht, dass seine Version von Arbeit aus Misshandlung unter Nichtbeachtung der Menschenrechte bestand? Als ich drei Stunden später endlich wieder in der schäbigen Küche des Bauernhauses war, kümmerte es mich nicht mal mehr, dass das Wasser aus der Wasserleitung mehr aus Rost als aus Flüssigkeit bestand, so ausgelaugt war ich. Durch die Gegend rennen, auf unschuldige Bäume einprügeln und Fingerzeichen mit homosexuellem Touch formen, und das alles bis zur Grenze zum Bewusstseinsverlust – das war Arbeit in seinen Augen. Oder Training, wie man auch immer man das nennen wollte. Ich wünschte, diese Eiche nie aus Versehen gefällt zu haben, dann hätte er mich vielleicht als hoffnungslosen Fall abgestempelt und mich in Ruhe gelassen. Aber so hatte ich keine andere Wahl, als den Anweisungen meines Ausbilders Folge zu leisten, wenn ich wollte, dass meine Gliedmaßen auch weiterhin mit dem Rest meines Körpers verbunden blieben. Gaara war trotzdem noch immer nicht zufrieden mit mir. „In Zukunft musst du länger trainieren, wenn du dauerhaft Verbesserungen sehen willst. Das war nur ein kleiner Einblick in die Grundkenntnisse“, sagte er und sah unbarmherzig auf mich hinab, wie ich völlig zusammengesunken am Küchentisch saß und mit letzter Kraft ein Glas verdrecktes und garantiert Krebs erregendes Wasser in mich hineinschüttete. Verärgert hob ich den Kopf und knallte mein Glas zurück auf den Tisch. „Du solltest dich mal mit den Büchern von Roderick Everlong beschäftigen. Was er über die männliche Besessenheit, was Machtpositionen und das Unterdrücken untergebener Personen betrifft, geschrieben hat, trifft genau auf dich zu“, zischte ich boshaft. Er hob nachdenklich eine seiner nicht vorhandenen Augenbrauen und überlegte offenbar, ob ich das ernst oder sarkastisch gemeint hatte. Im Erkennen menschlicher Empfindungen war er wirklich eine absolute Null. Das schrille Klingeln eines Telefons hinderte ihn an einer Antwort. Ich zuckte zusammen und sah mich verwirrt in der Küche um. Wo war in diesem verlassenen Haus ein funktionierendes Telefon? Das machte doch absolut keinen Sinn, wenn sie doch nicht mal mehr funktionierende Wasserleitungen hatten, und dafür war dieses ungenießbare Wasser Beweis genug. Gaara war sofort alarmiert und der Sand wehte unruhig durch die Küche. „Wenn das ein Trick ist, um mich diesen Leuten auszuliefern, werde ich dich…“, setzte er aggressiv an, doch ich ließ ihn seine Gewaltfantasien erst gar nicht in Worte fassen. „Hältst du mich für total bescheuert?!...Moment mal, ich glaub ich weiß, wo das herkommt…“ Ich horchte genauer auf das hartnäckige Klingeln und griff dann nach dem Rucksack, den ich unter dem Tisch abgestellt hatte. Dass mir das nicht früher eingefallen war! In der ganzen Eile bei unserer Flucht hatte ich auch ein Handy mitgehen lassen, um im Notfall erreichbar sein zu können. Ohne Handy war ein Highschool-Girl eben aufgeschmissen. „Ja, hallo?“, meldete ich mich und achtete darauf, meinen Namen nicht zu nennen. Gestohlenes Handy bleibt gestohlenes Handy. „Wenn du auflegst oder dir jetzt irgendetwas anmerken lässt, muss deine Freundin Kim sterben.“ Da war sie wieder, die altbekannte Angst, die ihre eiskalten Finger nach meinem Herz ausstreckte. Ich atmete zischend ein und spannte meinen Körper bis in die letzte Faser an. Meine Gesichtszüge durften jetzt nicht entgleisen, sonst würde Gaara auf der Stelle Verdacht schöpfen. „J-ja…“, würgte ich hervor und blinzelte nervös zu Gaara hoch. Er schien irritiert, aber noch nicht in Alarmbereitschaft; ich sollte besser schleunigst mein Schauspieltalent hervorkramen. Langsam wechselte ich das Handy in die andere Hand und nahm einen tiefen Atemzug. „Schön, dass du anrufst, Mom. Ging soweit alles glatt?“, säuselte ich mit meiner weichsten Stimme und setzte ein Lächeln auf. Nur meine Finger ließen meine Anspannung erkennen: Sie zitterten mit meinem hämmerndem Herz im Gleichtakt. „Sehr gut. Ich hätte kaum zu hoffen gewagt, dass wir zwei so gut zusammenarbeiten können“, sagte die Stimme am anderen Ende mit aalglatter Freundlichkeit. „Du scheinst schnell zu verstehen, das ist erfreulich. Also, Yuka, wenn du nicht möchtest, dass es Kim schlecht geht, tust du ab jetzt nur noch, was ich dir sage. Als Erstes sagst du mir, ob das Experiment Gaara anwesend ist und unser Gespräch behindern könnte. Wir können ja nach außen hin nicht ewig so tun, als wäre ich deine Mutter, also, sprich bitte jetzt.“ Ich stand auf und drehte mich von Gaara weg, denn ich wusste, dass meine weit aufgerissenen Augen mich ansonsten verraten würden. „Ja.“ „Dann möchte ich, dass du jetzt das Zimmer verlässt und außer Hörweite gehst. Wenn du das schaffst, darfst du als kleine Belohnung mit deiner Freundin sprechen und danach sehen wir weiter“, erklärte die Stimme fast schon widerlich freundlich. Sie war männlich und hatte Ähnlichkeit mit Wilson, schien aber etwas jünger zu sein. Ich sagte das Erstbeste, das mir in den Sinn kam. Im Moment war mir alles Recht, um zu verhindern, dass Gaara mitbekam, was mein Gesprächspartner wirklich wollte. „Aber Mom, wenn die alte Schreckschraube immer noch ein Problem mit dir hat, nimm dir doch ein Hotel unter falschem Namen. Ihr ewiges Gezeter musst du dir wirklich nicht reinziehen und … nein, Mom, hör mir doch zu!“ Hastig lief ich zur Tür und trat ins Nebenzimmer. Ich achtete darauf, die Tür möglichst geräuschvoll hinter mir zu schließen, damit der geheimnisvolle Anrufer es auch mitbekam. Die zuckersüße Stimme reagierte, kaum dass ich in der anliegenden Vorratskammer verschwunden, und so außerhalb von Gaaras Hörweite war „Ausgezeichnet. Ich würde sagen, deine Belohnung hast du dir jetzt verdient, aber ich muss dich daran erinnern, weiterhin leise zu bleiben. Wir wollen doch nicht, dass unser Experiment mit seinem empfindlichen Gehör nicht doch etwas mitbekommt, nicht wahr?“ „Verstanden“, hauchte ich und gestattete mir erst jetzt, mich gegen die morsche Wand zu lehnen. Vom anderen Ende der Leitung drang ein Rascheln zu mir hinüber, Schritte erklangen und dann schnappte jemand hektisch nach Luft. „Yuka, Schatz, was zur Hölle geht hier ab?!“ Das war eindeutig Kims schrille, aufgeregte Stimme. Sie klang fast so paranoid, wie vor jedem zweiten Date mit ihrem Jason, wenn sie mal wieder nicht wusste, was sie anziehen sollte. „Kim! Haben sie dir was angetan?“, entfuhr es mir ebenso lautstark und meine Finger schlossen sich fester um das Handy. „Aber, aber, so geht das aber ganz und gar nicht“, tadelte jetzt wieder die männliche Stimme und ich schluckte hart. „Noch geht es ihr gut, aber wenn du dich nicht schnell wieder beruhigst, kann sich das durchaus ändern. Hast du dich jetzt wieder im Griff, oder muss ich mich erst etwas mit Kim beschäftigen?“ „Nein!“ Ich krallte mich mit beiden Händen an dem Handy fest und kniff die Augen verzweifelt zusammen. „Nein, bitte nicht!“ „Sehr schön. Dann hör mir jetzt genau zu, damit wir diese Angelegenheit schnellstmöglich regeln können. Erst eine Frage: Kannst du Gaara dazu bringen, irgendwohin zu gehen?“ „Ja.“ „Kennst du den Cove Springs Park in Frankfort?“ Eine Gänsehaut fiel über mich herein; das war der Ort gewesen, an dem ich Gaara das erste Mal begegnet war. Wie sollte ich diesen Park je wieder vergessen! „Ja“, flüsterte ich heiser. „Dort ist heute eine Feier. Ich möchte, dass du Gaara Punkt fünf Uhr nachmittags dorthin bringst. Geh mit ihm zu der leer stehenden Fabrikhalle links neben dem Park, den Rest erledigen wir. Wir werden ihn in Gewahrsam nehmen und sobald die Situation unter Kontrolle ist, wird Kim in Sichtweite von dir freigelassen. Es wird alles sehr schnell gehen und durch den großen Menschenauflauf wird niemand Verdacht schöpfen. Niemand wird verletzt und wenn wir Gaara haben, seid Kim und du frei, ebenso wie deine Familie. Bist du damit einverstanden?“ „Ich möchte auch in Zukunft keinen Stress.“ Ich gab mir Mühe, diese Bitte so freundlich wie möglich auszudrücken, denn unverschämte Bedingungen wären das Letzte, zu dem ich momentan berechtigt war. „Selbstverständlich. Solange alle Mitwissenden über das Geschehene schweigen, seid ihr sicher und bleibt unbehelligt. Es geht uns nur um das Experiment.“ Ich nickte langsam und lehnte mich wieder gegen die Wand, um nicht umzufallen. Meine Beine fühlten sich viel zu weich an, um mich noch tragen zu können, und ich fragte mich zum x-ten Mal, wieso gerade ich in diese verrückte Geschichte hineingezogen worden war. „In Ordnung. Damit bin ich einverstanden“, sagte ich möglichst fest. „Großartig. Ich wusste doch, dass wir gut miteinander klar kommen werden. Wir sehen uns dann um fünf. Sag jetzt bitte nur sicherheitshalber Mach’s gut und bis bald, Mom.“ „Mach’s gut und bis bald, Mom.“ „Bis bald, Yuka. Ich freue mich schon auf unser Treffen und Kim mit Sicherheit auch.“ Es klickte und damit war die Verbindung beendet. Ich stand wie festgeklebt an der Wand, das Handy so fest in beiden Händen, dass meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Mir war heiß und kalt zugleich und zu allem Überfluss hatte ich auch noch Schüttelfrost. Die CIA hatte Kim. Und sie würden nicht zögern, Kim auf der Stelle zu töten, wenn ich nur den kleinsten Fehler machte. Kim würde einen ebenso schmerzhaften und schrecklichen Tod wie Rachel erleiden. „Nein!“, murmelte ich entschieden und löste das Handy mit einer heftigen Bewegung von meinem Ohr. Dieses Mal würde ich das nicht zulassen. Ich würde Kim retten, ich würde alles richtig machen und diese ganze Angelegenheit ein für allemal beenden. Und wenn ich Gaara dafür ins offene Messer laufen lassen ließ – umso besser! All meine Probleme wären auf einen Schlag beseitigt und ich könnte wieder zurück in mein normales Leben. Entschlossen straffte ich die Schultern und ging zurück in die Küche. Dieser Anruf war doch ein Geschenk des Himmels, er löste all meine Probleme! Ich durfte jetzt nur nicht die Nerven verlieren, dann war in wenigen Stunden alles wieder vorbei. Dessen war ich mir sicher, als ich die Küche betrat, doch binnen Sekunden wurde mein Entschluss wieder in den Grundmauern erschüttert. Gaara saß dort in der Küche. In eine staubige Ecke gedrängt, zusammengekauert und sein Gesicht mit beiden Händen verdeckt. Sein Atem ging unregelmäßig und schwer und mir war fast, als würde ich ihn ganz leise sprechen hören, falls das der Fall war allerdings viel zu schnell und abgehackt, um es verstehen zu können. Als ich eintrat, sah er nicht einmal kurz auf, schien meine Anwesenheit aber dennoch zu bemerken, denn er lockerte seine verkrampfte Haltung minimal und nahm einen keuchenden Atemzug. „Slave…! Komm her…!“, stieß er mühsam hervor und seine Stimme klang heiser. Ich zuckte zusammen und trat reflexartig einen Schritt zurück. In diesem Zustand wirkte er zutiefst gefährlich, es wäre doch wohl Selbstmord, sich ihm jetzt zu nähern! „Was hast du? Geht’s dir nicht gut?“, fragte ich stattdessen sehr vorsichtig und ging in Gedanken bereits den kürzesten Fluchtweg durch. Seine Hände vor seinem Gesicht lockerten sich etwas und er ließ die bisher angespannten Schultern herabhängen, doch mir war klar, dass das nur ein Versuch war, Stärke vorzuspielen. „Es ist nichts“, flüsterte er. „Komm einfach her und laber mich zu.“ Ich glaubte, mich verhört zu haben, und starrte ihn entgeistert an. Seine Schultern bebten, der Brustkorb hob und senkte sich nur krampfhaft und er hatte sich auf fast kindliche Art und Weise in der Ecke verkrochen. Alles deutete auf Schwäche hin, die er vergeblich zu verstecken versuchte. Wie immer eben. Wahrscheinlich ebenfalls ein Überbleibsel seiner mangelhaften Erziehung ohne weibliche Einwirkung: Dieses dämliche Klischee, dass Männer immer stark zu sein hatten. Im Augenblick wäre ich allerdings froh gewesen, wenn dieses Klischee der Wahrheit entsprechen würde. Es hätte mir den inneren Kampf erspart, den es mich kostete, bis ich mich vom Türrahmen löste und ganz langsam, Schritt für Schritt, auf Gaara zutrat. Die Holzdielen quietschten, als ich vorsichtig neben dem zusammengekauerten Jungen in die Hocke sank und meine Beine mit den Armen umfasste. Im Ernstfall wäre meine einzige Fluchtmöglichkeit das Fenster und dieser Gedanke war alles andere als aufbauend. „Was soll ich machen?“, hakte ich so fest es mir möglich war, nach. „Du sollst über irgendetwas Unwichtiges plappern, das kannst du doch sonst auch!“, zischte er scharf und ich zuckte erneut zurück. Er atmete rasselnd ein und schien sich kurz fassen zu müssen, ehe er etwas weniger grob hinzufügte: „Aus irgendeinem Grund ist Shukaku in dieser Dimension aktiver als in meiner, aber er hält sich zurück, wenn du da bist. Also fang gefälligst zu quatschen an, oder er wischt hier mit deinen Eingeweiden den Fußboden.“ „Heilige Scheiße…!“ Das genügte, um mein Hirn auf Hochtouren arbeiten zu lassen; allein die Erinnerung an dieses missgebildete Sandmonster mit seiner schrillen Stimme drehte mir den Magen um, und ich durchforstete verzweifelt mein Hirn nach einer Möglichkeit, ihn abzulenken. „Ich … ich … hasse Hotdogs!“, sagte ich hilflos und fühlte mich wie ein absoluter Vollidiot. Meine Essgewohnheiten waren ja auch das interessanteste Gesprächsthema der Welt, aber immer noch besser, als von einem Mutanten zerfleischt zu werden. „Ähm … und … weißt du, vorhin beim Training hatte ich irgendwie plötzlich Lust auf Hotdogs … und auf Cheeseburger von McDonald’s, obwohl ich die nie ausstehen konnte. Ich glaub fast, dieses Chakra bringt meinen ganzen Körper durcheinander. Aber weißt du was, wenn wir nicht mehr von der Polizei verfolgt werden, nehm ich dich mal mit in so einen Fastfood Laden. Gefällt dir bestimmt nicht, aber das muss man mal gesehen haben, wenn man in den USA ist. Gibt es bei dir daheim Hamburger und Pommes? Na ja, ist ja auch egal … Auf jeden Fall will ich dich mal mitnehmen, allein schon, um dein dummes Gesicht zu sehen.“ „Dummes Gesicht?“, wiederholte er leise und ich war mir fast sicher, dass er schon weniger verkrampft klang. Also nickte ich munter und setzte ein nicht ganz ehrliches Lächeln auf. „Klar! Ich weiß ja nicht, ob das für Mütter normal ist, aber meine Mom regt sich immer furchtbar auf, wenn ich da zu oft essen geh, weil es angeblich so ungesund und unhygienisch ist und der ganze Kram eben. Mom ist eigentlich ganz locker, aber da hört’s bei ihr auf und … Oh!“ Ich schlug mir mit der Hand auf den Mund und riss die Augen voll Entsetzen auf. Siedend heiß fiel mir ein, dass Mütter ganz und gar kein beruhigendes Gesprächsthema für Gaara waren, und ich sah hektisch zu ihm auf. Gaara hatte seine Hände von seinem Gesicht gelöst und musterte mich aus unergründlichen Jadeaugen. Noch immer war ihm eine gewisse Anspannung anzumerken, doch er schien sich wieder genug gefasst zu haben, um als zurechnungsfähig durchzugehen. „Weiter.“ Das war eine sehr derbe Aufforderung, doch was blieb mir anderes übrig, als Folge zu leisten? „Meine Mom ist für eine Mutter wirklich klasse, weißt du … Wenn ich da an Kims alte Spießermutter denke, hab ich’s wirklich gut getroffen. Wir streiten immer viel, aber ich streite mich eigentlich mit jedem, von daher ist das normal.“ „Das ist dämlich…“ Gaara hatte den Kopf gesenkt, den Blick auf seine Hände gerichtet, und schien völlig gedankenverloren zu sein. „Dein ganzes Verhalten ist durch und durch dumm und unlogisch … wenn deine Mutter da ist, tust du so, als würde sie dich nerven, aber jetzt redest du so gut von ihr…“ „Wenn hier einer von uns einen an der Klatsche hat, bist das doch wohl eher du!“, konterte ich verärgert. „Und jetzt schon wieder…“, flüsterte er rätselhaft. „Wahrscheinlich schweigt Shukaku in deiner Anwesenheit nur, weil er so damit beschäftigt ist, dein sonderbares Verhalten verstehen zu wollen.“ Ich seufzte leise und rückte unbewusst näher zu ihm hin, allerdings sorgsam darauf bedacht, keinen direkten Körperkontakt zuzulassen. Er war wirklich so dumm, so ein behinderter Psychopath – er wusste es einfach nicht besser. Und er konnte nicht einmal etwas dafür. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie viel Zeit vergangen war, seit er das letzte Mal einer Person so lange so nahe wie mir gewesen war. Und was tat ich? Ich verriet ihn, lieferte ihn rücksichtslosen Wissenschaftlern aus, die ihn früher oder später zu Tode foltern würden. Noch schmerzhafter, als er selbst es bei Rachel getan hatte. Mein Herz schmerzte noch immer bei der Erinnerung an meine beste Freundin, doch genau so beim Anblick von Gaaras blassem, zusammengekauerten Körper hier und jetzt. Er war ein Kind, das war mir nur in Momenten wie diesen wirklich klar. Ein einsames, verlassenes Kind, das zu einem absoluten Arschloch geworden war, und ich war alles, was er hatte. Ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich ihn genau aus diesem Grund nicht hassen konnte. Und wenn ich ihn nicht hassen konnte, konnte ich ihn auch nicht verraten. Es ging nicht. Ich würde das nicht über mich bringen, allein schon, weil mir klar war, dass es eine zweite Möglichkeit gab. Eine, bei der ich nicht noch weiter auf den Splittern seiner gebrochenen Seele herumtrampeln würde, so sehr er es auch wegen Rachels Tod verdient hätte. „Einigen wir uns darauf, dass wir beide nicht mehr ganz richtig ticken!“, rief ich mit plötzlichem Enthusiasmus aus und sprang auf die Füße. Ich fühlte mich wie beflügelt durch diese zweite Möglichkeit und hielt Gaara überflüssigerweise meine Hand hin, um ihm beim Aufstehen zu helfen. „Und genau deshalb ziehen wir zwei zusammen in den Krieg! Das hat Jake auch immer gesagt: Kein Soldat wird zurückgelassen! Also, Gaara, bist du bereit, ein paar böse Jungs abzuschlachten? Ich weiß, wo die CIA-Leute uns erwarten! Sie haben gerade angerufen und sie erwarten uns!“ Ich lachte über seinen verständnislosen Gesichtsausdruck und klatschte in die Hände. „Aber vorher musst du mir noch einen neuen Lacrosseschläger besorgen, einen aus richtig hartem Stahl, und kampftaugliche Klamotten!“ „Sie wollten, dass du mich ihnen auslieferst, nicht wahr? Deshalb hast du doch so getan, als hätte deine Mutter angerufen und hast das Zimmer verlassen“, hakte er nüchtern nach und musterte mich mit deutlichem Misstrauen. „Und du hast dich auf ihre Forderungen eingelassen. Wieso tust du das hier dann? Warum lässt du mich nicht ins offene Messer laufen?“ Ich lächelte ihn an und das erste Mal seit langer Zeit kam das Lächeln wirklich von ganzem Herzen. Was ich tat, war das Richtige, auch für Kim, und für mein Gewissen erst recht. „Weißt du, da zitiere ich besser einen Song von dem Sänger, nach dem mein Bruder benannt ist“, sagte ich und begann in voller Lautstärke den Songtext zu schreien, während ich noch eine kleine Luftgitarren-Darbietung als Extra dazugab. „It is time for annihilation! It's time to be a criminal! No time for hesitation, Time to be an animal!” („Es ist Zeit für Vernichtung! Es ist Zeit, ein Verbrecher zu sein! Keine Zeit, zu zögern, Zeit, ein Tier zu sein!“) Kapitel 10: Teamwork oder so ähnlich ------------------------------------ Gaara war ein Mörder, der an schweren Psychosen litt und bei der kleinsten Kleinigkeit die Kontrolle über das Monster in sich verlieren konnte. Er behandelte mich wie einen Fußabtreter und jeder zweite seiner Sätze beinhaltete eine Morddrohung oder eine Beleidigung, wenn er sich überhaupt dazu herabließ, mit mir zu kommunizieren. Ich war mir sicher, ihm mehrere Stunden lang mit wachsender Freude immer wieder in sein emotionsloses Gesicht treten zu können. Warum zur Hölle war ich dann jetzt hier mit ihm im Cove Springs Park, um mich nur wegen ihm mit der CIA anzulegen?! Ich wollte die Antwort erst gar nicht wissen, es machte ohnehin keinen Unterschied mehr. Jetzt war ich hier, als eine der meistgesuchtesten Personen der USA, und sollte mir besser Gedanken darüber machen, wie ich die nächsten paar Stunden lebend überstehen wollte. „Die ‚Übergabe’ findet erst in einer knappen halben Stunde statt, also haben wir noch etwas Zeit, um den Laden hier ein bisschen abzuchecken“, sagte ich und vergrub meine Hände in den Hosentaschen. Kaltes Metall traf auf meine Finger und ich musste schlucken. Die Taschenmesser, die ich eingesteckt hatte, waren bei Weitem nicht die einzigen Vorsichtsmaßnahmen für die bevorstehende Mission. In meinem Aufzug hätte mir wohl jeder Regisseur eine Rolle für Lara Crofts Tochter gegeben: Ich trug ein enges, dunkles Trägertop und Shorts im Tarnmotiv, darüber noch einen breiten Gürtel mit allerhand Taschen, in denen ich Wurfsterne transportierte (Nicht, dass ich damit umgehen könnte, aber Gaara hatte darauf bestanden, dass ich sie mitnahm). An beiden Oberschenkeln hingen schwarze Taschen, in denen je eine Pistole steckte, und meine fingerlosen Lederhandschuhe durften natürlich auch nicht fehlen. Dazu noch ein paar schwarze Schnürstiefel und ein frisch geflochtener Pferdeschwanz – Yuka Croft ist hiermit geboren. Schade nur, dass ich mich keineswegs wie eine coole Archäologin fühlte. Ich hatte schlichtweg Angst und fühlte mich überfordert. Es war so einfach, sich diese Kämpfe gegen Bösewichte im Fernsehen anzusehen, aber plötzlich selbst mit zwei gestohlenen Neun-Millimeter-Pistolen und einem Massenmörder an seiner Seite herumzulaufen, war etwas völlig anderes. Ich war doch noch ein Kind! Ich wollte nach Hause in mein Zimmer und mich mit einem Plüschtier in mein Bett verkriechen. Wieso nur musste ich auch immer die Klappe so weit aufreißen, ohne vorher über die Konsequenzen nachzudenken? Ich war so beschäftigt damit, mich über mich selbst zu ärgern, dass ich nicht mal mehr darauf achtete, wohin ich überhaupt lief. Erst als ich mit voller Wucht einen Kuchenstand anrempelte und dabei die Hälfte der Waren gleichmäßig auf dem Boden verteilte, kam ich unsanft zurück in die Realität. „Hey, pass doch auf, wohin du läufst, Schlampe!“, polterte der Verkäufer auch schon los und deutete verärgert auf die vielen Kuchenstücke, die bunt verteilt auf dem Rasen lagen. „Jetzt zieh dir diese Scheiße rein! Die Hälfte vom Kuchen ist hinüber! Das kann ich doch keinem mehr verkaufen!“ Ich sah überrascht auf, doch noch bevor ich mich rechtfertigen konnte, stand Gaara wie ein Schrank in Kleinformat neben mir. „Verschwinde oder hier geht gleich noch mehr als nur der Kuchen kaputt“, knurrte er angriffslustig. Seine Laune war höchstwahrscheinlich nur so weit im Keller, weil er sich auf der ganzen Fahrt von mir hatte herumkommandieren lassen müssen. Der Kuchenverkäufer schien nun ernsthaft in Rage zu geraten und schlug mit der Faust auf den Verkaufstisch. „Ich will, dass ihr den Kuchen bezahlt, das ist doch wohl das Mindeste! Und du, Kleine…“ – er starrte mich prüfend an und kniff die Augen dabei leicht zusammen – „…bist du nicht eh diese Gangsterbraut, die ein längeres Vorstrafenregister als jeder Al Quaida-Terrorist hat?“ Genervt stemmte ich die Hände in die Hüften. Heute musste aber auch wirklich alles schief gehen! Im Moment hatte ich definitiv größere Probleme als ein paar ruinierte Kuchen! „Jetzt stellen Sie sich nicht so an! Schicken Sie die Rechnung meiner Mom, aber ich hab grad echt keine Zeit!“, zischte ich und machte Anstalten zu verschwinden. Das hier war nichts weiter als Zeitverschwendung. Doch der Verkäufer blieb hartnäckig. „Dageblieben, junge Lady! So einfach geht das nicht! Du gibst mir jetzt sofort deine Adresse!“, schrie er mir nach. Ich war ganz und gar nicht in der Stimmung, mich mit derartigen Kleinigkeiten auseinanderzusetzen, und beendete den Konflikt einfach, indem ich Gaara einen Wink gab und dann davon rannte. In dem Menschengedränge war ich binnen Sekunden untergetaucht und nur die wütenden Schreie des Kuchenverkäufers hallten noch dumpf durch die vielen Gespräche der Menschen. Der Park war in der Tat sehr gut gefüllt und diese Tatsache kam mir nur zu Gute. Die schätzungsweise knapp zweihundert Besucher des Festivals schlenderten eifrig durch die vielen Verkaufsstände am Rand und in der Mitte des Parks, genau neben dem kunstvollen Springbrunnen, war eine farbenfroh geschmückte Bühne aufgebaut worden. Aus den Musikboxen rechts und links der Bühne erklang angenehm laute Musik, zu der einige übermütige Jugendliche auf dem Sandplatz vor der Bühne tanzten. Es war ein munteres Treiben, jeder schien gut gelaunt zu sein, und das schmerzte mich ungemein. Der bloße Gedanke, dass sich all diese fröhlichen Menschen nur wegen mir in Lebensgefahr befanden, war furchtbar. Ich hatte einfach nur das tiefe Bedürfnis, laut schreien zu müssen, um all meine Anspannung, Angst und Schuldgefühle freizulassen, doch das war ausgeschlossen. Stattdessen hielt ich direkt neben der Tanzfläche an und nahm erst mal einen tiefen Atemzug; dann wandte ich mich um und drückte Gaara meinen mitgebrachten Lacrosseschläger aus Massivmetall in die Hand. „Dieser Verkäufer verfolgt mich bestimmt, deshalb tauch ich erst mal ein bisschen unter“, erklärte ich rasch. „Ich nehm mal an, du hast keine Lust, mitzukommen, also bleibst du hier stehen und versuchst keine Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen. Klar genug für dein Spatzenhirn?“ „Du willst abhauen“, sagte Gaara nüchtern und musterte mich mit unergründlich tiefem Blick. Die Vermutung schien ihn gänzlich kalt zu lassen, denn er wusste ohnehin, dass ich ihm hoffnungslos unterlegen war. Flucht war zwecklos. „Nein, verdammt!“, zischte ich gereizt und hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst. „Und jetzt nerv nicht! Ich brauch einfach nur mal fünf Minuten meine Ruhe, du Stalker! Also pflanz deinen Arsch hier irgendwohin und fang nach Möglichkeit kein Gemetzel an! Natürlich nur, falls diese ungeheuer anspruchsvolle Aufgabe dich nicht überfordert!“ Sein Gesicht verzog sich missbilligend, doch er trat rücksichtsvoll einen Schritt zurück und zeigte so, dass es mir wohl gestattet war, zu gehen. Ich machte auf dem Absatz kehrt und stapfte geradewegs hinüber zur Tanzfläche. Normalerweise reagierte ich mich am liebsten beim Lacrosse ab, aber ich wollte die Gedanken an alles, was auch nur im Entferntesten mit Gewalt zu tun hatte, so lange wie möglich aufschieben. Wirklich seltsam, dass es ausgerechnet mir so ging – ich war die gewalttätigste Schülerin der ganzen Frankfort Junior High. Würde ich an Gott glauben, wäre ich der festen Überzeugung, Gaara war eine Strafe des Himmels für all meine Sünden. Ich versuchte all diese Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen und mich ganz auf die Musik zu konzentrieren, während ich mich in die Menschenmenge schob. Viele meiner Schulkameraden, Highschool-Studenten und auch einige Erwachsene waren auf der Tanzfläche und wirbelten fröhlich durcheinander. Es fühlte sich gut an, so in der Menge zu verschwinden und zumindest teilweise wieder ein Teil der realen Welt zu werden. Ich lauschte genauer auf die laut aufgedrehte Musik und dabei stahl sich ein warmes Lächeln auf mein Gesicht. „Is it still me, that makes you sweat? Am I who you think about in bed? When the lights are dim and your hands are shaking as you’re sliding off your dress? Then think of what you did And how I hope to god he was worth it. When the lights are dim and your heart is racing as your fingers touch his skin.” Das war unverkennbar „Lying is the most fun a girl can have without taking her clothes off“ – diesen Song hatten Rachel, Kim und ich auf Kims letztem Geburtstag bestimmt hundert Mal in Karaoke gesungen. Zumindest so lange, bis Kims Mom bewaffnet mit einer Pfanne ins Zimmer gekommen war, und uns ziemlich glaubhaft versichert hatte, dass sie den CD-Player auf Bierdeckel-Format schlagen würde, wenn sie diesen perversen Song noch einmal hören musste. Die anschließende Moralpredigt von unserer Minderjährigkeit und dass wir an die Themen, die in dem Song angesprochen wurden, nicht einmal im Traum denken sollten, hatte es gratis dazugegeben. Wenn die Frau wüsste, dass Kim ihr erstes Mal zu diesem Zeitpunkt schon längst hinter sich gehabt hatte… Ich seufzte befreit, schloss die Augen und ließ mich fallen. Die Musik schien meinen Körper fast gänzlich einzunehmen und schon wirbelte ich wie alle anderen über den Sandplatz. Das war genau das, was ich gebraucht hatte: Ein Stück Ruhe und Harmonie, um wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Schließlich war ich immer noch ich, das vergaß ich in Gaaras Anwesenheit so leicht. Ich war noch immer Yuka Ashihira, ich war nicht Slave und erst recht keine Killermaschine, wie Mister Murderer das gern hätte. Dass ich Wilson getötet hatte, war zwar Notwehr, aber trotzdem ein Fehler gewesen und ich würde das auch nie wieder tun. Schließlich war ich nur ein dreizehnjähriges Schulmädchen, wie jedes andere auch, das sich jetzt völlig von der Musik vereinnahmen ließ, und sich ihrem Takt entsprechend bewegte. Selbst als der Song vorbei war, kehrte ich noch immer nicht in die Realität zurück; ich tanzte einfach weiter, frei, locker und unbeschwert, wie es sich für einen Teenager gehörte. Ich wollte nicht mehr nachdenken und erst recht nicht wollte ich zurück in meine unangenehme Wirklichkeit, in der ich kurz davor stand, schon wieder unschuldige Menschenleben zu opfern. Mein Gehirn schaltete sich erst wieder richtig ein, als einer dieser hoffnungslos kitschigen Lovesongs erklang, die ich auf den Tod nicht ausstehen konnte. Genervt warf ich meinen Pferdeschwanz zurück, schlug die Augen auf und sofort blieb mein Blick wie festgefroren an einer Person am Rand des ganzen Festivals kleben, oder besser gesagt an den Jadeaugen, mit denen sie mich unnachgiebig anstarrte. Dieser Bastard von Gaara konnte es einfach nicht lassen, mich immerzu zu überwachen! Und dennoch war da ein völlig neuer Ausdruck in seinen Augen, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Selbst auf die Entfernung hin glaubte ich, ein ganz leichtes Funkeln auf den sonst so harten Jadesteinen ausmachen zu können. Fast so, als würde er sich an irgendetwas erfreuen, wenn auch nur ganz leicht. Ich machte eine Drehung, um aus seinem Blickfeld zu verschwinden, doch seine Blicke verfolgten mich. Das Funkeln in seinen Augen musste wegen mir sein, nur warum? Es lag garantiert nur an diesem vor Kitsch nur so triefenden Song, dass ich mir einbildete, einen Hauch Menschlichkeit bei ihm erkennen zu können – wenn das kein weiterer Grund war, lieber bei Hardrock und Metal zu bleiben! Allerdings ließ es sich beim besten Willen nicht leugnen, dass er schon eine gewisse Ausstrahlung hatte, wie er da an diese Straßenlaterne gelehnt stand, die Arme vor der Brust verschränkt, und alles außer mir geflissentlich ignorierend. Nichts außer mir konnte seine Aufmerksamkeit fesseln. Dieser Gedankengang fühlte sich alles andere als gut an, und so beschloss ich, lieber den Rückzug anzutreten, bevor mein Gehirn auf noch peinlichere Einfälle kommen konnte. Ich brachte meinen Körper wieder unter Kontrolle und trat mit ein paar raschen Schritten von der Tanzfläche. Ich vermied es, Gaara ins Gesicht zu sehen, als ich wieder zu ihm ging und ihm grob den Lacrosseschläger abnahm. Ohne dass ich klar sagen könnte, warum, war mir mein kleiner Auftritt auf der Tanzfläche peinlich. Es gehörte sich für einen Ninja in Ausbildung garantiert nicht, auf einem Stadtfest zu tanzen, also mied ich seinen Blick. Es dauerte genau dreieinhalb Sekunden, bis Gaara diesen neuen Vorsatz wieder zerstört hatte. „Und wofür war das jetzt gut?“, fragte er eine ganz simple Frage, für die ich jedem anderen sofort die Nase gebrochen hätte. Bei ihm begnügte ich mich allerdings mit einem giftigen Blick. „Kann dir doch egal sein.“ „Du solltest das öfter tun.“ Ich riss die Augen auf und starrte ihn völlig entgeistert an. Machte er sich jetzt etwa auch noch lustig über mich? Sein glattes Gesicht ließ weder Spott noch Sarkasmus erkennen, ganz im Gegenteil: Ich war mir fast sicher, dass seine Augen immer noch ganz leicht funkelten und er mich interessierter als sonst betrachtete. Beinahe wie ein Lebewesen und nicht nur ein Haufen Fleisch, den er hin und herschubsen konnte. Ich war sprachlos und brachte nur ein nicht sonderlich intelligentes „Hä?“ hervor. „Lächeln. Locker sein. Fröhlich wirken. Dann würdest du nicht mehr so sehr aus der Menschenmenge hervorstechen“, fügte er als gewohnt derbe Erklärung hinzu und ich vermerkte diese Aussage als Befehl Nummer Zweihundertsiebenunddreißig in meinem gedanklichen Tagebuch. So viel zum Punkto Menschlichkeit. „Hör gefälligst auf, so mit mir zu spielen, als wäre ich deine Marionette! Ich bin doch kein Roboter!“, zischte ich verärgert und wollte ihm gerade aus purem Reflex meinen Lacrosseschläger zwischen die Beine rammen, als ich plötzlich aus dem Augenwinkel heraus eine Person entdeckte, die ich nur zu gut kannte. Es war ein kleiner, stämmiger Mann mit halblangen, dunkelbraunen Locken, die von einem schwarzen Haarband gebändigt wurden. Das war auch der Grund, warum er mir so gut im Gedächtnis geblieben war; insgeheim hatte ich ihn immer „Agent Curly“ (Curly = lockig) genannt. Während meiner Zeit in der CIA-Zentrale war er des Öfteren für meine Familie zuständig gewesen und nie würde ich seine verwegene Frisur und sein markantes Gesicht vergessen. Mir war schlagartig bewusst, was das bedeutete. Würde dieser CIA-Agent Gaara und mich jetzt entdecken, wäre die Hölle los. Er würde uns notfalls mit Gewalt zu dieser Fabrikhalle bringen und das würde Gaara in Rage bringen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn hier und jetzt das Sandmonster in ihm ausbrechen würde. Hier, zwischen all den unschuldigen Menschen. Ich musste etwas tun, sofort! Dieser Typ durfte uns unter gar keinen Umständen entdecken, sonst war alles aus! Mit einem Klappern ließ ich den Lacrosseschläger fallen und dann ging alles sehr schnell. Ich drängte Gaara mit zwei großen Schritten nach hinten an die Wand, packte ihn am Kragen seines T-Shirts und beugte mich zu ihm hin. Im schützenden Schatten der Straßenlaterne verschmolzen wir fast gänzlich mit der Silhouette der Mauer, als ich ihn mit aller Kraft an die Wand drückte. Einen Herzschlag lang sah ich seine jadegrünen Augen immer näher auf mich zukommen, spürte sanften Atem meine Haut streifen, ehe alles in Dunkelheit versank. Mein Augenlicht erlosch, der Lärm der Menschenmenge schien zu verstummen, als würde der große Zeiger der Zeit stillstehen, und ich nahm nichts weiter als eine zaghafte Berührung an meinen Lippen wahr. Es fühlte sich hart und weich zugleich an und vor allem eiskalt. Kalt und geradezu gefroren, wie ein Stein. Doch es war ein zarter Stein, unsagbar fein geformt und ergänzte sich perfekt mit mir. Ich hätte gern meine Lippen bewegt, um ihn weiter zu erforschen, um jedes noch so kleine Detail in mir aufzunehmen und völlig mit diesem für den Augenblick identitätslosen Wesen zu verschmelzen. „Mhmm…“, hörte ich mein eigenes Seufzen und erstarrte im selben Augenblick. Es fühlte sich angenehm an, so sanft und zärtlich, doch ich fragte mich, was genau war es eigentlich war. Langsam schlug ich die Augen auf und sogleich nahm die schreckliche Realität wieder ihren Lauf. Aus meinem unsichtbaren Traumprinz mit den versteinerten Lippen war wieder mein schlimmster Alptraum geworden. Ich küsste Gaara! Vor Schreck quietschte ich schrill auf und spürte, wie mir alles Blut in den Kopf schoss. Ich schubste den Jungen wie elektrisiert von mir und sog hektisch Luft in meine Lungen. Meine Lippen brannten vor Leere ohne die eiskalten Gegenstücke, doch viel schlimmer war die Schamesröte in meinem Gesicht. „Was … was hast du gemacht?!“, keuchte ich atemlos; meine Stimme zitterte ebenso wie meine Schultern. Hilflos starrte ich Gaara an, der steif und reglos an der Wand stand, die Muskeln verkrampft und den Blick voll Abwehr auf mich gerichtet. Dabei war es doch alles seine Schuld! Ich hatte ihn dort an die Wand drücken wollen, damit er dem CIA-Agenten nicht auffiel, vielleicht eine Art Liebespaar in einer intimen Szene vortäuschen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, aber so etwas war doch nicht geplant gewesen! Ich berührte flüchtig mit den Fingerspitzen meinen Mund und sog scharf die Luft ein. Eine weitere Erkenntnis legte sich bleischwer auf mein Herz und verwandelte die Verlegenheit in blanken Zorn. „Du hirnverbrannter Bastard!“, zischte ich tonlos und meine Finger verkrampften sich. „Das … das war verdammt noch mal mein erster Kuss! Das geht doch nicht! Ich hab mir das aufgehoben, extra für Matt und du … du … Gib mir gefälligst meinen ersten Kuss zurück! Gib ihn wieder her, das ist nicht fair!“ Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten und vergaß dabei völlig, dass der Zweck dieser ganzen Aktion ursprünglich gewesen war, keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Das würde Gaara büßen! Wenn es einen Jungen gab, der das mit mir tun durfte, dann war das Matt und sonst keiner! Gaara schien sich allerdings keiner Schuld bewusst zu sein, im Gegenteil: Er musterte mich abwehrend, als wäre ich giftig, doch ich glaubte auch fast schon kindliche Verwirrung und Unverständnis aus seinen Augen herauslesen zu können. „Was regst du dich so auf? Das war doch wohl deine Idee!“, knurrte er ungewohnt heftig. Er war weitaus aggressiver als für gewöhnlich, wenn ich ihn beleidigte. „Bitte?! Seh ich für dich etwa so aus, als würde ich meinen Kidnapper küssen wollen?!“, kreischte ich mit wachsender Hysterie und spuckte auf den Boden. Die bloße Vorstellung, dass es seine Lippen gewesen waren, die ich berührt hatte, widerte mich geradezu an und das Schlimmste war, dass es mir sogar gefallen hatte. Mein Gehirn hatte offenbar vollkommen den Geist aufgegeben! Ich schlug so kraftvoll ich konnte in die Wand – direkt neben Gaaras Kopf. Schade, dass er dabei nicht erschrocken zusammenzuckte, aber in erster Linie ging es ja auch um den Frustabbau. „Ich wollte verhindern, dass wir entdeckt werden, deshalb wollte ich so tun, als wären wir ein Paar! Eine simple Umarmung dicht an der Wand, nichts weiter! Es war nie die Rede davon, dass du … du…“ Ja, was war der passende Ausdruck für diesen ganz speziellen Blick seiner Jadeaugen, bei dem mein Herz jedes Mal dröhnte wie ein U-Bahn-Zug in vollem Betrieb? Hätte er diesen einen so unsagbar faszinierenden Blick nicht, wäre es doch nie so weit gekommen! Es machte mich regelrecht rasend, dass er sich dieser Schuld nicht einmal bewusst war. Ein Kuss war immer noch ein Kuss, das war ein Zeichen, und obwohl ich alles andere als romantisch veranlagt war, war selbst ich der Meinung, dass man sich den ersten Kuss für den richtigen Jungen aufheben sollte. Und jetzt hatte dieses Arschloch von Sandmutant mir das einfach weggenommen. „Ich habe dir nie gesagt, dass du mich an eine Wand drücken und mit so einer Aktion überfallen sollst“, sagte er leise und klang dabei weniger bestimmt als für gewöhnlich. Offenbar hatte er um Worte zu ringen, das sollte mich auch nicht überraschen, schließlich war er Nächstenliebe und Körperkontakt alles andere als zugetan. Das Schlimmste war nur, dass dieser Bastard auch noch Recht hatte. Er war das Opfer, doch das wollte ich im Moment nicht wahrhaben. Ich atmete heftig aus, presste die Kiefer aufeinander und fuhr dann schwungvoll herum. „Mir doch egal, ich hab das nur für unsere Mission getan! Hörst du, nur deshalb, also bild dir ja nichts ein! Das wirst du noch bereuen, ich schwör’s dir!“ Nach dieser äußerst aggressiven Ansprache fühlte ich mich bedeutend besser und hob meinen Lacrosseschläger vom Boden auf, bereits halb zum Gehen gewandt. „Hauptsache, dieser CIA-Typ hat uns nicht gesehen, und jetzt komm mit! Es ist schon fast fünf Uhr, also müssen wir los!“ Wäre ich nicht so sehr mit dem Brennen an meinen Lippen und meinem dröhnenden Herzschlag beschäftigt gewesen, hätte ich Gaaras Gesichtsausdruck unmöglich übersehen können, als er mir jetzt langsam folgte. Ich sollte diesen Gesichtsausdruck später noch sehr viel öfter sehen und am ehesten kann man es wohl mit einem kleinen Kind vergleichen, das zum ersten Mal in einem riesigen Kaufhaus unterwegs ist. Verwirrte, große Augen. Unverständnis, Nervosität, etwas Angst und auch Abwehr gegenüber dem Neuen, dennoch die Begierde nach dieser aufregenden, neuen Welt. Das alles aber sorgfältig vertuscht und unter der Maske der Gleichgültigkeit verborgen, weil man ja erwachsen wirken wollte. Genau genommen dasselbe, was ich im selben Augenblick empfand. Die leerstehende Fabrikhalle befand sich glücklicherweise ein gutes Stück abseits vom Park und den vielen Menschen. Es war kein sehr einladendes Gebäude und erhob sich mit mehreren verdreckten Türmen gegen den Horizont der langsam untergehenden Sonne. Die schwach orange gefärbten Sonnenstrahlen glitzerten auf dem graubraunen Gestein und ließen mehrere Graffitis erkennen. Früher war die Halle als Stellplatz für Baumaterialen genutzt worden, doch mittlerweile stand sie seit vielen Jahren leer und nur manche Straßenbanden hielten hier von Zeit zu Zeit ihre Besprechungen ab. „So, da sind wir also“, sagte ich überflüssigerweise und spielte an den Taschen an meinem Gürtel herum, um lässig zu wirken. Ein recht hoffnungsloses Vorhaben, denn meine Angst war schier erdrückend, nachdem meine Wut verflogen war. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was bei diesem Clou alles schief gehen könnte. Gaara dagegen schien die Ruhe selbst zu sein: Er stand dort wie eine Statue, in völliger Ruhe die Arme vor der Brust verschränkt, doch mir fiel auf, dass er noch größeren Abstand als sonst zu mir hielt und seine Lippen immerzu bebten. „Wenn du mich behinderst, bist du tot“, hauchte er schließlich und leckte sich über die Lippen. „Du darfst nicht zögern, egal was passiert. Denk eine Sekunde zu lang nach und das war’s für dich. Entweder du machst dich nützlich, oder du gehst drauf.“ Ich rieb mir möglichst unauffällig die Unterarme, an denen sich eine Gänsehaut bildete, und räusperte mich. „Tse“, winkte ich gezwungen locker ab. „Ich geb diesen CIA-Idioten ohnehin nur fünf Minuten, bis sie alle hinüber sind.“ „Gut. Dann können wir anfangen.“ Gaara hob den Kopf und fixierte einen Punkt am Dach der Halle, an dem ein kleiner Lichtpunkt schwebte, wie ich bei näherem Hinsehen erkannte. Es musste eine Art Spiegelung sein, wie von einem Fernglas, das vom Sonnenlicht beschienen wurde. „Drei Gegner, die sich versteckt halten“, stellte er fest und gab einen verächtlichen Laut von sich. „Amateure…“ Langsam senkte er den Kopf und richtete seinen Blick nun auf die schwere Eingangstür der Fabrikhalle. Ich erkannte eine hochgewachsene Gestalt, die gerade aus der Tür trat und sich uns näherte. Es musste ein Mann sein, noch relativ jung und mit sehr lockerer Haltung, fast schon zu flachsig für einen CIA-Agenten. Eine Hand hatte er lässig in seiner Hosentasche vergraben, mit der anderen hielt er eine Zigarette. Knappe zehn Meter vor Gaara und mir blieb er schließlich stehen und musterte uns mit einem schiefen Grinsen, das ich ihm liebend gern aus dem Gesicht geprügelt hätte. „Schön, dass ihr da seid“, sagte er und ich bemerkte sofort, dass er auch der Anrufer gewesen war. Diese junge, aalglatte und schmierige Stimme war unverwechselbar. Ich musste mich zusammenreißen, um mich nicht mit einem meiner vielen Messer auf ihn zu stürzen. „Wo ist Kim?“, rief ich stattdessen. „Du bist ja immer noch so ungeduldig, junges Fräulein“, tadelte er kopfschüttelnd und wedelte theatralisch mit seiner Hand, die die Zigarette festhielt. „Alles zu seiner Zeit. Erst wollen wir zu deinem Teil der Abmachung kommen. Also, wenn du erlaubst, dass wir dich von diesem Monster da retten…“ Ein ohrenbetäubender Knall schnitt ihm das Wort ab und eine Art Gasbombe schien zu explodieren, denn binnen Sekunden lag der gesamte Vorplatz in dichtem Rauch. Ich schnappte erschrocken nach Luft und drängte vorwärts, um zu Gaara zu gelangen, doch da packte mich auch schon jemand und verdrehte mir beide Arme auf den Rücken. „Komm mit, ich bring dich von hier weg, Prinzesschen“, raunte eine ältere Stimme hinter mir und die zugehörige Person machte Anstalten, mich mit sich zu ziehen. Ich wollte mich gerade umdrehen, um den Kerl mit einem saftigen Kinnhaken außer Gefecht zu setzen, als er plötzlich mit einem Aufschrei zurückwich. Im Nebel konnte ich nur die Umrisse des Mannes ausmachen, doch eins ging deutlich von ihm aus: Die scharlachrote Färbung frischen Blutes. Ich sah, wie er sich vor Schmerzen zusammenkrampfte; dann warf er in einem letzten Verzweiflungsakt seinen Körper vorwärts und streckte beide Hände nach mir aus. Doch ein schmaler Streifen Sand kam ihm zuvor und fiel über die Silhouette des Mannes her. Feines Blut sprühte durch den Nebel, drang mir in den geöffneten Mund und ich spürte einen Brechreiz. Wieder ein mehr oder minder unschuldiges Menschenleben nur wegen mir ausgemerzt. „Finger weg von meinem Mädchen!“, knurrte eine raue Stimme und schneller als meine Augen es wahrnehmen könnten, stand ich in Gaaras Schatten. Er hatte sich direkt vor mir aufgebaut, seinen Sand rings um uns herum versammelt und die Arme fast schon beschützend ausgebreitet. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst mir nicht im Weg stehen! Bleib hinter mir und wehe, du machst jetzt irgendeinen Blödsinn!“ Nicht einmal wenn ich das gewollt hätte, wäre ich dazu in der Lage gewesen. Ich stand dort wie versteinert und starrte ihn aus geweiteten Augen an, während er sich in dem Nebel mühelos orientierte und die Angreifer erledigte. Das hier war anders als sonst. Er verteidigte mich nicht wie eine Art kostbare Ware, die unbeschadet an den Empfänger übergeben werden musste. Da war etwas in seiner besitzergreifenden Körperhaltung, an seinen angespannten Schultern und den ausgebreiteten Armen und auch an dem Sand, der uns beide umgab, was mir neu war. Allerdings wusste ich nicht, wie genau ich das einzuordnen hatte. Ich hatte noch immer keine passende Beschreibung gefunden, als der Nebel sich wenige Minuten später wieder lichtete und Gaara seine Haltung lockerte. Der Sand zog sich großteils in die Vase auf seinem Rücken zurück, nur ein kleiner Rest blieb vorsichtshalber in der Luft. „Das war’s. Der Rest ist im Innern des Gebäudes.“ Er sagte es so nüchtern, als ginge es um quadratische Funktionen im Matheunterricht, keine Spur von Mitgefühl für die geopferten Menschenleben. Ich schluckte und bemerkte erst jetzt, dass ich die ganze Zeit über eine kleine Menge Sand in meiner Faust eingeklemmt hatte. Hastig warf ich die verformten Brocken zu Boden und machte ein paar Schritte vorwärts; meine Beine zitterten zwar, hielten mein Gewicht aber aus. Genau wie Gaara es prophezeit hatte, waren es drei Männer, die nun niedergemetzelt auf dem Vorplatz lagen. Einer davon mit abgetrennten Armen ganz in meiner Nähe – höchstwahrscheinlich derjenige, der mich hatte mitnehmen wollen. Das alles waren korrupte Gesetzesbrecher, die Kim entführt und vielleicht sogar gequält hatten. Vielleicht war es irgendwo ja gerechtfertigt, dass ihnen dafür das Leben genommen worden war, bevor sie noch mehr Leute ins Unglück stürzten, so wie mich. Langsam sah ich wieder zu Gaara auf und versuchte aus seinem Gesicht das herauszulesen, für das ich vorhin keinen passenden Namen gefunden hatte. „Sie hatten es verdient, oder?“, hörte ich mich eine völlig unpassende und kindische Frage stellen und Gaara reagierte, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war. „Mir doch egal. Auf jeden Fall ist ihr Anführer entkommen, nur weil ich auf dich aufpassen musste, du Nichtsnutz!“ Er hatte Recht, der lässige Zigarettenraucher mit der schleimigen Stimme war nicht unter den Opfern. Verdammtes Arschloch. „Dann müssen wir schnell da rein, bevor er Kim was antut!“, rief ich hektisch. Gaara blieb völlig ruhig und musterte mich abfällig. Es ging ihm gewaltig gegen den Strich, dass ihm nur wegen mir eines seiner Opfer entkommen war, das war mir klar. „Du bist ein Klotz am Bein, ich hab dich gewarnt. Wozu hab ich dich trainiert und mit Waffen ausgestattet?! Ich nehm dich da nicht mit rein, wenn du nicht endlich mal in die Gänge kommst. Reiß dich gefälligst zusammen und stell dich nicht an, wie das letzte Kleinkind!“ Das war mit Abstand die schlimmste Beleidigung, die ein Junge mir je an den Kopf geworfen hatte. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte mich jemand derartig erniedrigt. Es kam, wie es kommen musste: Ich rastete aus. „Ach, halt doch die Fresse! Jeder normale Mensch wär an meiner Stelle schon längst an einem Herzinfarkt verreckt! Ich will keinen umbringen, das ist doch krank!“, schrie ich ihn an und griff nach dem erstbesten, schwer aussehenden Gegenstand, der mir ins Auge stach: Die Pistole von einem der Agenten, die aus seiner Hosentasche herausragte. Mit fliegenden Fingern nahm ich die Waffe in beide Hände, obwohl ich selbst zwei Pistolen besaß. Aber diese hier war bei Weitem größer und schwerer im Vergleich zu meinen Leichtgeschützen. Gaara hatte für die Pistole nicht mehr als ein müdes Stirnrunzeln übrig und atmete hörbar durch den Mund aus. „Pack das Ding weg. Du könntest damit doch eh keinem wehtun, wenn dein Chakra nicht gerade Überhand hat. Außerdem … ARGH!“ Statt mit dieser bodenlosen Unverschämtheit fortzufahren, zuckte er erschrocken zurück und betastete in dumpfer Verwirrung seine Wange, die von einer blutigen Schramme geziert war. Mein Schlag mit der Pistole hatte ihn tatsächlich verletzen können und ich wusste auch wieso. „Das war dafür, dass du mich wie einen Schwächling hinstellst, Vollidiot!“, spuckte ich ihm entgegen. „Weißt du, auf der CIA-Zentrale hab ich aufgeschnappt, dass die Agenten bei wichtigen Missionen alle neu entwickelte Waffen bei sich tragen. Bei der Herstellung wird ein kleiner Spritzer Atomsprengstoff in das Metall der Pistole gemischt und rein zufällig ist das das Einzige, das dich verletzen kann.“ Gaara riss die Augen auf und ich hätte vor Genugtuung kreischen können. Das war es, nach dem ich mich so lange gesehnt hatte: Ihm nur ein einziges Mal überlegen zu sein. Entschlossen trat ich wieder auf ihn zu und hob die Pistole. „So, und das hier ist dafür, dass du mir meinen ersten Kuss weggenommen hast!“ Ich schlug ein zweites Mal zu, jetzt in seinen Bauch. Zwar bereitete das Gaara nur wenig Schmerzen, gerade genug, um ihn vor Schreck zucken zu lassen, doch das genügte mir voll und ganz. „Und das ist für Rachel!“, zischte ich und rammte ihm die Pistole auf den Hinterkopf, so fest ich konnte. „Und noch eine für die Nacht in dieser vergammelten Bruchbude von Bauernhaus! Und das dafür, dass du mich unter der Dusche angeglotzt hast! Und dafür, dass meine Mom denkt, du wärst mein Freund!“ Ich schrie ihn ohne die kleinste Pause an und prügelte dabei ununterbrochen auf ihn ein, so fest ich nur irgendwie konnte. Es dauerte einige Zeit, bis ich endlich alles aufgezählt hatte, für das er Schmerzen verdient hatte, und ich merkte schnell, dass Gaara keinerlei Anstalten machte, sich zu wehren. Entweder diese speziellen Atome hatten auf ihn auch eine lähmende Wirkung, oder aber… Nein, es gab keine zweite Möglichkeit, denn freiwillig würde er sich niemals schlagen lassen. Erst als ich schließlich mit bebenden Schultern und völlig außer Atem wieder von ihm abließ, regte er sich wieder und strich sich ganz leicht über die Schrammen in seinem Gesicht und an seinen Armen. Es waren keine großen Verletzungen, nur die wenigsten bluteten, doch für mich war das unsagbar befreiend gewesen. „So, und jetzt können wir meinetwegen da reingehen und jedem die Lebenslichter ausknipsen, den wir sehen! Ich bin zu allem bereit!“, verkündete ich nachdrücklich und warf die Pistole wieder hin. Ich war in der Tat bereit, für was auch immer. Endlich hatte ich mir meinen allergrößten Wunsch erfüllen können, nämlich meinem gestörten Kidnapper endlich einmal so richtig eine runterhauen zu können. Zwischen uns war jetzt alles geklärt und von mir aus konnten wir von nun an als Team zusammenarbeiten, so gut das eben ging. Ein leichter Windzug streifte meine Wange und schon stand Gaara wieder wie aus dem Boden gewachsen vor mir, als wäre nichts gewesen. Ich sah den Sand, der in seine Wunden drang und diese verschloss, und musste lächeln. Er war eben doch unverwundbar und nicht von dieser Welt. „Tu genau das, was ich dir sage. Keine Widerworte und lass dir eins gesagt sein: Wenn du mich aus dem Weg räumen willst, musst du deutlich härtere Geschütze auffahren. Und du wirst das noch bereuen, was du gerade getan hast“, sagte er und wandte den Kopf zu mir. Seine Augen waren kalt und überlegen, doch seine Haltung schien mir noch immer anders als sonst. Ich grinste ihn nur an und trat mit zwei großen Schritten neben ihn. Dass er sich noch rächen würde, sobald wir außer Reichweite dieser Pistolen waren, mit denen ich ihn mühelos verletzen könnte, war mir momentan herzlich egal, dazu war meine Laune zu gut. „Wollte ich auch nicht, Mistkerl. Aber das hat einfach gut getan, weißt du. Genau so wie das Tanzen vorhin, so was braucht ein Mensch manchmal“, sagte ich etwas spöttisch. Und als Gaara mich jetzt noch einen kurzen Augenblick lang musterte, ehe er zum Eingang der Fabrikhalle ging und der Sand ihn in Minutenschnelle heilte, konnte ich die Erkenntnis genau identifizieren, die in seinen Augen aufblitzte. Ich wusste, was es war, das sich bei ihm geändert hatte. Er hatte mich fröhlich und ausgelassen gesehen. Er hatte meinen Körper gespürt. Er hatte sich von mir verprügeln lassen. Und er hatte mich zum ersten Mal nicht als seine Sklavin, sondern als sein Mädchen bezeichnet. Vielleicht, ganz vielleicht nur hatte er nun endlich verstanden, dass ich ein Mensch war, und behandelte mich auch so. Vielleicht konnten wir wirklich ein Team sein, zumindest so lange, bis er wieder da war, wo er hingehörte. Kapitel 11: Auf der dunklen Seite --------------------------------- Leise, kaum hörbare Schritte hallten auf verdrecktem Linoleumboden wieder. Ich hielt mich dicht an die Wand gedrängt und tastete mich nur langsam Zentimeter um Zentimeter vorwärts. Jede zu schnelle Bewegung könnte mich verraten und in Lebensgefahr bringen, doch diesen Gedanken hatte ich weit nach hinten in mein Unterbewusstsein geschoben. Es war beinahe schon erschreckend, wie einfach es war, das logische Denken in einer solchen Situation abzuschalten und nur sein Ziel zu fokussieren. Mein Ziel hatte sich noch immer nicht bewegt, es stand dort am Ende des dunklen Ganges und rauchte gelangweilt eine Zigarette. Über seinem Kopf hing die einzige Glühbirne in näherer Umgebung, ansonsten war es nahezu stockfinster in der verlassenen Fabrikhalle. Hätte ich nicht Gaara dicht bei mir und das kühle Metall eines Messers in meiner Hand gewusst, hätte ich mich garantiert gefürchtet. Langsam schob ich mich einen weiteren Meter nach vorne und hob dann fragend den Blick zu Gaara. Er nickte leicht zur Bestätigung, während er sich zugleich vorfreudig über die Lippen leckte. Auf diesen Augenblick hatte er gewartet, seit wir die Halle betreten und uns erst einmal durch ein gutes Dutzend unübersichtlicher Gänge hatten kämpfen müssen, bis wir uns jetzt an die Zielobjekte herantasten konnten. Der Plan war einfach: Die Agenten möglichst unauffällig einen nach dem anderen erledigen, ohne großes Aufsehen zu erregen. Ich sollte den Großteil der Arbeit hier erledigen, weil er überprüfen wollte, ob ich wirklich bereit für Gewalt war, wenn es ernst wurde. Ich nahm einen tiefen Atemzug, wischte mir kurz mit dem Handrücken ein paar Schweißperlen von der Stirn und bewegte mich dann äußerst vorsichtig weiter. Mein Opfer schwitzte ebenfalls, das erkannte ich deutlich im Schein der Glühbirne. Er trug einen viel zu dicken Anzug für die Jahreszeit und die Hitze stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sogar an seinem Pulsschlag konnte ich es erkennen: Die kleinen Adern an seinem Hals zuckten unaufhörlich. Wer er wohl war, mein erstes Opfer für den heutigen Tag? Den markanten Gesichtszügen nach zu urteilen, hatte er bereits ein fortgeschrittenes Alter erreicht. Sicher hatte er eine Familie, die zu Hause in einer gemütlichen Einbauküche auf ihn wartete und nicht einmal wusste, dass er hier für die Entführung eines Mädchens und ein komplettes Killerkommando zuständig war. Es war egal, ob ich ihn heute tötete, oder ob es ein anderer Verbrecher zu einem späteren Zeitpunkt tun würde. Seine Familie würde nie die Lüge erfahren, die er ihnen vorgelebt hatte. Und wenn jemand derartig kalt war und seiner Frau noch guten Gewissens in die Augen schauen konnte, obwohl er angeblich für einen guten Zweck unzählige Unschuldige getötet hatte, dann hatte er es nicht anders verdient. Das schienen auch die Adern an seinem Hals sagen zu wollen, die noch stärker zuckten, als er sich stöhnend an den Hemdkragen griff, um den Stoff etwas zu lockern. Es schien wie eine Einladung, ihn zu erlösen, von dieser Hitze, von seinem verlogenen Leben. Entweder ich räumte diesen durch und durch bösen Menschen aus dem Weg, oder sie würden meine unschuldige Freundin töten. Diese Wahl war erschreckend einfach. Ich merkte nicht einmal, dass ich mir nun selbst über die Lippen leckte und das Messer ein Stück weit anhob. Jetzt musste ich nah genug sein; ich konnte sogar seinen von Alkohol geprägten Atem riechen. Wieder zuckte diese um Erlösung bettelnde Ader und dann schoss ich vorwärts. Es war genau so einfach, wie Gaara es im Training gesagt hatte. Ich musste nur mit einer Hand seinen Mund verdecken, ihn ein Stück weit nach hinten ziehen und das Messer an der wunderschönen Ader ansetzen. Nicht einmal ein sonderlich großer Krafteinsatz war notwendig, schon ging die Ader in scharlachrotem Blut unter und der nach Alkohol und Rauch stinkende Körper des Mannes sackte dumpf zu Boden. Es sah regelrecht kunstvoll aus, wie das dickflüssige Blut sich langsam seinen Weg über die elfenbeinfarbene Haut bahnte, sich in den Stoff der Kleidung saugte und stellenweise auf den Boden hinabtropfte. Ich erschrak mich selbst über diesen Gedanken und wandte den Blick ruckartig ab. So etwas dachten nur Psychopathen wie Gaara. Ich konnte mir gut vorstellen, dass genau dieser faszinierende Anblick der letzten Lebenszeichen eines Opfers und anschließend des frischen Blutes einer der Gründe dafür war, dass Gaara so gewalttätig war. Es war widerwärtig und unmenschlich und es ekelte mich an, doch wenn man nur auf seine Instinkte vertraute, war es erschreckend einfach, wie ein Tier zu handeln. Das durfte ich hier und jetzt am eigenen Leib erfahren. Gaara nickte zufrieden und fixierte mich einmal kurz mit seinem Blick. Im fahlen dämmerlicht funkelten seine Augen wie die eines Raubtieres, doch ich vermochte keine Angst zu spüren. „Du gehst diesen Weg weiter. Ich nehme den anderen Weg. Wir treffen uns früher oder später wieder, wenn du auf dich aufpasst. Wenn nicht, war’s das eben für dich“, sagte er kühl und wandte sich gleich darauf zum Gehen. Diese Aufforderung erschreckte mich, doch ich brachte es nicht fertig, abzulehnen. Ich nickte nur mit stoischer Ruhe und griff das Messer fester, als wolle ich mich daran festhalten. Ich wollte nicht schwach wirken und aufgeben, sondern das hier durchstehen, für meine Freundin! Ohne Gaara nachzusehen, wie er nun lautlos verschwand, trat ich über mein erstes Opfer hinweg und spähte um die Ecke. Das Geflecht der dunklen Gänge schien jetzt vorbei zu sein: Vor mir lag ein heller Raum, gefüllt mit hohen Aktenschränken und einem Tisch, an dem drei weitere Agenten saßen. Sie schienen noch nicht bemerkt zu haben, dass ihr Kamerad soeben das Zeitliche gesegnet hatte. Sie saßen viel zu entspannt dort, jeder mit einer Tasse Kaffee vor sich und ein paar Pokerkarten. Reine, unschuldig weiße Spielkarten, mit denen sie spielten, um sich hier die Zeit zu vertreiben. Ich wusste, was ich zu tun hatte, wenn ich Kim retten wollte. Also festigte ich meinen Griff um das blutbefleckte Messer ein weiteres Mal und begann meine Arbeit. Zurück blieben nur ein paar Dutzend scharlachrot bespritzter Spielkarten. Ich gestattete mir nicht das geringste Zögern und ließ diesen Raum gleich hinter mir, um durch eine schwere Panzertür in den nächsten zu treten. Mit erhobenem Messer trat ich ein, jederzeit bereit alle Gegner aus dem Weg zu räumen, doch alles, was ich sah, war eine einzige zusammengekauerte Person auf einem Stuhl. Diese eine Person stellte all die Opfer zuvor in den Schatten; ich spürte, wie sich mein Magen umdrehte und mir der kalte Angstschweiß ausbrach. In der Mitte des weitläufigen Raums, der durch eine ganze Reihe provisorischer Glühbirnen an der Decke beleuchtet wurde, saß sie, beide Fußgelenke an den Stuhlbeinen und die Hände auf dem Rücken gefesselt. Der Stuhl hatte eine besondere Apparatur, die den Kopf des jungen Mädchens halb umschloss und in zwei Eisenplatten endete, die an ihrem Unter- und Oberkiefer hingen und ihren Mund so leicht öffneten. Noch bereitete es ihr keine Schmerzen, doch ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wofür man dieses Gerät einsetzen konnte. Dieses Mädchen war zum Spielzeug der kranken Fantasien einiger CIA-Agenten geworden. „Kim!“, entfuhr es mir und ich erkannte meine eigene Stimme nicht wieder, sie klang viel zu brüchig und heiser. Ich erkannte, wie Kims Körper einmal kurz zuckte und sich offenbar mit letzter Kraft gegen die Fesseln warf, doch es war zwecklos. Sie wimmerte und wandte ihren Kopf so gut es ihr möglich war in meine Richtung. Mein Inneres gefror bei diesem Anblick regelrecht. Nie hätte ich der CIA zugetraut, dass sie Derartiges mit einem unschuldigen Mädchen anstellten: Ihr Gesicht war fürchterlich blass und eingefallen, die Haare verfilzt, die Haut von Schweiß und blutenden Wunden bedeckt und Kim konnte nur noch aus riesigen, Angst erfüllten Augen um sich blicken. Man hatte sie behandelt wie ein Tier auf der Schlachtbank und das machte mich schier wahnsinnig. Ein knackendes Geräusch wie von einem in Funktion tretenden Lautsprecher dröhnte durch den weitläufigen Raum und ich griff reflexartig an meine Tasche mit den Pistolen. Statt einem Angriff erklang jedoch nur eine Stimme aus einem Lautsprecher. „Schön, dass du hier bist, Yuka.“ Ich sah mich hektisch um, doch blieb mir der Aufenthaltsort des Sprechers verborgen. Er musste in einem Nebenraum sein und nur über Mikrophon mit mir sprechen. „Lassen Sie Kim sofort wieder frei!“, schrie ich also und hatte Mühe der Versuchung zu widerstehen, sofort zu ihr zu laufen. „Das hätte ich ja wirklich gerne gemacht, glaub mir, aber du hast deinen Teil der Vereinbarung nicht erfüllt. Von daher sind mir leider die Hände gebunden…“, säuselte die Stimme und da war ich mir schon fast sicher, dass das wieder dieser schleimige Zigarettenraucher war. „Gaara ist doch hier! Irgendwo in diesem Gebäude, also schnappen Sie ihn, aber lassen Sie mich und meine Freunde aus dem Spiel!“ „Sorry, aber uns ist der Überraschungseffekt abhanden gekommen, deshalb gestaltet sich das etwas schwierig und…“ „Hören Sie auf zu labern!“, fiel ich ihm aufgebracht ins Wort und ballte beide Hände zu Fäusten. „Was wollen Sie von mir?“ „Okay, dann eben die Kurzfassung: Sobald ich diesen roten Knopf direkt vor mir drücke, wird der Apparat am Kopf deiner Freundin in Betrieb gesetzt und die Eisenplatten in ihrem Mund verschieben sich immer weiter, bis ihr Schädel nach genau drei Minuten in zwei Hälften geteilt ist. Sieht bestimmt hübsch aus, nicht wahr?“ Er machte eine kleine Kunstpause und ich hielt die Luft an, um dem Würgereiz standzuhalten. „Wenn du aber keine Lust auf ein kleines Blutbad hast, nimmst du den Sprengsatz, der neben deiner Freundin am Boden liegt, und befestigst ihn unauffällig an Gaara. Wir zünden den Sprengsatz, er wird außer Gefecht gesetzt, und ihr zwei könnt gehen. Im Idealfall dreht er nicht mal durch und ist k.o, bevor er es selbst merkt. Sobald alles geklappt hat, stoppe ich den Apparat an deiner Freundin. Also, unsere Überwachungskameras zeigen, dass er jeden Moment hier ankommen müsste, deshalb helfe ich dir mit deiner Entscheidung gleich mal etwas auf die Sprünge.“ Wieder knackte der Lautsprecher; dann hörte ich ein erschrockenes Keuchen von Kim. Das Gerät an ihrem Kopf hatte sich tatsächlich in Bewegung gesetzt und drückte nun sehr langsam die beiden Eisenplatten an ihren Kiefern auseinander. Blanke Panik flackerte in ihren blauen Augen auf und ihre Hände auf ihrem Rücken verkrampften sich, soweit die Handschellen das zuließen. Ich dachte keine Sekunde nach, sondern stürmte blindlings vorwärts, von panischer Angst getrieben. Drei Minuten – in drei Minuten war Kim tot, wenn ich Gaara vorher nicht in die Luft sprengte! Gerade wollte ich nach dem nur wenige Zentimeter großen Sprengsatz auf dem Boden greifen, als eine heftige Erschütterung den Raum erbeben ließ. Ich verlor das Gleichgewicht, schlug der Länge nach auf den Boden und sah nur noch, wie der Sprengsatz davon geschleudert wurde. Er glitt über das glatte Linoleum in die hinterste Ecke des Raums und im nächsten Augenblick schaltete sich mit einem leisen Surren ein halbes Dutzend Laserstrahlen in der Ecke ein. Rote, hochempfindliche und vor allem tödliche Lichtstrahlen bildeten sich in Form eines Geflechts in der Ecke und mitten in dem Geflecht kam der Sprengsatz zum Stillstand. Offenbar benutzte die CIA diese Fabrikhalle nicht zum ersten Mal für ihre Machenschaften und hatte hochmoderne Sicherheitsvorkehrungen getroffen; eine Berührung mit diesen Laserstrahlen und der menschliche Körper war hinüber, ebenso jeder Sprengsatz. Es war vorbei – aus diesem Geflecht an Laserstrahlen würde ich die Bombe nie wieder herausbekommen! Hilflos starrte ich in die Richtung, von der die Erschütterungswelle gekommen war, und entdeckte nur ein riesiges Loch in der Wand, vor dem etwas Sand schwebte. Langsam, fast bedächtig und doch entschlossen, schob sich eine schmächtige Gestalt durch den Nebel an Staub und Sand. Mir genügte ein einziger Blick auf den zerzausten, blutroten Haarschopf, um zu wissen, dass mein Alptraum mich schon wieder gefunden hatte. Doch heute könnte er mir das erste Mal wirklich nützlich sein, und zwar, indem er starb. Noch während seine kalten Augen die Szene erfassten, war ich wieder auf den Beinen und stolperte zu dem zweiten Abschnitt des Raumes, in dem sich das Lasergeflecht gebildet hatte. Ich musste mich beeilen, sonst war alles aus; nicht nur Kim würde sterben, sondern Gaara würde auch mich in absehbarer Zeit umbringen. Seit ich ihn geschlagen hatte, war er aggressiver den je und bei jedem noch so kleinen Fehler, den ich in Zukunft machte, würde er nicht länger Rücksicht auf mich nehmen. Ich hatte hier nichts mehr zu verlieren. Es war egal, ob ich von einem Sandmutant zerfleischt oder von ein paar Laserstrahlen verbrannt wurde. Also schluckte ich meine Angst hinunter und hielt knapp vor dem Lasergeflecht an. Die Strahlen lagen dicht beieinander, doch mit dem nötigen Geschick müsste man hindurch kommen können. Hastig schob ich meinen Pferdeschwanz in den Ausschnitt meines Tops und dann stürmte ich los. In den Filmen kommt der Held immer mit einem lässigen Flickflack durch solche Hindernisse, aber alles, was ich in der Richtung konnte, war ein mittelprächtiger Handstandüberschlag und bei den Cheerleadern war ich auch nie gewesen. Darum tat ich nichts weiter, als mich an das zu erinnern, das Gaara mir beigebracht hatte. Chakra aktiviert sich, wenn man sich auf seine Urinstinkte konzentriert und jeglichen Verstand ausschaltet. Genau das versuchte ich zu tun, als ich mich zwischen die Laserstrahlen stürzte und mein Ziel fest ins Visier nahm. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte ich ein Brennen an meinem Ellbogen, von dem ich nicht genau sagen konnte, ob er von einem Laserstrahl oder dem Chakra kam, doch das Geschehen flog ohnehin an mir vorbei. Ich bewegte mich so schnell ich nur konnte durch das Geflecht, spürte den Windzug an meiner Kleidung, immer mal wieder ein leichtes Brennen und mein kompletter Körper schmerzte. Es war viel zu heiß und der Laser versengte meine Haut des Öfteren, doch es funktionierte. Ich tat Dinge, die ich nie zuvor getan hatte: Sprang von einer Richtung in die andere, rollte mich am Boden entlang und selbst der Handstandüberschlag ging so einfach, dass mir jeder Sportlehrer eine Eins dafür gegeben hätte. Ich erwischte den Sprengsatz, schob ihn in meine Hosentasche und sprang dann ebenso schnell wieder aus den Laserstrahlen heraus. In meinem Kopf hörte ich immerzu diese Uhr ticken, die das Zeitlimit von drei Minuten bekannt gab, und das stoppte nicht einmal, als ich schließlich schwer atmend mit der Minibombe außerhalb des Lasergeflechts stand. Meine Kleidung war an mehreren Stellen verkohlt, meine Haut aufgeschürft und von Brandwunden geziert; ich fühlte mich entkräftet und nur das stetige Ticken in meinem Kopf brachte mich dazu, mich wieder in Bewegung zu setzen. Gaara war in die Mitte des Raums getreten und hatte sich vor Kim aufgebaut. Stoisch ruhig musterte er sie, nahm das panische Zittern ihrer Muskeln und ihre schreckgeweiteten Augen in sich auf. Normalerweise gefiel es ihm, einen Menschen derartig hilflos und ausgeliefert zu sehen, doch jetzt schien er geradezu gelangweilt zu sein, als er den rechten Arm hob und seinen Sand in der Luft versammelte. „Nein! Lass sie in Ruhe!“ Mit einem Aufschrei warf ich mich zwischen Gaara und den Stuhl, der Kim allmählich ernsthafte Schmerzen bereiten musste. Die Bilder von Rachels misshandelter, blutüberströmter Leiche zuckten wieder durch mein Unterbewusstsein und ich bekam Panik. Er durfte das nicht auch noch mit Kim machen, das würde ich nicht aushalten. „Hände weg von ihr, sofort! Ich warne dich! Ich jag dich in die Luft, wenn du ihr wehtust!“, kreischte ich und breitete beschützend die Arme aus, den Sprengsatz fest umklammert. Ich verstand nicht, warum er Kim überhaupt töten wollte. Hatte er etwa mitbekommen, was der Zigarettenkerl mir befohlen hatte? Der Sand vermehrte sich und Gaara richtete seine kalten Augen nun auf mich. Es jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken, wie hasserfüllt er mich anstarrte, und es war mit Händen zu greifen, dass sich in seinem Kopf gerade einige blutrünstige Mordfantasien im Zusammenhang mit mir abspielten. Er hielt sich nicht mehr zurück wie all die Zeit über; jetzt durfte ich sein wahres Ich erleben. „Ich hab dir gesagt, dass du für deine Aktion da draußen bezahlen musst. Jetzt geh aus dem Weg, oder du stirbst mit ihr.“ Er klang kühl und nüchtern und vor allem desinteressiert. Mein Leben und das meiner besten Freundin waren ihm gleichgültig, egal, was wir alles zusammen durchgemacht hatten. Das tat weh. Ich schüttelte den Kopf und trat einen Schritt auf ihn zu. „Nein, das musst du nicht! Wirklich, es tut mir doch leid, und es hat dir doch auch gar nicht wehgetan, also … Bitte, wenn wir nicht gleich etwas unternehmen, stirbt sie sowieso wegen diesem Apparat! Ich mach’s auch nie wieder!“ „Du verlierst den Respekt vor mir, wenn ich das jetzt nicht mache“, sagte er grimmig und streckte einen Arm aus. Ich wich reflexartig zurück und stolperte dabei über meine eigenen Beine, die immer weicher wurden. Ich wusste nicht mehr weiter, ich konnte doch nicht zulassen, dass Kim starb! Warum nur sprang ich nicht nach vorne, befestigte den Sprengsatz an Gaara und ließ ihn so in die Luft jagen? Es wäre so einfach, doch ich konnte es nicht. Hinter mir erklang ein unterdrückter Schrei und ich fuhr wie elektrisiert herum. Es mussten wohl schon an die zwei Minuten vergangen sein und das war deutlich zu erkennen: Kim war völlig verkrampft, hatte den Kopf in die Höhe gereckt und den Mund so weit wie möglich geöffnet. Dennoch schoben sich die beiden Eisenplatten noch immer auseinander und langsam begann ihr Zahnfleisch zu bluten. Noch ein bisschen weiter und ihre Kiefer wären gebrochen. Ich rang krampfhaft nach Atem und spürte, wie die Welle von Angst, Hilflosigkeit und Panik sich immer höher aufbaute, bis sie mich unter sich zu begraben drohte. Mir war heiß und ich hasste mich selbst dafür, dass ich zugelassen hatte, dass es so weit kam. Da tat ich etwas sehr Dummes: Ich warf den Sprengsatz weg, so weit ich konnte, und präsentierte Gaara dann meine leeren Hände. Mein ganzer Körper zitterte und ich hatte kaum mehr Kontrolle über meine Zunge, doch irgendwie brachte ich die Worte über meine Lippen. „Hier, ich bin total unbewaffnet! Du hast doch mitgekriegt, was die Leute von mir wollten, sonst wärst du nicht so wütend geworden, also jetzt sieh mich an! Ich spreng dich nicht in die Luft, ich verrate dich nicht! Du kannst mir vertrauen, kapiert? Bitte … bitte, jetzt hilf mir! Hol Kim da raus, ich bitte dich!“ Für den Bruchteil einer Sekunde schienen seine Gesichtszüge zu entgleisen und ließen Verwirrung erkennen, doch gleich darauf hatte seine Maske der Unantastbarkeit wieder die Oberhand. Er runzelte die brauenlose Stirn und musterte mich eingehend mit diesen stechend scharfen Augen, die meinen Puls rasen ließen. Ich hatte alles in seine Hände gelegt – das Leben meiner besten Freundin, mein eigenes, das Schicksal vieler unschuldiger Menschen. Er brauchte nicht nachzudenken; ruckartig hob er seinen Arm und der Sand ging auf Kim los. Ich hörte sie schreien und schlug beide Hände vor mein Gesicht. Das war’s, ich hatte meine Freundin umbringen lassen. Jetzt brauchte ich nur noch darauf zu warten, dass er auch meinen Körper in Fetzen riss, dann war zumindest alles vorbei. Immer noch besser, als weiterhin für das Leben vieler Menschen verantwortlich zu sein. Es lag garantiert an meiner Todesangst, dass ich zu halluzinieren begann und mir einbildete, ihre Stimme noch ein letztes Mal zu hören. „Scheiße … Das war echt in letzter Sekunde … Schatz, sag mal, hättest du deinem Freund nicht etwas mehr vertrauen können?! Beinah geh ich drauf, weil du so ein Geschiss machst!“, hörte ich ihre etwas mitgenommene und dennoch schneidende Stimme keuchen. Ich schluckte; es tat weh, wie real sich diese Halluzination anfühlte. Langsam wandte ich mich um, um zumindest einen letzten Blick auf meine tote Freundin erhaschen zu können. Ich wollte nicht, dass das Letzte, das ich vor meinem Tod – zweifellos würde ich in wenigen Augenblicken von Gaara zerfetzt werden – wahrnahm, eine Halluzination war. Und da saß Kim auf den Überresten des halb zerstörten Stuhls. Sie zitterte wie Espenlaub, hatte beide Arme verkrampft um den Oberkörper geschlungen und noch immer rannen Tränen ihre Wangen hinab, doch sie lebte. Statt ihrer selbst war die tödliche Apparatur am Stuhl das Ziel von Gaaras Angriff gewesen. Ungläubig riss ich den Kopf erneut herum und starrte auf Gaara, der gelassen neben mir stand, den Blick auf einen undefinierbaren Punkt an der Decke gerichtet und den Sand locker um sich herum versammelt. Keine Spur von Menschlichkeit in seinen gefrorenen Augen und dennoch … Er hatte meine Freundin gerettet. „Lass dir das eine Lehre sein, Slave“, sagte er leise und warf mir aus den Augenwinkeln einen kurzen, bedrohlichen Blick zu. „Ich bin jederzeit in der Lage, dir das Leben zu nehmen. In jeder Hinsicht.“ Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen, doch waren meine Beine zu zittrig und meine Gedanken zu sehr aufs nackte Überleben fixiert. Darum begnügte ich mich mit einem ernsten Nicken und wandte mich dann wieder an Kim. „Wir müssen hier raus, so schnell es geht. Kannst du laufen, oder soll ich dich huckepack nehmen?“, erkundigte ich mich und streckte ihr meine Hand hin. Glücklicherweise schien sie nicht unter akutem Schock zu stehen; mit einem Kopfschütteln ergriff sie meine Hand und ließ sich von dem Stuhl hochziehen, der beinahe ihr Grab geworden wäre. Sie sah absolut Mitleid erregend aus: Ihre Haut war leichenblass, die Augen krampfhaft weit geöffnet und von tiefschwarzen Ringen untermalt, ihre Hände zitterten wie bei einem Alkoholabhängigem auf Entzug doch das alles hinderte sie nicht an einer gewohnt provokanten Aussage. „Ich darf doch wohl davon ausgehen, dass du mir die Scheiße hier erklärst, oder? Zum Beispiel, wieso dein Freund heißer ist als meiner, das ist ja wohl eine totale Frechheit.“ Nur ein leichtes Beben in ihrer Stimme verriet, wie fertig sie eigentlich war. Kim wäre nun mal nicht Kim, hätte sie nicht in jeder Situation noch Kraft für einen kecken Spruch. Ich verdrehte die Augen und zerrte sie hinter mich. Mit meiner anderen Hand hatte ich bereits eine meiner Pistolen gezückt und warf einen fragenden Blick auf Gaara. Der Deal mit der CIA war geplatzt, also konnten wir uns wohl auf einen Showdown gefasst machen. Da knackte auch schon wieder der Lautsprecher und ich baute mich reflexartig vor Kim auf, obwohl mein körperlicher Zustand auch nur wenig besser als ihrer war. „Wirklich schade, dass wir uns nicht friedlich einigen können“, hallte die schmierige Stimme von Mr. Kettenraucher durch den Raum. „Unter diesen Umständen bin ich leider gezwungen, mir gewaltsam das anzueignen, das mir rechtmäßig zusteht. Jungs, Zugriff, jetzt sofort!“ Eine peinliche Stille legte sich über die Halle und ich konnte nur mühevoll dem Bedürfnis widerstehen, in meinem allerschönsten Highschool-Slang einmal „Brett!“ zu sagen. Ich wusste zwar nicht, warum der geplante Zugriff nicht erfolgte, doch hätte ich einiges dafür gegeben, jetzt sein entgeistertes Gesicht zu sehen. Schließlich trat Gaara einige Schritte vorwärts und hob seufzend den Blick zu der kleinen Kameralinse, die uns von der Decke des Raums beobachtete. „Nur fünfundzwanzig Mann auf eine solche Mission zu schicken, war ein Fehler. Sie waren so erbärmlich, dass es nicht mal viel Spaß gemacht hat, sie zu eliminieren“, sagte er nüchtern. Falls es je eine Meisterschaft für Schadenfreude und Genugtuung geben sollte, war ihm der allerletzte Platz sicher. Wieder war es kurz still und ich atmete innerlich aus. Das hieß wohl, dass wir nicht noch mal kämpfen mussten, und dafür war ich dankbar. Gaara hatte wirklich gute Vorarbeit geleistet. „Wenn das so ist … bleibt mir wohl nur noch eins zu sagen…“ Kettenraucher räusperte sich kurz. „Byebye und noch viel Spaß dabei, euch von einer Ladung C4 in die Luft jagen zu lassen. Das ist zwar die allerletzte Lösung, aber lieber ein toter Mutant als ein mordender, nicht wahr? Also dann, genießt die letzten Minuten eures Lebens, bis der ganze Laden hier in die Luft fliegt.“ Es piepste und dann wurde unbarmherzig weiteres Piepsen im Sekundentakt vom Lautsprecher in unseren Teil der Halle übertragen. Das musste die Zeitschaltuhr des Sprengsatzes sein, mit dem Mr. Kettenraucher uns jetzt alle auf die schnelle Art aus dem Weg räumen würde. Gaara reagierte am schnellsten; sein Sand schlug ein weiteres Loch in die Wand und dahinter kam ein gewundener Treppenaufgang in ein höheres Stockwerk zum Vorschein. Grob sah er sich um und musterte Kim und mich verächtlich. „Rennt oder sterbt.“ Und mit diesen äußerst charmanten Worten lief er so geschmeidig und schnell zu dem Treppenaufgang, dass ich nicht einmal erkennen konnte, wie seine Füße den Boden berührten. Hastig folgte ich ihm und spürte dabei das erste Mal die vielen Brandwunden, die die Laser mir zugefügt hatten. Es fühlte sich an, als wäre ich in einen Brennnesselbusch gefallen, doch hinderte es mich nicht daran, um mein Leben zu laufen. Mechanisch setzte ich einen Fuß vor den anderen, stolperte hinter Gaara die steile Treppe hinauf und zerrte Kim dabei hinter mir her. Im oberen Stockwerk nahm Gaara sofort eine luftdicht verschlossene Panzertür ins Visier und zertrümmerte sie mit seinem Sand. Staub und kleine Stahlbrocken wirbelten durch die Luft – falls ich etwas davon abbekam, war mein Körper gegen den Schmerz bereits abgehärtet. „Mitkommen! Hinter mir bleiben!“, kommandierte Gaara im Telegrammstil und schoss regelrecht in den Raum. Es musste ihn wahnsinnig machen, durch diese Bombe derartig bedroht zu sein; unsere einzige Chance war, den Sprengsatz rechtzeitig zu finden. Mit letzter Kraft stolperte ich ihm nach und blieb dann nach Atem ringend im Türrahmen stehen. Mir war bereits flimmerig vor Augen und ich wusste, dass ich mein Limit erreicht hatte. Weiter konnte ich nicht laufen. Langsam hob ich den Kopf und versuchte mich in dem Raum zurechtzufinden. Gaara stand wenige Meter vor mir, die Arme kampfbereit zu beiden Seiten des Körpers postiert und den Blick auf einen Punkt in der hinteren Ecke des Zimmers gerichtet. Dort standen einige hohe Aktenschränke und erst bei näherem Hinsehen erkannte ich eine kleine Gestalt, die sich neben den Schränken zusammengekauert hatte. „Bitte … nicht angreifen!“, stammelte die Person leise und mit abgehackter Stimme. Sie klang männlich und schon relativ alt – auf jeden Fall war es nicht Mr. Kettenraucher. Gaara sammelte den Sand um sich herum und kniff die Augen abschätzend zusammen. Ihm lief die Zeit davon und das wusste er nur zu gut. „Der Laden hier fliegt uns gleich um die Ohren, also nenn mir einen Grund, warum ich das nicht tun sollte“, knurrte er angriffslustig und reckte seine Finger etwas. Die Gestalt richtete sich ein Stück weit auf und kam langsam aus seiner Ecke gekrochen, die Körperhaltung allerdings noch immer gebeugt und den Kopf geradezu unterwürfig gesenkt. Er hob seine knochige Hand und fuhr sich einmal nervös durch das schüttere, hellgraue Haar; dann sah er vorsichtig auf und legte den Kopf zugleich mit fast kindlicher Naivität schief. „Weil … weil ich Kekse für dich gebacken habe…“ Come to the dark side – We have cookies!, war alles, was mir zu diesem absolut unpassenden Satz einfiel. Ich glaubte, im falschen Film zu sein, und Gaara ging es wohl nicht anders. Er ließ die Hände sinken und musterte den Mann vor sich mit einer Mischung aus Verwirrung und lauernder Vorsicht. Der Alte nickte eifrig und rieb sich etwas unsicher die Hände. Er blickte zu Boden und riskierte nur alle paar Sekunden einen ehrfürchtigen Blick hoch zu Gaara. Wer auch immer er war, als zurechnungsfähig war er wohl kaum zu bezeichnen. „I-Ich … ich bin Professor Mercury … E-es ist eine solche Ehre … dich endlich wieder zu sehen … Gaara-sama“, stammelte er und kam zögerlich einen Schritt näher. „D-Du musst nicht misstrauisch sein … Ich weiß, wo die B-Bombe ist … ich kann sie entschärfen … a-aber nur, wenn du mir dann z-zuhörst und t-tust, was ich dir sage…“ Gaara hob eine seiner nicht vorhandenen Augenbrauen und blieb weiterhin auf Abstand. Ihm schien dieser seltsame alte Mann nicht gerade geheuer zu sein und so blieb er vorsichtig. „Was wollen Sie von mir?“, fragte er scharf. „Dir helfen…“ Professor Mercury lächelte schüchtern, verlor seine unruhige Körperhaltung dabei aber noch immer nicht. „I-Ich kann dich na-nach Hause bringen … d-das ist sogar u-unbedingt notwendig…“ Jetzt hatte er Gaaras volle Aufmerksamkeit geweckt, das erkannte ich am Zucken seiner Jadeaugen. „Wie wollen Sie das anstellen?“ Seine Stimme klang unnachgiebig hart, doch auch Neugierde schwang mit. „Ich erkläre es dir g-gleich … Lass mich e-erst die B-Bombe abschalten … nicht, dass s-sie dich noch verletzt…“ In einem merkwürdig watschelnden Gang drängte der Professor sich an Gaara vorbei und holte einen rechteckigen Kasten aus einem der Schränke. Ich konnte die leuchtend roten Ziffern auf der Anzeigetafel erkennen, die den Countdown anzeigten, und atmete erleichtert aus, als der Professor die Zeitschaltuhr mit einem Knopf anhielt. Fünfzig Sekunden später und wir hätten unsere Knochen einzeln zusammensammeln können. So verrückt dieser Professor auch war, er schien tatsächlich auf unserer Seite zu stehen. „S-so, das wäre erledigt…“, murmelte Mr. Mercury und wandte sich wieder an Gaara, den Oberkörper leicht gebeugt, als wolle er sich jeden Moment auf die Knie werfen. Gaara blieb jedoch misstrauisch und dachte nicht daran, seine Verteidigung aus Sand auch nur einen Zentimeter weichen zu lassen. „Woher soll ich wissen, dass das hier nicht nur ein Hinterhalt ist, um mich zu überrumpeln?“ Ruckartig hob Mercury den Kopf und starrte ihn regelrecht entsetzt an. „Wie könnte ich das jemals tun! Ich verehre dich! Du bist die Erfüllung meiner Träume – alles, für das ich je gelebt und geforscht habe!“, rief er enthusiastisch und trat auf der Stelle. Er schien keine zwei Sekunden still stehen zu können, ohne sich irgendwie zu bewegen. Gaara sah ihn fordernd an und Mercury verstand, dass er fortfahren sollte. „Nun ja … du kannst dich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern, aber vor einigen Tagen in der CIA-Zentrale, da war ich es, der hauptsächlich für die Forschungen an dir verantwortlich war …“ Ich zuckte zusammen und auf einen Schlag hatte ich wieder genug Kraft, einen Schritt vorwärts zu machen und meine Pistole auf Mercury zu richten. „Sie waren das Schwein, das solange an ihm herumexperimentiert hat, bis sein Dämon zum Vorschein gekommen ist?!“, entfuhr es mir und meine Stimme bebte vor Wut. Niemals würde ich vergessen, wie sehr Gaara an jenem Tag gelitten hatte, und obwohl er es verdient hatte, hegte ich Zorn gegen die Verantwortlichen. Er war immer noch ein Lebewesen, ob nun Mutant oder nicht, er hatte dennoch dieselben Menschenrechte wie jeder andere auch! Der Professor wich zurück wie eine verschreckte Maus, die eine Katze erblickt hatte, und krachte lautstark an den Schrank hinter sich. „Das war nie meine Idee! Das war eine Anweisung von ganz oben! Ich wollte das gar nicht tun! Ich wollte ihn doch nur erforschen, davon hatte ich doch mein ganzes Leben lang geträumt! Ein Mutant aus einem Paralleluniversum – das ist wie Weihnachten und Ostern an einem Tag!“ „Mir doch egal, wann Sie Weihnachten feiern! Auf jeden Fall werden Sie das bereuen!“, fuhr ich ihn an und entsicherte die Pistole. „Slave, stopp. Er ist eine Informationsquelle.“ Gaara klang todernst, also blieb mir nichts anderes übrig, als die Pistole zumindest ein kleines Stück zu senken. Ich warf ihm aus den Augenwinkeln einen finsteren Blick zu und presste die Kiefer mühsam beherrscht aufeinander. „Warum denn das jetzt wieder?! Der Kerl hat dich gequält!“ „Hey, Yuka, dein Freund in allen Ehren, aber nimm das Ding runter! Das ist doch krank!“, mischte Kim sich von hinten ein und ich hätte sie am liebsten bewusstlos geschlagen. „Er! Ist! Nicht! Mein! Freund!“, rief ich schrill. „Und halt dich gefälligst aus Dingen raus, von denen du keine Ahnung hast!“ „A-alles, was ich wollte, wa-war doch nur, e-eine noch unbekannte Lebensform zu erforschen … darauf hab ich mein Leben lang hingearbeitet … nie hat mir jemand geglaubt, da-dass es Paralleluniversen geben kann, a-aber Gaara ist der lebende Beweis…“ Professor Mercury klang zwar verängstigt, doch in seiner Stimme lag ein fester Unterton, der mir verriet, dass ihm Gaaras Entdeckung tatsächlich sehr viel bedeutete. Er räusperte sich und trat dann äußerst zaghaft einen Schritt nach vorne, den Blick ängstlich auf meine Pistole gerichtet. „Bi-bitte nimm das Ding runter … Mein Vorgesetzter ist geflüchtet und ich habe nicht vor, euch zu schaden. Ich möchte euch nur helfen, Gaara-sama zurück in seine Welt zu bringen. Wenn wir das ni-nicht tun, könnte nämlich da-das ganze Gefüge unserer Welten ins Schwanken geraten … G-glaubt mir ich könnte Gaara-sama nie etwas antun...“ Gaara warf mir einen viel sagenden Blick zu und so blieb mir nichts anderes übrig, als die Pistole wegzustecken. Möglicherweise konnte dieser merkwürdige Professor uns ja wirklich helfen. „In Ordnung. Wie kann ich nach Suna-Gakure zurückkehren?“, fragte Gaara und ich konnte die Augen des Professors vor Entzücken auffunkeln sehen, als er so direkt angesprochen wurde. „Das ist a-alles kein Problem! Nach den Untersuchungen an dir k-konnte ich eine fast völlig ausgereifte Technik entwickeln, die Portale zu öffnen! Es war alles schon immer so logisch, doch deine Entdeckung hat meinen Forschungen das fehlende Stückchen gegeben!“ Mit kindlicher Begeisterung machte Professor Mercury sich an den vielen Schränken zu schaffen und kramte in Bergen von Papier und Akten herum. Offenbar war er schon länger hier, um seine Forschungen fortzusetzen. „Entschuldigt bitte das Chaos; mein Vorgesetzter – dieser unhöfliche Bengel, der sich selbst mit den ganzen Zigaretten umbringt – hat mich hierher versetzt, seit Gaara-sama entkommen ist. Er hält mich für verrückt, dieses unwissende Früchtchen!“, empörte er sich zwischen zwei weiteren Akten, die er einfach zu Boden warf. Kim seufzte und hakte sich mit einem schiefen Grinsen bei mir unter. „Ja, wie der Kerl nur auf diese abwegige Idee kommt?!“ Mercury ignorierte diese Provokation und hetzte zu einem anderen Schrank, aus dem er einen Teller voll Schokoladenkekse holte. „Ach ja, hier sind die Kekse für dich, Gaara-sama! Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, habe ich davon geträumt, dir etwas zu backen und … Dürfte ich dir vielleicht einmal die Hand schütteln? Ganz kurz nur, das war während der Forschungen in der CIA-Zentrale nämlich nicht erlaubt…“ Zaghaft und wie üblich mit gesenktem Haupt hielt er Gaara den Teller hin. Ein Blick in dessen versteinertes Gesicht war Antwort genug. Rasch nahm ich dem Professor die Kekse ab, bevor Gaara das arme Gebäck zerstören konnte. „Wissen Sie, das ist keine besonders gute Idee. Aber ich nehme die Kekse gern und Kim bestimmt auch, nicht wahr?“, lenkte ich ab und drängte Mercury mit der anderen Hand wieder zu seinen Schränken. Jeder andere hätte sich von so viel Bewunderung geschmeichelt gefühlt, doch Gaara machte eher den Eindruck, den armen Professor am liebsten wie eine Kakerlake zerquetschen zu wollen. Ich konzentrierte mich darauf, zusammen mit Kim über die Kekse herzufallen, damit zumindest Mercurys Backkunst nicht umsonst gewesen war. Es war schon einige Zeit her, dass ich das letzte Mal etwas Richtiges gegessen hatte und Kim ging es nicht anders, aber ich musste zugeben, dass die Kekse wirklich gut waren. „Echt lecker“, sagte auch Kim und leckte sich kurz über die spröden Lippen. Normalerweise verabscheute sie Süßigkeiten, weil sie schlecht für die Figur waren, aber nach vierundzwanzig Stunden Entführung machte selbst sie eine Ausnahme. „Aber sag mal, Yuka, kannst du mir jetzt vielleicht mal erklären, was genau hier abgeht? Dein Freund ist echt ein Mutant aus einem Paralleluniversum? Und wo hast du die Klamotten her? Sieht ja echt scharf aus und die Pistolen sehen sogar aus wie echt!“ „Liegt vielleicht daran, dass sie auch echt sind“, murmelte ich mit vollem Mund und ignorierte, dass Kim ihren Keks fallen ließ. „Ist’n Witz! Du ballerst echt mit den Dingern rum? Und das alles nur für deinen Freund? Mann, muss Liebe schön sein!“ „Wenn wir hier raus sind, hau ich dir eine rein. Aber so richtig!“, knurrte ich leise. „Er ist mein Kidnapper, da besteht verdammt noch mal ein klitzekleiner Unterschied!“ Professor Mercury hinderte uns an einer Fortsetzung der Diskussion: Er riss eine Akte aus dem Schrank und fuhr dann schwungvoll wieder zu uns herum. „Hier ist, was ich gesucht habe! Die Akte mit allen Daten über Gaara-sama und mit all meinen Forschungsergebnissen! Und hier ist das Gerät, das ich entwickelt habe! Es ist noch nie getestet worden und ich kann für nichts garantieren, aber wenn meine Berechnungen stimmen, kann man damit die Portale öffnen!“, verkündete er und zog noch einen weiteren Gegenstand aus dem Schrank. Das Gerät war nicht größer als eine Faust und pechschwarz mit einigen grellbunten Streifen, unter denen man diverse Drähte, die sich durch das Innenleben zogen, erkennen konnte. Auf verblüffende Art und Weise hatte es Ähnlichkeit mit einem USB-Stick – im Riesenformat, versteht sich. Gaara betrachtete den Gegenstand misstrauisch und an seinem puren Blick war schon zu erkennen, wie wenig er dem Gerät traute. Er machte sich nicht mal die Mühe, es in die Hand zu nehmen. „Beweis mir, dass das funktioniert und nicht nur ein Hinterhalt ist“, verlangte er hart. Überraschenderweise reagierte Mercury nicht einmal betrübt über dieses offene Misstrauen, sondern lächelte zurückhaltend und blätterte ein wenig in der Akte herum. „Vielleicht, weil ich durch meine Forschungen auch erfahren konnte, dass du zwei ältere Geschwister hast? Einen Bruder und eine Schwester, richtig?“ Dem Zucken von Gaaras Muskeln zufolge lag er damit vollkommen richtig und ich musste unwillkürlich schlucken. Es fiel mir schwer, mir Gaara zusammen mit Geschwistern vorzustellen, die womöglich Ähnliches wie er hatten durchmachen müssen. „Außerdem konnte ich auch etwas über die Portale zwischen unseren zwei Welten herausfinden“, fuhr Mercury zwar leise doch ungewohnt selbstsicher fort. Wenn es um seine Arbeit ging, schien er genau zu wissen, wovon er sprach. „Dein Körper ist zwar von Natur aus anders aufgebaut als unserer, aber er hat eine kleine Änderung durchgemacht, als du die Portale passiert hast. Es scheint, als wäre der menschliche Körper in unserem Universum verletzlicher als in deinem. Folglich heilen Wunden beispielsweise in deiner Heimat schneller, als bei uns, und der Körper ist allgemein leistungsfähiger. Soll ich noch erzählen, was ich alles über deinen Dämon und das, was ihr Chakra nennt, herausgefunden habe, oder genügt das?“ Kim und mir war längst die Spucke weggeblieben und auch Gaara schwieg, die Stirn ungläubig in Falten gelegt. Professor Mercury atmete tief aus; dann begann er zu strahlen und hielt Gaara das schwarze Gerät hin. „Vertrau mir einfach! Ich habe so viel Zeit in meine Forschungen investiert und außerdem würde ich es nie übers Herz bringen, dich – die Krönung der Schöpfung – in Gefahr zu bringen! Es funktioniert sicherlich!“ Sein Enthusiasmus war fast schon ansteckend, nur nicht für Kim. „Hey, jetzt mal schön auf dem Teppich bleiben, Alter!“, widersprach sie und funkelte ihn todernst an. „Die Krönung der Schöpfung ist immer noch Johnny Depp, klar soweit?“ Ich griff mir stöhnend mit einer Hand an die Stirn, während der Professor nur weiterstrahlte und sich nicht aus dem Konzept bringen ließ. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er nicht mal gewusst hätte, wer Johnny Depp überhaupt war. Gaara seufzte leise und holte den Sand zurück in seine Vase. „In Ordnung, ich werde es ausprobieren. Die Chancen scheinen gut zu stehen“, lenkte er ein und nahm das Gerät an sich. Somit war er am Ziel seiner Wünsche. Er hielt die Fahrkarte in seine Heimat in seiner Hand und ich würde in absehbarer Zeit wieder frei von ihm sein. Sollte es wirklich so einfach sein? Für Mercury schien der Fall damit erledigt zu sein; er schlug die Hände entzückt vor den Mund und schien wunschlos glücklich zu sein, seine Forschungen so beendet zu haben. „Das ist der schönste Tag in meinem Leben!“, rief er atemlos aus und legte die Akte beiseite. „Damit habe ich alles erreicht, was ich je schaffen wollte! Die Existenz von Paralleluniversen ist bewiesen und ich habe Übermenschliches erforscht! Jetzt kann ich glücklich sterben, selbst, wenn die CIA mich dafür töten wird! Jetzt brauch ich einen Keks!“ Meine Freiheit war zum Greifen nah. Kapitel 12: Beinah-Happy End ---------------------------- „Versteh ich das also richtig? Wenn Gaara nicht schnellstmöglich zurück in seine Dimension kommt, könnte das Gefüge beider Paralleluniversen außer Kontrolle geraten und sie würden anfangen, sich miteinander zu vermischen?“ „Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit“, sagte Professor Mercury zwischen seinem geschätzt achten und neunten Keks. „Nur wollen die hohen Tiere in unserer Branche das einfach nicht einsehen und wollen ihn unbedingt hier behalten, um weiter über die Mutation seiner Gene zu forschen. Du verstehst wohl, dass ich das nicht zulassen kann, auch wenn es mich das Leben kosten könnte.“ Ich nickte gedankenverloren. Es fiel mir schwer zu glauben, dass die Vereinigten Staaten tatsächlich schon seit geraumer Zeit Forschungen bezüglich Paralleluniversen betrieben und damit sogar so weit gekommen waren. Gaaras Anwesenheit war für deutlich mehr Leute als nur mich eine Bedrohung. Gaara schob seinen Stuhl zurück und erhob sich in einer flüssigen Bewegung. „Dann wissen wir jetzt alles, was wir brauchen. Wir gehen“, bestimmte er und ich seufzte über diesen gewohnt harschen Befehl. „Und wohin? Du wirst überall gesucht, schon vergessen?“ Seine Antwort war ein kühler Blick, der mir deutlich zu verstehen gab, wie er mit diversen Behinderungen umgehen wollte. Professor Mercury schüttelte energisch den Kopf. „Stell dir das nicht zu einfach vor, Gaara-sama! In der Zwischenzeit ist garantiert Verstärkung eingetroffen, die das Gebäude umstellt hat.“ „Da muss schon mehr kommen, damit dieser Kerl nervös wird. Ist doch n Klacks für deinen Freund, nicht, Yuka-Schatzi?“, grinste Kim und wedelte provokant mit einem Keks in meine Richtung. Ich presste die Kiefer aufeinander, bis es schmerzte. Das war die einzige Möglichkeit, mich davon abzuhalten, ihr auf der Stelle an die Gurgel zu gehen. „Wir kriegen das schon auf die Reihe“, sagte ich so energisch, dass nicht einmal Kim überhören konnte, dass ich das Thema damit beendete. Ich schob mir den letzten Keks in den Mund, stand dann auf und folgte Gaara, der bereits die Tür des kleinen Labors geöffnet hatte und hinaus auf den Flur getreten war. Es war noch dunkler geworden und das schummrige Licht der wenigen Glühbirnen an der Decke flackerte unheimlich an den halb verrotteten Wänden. Unwillkürlich hielt ich mich ein paar Schritte näher an Gaara, als für gewöhnlich. Er übersah diese Tatsache geflissentlich und lief mit energischen Schritten den Gang entlang, in Richtung einer mit Graffiti verschmierten Panzertür. „Bleibt alle hinter mir. Ich werde eure zermatschten Leichen nicht vom Boden aufkratzen, also bleibt in Deckung.“ Seine Stimme war schneidend scharf und ließ mich schlucken. Auch Kim und Professor Mercury waren sofort auf den Beinen und folgten uns den unübersichtlichen Flur entlang. Es wunderte mich, dass auch der Professor mitkam, und so wandte ich leicht den Kopf nach hinten. „Was haben Sie jetzt eigentlich vor, Mercury? Sie stehen auch auf der Abschussliste der CIA, oder nicht?“, wisperte ich. Der Professor ließ den Kopf seufzend sinken und nickte. „Ich werde flüchten, einen anderen Namen annehmen und mich nach Mexiko oder so absetzen. Meine Forschungen habe ich beendet, also kann ich mir einen geruhsamen Lebensabend machen…“ „Ruhe!“ Gaara sprach kaum lauter als Mercury und doch hatten seine Worte dieselbe Wirkung wie ein Rasiermesser, das rasend schnell über die Brandwunden an meiner Haut glitt. Sofort richtete ich meinen Blick wieder nach vorne und biss mir auf die Lippen. Ich hasste es, wenn er seine Machtposition derart ausspielte, doch war mir das allemal lieber, als von ein paar CIA-Agenten umgebracht zu werden. Geschmeidig blieb Gaara vor der Panzertür stehen und verharrte einige Sekunden lang ohne die kleinste Bewegung. Ich sah, wie er feinen Sand unter der Tür hindurch gleiten ließ und verstand sofort. Er überprüfte erst mit seinem dritten Auge aus Sand die Umgebung, bevor er weiterging. Anscheinend war diese Technik noch zu etwas anderem gut, als unschuldige Mädchen unter der Dusche zu beobachten. Schließlich nickte er kaum sichtbar und zog den Korken von seiner Vase. „Slave, du kommst mit. Die zwei anderen warten hier“, knurrte er leise und ich musste schlucken. Meine Finger zitterten, als ich mechanisch nach den Pistolen griff und mich dann neben Gaara aufbaute. „Kim, drück mir bitte die Daumen“, murmelte ich verhalten. Das waren sicher nicht die großen Worte, wie sie in Ocean’s Eleven oder Rush Hour vor einer gefährlichen Mission fielen, doch ich hatte das Bedürfnis, noch einmal mit meiner besten Freundin zu sprechen, bevor ich Dinge tun würde, zu denen die alte Yuka Ashihira nie imstande gewesen wäre. „Hätte ich ’ne Bazooka, würde ich dir liebend gern helfen.“ Zwar konnte ich ihr Gesicht nicht sehen, doch ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie ihr zierliches Gesicht bei diesen krampfhaft lockeren Worten strahlte. Das war alles, was ich brauchte, bevor ich die Tür aufschob und all meine Menschlichkeit zurückließ, so wie Gaara es von mir erwartete. Draußen auf dem Balkon schnürte es mir mit unbarmherziger Gewalt die Luft ab; die ganze Umgebung war erfüllt mit Rauch, dem Gestank von verbranntem Metall und Sand. Das Dröhnen tausender Schüsse hämmerte in meinen Ohren, als wolle es meinen Kopf zum Platzen bringen, und ich konnte kaum mehr etwas wahrnehmen. Überall war nur Schmutz, Lärm und Zerstörung. Von sämtlichen umliegenden Häuserdächern hagelten die Schüsse auf den Balkon nieder und überall wimmelte es von SWAT-Agenten. „Beweg dich!“, zischte Gaara, ehe er im Getümmel verschwand. Mein Kopf begann zu schmerzen, doch ich lief mechanisch los. Das Szenario kam mir merkwürdig bekannt vor – der Geruch von Blut, das Beben von Adrenalin in meinen Venen und die fehlende Angst. Ich empfand keine Furcht, nicht einmal Unsicherheit, sondern lediglich Verlangen. Das Verlangen zu leben. Was wäre falsch daran, dieses Massaker zu unterstützen? Ich erinnerte mich noch an diesen letzten Gedanken, ab diesem Zeitpunkt verschwamm die Erinnerung an das Geschehene. Ich wusste noch, ich hatte die Pistolen entsichert, ich hatte Gaara die Standpunkte der Scharfschützen auf den umliegenden Dächern zugerufen und dann … dann hatte ich gemalt. Ein furchtbar groteskes, abscheuliches Bild aus scharlachrotem Blut, porzellanfarbenem Menschenfleisch und rabenschwarzer Kleidung. Ich will nicht behaupten, in irgendeiner Weise Gefallen daran gefunden zu haben, doch ich hatte mich nicht kontrollieren können. Irgendwo steckt in jedem Menschen der einzige Urinstinkt, der unsere Existenz wahrt: Überleben. Immer. Überall. Ohne Rücksicht. Ich hatte das mehrmals in der Schule gehört, aber nie realisieren können, wie sehr es ein Lebewesen vereinnahmen kann. Erst ein heftiger Schlag auf meinen Hinterkopf setzte meinen Verstand wieder in Bewegung. Alle anderen Treffer waren nicht zu mir durchgedrungen, doch dieser ließ endlich den Schmerz explodieren und ich schrie leise auf. Der Agent, der mir seine Pistole über den Schädel gezogen hatte, reagierte blitzschnell. Er griff nach meinen Handgelenken, entwaffnete mich und griff wieder an – ob mit seiner Faust oder seinem Bein konnte ich nicht erkennen. Ich spürte nur, wie der Schlag mir die Beine unter dem Körper wegriss und ich wie eine Puppe gegen das Balkongeländer taumelte. Das Eisen drückte sich an meinen Magen und ich glaubte fast, mich erbrechen zu müssen, doch dazu hatte ich zu wenig gegessen. „Du hast uns genug Ärger gemacht“, zischte die Stimme des Agenten dicht an meinem Ohr. Da wusste ich, dass mein Kampf vergebens gewesen war. Überlebensinstinkt hin oder her – ich war zu schwach. Gaara war hier irgendwo, doch er hatte zweifellos selbst genug zu tun, um sich um mich zu kümmern. Er hatte mich als Verstärkung geordert, also war er bereit gewesen, mich notfalls zu opfern. Ich konnte mich lediglich mit dem Gedanken trösten, dass meine Eltern in Sicherheit waren und Gaara bestimmt auch Kim und Professor Mercury retten würde. Also schloss ich die Augen und ließ meine Muskeln endgültig erschlaffen, während schroffe Hände meine Schultern packten und mich über das Geländer warfen. Und ich fiel. Ich sah den baufälligen Balkon an mir vorbeifliegen, spürte, wie mir das Blut meiner Opfer die Wange hinab rann und wusste, dass ich sterben würde. Ein Sturz aus diesen geschätzt achtundzwanzig Metern Höhe würde meinen Körper in die Konsistenz eines Rühreis verwandeln. „Gaara…“ Ich war mir nicht sicher, ob ich seinen Namen nur geflüstert oder laut hinausgeschrieen hatte, doch ich ärgerte mich darüber, dass es nun das Letzte sein würde, was ich in meinem Leben von mir gab. Wieso nur musste ich immerzu an ihn denken? Er war schuld daran, dass ich jetzt als Mörderin gebrandmarkt fiel. Und dann spürte ich diesen Druck an meiner Hand. Irgendetwas quetschte meine Haut dort zusammen, als wolle es meine Hand abreißen. Der Fall stoppte. Ich musste mich an einer herausstehenden Metallstange oder etwas Ähnlichem aufgehängt haben. Doch als ich die Augen öffnete, um den abscheulichen Anblick meiner Hand, durchbohrt von einem Stück Metall, an dem ich nun aufgehängt meinen Tod erwarten sollte, wahrzunehmen, war da kein neues Leid. Da stand mein Traum. Nicht mein Alptraum, sondern mein Traum. Fest und unerschütterlich wie ein Fels in der Brandung. „Wehe, du lässt jetzt los!“ presste er zwischen zusammengepressten Kiefern hervor und umklammerte mit seiner freien Hand das Geländer, während er mich mit der anderen vor dem tödlichen Fall bewahrte. Sein leichenblasses Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, die jadegrünen Augen leicht zusammengekniffen und der Sand schwebte unruhig um ihn herum in der Luft. Und es war still. Keine Schüsse, keine brutalen Angreifer oder Verderben und Leid mehr. Lediglich das Blut rauschte in meinen Ohren und ich spürte, wie ich das Bewusstsein zu verlieren drohte. Meine Muskeln waren zu schwach, um mich an seiner Hand festzuhalten und so ließ ich locker. Ich wollte nicht mehr denken, ich wollte jetzt fallen. Langsam, ganz langsam, wie in Zeitlupe, rutschte ich abwärts und er konnte gerade noch meine Fingerkuppen in seinem Klammergriff festhalten. „Yuka!“ Gaara schrie niemals; er hatte es überhaupt nicht nötig, seine raue Stimme lauter als unbedingt notwendig zu erheben und doch tat er es dieses eine Mal. Er schrie, als ginge es um sein eigenes Leben und hielt mich mit beiden Händen fest. Schlagartig war ich wieder voll bei Bewusstsein und riss die Augen auf. Das war mein Name, er hatte mich beim Namen gerufen. Zum allerersten und wahrscheinlich auch letzten Mal. Er war da, um mich zu retten, und er würde meinen Tod nicht zulassen. Das genügte, um meine Lebensgeister zum Leben zu erwecken; ich hielt mich an ihm fest und stützte meine Füße an der verdreckten Häuserfront ab. Mein Körper war schwach, doch mit Gaaras Hilfe gelang es mir, Halt an dem Balkongeländer zu finden und mit letzter Kraft darüber zu klettern. Kaum hatte ich wieder festen Boden unter den Füßen, trat Gaara einen Schritt zurück und ließ meine Hände los. Ich sank in die Hocke und sog hektisch Luft in meine Lungen. Glücklicherweise nahm Gaara mir das Sprechen ab. „Ich sagte doch, du sollst auf dich aufpassen“, knurrte er und ich bildete mir ein, einen Hauch Aufregung aus seiner Stimme heraushören zu können. Ich schluckte und sah langsam zu ihm auf. So direkt vor mir wirkte er noch größer und erhabener als je zuvor und ich kam nicht umhin, mir einzugestehen, dass ich froh war, ihn hier bei mir zu haben. „Hab ich … doch versucht…“, hauchte ich, um etwas Zeit zu gewinnen. Er warf mir einen strafenden Blick zu und ich zuckte leicht zusammen. „Es ist nicht sehr hilfreich, wenn du platt wie eine Flunder auf der Straße endest. Diesem irren Alten und der Blondine trau ich nicht über den Weg, also hast du bei mir zu bleiben. Und zwar halbwegs lebendig.“ Er schien nicht zu erwarten, dass ich zu einer klaren Antwort fähig war, und wandte sich stattdessen mit einer ruhigen Bewegung ab. Nie zuvor war er mir überlegener und unrealistischer vorgekommen; ich schluckte und hatte Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Womöglich lag es nur an meiner Schwäche und Verwirrung, doch paradoxerweise gelang es meinem Verstand nicht mehr, eine klare Trennungslinie zwischen ihm als eiskalten Killer und ihm als meinen Lebensretter zu ziehen. Nur eins wusste ich hundertprozentig: Wir waren in Sicherheit. Wirklich realisieren konnte ich dies allerdings erst eine knappe halbe Stunde später, als wir die baufällige Fabrikhalle verlassen hatten und uns am Rand des Festes, das sich seinem Ende näherte, einfanden. Mir tat zwar noch jeder einzige Muskel weh, doch langsam begann ich das Geschehene zu verarbeiten. Ich hatte der CIA in den Hintern getreten. Es bedurfte nichts weiter als zwei streitsüchtigen Junior Highschool Studentinnen, einem geistesgestörten Professor und einem Massenmörder, um den großartigen Nachrichtendienst der USA zu überlisten. Die Verabschiedung von Professor Mercury fiel kurz und auf seiner Seite äußerst tränenreich aus, doch mir lag eher die Tatsache im Magen, dass ich mich auch von Kim verabschieden musste. Sie war – so sehr sie es auch zu überspielen versuchte – ein Nervenbündel und ich hätte ihr zu gern beigestanden, doch das ging nicht. Zum Glück trug sie es mit Fassung. „Ich versteh schon, du willst noch ein bisschen Zeit allein mit deinem Freund“, lächelte sie und ich seufzte tief. Wenn Kim sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es schier unmöglich, sie von einer Ansicht wieder abzubringen. „Hau besser ab, bevor ich dir eine reinhaue“, sagte ich mit einer wegwerfenden Handbewegung. Kim lachte auf und schlug mir auf die Schulter. „Schon kapiert, Süße. Viel Spaß noch und … bevor ich’s vergesse…“ – sie kramte ein Stück Papier aus ihrer Hosentasche und hielt es mir hin – „Ein Brief von Matt, ist heute mit der Post gekommen. Der Kerl lässt aber auch wirklich viel zu selten was von sich hören! Aber na ja … Ich hab einen gut gemeinten Rat an dich: Les ihn erst, wenn du dich wieder halbwegs fit fühlst.“ Aufregung kam in mir auf und ich überging ihren letzten Satz. „Was? Echt von Matt?“, wiederholte ich lauter als gewollt und konnte fühlen, wie sich eine wohlige Wärme in mir ausbreitete. Es kam mir ewig lang entfernt vor, als ich das letzte Mal einen Brief von ihm gelesen hatte. Kim nickte und reichte mir den Zettel. „Ja, aber wie gesagt … Ich könnte den Idiot dafür umbringen und…“ Sie unterbrach sich selbst und schüttelte leicht den Kopf. „Ist ja auch egal, das siehst du dann schon. Dich kann nichts umhauen, da bin ich mir sicher. Also dann bis heute Abend. Du rufst mich doch an, damit wir zusammen die Polizei verständigen können oder so, nicht?“ Ich war viel zu geistesabwesend, um ihre Worte wirklich wahrzunehmen, und nickte nur. Meine gesamte Aufmerksamkeit war auf den Brief in meinen Händen gerichtet und ich merkte nicht einmal wirklich, dass Kim mich kurz umarmte und dann um die nächste Straßenecke verschwand. Selbst Gaara war mir auf einen Schlag egal, oder die Menschen, die gerade eben ums Leben gekommen waren. Ich brauchte zwei Anläufe, ehe ich es schaffte, mit meinen zittrigen Fingern das Papier zu entfalten. Was schrieb Matt wohl? Kam er bald nach Hause? Freute er sich schon darauf, mich wieder zu sehen? Meine Augen flogen förmlich über das Papier, bis ich auf mittlerer Hälfte erstarrte. Die energische Schrift aus dunkler Tinte schien zu verschwimmen und ich blinzelte verwirrt und las den Absatz ein weiteres Mal. Und danach noch mal. Solange, bis ich jedes der Worte auswendig mitsprechen konnte. Aus der wohligen Wärme wurde Kälte, die unbarmherzig nach meinem Herzen griff, und das tat weh. Es ist wirklich toll hier, aber eigentlich erst seit letztem Monat. Du wirst es nicht glauben, aber da hab ich einen Engel getroffen. Sie heißt Kelly und ist frisch aufs Internat gekommen und – was soll ich sagen – sie ist klasse. Du würdest sie bestimmt auch mögen, Schwesterherz! Als zukünftige Schwägerin, versteht sich ;) Richt Yuka doch ein paar Grüße aus und sag ihr, sie soll aufpassen, dass sie sich bei ihren Schlägereien nicht übernimmt. Bye & XXX Matt Und unter dem Text prangte ein riesiges Foto von meinem Matt mit einem schlanken, dunkelhaarigen Mädchen in den Armen. Einem wunderschönen, femininen Mädchen mit bezauberndem Lächeln. Dem genauen Gegenteil von mir, der burschikosen Schlägerbraut. Da zerbrach mein geheimster und innigster Wunsch in tausend Splitter und ich warf den Zettel von mir. Leere und Taubheit fraß sich in meine Glieder und ich hatte ein Druckgefühl auf der Brust, als könne ich nicht mehr atmen. „Was ist? Jetzt mach schon, wir müssen weiter.“ Selbst Gaaras harte Stimme drang wie durch einen dichten Nebel zu mir durch und ich wollte auch ihn nicht hören. Ich wollte niemanden mehr sehen, hören oder bei mir haben. Meine Sicht verschwamm vor Tränen und ich wandte mich ruckartig ab, damit er es erst gar nicht sehen konnte. „Hau ab! Lass mich nur einmal in Ruhe!“ Doch wie üblich war Gaara zu dumm für den kleinsten Funken Taktgefühl und griff nach dem Brief, der einsam zu Boden gefallen war. Es war für ihn eine Affäre weniger Augenblicke, den Inhalt des Schreibens zu erfassen. „Was ist denn jetzt schon wieder mit dir los? Was kümmert es dich, wenn dieser Blondie eine feste Freundin hat?“ Etwas in seiner rauen Stimme klang beinahe schon vorwurfsvoll und das machte mich nur noch verzweifelter. „Ja, ja, wieso reg ich mich eigentlich auf?! Es war doch so was von klar! Ich bin die dumme, brutale Schlägerin – warum sollte er sich für mich interessieren! Welcher halbwegs normale Kerl schaut jemand wie mich an, wenn er ein großes, durchtrainiertes Girl mit Modelfigur haben kann! Wer … denkt schon noch an so was wie Sandkastenliebe…“ Da brach meine Stimme ab und ich sank hinab in die Hocke. Fest presste ich meinen Kopf an meine Knie und hoffte inständig, mich so für alle Zeit vor der Welt verstecken zu können. Ich hatte so viel gekämpft, so viel riskiert und so viel durchgemacht, doch was war das alles jetzt noch wert? Ich hörte, dass Gaara einen Schritt näher auf mich zukam und am liebsten hätte ich ihn geschlagen. Das war doch irgendwie auch nur alles seine Schuld! Wäre er nie aufgetaucht, wäre mein Leben jetzt vielleicht noch normal und ich könnte diese Neuigkeit gefasster aufnehmen! „Dieses Gefühl … das nennt man Eifersucht, nicht wahr?“, erkundigte er sich mit nüchternem Interesse. Das brachte das Fass für mich zum Überlaufen. Blitzschnell war ich auf den Beinen und hatte kaum zum Schlag mit meiner zittrigen Faust ausgeholt, als sein Sand meine Handgelenke auch schon eisern festhielt und mich bewegungsunfähig machte. „Diese Eifersucht kannst du dir sonst wohin stecken!“, schrie ich so laut ich konnte und schluchzte gleich darauf. Die Tränen rannen wild meine Wangen hinab und ebenso unaufhaltsam strömten auch die Worte aus mir heraus. „Ich muss nicht eifersüchtig sein! Ich brauch das gar nicht! Ich bin doch die starke Schlampe, die jeden verprügelt; sogar gegen die CIA komm ich an! Wen kümmert es da schon, dass der Junge, den ich jahrelang liebe, mich total vergessen hat! Wer kann es ihm schon verübeln! Gott, wir waren eben Kinder damals! Ich war zehn und hatte keine Ahnung, wie ich ihn auf mich aufmerksam machen sollte, deshalb hab ich ihn eben immer geärgert! Wir haben uns geprügelt, er hat meine Haare in Brand gesteckt, ich hab seine ganzen Klamotten rosa gefärbt! Und dann … dann … war er manchmal so nett zu mir, hat mir Eis spendiert und ganz tolle Sandburgen für mich gebaut und … ich war so glücklich, ich hab mich Hals über Kopf in ihn verliebt. Aber wir waren eben noch klein, da kann man nicht einfach hingehen und sagen ‚Ich mag dich. Willst du mit mir gehen?’. Ja, verdammt noch mal, ich hätte die Klappe aufmachen sollen! Aber es ging alles viel zu schnell! Plötzlich kam dieses Scheißstipendium für dieses Scheißinternat in diesem Scheißtexas und was macht der Depp? Er geht hin! Und ich wollte ihm doch sagen, dass ich ihn liebe, bevor er geht! Ich wollte es so sehr, ich hab die ganze Nacht geheult, weil ich nicht wollte, dass er geht! Aber dann war ich doch zu feige und dann war er weg… Und jetzt hat er seine verdammte Kelly! Wer kann’s ihm verübeln! Ich war schon immer unausstehlich, ich bin ein Arschloch, ich hab nichts weiter als ne große Klappe und n rechten Haken … So etwas will er eben nicht! So etwas will kein Junge! Was bin ich schon gegen all diese Tussis? Ich … ich bin … gar nichts…“ Kraftlos senkte ich den Kopf und ließ zu, dass das Schluchzen meinen Körper schüttelte. Die Fassade der großen, starken Schlägerin zerbrach schneller, als ich es aufhalten konnte, und ich hatte nicht mehr die Kraft, noch dagegen anzukämpfen. „So … ist es doch schon immer“, wimmerte ich. „Jungs stehen eben auf Mädchen wie Kim … sie war schon immer viel beliebter, als ich. Klar, sie ist eben blond, sie hat wenigstens einen Arsch in der Hose und die größere Oberweite sowieso. Ich bin hässlich und unausstehlich…“ „Das ist erbärmlich“, sagte er kühl und sein Unverständnis war kaum zu überhören. Er konnte meine Reaktion offenbar kein bisschen nachvollziehen, dieser dämliche Ignorant! Aufgebracht zog ich an meinen Händen und zu meiner Überraschung war der Sand plötzlich so locker, dass ich mich problemlos von seinem Griff befreien konnte. Ich schlang beide Arme um meinen Oberkörper und trat hastig einen Schritt zurück. „Ja und! Ich hab gesagt, du sollst gehen! Lass mich in Ruhe, hau doch endlich ab!“ Ich schlug halbherzig in seine Richtung, doch der Tränenschleier verhinderte ohnehin, dass ich meine Umgebung genau erkennen konnte. „Du bist doch auch nicht anders, als jeder andere Kerl! Du kannst mich doch auch nicht leiden! Es hat dich ja nicht mal aufgegeilt, als du mich unter der Dusche gesehen hast! Ich…“ Doch dieses Mal ließ er mich nicht fortfahren; blitzartig stand er nur wenige Zentimeter vor mir und bohrte seine Jadeaugen in meinen Körper. „Schweig sofort. Das ist ein Befehl“, knurrte er scharf. „Das ist das Dümmste, was du je von dir gegeben hast. Ein paar dämliche, unlogische Gefühle können dich derartig erniedrigen? Du sollst nicht an ihn denken, ich hab dir das aus gutem Grund verboten!“ „Was kann ich denn dafür, dass ich einfach ein Mensch bin! Ich bin auch nur ein Mädchen – was ist denn so abnormal daran, dass ich auch weibliche Gene hab?! Wäre ich wie alle anderen auch, wären wir jetzt nicht mal hier! Wenn ich hübsch wäre und schlagfertig und cool und selbstbewusst und…“ „Das trifft sehr wohl auf dich zu, also hör endlich auf zu heulen. Das passt nicht zu dir.“ Ich hob den Kopf und sah aus tränenblinden Augen zu ihm auf. Sein leichenblasses Gesicht erschien mir merkwürdig verschwommen und weitaus weniger bedrohlich als für gewöhnlich. Wahrscheinlich war das der Grund dafür, dass ich mir einbildete, seine sonst so gefroren Augen würden schmelzen und weicher werden. Hastig schüttelte ich den Kopf und trat einen Schritt von ihm zurück, doch er zerstörte den neugewonnenen Abstand sofort wieder und starrte mich unbarmherzig, wenn auch nicht drohend an. „Wie könntest du es mit einem Monster zusammen aushalten, wenn du nicht schlagfertig wärst? Du bist ein echter Idiot“, erklärte er und stieß abfällig die Luft aus. „Klar, zuschlagen und die Klappe aufreißen kann ich, aber was denn sonst?! Ich bin doch eher ein Kerl als ein Mädchen! Schau mich doch an; ich schreck doch jeden Jungen schon von weitem ab!“ Er musterte mich ernst und sehr genau, ehe er leicht den Kopf schüttelte. „Wenn man nach den heutigen Maßstäben für Schönheit geht, bist du definitiv als hübsch zu bezeichnen.“ Halb sarkastisch, halb verärgert schnaubte ich und hob die Hände, um mit ihnen auf meinen gesamten schrecklichen Körper zu zeigen. Er konnte doch nicht tatsächlich so blind sein, mich hübsch zu finden! Ich war das burschikoseste Mädchen ganz Kentuckys. „Haha, der war gut!“, lachte ich humorlos und unterdrückte das Schluchzen. „Was soll an mir schon hübsch sein?“ „Die Frage ist doch eher, was an dir nicht hübsch ist.“ Diese Aussage verwirrte mich, doch ich hatte mich schnell wieder gefangen und setzte ein sarkastisches Lächeln auf. „Guck dir doch nur mal meine Oberschenkel an! Die sind schrecklich fett und…“ „Das ist kein Fett, das sind Muskeln“, unterbrach Gaara mich und schien geradezu genervt davon zu sein, dass mir diese Offensichtlichkeit nicht mal selbst klar war. Das stachelte mich nur noch weiter an; ich wollte ihm um jeden Preis beweisen, dass ich Recht hatte! „Dafür bin ich vorne flach wie ein Brett! Sieh dir dagegen doch mal Kim an!“, beharrte ich eisern und wedelte mit einer Hand vor meiner 75-A-Oberweite herum. „Du bist dreizehn, da ist das völlig normal. Im Übrigen ist das doch dämlich, eine Frau nur auf ihre Brüste zu reduzieren. Was bringt einem das? Es behindert einen beim Kämpfen, nichts weiter.“ Überrascht blinzelte ich meinen Tränenschleier ein Stück weit weg, hielt aber weiterhin gegen seine Argumentation. „Wenn das das Einzige an mir wäre, wo ich zu wenig Fleisch hab! Schau doch mal meine Hände an: Ich seh aus wie ein Kind aus einer Brot für die Welt-Werbung!“ Er kam noch einen Schritt näher und blickte auf meine dürren, weißen Finger, die nun starr vor meiner minderbemessenen Oberweite verharrten. Einen Herzschlag lang legte sich Stille über den Raum und ich glaubte schon, ihn endlich von meiner Hässlichkeit überzeugt zu haben, als er sich plötzlich regte und ein schmaler Streifen Sand meine Hand ergriff. Sanft und beinahe schon andächtig glitt der Sand über meine helle Haut und unwillkürlich kroch eine Gänsehaut über meinen Körper. Diese Berührung machte mir keine Angst, ganz im Gegenteil. Es fühlte sich gut an. Überaus gut. „Es ist … so … einzigartig“, sagte Gaara schließlich sehr leise und fuhr mit seinem Sand die Konturen meiner Finger nach. „Wenn ihr das als abstoßend empfindet, seid ihr noch dümmer, als ich dachte. Es ist faszinierend … Du bist stark und hast Muskeln, aber deine Hände sind so … zerbrechlich … wie Glas…“ Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass er zu solchen Worten fähig war. Ich wusste, er stellte das alles nur fest, weil er von alldem keine Ahnung hatte, doch ich konnte nicht verhindern, dass mein Herzschlag sich beschleunigte und meine Wangen sich röteten. „Aber … meine Haare sind schrecklich…“, presste ich hervor, krampfhaft darum bemüht, beim Thema zu bleiben. „Frau … muss heutzutage blond sein…“ Er hob den Kopf und seine Jadeaugen glitten nun über meine zerzausten, mahagoniroten Haare. Meine Hand gab er nicht frei. „Und noch eine vollkommen nutzlose Modeerscheinung … Das passt zu dir. Rot steht für Temperament, alles andere wäre schwachsinnig bei dir.“ Ich schluckte und brauchte all meine Konzentration, um mich daran zu erinnern, wie man ausatmet. Ich war mir hundertprozentig sicher gewesen, dass Gaara mich ebenso verachtete, wie ich ihn. All die Zeit war ich nichts weiter als ein nutzloses Stück Fleisch für ihn gewesen und für jeden anderen Jungen dieser Welt sowieso unsichtbar. Weil ich eben nichts Besonderes war. Und jetzt nahm dieser Egoist sich die Frechheit heraus, mir Komplimente zu machen. Indirekte zwar, doch das genügte schon, um mich zu verwirren. Ich zitterte am ganzen Körper und fühlte mich schwächer den je. Und ich wollte mehr. Mehr von seinen ungewohnt sanften Worten, die mich nur noch schwächer machten. „Aber … das Schlimmste sind meine Augen … ich hab Augen wie ein Reh…“, flüsterte ich darum und senkte beschämt den Kopf. Es war erbärmlich, sich von einem Psychopathen ein bisschen Selbstwertgefühl zu erhecheln, und ich hätte es auch nie getan, hätte es sich nicht so angenehm angefühlt, meine Hand in seinem Sand und seine Blicke auf meinem Körper zu spüren. Er seufzte leise. „Wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass du mich ansehen sollst, wenn ich mit dir rede?“ Vorsichtig, aber bestimmt wurde mein Kinn von einem weiteren Streifen Sand angehoben und schon versank ich im jadegrünen Ozean seiner Augen. Dieser Anblick verschlug mir die Sprache, denn etwas hatte sich verändert: Der wahrscheinlich jahrelang zugefrorene Ozean war an der Oberfläche geschmolzen. Flüssige, helle Augen mit einem undefinierbaren Ausdruck unter der glänzenden Oberfläche musterten mein verweintes Gesicht. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass ihm nichts auf der ganzen Welt verwehrt bliebe, wenn er diesen sanften Blick dauerhaft zeigen würde. „Das ist kein Rehbraun…“ Er sprach leise und bedächtig und ich brauchte einige Sekunden, um mich an unser eigentliches Gesprächsthema zu erinnern. Meine unspektakulären, langweiligen Augen, die mir gegen sein leuchtendes Jadegrün nur noch minderwertiger vorkamen. Gaara schien anderer Meinung zu sein, denn er musterte mich weiterhin mit höchstem Interesse, ehe er langsam weiter sprach. „Das ist Schokoladenbraun. Außerdem guckst du weitaus tiefgründiger, als ein Reh. Deine Augen verändern sich immer wieder, das ist selten bei normalen Menschen. Sie sind wie ein Spiegel deiner Seele und das ist verwirrend, weil deine Gefühle so sprunghaft sind. Vor einer Minute warst du noch todtraurig und jetzt … jetzt bist du glücklich, obwohl es dazu keinen Grund gibt. Menschen sind durch und durch unlogische Geschöpfe, aber du bist die Krönung des Ganzen.“ Wieder glitten seine Jadeaugen sorgfältig über meinen Körper, ehe sie an meinem Gesicht hängen blieben. „Du bist dumm und eine Nervensäge. Aber du bist faszinierend, genau so wie verwirrend. Deshalb gehörst du mir – mir allein. Denke niemals wieder an irgendeinen anderen. Hast du das jetzt endlich verstanden? Du bist mein.“ Er wollte noch mehr sagen, höchstwahrscheinlich eine strenge Moralpredigt folgen lassen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, als ich ihn überschwänglich umarmte und mich an seine Brust schmiegte. Im ersten Moment fiel es mir selbst nicht einmal auf, dass es das erste Mal war, dass ich so viel seines Körpers wirklich berühren konnte, ohne dass die Sandbarriere sich einschaltete. Ich fühlte mich einfach nur glücklich. So unglaublich frei und geborgen, als würde ich schon ewig in seinen Armen liegen. Nie hätte ich gedacht, dass sein Körper sich so warm und vertraut anfühlen könnte und selbst seinen Herzschlag konnte ich spüren, ganz dicht bei mir. Gaara war von unserer plötzlichen Nähe allerdings weniger angetan; seine Muskeln spannten sich an und er sog scharf die Luft ein. Alles an ihm schien in Abwehrstellung zu gehen, als würde ihm Gefahr drohen. „Was … was zum…“ Vor Verwirrung brachte er es nicht mal mehr fertig einen vollständigen Satz zu bilden. Er stand nur stocksteif dort, die Arme halb in der Luft ausgestreckt und mit sich kämpfend. Doch ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er mir nichts antun würde. Sanft lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter und lächelte. „Danke.“ Ein simples, kurzes Wort, und dennoch konnte ich mir vorstellen, welches Chaos es in ihm auslöste. Es musste unvorstellbar lange her sein, seit ihm das letzte Mal jemand so nah gewesen war. Ich verharrte noch kurz am schützenden Stoff seines Shirts, dann hob ich den Kopf und blickte in sein Gesicht. Der jadegrüne Ozean seiner Augen war von zahlreichen Wellen überzogen: Es flackerte regelrecht vor Verwirrung und das bereitete mir unverschämtes Vergnügen. Ein paar Dutzend bis an die Zähne bewaffneter CIA-Agenten – Kein Problem! Ein Mädchen umarmt dich – Hilfe, Mission abbrechen! Irgendwo war er eben doch wie jeder andere unreife, schüchterne Junge. „Weißt du was?“, flüsterte ich und lächelte ihn an. „In mancher Hinsicht bist du wirklich besser als alle amerikanischen Jungs. Du kannst richtig süß sein. Danke, du kleiner Scheißkerl.“ „Was habt ihr Menschen nur immer mit dieser Liebe? Weshalb macht ihr so ein Aufheben darum?“ Seine Worte waren wie ein eiskalter Hauch auf meinen Lippen, doch es war ein aufregender Hauch, der mir eine Gänsehaut bereitete. Ich zuckte halbherzig mit den Schultern und betrachtete sein aus Stein gemeißeltes Gesicht. Mir war nie zuvor aufgefallen, wie zart seine Gesichtszüge eigentlich waren, viel zu verletzlich für einen Mörder. „Ich weiß es nicht“, sagte ich wahrheitsgemäß und lächelte. „Ein griechischer Philosoph hat mal gesagt, dass Menschen früher einmal übermächtige Wesen mit zwei Köpfen und vier Beinen und Armen waren. So lange, bis die Götter sie für eine Bedrohung hielten und jeden Menschen in zwei Hälften geschlagen haben. Darum haben wir jetzt nur noch zwei Arme und Beine und jeder Mensch sucht seine andere Hälfte aus der Zeit, als wir noch körperlich verbunden waren. Der Mensch ist ohne dieses Gegenstück unvollkommen und deshalb … suchen wir unsere andere Hälfte.“ „Dann glaubst du, dieser Matt ist deine andere Hälfte?“ Ich schüttelte den Kopf und verkniff mir weitere Tränen. „Nicht, wenn er mich so fallen lässt. Es ist wohl besser für mich, wenn ich überhaupt keine zweite Hälfte finde.“ „Wenn du das tust, wirst du wie ich“, murmelte er und schloss die Augen. Es war schwer, nur anhand seiner Gesichtszüge zu erkennen, was er dachte, darum versuchte ich die Ernsthaftigkeit des Themas abzuschütteln. „Bevor ich mich irgendeinem Kerl an den Hals schmeiß, metzel ich noch lieber Leute ab!“, verkündete ich übertrieben enthusiastisch und trat lachend von ihm zurück. Ich wusste nicht, wie er das geschafft hatte, doch seltsamerweise fühlte ich mich so frei und lebendig wie seit vielen Tagen nicht mehr. All die Gefahr war gebannt und sobald Gaara wieder zu Hause war, würde ich mein alltägliches Leben antreten, zwar mit einigen Narben von all den schrecklichen Dingen, die mir widerfahren waren, aber darüber wollte ich im Augenblick nicht nachdenken. Ebenso wenig wie über den bevorstehenden Abschied. „Also, Gaara, ich hab noch ein Versprechen bei dir einzulösen, richtig? Ein echt amerikanisches Essen, bevor du wieder nach Suna gehst!“, rief ich und packte ihn übermütig am Handgelenk. Kein Sand stellte sich mir in den Weg, als ich meinen ehemaligen Kidnapper hinter mir her zog. Geradewegs zu meiner Henkersmahlzeit, wenn man seinem harten Gesichtsausdruck Glauben schenken konnte. Kapitel 13: Das letzte Sandkorn ------------------------------- „Willkommen im größten und bedeutendsten Stück amerikanischer Geschichte! Hier haben wir die schlecht gelaunte, unterbezahlte Putzfrau zu unserer Rechten, die vergammelten Zierpflanzen zu unserer Linken und den Gestank von Frittierfett und verbrannten Pommes allumfassend!“ Gaara starrte mich derart unbeeindruckt an, dass ich nicht anders konnte, als laut loszulachen. Welche andere Reaktion hatte ich auch von einem Ninja erwartet, der zum ersten Mal ein McDonald’s Restaurant von Innen sah? Mit raschen Schritten drängte ich mich an der Putzfrau vorbei, die nach meiner kleinen Ansprache noch weitaus schlecht gelaunter ihren Wischmopp über den Linoleumboden schwang. Mein Magen knurrte, seit wir das Fabrikgelände verlassen hatten, und ich konnte es ihm nicht verübeln. Schließlich hatte ich seit den paar Äpfeln heute Morgen nichts mehr gegessen und in der Zwischenzeit mehrere Überlebenskämpfe bestritten. Gaara dagegen wirkte eher angewidert, als er neben mir an der Theke des Fast Food Restaurants stand, wo der Geruch nach gegrilltem Fleisch schon übermächtig in der Luft lag. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, ihn zu fragen, was er essen wollte – eine Antwort würde ich sowieso nicht bekommen. Stattdessen kramte ich meinen Geldbeutel aus der Hosentasche und wandte mich mit einem strahlenden Lächeln an den jungen Verkäufer. „Guten Abend! Wir hätten gern zwei Big Mac, zwei Cheeseburger und einen Chickenwrap. Dazu zwei Portionen Pommes und zwei große Cola!“ Diese – zugegeben wirklich große – Bestellung füllte ein komplettes Tablett und ich hatte Mühe, es zu einem der schlecht geputzten Tische zu transportieren. Das hielt mich allerdings nicht davon ab, meiner fantastischen Stimmung Luft zu machen, indem ich ein paar Drehungen um die eigene Achse machte, ehe ich mich lachend auf einen Stuhl fallen ließ. „Komm schon, Gaara! Pflanz dich hin!“, rief ich und trat gegen den zweiten Stuhl. Seinem abschätzenden Blick nach zu urteilen, war er nicht gerade angetan von der Situation, doch er folgte meiner Aufforderung nach kurzem Zögern. Ich spürte, dass er mich keine Sekunde aus den Augen ließ. „Ach, mach dir keine Sorgen! Ich fress’ dir schon nicht alles weg! Welchen Burger willst du?“ Ich hielt ihm die beiden verschiedenen Varianten unter die Nase, doch Gaara starrte mir nur weiterhin direkt ins Gesicht, als hätte ich einen überdimensionalen Pickel. Schulterzuckend stellte ich die Schachtel mit dem Big Mac vor ihm ab und nahm mir selbst den Cheeseburger. „Jetzt tu nicht so, als wärst du Vegetarier, oder so was! Das ist echt nicht schlimm! Das ist nur Fleisch mit Brot und Salat und Tomaten und irgendeiner Soße und…“ Meine restlichen Erklärungen waren nicht mehr zu verstehen; ich war zu sehr mit Kauen beschäftigt. Mir war egal, dass ich wie ein Schwein aussah, als ich in Rekordzeit zwei Burger inklusive Pommes verdrückte und dabei mein komplettes Gesicht mit Ketchup und der undefinierbaren Big Mac Soße beschmierte. Gaara registrierte Letzteres lediglich durch eine leichte Falte auf seiner brauenlosen Stirn, ansonsten starrte er mich unverwandt an und zeigte nicht das geringste Interesse am Essen. Ich musste mir unwillkürlich vorstellen, was er wohl von meinen mangelhaften Tischmanieren hielt, und brach in Gelächter aus. „Wehe, du kommst jetzt mit einem Kommentar, dass ich mich nicht wundern soll, dass kein Kerl mich will, wenn ich wie ein Kleinkind esse!“, lachte ich mit halb vollem Mund und griff nach einer Serviette, um zu retten, was noch zu retten war. Er bewegte den Kopf ganz leicht und ich war mir nicht sicher, ob das ein Kopfschütteln darstellen sollte. Einige Sekunden schwieg er, bis ich mit einem erneuten Lachen den Kampf gegen mein hoffnungslos verschmiertes Gesicht aufgab und mich stattdessen dem Chickenwrap widmete; dann lehnte er sich leicht zurück und kniff die Augen prüfend zusammen. „Wie kannst du das tun?“, fragte er. Ich hob den Kopf und fing eine Tomatenscheibe auf, die mir dabei aus dem Mund fiel. „Was? Essen?“ „Nein. So fröhlich sein, als wäre alles in allerbester Ordnung.“ Seine Stimme klang hart und auch die Falte fraß sich tiefer in seine Stirn. „Warum sollte ich mich nicht freuen? Es ist alles wieder okay, meine Familie ist in Sicherheit, ich kann in mein altes Leben zurück – Happy End würd’ ich mal sagen.“ Die Falte verwandelte sich in einen regelrechten Grand Canyon und das gefiel mir gar nicht; sein Gesicht war glatt und unbewegt eindeutig ansehnlicher. „Dir scheint da etwas nicht ganz klar zu sein.“ Er beugte sich nach vorn und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab. So aus der Nähe betrachtet blitzten seine Augen vor Kälte und das war genau das, was er hatte erreichen wollen. „Ich bin nicht der Held. Nicht der strahlende Retter, der alles glücklich enden lässt. Ich bin das Monster, dein allerschlimmster Alptraum. Und du bist nichts weiter als eine unwichtige Figur auf meinem Schachbrett“, raunte er und ich hätte schwören können, dass die Zimmertemperatur bei diesen eisigen Worten um mindestens zehn Grad fiel. Ganz, ganz langsam legte ich den Chickenwrap beiseite und beugte mich ebenfalls über den schmalen Tisch zu ihm hin. Nur noch wenige Zentimeter trennten uns und ich hatte alle Mühe, seinem Blick stand zu halten. „Und was würdest du sagen, wenn ich dir das nicht glaube, Monster?“, sagte ich ebenso leise und versuchte cool auszusehen. So cool, wie man mit Ketchup auf der Nase eben wirken konnte. „Dass es nichts an deinem Tod ändern wird.“ „Hättest du Interesse daran, dass ich verrecke, hättest du ausreichend Gelegenheit dazu gehabt. Weißt du, was ich glaube?“ Ich lächelte möglichst selbstsicher, um mir meinen frenetischen Pulsschlag nicht anmerken zu lassen. „Du kannst mir überhaupt nichts antun. Sonst hättest du dich nie so sehr ins Zeug gelegt, um mich zu schützen.“ Das war was ich hoffte, nicht, wovon ich überzeugt war. War die Falte auf seiner Stirn bis dahin ein Grand Canyon gewesen, so nahm sie nun die Ausmaße des Mount Everest an. Seine Kiefer pressten sich aufeinander und ich konnte sehen, wie er die Hände an der Tischkante verkrallte. „Irrtum“, murmelte er gepresst und ich fühlte, wie alle meine Instinkte mir zur Flucht rieten. Seine Stimmungsschwankungen waren immer gefährlich. „Das Monster hat höchstens eine besonders anziehende Beute gefunden. Eine Beute, die es besessen macht. Der Gedanke, das zarte Fleisch dieser Beute zu zerreißen … all ihre Träume und Zukunftspläne zu zerstören … ihre Familie verzweifelt zu machen … Das ist so viel reizvoller, als einen dahergelaufenen Niemand zu töten.“ Ein eiskalter Schauder kroch meinen Rücken hinab und ich wich reflexartig einen Zentimeter zurück. Doch obwohl es mit Sicherheit klüger und auch gesünder für mich wäre, sofort davonzulaufen – egal, ob sein Sand etwa zehnmal so schnell war wie ich – verharrte ich auf dem Stuhl und verwandte all meine Energie darauf, nicht zu zittern. Was er sagte, machte mir fürchterliche Angst, doch zugleich war ich auch fasziniert von seiner mörderischen Erhabenheit. Wie eine Maus, die nicht anders konnte, als in die tödliche Falle zu tappen, weil der Käse einfach zu verlockend war. „Definiere den Begriff besessen“, hauchte ich und war mir fast sicher, dass meine Stimme bebte. Er schwieg für die Dauer weniger Herzschläge, die viel zu schnell in meiner Brust pochten, und als er seine Stimme wieder erhob, klang sie dunkler als je zuvor. „Sie ist hübsch, dein kleines Mädchen, und sie hat Mumm in den Knochen. Stell dir nur mal vor, in was für ein zitterndes, hilfloses Nervenbündel du sie verwandeln könntest. Es sieht doch wunderschön aus, wenn sie weint und sich zusammenkauert. Gib es zu, du magst das. Du würdest es genießen, diesen unerschütterlichen Ausdruck von ihrem Gesicht zu wischen und sie endgültig zum Spielball unserer Macht zu machen. In den vielen hundert Jahren, die ich schon existiere, habe ich selten eine so reizende Beute gesehen, also opfere sie mir endlich! Zerschlage ihren wunderschönen Körper, brich jeden Finger dieser filigranen Hände, nimm den Glanz aus ihren lebhaften Augen, lass ihre Haut von Blut befleckt sein – dann kann sie uns keiner mehr wegnehmen!“ In meinem Kopf begann sich alles zu drehen und ich konnte nicht anders, als ihn aus geweiteten Augen anzustarren, wie er sich nun zurücklehnte und die Arme ganz ruhig vor der Brust verschränkte. „Das ist es, was Shukaku mir ununterbrochen einredet.“ Da verstand ich, wie naiv ich gewesen war. All seine Bemühungen, mein Leben zu schützen, hatten nur diesen einen Hintergrund gehabt. Er wollte selbst Derjenige sein, der mich tötete, nur darum hatte er mich beschützt. Darum hatte ich keinen Grund, gut gelaunt zu sein, denn meine Frist war abgelaufen. In Sekundenschnelle überschlug ich meine Chancen, jetzt sofort aufzuspringen und zur Tür hinaus zu flüchten, bevor er mich festhalten und mit dem Sand in Stücke reißen konnte. Panik wuchs in meiner Brust an, denn ich wusste genau, dass mir das nie gelingen würde. Ich saß in der Falle. Mein Tod war beschlossene Tatsache. Mir wurde schwindelig und ich musste mich am Tisch festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Ach so … verstehe…“, presste ich heiser hervor. „Das hast du vorhin gemeint, als du mich als hübsch bezeichnet hast. Du findest mich als Leiche hübsch.“ Sein Blick war Antwort genug. Blitzschnell senkte ich den Kopf und starrte auf die Tischplatte. Das Blut rauschte mir in den Ohren und ich musste mich dazu zwingen, das Atmen nicht zu vergessen. Es kostete mich unendlich viel Kraft, mich aufrecht auf dem Stuhl zu halten, während die Gedanken wie ein verstricktes Knäuel durch meinen Kopf wirbelten. In den vergangenen Tagen war ich so oft mit dem Tod in Kontakt gekommen, dass es mich kaum mehr überraschen sollte, dass mein Ableben erneut in greifbare Nähe rückte. Doch die Art, wie es vor sich gehen würde… „Und … bevor du gehst, wirst du zulassen, dass er sich…“ Ich schloss die Augen und zwang mir die folgenden Wörter über die Lippen. „…an mir austobt…“ Ich konnte meine viel zu lebhafte Fantasie kaum davon abhalten, sich auszumalen, was für Qualen ein außer Kontrolle geratener Dämon mir zufügen konnte. Stille legte sich über den Tisch, bis sie von einem lauten Knarren durchbrochen wurde. Das ließ meine Panik endgültig überschwappen. Ich konnte nicht anders, als mit einem halblauten Aufschrei die Arme um meinen Oberkörper zu schlingen und mich auf dem Stuhl zusammenzukauern. Doch zu meiner Überraschung griff Gaara nicht an, sondern machte seinem Ärger lediglich mit einem mühsam unterdrückten Knurren Luft. „Halt endlich die Klappe und komm mit!“ Ich presste mein Gesicht an meine angezogenen Knie und versuchte meine Stimme wieder zu finden, was mir nur mit äußerster Mühe gelang. „Wo- … wohin?“, brachte ich wimmernd über die Lippen. Wenn ich ohnehin sterben musste, warum dann nicht gleich hier und jetzt? „Irgendwohin, wo mehr Platz ist.“ Mir wurde schlecht bei der bloßen Vorstellung, wofür er mehr Platz benötigen würde. Ich wollte ihm nicht folgen – mal abgesehen davon, dass ich ohnehin nicht glaubte, dass meine Beine mich noch tragen würden – und ich wollte ihm gerade den letzten patzigen Kommentar meines Lebens an den Kopf werfen, als mir ein furchtbarer Gedanke kam. Wir befanden uns in einem Fast Food Restaurant. Außer uns waren noch viele weitere Gäste anwesend, inklusive dem Personal. Und es stand außer Frage, dass jeder einzelne von ihnen ebenfalls sterben würde, wenn Gaara seinen Dämon hier und jetzt seine Macht entfalten ließe. Das war etwas, was ich niemals zulassen konnte. Blitzschnell war ich auf den Beinen und steuerte äußerst ungelenk auf die Tür zu. Ich musste mich an der Wand festhalten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, doch irgendwie gelang es mir, aus dem Restaurant zu stolpern. Das Herz schlug mir bis zum Hals und ich schwitzte, obwohl die Sonne längst untergegangen war. Gaara schien all dies nicht zu bemerken, oder einfach zu ignorieren. Er lief einen guten Meter vor mir den Gehweg entlang und doch war mir klar, dass er mich dennoch im Blick hatte. Als ich zwei Straßenecken vom McDonald’s Restaurant entfernt kurz in Richtung einer Haustür torkelte – ich hatte gesehen, dass sie einen Spalt breit offen stand und hatte geglaubt, wenn ich schnell genug ins Haus käme und ihm dann die Tür vor der Nase zuschlagen würde, wäre ich vielleicht gerettet – wandte er nur einmal ganz kurz den Kopf zu mir um und durchbohrte mich mit seinen Augen. Da gab ich es auf und schleppte mich mit zusammengebissenen Zähnen hinter ihm her. Ich hatte bereits geahnt, dass sein Ziel die unwegsamen Felder außerhalb Frankforts waren. Als Kind hatte ich dort oft gespielt, doch an diesem Abend wirkte selbst die vertraute Umgebung bedrohlich auf mich. Die knorrigen Bäume wiegten sich im Wind; rauschend bewegten sich die Blätter im Takt dazu. Und auch mein Herz schien sich der leichten Sommerbrise anzupassen, indem es heftig in meiner Brust flatterte, statt normal zu schlagen. Ein Teil von mir wollte den Mund öffnen, um Gaara vielleicht doch von seinem Vorhaben abzubringen, doch allein der furchterregende Anblick seiner feinen Silhouette mit den funkelnden Jadeaugen im Mondlicht hinderte mich daran. Und er ließ sich Zeit. Zuerst holte er in aller Ruhe das Gerät von Professor Mercury aus seiner Hosentasche und setzte es mit ein paar Knopfdrücken in Betrieb, dann warf er es zu Boden und betrachtete, wie der violette Lichtkreis an der Oberfläche immer greller wurde. Ich überlegte gerade, ob ich vielleicht doch versuchen sollte in den anliegenden Wald zu flüchten, als der Wind plötzlich auffrischte und mir die Haare schmerzhaft ins Gesicht peitschte. Rasch sah ich auf und bemerkte mit Schrecken, dass Gaara sich mir zugewandt hatte. Das Gerät entfaltete seine Wirkung und er hatte jetzt wohl vor, die verbleibende Zeit mir zu widmen. Ich wollte schreien, ich wollte meine tauben Beine zur Bewegung zwingen – ich wollte alles, um nicht hier und jetzt auf bestialische Weise sterben zu müssen. Doch es gab etwas, das sowohl Gaara als auch ich selbst nicht einkalkuliert hatten, und das war Mercurys Gerät, das sich selbstständig zu machen schien. Binnen weniger Sekunden verwandelte es die eben noch laue Sommerbrise in ein Unwetter ohnegleichen und konzentrierte all die heftig peitschenden Windstöße auf einen Punkt, an dem sich ein gigantischer Wirbelsturm in die Höhe schraubte. Zumindest glaubte ich, dass es ein Wirbelsturm war, obgleich er sich farblich nur durch die violett zuckenden Blitze an der Oberfläche vom blauschwarzen Nachthimmel abhob, und gleich darauf alles viel zu schnell vor sich ging. Ich verlor das Gleichgewicht und wurde als Spielball der mächtigen Windmassen mitgerissen. Alles um mich herum drehte sich und ich hörte schrilles Kreischen, das wohl mein eigenes war. Ich hatte keine Ahnung, was genau hier vor sich ging, doch was auch immer es war, es konnte zumindest nicht so schlimm sein wie von einem Sanddämon zerfleischt zu werden. Dennoch nagte die Panik an mir und mein Instinkt schrie mit aller Macht, dass ich mich irgendwo festhalten musste, und tatsächlich fanden meine Finger Halt an irgendeinem groben Stoff. Doch der Stoff wurde noch viel stärker als ich selbst herumgewirbelt und bevor ich loslassen konnte, befand ich mich im Innern des Wirbelsturms. Mein Körper glich einer Puppe in der Waschmaschine und ich krallte mich mit aller Macht an diesem Stoff fest, um zumindest etwas Halt zu haben. Langsam vernebelte der heftige Wind mein Bewusstsein und kurz bevor mir endgültig schwarz vor Augen wurde, erhaschte ich einen letzten, halbwegs klaren Blick auf etwas Wunderschönes. Meine Heimatstadt Frankfort lag dort – wie mir schien weit unter mir – im Dunkel der Nacht. All die Häuserdächer waren beleuchtet wie die Sterne am Horizont, doch mit dem Unterschied, dass mir der Horizont entglitt. Er entfernte sich von mir, ebenso wie mein Bewusstsein schwand, und ich konnte nicht einmal den Versuch machen, ihn festzuhalten. Denn meine Hände waren fest in diesen rätselhaften Stoff gekrallt und ließen sich nicht mehr lösen. Genau denselben Stoff spürte ich noch immer an meinen Handflächen, als ich wieder zu mir kam. Und noch zwei Dinge fielen mir sofort auf: Erstens war es heißer und stickiger, als ich es je in Frankfort erlebt hatte, und zweitens war mein Mund voller Sand. Das ließ für mich nur zwei Erklärungen zu. Entweder hatte Gaara mich bereits angegriffen und ich lag nun schwer verletzt mit Fieberkrämpfen auf dem Feld. Das würde die Hitze erklären. Kein sehr schöner Gedanke, aber vielleicht bedeutete das auch, dass Gaara schon weg war, und ich überleben könnte. Die zweite Möglichkeit bereitete mir schon größere Übelkeit, denn eigentlich ging sie über meinen Verstand hinaus. Falls dieser Wirbelsturm aus Mercurys Gerät gekommen war und er mich ebenso wie Gaara mitgezogen hatte, dann befand ich mich jetzt irgendwo, wo ich nicht sein sollte. Je nachdem, wie das Gerät funktioniert hatte… Ich schluckte und musste mich dazu zwingen, die Augen zu öffnen und nachzusehen. Auf jeden Fall war es nicht mehr Abend; die Sonne blendete mich sofort ganz fürchterlich und ich musste blinzeln. Es war so hell, eigentlich viel zu hell, doch das kannte ich auch von zu Hause. Was allerdings nicht zu meiner Heimat gehörte, waren die ungeheuren Sanddünen, die meine gesamte Umgebung bedeckten. Das war definitiv nicht Frankfort also hatte Mercurys verdammte Teufelsmaschine mich tatsächlich mitgenommen. Wohin auch immer. Ich blinzelte mehrere Male, da ich meinen Augen nicht trauen wollte, doch das Bild blieb bestehen: Ich befand mich auf irgendeiner menschenleeren, riesigen Fläche, die über und über mit Sand bedeckt war. Eine absolut perfekte Wüste, wie aus einem Bild eines Reisekatalogs. Das hier musste Ägypten sein oder Afrika oder irgendein anderes weit entferntes Land. „Endlich aufgewacht?“ Selbst diese Stimme, die wie aus dem Nichts hinter mir erklang, fühlte sich so rau wie Sand in meinen Ohren an. Ich fuhr herum, so gut das in halb sitzender Haltung möglich war, und versteinerte gleich darauf. Er wirkte wie ein völlig fremdes Wesen, wie er so inmitten der Sandmassen stand und gänzlich mit der Silhouette der unendlich weiten Wüste zu verschmelzen schien. Die heißen Sonnenstrahlen ließen sein feuerrotes Haar genau so aufleuchten wie bei unserer ersten Begegnung, doch es war mir, als wäre er damals nicht real gewesen. Erst jetzt, als er wieder in der für ihn bestimmten Umgebung war, war er wieder ganz und gar der Ninja Gaara. Der Sand schien sich ganz von selbst an seinen schmächtigen Körper zu schmiegen, um seinem Herrn und Meister nah sein zu können, und er selbst … Ich hätte ihn mir nie unmenschlicher vorstellen können als genau in diesem Moment, wie er so in derselben braunen Kleidung, die er bereits bei seiner Ankunft getragen hatte, dort stand. Ich rang nach Atem und ballte die Hände unbewusst zu Fäusten. Dabei zerknüllte ich das Stück Stoff, das ich noch immer festhielt, und bemerkte erst jetzt, dass es das schwarze Muskelshirt war, das ich mit ihm gestohlen hatte. Er hatte es ausgezogen und das war auch richtig so. Mein Kidnapper Gaara war wieder Sabaku no Gaara – das konnte er nur hier sein. Seine schmalen Schultern hoben und senkten sich einmal, als atme er genießerisch die staubige Luft ein. Dann sah er auf mich hinab und kräuselte ganz leicht die Lippen. Ich wusste nicht, ob das der Versuch eines Lächelns sein sollte, doch ich hatte keine Chance, das herauszufinden. „Nun ist es also soweit. Zeit, mir ein paar Wünsche zu erfüllen“, flüsterte er. Da war sie wieder, die glühend heiße Panik, die durch meine Adern jagte. Ich schoss in die Höhe und stolperte ein paar Schritte rückwärts. Entweder war es die für ihn schier heilige Umgebung oder Shukakus wachsende Ungeduld, die ihn plötzlich anstachelten – ich wusste es nicht und verstand auch nicht weshalb. „Was soll das denn jetzt?!“, rief ich aus und merkte, dass meine Stimme eine Oktave höher als gewöhnlich war. „Ich meine … Die Sache ist offenbar schief gelaufen, also müssen wir jetzt eine neue Möglichkeit suchen, dich nach Hause zu bekommen!“ Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass wir noch immer in meiner Welt waren, denn für ein Paralleluniversum war es hier einfach zu normal. Er musterte mich kurz und schüttelte dann beinahe amüsiert den Kopf. Es beunruhigte mich, dass er so entspannt war. Mercurys Gerät hatte offenbar nicht richtig funktioniert, also hatte er doch eher Grund, sauer zu sein, oder etwa nicht? Langsam trat er auf mich zu und ich wich erneut zurück. Beinahe wäre ich über einen Felsen gestolpert. „Es gibt kein wir“, sagte er nur bedächtig. In seiner Stimme lag irgendein Unterton, der mir gänzlich unbekannt war und mich trotz der Hitze schaudern ließ. Erneut glitt sein Blick fast genießerisch über meinen Körper und feine Sandkörner tanzten um ihn herum in der Luft. „Es gibt nur ein Ich – den Jäger. Und ein Du – die Beute.“ Bei jedem Wort kam er einen Schritt näher und ich versuchte unbeholfen auf Abstand zu bleiben. Mein Herz raste und ich überlegte verzweifelt, wie ich ihn beruhigen könnte. Das dunkle Funkeln in seinen Augen war überwältigend intensiv. Es passte nicht zu meinem Kidnapper Gaara und erst jetzt nicht zu dem mutterlosen Jungen, mit dem ich mich beinahe schon angefreundet hatte. Es hatte nichts mit der Brutalität gemein, die ich von ihm kannte. Es war tausendmal schlimmer und ich begann zu zittern. „Hey, das ist doch bescheuert. Du weißt doch, dass ich dir noch nützlich sein kann“ krächzte ich, verzweifelt nach stichhaltigen Argumenten für mein Weiterleben bemüht. „Wo auch immer wir hier gelandet sind, wirst du nicht allein klar kommen. Das hier ist vielleicht Ägypten oder Südamerika, da verstehen die Leute nicht mal Englisch.“ Irgendetwas an meiner panischen Tonlage musste ihm sehr gefallen haben, denn seine Schritte wurden schneller und er leckte sich über die Lippen. „Gut so, sehr gut! Wehr dich! Kämpfe, das ist genau, was ich von dir erwarte!“ Er starrte mich an und sein Gesicht war von einem schrecklich irren Grinsen entstellt. Meine Augen weiteten sich, bis es schmerzte. „Hör sofort auf!“ Das war schon fast ein Schrei. Ich wusste, dass es sinnlos war, und doch fuhr ich herum und begann zu rennen. Der Sand unter meinen Füßen rutschte davon und ich kam kaum vorwärts, doch ich konnte nicht anders. Ich musste hier weg, ich wollte noch nicht sterben! Ich wollte nur noch einmal Lacrosse spielen, nur noch einmal meinen Eltern beim Streiten zusehen, nur einmal die Chance bekommen, Matt eine in die Fresse zu schlagen. Mein Ziel war eine kleine Felsengruppe nur wenige Meter entfernt gewesen, doch es war zwecklos, ihm in seinem Element entkommen zu wollen. Irgendetwas griff nach meinen Beinen, schabte erst kurz über meine Haut und dann fühlte ich einen stechenden Schmerz. Ich schrie auf, als ich vornüber in den Sand fiel. Das war kein Schrei vor Überraschung gewesen, sondern ein Schmerzensschrei. Reflexartig tastete ich mit einer Hand nach meinen Beinen; mein Magen drehte sich um, als ich warmes Blut spürte. Zwar hatte sein Sand nur leicht nach mir geschnappt, aber das hatte schon genügt, um die obersten paar Hautschichten zu durchritzen. Ich wusste, dass ich mit diesen Verletzungen nicht mehr laufen konnte, darum zog ich lediglich die Beine an den Körper, kauerte mich auf dem Boden zusammen und starrte aus angstgeweiteten Augen nach oben. Gaara stand bereits neben mir. Ihm gefiel, was er sah, das erkannte ich am Zittern seiner Hände. Lange würde er sich nicht mehr beherrschen können, seine Kontrolle über Shukaku schwand immer mehr. Ich sog Luft in meine brennenden Lungen und suchte nach meiner Stimme. Als ich sie endlich fand, hatte ich nicht das Gefühl, dass sie noch zu mir gehörte; sie zitterte viel zu sehr. „Nein … bitte … E-Es muss d-doch auch anders gehen! Ich mach auch, was du willst! Ich kann für dich schreien oder mir den Arm ritzen, damit du mein Blut siehst, oder…“ „Als würdest du hier weiterleben wollen … oder überhaupt können…“, raunte er heiser. Die Worte klangen etwas gepresst, da er sich zusammenreißen musste. „Natürlich will ich das! Ob ich jetzt in Afrika oder sonst wo gelandet bin…“ Er unterbrach mich mit einem sonderbar prustenden Laut. Bei einem normalen Menschen hätte ich das als unterdrücktes Lachen interpretiert, nicht aber bei Gaara. „Sag bloß, du hast noch nicht gemerkt, wo du hier bist.“ Auch seine Stimme klang auf eine skurrile Art amüsiert, als er mich prüfend musterte. Ich wusste es natürlich nicht genau und das stand mir ins Gesicht geschrieben. Zusammen mit der Panik und der Angst um mein Leben. Er hob die Hände und ich zuckte schon zusammen, doch er deutete nur mit einer allumfassenden Geste auf all die Sanddünen um uns herum. „Das hier…“, sagte er genießerisch und tat, als bemerke er nicht, dass ich versuchte rückwärts davon zu krabbeln. Er schien zu wissen, dass ich diesen jämmerlichen Fluchtversuch ohnehin gleich von selbst abbrechen würde. „…Das hier … ist meine Heimat. Die Wüste Sunas.“ Meine schmerzenden Beine gefroren und auf einen Schlag saß ich still. Eine sandige Brise fuhr mir durch die Haare und als ich den Sand auf meiner Haut spürte, traf mich die Erkenntnis wie eine riesengroße, tonnenschwere Abrissbirne. Ich war zigfach weiter von zu Hause entfernt, als ich mir je hatte vorstellen können. Und der Weg zurück war blockiert. Meine eben noch panisch angespannten Muskeln fielen in sich zusammen und hinterließen nichts weiter als ein schweres Gefühl von Taubheit. Die Hoffnungslosigkeit meiner Situation war so allumfassend, dass ich sie gar nicht komplett wahrhaben wollte; ich wusste überhaupt nicht mehr, was ich wollte. „Nein … nein…“, murmelte ich mechanisch und starrte hinab auf meine Hände. Das Bild verschwamm vor meinen Augen, sehr schnell und unaufhaltsam. „Also bringen wir es zu Ende!“, knurrte Gaara, doch seine Stimme verhallte zur Hintergrundmusik. Erst der Schmerz drang wieder zu mir durch. Irgendetwas hatte mir die Wange aufgeschrammt und ich hob hauptsächlich aus Gewohnheit den Kopf. Gaara zitterte nun am ganzen Körper und war bis in die letzte Zelle hinein angespannt. Ein durch und durch tödliches Monster. Der Sand wehte heftig um ihn herum und schoss immer wieder auf mich zu. Ich kauerte mich unter den zahllosen Treffern zusammen und rang vergebens nach Atem. Hatte ich überhaupt noch eine Lunge? Und wenn ja, wozu brauchte ich sie noch? „Schrei! Schrei, verdammt noch mal und mach irgendwas!“, hörte ich Gaaras verzerrte Stimme wie aus weiter Ferne und ich spürte, dass auch die Schläge mit dem Sand härter wurden. Wie tausend glühende Peitschenhiebe auf meinen gesamten Körper. Ich sah keinen Grund jetzt noch zu schreien, wo mein Leben endgültig ein Scherbenhaufen war, außer einen einzigen: Es sollte schnell vorbei sein. Mit jedem Treffer bröckelte das taube Gefühl mehr und die Schmerzen drangen intensiver zu mir durch. Ich hatte keine Chance, dem Tod zu entgehen, also konnte ich lediglich dafür sorgen, dass es schnell vor sich ging. „Ich will nach Hause!“ Das war das Erstbeste, was mir einfiel, und ich spürte, wie mir dabei heiße Tränen in die Augen traten. Wenigstens war mein Zuhause geschützt, ebenso wie Kim und meine Eltern und sie würden nie erfahren, wie schrecklich ich hier gestorben war. „Ich will meine Ruhe! Ich will wieder normal leben! Ich will wieder zur Schule gehen und zum Lacrossetraining und kleine Kinder verprügeln!“ Der nächste Treffer schien meine Beine von meinem Unterleib abzutrennen, und mir brach die Stimme weg. Es ging nicht mehr, ich hatte keine Kraft mehr, weder zum Kämpfen noch zum Schreien. Doch glücklicherweise fühlte ich schon den sanften Schleier der Ohnmacht, der sich langsam über mich legte, und das ließ den Schmerz verblassen. Gott sei Dank. Endlich ging mein Höllentrip zu Ende. Ich wusste nicht, wie ich darauf kam, doch plötzlich fragte ich mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich Gaara nie an diesem verhängnisvollen Tag begegnet wäre. Ob ich je in eine Boutique eingebrochen wäre? Ob ich je einen Menschen getötet hätte? Ob ich Matts Brief wohl wirklich besser aufgenommen hätte? Ein kleiner Stich durchdrang mein Herz beim Gedanken an meine längst verflossene Sandkastenliebe, die ebenso unerreichbar geworden war wie meine gesamte Welt. Das war der letzte Schmerz, den ich empfand, bevor die Schwärze mich mitriss. Kapitel 14: Apokalypse ---------------------- Ich weiß nicht, wie ich mir meinen Tod vorgestellt hatte. Vielleicht als ein großes Tor, aus dem ein Engel kommt, der mir all meine Sünden vorliest. Oder als eine weiße Wolke, die mich in den Himmel fliegt. Meinetwegen auch dieser Tunnel mit dem Licht am Ende, von dem man so oft hört. Auf jeden Fall irgendetwas Erhabenes und Übermenschliches, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Doch nicht einmal ein angenehmer Tod war mir vergönnt. Meine Beine – beziehungsweise, was noch von ihnen übrig war – schmerzten noch viel schlimmer, als vor meinem Bewusstseinsverlust und mir war so furchtbar schlecht, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob Gott es mir übel nähme, wenn ich ihm in den Himmel kotzen würde. Sicherheitshalber hielt ich mir eine Hand vor den Mund, doch diese unscheinbare Bewegung ließ den Schmerz nun auch in meinen Oberkörper fahren. Ich keuchte auf und wollte mich gerade dem Würgereiz ergeben, als ich eine Stimme hörte, die ebenso wenig in den Himmel gepasst hätte wie ein kotzendes Mädchen mit abgetrennten Beinen. „Halt gefälligst still, sonst verfehlt der Heiler deine Arterie und der Inhalt dieser Spritze verätzt dir innerhalb von knappen fünf Sekunden alle lebenswichtigen Organe.“ Ein Stück Schmirgelpapier, das man auf einem Stein reibt, hätte sich nur wenig anders angehört. Dann erklang ein unwilliges Brummen und eine zweite Stimme – auch sehr hart und energisch, doch mit einem sonderbar angenehmen Klang – wandte sich an die erste. „Temari, komm lieber mit. Wir sollten gehen, bevor du das Mädchen und die Ärzte noch zum Heulen bringst.“ Die Schmirgelpapierstimme schien zu einer Antwort anzusetzen, doch ich unterbrach sie mit einem schrillen Aufschrei. Irgendjemand hatte mir etwas Spitzes in den Arm gerammt und nun breitete sich ein fürchterliches Brennen in meinem Körper aus. Ich glaubte fast, jemand hätte meinen Arm angezündet, und warf mich hin und her, um das Feuer zu löschen. Doch das ließ den Schmerz in meinen Beinen neu aufkeimen und ich schrie nur noch lauter. „Jetzt stell dich nicht so an! Ich hab dich verdammt noch mal nicht durch die halbe Wüste geschleppt, damit du hier noch auf der Krankenstation so viel herumhampelst, bis sie dir die Beine doch amputieren müssen!“, schrie mich die Schmirgelpapierstimme an. Da erreichte das Brennen mein Gesicht und endlich gelang es mir, die Augen aufzuschlagen. Was ich sah, hatte mit dem Himmel herzlich wenig gemeinsam: Ich befand mich in einem engen Raum mit viel zu niedriger Decke, von der einige Spinnenweben herabhingen. Obwohl selbst die Speisekammer meines Elternhauses geräumiger war, hatte man einen wackligen Schrank und ein Bett in das Zimmer gequetscht, und in diesem Bett lag ich nun. „Verdammt!“, entfuhr es mir und schlagartig wurde mir klar, dass sich nicht einmal mein simpler Wunsch zu sterben erfüllt hatte. „Ist auch sehr schön, dich zu sehen, und nein – du brachst mir nicht zu danken. Ist ja nicht so, dass ich dich als halb verrecktes Häufchen Elend in der Wüste aufgelesen und dir das Leben gerettet hätte“, knurrte die Schmirgelpapierstimme mit beißendem Sarkasmus. Ich wandte den Kopf und erschrak, denn neben meinem Bett stand nicht etwa ein Mann – wie ich es von einer solch groben Stimme erwartet hätte – sondern ein blondhaariges Mädchen, nur wenig älter als ich selbst. Zwar bot sie mit ihrem mehr als ungewöhnlichen Kleid und ihren Haaren, die sie zu vier Zöpfen gebunden hatte, einen recht sonderbaren Anblick, doch weiblich war sie allemal. Ich bekam nicht die Gelegenheit, ihr zu antworten, denn ein recht genervt wirkender Junge, in dem ich den Inhaber der zweiten Stimme vermutete, trat neben sie. Zumindest glaubte ich, dass es ein Junge war; ganz klar war das nicht zu erkennen, da sein Gesicht gänzlich mit weiß-lila Schminke bedeckt war. „Du musst meine Schwester entschuldigen“, erklärte er. „Sie hat leider keinerlei Gefühl dafür, wann man einem lebensbedrohlich verletzten Patienten Ruhe gönnen sollte.“ „Kankuro!“, fiel ihm die Blondine aufgebracht ins Wort und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie ihn geschlagen hätte. „Unser Auftrag war es, sie hierher zu bringen, damit sie nicht abkratzt, und nicht, uns bei ihr einzuschleimen! Und diese Mission ist längst beendet, also komm gefälligst mit! Ich halt diese Krankenhausluft keine Minute länger aus!“ Sie machte sich erst gar nicht die Mühe, auf ihren Bruder zu warten, sondern drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Der Junge, dessen Name anscheinend Kankuro war, seufzte tief und verdrehte die Augen zur Zimmerdecke, ehe er sich wieder mir zuwandte. Allerdings konnte ich schon an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass er ebenfalls nicht sehr erpicht darauf war, Zeit mit mir zu verbringen. „Du solltest vielleicht wissen, dass du außer Lebensgefahr bist. Temari und ich haben dich gerade noch rechtzeitig in der Wüste gefunden, als du am Verbluten warst. Deine Beine sind gebrochen und der Heilungsprozess wird sich noch eine ganze Weile hinziehen, aber du solltest den Ärzten Bescheid geben, sobald du dich einigermaßen fit fühlst, weil das Dorfoberhaupt sich mit dir unterhalten will. Ihm und seinen Wahrsagern hast du es übrigens zu verdanken, dass wir überhaupt zur Stelle waren, um dir das Leben zu retten, also solltest du ihm dankbar sein.“ Er nahm einen tiefen Atemzug und musterte mich kurz aus zusammengekniffenen Augen. „Mal ehrlich: Du weißt weder, dass du in Suna bist, noch wie du dorthin gekommen bist, oder?“ Ich schüttelte leicht den Kopf, obwohl ich es mir längst zusammengereimt hatte. Kankuro verzog die Lippen ein wenig, als wäre er nicht sicher, ob er verärgert oder amüsiert sein sollte. „Das Dorfoberhaupt wird dir alles erklären, keine Sorge. Sieh dich in Zukunft bitte nur vor, dass du Gaara nicht noch mal in die Quere kommst. Ab sofort stehst du unter dem persönlichen Schutz aller Ninjas unseres Landes und wenn dir etwas passiert, werden Köpfe rollen. Ach ja, wie heißt du eigentlich?“ Ich hatte kaum Gefühl in den Lippen, doch irgendwie brachte ich meinen Namen hervor. Meine Stimme klang heiser und brüchig, als hätte ich seit Tagen nichts mehr getrunken, und das könnte auch durchaus der Fall sein. „In Ordnung, Yuka. Dann ruh dich jetzt aus und versuch keinen Nervenzusammenbruch zu bekommen.“ Diese Aufforderung war ebenso schwachsinnig wie überflüssig, denn ich bekam nicht mal mehr ganz mit, wie er gleich darauf das Zimmer verließ und einige sonderbar gekleidete Ärzte damit begannen, die Verbände an meinen Beinen zu wechseln. Jeder normale Patient hätte bei dieser Prozedur vor Schmerzen geschrieen, doch seltsamerweise empfand ich rein gar nichts. Die Gedanken glitten nur zähflüssig durch mein Hirn und ich fühlte mich schwach und hilflos und ausgeliefert wie ein Kleinkind. „Sollte es dir in der Nacht oder zu einem anderen Zeitpunkt einmal zu kalt werden, sag einfach Bescheid. Dann zünden wir das Feuer in dem kleinen Kamin dort drüben für dich an“, sagte einer der Ärzte schließlich zu mir, nachdem sie die Folter abgeschlossen hatten. Ich war sicher, dass ich nicht einmal eine Außentemperatur arktischer Ausmaße bemerkt hätte, doch eines an diesem Angebot gab es doch, was meine Aufmerksamkeit kurz fesselte. Ich weiß nicht, wie ich plötzlich darauf kam, doch als der Heiler von einem Kaminfeuer sprach, fiel mir unwillkürlich ein Nachmittag vor einigen Monaten ein, als ich mit meiner Mutter zusammen im Einkaufszentrum gewesen war. Platzend vor Neugier auf alles Unbekannte, hatte sie mich zu einer steinalten Wahrsagerin geschleppt, die in der Eingangshalle an einem nicht viel jüngeren Klapptisch ihre Dienste anboten hatte. Obwohl ich mich mit Händen und Füßen gegen einen solchen Quatsch gewehrt hatte, hatte meine Mutter darauf bestanden, einen Blick auf meine Persönlichkeit werfen zu lassen. Vermutlich nur, weil sie sich erhoffte, damit eine Möglichkeit zu erfahren, mein kompliziertes Temperament besser zu kontrollieren, bevor ich einen Schulverweis riskierte. Die Wahrsagerin verstand mit Sicherheit ebenso viel vom Wahrsagen wie eine Kuh vom Inlineskaten, doch mit ein paar äußerst eindrucksvollen Sätzen hatte sie meine leichtgläubige Mutter im Nu gebannt. „Die Persönlichkeit ihrer Tochter besteht zum größten Teil aus Feuer. Alle anderen Elemente kommen bei ihr viel zu kurz. Das gibt ihr natürlich eine besondere Stärke, aber es kann sich auch zu einem Nachteil entwickeln. Das Feuer wird niemals geduldig warten. Stößt es auf ein Hindernis, wird es das Hindernis niederbrennen und seinen Weg fortsetzen. Nichts kann das Feuer bändigen, außer dem Wasser, und selbst das muss eine außergewöhnliche Stärke innehaben. Aber von sich aus wird das Feuer sich unter keinen Umständen je unterordnen.“ Ich hatte diesem Gerede schon damals keinerlei Glauben geschenkt, und tat es auch jetzt nicht. Allerdings musste ich in diesem Augenblick unwillkürlich an jenen Nachmittag und jenes Gespräch denken. Ich hatte mich mein Leben lang wie eine Art Waldbrand verhalten, der alles nieder brannte, was ihm im Weg stand. Doch jetzt schien dieses Feuer erloschen. Dieses Feuer des Kampfgeistes, Selbstbewusstseins und der Wut. Was früher einmal ein reißender Großband gewesen war, war nunmehr nichts weiter als eine schwächlich züngelnde Glut. Wenn überhaupt. Langsam wanderte mein Blick zur Zimmerdecke und hätte sich das Muster der dunkelbraunen Holzbalken nicht vor meinen Augen verschoben, wäre mir nicht einmal aufgefallen, dass ich zu weinen begann. Ich hatte nichts mehr. Weder die Menschen, die mir etwas bedeuteten, noch ein Zuhause oder mein inneres Feuer. Alles war rettungslos verschwunden. Nicht einmal meine Müdigkeit konnte ich klar wahrnehmen. So fiel es mir kaum auf, als mich die Schmerzmittel übermannten und ich in einen tiefen, aber unruhigen Schlaf fiel. Es musste einiges an Zeit vergangen sein, das verriet mir der nachtschwarze Himmel hinter der einzigen Fensterscheibe. Ob es Stunden, Tage oder sogar Wochen gewesen waren, die ich in diesem Dämmerzustand verbracht hatte – ich wusste es nicht und es interessierte mich auch nicht. Das Einzige, das meine Aufmerksamkeit zumindest ansatzweise erregte, war eine Veränderung in dem sonst so gleichen Raum. Bisher war ich immer allein gewesen und hatte höchstens von ein oder zwei Ärzten Besuch gehabt, doch jetzt saß jemand neben meinem Bett. Direkt unterhalb des Fensters, das mich vom sternklaren Nachthimmel trennte. Ein paar Sekunden lang machte ich mir die Mühe, den fremden Mann zu betrachten. Es fiel mir schwer, da ich mittlerweile daran gewöhnt war, meine komplette Umwelt zu ignorieren, doch es gelang mir, meine Augen scharf zu stellen. Was ich sah, ließ eine finstere Hoffnung in mir aufkommen. Der Mann war muskulös und trug wie die meisten Menschen hier einen schwarzen Freizeitanzug mit einigen Verzierungen aus Netzstoff. Sein hellbraunes Haar hing ihm wirr in die tiefe Stirn und verschmolz dort mit dem sandigen Farbton seiner lederartigen Haut. Er hatte kein besonders schönes oder ausdrucksstarkes Gesicht; das einzig Besondere daran waren seine Augen. Und sie waren auch der einzige Grund, weshalb ich mir die Mühe machte, mich mit seiner Anwesenheit auseinander zu setzen. Es waren die Augen eines Mörders. Kalte, dunkle, onyxfarbene Augen, die mich musterten, als sei ich eine Zielscheibe. Ein herrliches Gefühl durchströmte mich. Meine Todessehnsucht wurde also doch erfüllt. Doch statt sofort eine Waffe zu zücken oder mich mit bloßen Händen zu erwürgen, betrachtete der Mann mich eine sehr lange Zeit. Dann legte er die Hände in den Schoß, zog die Augenbrauen zusammen und räusperte sich. „Kankuro meinte, du würdest unsere Sprache beherrschen“, sagte er mit einer Stimme, die ich nicht grimmiger hätte vermuten können. Es irritierte mich, dass er mit seinem zukünftigen Opfer kommunizieren wollte, und unwillkürlich fragte ich mich, ob er genau wie Gaara eine Art Zeremonie aus dem Gewaltakt machen wollte. Doch selbst wenn – Schmerzen waren mein kleinstes Problem. Unruhe trat auf seine Züge, als ich nicht antwortete, und er seufzte genervt. „Dir ist wohl nicht klar, wer ich bin. Du hast es einzig und allein mir zu verdanken, dass du noch lebst, also könntest du dich ruhig dankbar zeigen. Hätte ich Temari und Kankuro nicht angewiesen, dich aus der Wüste zu holen, wärst du dort jämmerlich verreckt.“ Meine Hoffnung auf ein baldiges Ende zerbrach. Das Bild vor meinen Augen wurde trüb wie eine schlecht geputzte Fensterscheibe. Ich wollte mich schon wieder in den Dämmerzustand sinken lassen, als er ein Wort aussprach, das mich gnadenlos an der Oberfläche festhielt. „Gaara … Dieser nutzlose Idiot ist sogar zu dämlich, mir einen vernünftigen Bewohner eines Paralleluniversums mitzubringen, mit dem man auch etwas anfangen kann“, murmelte er zu sich selbst und ich rang nach Atem. Das Wort war wie ein Schlag gegen den dichten Schleier der Trauer. Es war unmöglich, meinen Verstand abdriften zu lassen und meine Augen weiteten sich, um auch ja nichts von meiner Umgebung zu verpassen. Der fremde Mann warf einen skeptischen Blick auf mich und seufzte erneut. Man konnte ihm kaum zum Vorwurf machen, dass er mich für völlig geistesgestört hielt. „Falls es dich interessiert, Kleine, mein verkorkster Sohn, der dich in unsere Welt geschleppt hat, wird bald sterben. Ursprünglich war es mein Plan, ihn für immer in deine Welt zu verbannen, aber da er jetzt wieder da ist, muss ich mir etwas Anderes überlegen, um ihn loszuwerden. Aber keine Sorge, er wird dir nichts mehr tun. Falls du irgendwann mal das Sprechen lernst, habe ich noch viel mit dir vor und du bist bei mir in den besten Händen.“ Mein Gehirn arbeitete viel zu langsam, doch ganz allmählich tröpfelte die Erkenntnis zu mir durch. Das hier war das Dorfoberhaupt. Gaaras Vater, der Shukaku in ihn gebannt hatte, und ihn jetzt um jeden Preis töten wollte. Kein Wunder, dass er die Augen eines Mörders hatte. Ich hätte ihm gegenüber Abscheu empfinden müssen, doch ich war lediglich begierig auf ein paar Antworten. Oder besser gesagt auf eine Antwort, die einzige, die mich noch interessierte. Schwerfällig brachte ich meine Lippen dazu, sich zu bewegen und suchte nach meiner Stimme. „Ich … möchte … nach Hause…“ Wenn es überhaupt noch jemanden gab, der mir diesen Wunsch erfüllen konnte, war es dieser Mann; er schien zu wissen, woher ich kam. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich möglichst klar in seine kalten Augen blickte und wartete. Er lächelte – offenbar erfreut darüber, dass ich doch noch ein Lebenszeichen von mir gab – und beugte sich leicht über mich. Einen schier unerträglichen Augenblick lang schwieg er; dann streckte er die Hand aus und strich mir mit einer fast liebevollen Geste über den Kopf. „Yuka…“, sagte er langsam und in seiner Stimme schwang etwas mit, das mich an väterlichen Stolz erinnerte. Doch es war zu kalt, um mir ein vertrautes Gefühl zu geben. „Yuka, wie sollte ich dich nach Hause bringen können? Du kommst aus einem Paralleluniversum, du bist einzigartig und unersetzlich. Mit etwas Glück kann ich dich zu einer viel perfekteren Waffe ausbilden, als mein verkorkster Sohn es je sein wird. Dein Chakrasystem unterscheidet sich grundlegend von allem, das unsere Ärzte je gesehen haben, und wenn wir es gut genug nutzen, könntest du schier unglaubliche Fähigkeiten freisetzen. Fähigkeiten, die dem Windreich zu Ruhm und Ehre verhelfen werden.“ Er ignorierte den Schock, der mir ins Gesicht geschrieben stand, und ließ seine Finger von meinen Haaren an meine Wange hinabwandern. „Du verstehst also…“, fuhr der Kazekage widerlich schmeichelnd fort, „…dass es für dich nie wieder einen Weg in deine Welt geben wird. Mit dir kann ich schaffen, was mir mit Gaara nicht gelungen ist. Und wenn du dich gut anstellst, wird es dir gut gehen. Wenn nicht … nun ja, es gibt leider auch immer eine harte Tour, nicht wahr?“ Ich rang nach Atem und kämpfte gegen die Panik. Ich wollte diesen leichten Schleier der Taubheit nicht verlieren, denn dann würde es wehtun, das war mir klar. „Weder … werde ich kämpfen noch morden!“, stieß ich heiser hervor und presste die Lippen aufeinander. „Warum denn nicht?“ „Weil es schlecht ist. Es tut mir weh und allen Beteiligten. Ich tu das nie wieder.“ Er musterte mich abschätzend aus zusammengekniffenen Augen, ehe das kühle Lächeln zurück auf sein Gesicht trat. „Wie schade, denn nun wird es der Hauptinhalt deines Lebens werden.“ „Nein!“ Ich saß aufrecht auf der Liege und starrte den Kazekage aus geweiteten Augen an; heftiges Zittern schüttelte meinen Körper. Egal in welchem Universum ich war – ich würde nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen. All die Bilder von Gaaras Opfern wirbelten durch meinen Kopf und noch weitaus deutlicher die Momente, in denen ich selbst Blut vergossen hatte. Es war einfach gewesen, die Folgen in diesen Augenblicken auszublenden, doch nun, wo ich nicht länger in Lebensgefahr war, stürzte all die erdrückende Schuld auf mich hinab. Ich war eine Mörderin, eine fürchterliche Mörderin. Unter keinen Umständen durfte ich zulassen, dass sich das wiederholte. „Alles, nur nicht das! Ich kann nicht mehr! Kein … kein Blut mehr! Keine verstümmelten Körper! Und die Schreie … es soll aufhören!“ Paranoia lag in meiner viel zu hohen Stimme, als ich mir die Fäuste auf die Ohren presste. Doch die Schreie meiner Opfer hallten unerbittlich in meinem Kopf wieder und ich konnte sogar ihr warmes Blut fühlen, das mir an den Händen klebte. Ich schrie selbst, um die Stimmen in meinem Kopf zu übertönen und schlug um mich, damit alle Welt vor mir – der Mörderin – Abstand hielt. Erst ein noch viel lauterer Schrei, als ich ihn je hervorbringen könnte, riss mich aus dem Strudel an Schuldgefühlen. Der Kazekage hatte meine Handgelenke gepackt, drückte mich an die Rückenlehne des Bettes und funkelte mich wutentbrannt an. „Ruhe, verdammt noch mal!“, zischte er und versuchte das panische Beben meiner Schultern zu unterbinden. „Ich lass mir meinen Plan nicht kaputtmachen! Du wirst meine Waffe werden, ob du willst oder nicht!“ Verkrampft schüttelte ich den Kopf und begann zu wimmern, doch seine Antwort war eine kräftige Ohrfeige, die mir das Blut aus der Nase trieb. Noch einmal packte er mich an beiden Schultern und presste mich an die Rückenlehne, den Blick unnachgiebig hart auf mich gerichtet. „Keine Widerrede! Hier geht es nicht so nett wie in deinem Zuhause zu, gewöhn dich dran! Mach Zicken und dein Leben wird die Hölle! Dein Leben, merk dir das! Du wirst nicht sterben! Du bleibst am Leben und arbeitest für mich und je früher du dich damit arrangierst, desto besser für deine Gesundheit!“ Er ließ mich los und marschierte aus dem Raum, während ich kraftlos in mir zusammenklappte und halb liegend, halb sitzend auf die Bettdecke sank. Ich krallte meine Finger in das Nachthemd, das sie mir angezogen hatten, und versuchte mir mit den Fingernägeln den Brustkorb aufzukratzen, um mir die Organe aus dem Körper zu reißen, doch schon versagte mir wieder die Koordination. Ich hatte zu viel Zeit in der gefühllosen Starre verbracht; jetzt war ich nicht mal mehr in der Lage zu einem anständigen Selbstmordversuch. Ich konnte nur weinen, immer weiter weinen, und darauf hoffen, in meinen Tränen zu ertrinken. Es gab nichts, was ich jetzt noch tun konnte. Immerhin ersparte diese Gewissheit mir die Anstrengung, die es gekostet hätte, nach einer Lösung zu suchen. Dies war das Ende allen Seins, die allumfassende Apokalypse meiner Existenz. Und als ich diesen Gedanken endlich akzeptiert hatte, wurde es einfacher. Nicht schön oder angenehm, aber erträglich. Ich zog mich hinter die Eismauer zurück und verwandte all meine Energie darauf, sie immer höher und fester zu errichten, bis die schützende Taubheit zurückkehrte. Nur noch intensiver als zuvor. Von da an musste ich nicht mehr weinen oder mir den Tod herbeisehnen. Ich musste mich auch nicht mehr anstrengen, um meine Gliedmaßen bewegen zu können, da sie von selbst alles Notwendige erledigten. Meine Hände nahmen das Essen, das man mir gab, meine Zähne zerkleinerten es und mein Magen verdaute es. Stellte mir jemand eine Frage, gab mein Mund Antwort. Und als meine Beine wieder geheilt waren und ich ein kleines Zimmer im Haus des Kazekage bezog, tat mein Körper weiter bereitwillig, was man ihm sagte, während ich hinter der Eismauer saß und die Starre genoss. Nur manchmal musste ich darauf achten, die Mauer instand zu halten, und zwar wenn das eine, ganz besondere Wort fiel, das mich an die Oberfläche ziehen wollte. Aber ich bekam schnell genug Übung, nach außen hin der perfekte Roboter zu sein, während mein Inneres längst tot war. Nur eins tat mein Körper nicht, und das war Kämpfen. Meine Finger weigerten sich, eine Waffe in die Hand zu nehmen und meine Ohren ignorierten die Kampftricks, die der Kazekage mir beizubringen versuchte. In diesem einen Prinzip blieb ich meiner toten Seele treu und da die Eismauer einen perfekten Schutz darstellte, empfand ich auch nicht die Schmerzen, die der Kazekage mir zuzufügen versuchte, wenn er mich bestrafte. Was keine Seele hat, kann man nicht verletzen. Das hätte er wissen sollen. Ich ließ mich dahin gleiten wie ein Eskimo auf einer Eisscholle im unendlich weiten Ozean. Um mich herum folgte alles stets demselben Trott: Sonnenaufgang reihte sich mal mehr, mal weniger schnell an Sonnenuntergang. Es war mir, als wäre meine Eisscholle von einem dichten Nebelschleier umgeben und ich war davon überzeugt, den Rest meines Lebens dort zu verbringen. Kapitel 15: Leben lernen ------------------------ Bis meine Eisscholle eines Tages auf einem fremden Ozean schwamm. Ich wusste nicht, wie ich dorthin gelangt war, doch ich spürte, dass die Veränderung nicht richtig war. Die Luft war nicht mehr staubig, sondern modrig und ich war in Gesellschaft fremder Menschen. Meine Arme und Beine sagten mir, sie können sich nicht frei bewegen; um meine Handgelenke lagen Fesseln. Da konnte ich nicht anders, als vorsichtig gegen den Nebelschleier anzugehen. Ich wollte keine völlige Klarheit, ich wollte nur erkennen, inwiefern meine Umgebung sich verändert hatte, und es gelang mit einiger Mühe. Ganz allmählich nahm ich die leichten Luftzüge wahr, die mich umgaben. Ich spürte die raue Haut, die sich über meinen viel zu knochigen Körper spannte, und die Fesseln aus Stahl, die meine Hand- und Fußgelenke fixierten Und dann – völlig unvorhergesehen – erklang sein Name. Ich hatte meine Ohren das erste Mal seit langer Zeit wieder konzentriert, darum dröhnte es so laut wie ein Gongschlag in meinem Kopf wieder. Ich wollte mir die Ohren zuhalten, um die magische Anziehungskraft des Wortes zu unterbinden, doch die Handschellen fesselten meine Hände. Leichte Panik flammte in mir auf und ich spürte heftige Gänsehaut auf meinem Körper. Warum musste das ausgerechnet jetzt passieren? Hätten meine fremden Gesellschafter sich keinen passenderen Zeitpunkt aussuchen können, dieses eine Wort zu sagen? Musste es genau jetzt sein, wo meine Sinne ohnehin schon geschärft waren? Und sie setzten ihr Gespräch fort und sprachen weiter über ihn. Der letzte Bestandteil, der mir aus meinem alten Leben geblieben war. Wieder und wieder fiel sein Name und jedes Mal war es wie ein Tritt in den Magen für mich. Ein Tritt, der mir fürchterliche Klarheit brachte, die ich vergeblich zu verdrängen versuchte. Schon erkannte ich meine Umgebung: Ein dunkler, geschlossener Raum mit hoher Decke. Die einzigen Farbspritzer waren am Boden und stammten wahrscheinlich von meinem eigenen Blut. Die insgesamt drei Männer, die in einem Halbkreis um mich herum standen, erweckten durchaus den Eindruck, vor Gewalt nicht zurückzuschrecken. Es waren wuchtige, finstere Gestalten mit unharmonischen Gesichtszügen, an denen nichts zusammenzupassen schien. Möglicherweise erschien mir dies aber nur so, weil es so lange her gewesen war, seit ich zum letzten Mal ein menschliches Gesicht deutlich gesehen hatte. Die Panik nagte stärker an mir und mit Schrecken stellte ich fest, dass ich sogar mein Herz in meiner Brust pochen spürte. Ich wollte das alles nicht sehen, ich wollte meinen Körper nicht spüren, ich wollte zurück in meinen Nebelschleier. Da wurden die Stimmen der Männer lauter und die drei stoben hastig auseinander. Schneller als meine ungeübten Augen es erfassen konnten, rannten sie aus dem weitläufigen Raum; nur das Schlagen einer gewichtigen Tür hallte in meinem Kopf wieder. Einen Moment lang hoffte ich, dass es endlich vorbei war und ich jetzt zurück in meine sichere Taubheit konnte, doch da zitterte der Boden unter einer gewaltigen Explosion und Bruchstücke des Mauerwerks donnerten von der Decke hinab. Leider traf keins auf mich. Sand und Staub verteilten sich in der Luft und brannten mir in der Lunge. Aus reinem Reflex kniff ich die Augen zu und kauerte mich schützend in meiner Ecke zusammen. Ich zitterte am ganzen Körper, das verrieten mir meine heftig klappernden Zähne. Ein weiterer, diesmal kleiner Mauerbrocken kam dicht neben mir zu Boden. Es konnte keins der massiven, lebensbedrohlichen Exemplare sein, dazu war die Erschütterung zu gering. Doch aus irgendeinem Grund brachte dieser Mauerbrocken eine riesige Sandmenge mit sich. Mit einem Mal war der Sand überall, umgab mich wie einen Schleier. Und dann war ich sicher, endgültig den Verstand verloren zu haben, denn der Sand begann mit seiner Stimme zu sprechen. „Setz dich hin.“ Bevor ich mich zurückhalten konnte, hatte ich die Augen aufgerissen und starrte nicht auf einen Mauerbrocken oder Sand, sondern auf ihn. Das magische Bindeglied zwischen meiner realen Welt und diesem perplexen Paralleluniversum. Der einzige Mensch, den ich gekannt hatte, als ich noch lebte, und der noch immer in meiner Reichweite war. Er war ein Teil meines verlorenen Lebens. Darum hatte schon sein Name mich derart angezogen und darum hatte ich mir jeglichen Gedanken an ihn streng untersagt. Doch jetzt konnte ich nicht anders, als ihn begierig anzustarren und jedes noch so kleine Detail seines Anblicks in mich einzusaugen. Das Blutrot seiner Haare leuchtete selbst im Dämmerlicht. Die blasse Haut hob sich im sanften Kontrast ab, und unter der mir altbekannten Kleidung erkannte ich einige hervorstehende Knochen. Bohrend intensiv erwiderte er meinen Blick. Er hatte sich kein bisschen verändert und doch war alles anders. „Du sollst dich hinsetzen.“ Er wiederholte die Aufforderung, statt mich zu verletzen. Und da war nicht mehr diese unterdrückte und furchteinflößende Begierde in seiner dunklen Stimme, aus der Shukaku gesprochen hatte. Automatisch richtete ich den Oberkörper auf, den Blick noch immer auf seine glitzernden Augen gerichtet. Ich hatte Angst, dass er plötzlich verschwinden könnte, wie ein unverhofft endender Traum, und zugleich fürchtete ich mich davor, dass er mich ein für allemal davon abhielt, in den Nebelschleier zurückzukehren. Er streckte eine Hand aus und sofort löste der Sand die Fesseln von meinen Hand- und Fußgelenken. Es schmerzte ein wenig, doch ich nahm es kaum wahr. Viel intensiver war ein anderes Gefühl, das ich seit ewigen Zeiten nicht mehr empfunden hatte, und das mich nun überrollte wie eine meterhohe Welle. Die Eismauer, die ich so sorgsam in meinem Innern bewahrt hatte, wurde hinweggeschwemmt, die Eisscholle ging unter und ich … war frei. Ein heiserer Laut entwich meiner Kehle und im selben Moment, da ich meine Gliedmaßen endlich wieder spüren konnte, warf ich mich mit aller verbliebenen Kraft vorwärts. Mit beiden Armen umschlang ich seinen Oberkörper und presste mein Gesicht an seine Brust, bis es schmerzte. „Gaara…“ Ich formte seinen Namen beinahe lautlos mit den Lippen; mein Körper wurde zu sehr vom Zittern geschüttelt, als dass ich wirklich hätte sprechen können. Verkrampft krallte ich meine Finger an seinen Rücken und verwandte all meine Energie darauf, ihm so nah wie möglich zu sein. Er war jetzt nicht mehr mein Entführer, er war vielleicht noch immer der Junge, der mich hatte umbringen wollen, doch er war alles, was mir aus meinem Leben geblieben war. Das war wertvoller, als die schützende Taubheit es je sein könnte. Und als wäre in diesem Augenblick eine Tür in meinem Kopf geöffnet worden, wusste ich wieder, was ich wollte. „Ich will leben…“, hauchte ich und schluchzte ohne zu weinen. Leben – falls das überhaupt je wieder möglich war, so konnte ich es nur mit ihm in meiner Nähe. Heiß und schmerzhaft und unaufhaltsam rannen die Tränen über meine Haut. Ich glaubte fast, unter der erdrückenden Gefühlswelle ersticken zu müssen. Meine Sinne waren geschärft und jede Zelle meines Körpers aufgerichtet. Ich fühlte die Luft in meinen Lungen, meinen dröhnenden Herzschlag und vor allem fühlte ich ihn. Sein kühler, angestrengter Atem glitt über meinen Kopf hinweg; das rasselnde Geräusch verriet mir, dass er die Zähne zusammengebissen hatte. „Das will ich dir auch raten. Wenn es jemanden gibt, der dein Leben beenden darf, bin ich das.“ Ich blickte auf zu seinen tiefgrünen Augen und dann wusste ich, dass ich zu Recht hier war. Ich sollte hier sein – für ihn. Meine Anwesenheit hatte einen Sinn. „Komm mit.“ Er sprach kühl und bestimmt, und ebenso war der Druck seiner Hand, mit der er mich vom Boden hoch zog. Meine Beine fühlten sich wie Fremdkörper an, doch es gelang mir, ihm zu folgen. Ich war so desorientiert, dass ich eine ganze Weile lang auf meine Hand in seiner starren musste, ehe ich begriff, dass das tatsächlich mein Körper war, der hier in irgendeinem unterirdischen Versteck von Sabaku no Gaara gerettet wurde. Es war mir kaum möglich, mir vorzustellen, dass es tatsächlich die streitsüchtige Lacrossespielerin Yuka war, die sich an diesem Ort befand. Ich war damals in dem Krankenzimmer, als der Kazekage mir seine Pläne eröffnet hatte, nicht gestorben. Doch ich hatte mich selbst eingefroren und mein Herz sorgsam verschlossen. Und nun war ich wieder da. Ich hatte mich von einer seelenlosen Marionette in ein Mädchen mit einem Ziel verwandelt. Selbst wenn mein Ziel nur daraus bestand, ihm zu folgen und mich krampfhaft an das einzige Überbleibsel aus meinem Leben zu klammern. Hinterher konnte ich mich nicht mehr genau daran erinnern, was geschehen war, aber irgendwann fand ich mich vor den Toren des Hauses des Kazekage wieder. Ich war überwältigt von der Masse an neuen Eindrücken, die auf mich einstürmten. War das Gebäude schon immer so groß und prächtig gewesen? Hatte der helle Sandstein immer so bezaubernd in der Sonne geglitzert? Und hatte mir die staubige Wüstenluft schon immer derart in die Lungen geschnitten? Oder hatte ich all dies während meines sicher langen Aufenthalts niemals wahrgenommen? In meiner Verwirrung wandte ich den Kopf und suchte einen Anhaltspunkt in Gaaras unbewegtem Gesicht. Hier hatte sich nichts verändert: Ich kannte diesen Anblick in und auswendig. „Warum hast du das getan?“ Fast erschrak ich über den lauten, festen Klang meiner Stimme. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt mit solcher Entschlossenheit gesprochen hatte. Gaara rümpfte kaum sichtbar die Nase und trat einen Schritt zurück. Wie zufällig löste seine Hand sich von meiner und schlagartig fühlte ich eine Schwere auf meiner Brust. War das Enttäuschung? Ich war mir nicht sicher; zu lange hatte ich nichts mehr empfunden, um Emotionen auseinander halten zu können. „Auftrag ist Auftrag“, knurrte er. Mein Gesicht musste ein einziges Fragezeichen sein, denn er runzelte unwillig die Stirn, ehe er fortfuhr. „Du bist der Schatz Suna-Gakures. Es sollte keinen wundern, dass feindliche Streitmächte dich für ihre Zwecke verwenden wollen.“ Ich kramte in meinem Gedächtnis nach den verschwommenen Erinnerungen an die Männer, die von Gaara gesprochen hatten. „Diese Männer waren feindliche Ninjas?“ „Ja. Und mein Team bekam die Mission, dich zu befreien.“ „Wieso um alles auf der Welt ausgerechnet dein Team? Ich meine … das ist doch bescheuert! Warum um alles auf der Welt solltest du mich retten? Schließlich bin ich nur dazu da, dich … na ja … als Waffe zu ersetzen.“ Es schien mir nicht sehr taktvoll, gleich von den geplanten Mordabsichten anzufangen. Beinahe spöttisch verzogen sich seine schmalen Lippen und er verschränkte die Arme. Ein Bild vollendeten Selbstbewusstseins. „Als könntest du mir nur annähernd das Wasser reichen. Mein Vater ist nichts weiter als ein größenwahnsinniger Dummkopf. Ihm hätte von Anfang an klar sein müssen, wie nutzlos du bist. Aber nein, er hat dich erst unzählige Male von seinen besten Medic-Nin untersuchen lassen, bevor er ihren Untersuchungsergebnissen Glauben schenkte. All seine Hoffnungen auf dein spezielles Chakra, das er sich zu Nutzen machen wollte – es hat sich herausgestellt, dass das völliger Quatsch ist. Du besitzt zwar in der Tat ein spezielles Chakra, nur ist die einzige Besonderheit daran, dass es schwächer ist als das Gewöhnliche. Du bist das, was man eine Fehlinvestition nennt.“ Mein Mund öffnete sich, ohne dass ihn ein Ton verließ. Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht. Einerseits beendete dies höchstwahrscheinlich meine Kampfausbildung, andererseits machte es mich für den Kazekage wertlos. „Weshalb lässt er mich dann überhaupt noch retten?“ Ich schluckte über die Direktheit meiner Frage und biss mir auf die Unterlippe. „Weil er ein selbstverliebter Sturkopf ist. Er glaubt immer noch daran, irgendetwas aus dir herausholen zu können. Nur weil er sich seinen Irrtum nicht eingestehen will.“ Ich sah zu Boden und studierte meine Zehen, die aus den ungewöhnlichen Sandalen ragten, die hier jeder trug. Dabei fielen mir die zahlreichen grünlich-blauen Flecken an meiner Haut auf und ich berührte verwirrt mit dem Finger eine dieser Verfärbungen. Sofort schoss ein Schmerz wie eine arterielle Pulswelle durch mein Bein und ich kniff die Augen zusammen. „Autsch!“, entfuhr es mir. Ungläubig musterte ich die nicht enden wollende Anreihungen von Hautabschürfungen, Beulen und blauen Flecken, die sich über meine Gliedmaßen zogen. Hatte ich dies alles tatsächlich all die Zeit nicht bemerkt? „Wo … zum Teufel kommt das her?“ Ich war mir nicht sicher, ob ich die Antwort überhaupt hören wollte. „Mein Vater findet es nicht sonderlich ansprechend, wenn man seine Befehle missachtet und sich weigert zu kämpfen.“ Gaara sagte es vollkommen gelassen und ich suchte vergebens nach Anzeichen von Zorn in seinem Gesicht. Erneut war da diese merkwürdige Schwere auf meinem Brustkorb, von der mein Verstand mir sagte, es sei Enttäuschung. Doch ich hatte keine Zeit, über dieser Empfindung zu grübeln, denn Gaara wandte sich ab und drehte mir den Rücken zu. „Geh zu einem Heiler und lass dich behandeln. Damit wäre meine Mission erfüllt“, murmelte er teilnahmslos. Ich bewegte mich schneller, als gut für mich war, und biss mir prompt vor Schmerz auf die Lippe. „Halt, warte!“, rief ich eine Oktave höher als gewöhnlich und streckte einen Arm aus, als könne ich ihn festhalten. Der Gedanke, ihn bereits so schnell wieder fort zu lassen, war deutlich schmerzvoller als meine pulsierenden Wunden. „Wieso?“ Er stand still wie eine Statue, und ebenso versteinert klang seine Stimme. Krampfhaft suchte ich nach Worten. „Wie … wie stellst du dir das jetzt vor? Wie soll das weitergehen?“ Diesmal unterbewusst biss ich mir auf die Lippe, bis ich Blut schmeckte. Er wandte mir weiter den Rücken zu. „Tu, was immer du willst.“ „Was ich wirklich tun möchte, ist unmöglich, und das weißt du.“ Ihm war klar, dass ich damit meine Rückkehr nach Hause meinte. „Pech.“ Erneut setzte er zum Gehen an, doch diesmal war ich trotz schmerzender Gliedmaßen schnell genug, mich vor ihm aufzubauen. Schwer atmend sah ich zu seinem unbewegten Gesicht auf und schluckte den Kloß in meiner Kehle hinunter. Weshalb musste man diesem Ignorant nur immerzu alles vorkauen? „Bild dir bloß nicht ein, dass du so einfach davonkommst! Du hast mich hierher geschleppt, also sag mir auch, wie du dir das vorgestellt hast! Du hast mich in der Wüste nicht umgebracht und vorhin, als die perfekte Gelegenheit dazu war, auch nicht. Du lässt mich hier leben – dann gib mir gefälligst einen Grund! Wenn es für meine Existenz hier einen Grund gibt, bin ich bereit, es zumindest zu versuchen, hier mein Leben zu fristen. Aber sag es mir!“ Meine Schultern hoben und senkten sich unregelmäßig; aufgewühlt und verletzt musste ich neben ihm einen erbärmlichen Eindruck machen. Doch es gelang mir, ihn mit meinem Blick an Ort und Stelle zu ketten. Jeder seiner Muskeln war unbewegt, während er mich aus schmalen Jadeaugen musterte und mir damit einen Schauder über den Rücken jagte. Die Erinnerungen von damals in der Wüste kratzten an meinem Bewusstsein, doch ich schüttelte sie ab. Sollte er erneut einen Versuch starten, mich zu töten, wäre ich nicht traurig darum. Hier, in dieser Welt, gab es für mich nichts Erstrebenswertes. Nichts, außer einem Leben an seiner Seite, und ob er mir das gestatten wollte – nun, das war in etwa so sicher wie sechs Richtige im Lotto. „Geh zurück zu meinem Vater und setze deine Ausbildung fort“, sagte er schließlich mit deutlicher Distanziertheit. Ich schüttelte den Kopf und trat einen Schritt auf ihn zu. Am liebsten hätte ich seine Schultern gepackt und ihn so lange durchgerüttelt, bis er endlich verstand. „Ich lass mich nicht foltern! Ich will leben, wie ein normaler Mensch! Hab ich darauf denn nicht auch ein Recht, obwohl mein Chakra so minderwertig ist?! Als du mich trainiert hast, habe ich doch auch das ein oder andere auf die Reihe gekriegt! Ich will nicht kämpfen, wirklich nicht, aber wenn du es mir sagen würdest … wenn es meinem Leben einen Sinn geben würde…“ Es gelang mir nicht, den Satz zu beenden; meine Wangen glühten bereits vor Scham. Ich hatte nicht so viel vor ihm preisgeben wollen, doch nun war es passiert. Er war mein Kidnapper gewesen, er hatte versucht mich zu töten und von ihm hatte ich am allerwenigsten zu erwarten. Doch er war alles, was mir von meinem alten Leben geblieben war. Wenn er nicht mehr da wäre, wie sollte ich mich dann weiter daran erinnern, dass ich noch immer Yuka Ashihira war? Ich schloss die Augen, nahm einen tiefen Atemzug und senkte den Kopf, die Hände unsicher vor meinem Körper verschlungen. „Gaara, hör zu. Ich weiß, dass wir uns nie miteinander vertragen werden, aber ich weiß ebenso gut, dass ich dir nicht egal bin. Wenn es nicht anders geht, bin ich bereit dazu, eine Laufbahn als Ninja zu versuchen. Versuchen – okay? Keine Ahnung, ob ich das packe, aber ich tu es, wenn du mich nicht wieder mir selbst überlässt. Du siehst es doch gern, wenn ich kämpfe. Also hätten wir beide etwas davon. Dein Slave bleibt dir erhalten und ich bin ein wenig aus der Schussbahn des Kazekage.“ Mir war, als würde mein Herz mit jedem ausgesprochenen Wort seine Geschwindigkeit verdoppeln, bis es schlussendlich wie ein Schwarm aufgeregter Vögel gegen meine Rippen donnerte. Seine Entscheidung war zugleich die Entscheidung über mein Leben. Würde er ablehnen, wäre es gelaufen, so viel war mir klar. Ich vernahm ein leises Knirschen, als er sich in Bewegung setzte, und dicht an mir vorbeilief. Sein sandiger und zugleich auf gewisse Weise aufregender Duft stieg mir in die Nase und ich wollte gerade zu ihm aufblicken, als etwas sehr, sehr Sanftes meine Haare streifte. Das Blut in meinen Adern schien zu gefrieren, ehe es sich entschloss, wie ein reißender Wildwasserstrom durch meinen Körper zu rasen, als mich die Erkenntnis durchschoss, was das war. Sein Gesicht, das mich eher ungewollt berührte, während er mir einen einzigen Satz zuflüsterte. „Du kommst in mein Team und strengst dich besser an, Slave.“ Seine Stimme kam mir vor wie eine Schneeflocke: Eisig kalt und ruhig auf der einen Seite und unvergleichlich anmutig und schön auf der anderen. Blitzartig fuhr ich herum, um noch einen letzten Blick auf sein makelloses Gesicht zu erhaschen, doch er hatte sich bereits einige Meter entfernt. Alles, was ich von ihm sah, war sein Rücken – beinahe gänzlich mit der unförmigen Kürbisflasche bedeckt. Und da spürte ich, wie der letzte Rest der Eismauer in mir wie ein Kartenhaus zerfiel. Ich lebte. Ich war hier bei ihm. Und das war gut so. Mit diesem für mich lebensrettenden Entschluss hätte mein Leben sich in halbwegs normale Bahnen fügen und mir ein klein wenig Glück bescheren können – so glaubte ich zunächst. Doch die folgenden Wochen belehrten mich eines Besseren. Die Ausbildung eines Shinobi, beziehungsweise einer Kunoichi, glich der Prozedur vom Herstellen eines Schwertes. Zuerst erhitzt man den Stahl einige Zeit in glühend heißem Feuer, bis er weich und formbar wird. Dann bearbeitet man ihn mit einem Hammer, um ihn in die gewünschte Form zu bringen, und zuletzt wird das Schwert scharf geschliffen. Für gewöhnlich wird ein Shinobi in das versteckte Ninjadorf hineingeboren und beginnt mit seiner Ausbildung, noch bevor er laufen kann. Was all die anderen also in mehr als zehn Jahren gelernt hatten, hatte ich mir binnen weniger Monate anzueignen, wenn ich eine Chance haben wollte, eine vollwertige Kunoichi zu werden. Und ich gebe zu, dass ich in dieser Zeit Blut und Wasser geschwitzt, wund gelaufene Füße und blutende Hände gehabt habe, und selbst in der Nacht von Alpträumen gequält wurde, ehe mich noch vor Sonnenaufgang der unüberhörbare Gongschlag weckte. Dieser Gong war im Speicher meines neuen Wohnsitzes angebracht und holte pünktlich um fünf Uhr morgens alle Einwohner aus ihren Betten – oder besser gesagt Matten, denn Betten gab es keine. Außer mir waren das der Kazekage, seine Kinder, einige niedere Angestellte und Baki, der unser Training leitete. Nach diesem furchtbaren Gong durfte ich mich also jeden Morgen in das prähistorische Badezimmer begeben (Fließendes Wasser zu bekommen, war Glückssache), anschließend mein Haferschleim-Frühstück einnehmen und mich keine Sekunde später als halb sechs zur ersten von mindestens fünf Trainingsstunden am Tag einfinden. Was das Training betrifft, so habe ich mich selten derart gedemütigt gefühlt. Durch Lacrosse, Schlägereien und auch meinen Horrortrip zusammen mit Gaara hatte ich mich für alles andere als einen Schwächling gehalten. In Bakis Augen dagegen war ich weniger wert als eine Kakerlake und im Vergleich zu meinen Trainingskameraden fühlte ich mich auch so. „Wieder nicht getroffen, Ashihira! Das macht zwei Strafrunden um den Platz!“, schalt mein Sensei mich. Er war ein energischer, stets düster dreinblickender Mann mit breiten Schultern, der mit Sicherheit einen perfekten Sklaventreiber im alten Ägypten abgegeben hätte. Entnervt trat ich gegen die Zielscheibe, die ich schon wieder mit meinen Wurfsternen verfehlt hatte. Es war meine fünfte Trainingswoche und abgesehen von unzähligen neuen Wunden konnte ich keinerlei körperliche Entwicklung an mir feststellen. Der Schweiß rann mir über Gesicht und Arme und einen Moment war ich versucht, diese Zielscheibe einfach aus dem Boden zu reißen. „Gottverdammter, hirnverbrannter Scheißdreck!“, stieß ich hervor und schleuderte noch ein paar Flüche hinterher, die ich lieber nicht wiederhole. Unwirsch verschloss ich die Tasche mit Wurfsternen an meinem Gürtel und trabte zur Umzäunung des Platzes, um meine Strafe abzubüßen. „Viel Spaß und immer schön genug Spucke zum Schreien behalten“, rief Kankuro mir amüsiert zu, ehe er eine ganze Handvoll Wurfsterne absolut perfekt auf die Zielscheibe schleuderte. Vor Neid und Wut auf mich selbst wurde mir richtiggehend übel. Der Ehrgeiz fraß ein tiefes Loch in mein Ego. „Halt die Klappe und konzentrier dich, Kankuro!“, donnerte Baki. Mit gesenktem Kopf begann ich zu rennen und fing gerade noch ein schiefes Lächeln von Kankuro auf. Er hatte sich als angenehmster Zeitgenosse erwiesen, auch wenn wir uns die meiste Zeit gegenseitig aufzogen. Temari war da komplizierter; ihr Wohlwollen galt nur Menschen, die sie aufgrund ihres Könnens respektieren konnte. Und Gaara … Nun, er war nur ein Grund mehr für mich, meine Geschwindigkeit trotz schmerzender Beine zu beschleunigen und mich mit aller Gewalt vorwärts zu treiben. Und so kam es, dass ich an diesem Tag sogar nach Ende der letzten Trainingseinheit das Abendessen ausfallen ließ, um allein weiter zu trainieren. Wie unter einem Zwang bewarf ich Ziele mit Wurfsternen, verprügelte einen Boxsack und übte mich im Kampf mit einem Kurzschwert. Wie bereits einige Male zuvor kam Kankuro dazu, nachdem er sein Abendessen beendet hatte. Normalerweise warf er mir nur einen mehr oder weniger freundlichen Blick zu und absolvierte dann stumm sein Training. Ich war ohnehin zu angestrengt, um eine größere Konversation zustande zu bringen. Doch heute ignorierte er unseren stummen Pakt wortloser Koexistenz. „Hey, meinst du nicht auch, dass es nach den vielen Strafrunden heute Mittag mit dem Training mal reicht?“, rief er und ich hob irritiert den Kopf. Im Dunkel der Nacht konnte ich lediglich seine Silhouette am Zaun ausmachen, wo er entspannt lehnte. Meine Konzentration blieb jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde gestört; sofort ging ich wieder in Kampfstellung und verpasste dem Boxsack einen rechten Haken. „Ich geh hier nicht eher weg, bis mir die Beine unterm Körper wegklappen!“ Meine Worte waren albern und melodramatisch, und natürlich lachte Kankuro leise auf. Der Zaun knarrte, als er sich auf ihn setzte und auf den Platz neben sich klopfte. „Komm schon, ein paar Minuten Pause bringen dich schon nicht um. So, wie du auf das Teil einschlägst, könntest du einen Shinobi nicht mal kitzeln. Deine Attacken sind wie Angriffe mit einem Schwert aus Hartgummi.“ Seine Stimme klang lediglich amüsiert, und doch genügte dieser Kommentar, um mich vor Wut schier rasend zu machen. „Himmel Herrgott noch mal! Ich weiß selbst, dass ich nichts auf die Reihe krieg’!“ Mein Schrei hallte laut in der Stille der Nacht wider. Erneut ließ Kankuro ein dezentes Lachen erklingen und wäre ich nicht so erledigt gewesen, hätte ich sicher versucht ihn dafür zu schlagen. „Schon deine Stimmbänder und komm lieber her und erklär mir, wie du ein Ninjatraining ohne Chakra meistern willst. Das ist doch, als würde man versuchen mit einem Löffel Papier zu schneiden.“ „Das weiß ich selbst!“ Widerwillig ließ ich von dem Boxsack ab und trat auf den Zaun zu. Doch statt mich neben Kankuro zu setzen, spuckte ich direkt vor ihm auf den Boden und bedachte ihn mit einem wutentbrannten Blick, der eher mir selbst als ihm galt. Er verstand sofort und unterdrückte mühevoll das Lachen. Und dann, schneller als ich mit meinem ermüdeten Körper reagieren konnte, schnellte seine Hand vorwärts und zog mich neben ihn auf den Zaun. Ich quietschte erschrocken auf, verstummte allerdings sofort, als er mir eine Dose heißen Kaffee vor die Nase hielt. Dieses Gesöff hatte im Vergleich zu echt südamerikanischen Kaffee in etwa die Qualität von Abwasser. Das war nicht weiter verwunderlich – wo sollten in der Wüste auch Kaffeebohnen wachsen? Wieder verstand Kankuro mich ohne Worte; barsch schwenkte er die Dose vor meinem Gesicht umher, bis ich sie widerwillig in die Hand nahm. „So, und jetzt lass mich dir mal in aller Ruhe erklären, weshalb du das Training absolut vergessen kannst, wenn du kein Chakra freisetzen kannst, Sturkopf…“ „Ich weiß sehr wohl, dass es ohne nicht geht!“, unterbrach ich ihn hitzig. Als unwissend dargestellt zu werden, war das Letzte, was mein ohnehin angekratztes Ego ertragen konnte. „Ich bin nicht so dumm, wie du denkst! Und ich besitze Chakra, falls dir das noch nicht aufgefallen ist! Und eins kann ich dir sagen: Meine Opfer könnten dir bestätigen, wie wirksam es ist, wenn sie nicht längst über den Jordan gegangen wären!“ Nach diesen ungewollt lauten Worten schmerzte meine Kehle so sehr, dass ich gezwungenermaßen doch einen Schluck Kaffee nahm. Bitter-säuerlich rann die heiße Flüssigkeit meinen Hals hinunter, und ich verzog angewidert das Gesicht. „Hast du in deiner Heimat etwa auch mit Chakra kämpfen gelernt?“ Ich sah von der Kaffeedose auf und bemerkte, wie erstaunt Kankuro mich musterte. Das schien er nicht erwartet zu haben. „Ein wenig. Schließlich zieht Gaara Ärger magisch an, und wir mussten uns durch einiges durchschlagen.“ Meine Augen fixierten die Dose; ich wollte nicht, dass Kankuro die Emotionen auf meinem Gesicht sah. Das schien allerdings das Letzte zu sein, an dem er Interesse zeigte. „Willst du damit sagen, du warst mit Gaara längere Zeit zusammen?!“ Seine Stimme klang atemlos. „Ein paar Tage. Ich musste Fremdenführerin spielen, sonst hätte er mich umgebracht.“ Es überraschte mich selbst, wie gefasst ich von dieser fürchterlichen Zeit sprechen konnte. Obwohl – eigentlich konnte man schlecht behaupten, dass mein jetziges Dasein viel angenehmer war. Seufzend senkte ich den Kopf und nahm kaum die Aufregung wahr, mit der Kankuro sich auf dem Zaun zurechtsetzte und mich anstarrte. „Hör mal, willst du mir ernsthaft erzählen, dass du mehrere Tage in Gaaras Gegenwart überlebt hast und er dir auch noch Kämpfen beigebracht hat?!“ „Und dabei hat er meine Freundin getötet, mir die CIA auf den Hals gehetzt, mich mit Sand verprügelt…“ „Darum geht es doch gar nicht, Dummkopf!“, unterbrach er mich unwirsch. Ich hob den Kopf und musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. Mit Freundlichkeit hatten die Leute hier herzlich wenig am Hut. „Ach ja?“, zischte ich gereizt und spielte mit dem Gedanken, ihm ein wenig vom dem ekligen Kaffee ins Gesicht zu spucken. „Ja, verdammt!“ Er hob die Hände zum Himmel, ehe er mich an den Schultern packte, sodass ich fast vom Zaun kippte. „Verstehst du das denn nicht: Mein Bruder hat bisher jeden Fremden umgebracht und keinen in seiner Nähe geduldet! Wir dachten, du wärst nur versehentlich in unser Universum transportiert worden, aber er hat dich m-i-t-g-e-n-o-m-m-e-n! Weißt du denn nicht, was das bedeutet…!“ Seine Aufregung berührte mich kein bisschen; gelangweilt führte ich die Dose zum Mund. „Es war ein Versehen, Sherlock“, nuschelte ich. „Und dann wollte er mich in der Wüste abschlachten.“ „Das ist über zwei Monate her. Glaub mir, wenn er das wirklich wollte, wärst du schon lange unter der Erde.“ Kankuro steigerte sich in seine wahnwitzige Idee immer weiter hinein und sah mich intensiv an. In seinen dunklen Augen blitzte etwas auf, das ich nicht recht einzuordnen vermochte. Es musste eine Mischung aus Stolz, Zuversicht und auch Sorge sein. „Du könntest unserem Land so unsagbar nützlich sein! Glaub mir, wenn Vater das erfährt, bist du im Handumdrehen wieder sein Augapfel!“ „Wenn das bedeutet, dass ich ein größeres Zimmer und ein vernünftiges Bett bekomme…“ Kankuro stöhnte auf und schüttelte den Kopf über meine Ignoranz. „Du willst es nicht verstehen, nicht wahr? Na schön, dann erzähl mir etwas anderes. Mit Gaaras Training hattest du dein Chakra also im Griff?“ „Mehr oder weniger.“ Das Gespräch fing allmählich an, mich zu nerven. Ich wollte mir keine falschen Hoffnungen machen lassen. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht. „Das ist doch perfekt! Dann trainierst du in Zukunft mit Gaara als Zweierteam und alles ist perfekt!“ „Das würde er nicht tun.“ Ich sagte es ruhig und gelassen und ignorierte die zarten Herzschläge in meiner Brust. „Wenn Vater es ihm befehlen würde, mit Sicherheit. Glaub mir. Und sobald ich Vater von dir erzählt habe, wird er das liebend gern tun. Es wird ihn freuen, denn er hatte tatsächlich Recht. Du bist der Schatz Suna-Gakures. Nur anders, als wir zunächst annahmen.“ Es kostete mich alle Selbstbeherrschung, mich unberührt zu geben. „Meinst du damit, ich soll eine Art Blocker spielen? Ich soll Gaara ruhig halten?“ Es kam mir absurd vor, dass ausgerechnet ich – Shukakus erklärtes Lieblingsopfer! – eine solche Aufgabe erfüllen konnte. „Wir werden sehen, wie gut es funktioniert. Und im Gegenzug wird er dein Training optimieren. So wird Vater nie auf die Idee kommen, dich als nutzlos einzustufen und alle sind zufrieden. Und jetzt gib es schon zu: Du hast den Ehrgeiz, richtig gut zu werden, nicht wahr?“ Er lächelte mich an, und dieses Mal war sein Lächeln restlos nett gemeint. Ob er mich als Hoffnungsschimmer für das gesamte Windreich sah? Ich war verwirrt und schwieg einen Moment. Einen Moment, den Kankuro sofort falsch interpretierte, und sein Lächeln sich in ein breites Grinsen verwandelte. „Komm schon, ich bin doch nicht blöd. Mir fällt durchaus auf, wie du meinen Bruder immerzu ansiehst. Wie du dich ärgerst, wenn er sieht, dass du bei einer Übung versagt hast. Wie du seine Kampftechniken bewunderst. Wie du auf Anerkennung hoffst, wenn du etwas ausnahmsweise mal gut gemacht hast. Es springt dir doch aus dem Gesicht, dass du dich nur wegen ihm so reinhängst und sogar spätabends trainierst, so wie jetzt.“ Seine Worte trafen mich wie eine tonnenschwere Abrissbirne. Mein Herz setzte aus, ehe es mit der Intensität eines Presslufthammers seine Arbeit fortsetzte. Ich war sprachlos, ich rang nach Atem und ich fühlte mich so beschämt, als hätte er mir meine Unterwäschesammlung vor die Nase gehalten. „Du … du … du hast sie doch nicht mehr alle!“, stieß ich atemlos hervor. Meine Finger hatten sich derart fest um die Kaffeedose gekrallt, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn sie auf Bierdeckelformat zusammengepresst worden wäre. Kankuro klopfte mir sichtlich amüsiert auf die Schulter. „Einem Shinobi entgeht nichts, gewöhn dich dran!“ Mein Mund öffnete sich, doch kein Laut wollte meine Lippen verlassen. Ich war sprachlos und das war mir in der Tat noch nicht oft passiert. Fieberhaft kramte ich in meinem Verstand nach einer plausiblen Erklärung. „Ach, komm schon, das ist doch nichts, für das man sich schämen muss!“ Kankuro spielte auf meine geröteten Wangen an, klang dabei allerdings nicht etwa herablassend, sondern auf eine skurrile Weise fürsorglich. „So gefällst du mir auf alle Fälle besser als noch vor ein paar Wochen, als du dich wie ein Zombie benommen hast. Glaub mir, es ist nicht gerade angenehm, mit so einem Roboter-Verschnitt ein Haus teilen zu müssen. Aber jetzt … jetzt bist du eigentlich ganz okay – für einen Schwächling aus einem anderen Universum. Und wenn das nur möglich ist, wenn du dich an meinem Bruder festklammerst – wo ist das Problem?“ Er lächelte, wuschelte mir kurz über den Kopf und erhob sich dann von dem Zaun. Ganz offensichtlich wandte er sich zum Gehen. Trotz meiner Verwirrung brachte ich doch noch eine rechtzeitige Reaktion zustande: Ich stolperte, verschüttete dabei den restlichen Kaffee über meine Shorts und startete einen diesmal erfolgreichen Konter. „Das hat nichts mit Festklammern zu tun!“ Ein verhaltenes Glucksen war zu hören und ich ballte wütend die Hände zu Fäusten. „Es ist nur … Wenn ich bei ihm bin, kann ich mir sicher sein, dass ich noch immer dieselbe war, wie früher in meinem Zuhause. Ich bleibe Yuka Ashihira, nur in einem anderen Universum. Und ich weiß, dass ich mir seine Gegenwart hier verdienen muss, und genau das tu ich.“ „Dann viel Erfolg, Yuka Ashihira.“ Er lächelte, das war aus seiner Stimme herauszuhören. „Den Respekt meines Bruders erkämpft man sich weiß Gott nicht leicht. Ich werde Vater von unserem Gespräch erzählen, damit er dich weiter im Training behält. Könnte doch ausgesprochen interessant mit dir werden.“ Und dann war er weg, viel zu schnell für meine Augen. Wahrscheinlich irgendein Ninjatrick, den ich noch nicht durchschauen konnte. Ich atmete aus und stützte mich mit einer Hand am Zaun ab. Nur für den Fall, dass mein utopischer Herzschlag zu einem Bewusstseinsverlust führen sollte. Ich fühlte mich mindestens so erschöpft wie nach einer Trainingseinheit und verwandte die nächste Minute einzig und allein darauf, meine Atmung wieder zu normalisieren. Was bildete Kankuro sich eigentlich ein, mir derartige Dinge an den Kopf zu werfen? Natürlich beobachtete ich Gaara beim Training, natürlich wollte ich seine Anerkennung! Ich wollte nicht länger von ihm niedergemacht werden. Ich wollte ihn in meiner Nähe haben, aber nicht länger als „Slave“, sondern als … nun ja, als Gleichgestellten eben. Arbeitskollegen, wenn man so wollte. Seufzend richtete ich mich wieder auf und blickte zum undurchdringlichen Nachthimmel hinauf. Die Luft war eisig, wie es in der Wüste eben so üblich war. Das hier war nun mein Zuhause. Und zum ersten Mal verstand ich, weshalb Gaara in seinem Leben keinen anderen Sinn als das Töten sah. Denn auch für mich gab es hier, in diesem Paralleluniversum, nur ein lebenswertes Ziel: Seine Gesellschaft und Anerkennung. Das war ein Ziel, für das es sich zu leben lohnte. Kapitel 16: Süße Versuchung --------------------------- Knallend fiel die Küchentür hinter mir ins Schloss. Ich wusste, dass die Auszeichnungen, die der Kazekage an der Wand aufgehängt hatte, bei dieser Erschütterung bedenklich schwankten, doch momentan hatte für mich etwas anderes höhere Priorität. Ich riss den Kühlschrank auf und nahm eine Wasserflasche heraus. Nach Bakis Morgentraining zusammen mit meinen Teamkameraden fühlte ich mich stets, als wäre ich nah am Vertrocknen. Dabei war das im Vergleich zu meinem Einzeltraining bei Gaara noch das kleinere Übel. Ich schüttelte den Kopf und lenkte meine Gedanken in eine andere Richtung. Der Flaschendeckel leistete hartnäckig Widerstand. Wasser war hier in der Wüste ein solch kostbares Gut, dass man es sich nicht leisten konnte, einen einzigen Tropfen zu verschütten. Darum bedurfte es gelegentlich einem gefühlten Lastzug, um eine Flasche zu öffnen. „Dass diese Intelligenzbestien aber auch nicht in der Lage sind, so etwas Simples wie einen Flaschenöffner zu erfinden…!“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Mit aller Kraft zog und zerrte ich an dem Deckel, doch dieser wollte sich strikt nicht lösen lassen. Vor Anstrengung waren meine Hände schweißverklebt, was sein Übriges tat. Eine Kunoichi in der Ausbildung versagte im Kampf gegen einen einfachen Flaschendeckel. Hätte ich nicht so fürchterlichen Durst gehabt, hätte ich nicht lange gefackelt und die Flasche auf dem Boden zertrümmert. So begnügte ich mich damit, ein Messer zu holen und den Hals der Flasche damit zu massakrieren. Mit Gewalt ließ sich im Zweifelsfall immer eine Öffnung schaffen, davon war ich überzeugt. Und ich hatte nicht vor, mich diesem einfältigen Glasgebilde zu unterwerfen! Ich war derart in meinen kleinen Zweikampf vertieft, dass ich nicht einmal hörte, wie die Küchentür diesmal sanft geschlossen wurde. Erst, als mich jemand unwirsch beiseite schob, fiel mir auf, dass ich mittlerweile begonnen hatte, die arme Flasche in meiner schönsten Gossensprache zu beleidigen und damit sicherlich keinen zurechnungsfähigen Eindruck machte. „Darf ich vorbei, bevor du auch noch den Kühlschrank in seine Einzelteile zerlegst?“ Das war keine Frage, sondern ein verbaler Schlag in den Rücken – etwas anderes war von dieser Schmirgelpapierstimme kaum zu erwarten. Ich presste die Lippen aufeinander und lockerte meinen Würgegriff um den Flaschenhals. Aus Temaris dunkelgrünen Augen sprang mir ihre Ablehnung buchstäblich an die Kehle; mit diesem Blick bedachte sie mich seit meiner Ankunft. „Wenn ich etwas über Brutalität lernen will, bin ich bei dir ja an der richtigen Adresse“, giftete ich und spielte damit auf ihren nicht enden wollenden Zerstörungsdrang beim Training an. Temari hatte nicht nur die Stimme und das Auftreten eines Mannes, sondern auch den Kampfstil. Beinahe mitleidig sah sie mich an. Und dann – viel zu flink für meine Augen – schnellte ihre Hand vor, nahm mir die Flasche ab und öffnete sie im Bruchteil einer Sekunde. Mit einem dezenten Laut fiel der Deckel zu Boden. Temari nahm sich lediglich die Zeit für ein kurzes, triumphierendes Lächeln, ehe sie mir die Flasche wieder in die Hand drückte, sich selbst etwas aus dem Kühlschrank nahm und anschließend die Küche verließ. Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit gehabt, ein einziges Wort zu sagen. Wie ein absolut unfähiger Vollidiot blieb ich mit der geöffneten Flasche stehen und starrte auf die Tür. Ein verhaltenes Lachen befreite mich aus meiner Starre. Blitzartig fuhr ich herum, und als wäre das Maß an Blamagen für den heutigen Tag nicht schon voll, stand Kankuro im Rahmen der zweiten Tür. Breit grinsend lehnte er dort und schien sich köstlich über mein mittlerweile vor Zorn gerötetes Gesicht zu amüsieren. Es juckte mich unter den Fingern, die Flasche nach ihm zu werfen. „Da werden unsere Missionen ja lustig, wenn dein Kampf gegen eine echte Ninja-Flasche schon so aussieht.“ Er fand sein kleines Wortspiel offenbar ungeheuer erheiternd. „Ach, geh und spiel mit deinen Puppen“, erwiderte ich hitzig. Im Training hatte ich längst bemerkt, dass er sich auf eine Kampftechnik mit Marionettenpuppen spezialisiert hatte, von daher war diese Retourkutsche durchaus zutreffend. „So wie du mit den Jutsus, die Baki dir gezeigt hat? Ich muss schon sagen, deine Fortschritte mit der Chakrakontrolle sind beeindruckend!“, spottete er fröhlich weiter. Besagte Fortschritte waren nämlich gleich null. „Ich krieg das auf die Reihe, du wirst schon sehen!“ „Wann? In fünfzehn Jahren?“ Damit war der letzte Tropfen meiner Geduld aufgebraucht. Lautstark stellte ich die Flasche auf dem Küchentisch ab und trat auf ihn zu. Er spürte sofort, dass Prügel in der Luft lagen, und hob beschwichtigend die Hände. Dabei stand außer Frage, dass er mich mühelos hätte überwältigen können. „Hey, ich hab da eine Idee“, sagte er stattdessen; das herausfordernde Lächeln verließ sein Gesicht dennoch nicht. „Was hältst du von einer Wette? Baki hat dir gestern ein neues Jutsu gezeigt und wenn du nachher mit Gaara trainierst, wird er es sicher von dir verlangen. Also was hältst du hiervon: Wenn du es schaffst, bekommst du von mir eine absolut tödliche Ninjawaffe und natürlich werde ich dich nicht mehr anzweifeln. Aber wenn du versagst, darf ich entscheiden, wem du morgen deine Valentinstagsschokolade gibst.“ „Valentinstagsschokolade?“, wiederholte ich verständnislos. Ich wusste zwar, dass morgen der 14. Februar und somit Valentinstag war, doch mit den Bräuchen der Ninjas war ich nicht vertraut. „Bei uns ist es üblich, dass jede Frau am Valentinstag einem bestimmten Mann Schokolade schenkt. Dazu ist jede Einwohnerin Sunas verpflichtet, denn es kurbelt zusätzlich die Wirtschaft an.“ Mühevoll verhinderte ich, dass meine Kinnlade herunterklappte. „Bei dir hackt’s doch! Als würde ich so einen kitschigen Dreck mitmachen! Du kannst mir nicht erzählen, dass jede Frau in Suna das macht! Schau doch allein mal deine Schwester an – keiner kann mir erzählen, dass Temari Schokolade verschenkt!“ „Was glaubst du, was sie eben aus dem Kühlschrank geholt hat? Das war ihre Schokolade für irgendeinen Verehrer. Sie macht sich jedes Jahr einen Spaß daraus, irgendeinem Jungen, der sie anhimmelt, damit falsche Hoffnungen zu machen und ihn dann so richtig auflaufen zu lassen. Niemand verlangt von dir, dass du aus echten Gefühlen handelst, aber die Geste ist Pflicht.“ Seine Worte waren ernst, das hörte ich deutlich heraus. Ich legte die Stirn in Falten und musterte ihn prüfend. Jetzt zu verneinen, würde bedeuten, seine schlechte Meinung von meinen Fähigkeiten zu bestätigen. Er würde mir meine Absage auf ewig vorhalten, dazu kannte ich ihn gut genug. Darüber hinaus musste ich zugeben, dass sich seine sogenannte tödliche Ninjawaffe nach einer lohnenswerten Investition anhörte. Zumindest für eine Anfängerin wie mich. Ich seufzte auf. Es hatte keinen Sinn, weiter zu überlegen. Mein Ehrgeiz hatte die Entscheidung längst gefällt. „Deal“, stimmte ich also zu und streckte die Hand aus. Kankuro schlug mit einem für ihn typischen Grinsen ein. Es triefte förmlich vor Schadenfreude. „Sehr gut. Dann viel Spaß dabei, meinem kleinen Bruder die richtige Schokolade herauszusuchen.“ Diesmal ließ ich meine Körperbeherrschung schleifen; mein Unterkiefer klappte herunter und hätte ich die Flasche nicht abgestellt, wäre sie mir zweifellos aus der Hand gefallen. „Was?!“ Es hätte mich nicht gewundert, wenn man diesen Schrei noch im Nachbarsland gehört hätte. Doch Kankuro winkte mir nur kurz über die Schulter zu, ehe er grinsend verschwand. Was auch immer er mit seinen ständigen Versuchen, mich Gaara nahe zu bringen, bezwecken wollte, für heute hatte er mich überlistet. Das Jutsu beherrschte ich nämlich noch so gut wie überhaupt nicht. Auf einen Schlag war mein Wasser vergessen. Ich hastete die Treppen hinauf in mein Zimmer, so schnell meine Beine mich trugen. Bis zum Mittagstraining musste ich dieses verdammte Jutsu lernen, komme, was wolle! „Rechts, links, links, rechts! Defensive! Rechts, links, links, rechts – und vor!“ Die Spitze der Schwertimitation aus Bambus schnellte auf mich zu und verharrte wenige Millimeter vor meinem Hals. Nach Atem ringend zuckte ich zurück, jedoch war mir klar, dass er mich – hätte er es vorgehabt – ohne Probleme zu Boden hätte bringen können. „Zu langsam“, brummte er. Die Ungeduld in seiner Stimme war unverkennbar, und ich schluckte hart. Zaghaft hob ich den Kopf und betrachtete sein sichtbar verstimmtes Gesicht. Klirrend kalt blitzten seine Jadeaugen ins Leere. Ich hatte es gewusst: Gaara war alles andere als erfreut davon, mich trainieren zu müssen. Das hatte er mir in den vergangenen Tagen deutlich gemacht. Das Training brachte er mit äußerstem Widerwillen hinter sich und würdigte mich dabei keines einzigen Blickes. „Entschuldigung, ich…“ Sein erneut auf mich hinabbrausendes Schwert schnitt mir das Wort ab. Ich quietschte auf und hatte alle Mühe, ihn abzuwehren. „Nicht quatschen, sondern kämpfen!“, zischte er. „In die Ausgangsposition, Kopf hoch und konzentrier dich endlich!“ Gehorsam schob ich einen Fuß nach hinten, um einen sicheren Stand zu haben, und führte mein Schwert vor den Körper. Ich spürte meinen Kopf glühen und zwar nicht nur wegen der körperlichen Anstrengung. Weitaus intensiver war ein Gefühl von Scham, dass mich schier um den Verstand brachte. „Ich weiß auch nicht, warum ich mein Chakra nicht mehr in den Griff bekomme, ich…“, setzte ich an, doch wieder wurde die Konversation von einer Attacke Gaaras zerstört. „Klappe! Und hör gefälligst auf, ständig rückwärts auszuweichen! Rechts, links, links, rechts! Wann kapierst du das endlich?!“ Ich tat mein Bestes, seine Angriffe abzuwehren, was mir allerdings nur für wenige Augenblicke gelang. Viel zu schnell hatte er mich überwältigt und mein Schwert zu Boden geschlagen. Wehrlos und schwer atmend stand ich vor ihm. Gaara stieß hörbar die Luft aus und ließ sein Schwert fallen. „Natürlich hast du dein Chakra nicht im Griff! Du konzentrierst dich einfach nicht!“ Obwohl seine Worte beherrscht ausgesprochen waren, hatten sie auf mich die Wirkung einer Ohrfeige. Meine Eingeweide krampften sich zusammen. Ich wollte mich für meine Unfähigkeit schlagen. „Ich kann das besser, ganz bestimmt!“, versicherte ich so überzeugend wie möglich. Dabei versuchte ich eher mich selbst zu überzeugen. „Ach, vergiss es“, winkte er ab und wies seinen Sand mit einer Kopfbewegung an, die Trainingsschwerter weg zu bringen. „Führ mir das Jutsu vor, das ich dir gestern gezeigt habe. Mittlerweile solltest du es beherrschen.“ Das Herz sackte mir in die Kniekehlen. Irgendwie hatte ich gehofft, er würde es nicht von mir verlangen. Dann hätte ich eine halbwegs plausible Ausrede vor Kankuro, weshalb ich es nicht beherrschte. Aber so war meine Blamage vorprogrammiert. Außerdem hätte ich es niemals über mich gebracht, Gaara den Gehorsam zu verweigern. Er wollte etwas vom mir sehen. Irgendetwas, das ihn dafür entschädigte, dass er seine Zeit mit mir verschwendete. Selbst wenn es nur ein vollkommen hoffnungsloser Versuch war, das einfachste Jutsu der Welt vorzuführen. „Na gut“, murmelte ich also. Baki hatte mir erklärt, dass jeder Mensch ein bestimmtes Element innehatte und Jutsus von diesem Element am leichtesten erlernen konnte. Mein Element war das Feuer, wie er mir erklärt hatte, und ich wusste nicht recht, ob ich darüber lachen sollte – die alte Wahrsagerin aus dem Kaufhaus hätte diese Erkenntnis sicher außerordentlich stolz gemacht. Ich selbst war davon weniger angetan, denn trotz exzessiven Übens am Vormittag war ich noch immer kaum in der Lage, eine einzige Flamme zu erzeugen. Ich versuchte meine wirren Gedanken zu ordnen, die verspannten Muskeln zu lockern, und hob dann beide Arme vor den Körper. Konzentriert formte ich Fingerzeichen vor meiner Brust. Pferd, Tiger, Schlange. Diese merkwürdigen Verrenkungen meiner Finger sollten dabei helfen, mich auf mein Chakra zu konzentrieren und es in gewünschtem Maß freizugeben – so hatte Baki es mir erklärt. Es sah absolut lächerlich aus, aber bei einem geübten Shinobi erfüllt es seinen Zweck. „Hino Rei: Jutsu der Feuerfesseln!“ Ich sprach die Beschwörungsformel so entschlossen wie möglich aus. Doch als ich die Augen öffnete und mein Ziel – Gaara – anpeilte, passierte genau dasselbe wie jedes Mal, wenn ich ihn angreifen sollte. Im selben Moment, da mein Blick auf seine versteinerten, fordernden und so unsagbar überlegenen Jadeaugen traf, wurde all meine Entschlossenheit durcheinander gewirbelt wie welkes Herbstlaub. Von einer Sekunde auf die andere war meine Konzentration gebrochen und ich fühlte mich wie ein kleines Kind auf einer Bühne, das auf eine übermächtige Menschenmasse hinabblickt. Ich konnte seine Erwartungen nicht erfüllen. Ich war nicht gut genug. Ich konnte geradezu fühlen, wie die Chakraströme in mir ihre Ordnung verloren und nicht mehr wussten, welches Ziel sie anzuvisieren hatten. Nur ein Bruchteil verließ meinen Körper und sorgte für zwei lachhaft kleine Stichflammen am Boden und nicht mal diesen Zustand konnte ich lange aufrechterhalten. Bereits wenige Sekunden später erloschen sie. Wieder versagt. Ich wollte meinen Blick abwenden, doch es gelang mir nicht. Als wären meine Augen in ihren Höhlen gefroren, blickte ich weiter geradeaus, direkt in Gaaras makelloses Gesicht. Und einen Herzschlag lang hasste ich mich selbst aus tiefster Seele. Ob er dies erkannt hatte, oder ob er mich einfach für zu minderwertig hielt, um sich weiter mit mir abzugeben, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall wandte Gaara sich fast abrupt ab und verschränkte die schmächtigen Arme vor der Brust. Mit langsamen Schritten bewegte er sich in Richtung des Ausgangs des Trainingsgeländes. „Menschen“, zischte er dabei, ohne mich eines letzten Blickes zu würdigen. Und das war noch schlimmer, als hätte er mich zusammengestaucht. Nein, ich hätte mir lieber tausend Beleidigungen angehört, statt auf diese Weise als hoffnungsloser Fall abgestempelt zu werden. Wutentbrannt trat ich ein Büschel Unkraut aus dem sandigen Boden. Staub wirbelte auf und ich war ganz froh, dass er mir für einige Sekunden die Sicht versperrte. Ich wollte Gaara nach dieser Blamage nicht nachsehen müssen. Warum musste ich nur so unfähig sein? Mit einer heftigen Bewegung wirbelte ich herum, zerrte einen Wurfstern aus der Tasche und schleuderte ihn mit aller Kraft auf die Zielscheibe, die am Zaun hing. Zwar bohrte er sich bis zur Hälfte in das Holz, doch den Mittelpunkt hatte ich natürlich wieder nicht getroffen. Da verlor ich den letzten Rest Beherrschung: Ich stürmte zu der Zielscheibe und schlug mit einem Aufschrei auf sie ein. Gegen das Massivholz war meine lächerliche Muskelkraft ein Tropfen auf den heißen Stein, doch wenigstens zum Frustabbau half es ein wenig. Ich atmete tief ein, um mich ein wenig zu beruhigen, und reckte das Kinn in die Höhe. Vom zweiten Stockwerk meines Wohnhauses blickte Kankuro auf mich hinab. Als er meinen Blick auffing, zeigte er breit grinsend das Victoryzeichen. Mir hätte klar sein müssen, dass er den Ausgang unserer Wette mit eigenen Augen verfolgen würde. Ein Shinobi hat seine Augen überall. Ich biss die Zähne aufeinander, um keinen weiteren Schrei von mir zu geben. Meine Faust ließ sich allerdings nicht aufhalten. Mit aller Kraft holte sie aus und traf so heftig auf die Zielscheibe, dass meine Fingerknöchel schier unmenschlich schmerzten. Doch immerhin eins hatte ich geschafft: Die verdammte Scheibe war in der Mitte auseinander gebrochen. Dieses minimale Erfolgserlebnis schien mich ein wenig zu motivieren. Zumindest konnte ich mich danach aufraffen, ohne weitere Zerstörungsanfälle das Trainingsgelände zu verlassen, mich umzuziehen und anschließend Richtung Dorfmitte zu gehen. Versprechen hielt ich ein, egal wie sehr sie mir zuwider waren. Suna bot nicht viele Einkaufsmöglichkeiten; die größte Auswahl besaß eine Art Supermarkt auf dem Marktplatz. Für gewöhnlich zog ich es vor, mich von öffentlichen Orten wie diesem fernzuhalten. Nicht etwa, weil die Wüsteneinwohner selbst auf offener Straße aufeinander losgingen – nein, an und für sich waren sie mit Sicherheit mehr oder minder zurechnungsfähige Menschen, mal abgesehen davon, dass Netzkleidung und Gewänder aus Kartoffelsäcken das Einzige waren, das ihre Mode hergab. Es lag daran, dass ich in ihren Augen gelinde gesagt ein Freak war. Ich hatte kaum die Hauptstraße betreten, da vernahm ich bereits das Getuschel der Passanten. Die Leute wechselten wie zufällig die Straßenseite, Gruppen rückten enger zusammen und jeder tat sein Bestes, den Augenkontakt mit mir zu meiden und mich doch hinter meinem Rücken zu mustern. Keiner wusste, was er mit mir anfangen sollte. Der Kazekage hatte mir erklärt, die offizielle Variante meines Erscheinens sei, ich wäre eine „entfernte Verwandte, die er nach Hause geholt hatte, um sie wegen ihres großen Talents unter seine Fittiche zu nehmen“. Doch die Bürger Sunas waren Ninjas und somit alles andere als leichtgläubig. Über mich waren die wildesten Gerüchte im Umlauf: Von Inhaberin eines Dämons wie Gaara bis hin zur unehelichen Tochter des Kazekage. Verübeln konnte ich es ihnen kaum, nachdem ich drei Wochen in meiner eisigen Starre verbracht und mich wie ein Zombie benommen hatte. Zum Glück war auf den Selbstschutzmechanismus, den ich mir angewöhnt hatte, Verlass. Ich hielt den Kopf selbstbewusst in die Höhe gereckt, lief flott aber nicht zu hastig. Lediglich meine geballten Fäuste verrieten meine innere Anspannung. „Da ist sie … Schnell, macht Platz!“ „Sie ist eine Hexe! Ich schwör’s, seht euch nur die roten Haare an! Fast so schlimm wie bei dem Monster!“ „Sei still! Wenn Kazekage-sama das hört, lässt er sie auf uns los!“ So ging das, bis ich am Marktplatz angelangt war und endlich im Supermarkt verschwinden konnte. Ich hoffte nur, der Verkäufer würde bei meinem Anblick keinem Herzanfall erliegen, sonst hieß es noch, ich würde Menschen mit bloßem Blick töten. Der Laden war geräumig und bot ein reichhaltiges Sortiment in den verschiedensten Regalen. Die Schokolade wurde momentan – da wegen dem bevorstehenden Valentinstag Hochsaison war – direkt an der Theke gelagert. Hinter diesem halb verglasten Tisch stand ein stämmiger Mann mit verschränkten Armen. Er wirkte nicht sonderlich motiviert, aber immerhin machte er keine Anstalten, schreiend wegzulaufen. Ich behielt meinen selbstsicheren Gang bei, bis ich vor der Theke stand. Um den Verkäufer direkt ansehen zu können, musste ich den Kopf noch ein Stück weiter heben. Er war mindestens zwei Meter groß und die bullige Gestalt und die dichten Augenbrauen verliehen ihm ein einschüchterndes Äußeres. Seine tiefe Stimme tat ihr Übriges. „Was kann ich für dich tun?“, fragte er. „Ich brauche Schokolade.“ Meine Stimme klang genau so, wie ich es beabsichtigt hatte. Entschlossen und doch eine Spur freundlich. Diese Bitte musste ihn zweifelsohne überraschen, doch ein Mann dieses Kalibers hat ein perfektes Pokerface. Er nickte lediglich und machte einen Wink auf die zahlreichen Sorten innerhalb des verglasten Teils der Theke. „Was für eine soll es denn sein?“ „Milka Zartbitter, echte Importschokolade aus Deutschland, aber die werden Sie ja kaum haben“, rutschte es mir heraus. Wütend über mich selbst biss ich mir auf die Zunge. So viel zu meinem souveränen Auftreten. „Milka haben wir leider nicht im Sortiment. Aber Zartbitterschokolade ist vorrätig.“ Ich blinzelte überrascht und ließ den Versuch, meine Gesichtszüge zu kontrollieren, gleich sein. Darauf kam es jetzt auch nicht mehr an. Wieso reagierte dieser Mann derart normal auf diese eindeutig geistesgestörte Aussage meinerseits? Hielt er Milka nicht für eine neue Massenvernichtungswaffe, weil die Monsterhexentochter des Kazekage davon sprach? „In Ordnung…“, presste ich hervor. Vorsichtig untersuchte ich seine Miene ein weiteres Mal nach Anzeichen von Abneigung, ehe ich entschlossener fortfuhr. „Wissen Sie, Milka ist eine Schokoladenmarke aus meiner Heimat.“ „Ich werde dich darüber informieren, wenn ich so eine Schokolade einmal ins Sortiment bekomme“, versprach er und dann zwinkerte er mir direkt freundlich zu. „Es ist schön, dass du dich einzuleben scheinst. Leider reden immer noch viele Leute schlecht über dich, aber fast genau so viele haben mittlerweile begriffen, dass du doch recht normal zu sein scheinst. Eine junge Ninjaschülerin wie jede andere, davon konnte ich mich gerade überzeugen, Yuka.“ Sein breites Gesicht formte sich zu einem sympathischen Lächeln und da verstand ich. Mit seiner reservierten Haltung hatte er mich zunächst aus der Ferne analysiert. Doch meine unqualifizierte Milka-Bemerkung ließ mich zweifellos wie eine gewöhnliche Jugendliche erscheinen. Ich nahm mir vor, mir diese Technik des Beobachtens für meine Laufbahn als Kunoichi einzuprägen. Begeistert nickte ich und zeigte mein schönstes Lächeln. „Glauben Sie mir, wenn ich übermenschliche Kräfte hätte, würde ich sie als allererstes gegen diese Tratschtanten verwenden.“ Er lachte auf; ein sehr tiefes, angenehmes Lachen. „Du scheinst für ein raues Pflaster wie Suna perfekt geeignet zu sein. Mach einfach weiter, Kleine. Sobald du Genin bist und auf Missionen gehst, haben es bestimmt auch die letzten Idioten kapiert.“ Mit einer Handbewegung lenkte er das Thema zurück auf die Schokoladenauswahl. „Also, Zartbitter wolltest du, nicht wahr? Soll ich es dir gleich für den Valentinstag einpacken?“ „Ja, bitte.“ Krampfhaft unterdrückte ich die aufkeimende Trauer bei dem Gedanken daran, dass meine Mom bisher all meine Geschenke verpackt hatte. Ich war in solchen Sachen nie sonderlich begabt gewesen. Schleifen, Dekoration und Kitsch waren ihr Ressort. Doch der Moment war zu schön, um melancholisch zu werden. Ich dankte dem Verkäufer mit einem weiteren Lächeln, als er mir eine hellblaue Schachtel mit einer Schleife reichte. „Pass nur auf, dass du es schnell in einen Kühlschrank bringst. Ist die Verpackung gut so? Meinst du, es gefällt dem Empfänger?“, erkundigte er sich. Ich war froh, bereits mit meinem Geldbeutel beschäftigt zu sein. So hatte er kaum eine Chance, die verräterische Rötung auf meinen Wangen zu erkennen. „Ach, er ist nicht der Typ für schöne Verzierungen und so … Er wird es aufreißen, wenn nicht sogar mitsamt der Schokolade gleich vernichten, also macht das nichts“, sagte ich, während ich das Geld auf die Theke legte. Lachend nahm er das Geld an sich. „Na, na, jetzt übertreib mal nicht. Er wird ja wohl kaum so schlimm sein wie unser Monster Gaara.“ Meine Gesichtszüge gefroren. Noch bevor ich mich mit einem lässigen Kommentar retten konnte, hatte er mich schon durchschaut. Sein Lachen verstummte kurz, nur um anschließend deutlich lauter zu erklingen. Ich wünschte mir eine Abstellkammer, in die ich mich verkriechen konnte. „Sieh mal einer an, wenn das nicht perfekt passt! Das Dorfmonster und das angebliche Hexenmädchen! Echt klasse!“ „Das ist nicht, wie Sie denken!“ Meine Stimme drohte, sich zu überschlagen, so eilig hatte ich es mit meiner Erwiderung. „Ich hab eine Wette verloren, deshalb muss ich ihm etwas schenken! Mehr nicht!“ Sein Lachen wurde leiser, bis er sich räusperte und sich anschließend über die Theke lehnte, um mir kräftig auf die Schulter zu schlagen. Fast bekam ich Angst, er könne mir damit das Schlüsselbein brechen. „Schon gut, Yuka. Ich hab selbst drei Töchter – ich weiß, wie das ist. Aber versprich mir eins…“ Hier wurde sein Gesicht mit einem Mal sehr ernst und er blickte mir direkt in die Augen. „…Pass auf dich auf. Egal, in welcher Hinsicht du dich ihm näherst. Das Leben eines jungen Mädchens in seiner Nähe ... ist so zerbrechlich wie eine Seifenblase.“ Es bereitete mir keinerlei Mühe, mein selbstsicheres Lächeln zurück zu zaubern. Über die Gefahr meines baldigen Ablebens zu sprechen, war immer noch ein leichter verdauliches Thema als mein Geschenk an ein Wesen des männlichen Geschlechts. „Sie müssen sich um mich keine Sorgen machen. Ich trainiere mit dem ‚Monster’, ich komme mit ihm klar. Außerdem bin ich eine Kunoichi in Ausbildung!“ Es überraschte mich selbst, mit welchem Nachdruck ich es sagte und wie echt es sich aus meinem Mund anhörte. Das war nun mal, was ich jetzt sein wollte. Der Verkäufer nickte und lehnte sich wieder zurück. „In Ordnung. Dann viel Erfolg und vergiss nicht, deine Sachen auch in Zukunft immer hier zu kaufen – Takada Kaito ist die Adresse Nummer eins für Lebensmittel!“ „Ich werd’s mir merken, Kaito-san! Auf Wiedersehen und vielen Dank!“, rief ich und lächelte ein letztes Mal. So viel wie an diesem Tag hatte ich seit meiner Ankunft in Suna nicht gelächelt, das war mir klar. Trotz dieses überaus positiven Erlebnisses blieben mir auch in dieser Nacht die Alpträume nicht erspart. Seit ich mich von meiner schützenden Eismauer befreit hatte, suchten mich die Erinnerungen an mein Zuhause ausnahmslos jede Nacht heim. Mal mehr, mal weniger schlimm. In jener Nacht handelten meine Träume von meinen Eltern. Ich sah meine Mom vor mir, wie begeistert sie gewesen wäre, wenn sie mir die Valentinstagsschokolade hätte einpacken dürfen. Erwartungsgemäß war sie außer sich vor Freude, Stolz auf mich und leider auch vor Neugierde. Ohne Unterlass bohrte sie, für wen das Geschenk denn bestimmt war. Doch ich war nicht in der Lage, ihr die Wahrheit zu sagen – nämlich dass ich Rachels Mörder beschenken würde. Den Jungen, der mich für alle Ewigkeiten von meiner Familie getrennt hatte. Der Kim in Lebensgefahr und meine Eltern ins Visier der CIA gebracht hatte. Ich wand mich unter ihren drückenden Fragen so sehr, dass ich mich auch auf meiner Matte heftig umher gewälzt haben musste. Auf jeden Fall krachte ich irgendwann mit solchem Schwung gegen die Zimmerwand, dass ich mit einem Schmerzensschrei erwachte. Ich schoss hoch und griff mir an die schmerzende Stirn. Mein Atem ging schwerfällig von der unruhigen Nacht. Es kostete mich einige Sekunden, meine Gedanken zu ordnen und mich zu orientieren. Das hier war mein spartanisch eingerichtetes Zimmer in Suna-Gakure, meiner neuen Heimat. Weit weg von meinen Eltern. Doch war es nicht trotzdem Verrat, meinem Kidnapper ein Valentinstagsgeschenk zu machen? Diese Frage ließ mich den gesamten Vormittag nicht los. Selbst beim Morgentraining war ich nicht bei der Sache und kassierte noch mehr Tadel von Baki, als sonst. Auch Kankuros Sticheleien und Temaris abwertende Blicke drangen nicht zu mir durch. Das Einzige, das ich von meiner Umwelt wahrnahm, war Gaara, den ich stets im Auge behielt. Und wie es nun mal unvermeidlich war, machte er mit seiner bloßen Anwesenheit den kümmerlichen Rest meiner Konzentration zunichte. Gleichzeitig wurden meine Unsicherheit, der Ehrgeiz und die Sehnsucht nach ihm stetig größer. Dabei sah er mich wie üblich kein einziges Mal an. Ich hatte nur den einen Wunsch, er möge es ein einziges Mal tun. Mich würdigen. Zugeben, dass ich meine Sache gut machte und doch wertvoller als ein Sklave war. Und ganz, ganz vielleicht nur … eine Entschuldigung hervorbringen. Ich könnte sie annehmen, wenn auch niemals das Vergangene verzeihen. Doch es würde unsere Beziehung reinwaschen. Es würde helfen, all die Höllenqualen, durch die ich seinetwegen gegangen war, zu verarbeiten. War es so falsch, sich dies zu wünschen? Es gelang mir nicht, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Auch nicht nach der zwanzigsten Strafrunde um das Trainingsgelände. Mechanisch kehrte ich nach Hause zurück und duschte im prähistorischen Badezimmer. Zweifelsohne würde ich im Laufe des Tages noch mehrere Liter Schweiß produzieren, doch ich wollte nur dieses eine Mal einen halbwegs guten Eindruck hinterlassen. Blieb also noch die Frage zu klären, was ich anziehen sollte. Meinen Kleiderschrank hatte der Kazekage gefüllt, und somit waren die Kleidungsstücke hauptsächlich zum Kämpfen geeignet. Was würde Gaara wohl mögen? Über dieser Frage vergaß ich alles. Alle Zweifel, Gewissensbisse und Alpträume. Meine komplette Welt konzentrierte sich auf das eine Ziel, ihm gefallen zu wollen. Hätte man mich während dieser halben Stunde, die ich in meinem Zimmer verbrachte, nach meiner Identität gefragt, wäre ich zu keiner Antwort fähig gewesen. Ich wollte lediglich alles in meiner Macht stehende tun, um einmal nur eine einzige positive Rückmeldung von ihm zu bekommen. Schließlich entschied ich mich für einen hellen Minirock mit leichtem Faltenwurf und ein Trägertop im Tarnmuster, erneuerte meinen Pferdeschwanz und eilte dann in die Küche, um die Schokolade zu holen. Um diese Zeit trieb sich Gaara für gewöhnlich am Fuß der Hügel hinter dem Trainingsgelände herum. Ich versuchte gleichzeitig schnell dorthin zu gelangen und meine Kleidung nicht schmutzig zu machen, was im Wüstensand leider kaum zu vermeiden war. Trotz meiner Bemühungen waren mein Rock eher gesprenkelt als beige und mein Pferdeschwanz ein struppiges Durcheinander, als ich den Hügel erreichte. Dies war einer der Grenzpfeiler Sunas; unter ihm öffnete sich das Land zu einer unendlich weiten Ebene voll Ödland. Lediglich eine Felsengruppe erinnerte dunkel an die nahe Zivilisation, dahinter lag die unbewohnte Wüste. Das Flachland war auch Schuld am sandigen Wind, der hier mit sehr viel größerer Gewalt als im Dorfinneren wehte. Und wie jeden Nachmittag saß er auf einem der Felsen und starrte in die Ferne. Ich konnte nicht zögern, nicht einmal, wenn ich es gewollt hätte. Ich lief einfach, von unsichtbaren Fäden gezogen, wie bereits zuvor in meinem Zimmer. Als würde meine Welt sich für diesen Augenblick einzig und allein auf dieses kleine Fleckchen Erde konzentrieren und weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft zulassen. Sein Anblick strahlte eine derart einzigartige Atmosphäre aus, dass ich es kaum wagen wollte, sie zu stören. Erst recht nicht mit einem peinlichen Geschenk, das mich vor ihm bis auf die Knochen demütigen würde. Entsprechend leise klang meine Stimme, als ich endlich hinter seinem Felsen stand. „Gaara…?“ Entweder hatte meine Aufregung meinen Verstand gelähmt, der Wind meine Augen getrübt oder seine Geschwindigkeit war schlicht zu überragend für meine unterentwickelten Sinne. Ich hatte kaum Zeit für einen Atemzug gehabt, da stand er ein gutes Stück von dem Felsen entfernt und ging Richtung Hügel davon. Dabei war ich sicher, er hatte mich gehört. „H-Hey!“, stammelte ich überrascht und hastete ihm nach. Das Päckchen in meinen Händen fühlte sich verdächtigt feucht an. Ich betete, die Schokolade möge nicht schmelzen. „Was willst du?“ Unwillkürlich zuckte ich bei der Schärfe seiner Worte zusammen, doch meine Gedanken blieben auf mein Ziel fixiert. „Dir etwas geben.“ Seine Schritte blieben gleichmäßig schnell. Ich bezweifelte, dass ich am sandigen Hügel noch würde mithalten können. „Kein Interesse.“ Wieso musste er auch so schrecklich sturköpfig sein? Ich hatte mir diese erniedrigende Aktion nicht ausgesucht! Zorn kam in mir auf und ich griff zur letzten Möglichkeit, die mir noch blieb. „Hino Rei: Jutsu der Feuerfesseln!“ Diesmal war alles anders. Ich fühlte die Rage, die mit einer anderen, vertrauten Substanz in meinen Adern pulsierte. Schneller und immer schneller. Vom Herzen aus in meine Arme, die Handgelenke, Fingerknöchel und dann hinaus aus meinem Körper. Zwei schlangenartige Strahlen aus Feuer züngelten durch die Luft. Fast gleichzeitig kam ein heftiger Windstoß auf, der nichts mit den natürlichen Gegebenheiten einer Wüste zu tun hatte; Sand schoss in die Höhe und baute sich zu einer Mauer rund um Gaara herum auf. Es zischte, als die Flammen und der Sand sich trafen. Natürlich wusste ich, dass mein kümmerliches Jutsu gegen seine ausgefeilte Sandtechnik machtlos war, doch das hatte ich auch gar nicht bezwecken wollen. Ich warf mich nach vorn, mit all der Kraft, die blanker Zorn in mir wüten ließ. Meine Muskeln bewegten sich mit einer mir fremden Intensität. Ich fühlte mich desorientiert, als ich mich von einem Wimpernschlag auf den anderen direkt vor Gaara wieder fand. Dass er nicht minder überrascht war, war ihm mit Leichtigkeit aus dem Gesicht zu lesen – ganz im Gegensatz zu gewöhnlich. „Du gehst hier nicht eher weg, bis du dieses verdammte Päckchen angenommen hast!“, stieß ich atemlos hervor. Jeder einzelne meiner Pulsschläge dröhnte bis in die letzte Körperzelle; das war der unangenehme Teil am Freisetzen von Chakra. Der Sand hatte meine kümmerliche Feuerattacke abgewehrt, verweilte aber dennoch schützend in der Luft. Gaara hatte die Augen zusammengekniffen und schien einen Punkt hinter meiner rechten Schulter zu fixieren. Doch ich erkannte am leichten Zittern seiner geballten Fäuste, dass es ihm schwer fiel, sich desinteressiert zu geben. Ob das wohl an meiner vergessen geglaubten Chakrakontrolle lag, oder vielleicht auch ein kleines bisschen persönliche Gründe hatte? Ich hielt ihm das Päckchen mit der Schokolade hin und senkte den Kopf. Er sollte meine geröteten Wangen nicht sehen, obgleich ich das nun auch bequem auf meine Rage hätte abschieben können. „Was ist das?“ Da ich ihn nicht mehr sah, konzentrierte ich mich sehr genau auf die Nuancen seiner Stimmlage. Er sprach kurz und abgehackt – ein Zeichen für Ärger und Anspannung. Nachdem ich ihn mit meinem Jutsu überlistet hatte, gut verständlich. Mein Stolz verhinderte, dass meine Stimme ebenso zitterte, wie es mein Inneres tat. „Siehst du doch. Valentinstagsschokolade.“ Ich glaubte, ein scharfes Einatmen gehört zu haben, war mir allerdings nicht ganz sicher. Es war unmöglich, seine Reaktion abzuschätzen, ohne ihn anzusehen. Unerträglich lange Sekunden verstrichen, ehe er endlich antwortete. „Wieso?“ Nun überwog die Anspannung, das bemerkte ich sofort. Ich hob den Kopf, behielt den Blick aber noch immer zu Boden gerichtet. Allmählich verwandelte das wütende Pulsieren sich in ein panisches. Was nützten mir meine Rage und das Chakra, wenn ich mich gerade bis auf die Knochen blamierte? Ich wünschte, ich hätte ihn einfach gehen lassen. „Das mach’ ich nur, weil ich eine Wette gegen Kankuro verloren hab’. Es ist ein Wetteinsatz, nichts weiter. Und nicht mal selbst eingepackt. Zerreiß das Papier, schmeiß die Schokolade weg oder werf’ gleich alles in die nächste Mülltonne.“ Donnerndes Herzklopfen strafte meine aufgesetzte Gleichgültigkeit Lügen. Ich war froh, den Blickkontakt von Anfang n vermieden zu haben, denn sonst hätte er aus meinem Gesicht wie aus einem Buch heraus meine wahren Gefühle lesen können. „Gibt man seine Schokolade nicht jemandem, den man mag?“ Mein Kopf schoss in die Höhe, als ich den Mund ohne weiteres Nachdenken öffnete. „Ich sag doch, das ist nur eine blöde Wette! Beschwer dich bei Kankuro, dass er so bescheuerte Bedingungen stellt! Und jetzt nimm das verdammte Zeug, bevor ich es dir um die Ohren schleudere!“ Kein weiteres Wort hätte ich über die Lippen gebracht. Ich sah ihn an und zum ersten Mal seit unendlich langer Zeit erwiderte er meinen Blick. Diese Gewissheit überkam mich, wie damals die Nachricht von der ersten Mondlandung. Wie meine erste Regionalmeisterschaft im Lacrosse. Wie eine gleißend helle und wunderschöne Sternschnuppe auf dunklem, tristem Nachthimmel. Mir war, als hätte mein Herz sich in einen Schwarm aufgeregter Vögel verwandelt, der mit hektischen Flügelschlägen aus meinem Körper zu entkommen versuchte. Alles wirbelte durcheinander, versank im Chaos und vernebelte meine Sinne. So spürte ich nicht einmal, wie der Sand das Päckchen von meinen Handflächen nahm. Erst die Bewegung von Gaaras Lippen holte meinen Verstand in die Realität zurück. „Ich erwarte, dass du das Jutsu morgen in doppelter Intensität beherrschst“, lenkte er geradezu beiläufig von dem unangenehmen Thema ab. Seine Augen ruhten weiterhin auf mir. Und das war die größte Belohnung, die er mir hätte geben können. „Sicher…“, sagte ich, obwohl uns beiden klar war, dass ich das niemals schaffen würde. Ich wusste, dass jedes weitere Wort nur alles zerstört hätte. So zwang ich meine unsicheren Beine zu einer Drehung und wandte mich zum Gehen. Nur eines wollte ich noch: Dass er mir so lange wie möglich nachsah. „Ach, und … Gaara!“, rief ich über meine Schulter zurück. „Nur für den Fall, dass du sie doch isst – Lass es dir schmecken!“ Mit diesen ebenso nutzlosen wie albernen Worten und einem ebenso sinnlosen Armwink ließ ich ihn zurück. Das hektische Flattern in meinem Innern trieb mich zu einer höheren Geschwindigkeit, als ich eigentlich hatte einschlagen wollen. Doch ich spürte seine verwirrten Blicke bei jedem einzelnen Schritt auf mir. Genauso wie meine glühenden Wangen, die mir das Aussehen eines Feuermelders einbringen mussten. Diese Röte verschwand zwar glücklicherweise, als ich zu Hause angekommen war, doch das eifrige Flattern meines Herzens wollte und wollte nicht enden. Jeder, der schon einmal einen in Panik geratenen Vogelschwarm beobachtet hat, wird verstehen, wovon ich spreche. Das hektische Flügelschlagen, das ohrenbetäubende Zirpen – all das spielte sich in meinem Innern ab. Ich schloss mich in meinem Zimmer ein und lehnte meine Stirn gegen den Spiegel über meiner Kommode. Was war nur mit mir los? Ich war nicht der Typ Mensch, der sich derart benahm! Kraftlos hob ich den Blick, um mein Spiegelbild zu betrachten. Der Anblick ließ mich wie elektrisiert zurückfahren. Mit einem Mal waren der Schwarm Vögel verschwunden und mein Kopf wie leergefegt. Ich konnte nicht glauben, dass das Mädchen im matten Glas Ich selbst sein sollte. Meine Augen hatten ihren lebhaften Glanz verloren, die sonst so widerspenstigen Haare waren zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden und meine Gesichtszüge wirkten seltsam erwachsen. Einige feine Narben zierten meine Hände, die ich in der Öffentlichkeit unter fingerlosen Handschuhen verbarg – das sorgte zusätzlich für Rutschfestigkeit beim Wurftraining. Meine Füße steckten in den typischen Ninja-Schuhen und an meinem Gürtel transportierte ich ein halbes Dutzend Wurfsterne. Nach meiner Prüfung würde ich auch das Stirnband Sunas tragen. Ich wäre eine Kunoichi, eine potentielle Mörderin, und das an der Seite des Mörders meiner Freundin. Sehr, sehr langsam hob ich die Hand und berührte mein Spiegelbild mit den Fingerspitzen. Das Glas fühlte sich kühl und glatt an. Wie eine perfekte Maskerade. Doch was war die eigentliche Maskerade? War es diese neue, reifere Yuka, die verbissen um ihre hoffnungslosen Ziele kämpfte und langsam aber sicher ihre Familie vergaß? Oder nicht vielleicht das streitsüchtige kleine Mädchen, das aller Welt mit erhobenen Fäusten begegnet war, um nie verletzt werden zu können? Mein Blick glitt über die roten Flecken auf meinen Wangen. Dies machte mich verletzlich. Dies war gegen all meine Prinzipien. Dies war, zu was er mich getrieben hatte. Wieder erhob einer der Vögel zart seine Flügel in meiner Brust. Gaara, meine ganz persönliche Sünde. ------ Ich bin ungemein stolz auf meine Geschwindigkeit und hoffe, ihr auch :) Der Schulstress hat mich zwar jetzt wieder, aber ich habe nicht vor, Quicksand zu vernachlässigen, da es ohnehin nur noch wenige Kapitel bis zum Ende sind. Wie üblich gilt mein Hauptaugenmerk der Charakterentwicklung meiner beiden Protagonisten und hätte dazu auch gern ein paar Rückmeldungen, da die Story ja davon lebt. Ach ja, als kleine Inspiration zu dem ganzen Valentinstagskitsch möchte ich „Things I’ll never say“ von Avril Lavigne angeben. Manchmal ist mir einfach nach peinlichem Kitsch ;) lg Meggy Kapitel 17: Sünde ----------------- Es zog mich an den einzigen mir verfügbaren Ort, an dem ich den Versuch starten konnte, mich von meiner Schuld zu lösen. Direkt hinter der Villa des Kazekage befand sich ein kleiner Palmenhain, in den sich nur selten Menschen verirrten. Eigentlich sollte man meinen, die Wüstenbewohner müssten sich nach jedem Fleckchen grüner Erde sehnen, doch das genaue Gegenteil war der Fall: Jeder mied dieses Wäldchen. Sogar der Kazekage, der es einzig und allein für eine schönere Aussicht aus seinem Büro hatte anlegen lassen. Ich achtete darauf, tief genug im Wald zu verschwinden, dass man mich von außen nicht mehr sehen konnte. Erst dann wagte ich es, mein Wurfmesser zu ziehen und mich an einer möglichst groß gewachsenen Palme zu schaffen zu machen. Mit dem Messer war es ein Leichtes, zwei Äste von der Palme abzuschneiden. Den breiteren stieß ich in die Erde und häufte den Sand so darum herum, dass er aufrecht stehen blieb. Anschließend platzierte ich den kleineren Ast waagrecht auf dem ersten und fixierte ihn mit einem kleineren Messer. Es war eine ausgesprochen provisorische Konstruktion, doch in meiner Eile hatte ich natürlich weder an einen Hammer noch Nägel gedacht. Langsam trat ich einen Schritt zurück und betrachtete mein Werk. Die beiden Äste bildeten eine perfekte Kreuzform, mehr oder minder stabil in der Erde verankert. Ein Blick hinauf zu den grünen Palmwipfeln bestätigte mir, dass ich richtig gehandelt hatte. Diese Umgebung war meiner Heimat am ähnlichsten. An keinem anderen Ort hätte sich Rachel für den Platz ihrer letzten Ruhe wohl gefühlt. Am Fuß der Palmen wuchsen ein paar einsame Wüstenblumen, die ich unachtsam aus der Erde riss und vor dem Kreuz platzierte. Doch dieses drückende Gefühl lastete noch immer auf meiner Brust. Ich hatte nicht genug getan. Die Schuld, die ich auf mich geladen hatte, war niemals wettzumachen. „Rachel … Was muss ich tun? Sag es mir…“ Ich sank in die Knie und presste meine Stirn gegen das Kreuz. Tonnenschwere Hilflosigkeit lag auf meinen Schultern. Wie sollte ich jemals wieder irgendjemandem in die Augen blicken? Gaara hätte mich töten sollen, gleich bei unserer allerersten Begegnung in diesem Park hätte er mich zerquetschen sollen. Es hätte den Menschen meiner Vergangenheit so vieles erspart. „Es tut mir Leid … dass ich trotzdem seine Nähe suche … dass ich mir Gedanken um ihn mache … dass ich Teil seiner Welt bin.“ Die Worte sprudelten aus mir hervor, ohne dass ich den geringsten Versuch unternahm, sie aufzuhalten. Ich hob den Kopf gen Himmel und faltete die Hände zu einem verzweifelten Gebet. Ab diesem Zeitpunkt verlor ich jegliches Gefühl für die verstreichende Zeit – ich entschuldigte mich unzählige Male auf innigste Weise für all das, was mir die Seele zerfraß. Als ich schließlich zum Anwesen des Kazekage zurückkehrte, fühlte ich mich wie ein Schatten meiner Selbst. Statt der selbstbewussten Fassade der jungen Kunoichi war mir mein blankes Innerstes anzusehen: Mein Gesicht war verquollen und die Augen wund vor Tränen. Lautlos und mit gesenkter Haltung schlich ich in das Gebäude aus Sandstein. Ich war derart in meine eigene Misere vertieft, dass ich die wuchtige Gestalt vor mir erst bemerkte, als ich sie schon beinahe angerempelt hatte. Es war die Angst, die ich in mir verankert hatte, die mich zurückweichen ließ, obgleich mein Überlebensdrang in diesem Moment nicht sonderlich ausgeprägt war. Diese Gestalt hatte ich mir eingeprägt, als etwas zutiefst Bedrohliches. Aus unwillig verengten Augen musterte der Kazekage meine taumelnden Versuche, ihm auf dem engen Gang auszuweichen. Ich kannte diesen Blick, mit dem er meine Verfassung binnen Sekunden analysierte, zur Genüge. Ebenso seine barsche Stimme, die er mir entgegenschlug. „Fehlinvestition“, gab er sein Urteil ab, wie für Frischfleisch auf einer Auktion. Ich schloss die Augen und versuchte an ihm vorbeizukommen. Doch mit einem einzigen Schritt versperrte er mir jegliche Fluchtmöglichkeit. Seine Augen brannten auf meinem gesenkten Haupt. „Wenn du auch bei Gaara versagst, wirst du eliminiert.“ Er sprach mein Todesurteil ebenso ruhig aus, wie ich es aufnahm. Es gab nur eines, das mich daran schmerzen würde: Mein Versagen bedeutete zugleich Gaaras Wahnsinn und weitere unschuldige Menschenopfer, die ich zu verantworten hatte. Ich presste die Lippen aufeinander und schob mich deutlich grober als ich es normalerweise gewagt hätte, an ihm vorbei. Es ärgerte mich, dass ich mir erneut Sorgen um Ersteres machte. Sünde, Sünde, Sünde, hämmerte ich mir selbst ein. Um nicht noch weitere Begegnungen zu riskieren, hastete ich auf dem schnellsten Weg in das höchste Stockwerk und von dort über einen weiteren Treppenaufgang auf das Dach. Mein Kopf schmerzte von all den komplizierten Anschuldigungen, die ich mir selbst aufhalste; ich brauchte Ruhe. Auf zitternden Beinen schleppte ich mich die letzten Stufen hinauf, ehe ich in die mittlerweile kühle Nachtluft trat. Der staubige Wüstenwind wehte mir durch das ohnehin zerzauste Haar und brachte für einen Moment Klarheit in meinen überfüllten Kopf. Wie gesagt, für einen einzigen, unwichtigen Moment. Denn dort, auf dem höchsten Häuserdach ganz Sunas, saß Gaara, die Beine an den zerbrechlichen Körper gezogen, dicht am Abgrund. Völlig versunken betrachtete er einen Gegenstand in seinen Händen. Mir stockte der Atem – nicht nur aufgrund seiner bloßen Anwesenheit, sondern als ich erkannte, was er da hielt. Die Schokolade, die ich ihm geschenkt hatte. Neben sich hatte er das Geschenkpapier und die Schleife achtlos liegengelassen. Feine Risse im blauen Material ließen erkennen, wie grob er mit der Verpackung umgegangen war. Prüfend drehte er die Schokolade und musterte sie von allen Seiten, als hätte er nie etwas Derartiges gesehen. Dabei bewegten sich seine Lippen, wie bei einem leisen Flüstern. Ich stand zu weit entfernt, um ihn verstehen zu können, doch ich wagte es nicht, näher zu kommen. Dieses Bild von Gaara im sachten Mondlicht auf dem Dach hatte eine Ausstrahlung, die ich nicht zerstören wollte. Die Art, wie er sich zusammenkauerte und sein Geschenk aus verständnislosen Augen betrachtete, hatte etwas … Menschliches. Mir drehte sich der Magen um bei der schmerzhaften Erkenntnis meiner eigenen Abhängigkeit. Dieses Gefühl durfte nicht existieren! Und doch folgte mein Blick wie von seidenen Fäden gezogen der beinahe zögerlichen Bewegung, mit der er den Arm ausstreckte und die Schokolade über den Abgrund hielt. Ebenso wie ich einen feinen Stich in meiner Brust wahrnahm, als er mein Geschenk fallen ließ. Leise kam es drei Stockwerke tiefer auf dem Sandboden auf, höchstwahrscheinlich in breiartiger Konsistenz. Mein erster Impuls war, zu ihm zu gehen und ihm für diese Unverschämtheit die Leviten zu lesen. Doch ich hielt das Bedürfnis zurück und blieb stehen, wo ich war. Stille lag für einige lange Momente über dem Nachthimmel. Mir war klar, dass er mich längst bemerkt haben musste. Da er mir nicht sofort eine Unfreundlichkeit um die Ohren warf, musste er etwas von mir erwarten. Doch ich schwieg beharrlich und damit erteilte ich ihm die schwerwiegendste Ablehnung aller Zeiten. „Verschwinde“, knurrte er schließlich – endlich! – ohne den geringsten Blick in meine Richtung. Mit aller Kraft versuchte mich selbst davon zu überzeugen, wie gleichgültig mir dies war. Genau so sollte es sein: Wir hatten uns zu verabscheuen. Für den Bruchteil einer Sekunde fragte ich mich, wann ich begonnen hatte, mich dazu zwingen zu müssen. „Hatte ich ohnehin vor“, versetzte ich also und drehte mich um. Es waren nur drei Schritte bis zum Treppenaufgang, dann wäre ich außerhalb der Reichweite meiner Sünde. Er ließ mich nicht einmal den ersten machen. Mit einer Bewegung, die sich meinem Verstand entzog, tauchte er direkt vor mir auf und – was noch weitaus erschreckender war – starrte mich direkt an. Ich taumelte zurück und tat damit exakt das Falsche. Ein zischendes Geräusch verließ seine zusammengepressten Lippen und noch bevor ich einen völlig hoffnungslosen Fluchtversuch starten konnte, hatte sein Sand mich bereits an die Wand des Treppenaufgangs gedrückt. Undurchdringlich wie Fesseln aus Granit hielt er mich in seiner Gewalt. „Wohin willst du?“ Er betonte jede einzelne Silbe mit einer gefährlichen Mischung aus Zorn und Selbstkontrolle. Einige Sandkörner bohrten sich in meinen nackten Oberarm. Ich biss mir stöhnend auf die Zunge und schloss die Augen. Mir war klar, dass ich in dieser Situation nur das Falsche antworten konnte, darum entschied ich mich für unparteiisches Schweigen. Gaara schien sich von dieser Entscheidung allerdings nur noch stärker provoziert zu fühlen. „Du sollst mir antworten!“, forderte er, diesmal lauter. Der Blutgeschmack in meinem Mund ließ Angst in mir aufsteigen, die ich jedoch mit aller Gewalt niederzukämpfen suchte. Wozu unüberlegtes Handeln führte, wusste ich zur Genüge. Hatte er die Absicht, mir wehzutun, gab es ohnehin nichts in meiner Macht stehende, das ihn aufzuhalten vermochte. „Antworte!“ Ruhe bewahren, ermahnte ich mich selbst. „Rede!“ Keine Panik. Eine Beschwörungsformel in meinem Kopf. „Du wirst nicht weggehen!“ Ganz nah bei mir war seine Stimme nun, und noch etwas hatte sich verändert. Statt dem groben Sand war es etwas Glattes und eigenartig Warmes, das meine Hüften umklammert hielt und an die Wand drückte. Es war nicht weniger unangenehm und bereitete mir Schmerzen wie abertausend Nadelstiche, doch es brachte mich aus dem Konzept und so begann ich unachtsamerweise meine Augen zu öffnen. Unzählige Male hatte ich Gaaras von blindem Zorn verzerrtes Gesicht gesehen und war mir absolut sicher gewesen, es verinnerlicht zu haben. Aber nun war da kein Hass in seiner Miene, sondern die menschlichste aller Empfindungen: Trotz. Seine Hände gruben sich in meine Hüften, als wolle er in meinen Körper eindringen, um ihn für alle Zeiten zu vereinnahmen. „Was wohl? Ich gehe, wie du es wolltest“, keuchte ich und presste gleich darauf wieder die Lippen aufeinander, nicht minder bockig als er. Krachend schlug er meinen Körper erneut gegen die Wand; der Aufprall bereitete mir scheußliche Kopfschmerzen. Ich versuchte mich unter seinem Griff zu winden, doch er hielt meine Hüfte fester als jeder Schraubstock. Seine Fingernägel gruben sich in meine Haut. „Das tust du nicht! Du bleibst! Du siehst mich an! Du sprichst mit mir! Ich erlaube nichts anderes!“ Er hielt mich mit seinem stechenden Blick gefangen, dann öffnete er seine bebenden Lippen erneut. „Bild dir ja nicht ein, dass ich dich je weglasse! Du gehörst mir!“ Es war nicht Shukaku, der in diesem Augenblick aus ihm sprach, das verriet mir der dunkle Tonfall. Es war ganz allein Gaara, der mir genau das eröffnete, das ich niemals hatte erfahren wollen. Dies war seine Art, mir zu zeigen, dass er mich brauchte – entgegen all seines abweisenden Verhaltens. Und es gab noch einen weiteren Rückschluss, der sich unaufhaltsam aufdrängte: Er war nichts weiter als ein Mensch. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich aufgehört hatte, mich gegen seine quetschenden Hände zu wehren. Ich war viel zu überwältigt von der Flut an unbenennbaren Gefühlen, die sich all der Schwere entgegenstellte und meine Rippen schier zum Bersten brachte. „Was erwartest du denn von mir? Morgens schaust du mich an, als wolltest du mir die Eingeweide rausreißen und abends bin ich wieder gut genug für dich?“, quoll es aus mir heraus. Die Falten fraßen sich noch tiefer in seine Stirn, als er mir eine Antwort entgegenschleuderte. „Du hast nichts zu entscheiden! Du tust, was ich sage!“ Für die unermessliche Dauer eines Herzschlags betrachtete ich sein geradezu kindlich erzürntes Gesicht, dann senkte ich all seiner Lautstärke zum Trotz die Stimme. „Punkt eins: Wenn du etwas von einem Mädchen willst, sind Befehle keine wirksame Methode, um ans Ziel zu kommen. Punkt zwei: Man wirft keine Geschenke weg. Auch nicht, wenn es offiziell erlaubt wurde.“ Er öffnete verständnislos den Mund, allerdings schien ihm keine Erwiderung einzufallen. „Ich schreibe dir eine Liste mit Dingen, die du nicht tun solltest“, erklärte ich gefasst. Eine seltsame Ruhe legte sich über mich. Was ich tat, fühlte sich auf perplexe Weise richtig an. Vielleicht gerade weil es das unvernünftigste und naivste und gefühlsgesteuertste war – eben das, was am typischsten für Yuka Ashihira war. „Wenn du dich daran hältst, kommen wir miteinander aus. Vielleicht nicht bis in alle Ewigkeit, aber im Hier und Jetzt. Am Valentinstag, denn heute sollte eigentlich niemand allein sein, nicht mal das Monster aus Suna-Gakure oder die Hexentochter des Kazekage.“ Es sprang mir geradezu an die Kehle, dass er mich bis in die letzte Zelle meines Körpers hinein überprüfte. Auf Ehrlichkeit, Loyalität, Ergebenheit – was auch immer meine Anwesenheit für ihn unersetzlich machte. Er tat es auf eine so unsichere Weise, dass ich keinen einzigen Gedanken daran verschwendete, was er tun könnte, wenn ich diesen Test nicht bestand. Er stand hier nicht als mein Kidnapper vor mir. Und noch bevor seine Hände sich von meinen Hüften gelöst hatten, noch bevor er einen Schritt zurücktreten und sich mit der üblichen Maske der Gleichgültigkeit abwenden konnte, traf ich eine Entscheidung ganz allein aus meinem Bauch heraus. Zaghaft und federleicht legte ich meine Fingerkuppen auf seinen Handrücken. Er fühlte sich kalt wie Eis und hart wie Stein an, doch unter der fast weißen Haut dröhnte ein heftiger Pulsschlag, wie ich bemerkte, als meine Finger sich weiter zu seinem Handgelenk arbeiteten. Auch ich spürte das Blut durch meinen Körper rauschen, doch dass er ebenso auf mich reagierte, hätte ich nicht erwartet. Ich hob vorsichtig den Blick und konnte bei seinem Anblick ein Lächeln nicht zurückhalten. Sein Gesicht war zweifellos das eines Menschen: Die verwirrte, unsichere Miene eines Jungen, der mit der Situation überfordert war. Das gab den Ausschlag; ich schloss meine Finger um sein Handgelenk und trat einen Schritt nach vorn. „Interesse an Punkt drei meiner Liste?“, fragte ich, fast mit demselben neckenden Unterton, der meine Sprache vor langer Zeit geschmückt hatte. Gaara gab mir lautlos zu verstehen, dass das genau das war, was er beabsichtigt hatte. Ebenso stumm, wie er zeigte, dass er meine Berührung billigte. Seine Züge entspannten sich und er machte Anstalten, sich abzuwenden. Doch ich hielt sein Handgelenk eisern umklammert. Eins musste ich noch sagen, bevor mich der Mut wieder verließ. „Ich möchte bei dir bleiben.“ Ich sprach die Sünde aus, lächelnd und frei und ohne eine Sekunde darüber nachgedacht zu haben. So schnell wie der plötzliche Anflug an Spontaneität gekommen war, so schnell verfolg er auch wieder. Hastig entließ ich seine Hand und wandte mich an den Rand des Daches. „Setz dich einfach wieder hin und tu, als wäre ich nicht da. Ich setze mich dort drüben hin und schreibe die Liste für dich. Ignorier mich, wenn du willst“, fügte ich rasch hinzu, ehe ich an der entlegensten Ecke des Daches Platz nahm. Obwohl ich Gaara den Rücken zugewandt hatte, bemerkte ich sein Zögern. Er bewegte sich nicht; offenbar war er überfordert. Mein Geständnis musste ihn aus der Bahn geworfen haben. Auf einmal hatte er kein Opfer mehr, das Opfer spielte die Rolle gern. Doch schließlich, nach einer kleinen Ewigkeit, hörte ich leise Schritte auf dem Sandstein. Er trat an dieselbe Stelle, an der er vorhin gesessen hatte, und ließ sich beinahe lautlos zu Boden gleiten. Selbst mit der Konzentration jeder einzelnen Hörzelle war es schwierig, seine feinen Geräusche zu vernehmen. Wieder drohte der Vogelschwarm in meinem Innern meinen Brustkorb zu sprengen, vor dummer, irrationaler Freude dieses Mal. Ich kramte den kleinen Papierblock und den Bleistift hervor, die ich zwecks Einkäufen oder Trainingsanweisungen immer mit mir herumtrug, und begann zu schreiben. Punkt eins: Man wirft keine Geschenke weg, selbst wenn der Beschenkende es ausdrücklich erlaubt hat. Frauen sagen ständig Dinge, die sie nicht so meinen. Weitere Informationen dazu unter Punkt zehn bis zwanzig („Wie man das Verhalten einer Frau versteht“) Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als ich diese naive Liste schrieb, auf die er garantiert nie einen einzigen Blick werfen würde. Es ging mir dabei nur im eines: Dass er etwas von mir besaß. Und dass wir diesen Augenblick zusammen hatten. Mein erster Valentinstag zusammen mit einem Jungen, wenn ich darüber nachdachte. Vorsichtig riskierte ich einen Blick aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber. Gaara saß tatsächlich genau so am Abgrund wie vorhin, als ich ihn hier aufgefunden hatte. Er ignorierte mich, doch die bloße Tatsache, dass er trotz dem, was ich ihm soeben eröffnet hatte, hier blieb, ließ mein Lächeln breiter werden. Manchmal muss man keine Worte verlieren, um sich nah zu sein. Und manchmal sündigt man, einfach nur, um sich selbst treu zu bleiben. Ja, der Versuch, meine eigene Existenz zu wahren, schien mir eine akzeptable Rechtfertigung für den Frevel, in dem ich mich immer tiefer verlor. Zumindest für diesen Augenblick. „Es war seltsam. Wir haben die ganze Nacht kein Wort mehr gesprochen, sondern nur zusammen dagesessen. Ich hab mich nicht mal getraut, mir eine Decke zu holen, als es kalt wurde, und ich schlafen wollte. Und als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, war er weg. Mitsamt der Liste.“ Nachdenklich legte ich die Stirn in Falten und setzte mich auf dem Tresen zurecht. Wenn ich die vergangene Nacht nun Revue passieren ließ, kam mir das Geschehene unwirklich vor. Wie eine verwischte Erinnerung, deren Realität anzuzweifeln war. Es lag wohl an der Abwesenheit meiner rational denkenden linken Gehirnhälfte. Ich hob den Kopf und blickte zu Kaito, der mit einem verschmitzten Lächeln ein Regal einräumte. Bei meinem morgendlichen Einkauf waren ihm sowohl die Blutergüsse und Kratzer an meiner Hüfte als auch meine offensichtliche Unruhe aufgefallen. In meiner Verwirrung ließ ich mich nur allzu gern von ihm ausquetschen. „Praktisch gibt es keine plausible Erklärung dafür, dass ich bei ihm geblieben bin. Es war nur … Er hat mich angefasst! Und dann noch dieses ‚Du gehörst mir’! Jetzt mal ehrlich: Welche Frau will das nicht mal hören? – Nein, antworte darauf nicht! Er war eben so menschlich und … Dabei ist er ein widerlicher Menschenverächter!“ Ein verärgerter Aufschrei folgte meinen schrillen Worten und ich fasste mir mit beiden Händen an den Kopf. „Keine Sorge, wenn du das nicht verstehst. Ich kapier’ ja selbst nicht, was in meinem Spatzenhirn vorgeht.“ Kaito schien nicht mal ansatzweise an meiner Fähigkeit zum logischen Denken zu zweifeln. Entspannt lehnte er sich an das Regal und warf mir eine Dose voll Bonbons zu, die normalerweise auf dem Tresen stand. Gerade noch rechtzeitig konnte ich meine Hände koordinieren, um die Dose zu fangen. „Ich hab’ drei Töchter daheim, alle mitten in der Pubertät. Du musst dir also keine Sorgen machen, ich bin einiges an Herzschmerz gewöhnt“, erklärte er väterlich. Ich starrte ihn an, unsicher, ob ich ihn nun auslachen oder erwürgen sollte. Er nahm mir die Entscheidung ab, indem er sich lachend die Hände an seinem Arbeitskittel abwischte und sich anschließend wieder den Waren zuwandte. „Meinen Töchtern hab’ ich immer gesagt, ich pfusch’ ihnen auf keinen Fall in die Entscheidung rein, welchen Jungen sie wollen, solange es nicht unser dorfeigenes Monster ist. Aber da keine von ihnen auf zehn Meter Entfernung mit einem Wurfmesser auch nur ein Scheunentor treffen konnte, geschweigedenn den Mut aufgebracht hätte, sich dem Sandjungen auf dieselbe Distanz zu nähern, lag der Fall ohnehin anders.“ Ich biss die Zähne aufeinander und knallte die Bonbondose verärgert auf den Tresen. „Was willst du damit sagen?!“ „Ganz einfach, Kleines.“ Er trat auf mich zu und drückte mir breit grinsend einen blauen Stofffetzen in die Hand. „Früher sagte man, Ninjas seien Waffen, die keine menschlichen Empfindungen haben dürften. Sie mussten auf Knopfdruck funktionieren und waren jederzeit austauschbar. Was meinst du wohl, warum man das geändert hat, und wir hier im versteckten Dorf fröhlich zusammen leben?“ Mein Gesichtsausdruck musste nicht sonderlich intelligent gewirkt haben, denn er erwartete keine Antwort, sondern tippte auf das Stoffband. „Dieses Stirnband ist das Zeichen der Ninjas aus Suna-Gakure. Jeder ist stolz, es tragen zu können und sein Land mit allen Menschen, die ihm wichtig sind, zu beschützen. Ein solcher Mensch ist eine weitaus stärkere Waffe als eine gefühllose Marionette. Und zwar, weil er für seine Ideale kämpft.“ Ich schob trotzig die Unterlippe vor. „Aber ich bin kein Ninja. Also nimm das Stirnband wieder, sonst schickt der Kazekage mich zur Exekution.“ „Der alte Miesepeter wird sich hüten, den einzigen Lichtblick im Kampf gegen sein Monster zu vernichten“, sagte er unbekümmert. „Was machst du dir eigentlich Gedanken, wie eine alte Frau? Was ist denn so schwer daran, den Dingen einfach ihren Gang zu lassen und aus der Vergangenheit zu lernen und sie dann ruhen zu lassen?“ Gerade noch rechtzeitig brachte ich meine Kiefer unter Kontrolle, um zu verhindern, dass sie auseinanderklappten. „Hä?“, war alles, was ich in meinem grenzenlosen Unverständnis hervorbrachte. Er lächelte ein nachgiebiges Lächeln, als wäre ich ein Kleinkind, dem die einfachsten Sachverhalte nicht klar waren. „Du bist jung – zu jung, um alles perfekt zu machen.“ Einige Sekunden lang war ich zu nichts weiter fähig, als mit völlig entgleisten Gesichtszügen Kaitos Miene zu ergründen und seine Worte zu verarbeiten. Und dann spürte ich, wie sich ganz langsam das schwere, drückende Gefühl von meiner Brust hob. Ich konnte frei atmen und den Kopf aufrecht tragen. Natürlich. Seit wann passte es zu mir, mein Leben mit nicht enden wollenden Grübeleien zu verbringen? Wie hatte ich mir je einbilden können, etwas fehlerlos machen zu müssen? Was war eine Regel ohne denjenigen, der sie brach? „Rachel ist gestorben, weil ein übermächtiger Gegner sie getötet hat, dem ich nichts entgegenzusetzen hatte. Kim wurde von der mächtigsten Organisation ganz Amerikas entführt; ich hätte es nie vorhersehen können. Und wenn meine neue Lebenslaufbahn aus Kämpfen besteht, ist das ein unabänderlicher Fakt.“ Ich hatte langsam und zögerlich zu sprechen begonnen, am Ende waren meine Worte vor Aufregung kaum mehr zu verstehen. Kaito schlug kurz die Hände und schenkte mir ein breites Grinsen. „Das ist es, Kleine.“ „Und das heißt … wenn ich möchte, darf ich…?!“ Ich wagte es nicht, die Worte auszusprechen, doch mein Innerstes ließ sich nicht lange bitten. Denn dies war der Augenblick, in dem ich den schon so lange rebellierenden Vogelschwarm freiließ, statt ihn krampfhaft kontrollieren zu wollen. Die sorgsam verschlossenen Pforten meines Herzens schwangen weit auf, bereit, sich all dem hinzugeben, das mein Verstand mir so hartnäckig als Frevel vor Augen zu halten suchte. Und ich glaube, dass ich endlich in der Lage war, Vergebung zu üben. Sowohl an mir selbst als auch an anderen. Ich konnte es gar nicht eilig genug haben, von dem Tresen aufzuspringen und Richtung Tür zu hasten. Es gab so vieles, das ich tun wollte – stark werden und mich beweisen, wie ich es immer gern getan hatte, und vor allem die Nähe meines Sensei suchen – dass ich glaubte, vor Energie bersten zu müssen. „Vielen Dank!“, rief ich hastig und war schon beinahe aus dem Laden, als ich noch einmal stoppte und mich halb umdrehte. „Womit hab’ ich all die Hilfe eigentlich verdient?“ Kaito schob seine großen Hände in die Taschen des Kittels und zuckte mit einem unbestimmten Schnauben die Achseln. Ein feines Lächeln lag auf seinen Lippen, als er meinen Blick erwiderte und schließlich äußerst langsam antwortete. „Vielleicht bin ich einfach neugierig auf jede Veränderung in diesem überschaubaren Dorf.“ ----- Ich sage nur: Puuhh! Dass ich so lange gebraucht habe, hatte eindeutig seinen Grund. Das Kapitel hat sich wirklich gezogen, ich habe es x-mal komplett umgeändert und ewig lang hilflos draufgestarrt. Eine ziemliche Quälerei, aber jetzt gefällt es mir :) Geplant sind jetzt noch exakt drei Kapitel, dann hat Quicksand sein Ende erreicht, und ich hoffe wirklich, dass sie mir leichter fallen. Übrigens habe ich den Themesong der FF geändert. Ich finde „How to save a life“ von The Fray passender. Perfekt für Yuka und Gaara ;) lg Meggy Kapitel 18: Wie man ein Leben rettet ------------------------------------ Ab diesem Tag war ich vollständig in Suna-Gakure angekommen. Ich stürzte mich voller Elan in mein Training und den schweren Kampf um Anerkennung in diesem verschrobenen Dorf. Meine Tage waren hoffnungslos verplant und ich nutzte jede freie Sekunde, um an meinem unausgesprochenen Projekt zu arbeiten. Bestand es darin, beim Training um Extra-Tipps zu bitten, einem feuerroten Haarschopf durch die verstaubten Straßen nachzulaufen oder sämtliche Abende auf jenem schicksalhaften Häuserdach zu verbringen – Gaara bekam die geballte Kraft einer glühend entschlossenen Ashihira zu spüren. Jede Naturkatastrophe war eine Lappalie dagegen. „Yuka Ashihira?“ „Anwesend!“, trompetete ich dem Jonin entgegen. Schulterzuckend trug er das letzte Kreuz auf seiner Liste ein, dann ließ er seinen Blick über die säuberlich vor ihm aufgereihte Gruppe an Prüflingen schweifen. Inwiefern auch immer die anderen mehr von dem Ablauf der bevorstehenden Genin-Prüfung wussten – es musste irgendwo zwischen Kreuzigung bei lebendigem Leib und Abziehen der Fingernägel liegen – wirkten sie auf mich alles andere als motiviert. Mit gesenkten Köpfen folgten sie dem Prüfer in das Hauptgebäude der öffentlichen Akademie. „Ihr werdet nun in Vierergruppen geprüft“, erklärte der Jonin. „Jede Gruppe begibt sich in einen separaten Raum, wo die Prüfung vonstatten geht.“ Es war nicht mal der Ansatz eines autoritären Tonfalls nötig. Stoisch gehorsam folgte ein junger Suna-Nin nach dem anderen der Einteilung. In Gedanken hatte ich die Meute bereits als rückgratlose Streber abgestempelt – Wie sollten solche Marionetten auch je vernünftige Ninjas darstellen? – als mich ausgerechnet bei meiner eigenen Einteilung eine Überraschung ereilte. Ein Junge mit strähnigen, schwarzen Haaren rümpfte hörbar die Nase, als sein Name offenbar zusammen mit meinem verlesen wurde. „Sensei, ich bitte um eine andere Gruppe“, sagte er betont ruhig, doch die verhaltene Abscheu war unüberhörbar. Der Jonin wirkte nicht im Mindesten überrascht, er machte sich nicht einmal die Mühe, von seinen Notizen aufzublicken. „Mit welcher Begründung?“ „Kein Mensch kann von mir verlangen, mich der Schülerin unseres Monsters auszusetzen.“ Die Worte waren wie ein Funke auf Benzin, unausweichlich in ihrem Hass sowohl gegenüber mir selbst als auch meinem Sensei. Ruckartig schob ich mich aus der akkuraten Reihe und suchte die Gesichter nach dem des Jungen ab. Seine Miene verkörperte all das, was der Großteil der Bevölkerung mir seit meiner Ankunft entgegenbrachte: Ablehnung und eine gewisse Furcht. „Kein Mensch verlangt von jemandem, Ninja zu werden, wenn er Angst vor einem dreizehnjährigen Mädchen hat“, giftete ich. „Ashihira, zurück in die Reihe.“ Noch immer strotzte der Prüfer vor Gleichmut. Ich hob das Kinn und trat noch einen Schritt nach vorn. Rebellion ließ meine Brust anschwellen. „Ich bin hier, um Genin zu werden, kein Schoßhündchen.“ Unzählige wüste Beschimpfungen lagen mir auf der Zunge, doch ich entschied für das einzig Sinnvolle. Ohne den Schwarzhaarigen eines weiteren Blickes zu würdigen, ging ich zu dem Raum, der mir zugeteilt worden war. Meine festen Schritte hallten ausgesprochen laut auf dem Parkettboden wider, darum bemerkte ich erst an der Tür des Prüfungsraums, dass mir tatsächlich ein einziger der zugeteilten Prüflinge gefolgt war. Ein schlaksiger Junge mit wirrem, kupferfarbenem Haar stand zwei Meter hinter mir und senkte den Kopf, als ich ihn bemerkte. Hauptsächlich aus Gewohnheit stemmte ich die Hände in die Hüften. „Du bist dir ganz sicher, dass du da wieder lebend mit mir zusammen rauskommen wirst?“ „Ich bin mir sicher, dass jeder, der diesem Arsch da drinnen die Stirn bieten kann, kein schlechter Mensch ist.“ Erst jetzt sah er mich an und zeigte ein vorsichtiges Lächeln, bei dem sich süße Grübchen an seinen Wangen bildeten. Langsam trat er neben mich und ich musste feststellen, dass er mich trotz seines kindlichen Aussehens ein gutes Stück überragte. „Ren. Sohn des Bäckers“, stellte er sich vor, noch immer lächelnd. Auch ich konnte mir ein Lächeln nicht mehr verkneifen, als ich nun neben dem Rotschopf ins Zimmer trat. Es war eben genau, wie Kaito es gesagt hatte: Die Bürger waren zwiegespalten. Und die einzige Möglichkeit, sie von der Ungefährlichkeit meiner Existenz zu überzeugen, war, schlicht ich selbst zu sein. „Yuka. Schülerin des dorfeigenen Monsters“, grinste ich also wahrheitsgemäß. Der Prüfer im Innern des Raumes war weniger angetan von meinem Auftritt, den er offenbar mitbekommen hatte. Ich hatte gedacht, Baki hielte den Weltrekord darin, einem Schüler mit einem einzigen Blick Minderwertigkeitskomplexe zu erteilen, doch da hatte ich weit gefehlt. „Beide ein Wasser-Jutsu vorführen“, kommandierte der bärtige Ninja im Telegrammstil; seine dunklen Augen waren einzig und allein auf mich fixiert. Und zwar mit einem Blick, der mir unmissverständlich klarmachte, dass er mit Freuden jeden noch so kleinen Fehler meinerseits als Anlass nehmen würde, mich gnadenlos durchfallen zu lassen. Ich begann zu verstehen, weshalb die anderen Prüflinge sich wie Marionetten verhielten. Mein Element war das Feuer und ein geübter Shinobi erkannte das auf den ersten Blick. Dieser Befehl zeugte demnach von großartiger Fairness. Doch dem Rübezahl-Verschnitt schien nicht klar zu sein, was es bedeutete, einen perfektionistischen Sadisten zum Sensei zu haben. Lieber hätte er mich kollabiert auf dem Trainingsplatz gesehen, als mir nicht jede einzelne Kategorie der Jutsus zumindest ansatzweise angeeignet zu haben. Ich trat also nach vorn und schenkte dem Prüfer ein selbstgefälliges Lächeln. „Wasserversteck: Jutsu des Wassergefängnisses!“ Natürlich kostete es mich immer wieder aufs Neue wahnsinnige Anstrengung, mein Chakra zu konzentrieren. Es war schwerer in Form zu halten als das eines gewöhnlichen Ninjas und gänzlich auf Feuer spezialisiert. Vergleichbar mit flüssiger Sahne, die zunächst mit großem Kraftaufwand fest geschlagen werden musste, ehe man etwas mit ihr anfangen konnte. Doch heute ließ ich mir die Anstrengung nicht anmerken; mit zusammengebissenen Zähnen formte ich meine Fingerzeichen, bis die Wassermassen auf den Prüfer zuschossen. Binnen Sekunden war er in einem Kokon aus Wasser gefangen. Ich spürte Rens anerkennenden Blick ebenso deutlich auf mir, wie ich die verstimmte Falte auf der Stirn des Prüfers wahrnahm. Mit einem steifen Nicken gab er mir zu verstehen, dass ich das Jutsu lösen konnte. Breit grinsend löste ich das Fingerzeichen und ließ die Wassermassen, die den Prüfer zuvor in einem Vakuum gefangen gehalten hatten, achtlos herunterprasseln. Er wurde so furchtbar nass, dass ihm sowohl der lange Bart, als auch die buschigen Augenbrauen triefend herabhingen – diesen Anblick hatte ich mir einfach nicht entgehen lassen können. Der Rest der Prüfung war einfach: Umgehen mit einer Waffe, ein Verwandlungsjutsu und einige theoretische Fragen. Sowohl ich als auch der schlaksige Ren kamen keine Sekunde ins Straucheln, genau wie es sein sollte. Als der mittlerweile fast wieder getrocknete Rübezahl-Verschnitt die Testreihe schließlich beendet hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als uns die Stirnbänder des Windreichs zu überreichen. Ich machte mir nicht mal die Mühe, auf seine nicht ernst gemeinten Glückwünsche zu warten, sondern verließ sofort die Akademie. Diesmal war es unbändiger Stolz, der mich mit hoch erhobenem Kopf und weit ausholenden Schritten durch das Gebäude stolzieren ließ. Ich hatte das Stirnband bereits an meiner Kunai-Tasche befestigt und genoss es jedes Mal aufs Neue, wenn der Stoff sacht gegen meinen Oberschenkel schlug. Nun war es geschafft, ich war offiziell und unwiderruflich ein Teil dieses Landes. Entgegen meiner Erwartung musste ich nicht einmal bis nach Hause laufen, um mit meinem ungeheuren Erfolg zu prahlen. Direkt vor der Akademie hatten sich alle Senseis der Prüflinge aufgebaut und – womit ich niemals im Leben gerechnet hätte – auch mein eigener Ausbilder stand dort. Er hatte sich mit verschränkten Armen und betont gelangweiltem Gesichtsausdruck unter einem knorrigen Baum platziert, wo er gemeinsam mit Kankuro und sogar Temari auf mich wartete. Einen irrationalen Moment lang wollte ich losrennen und ihm um den Hals fallen, doch ich entsann mich gerade noch rechtzeitig, dass dies meinen Erfolg eher zunichte gemacht als weiter beflügelt hätte. Lächelnd blieb ich vor den dreien stehen und bewegte mit einer gewollt übertriebenen Pose meine rechte Hüfte mit dem Stirnband nach vorn. Mein Blick war Beifall heischend auf Gaara fixiert, darum überraschte es mich umso mehr, dass es ausgerechnet Temari war, die als Erste sprach. „Na, das nenne ich mal eine Leistung, sich durch die Prüfung zu mogeln, wenn sämtliche Jonin vor Empörung schier an die Decke gehen!“, sagte sie mit unverkennbar schwarzem Humor. „Bis hier draußen hat man gehört, wie die halbe Akademie sich über dich aufgeregt hat.“ Ich wandte mich verwirrt zur Seite und versuchte aus ihrem harten Gesicht herauszulesen, ob das eine Abwandlung ihrer für mich so alltäglichen Ablehnung war. Doch seltsamerweise lag ein Lächeln auf ihren strengen Lippen. „Bisher hat noch nie jemand bestanden, der es sich in irgendeiner Weise mit dem Prüfer verscherzt hat. Damit hast du Geschichte geschrieben“, erklärte sie, um mir auf die Sprünge zu helfen. Endlich begriff ich. Mit dieser verrückten Aktion hatte ich mir ihren Respekt erkämpft; eigentlich nicht weiter verwunderlich in Anbetracht ihrer burschikosen Kämpferhaltung. Auch Kankuro warf mir ein schiefes Grinsen zu. „Ich bin ja mal gespannt, was Vater für ein Gesicht macht, wenn er davon erfährt.“ „Er wird schon warten. Gehen wir.“ Verwirrt schossen meine Augen zu Gaara, der nach diesen nüchternen Worten übergangslos den Heimweg einschlug. Mit ein paar schnellen Schritten hatte ich ihn eingeholt und lief rückwärts vor ihm her. „Punkt 26: Glückwünsche sind nach mittelamerikanischer Höflichkeit ein Muss“, erklärte ich halb tadelnd, halb amüsiert. Nicht, dass ich meine Liste tatsächlich auswendig gelernt hätte, ich sagte einfach die erste Zahl, die mir in den Sinn kam. Er machte Anstalten, sich abzuwenden, doch sein Interesse war sofort geweckt, als Ren angerannt kam. „Yuka! Hey, Yuka, warte mal!“, rief er, atemlos von seinem schnellen Tempo. Ich blieb stehen und war überrascht, als sowohl Temari und Kankuro als auch Gaara meinem Beispiel folgten. „Ren! Was gibt’s denn?“ Er verharrte einen guten Meter von unserer Gruppe entfernt und mir war durchaus klar, wieso er das tat. Es sprang einem an die Kehle, wie abschätzend das Geschwisterpaar den schlaksigen Genin, der so gar nicht das Aussehen eines Ninjas hatte, musterte. Gaaras Gesichtszüge waren gefroren und ich bildete mir ein, sogar ein dunkles Grollen aus seiner Kehle zu hören. Dennoch bemühte sich Ren um einen lockeren Tonfall. „Ich wollte dich nur noch mal beglückwünschen. War klasse, die Prüfung mit dir zusammen zu machen. Wenn du willst, kannst du mich ja mal in der Bäckerei meines Vaters besuchen kommen. Wir könnten zusammen…“ Noch bevor Gaaras Stimme sich wie ein donnerndes Gewitter über dem armen Ren entlud, wusste ich, dass dies das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. „Verschwinde und lass dich nie wieder blicken.“ Ren hatte das Monster Sunas zum ersten Mal in Aktion erlebt. Jegliche Farbe entwich seinem sanften Gesicht und ich konnte förmlich zusehen, wie sein Sympathikus auf Hochtouren Stresshormone produzierte, um ihm die Flucht zu erleichtern. Hätte ich nicht eingegriffen, wäre er sicher einem Kreislaufkollaps erlegen. „Entschuldige bitte, wir haben es eilig“, erklärte ich betont freundlich. „Ich melde mich bei dir, versprochen!“ Und das meinte ich absolut ernst. Nun war ich es, der Gaaras urböser Blick galt, doch ich ignorierte es, indem ich mich rasch in Bewegung setzte. Auch seine Geschwister bemühten sich, ihn zum mitgehen zu bewegen. So gelang es uns, Gaara nach Hause zu bugsieren. Die Audienz bei seinem Vater würde ihn hoffentlich von seinen neuesten Mordgedanken ablenken. Wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, zeigte der Kazekage sich alles andere als erfreut von meinem Besuch. Unter den Dorfbewohnern hatte er keinen schlechten Ruf und ich hegte keinerlei Zweifel, dass er mit seinem fein geschnittenen Gesicht – ähnlich wie das Gaaras – und den haselnussfarbenen Augen durchaus sympathisch wirken konnte. Doch in meiner Anwesenheit verformte sich all dies zu einer Maske des Hasses. Ich war der Beweis für seine Fehlbarkeit, dass es Dinge gab, in denen er sich irrte. „Guten Tag, Vater.“ Kankuro war vergeblich darum bemüht, mit einem besonders hochachtungsvollen Tonfall die Stimmung zu lockern. Der Kazekage legte seine Schreibfeder beiseite und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er erinnerte mich an ein Raubtier in Anbetracht einer sicheren Beute, die es zu zerfleischen galt. Genugtuung ließ mich mindestens fünf Zentimeter wachsen, als ich mich vor dem Schreibtisch aufbaute. Ich wünschte mir Leuchtreklametafeln herbei, um das Stirnband an meiner Hüfte hervorzuheben. Langsam, jede einzelne Sekunde auskostend, beugte ich mich zu ihm hinüber und setzte mein gönnerischstes Lächeln auf. „Be-stan-den.“ Ich zog das Wort absichtlich in die Länge und ließ jede Silbe genießerisch über meine Lippen kommen. Damit hätte er niemals gerechnet. Sieg auf ganzer Linie! „Dann macht euch bereit. Ihr brecht noch heute auf eine Mission auf.“ Ich wünschte ihm abwechselnd Pest und Cholera an den Hals. Oder beides zusammen mit einer Prise AIDS und Krebs an sämtlichen Organen. Er fuhr fort, mich anzustarren, als wäre ich noch immer nicht in der Lage, ein einziges Kunai zu halten. Und er übertraf sich noch selbst. „Eine Mission der Klasse B. Seht zu, dass ihr lebend wiederkommt.“ Letzteres sagte er ausschließlich an die Geschwister hinter mir gewandt. Das war also die höfliche Umschreibung für ein Todesurteil meiner Wenigkeit, denn eine solche Mission war für jeden frischgebackenen Genin schlichtweg unmöglich. Mit meinem vollen Körpergewicht ließ ich mich auf den Schreibtisch fallen, der sicherlich den Jahreslohn eines normalen Bürgers gekostet hatte. Nicht einmal Blumenvasen durften dieses sensible Heiligtum gefährden. Ich winkelte ein Bein an und lehnte mich in sein Sichtfeld. „Aber sicher doch, Kazekage-sama.“ Abgrundtiefe Gefühle färbten meine Stimme. „Ich werde alles zu Eurer Zufriedenheit erledigen. Wie könnte ich je meinen großzügigen Ernährer enttäuschen.“ Was ich nun tat, hätte bei jedem gewöhnlichen Shinobi zur sofortigen Exekution geführt. Betont beiläufig stieß ich das Tintenfass um, sodass die dunkle Flüssigkeit sich sowohl über die Dokumente als auch den Schreibtisch ergoss. Anschließend stand ich schwungvoll auf und trat zwei faustgroße Dellen in das feine Holz. Aus seinen haselnussfarbenen Augen konnte ich deutlich herauslesen, wie er die Palette aller verfügbaren Foltermethoden durchging. Ich drehte mich um und lief übertrieben langsam zur Tür. Aus den Haltungen Temaris und Kankuros sprach eine Mischung aus Angst und Anerkennung. Einmal mehr wurde mir klar, was es bedeutete, sich in diesem Land Respekt zu erkämpfen. Bring dich in Lebensgefahr, lass Unverschämtheit und die Fäuste sprechen – schon bist du im Verein. „Auf ein baldiges Wiedersehen.“ Kommentarlos folgten mir die drei aus dem Büro eines mordlüsternen Kazekage. „Ich schwöre: In vierzehn Jahren habe ich meinen Vater noch nie so gesehen!“ „Ausgerechnet der heilige Schreibtisch! Das Holz dafür musste aus Konoha-Gakure importiert werden und die Handwerker saßen Wochen an der Fertigstellung!“ Ich warf den beiden Geschwistern, die sich seit dem Anbruch unserer Reise gegenseitig in der Analyse meiner Racheaktion übertrafen, ein schiefes Grinsen zu. „Wird mir viel bringen, wenn er mich dafür umbringen lässt“, sagte ich; immerhin hatte ich meinen Galgenhumor nicht verloren. Zum ersten Mal machte sich Gaara mit einem abfälligen Schnauben bemerkbar. Seit wir zu unserer Mission aufgebrochen waren, hielt er sich von uns abgesondert und hüllte sich in Schweigen. Und auch jetzt verlor er kein einziges Wort, doch dieses eine Geräusch hatte mehr als genug gesagt. Kankuros Lächeln wurde noch breiter, während ich schluckte und an meinem Stirnband herumzuspielen begann. Es war unnötig auszusprechen, dass Gaara nicht zulassen würde, dass mir irgendjemand etwas antat. Wahrscheinlich hatte ich nur derart gedankenlos gehandelt, weil ich mir dessen bewusst gewesen war. Ich verfiel in nachdenkliches Schweigen und musterte Gaara, der uns einige Schritte voraus war. Meine Gefühle für ihn waren andere als damals für Matt, doch auf erschreckende Weise ähnelten sie ihnen doch. Dabei hätten zwei Menschen wohl kaum verschiedener sein können. Doch was spielte das nun noch für eine Rolle? Mit einigen raschen Schritten war ich neben ihm und blickte lächelnd zu seinem Gesicht auf. „Wie war doch gleich die Beschreibung für die Mission?“, fragte ich unschuldig. Ich beherrschte es mittlerweile meisterhaft, ihn mit geschickten Gesprächsaufhängern zum Reden zu bringen, so ungern er es auch tat. „Feindliche Spione in einem Wüstenversteck. Mitglieder einer Karawane, die seit Ewigkeiten bessere Handlungsbedingungen erpressen wollen. Wir lassen sie hochgehen.“ „Und was ist mein Part bei der Sache?“ „Außerhalb ihrer Reichweite zu bleiben.“ „Hä?“ Meine Stimme schnellte bei dieser offensichtlichen Frechheit eine Oktave in die Höhe. Für den Bruchteil einer Sekunde warf er mir einen düsteren Blick zu, wie er es lediglich als mein Sensei tat. „Ich dachte, du hattest vor, den heutigen Tag zu überleben.“ Damit war die Diskussion für ihn beendet. Freude über seinen Beschützerinstinkt und trotziger Stolz hielten sich in meinem Innern die Waage, doch für mich stand fest, wie ich mich bei dieser ersten Mission verhalten würde. Ich war nie Vertreterin eines konservativen Frauenbildes gewesen, erst recht nicht in einer Welt der Ninjas. Nein, ich war … starrköpfig und unvorstellbar dumm in meinem Bestreben, mein Bestes zu geben und ihn damit eventuell sogar zu beeindrucken. Sobald die halb unter einer Düne versteckte Höhle am Horizont erschien, spannten sich meine Muskeln an und ich ging in Gedanken mein Repertoire an Waffen durch. Der Höhleneingang war durch einige Felsen teils verdeckt und von Kreosotbüschen gesäumt. Das war ein eindeutiger Beweis – an den Shinobi, die von den Spionen erledigt worden waren, hatte man Nadeln genau dieser Büsche gefunden, die in der Wüste außerordentlich rar vorkamen. „Es werden nicht viele Gegner sein, also ist keine Strategie nötig. Kankuro und Temari gehen auf zweite Position hinter mich, dann greifen wir direkt an.“ Gaara war anzumerken, dass er es gewohnt war, die Befehle zu erteilen. Obwohl ich an einem leichten Zucken in Kankuros Gesicht erkennen konnte, dass er zu einem weniger riskanten Plan tendiert hätte, wagte er es nicht, Einspruch zu erheben. Gaara öffnete seine Kürbisflasche und nahm die Höhle ins Visier, dann rannte er in großen Sätzen darauf zu. Seine Geschwister folgten ihm auf dem Fuß – ein eingespieltes Team. Für meine Begriffe waren wir schnell, doch offenbar nicht schnell genug, um einen Überraschungseffekt nutzen zu können. Wir waren nicht mal auf hundert Meter an das Versteck herangekommen, da brach die Hölle auf uns herein. Mehrere Dutzend Briefbomben, befestigt an Wurfmessern, schossen durch die Luft, dicht gefolgt von mehreren Personen in weiten, fließenden Gewändern. Hätte Gaara die Waffen nicht mit seinem Sandschild abgefangen, wäre ich zu starr vor Schock gewesen, um einer einzigen auszuweichen. Alles ging viel zu schnell für mich: Gaara nagelte einen der Gegner an dem Felsen fest, ehe er sich einer schlanken Frau mit mehreren Schwertern zuwandte. Temari hatte ihren riesigen Fächer gezückt und lieferte sich mit einem Jungen, kaum dem Kindesalter entwachsen, ein Duell der Winde. Kankuro ließ seine Marionette auf einen wild mit Fernwaffen um sich werfenden Mann los. Von einem Wimpernschlag auf den anderen glühte die Luft vor Gewalt. Und ich war mittendrin: Ein drahtiger Kerl mit mehreren Wurfmessern in der Hand hatte sich direkt auf mich gestürzt und ließ mir keine Zeit zu zögern. Mit einem Aufschrei warf ich mich zur Seite und tastete nach meiner Waffentasche. Hundertmal hatte ich im Training mit einem Kunai gekämpft, doch das hier war etwas völlig anderes. Meine Finger zitterten so sehr, dass sie sich kaum um das Metall schließen lassen wollten. Der feindliche Ninja wandte grunzend den Kopf und offenbarte dabei eine tiefe, schlecht verheilte Narbe an seiner Schläfe. Ich wollte mir nicht vorstellen, welche Grausamkeiten für ihn zum Alltag gehörten. Eine Sekunde zu lange weigerte mein Herz sich zu schlagen; das gab ihm genug Zeit, sein Wurfmesser an meiner Schulter vorbei zu werfen. Der Schmerz pochte in meinem Fleisch, als die Streifwunde zu bluten begann. Genau dieser Schmerz war es, den ich gebraucht hatte. Ich wollte hier nicht untergehen, ich wollte mich endgültig als Kunoichi beweisen, als Mitglied dieser Welt. Das Chakra pulsierte schmerzhaft in meinen Adern, als ich auf das Narbengesicht zustürzte. Seine sackartige Kleidung schleifte weit bis auf den Boden und musste seine Bewegungsfreiheit erheblich einschränken, das brachte mich auf eine Idee. Mit einer Handvoll Wurfsterne – ich warf sie so präzise, dass meine Augen schmerzten – nagelte ich den opulenten Saum seines Gewandes am Boden fest. Unter normalen Umständen wäre ich ihm haushoch unterlegen gewesen, doch dieses Ablenkungsmanöver brachte ihn für einen Moment aus dem Gleichgewicht, als ich ihn mit meinem Kunai attackierte. Es gelang mir, ihm die Waffen aus der Hand zu schlagen und eine zufrieden stellende Wunde an seinem Unterarm zu hinterlassen. Er zuckte nicht einmal, und das ließ mich schlucken. Dieser Mann kannte keinen Schmerz, er würde seine Opfer bis ans Ende der Welt verfolgen. „Ihr sollt sie schützen, verdammt noch mal!“ Gaaras barsche Stimme klang fern und sonderbar angestrengt. Dass er diese Aufgabe nicht selbst übernahm, war beunruhigend. Ich sah mich um, konnte jedoch wegen des aufgewirbelten Wüstensandes kaum etwas erkennen. Und eigentlich sollte es mir auch egal sein. Dies war mein Kampf. Mit einem mächtigen – dank meines Chakras übermenschlichen – Satz zog ich mich auf die höher gelegene Düne zurück, unter der sich die Höhle befand. Ich beherrschte nur eine Technik, die mir Chancen gegen diesen Gegner einräumen konnte. Also sammelte ich unter Aufbietung all meiner Kräfte mein Chakra und sprang dann wieder hinunter. Sand brannte mir in den Augen, doch ich fokussierte mich voll und ganz auf das Narbengesicht, das mich mit grimmiger Entschlossenheit erwartete. Ich legte mein Herzblut in jedes Fingerzeichen, das ich im freien Flug formte. „Hino Rei: Jutsu des Flammeninfernos!“ Die Stimme war nicht meine, sie gehörte der Kunoichi, die ich sein wollte. Eine gewaltige Feuerwelle fegte über die Wüste unter mir. Ich landete nur wenige Meter neben der Naturgewalt und versengte mir sogar einige Haarsträhnen. Das Flammenmeer wütete mit barbarischer Gewalt, doch ich spürte, dass es seine Kraft direkt aus mir bezog. Keuchend zwang ich meine Hände, in dem Fingerzeichen zu verharren, bis meine Knöchel weiß hervortraten. Auch das war etwas völlig anderes als im Training. Ich löste das Jutsu und spürte augenblicklich, wie mir schwarz vor Augen wurde. Mühevoll hielt ich mich aufrecht und blinzelte zu der Stelle, an der mein Gegner gestanden hatte. Die wenigen Kreosotbüsche waren nur noch als verkohlte Überreste erkennbar. Ich wollte gerade aufatmen, als eine laute Stimme die erhitzte Luft durchschnitt. „Yuka! Vorsicht!“ Kankuros Schrei kam von rechts; ich wandte den Kopf und verstand zunächst nicht. Dort, außerhalb der Reichweite meiner Attacke, gab Temari ihrem minderjährigen Gegner gerade den Gnadenstoß. Auch Kankuros Gegner lag besiegt am Boden, während er selbst auf mich zugerannt kam. Einige Kratzer zierten sein bemaltes Gesicht, doch das konnte nicht der Grund seiner Panik sein. Es war Narbengesicht. Mit gezückten Wurfmessern, keine fünf Meter von mir entfernt. Kankuro konnte nicht rechtzeitig bei mir sein und meine erschlafften Glieder machten ein Ausweichmanöver unmöglich. Mit erschreckender Klarheit stellte ich fest, dass ich nun sterben würde. Ich wollte zurückweichen, doch noch bevor ich mich aus eigener Kraft bewegen konnte, wurde mein Körper grob weggestoßen, sodass ich Mühe hatte, mich auf den Beinen zu halten. Ein Schatten, nicht viel größer als ich selbst, tauchte vor mir auf. „Wasserversteck: Jutsu der Wasserklingen.“ Die Wurfmesser durchschnitten die stickige Luft, umgeben von einer Hülle aus Wasser. Ich hörte ein dumpfes Stöhnen, als sie ihr Ziel trafen. Der Schatten brach in sich zusammen und als sein Kopf sich hintenüber neigte, nahm der Anblick des verzerrten Gesichts sämtliches Adrenalin aus meinen Adern. Das war etwas, das niemals passieren dürfte. Diese Züge mussten von unnahbarer Kälte sein, diese Beine unerschütterlich am Boden verankert, dieser Körper unverwundbar. Und vor allem durfte Gaara niemals irgendeine Anstrengung unternehmen, um mich zu schützen. Ich sah ihn fallen, dumpf auf dem Wüstenboden aufschlagen, und schlagartig war ich wieder das hilflose Mädchen, das ich immer war, wenn es darauf ankäme. Während Temari und Kankuro sich schnellstmöglich auf Narbengesicht stürzten, verharrte ich an Ort und Stelle. Versagt – wie immer. Er hatte gesagt, ich solle mich nicht einmischen und nun büßte er für meine Dummheit. Wie Rachel, wie Kim, wie meine Eltern. Mein Kopf war leer, bis auf eine siedend heiße Frage: Wie rettet man ein Leben? Temaris Schmirgelpapierstimme stieß einen heiseren Schrei aus; dann prasselten erneut Wassermassen auf Gaaras Körper hinab. Panik war völlig untypisch für sie, doch mir war sofort klar, dass sie in diesem Fall begründet war. Wenn es eine Sache außer Atomsprengsätzen gab, die Gaara gefährlich werden konnten, war es Wasser. Natürlich – schließlich bestand er aus Sand. Warum war mir das nicht früher aufgefallen? Die Sandmassen, die ihn nun wieder umgeben hatten, brachen hinweg wie Kartenhäuser und Gaaras schmächtige Gestalt wand sich krampfartig unter dem brutalen Angriff. Wie rettet man ein Leben, wie rettet man ein Leben, wie rettet man ein Leben? Was konnte ich verdammt noch mal tun? Und dann kam ich zu einem absolut hirnrissigen Entschluss, der sicher auf die unzureichende Sauerstoffversorgung meines Gehirns oder akutes Absterben von Neuronen zurückzuführen ist. Anders ist eine solch maßlose Dummheit nicht zu erklären, die in Hollywoodfilmen schlicht als Dramatische Heldentat betitelt wird. Ich zwang meine gefühllosen Beine vorwärts, ehe ich mich neben Gaara auf den staubigen Boden fallen ließ. Noch immer hielt der Wasserstrahl an, doch nicht einmal die wohltuende Flüssigkeit auf meiner erhitzten Haut vermochte meinen Verstand einzuschalten. Ich spürte nicht einmal den harten Duck mit dem sie mich massakrierte. Jede meiner Zellen konzentrierte sich auf das Eine, zu dem ich fähig war. Ich formte ein Fingerzeichen, hielt die Luft an und öffnete das Tor in meinem Innern. Das so leicht zerbrechende Tor zu meinem minderwertigen, unkontrollierbaren und doch glühenden Chakra. Das, was anzurühren mir streng verboten war, da es sich meiner Gewalt entzog. Und noch viel dümmer: Es formte sich zu einem Schild aus Feuer. Feuer gegen Wasser – ich hätte mich selbst verspottet, hätte diese Aktion mir nicht so viel Kraft abverlangt. Aber es funktionierte: Der Feuerschild hielt das Wasser ab. Sicher nur, da Temari und Kankuro Narbengesicht ablenkten, doch das war mir gleichgültig. Ich blickte auf Gaara hinab und schluckte beim Anblick seiner geschlossenen Augen. Ein widerlicher Geschmack von Blut, Sand und Durst verätzte mir die Kehle. Obwohl mir klar war, dass es nicht viel nützen würde, legte ich meine Hände auf seine Brust und begann ein drittklassiges Heil-Jutsu. Das warme Blut aus den zahlreichen Einstichen floss über meine zitternden Hände und stach mir in die Nase. Ich war kein Medic-Nin und hatte nichts weiter als die Grundlagen gelernt, doch in meinem Kopf herrschte eine unumgehbare Klarheit: Ich musste wenigstens versuchen, ihn zu bewahren. Wenn er jetzt ginge, würde ich es ihm niemals verzeihen! „Idiot“, spie ich die erste Beschimpfung aus. „Angeber. Überheblicher Möchtegern-Held.“ Und dann gab es kein Halten mehr: Ich schrie mit trockener Stimme auf den bewusstlosen Gaara ein, was immer mir einfiel. Abscheulichkeiten, an die ich mich nicht einmal mehr erinnern möchte. Ich schrie und kreischte und brüllte, bis mir ein weiterer Geschmack die Stimme nahm. Ich schmeckte Tränen, die mein Gesicht von einer Sekunde auf die andere – wie es mir schien – bedeckten und meine haltlosen Anschuldigungen in ersticktes Schluchzen verwandelten. Ich wollte ihm noch mehr vorwerfen, doch alles, das ich hervorbrachte, war ein heiseres Wimmern. Es musste daran liegen, dass das Chakra all meine Kraft verbrauchte, sonst hätte ich mich nicht derart blamiert. Langsam erlosch mein Heil-Jutsu, das die abertausend Wunden nicht einmal ansatzweise korrekt hatte schließen können. Da gab ich auf und ließ meine Stirn auf seinen misshandelten Oberkörper sinken. Mein gesamter Körper zitterte, ebenso krampfartig wie seiner nur kurze Zeit zuvor. „Warum hast du das nicht vorher gesagt?“ presste ich mühsam hervor. „Du hättest sagen müssen, dass du vorhast, ins offene Messer zu laufen. Dann hätte ich vorher den Mund aufgemacht! Heute, nach der bestandenen Prüfung! Oder in irgendeiner von unseren Übungsstunden! Oder gleich an diesem Valentinstag, als ich es kapiert habe! Aber jetzt muss ich einer Leiche erzählen, dass ich sie liebe! Du bist so ein Arschloch!“ Es war still und mir kam es vor, als hallten meine Worte noch meilenweit wider. Sämtliche Geräusche waren verstummt, bis auf das leise Schluchzen, das ich zu unterdrücken versuchte. Ich war allein mit meiner Niederlage, dem Untergang meines Herzens, das gerade erst zu schlagen begonnen hatte. „Yuka! Hey, Yuka!“ Temari klang nun ruhig, beinahe zaghaft, falls das bei ihr möglich war. Das bedeutete, dass sie Narbengesicht – Gott im Himmel, diese abscheuliche Ausgeburt der Hölle! – zur Strecke gebracht hatten. Die Geschwister waren erfahrener in der Heilkunst als ich, doch ich konnte oder wollte sie nicht in meine Nähe lassen. „Bleibt weg!“ Wer schon einmal eine Raubkatze gesehen hat, die sich kurz vor ihrem Tod mit hoffnungsloser Gewalt gegen einen Angreifer aufbäumt, weiß haargenau, wie ich in jenem Moment ausgesehen habe. Das Feuerschild flammte noch einmal mit neuer Intensität auf, ehe es in sich zusammenfiel. Meine letzten Muskeln erschlafften und ließen mich völlig ausgebrannt auf Gaaras Körper zum Liegen kommen. Ich besaß nichts mehr, keinen Funken Chakra, keinen Funken Hoffnung, keinen Funken Liebe. Und zugleich hasste ich mich dafür, dass ein einziger Mensch – noch dazu ein Junge, der fein säuberlich mein Leben zerstört hatte – dieses Gefühl auszulösen vermochte. „Yuka…“ Nun sprach Kankuro; wahrscheinlich besaß er eher die erforderliche Sensibilität. Ich hörte ihn direkt hinter mir. „Steh auf. Wir bringen ihn zu den Heilern in Suna. Vielleicht…“ Ein sarkastisches Lachen, das eher zu einer Hyäne gepasst hätte, brach aus mir heraus. „Heiler! Das Wasser hat ihn aufgespießt, falls dir das entgangen sein sollte! Genauso gut hätte man ihn in Salpetersäure baden können!“ „Geh … da … runter…“ Die Parodie eines Lachens verklang augenblicklich, denn der Klang dieser Stimme entzündete sich wie Dynamit unter mir. Von einer Sekunde auf die andere saß ich aufrecht und blickte auf Gaaras angestrengt blinzelnden Jadeaugen hinab. Er sah schrecklich aus: Massakriert von zahlreichen schlecht geheilten Einstichen und zerbrechlich. Und doch bemühte er sich verbissen, seinen geschundenen Körper zu bewegen, um sich aufzusetzen. Ich wollte ihn schlagen und küssen – beides gleichzeitig. Doch als sein Blick den meinen streifte, erstarrte ich. Ich wusste, dass mein Gesicht von Tränen verquollen war, doch mir war ebenso klar, dass dies nicht die Tatsache war, die ihn dazu verleitete, seinen Blick mit einem abwertenden Schnauben von mir abzuwenden. Und das kam mir fast schlimmer vor als der Gedanke, ihn tot zu sehen. Temari und Kankuro waren sofort am Boden und griffen beherzt zu, um ihrem Bruder zu helfen, der trotz zusammengebissener Zähne krampfhaft einen unnahbaren Eindruck zu hinterlassen versuchte. „Wie fühlst du dich?“, erkundigte sich Temari deutlich besorgter, als ich es von ihr vermutet hätte. Zischend entriss Gaara ihr seinen Arm. Es kostete ihn sichtlich Mühe, die Worte zu formen, doch das tat ihrer Schärfe kaum einen Abbruch. „Wäre alles okay, wenn … man mich … nicht so … stümperhaft … geheilt hätte…“ Schnulzenautoren hätten das als Stich ins Herz bezeichnet. Aber das ist eine unverschämte Verharmlosung. Es war ein Hieb mit dem Vorschlaghammer mitten in meine empfindlichste Stelle. Mein Mund öffnete sich fassungslos, während ich dem Jungen, um den ich eben noch geweint hatte, dabei zusah, wie er sich unter Hilfe seiner Geschwister aufrappelte. Halb getrocknetes Blut klebte an seiner Kleidung, seine Beine zitterten und die Augenringe wirkten schwärzer denn je. Er war ein Bild des Jammers und doch lehnte er es strikt ab, sich irgendwelche Blöße zu geben. „Also dann … zurück nach Suna…“, keuchte er und versuchte zu vertuschen, dass ihm ein schmales Blutrinnsal über die Lippen lief. „Sollten wir nicht lieber…“ „Keine Pause!“, fiel er seiner Schwester ins Wort und sofort hoben und senkten sich seine Schultern noch heftiger in abgehackten Atemzügen. „Ich rede von einer taktischen Verzögerung. Es war nicht zu erwarten, dass die Spione eine solche Kampfstärke aufweisen, von daher wäre es nicht verwunderlich, wenn sie noch weitere Überraschungen für uns bereithalten. Wir verbringen die Nacht in der nächsten Oase und warten ab, ob der Feind Verstärkung schickt.“ Temari wusste genau, wie sie mit Menschen umzugehen hatte. Gaara kam nicht umhin, sich ihrer geballten Logik zu ergeben. Erst als Kankuro mich aufforderte, mitzukommen, wurde mir bewusst, dass ich noch immer auf dem Boden saß und gegen den bitteren Schmerz in meinem Brustkorb ankämpfte. Eine klarere Abfuhr war kaum denkbar, ebenso wenig wie etwas noch Schmerzhafteres, das er je zu mir gesagt hatte. Und das machte mich wütend. Ein gefährlicher Cocktail aus verletztem Stolz, Zorn und Sehnsucht brodelte in meinem Innern. Ich biss mir auf die Zunge, bis ich Blut schmeckte, und mobilisierte meine Kräfte, um mit Temaris Hilfe – die sich meiner erbarmte – aufzustehen. Niemals hätte ich mir verziehen, jetzt zu weinen. Stattdessen verbarg ich mich während des anstrengenden Marsches zur Oase hinter einer Fassade aus Unnahbarkeit, im Prinzip kein bisschen anders als Gaara. Ich blickte stur zu Boden und gab mir alle Mühe, das stete Zittern meiner Finger zu unterbinden und dem Ziehen in meiner Brust Widerstand zu leisten. Beinahe wünschte ich mir, nie den Versuch unternommen zu haben, ihn zu retten. Denn zu einem Leben gehört mehr als nur ein intakter Körper. Ich ballte die Hände zu Fäusten bei dieser Erkenntnis, die mir viel früher hätte kommen müssen. Bevor ich mich in diese auswegslose Situation manövriert hatte. Sein Leben war nicht zu retten. Nicht von mir und von keinem anderen Mensch dieser oder irgendeiner anderen Welt. Kapitel 19: Ruiniertes Märchen ------------------------------ Sanft strich der Wüstenwind über meine gepeinigte Haut. Ich war noch immer so erhitzt, dass ich die nächtliche Kälte kaum wahrzunehmen vermochte, die mir in meinem Zustand sicher eine Erkältung einbringen würde. Ebenso wenig verschwendete ich einen Gedanken daran, was mit meinem Körper nach der Freisetzung allen Chakras geschehen würde. Als wir in der Oase angekommen waren, hatte sich Temari um meine Wunden gekümmert und es Kankuro überlassen, sich mit Gaara anzulegen, der sich weiterhin gegen Hilfe sträubte. Ich erinnerte mich genau an den wehmütigen Ausdruck in ihren sonst so starken Augen, als sie mich versorgt hatte. „Niemand kann sagen, was mit dir passiert“, hatte sie gesagt. „Vielleicht hast du all dein seltsames Chakra verbraucht und es kehrt nie wieder zurück. Vielleicht bleibst du für den Rest deines Lebens schwach und kränklich, weil dein Körper ohne diese zusätzliche Energiequelle nicht zurechtkommt.“ Ich hatte mich in Schweigen gehüllt und das in den darauf folgenden Stunden stur beibehalten. Ob mein Chakra sich erneuern würde oder nicht, lag nicht in meiner Macht, und ich konnte ohnehin nichts weiter tun, als abzuwarten. Ich brauchte den Kopf nicht anzuheben, um zu wissen, dass Temari mich seit den drei Stunden, die wir nebeneinander saßen, nicht aus den Augen gelassen hatte. Sie war nicht der Typ, lange mit sich zu hadern, bevor sie etwas aussprach, doch ich war mir sicher, dass sie genau das tat. Mir war nicht nach Mitleid – egal in welcher Beziehung – und ich beschloss, es schnell hinter mich zu bringen. Ich hob den Kopf und blickte ihr unverwandt ins Gesicht. „Jetzt komm schon: Sag es einfach.“ Sie versuchte ihre übliche harte Maske aufzusetzen, indem sie ihre Stimme besonders barsch klingen ließ. „Du weißt selbst, dass du heute mehr als eine Dummheit begangen hast. Widersetzung gegen den Teamführer, Verwendung unerlaubter Technik – in der Tat kein guter Anfang für deine Karriere, aber…“ „Du weißt genau, wovon ich rede“, fiel ich ihr ungeduldig ins Wort. Sie hob ihr scharf geschnittenes Kinn und sah aus scheinbar irritiert zusammengekniffenen Augen auf mich hinab. Ich stieß genervt die Luft aus. „Halt einfach deine Moralpredigt über die Hirnrissigkeit meiner Gefühle für deinen kleinen Bruder.“ Bis zu jenem Augenblick wäre ich jede Wette eingegangen, dass Temari zu keiner nur ansatzweise betroffenen Haltung fähig war. Doch als sie nun in den Schultern einsackte und die Augen niederschlug, saß sie wie jedes andere trauernde fünfzehnjährige Mädchen vor mir. Aus einem unerfindlichen Grund musste ich plötzlich an meinen Bruder und seine so unauthentisch gefasste Haltung denken, die er erst seit seinem Beitritt zur Armee zeigte. Ich denke, dass es keinen Sinn hat, Heranwachsende mit Gewalt zu Erwachsenen erziehen zu wollen, oder gar zu Kampfmaschinen. Und jeder würde mir zustimmen, hätte er den verzweifelten, gebrochenen Glanz in Temaris moosgrünen Augen gesehen, mit dem sie mich nach einigen langen Sekunden des Schweigens bedachte. „Es tut mir leid“, hörte ich ihre kehlige Stimme sagen. Sie schlang beide Arme um ihren Oberkörper und atmete lange aus, um Zeit zu gewinnen. Die richtigen Worte zu finden, bereitete ihr sichtlich Mühe. „Ich sage so etwas nicht oft, also hör genau zu“, begann sie schließlich. „Gaara ist mein jüngerer Bruder und doch hatte ich seit ich denken kann, Angst vor ihm. Aber er ist und bleibt mein Bruder, darum wollten sowohl ich als auch Kankuro nur das Beste für ihn. Wir waren schon froh, als er trotz Vaters Verbannung zurückkehrte, doch dass er dich mitbrachte, war mehr, als wir je zu hoffen gewagt hätten.“ „Und weil du so glücklich über meine Anwesenheit warst, hast du mich wie ein Stück Dreck behandelt“, funkte ich sarkastisch dazwischen. Ihre Lautstärke schoss augenblicklich in die Höhe. „Ich hab gesagt, du sollst die Klappe halten, wenn ich mit dir rede!“, fauchte sie, für kurze Zeit ganz die Kunoichi. „Du hast dich schlimmer als der schwächlichste Zivilist aufgeführt, was sollte ich da bitte denken? Kankuro hat die Initiative ergriffen, aber ich hätte nichts anderes getan, wenn ich früher geahnt hätte, wozu du fähig bist.“ „Was gibt es daran zu entschuldigen?“ Ich verstand noch immer nicht, worauf sie hinauswollte. „Dass Kankuro alles in seiner Macht stehende getan hat, um euch einander näher zu bringen. Und ich entschuldige mich, weil ich dasselbe getan hätte.“ Ich schluckte beim Gedanken an Kankuros ständige Anspielungen und Neckereien. An den vergangenen Valentinstag, an dem die ganze Katastrophe Formen angenommen hatte – es war alles von ihm geplant gewesen. Er hatte mich nicht demütigen wollen, es war ihm um etwas gänzlich Anderes gegangen. „Wir wollten nicht, dass es so endet. Wir hatten gehofft, es könnte für euch beide gut ausgehen. Aber dich als Werkzeug zu benutzen, war nicht richtig.“ „Eine Kunoichi ist ein Werkzeug, damit muss ich leben“, sagte ich, um von ihrer eigentlichen Aussage abzulenken. „Auch dafür muss ich mich entschuldigen, denn auch das hat Kankuro eingefädelt. Er hat Vater auf alle erdenklichen Weisen angefleht, dass er dich die Ausbildung machen lässt. Ansonsten hätte es dir freigestanden, als Zivilist zu leben, oder sogar das Land zu verlassen.“ Das traf mich in der Tat unvorbereitet. Ich starrte sie ungläubig an und rang nach Worten. „Gibt es irgendetwas, das ich seit meiner Ankunft getan habe, ohne dass es einer von euch beiden geplant hat?“ „Nichts Grundlegendes. Alles war darauf abgestimmt, dich Gaara näher zu bringen.“ Ich schluckte schwer und ging die vergangenen Monate – zumindest die, die ich in geistiger Anwesenheit verbracht hatte – noch einmal durch. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass all dies für mich zurechtgelegt worden war. Sie räusperte sich. „Es ist das Mindeste, dass wir dir freistellen, jetzt zu gehen, wo immer du hin möchtest. Vater stellt sich bestimmt nicht quer.“ Mein Verstand hatte dieses Angebot kaum durchdacht, da lag mir die Antwort bereits auf der Zunge. „Nein.“ Es war ihr anzusehen, dass sie das nicht erwartet hatte; Temari zog beide Augenrauen hoch und setzte zum Sprechen an, doch ich kam ihr zuvor. „Mag sein, dass Kankuro deinen Vater überredet hat, mich als Kunoichi anzunehmen. Doch auch von mir aus hätte ich alles Menschenmögliche versucht, dies aus eigener Kraft zu erreichen. Es war mein einziger Wunsch, als ich mich damit abgefunden hatte, hier leben zu müssen. Ich wollte es und zwar … um bei Gaara sein zu können.“ Ich sprach langsam und durchdacht, erst bei den letzten Worten schwankte meine Stimme ein wenig. Geständnisse waren nie meine Stärke gewesen. Ein Lächeln voll Mitleid mit meiner eigenen Dummheit erschien auf meinen Lippen. „Daher … danke ich dir für das Angebot. Aber du kannst dir sicher sein, dass ich euch eher dankbar bin, als wütend.“ Das Knicken einiger Zweige eines Gebüsches lenkte meine Aufmerksamkeit von Temari ab. Es war dunkel und ich konnte nicht viel erkennen, was im Unterholz vor sich ging, doch für den Bruchteil einiger Sekunden leuchtete ein flammend roter Haarschopf zwischen den Ästen auf. Dann knackte es erneut und die Schritte entfernten sich Richtung Süden, wo sich die Wasserquelle der Oase befand. Ich war so hastig auf den Beinen, dass meine Knie beinahe nachgaben. „Entschuldigung, ich muss mal schnell…“, setzte ich an, verstummte bei einem flüchtigen Blick auf Temari allerdings. Sie lächelte mich offen an und zum ersten Mal schien selbst der letzte Rest an Reserviertheit aus ihr gewichen zu sein. Ihre Augen funkelten amüsiert und ich glaube, das war der Augenblick, ab dem sie mich als Freundin zu betrachten begann. „Na geh schon. Und wenn er wieder einen auf unerträglich macht, ließ ihm ruhig die Leviten“, sagte sie munter. Ich erwiderte ihr Lächeln, dann drehte ich mich um und folgte den Schritten, wie ich es einfach tun musste. Ninjas braucht man so etwas nicht zu erklären, sie verstehen auf Anhieb. Trotz der Tatsache, dass er mich als geprügelten Hund zurückgelassen hatte, würde ich nicht zulassen, dass Gaara in seinem Zustand durch die Gegend lief und sich durch seine Sturheit in Gefahr brachte. Der See lag in einer kleinen Senke, direkt unterhalb des schmalen Sichelmondes, der ihn in silbrigem Glanz erstrahlen ließ. Palmen umringten das Ufer, an deren Stämmen ich sogar einige Wüstenblumen erkennen konnte. Derart viel Leben in der kargen Wüste ist für jeden Menschen aus einer anderen Klimazone eine Augenweide, doch als ich Gaara an ebendiesem Ufer sitzen sah, durchfuhr mich ein bitterer Schmerz, der alles andere verblassen ließ. Am liebsten hätte ich mein Herz verschlossen und mit einem Dutzend Holzbretter vernagelt, doch ich wusste nicht mehr, wie das ging. Gegen meinen Willen musste ich ihn anstarren, während ich dort stand wie der letzte Idiot. Ich konnte den leisen Windhauch durch sein feuerrotes Haar streichen sehen, erkannte den kalten Glanz seiner Augen und betrachtete den bleichen Kontrast seiner Haut zum blauschwarzen Horizont. Zweifellos hatte er mich bemerkt, doch sein Gesicht gab keine Regung preis. Endlich – nach einer gefühlten Ewigkeit – trat ich auf ihn zu und lediglich meine zitternden Knie verrieten meine Aufregung. „Du sollst nicht herumlaufen“, sagte ich weniger tadelnd als beabsichtigt. Der Blick aus seinen funkelnden Augen war nüchtern. Er hielt es nicht für nötig, sich zu bewegen, als ich zaghaft neben ihm Platz nahm und meine Beine mit den Armen umfasste. „Ich wüsste mehr als genug Menschen, die erfreut wären, wenn ich noch heute Nacht den Tod fände“, sagte er schroff. Ein Ruck ging ohne mein Einverständnis durch meine Muskeln. „Nein!“ Er hob den Kopf und musterte mich unbeeindruckt über meinen Enthusiasmus. Dass ich keine Kontrolle über mein Mundwerk hatte, war er gewohnt, doch nicht, dass ich ihn verteidigte. Sofort senkte ich den Kopf und suchte nach Worten. „Ich meine ja nur … also … weil…“ „Weil du mich liebst.“ Das war ein Schock für mich; ich hätte nicht erwartet, dass er es so einfach aussprechen würde. Mir wurde übel und ich presste meine Beine fester an meinen Körper. Irgendetwas musste ich jetzt sagen, doch ich wusste nicht, was. Ich spürte Panik in mir aufkommen und griff nach der einzigen mir bekannten Alternative: Angriff. „Wehe, du fragst mich jetzt nach dem Grund“, knurrte ich. „Denn das müsstest du eigentlich wissen. Herzlichen Glückwunsch kann ich da nur sagen: Du hast es geschafft, jemanden unwiderruflich an dich zu binden.“ Diese mir gut bekannte Mischung aus Ablehnung und Unverständnis trat in seine Züge, und ich konnte das Seufzen nicht unterdrücken. Derart hirnrissige Dinge kamen eben nur dabei heraus, wenn man sich Sentimentalitäten hingab. „Für dich ändert sich nichts. Slave bleibt brav dein Untergebener und verfolgt sein Lebensziel: Deinen Ansprüchen gerecht zu werden. Ansonsten werde ich ohnehin von irgendjemandem umgebracht, sei es dein Vater, der mich bestrafen will, oder du selbst, einfach aus einer Laune heraus.“ Meine gefasste, klare Stimme stimmte mich stolz und eigentlich wollte ich das leidige Thema damit beenden. Ich war bereits am Aufstehen, um mich davon abzuhalten, doch noch eine Dummheit zu begehen, aber nicht einmal das wollte Gaara mir gönnen. „Stopp“, befahl er und als ich nicht gehorchte, griff er schamlos zu seiner Trumpfkarte. „Yuka, bleib stehen!“ Ich hatte mitgezählt: Seit wir uns kannten, hatte er mich genau zweimal beim Namen genannt. Und natürlich verharrte mein hormongesteuerter Körper sofort an Ort und Stelle. „Sag mir, was Liebe bedeutet.“ Für einen Befehl sprach er ausgesprochen leise und beinahe schon weich, was ich auf simple Verwirrung zurückführte. Langsam und bedächtig wandte ich ihm den Kopf zu. Ich hatte nicht vorgehabt, ihm eine Antwort zu geben – ich wusste nicht mal eine vernünftige – doch als ich wieder dieses kindliche Unverständnis aus seinen Augen herauslas, wusste ich, dass ich ihn so nicht zurücklassen konnte. Er hatte es verdient, dass ich zumindest den Versuch unternahm, ihm das eine Gefühl nahe zu bringen, das er nie empfinden würde. „Nun…“, murmelte ich. „Das ist … so wie …“ Ich holte tief Luft und gab einer klassischen Kurzschlussreaktion nach, indem ich mich nach vorn beugte und meine Arme um seinen Hals schlang. Meine Wange passte perfekt in die kleine Kuhle oberhalb seines Schlüsselbeins, meine mit Gänsehaut überzogene Haut auf seine leichenblasse. Die kühle Wüstenluft schien zu wenig zu werden, um meine weit geöffneten Lungen zu fühlen, denn ich öffnete mich mit jeder Faser, um all dies in mich aufzunehmen und für immer zu speichern. Für den Bruchteil eines Augenblicks war es perfekt – ich nahm seinen Geruch nach Sand in mich auf und verbarg mein Gesicht an seiner Schulter – bis sich die Muskeln unter der schneeartigen Haut mit einem Mal anspannten und sich in einer nicht zu erwartenden Gewalt entluden. Etwas traf mich knapp unterhalb der Brust und schleuderte mich mehrere Meter weit zurück. Krachend stieß mein Rücken schließlich gegen den Stamm einer Palme und ich sank zu Boden. „Fass! Mich! Nicht! An!“ Gaaras verbale Ohrfeige hallte schmerzhaft in meinem Trommelfell wider. Ich rang keuchend nach Atem, der mir in den Lungen brannte. Es kostete mich einige Mühe, den Kopf zu heben, obgleich es besser für mich gewesen wäre, ihm erst gar nicht ins Gesicht zu sehen. Gaara lag irgendwo zwischen rasendem Zorn und schlichten Wahnsinn. Schüttelkrämpfe erschütterten seinen schmächtigen Körper und ließen ihn wie einen Drogenabhängigen auf kaltem Entzug erscheinen. An seinen nackten Armen standen die feinen Härchen zu Berge, als wollten sie sich gegen jeden Kontakt zu einem anderen Körper wehren. Die jadegrünen Augen waren aufgerissen und wirkten viel zu groß für das schmale Gesicht – genau diese Augen waren es, aus denen er mich anstarrte, völlig außer sich und ganz offensichtlich nicht weit davon entfernt, seinem Dämon zu erliegen. Ich erkannte es an der verkrampften Haltung, mit der er eine Hand auf seine linke Gesichtshälfte presste, als könne er Shukaku dadurch tiefer in sein Inneres zurückzudrücken. Ich kam so hastig auf die Beine, dass ich beinahe erneut hingefallen wäre und hob beschwichtigend beide Hände, während ich einen Schritt zurücktrat. Die Palme traf schmerzhaft auf meinen Rücken. „Ist ja gut, alles okay! Ich bin außer Reichweite, ich hab dir nichts getan und daran ändert sich auch nichts! Wenn du willst, bleib’ ich einfach hier stehen und…“ Er gab mir nicht die Gelegenheit, weiter auf ihn einzureden. In grimmiger Selbstbeherrschung kniff er die Augen zu und – was auch immer er tat – es gelang ihm, das krampfartige Zittern Stück für Stück zurückzudrängen. Viel zu früh stand er wieder als derselbe überlegene Ninja vor mir, der er sein sollte. Ich hatte Angst vor dem, was nun folgen würde. Schreckliche Angst, so unerklärlich es einem auch scheinen mag in Anbetracht all dessen, das ich zu diesem Zeitpunkt bereits ausgestanden hatte. Rasender Wahnsinn wäre mir immer noch lieber als kühl überlegte Ablehnung. Doch zu meiner grenzenlosen Überraschung sagte Gaara nichts. Er musterte mich lediglich für einige lange Sekunden, in denen ich jeden Herzschlag bis in meine Fingerspitzen fühlte. Ich stellte fest, dass es wieder einer dieser seltenen Momente war, in denen die eisige Oberfläche seiner Jadeaugen aufbrach und mich in sein Innerstes blicken ließ, doch das kann man beim besten Willen nicht positiv nennen. Eine Emotion, ein Gedanke, ein Entschluss schien den nächsten zu jagen. Es flackerte unverkennbar in seinen Augen und aus dem heillosen Chaos war nichts Beständiges herauszulesen. Ich dumme, naive Göre hatte ihn in seine wohl größte Seinskrise seit sechs Jahren gestürzt. Gerade wollte ich meinen dürftigen Beschwichtigungsversuch wieder aufnehmen, da beendete er stillschweigend das heftige Auf und Ab in seinem Innern auf die einzige ihm bekannte Art: Er verschwand in einer Wolke aus Sand. Ich bleib allein zurück, genau wie immer. Leer brannte meine Wange, die eben noch so perfekt an seine Schulter gepasst hatte. Für mich, korrigierte ich meine Gedanken und sank mit einem tiefen Seufzen zu Boden. Mittlerweile befand ich mich so dicht an dem See, dass ich mit monotonem Gleichmut feststellen musste, dass der glitschige Boden meine hellen Shorts ruinierte. Ein zynisches Schnauben entwich meinen Lippen bei dem Gedanken daran, wie sorgfältig ich diese Shorts ausgesucht hatte, um Gaara zu gefallen. Ich war unglaublich dumm, genauso jämmerlich wie all die Mädchen, denen ich nie hatte ähneln wollen. Hänge dein Herz an jemanden und du bekommst es niemals zurück. Trotz schwoll in meiner Brust an und ich beschloss, jetzt sofort ein Zeichen dafür zu setzen, dass ich mich nie mehr derart für ihn verbiegen würde. Ich legte die letzten paar Schritte zum Ufer des Sees zurück und ließ mich ins Wasser gleiten. Es war kühl, jedoch nicht eisig, und tat meinen Verletzungen ebenso gut wie meinem Ego. Die verdammten Shorts waren nun definitiv ein Fall für die Mülltonne. Gemächlich ließ ich mich auf dem Rücken treiben und blickte in den makellosen Sternenhimmel hinauf. Eines musste man dieser verdammten Welt lassen: Einen solch atemberaubenden Himmel könnte man in Kentucky nicht zu sehen bekommen. Zu Hause, dachte ich automatisch und erstarrte im selben Augenblick. Das stimmte nicht. Es war absolut lächerlich, mich in mein altes Dasein zurückzuwünschen. Denn als die, die ich nun war, gab es dort keinen Platz mehr für mich. Langsam und bedächtig sog ich die Wüstenluft in meine Lungen und fühlte mich vollkommen klar. Alles, das ich gesehen oder getan hatte, all die Dinge, die mir widerfahren waren – ich sah sie als Teil eines Ganzen, als Bausteine einer neu zusammengesetzten Existenz, die fest und unwiderruflich auf dieser Erde existierte. Meiner selbst. Yuka Ashihira, die furchtbar schlechte Kunoichi mit dem überschäumenden Temperament und der rätselhaften Vergangenheit, war jemand anderes als die streitsüchtige Lacrossespielerin von einst. Und ich gehörte hierhin, egal ob mit oder ohne Gaara. Diese Erkenntnis erleichterte mir den drauffolgenden Tag allerdings nur bedingt. Nicht nur, dass die Sonne mit üblicher Intensität vom Himmel brannte und der mehrere Stunden lange Marsch nach Suna in meinem Zustand eine fürchterliche Anstrengung darstellte – das alles hätte ich mit Freuden ertragen, wäre ich nicht die ganze Zeit in Gaaras unmittelbarer Nähe gewesen, mit der Gewissheit, ihm ferner nicht sein zu können. Er zeigte nicht einmal mehr seine typische Abneigung gegen mich. Er strafte mich schlichtweg mit Nichtbeachtung. Ich hatte mich wahrscheinlich nie kleiner und unbedeutender gefühlt als in dem Moment, als ich hinter ihm durch die hohen Stadtmauern schlurfte. „Ich werde Vater Bericht erstatten; es sollte reichen, wenn ich allein gehe“, sagte Kankuro mit einem nicht zu übersehbaren Seitenblick auf Temari, die mit einem Nicken antwortete. Die beiden verstanden sich ohne Worte: Sie wollten sowohl Gaara als auch mich vor dem Kazekage schützen. Ohne auf das unwillige Knurren Gaaras zu achten, entfernte er sich mit schnellen Sprüngen. Ich zwang mich dazu, nicht über Gaara nachzudenken, der von dieser Bevormundung alles andere als angetan sein konnte. Rasch wandte ich mich an Temari und setzte ein Lächeln auf, das sich nur halb so falsch anfühlte, wie es eigentlich war. „Ich mach’ mich dann auch mal aus dem Staub. Der Lebensmittelhändler meines Vertrauens hat bestimmt schon ein halbes Dutzend Sutras aufgehängt, um für meine Sicherheit zu beten.“ Meine Stimme klang heiter, genau wie es sein sollte, und doch entging mir der mitleidige Zug in Temaris Gesicht nicht, als sie mich mit einem Nicken flüchten ließ. Ohne einen letzten Blick auf Gaara hastete ich um die nächste Häuserecke und erst dort gönnte ich mir einen tiefen Atemzug. Die Stimme der irrationalen Gefühlsdusseligkeit hämmerte mir hartnäckig ins Hirn, auf der Stelle umzudrehen und mich um Gaara zu kümmern, der sicher noch immer geschwächt war. Doch ich drängte sie mit roher Gewalt in die hinterste Ecke meines Bewusstseins und bewegte mich in die entgegengesetzte Richtung, die nicht einmal zu Kaitos Laden führte. Mir war alles recht, solange ich Gaara fern blieb. Und tatsächlich – nach einigen Minuten strammen Marschierens und Wiederholen feministischer Parolen kam mir die Aussicht auf ein Dasein als einsame Jungfer nur noch halb so schlimm vor. Ich konnte meine Muskeln lockern, statt sie krampfhaft unter Kontrolle zu halten. Erst jetzt fiel mir auf, wie ausgelaugt ich war, und dass ich seit dem Frühstück am Vortag nichts mehr zu mir genommen hatte. Ein Stück die Straße entlang verströmte eine Bäckerei himmlischen Geruch, der mich förmlich an meinem Speichel ertrinken ließ. Übermütig lief ich zu dem Geschäft und brachte bei meinem schwungvollen Eintreten beinahe die Türglocke zu Bruch. „Ren! Da sind wieder die besoffenen Randalierer aus dem Wellenreich! Tritt ihnen in den Hintern, mach schon!“, trompete eine befehlsgewohnte Stimme durch den weitläufigen Laden, ehe die zugehörige Person sich hinter den schützenden Tresen warf. Gleichzeitig schoss eine schmächtige Gestalt aus dem Nebenzimmer und stürzte sich mit einem perfekt ausgeführten Roundhouse-Kick im freien Flug auf mich. Stahlgraue Augen suchten meine, doch als er mein Gesicht fand, verwandelte sich seine angestrengt grimmige Miene in pure Überraschung. Ich war nicht minder überrumpelt, doch wir reagierten, als hätten wir uns abgesprochen: Er spreizte die Beine, um den Kick abzufangen, während ich ihn mit beiden Händen an der Schulter zu Boden drückte. Seine Beine trafen mich an beiden Seiten und brachten mich aus dem Gleichgewicht, sodass wir in einem Wirrwarr aus verdrehten Gliedmaßen zu Boden stürzten. „Au“, war das Erste, das ich von Ren hörte. Sein Kopf musste irgendwo an meiner Taille liegen; ganz sicher war ich mir allerdings nicht, da mir Sternchen vor den Augen flimmerten. „Erzähl das meiner Kniekehle, die gerade von deinem Ellbogen aufgespießt wird“, brummte ich und versuchte meine Arme zu bewegen, die ebenfalls unter irgendwelchen Körperteilen eingeklemmt waren. Hastig versuchte Ren auf die Beine zu kommen und bohrte mir noch einmal sein spitzes Knie in den Solarplexus, ehe er sich endlich ausreichend koordiniert hatte. Stöhnend rollte ich mich zur Seite und sah zu ihm auf, wie er als das Schuldbewusstsein in Person neben mir hockte. „Himmel, Yuka, das tut mir so leid! Ich wusste nicht, dass du … also…“ Er stotterte vor sich hin und brachte keinen vollständigen Satz über die Lippen. „Wenn ihr alle eure Kunden so behandelt, braucht ihr euch nicht zu wundern, wenn bei euch auch eine Wirtschaftskrise ausbricht.“ Er lachte, wahrscheinlich sowohl über meinen beleidigten Tonfall als auch die ungeschickten Bewegungen, mit denen ich mich aufrappelte. Mein Körper war alles andere als in Bestform. Auch die Person hinter dem Tresen kam auf die Beine und blickte prüfend zu uns hinüber. Es war ein ebenso schmächtiger Mann wie Ren – sogar die kupferfarbenen Haare stimmten überein. Bei meinem Anblick verzog sich sein fein geschnittenes Gesicht in grenzenloser Überraschung. „D-Du … D-Du bist doch…“, setzte er stotternd an, doch ich ließ ihn nicht zu einer der weit verbreiteten Bezeichnungen für mich kommen. „Yuka Ashihira. Mitglied des Genin-Teams um die Geschwister Sabaku no.“ Ich erhob mich möglichst würdevoll und hielt seinem erschrockenen Blick stand. Eigentlich dachte ich, für jede Reaktion gewappnet zu sein, doch als der Bäckermeister nun ein strahlendes Lächeln zeigte und auf mich zusprang, um mir auf die Schulter zu klopfen, konnte ich nicht verhindern, dass mir die Gesichtszüge entgleisten. „Na, so was! Endlich kommst du mal vorbei! Ren hat so viel von dir erzählt!“ „So viel auch wieder nicht, Vater!“, grummelte Ren, der plötzlich reges Interesse am Fußboden zeigte. Der Bäcker lachte und machte einen Wink auf seine Auslagen. „Du bist natürlich ein gern gesehener Gast! Bedien dich ruhig auf meine Kosten!“ „Wirklich? Womit habe ich denn das verdient?“, hakte ich ungläubig nach. Er grinste viel sagend, wobei sich dieselben Grübchen bildeten, die mir auch bei Ren aufgefallen waren. „Nun, nachdem Ren erfahren hat, dass du auf dieser hochrangigen Mission bist, war er eigentlich der festen Überzeugung, dich nie wieder zu sehen“, flüsterte er mir zu. Das war Ren eindeutig zu viel, denn er drängte sich zwischen uns und schob mich Richtung Tresen. „Erzähl doch erst mal, wie die Mission war!“, sagte er energisch und ließ durchblicken, dass diese Konversation ausschließlich zwischen uns beiden stattzufinden hatte. Das Grinsen seines Vaters war unverkennbar, als dieser sich gehorsam entfernte. Ich stürzte mich beretwillig auf ein Brötchen, lehnte mich neben den Tresen und begann zu berichten. Natürlich ließ ich ein kleines Detail aus, doch Ren fand es auch so aufregend genug. Er saß neben mir auf der Theke, ließ die langen Beine baumeln und hörte andächtig zu. Ich hatte vergessen, wie unkompliziert es sein konnte, mit jemandem zu sprechen und sich schlichtweg zu amüsieren. Ren war eine angenehme Gesellschaft und in einem Moment, als er mich aus wehmütigen Augen betrachtete – ich schilderte gerade Gaaras Verletzungen und ließ dabei meine Sorge vielleicht stärker als beabsichtigt durchblicken – fragte ich mich, ob mir nicht eines Tages ein Leben an der Seite eines Jungen wie Ren vergönnt sein würde. Doch die Antwort eröffnete sich mir im selben Herzschlag. Ich war ebenso abnormal wie Gaara. Wie sollte ich da je zu einem Durchschnittstypen passen? Und da fühlte ich mich auf einmal ganz furchtbar schlecht, weil ich dennoch hier saß und Hoffnungen schürte. „Was war mit deinen Verletzungen?“, fragte Ren, da ich mitten in meinem Bericht gestockt hatte. Ich hob den Kopf und blickte in sein weiches Gesicht. „Ich liebe Sabaku no Gaara. Er weiß es und er wird mich weiterhin wie den letzten Dreck behandeln.“ Seine Antwort war ein schmales Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. „Glaubst du, das wüsste ich nicht, seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind?“ Das traf mich völlig unvorbereitet. Ich rang nach Atem und musste nach meiner Stimme suchen. „Du wusstest es schon so lange?“ „Genau genommen hatte ich schon viel früher den Verdacht. Darum wollte ich auch bei der Prüfung mit dir in einer Gruppe sein. Ich wollte wissen, wer so verrückt sein kann, sich auf das Monster einzulassen. Und was soll ich sagen – ich war noch viel verrückter. Ich habe mich in die Irre verliebt, die dem Monster gehört.“ „Entschuldige bitte“, flüsterte ich. Ich wusste, ich sollte jetzt gehen, doch Ren war schneller. „Wieso? Du bist in meiner Nähe und wir sind Freunde, also was sollte ich mir mehr wünschen? Ich könnte natürlich dem Sandjungen in den Hintern treten, das würde mir große Genugtuung bereiten, aber ich fürchte, da würde ich nicht mehr lebend rauskommen. Außerdem … wissen wir doch beide, dass Märchen nicht wahr werden.“ Er sprach munter und baumelte mit den Beinen und ich konnte ihn dafür nur bewundern. Langsam nickte ich. „Das geheimnisvolle Mädchen wird weder zur starken Kämpferin, noch kann sie das Monster besänftigen.“ „Und der strahlende Ritter kann die Prinzessin seiner Träume nicht für sich gewinnen.“ Wir sahen uns an und mussten über die Vertracktheit unserer Situation lachen. Eigentlich hätten wir unter Tränen Abschied voneinander nehmen müssen, doch keiner von uns wollte das. Wir waren weder erwachsen, noch vernünftig und ich war froh darüber. Manchmal ist es gar nicht so verkehrt, das Falsche zu tun, das früher oder später unweigerlich zur Katastrophe führt. Schließlich sprang Ren von der Theke und kam auf mich zu. „Lass mich nur eins kurz tun … einfach unter Freunden, die für einander da sind…“, sagte er; dann zog er mich an sich. Das Lachen blieb mir in der Kehle stecken, denn aus seinen Bewegungen sprach eine ungewohnte Intensität. Ich konnte seine Zuneigung bis in die Fingerspitzen fühlen, so offen und ehrlich hielt er mich in seinen Armen. „Liebe ist ein Schlachtfeld“, flüsterte er in mein Ohr. Mit seinen Armen, die locker um meine Schultern lagen, hielt er meinen Kopf an seine Brust gedrückt. Eigentlich hatte ich gerade überlegt, ob das nicht ein wenig zu weit ging, doch bei seinen Worten musste ich lächeln. „We are young … heardache to heardache, we stay”, sang ich das gleichnamige Lied. Natürlich konnte er diesen Song der 80er kaum gekannt haben, doch genau das mochte ich so an ihm: Er wusste instinktiv, was in mir vorging. Sanft strich seine Hand über meinen Scheitel. „Gute Einstellung“, sagte er und ich hörte das Lächeln in seiner Stimme mitschwingen. Ich schloss die Augen und hatte gerade angefangen, mich in das wohlige Gefühl, das er mir gab, sinken zu lassen, als mein Nacken zu prickeln begann. Ich wusste, ich befand mich hier im Zentrum der Stadt, wo mich niemand vermuten würde, und mir war ebenso klar, dass besagte Person mir in diesem Leben nie wieder näher kommen würde – und doch hätte ich schwören können, dass es diese eisigen Jadeaugen waren, die sich in diesem Augenblick in meinen Nacken bohrten. Kapitel 20: Das Ende, wie es nirgends geschrieben steht ------------------------------------------------------- „Dann wünsch’ ich dir mal viel Erfolg bei deinem nächsten Treffen mit dem Kazekage“, sagte Ren und klopfte mir auf die Schulter. „Eine Neunmillimeter, um ihm im Notfall das Hirn rauszupusten, wäre besser“, antwortete ich schief grinsend. „Wirst du mir jemals erzählen, woher du diese seltsamen Ausdrücke hast? Und wo du wirklich herkommst?“ „Dann hättest du doch keinen Grund mehr, mich zu treffen, oder?“ Ich zwinkerte ihm zu und brachte die niedlichen Grübchen zurück auf seine Wangen. „Niemals würde ich meine Zeit mit dir verplempern“, sagte er neckend. „Spinner!“ Ich boxte ihn in die Rippen und stieß mich von dem Türrahmen ab, an den ich mich gelehnt hatte. Die Abenddämmerung brach herein und es wurde Zeit, nach Hause zu gehen und mich beim Kazekage als lebend zu melden. „Kommst du morgen wieder vorbei?“ „Du würdest mich doch steinigen, wenn ich meine Frühstücksbrötchen irgendwo anders kaufen würde.“ „Allerdings.“ Er schenkte mir ein letztes Lächeln, dann trat er einen Schritt zurück. „Bis dann“, sagte ich. „Lass dich vom Kazekage nicht umbringen.“ „Das soll der alte Knacker nur mal versuchen!“, rief ich und hob die Hand, um ihm zuzuwinken. Ren blieb im Türrahmen stehen und sah mir nach, bis ich um die nächste Ecke verschwunden war. Ich spürte das Lächeln, das sich auf meinen Lippen förmlich eingebrannt zu haben schien und fragte mich, wann ich zum letzten Mal so viel sorglosen Übermut an den Tag gelegt hatte. Ich begann zu summen und dachte darüber nach, wie ich den Kazekage milde stimmen könnte, nachdem sein offenkundiger Mordversuch nicht geglückt war. Gerade hatte ich die Möglichkeit durchgespielt, mir eine eigene Wohnung zu suchen und ihm so zumindest halbwegs aus dem Weg zu gehen, als meine Beine an Ort und Stelle gefroren. „Mitkommen.“ Noch bevor er seine Stimme erhoben hatte, hatte ich zum zweiten Mal an diesem Tag seine eisigen Jadeaugen in meinem Nacken gespürt. Mein Kopf schoss in die Höhe und ich öffnete den Mund, ohne einen Ton hervorzubringen. Das Herz schlug mir bis zum Hals, ohne dass ich sagen könnte, ob es aufgrund natürlicher Angst oder meiner hirnrissigen Gefühle war. Der Sand knirschte unter seinen Füßen, als er an mir vorbei trat. Er würdigte mich nicht eines Blickes, sondern ging in stoischer Ruhe die zu diesem Zeitpunkt menschenleere Gasse entlang. Automatisch versuchte ich mich umzudrehen, um in die entgegengesetzte Richtung zu flüchten. „Jetzt mach schon!“, zischte er und ich spürte einen schmalen, aber spitzen Sandstrahl, der sich wie der Lauf einer Pistole in meinen Rücken bohrte. Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn, als ich gehorchte und ihm mit steifen Schritten folgte, den drohenden Sand noch immer am Rücken. Zum ersten Mal seit langer Zeit kam ich mir wieder wie das Opfer eines Kidnappers vor, allerdings hatte sich meine Situation nicht unerheblich verändert: Nun sprachen alle Gründe für mein sofortiges Ableben. Wollte er mich aus dem Weg räumen, um das Gefühlschaos zu beseitigen, in das ich ihn gestürzt hatte? Ich musste mir eingestehen, dass ihm dies durchaus zuzutrauen war – und dass ich im Zweifelsfall keine Chance gegen ihn hatte. „Gaara … Lass uns darüber reden…“, krächzte ich. „Ruhe.“ Sein gebieterischer Tonfall ließ mich verstehen, dass ich gegen eine Wand redete. Ich musste ihm folgen, wie ein Todgeweihter dem Vollstrecker. Zunächst führte er mich von der Einkaufsstraße in das nicht minder unbelebte Wohnviertel und von dort aus verstand ich, was sein Ziel war. Er brachte mich zum persönlichen Trainingsgelände des Kazekage. Offenbar seine Art, auf amüsante Weise mit einem unliebsamen Kapitel seines Lebens abzuschließen. Die Sonne senkte sich gen Horizont, als ich hinter ihm durch das massive Eisentor trat. Es waren die letzten wärmenden Strahlen, die den Himmel in orangerotes Licht tauchten, und eigentlich hätten sie für eine durchaus angenehme Atmosphäre sorgen können – an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, unter anderen Umständen. Gaara blieb in der Mitte des Platzes stehen und ich tat es ihm gleich, die Augen an seinen Rücken geheftet. Er verharrte schweigend und mit jeder verstreichenden Minute wurde mein Herzklopfen stärker. Längst waren meine Hände nass vor Schweiß und das Rauschen von Blut in meinen Ohren ließ alles andere zur Hintergrundmusik verklingen. Es kostete mich einigen Mut, erneut den Mund zu öffnen. „Du … du musst das nicht tun … Ich schwöre dir, ich tu’s nicht wieder…“ Sein Kopf schoss mit der Geschwindigkeit einer Gewehrsalve zu mir herum. „Das würde ich dir auch raten!“, polterte er. „Ich würde dich töten, auf der Stelle…“ „Lass Shukakus Fantasien aus dem Spiel und rede über das Hier und Jetzt“, rutschte es mir heraus. Im ersten Augenblick erschrak ich mich über mich selbst, doch Gaaras gefasster werdende Miene zeigte mir, dass ich genau das Richtige gesagt hatte. Missbilligend kräuselte er die Lippen. „Jeden Moment in deiner Nähe muss ich all meine Selbstbeherrschung aufwenden, um ihn nicht über dich herfallen zu lassen. Ich muss kämpfen und es wird nicht im Mindesten einfacher. Aber wie dankst du es mir? Sagst, ich sei deine andere Hälfte, und am nächsten Tag klebst du an einem Klappergestell von Bäckerjungen!“ Er hatte sich zu mir umgewandt und starrte mich erbost an, doch aus seiner Haltung sprach keinerlei Mordlust. Es war etwas viel Schlichteres – Habgier? Oder gar verletzte Eitelkeit? Ich starrte mit offenem Mund zurück und brauchte einige lange Sekunden, ehe ich verstand, worauf er anspielte. Er sprach von der metaphorischen Erklärung des Begriffs Liebe, die ich ihm einst gegeben hatte, und von… „Du meinst Ren?“, fragte ich, nun völlig aus der Bahn geworfen. Offenbar war mir der Zusammenhang zwischen meinen einseitigen Gefühlen, für die Gaara mich verabscheute, und dem Klappergestell von Bäckerjungen entgangen. Für Gaara schien dies sonnenklar zu sein, denn er schnaubte ungeduldig. „Du wirst niemals wieder tun, was heute in der Bäckerei vorgefallen ist! Ich verbiete es, wenn das mit uns funktionieren soll!“ „Was soll funktionieren?“ „Du hast gesagt, du liebst mich“, sagte er schlicht und durchtrennte damit den Rest meines Geduldsfadens. Ich hatte es satt, ihn andauernd auf meinen Gefühlen herumtrampeln zu lassen! „Wie oft willst du mir das verdammt noch mal noch unter die Nase halten, du Idiot?“, schrie ich ihn an. „Soll ich mir ein Schild um den Hals hängen: Ich bin verrückt nach dem dorfeigenen Monster und hole mir eine Abfuhr nach der anderen? Bist du dann endlich zufrieden?“ „Ich erlaube dir deine Gefühle.“ Mein Körper erstarrte, als hätte mein Gehirn ausgesetzt, was sicher für einige Augenblicke der Fall gewesen war. Ich spürte, dass mein Mund offen stand und eine heftige Gänsehaut von mir Besitz ergriffen hatte, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen könnte. Mir blieb nichts weiter übrig, als ihn begriffsstutzig wie der letzte Volltrottel anzustarren „Es ist dir gestattet“, wiederholte er langsam wie einen dürftig auswendig gelernten Text. „Allerdings wirst du keinem anderen Mann je wieder zu nah kommen, und ganz besonders nicht diesem Bäckerjungen.“ Ich hatte nicht bemerkt, wie mein Herzschlag allmählich an Intensität gewonnen hatte, doch nun pochte es mit spürbarer Gewalt gegen meine Rippen. „Du hast mir immer Auskunft zu geben, wo du bist und was du dort tust. Des Weiteren startest du nie wieder so eine selbstmörderische Aktion wie auf der Mission, sondern befolgst haargenau meine Anweisungen. Das betrifft vor allem unsere Koexistenz“ – bei diesem Wort stolperte mein Herz und ich sehnte mir eine Lexikondefinition von Koexistenz herbei – „Du weißt um Shukakus Vorliebe für dich und ich garantiere für nichts. Wenn du eine gewisse Grenze überschreitest, kann es sein, dass die Medic-Nin hinterher deine Wirbelsäule nicht mehr von den Beckenknochen unterscheiden können. Ich rate dir also, nichts zu tun, zu dem ich dir kein ausdrückliches Einverständnis geäußert habe.“ Die Gedanken jagten hektisch durch mein Hirn, drehten und wendeten jeden Punkt seiner steifen Liste. Mir war heiß und kalt zugleich, genauso wie ich allmählich zu verstehen begann und mich gleichzeitig gegen eben jene Erkenntnis sträubte. Gaara fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als müsse er nachdenken, wie sein Text weiterging. „Wenn du dich mit all dem abfindest…“ Er stockte und in meinen Gliedern breitete sich ein unerträgliches Kribbeln aus. Ich wollte zugleich wegrennen und ihn anschreien, endlich zum Punkt zu kommen. Seine Augen senkten sich kurz, nur um sich dann wieder messerscharf in meine zu bohren. „…dann ist es dir erlaubt, meine andere Hälfte zu sein.“ Die Erde schien aufhören, sich zu drehen, dafür war mir, als bebe der Boden unter meinen Füßen. Es dauerte eine Weile, ehe ich begriff, dass es meine eigenen Beine waren, die wie Espenlaub zitterten. Ein immenser Adrenalinstoß war durch meinen Körper gefahren und schüttelte mich mit einer unmenschlichen Ladung an Stresshormonen. Ich hatte die Augen weit aufgerissen und versuchte dieses eine, so unmögliche Bild förmlich zu inhalieren: Sabaku no Gaara, der mich auf seine typisch herrische und ungeschickte Art zu seiner Freundin machte – zumindest in der Hinsicht, wie ich es definierte. Er wandte den Blick von mir ab und versuchte den gewohnt abweisenden Klang in seine Stimme zurückzubringen. „Andernfalls…“, begann er. „…geh deiner Wege, komm mir nie wieder zu nahe und…“ Die letzten Worte wurden ihm vom Druck meiner Arme abgeschnitten, die sich fest um seinen Hals schlossen. Meine Wange fügte sich wieder in die Kuhle seines Schlüsselbeins. Hellbraune, erhitzte Haut lag an blasser, kühler und gehörte zum allerersten Mal tatsächlich dorthin. Reflexartig schossen seine Arme nach vorn, verharrten dann allerdings hilflos auf halber Höhe zu beiden Seiten meiner Hüfte. „Das zum Beispiel … müssen wir überdenken“, zischte er. Ich hörte das Dröhnen seiner Pulsschlagader und konnte ein Schmunzeln nicht zurückhalten. „Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber ich komme aus einem Land der Emanzipation.“ „Noch eine Regel: Keines solcher Fremdwörter.“ Er presste die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und versteifte jeden Muskel unter meiner Berührung. Doch als ich den Kopf hob und ihm direkt ins Gesicht blickte, war es unmöglich, die Veränderung nicht zu bemerken. Nicht nur, dass seine Augen nicht länger gefroren waren, sondern verwirrt umherzuckten – aus jedem seiner Züge sprang mich genau jene menschliche Facette an, die zu sehen mir erst wenige Male vergönnt gewesen war. Da sah ich gern darüber hinweg, dass sich sein Bestreben darauf zu fokussieren schien, wieder Herr der Lage zu werden. Er räusperte sich und brachte einen strengen Glanz in seine Augen. „Du – gehörst – mir“, sagte er nachdrücklich. „Wenn du jetzt zustimmst, wirst du bis zu deinem Tod Mein sein. Und ich behalte mir auch vor, derjenige zu sein, der dein Leben beendet.“ Am liebsten wäre ich in vergnügtes Gelächter ausgebrochen, doch ich zwang mich zu einer ernsten Miene, als ich nickte. „Ist es mir erlaubt, eine Bitte einreichen?“, flüsterte ich. Er hob zögernd eine Augenbraue. „Welche?“ Ich verfuhr nach dem Augen zu und durch Prinzip, denn jede Sekunde des Wartens hätte mich mein Vorhaben ändern lassen. Schnell und federleicht platzierte ich meine Lippen auf seinem Mund. Zu sagen, ich hätte ihn damit überrascht, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Sein Gesicht machte eine ganze Skala unterschiedlicher Emotionen durch, die ich gar nicht alle identifizieren konnte. Als würde sein vergangenes Leben vor seinem inneren Auge ablaufen, als versuchte sein Herz alles nachzuholen, das es ihm vorenthalten hatte. Oder besser gesagt, es musste ihm lediglich so vorkommen. Wie bei einem schneebedeckten Gletscher, der nach einer Ewigkeit seinen ersten Sonnenstrahl auffängt und diesen so unscheinbaren Hauch als Hochsommer interpretiert. Ich wusste, dass ich mich in Lebensgefahr befand. Gaaras so empfindliches Gleichgewicht könnte jede Sekunde kippen und sein Dämon würde sich mit Freuden der Zerkleinerung meiner Innereien widmen – Irgendwo weit hinten in meinem Verstand war mir dies bewusst. Und zugleich wollte ich es kein bisschen anders haben. Vorsichtig entließ ich seine Lippen und zog mich einige Zentimeter zurück, allerdings nur so weit, dass ich sein Gesicht in seiner Gesamtheit sehen konnte. So sorgfältig er diese Begegnung geplant hatte, so gründlich hatte ich seine Bemühungen zerstört und ihn in genau das gestürzt, was er am meisten verabscheute: Kontrollverlust über die Situation. „Mach die Augen zu“, flüsterte ich mit zittriger Stimme, als ich ihm wieder näher kam. Er gehorchte, wenn auch sehr langsam und misstrauisch. Dieser Kuss war langsamer, durchdachter, wenngleich ich selbst auch nicht viel davon verstand. Ich vermochte nur an Eines zu denken: Dass ich ihn berührte. Zwei-, dreimal musste ich meine Lippen an seine gedrückt haben, als seine Hände sich schließlich regten und zaghaft an meine Hüften fanden. Und das war der Augenblick, in dem ich der festen Überzeugung war, das Schicksal musste eine verdammt gelangweilte alte Frau sein, die dringend Gesprächsstoff für den nächsten Kaffeeklatsch brauchte, wenn sie eine solch unmögliche Wendung zuließ. In einem Ansturm von Übermut schlang ich meine Arme um seinen Nacken und drückte mich an ihn, so nah, wie ihm kein Mensch je kommen dürfte. Ihm entfuhr ein angestrengtes Keuchen und mit einer ruckartigen Bewegung trennte er mich von sich, wenn auch nur so weit, dass meine Stirn federleicht an seiner Schulter lag. Es war eine minimale Berührung, doch schon dies brachte ihn an die Grenzen seiner Belastbarkeit, was ich deutlich am Beben seiner Muskeln erkannte. Und doch, es war eine Nähe, die für uns beide vereinbar war, das Höchste, das zu fühlen er sich gestatten durfte. Die Sonne stand noch immer rotgolden am Horizont, ansonsten wäre ich der festen Überzeugung gewesen, mehrere Stunden so verbracht zu haben, als Gaara mich schließlich äußerst behutsam – wie ein Stück Porzellan – von sich schob. Seine Augen bohrten sich trotz des zaghaften Zugs um seine Lippen voller Intensität in meine und es war mir, als fange er mit diesem Blick meine gesamte Existenz ein, um sie mit unsichtbaren Ketten abzugrenzen. „Mein.“ Mir jagte meterhohe Gänsehaut über den Körper, denn ich wusste genau, dass dies das Meiste war, was je ein Mensch mit einem einzigen Wort ausgedrückt hatte. „Ja“, hauchte ich. In jeder anderen Geschichte wäre an dieser Stelle nun das ominöse Ich liebe dich gekommen. Ich – in meiner Eigenheit als leidenschaftliche Hollywoodkonsumentin – wusste das und doch vermisste ich es nicht. Denn dies ist nicht die Geschichte von einem Bauernmädchen und einem Ritter oder einer Heldin und dem attraktiven Gegenspieler. Unser nächster Weg führte uns nicht an irgendein lauschiges Plätzchen, um zum ersten Mal miteinander zu schlafen, sondern völlig unspektakulär zum Abendtraining, bei dem Baki mich nach allen Regeln der Kunst niedermachte, ohne dass Gaara sich daran gestört hätte. Es gehörte ausgesprochen viel Feingefühl dazu, die feinen Veränderungen wahrzunehmen. Selbst Temari und Kankuro benötigten mehrere Tage, ehe sie Verdacht schöpften. Schneller war dagegen die dorfeigene Gerüchteküche, wie mir Kaito erzählte. Irgendjemand musste uns auf dem Trainingsplatz gesehen haben und die Meldung hatte sich selbstverständlich wie ein Lauffeuer verbreitet – ich musste mich damit abfinden, dass mein Privatleben nun Mittelpunkt des öffentlichen Interesses war, woran sich bis zum heutigen Tage nicht viel geändert hat. Suna-Gakure hat eine neue Sensation. Einen Skandal von solcher Brisanz, der jede Staatsaffäre der Vergangenheit in den Schatten stellt. Obwohl die Zeitungsredaktion nicht den Mut dazu hatte, die ungeschriebene Schlagzeile auf der ersten Seite der Tageszeitung ist eindeutig Sandmonster und Monsterhexentochter – Rettung oder Untergang Sunas?. Wo immer ich hingehe, kann ich die sensationsgierigen Blicke auf mir spüren. Dabei tun Gaara und ich nicht einmal, was von uns erwartet wird. Es hätte eigentlich klar sein müssen, dass wir nicht Händchen haltend durch das Dorf laufen und uns schmachtend unsere Liebe versichern. Genau genommen sehen wir nicht mal wie ein Paar aus. Und bei ganz pingeliger Betrachtung sind wir es wohl auch nicht. Doch mir ist klar, weshalb wir wie Prominente belagert werden. Die Frage springt mich aus der Miene jedes Dorfbewohners an: Bin ich der Engel, der Gaara aus der Versenkung zieht, oder nur die weibliche Ausgabe seiner selbst? Diese Thematik bestimmte auch mein Treffen mit dem Kazekage, wenige Tage nach unserer Heimkehr. Er hatte mich in sein Büro zitiert – allein, wie er betont hatte, worüber mein kontrollfanatischer Freund selbstverständlich hinwegsah. Gaara folgte mir mit einem derart entschlossenen Blick, dass ich gern davon absah, ihn darauf aufmerksam zu machen. „Wird aber auch Zeit! Reinkommen, hinsetzen!“, blaffte der Kazekage, kaum dass ich die Tür geöffnet hatte. Er saß hinter seinem in der Zwischenzeit reparierten Schreibtisch und blickte mir herrisch entgegen. Zumindest solange, bis er Gaara entdeckte. „Dich hatte ich nicht hergebeten“, knurrte er; sein Gesicht verfinsterte sich zusehends. Gaaras Antwort war ein nicht minder gewaltbereiter Blick und ich hielt es für das Klügste, die beiden schnellstmöglich voneinander abzulenken. „Um was geht es, Kazekage-sama?“, fragte ich betont höflich und nahm auf einem der Stühle Platz. Gaara blieb wie die Statue eines altertümlichen Wächters hinter mir stehen. Der Kazekage verzog sichtlich verstimmt das Gesicht. „Unser Gespräch hätte eigentlich unter vier Augen stattfinden sollen.“ „Sie darf ohnehin keine Geheimnisse vor mir haben. Andernfalls würde ich sie umbringen“, schaltete sich Gaara mit seinem sprühenden Charme ein. „Wie ich sehe, habe ich dir zumindest den richtigen Umgang mit Frauen beibringen können“, sagte der Kazekage mit grimmiger Zufriedenheit. Immerhin ein Punkt, in dem er stolz auf seinen Sohn sein konnte, stellte ich augenrollend fest. Eine durch und durch reizende Schwiegerfamilie. „Ich bin sicher, ihr könnt eure Männergespräche ein anderes Mal führen“, ging ich scharf dazwischen. Der Kazekage lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „So weit sind wir gar nicht vom Thema entfernt. Es geht um deinen Verbleib, Yuka“, sagte er gewichtig. Das genügte, um mich wachsam werden zu lassen. „Ich bin Kunoichi für Missionen, was ausreichend ist, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen.“ „Mit fast vierzehn gerade erst Genin geworden! Du wirst deine Rückstände nie aufholen können, du bist eine Last! Und dann noch dein minderwertiges Chakra, das du bei der letzten Mission völlig verpulvert hast! Wir können froh sein, wenn es sich überhaupt je wieder regeneriert!“ Trotzig schob ich das Kinn vor. „Und was wollen Sie mir damit sagen?“ „Dass ich besorgt darum bin, ob du genug Nutzen für mich bringst, damit ich dich guten Gewissens durchfüttern kann. Dazu kommt noch die Tatsache, dass ich es mir nicht leisten kann, wenn du Gaara von seinen Verpflichtungen abhältst“, fügte er mit einem boshaften Lächeln hinzu. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Gaaras Gesicht einen erzürnten Ausdruck annahm. „Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass das nicht alles Ihrem Plan entspricht“, sagte ich rasch und traf den Kazekage damit unvorbereitet. Es war ihm anzusehen, dass er mir nicht folgen konnte, und so beeilte ich mich, fortzufahren. „Sie haben Gaara in meine Dimension geschickt und alle dachten, dies diene dem Zweck, ihn loszuwerden. Allerdings war es ihm möglich, zurückzukehren. Und das bringt mich zu folgendem Schluss: Da Sie der unfehlbare Kazekage sind, konnte Ihr Plan unmöglich fehlerhaft sein. Das bedeutet also, Sie hatten von Anfang an damit gerechnet, dass er zurückkehren würde. Nur würde er sich ohne Hilfe in meiner Dimension nie allein zurechtfinden, also war klar, dass er sich an einen anderen Menschen wenden würde. Und genau das war, was Sie geplant hatten, nicht wahr? Er sollte sich von jemandem nach Hause führen lassen und ebendiese Person mitbringen. Diese Person würde weit genug zu ihm durchdringen, ihn von seinem Tötungstrip herunterzuholen und für Sie zurechnungsfähiger zu machen.“ Ich holte tief Luft nach dieser ausführlichen Hypothese, die ich mir bereits vor diesem Gespräch sicherheitshalber zurechtgelegt hatte. Damit pokerte ich und zwar mit nicht gerade geringem Einsatz, doch ich war mir sicher, dass es diese eine Möglichkeit gab, zum Kazekage durchzudringen: Über seine Eitelkeit. Der Charakterzug, den er auch Gaara vererbt hatte. Es war geradezu hörbar, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, als er mich anstarrte. „Dabei haben Sie auch Temari und Kankuro eingespannt, die die Rolle der Verkuppler übernommen haben, wie die beiden mir selbst erzählt haben. Ich muss schon sagen, äußerst intelligent und weitsichtig von Ihnen“, legte ich noch mal nach. Da trat der arrogante Zug auf seine Lippen und der Kazekage räusperte sich mit einer affektierten Geste in meine Richtung. „Ich muss dich unterschätzt haben – ich hätte dir nicht zugetraut, dass du hinter all das kommen würdest.“ Jackpot geknackt – Er hatte angebissen! Ich hoffte, dass er mein zufriedenes Lächeln als Freude über sein Lob interpretierte. „Wie Sie sehen, läuft alles planmäßig. In Kombination mit meinen treuen Diensten als Kunoichi sollte mein Lebensunterhalt gesichert sein, nicht wahr?“ „Solange du unter meinem Befehl bleibst“, schränkte er mit der gewohnten Portion Arroganz ein und ich beeilte mich, ein demütiges Nicken zustande zu bringen. Er lehnte sich sichtlich zufrieden zurück. „Hervorragend.“ So schnell, wie es mit meinem unterwürfigen Gesichtsausdruck zu vereinbaren war, erhob ich mich und griff nach dem Riemen von Gaaras Kürbisflasche. Er war sichtlich verstimmt, sowohl wegen mir als auch seinem Vater, was ich ihm keineswegs verübeln konnte. Sollte er allerdings jetzt ausflippen, hätte dies all meine Bemühungen zerstört. Mit einem scharfen Blick in sein Gesicht bedeutete ich ihm, sich zurückzuhalten. „Dann verabschieden wir uns jetzt hochachtungsvoll“, sagte ich unter Aufbietung all meiner Liebenswürdigkeit, ehe ich – Gaara hinter mir herzerrend – aus dem Büro ging. Die Tür war kaum hinter meinem Musterbeispiel an Gehorsam und Ehrerbietung ins Schloss gefallen, da hatte sich Gaara bereits losgerissen und die Naturgewalt seines wütenden Blickes auf mich gerichtet. Ich hob eine Hand. „Bevor du irgendwas in der Richtung einer Morddrohung von dir gibst, denk einfach nur drei Sekunden darüber nach, was passiert wäre, wenn ich mich nicht bei ihm eingeschleimt hätte!“ „Du bist bescheuert!“, versetzte er und ich zuckte von der Abfälligkeit dieser Stimme zurück. „Wen interessiert, was mein Vater denkt? Und wenn er dich aus Suna haben wollte – wen kümmert das? Ich hätte jeden, den er für deine Vertreibung schicken würde, einen Kopf kürzer gemacht!“ Ohne mir Zeit für einen Einwurf zu lassen, trat er auf mich zu und sah mir in die Augen – ein Blick, der mich bis ins Mark schaudern ließ. „Ich will nie wieder sehen, dass du dich so zum Idiot machst, um irgendjemandem zu gefallen“, sagte er, jedes Wort betonend. „Niemals würde ich zulassen, dass dir deswegen jemand etwas antut! Kapier das endlich!“ Ich musste schwer schlucken, ehe sich der Kloß in meiner Kehle löste. „Einen Haken hat die Sache allerdings“, sagte ich deutlich leiser als zuvor. „Da gibt es keinen Haken. Du tust, was ich sage.“ Ich senkte den Kopf und blinzelte dann zu ihm hinauf. Bei Gott, ich hatte noch nie versucht zu flirten, aber seine Stimmung war günstig, unser letztes Problem anzusprechen und dazu war jedes Hilfsmittel vonnöten. „Irgendwann könnte es doch sein, dass er Temari oder Kankuro schickt“, murmelte ich und fuhr alle Geschütze auf, um die maximale Dosis Weibliche Unschuld zu versprühen. „Und du könntest doch nicht deine eigenen Geschwister…“ „In weniger als einer Minute pro Kopf“, unterbrach er mich ungerührt. „Aber das will ich nicht!“, entfuhr es mir. Er kniff die Augen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. Damit waren wir bei dem einen Thema angelangt, dass am grellsten zwischen uns stand. „Ich habe nichts dagegen, wenn du mich beschützt – ganz im Gegenteil“, lenkte ich ein und hoffte, dass meine sonst so verhassten großen Rehaugen ihren Zweck erfüllten. Zugleich lag jedoch ein entschlossener Zug auf meinem Mund, als ich weiter sprach. „Aber ich möchte keine Morde mehr sehen. Was auf deinen Missionen passiert, ist mir egal.“ Hier griff ich nach seiner Hand und nahm sie in meine, was er mit einem unwilligen Zischen quittierte. „Aber merk dir diese eine Sache: Wenn du deine Hände vor meinen Augen mit dem Blut Unschuldiger beschmutzt, bin ich weg.“ Seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Ich konnte fühlen, wie es in seinem Inneren arbeitete, wie er versuchte, sich ein Dasein so fern von seinem jetzigen nur vorzustellen; seine Hand in meiner begann zu zittern. „Yuka…“, sagte er leise. Ich hob seine Hand und drückte sie an meine Wange. Sie war eiskalt und verspannte sich augenblicklich. Für ihn war all das so schwer, selbst diese einfache Berührung. Seufzend musste ich mich fragen, wie er da erst eine solch gravierende Änderung über sich bringen sollte. Bereits jetzt war er einen Schritt zurückgetreten und hielt mich auf einem größtmöglichen Abstand. „Ist in Ordnung“, sagte ich schließlich und sah ihn mit all der Wärme an, die mit dem unnachgiebigen Zug meiner Lippen zu vereinbaren war. „Nicht heute, nicht morgen, nicht nächste Woche … irgendwann.“ Er war sichtlich verblüfft, doch nach einem kurzen Moment des Zögerns nickte er. Eine Antwort war ihm nicht möglich; seine angestrengt aufeinander gepressten Lippen ließen die Anstrengung erkennen, mit der er sich unter Kontrolle hielt. Für den jetzigen Augenblick war es uns unmöglich, eine Einigung zu erzielen, doch für mich stand fest, dass ich nicht eher ruhen würde, als dass ich mich durchgesetzt hatte. Egal wie oft ich mich dafür in weiblichem Charme üben oder ihm einen Tritt in den Hintern verpassen musste. Mit einem breiten Lächeln entließ ich ihn aus dieser für ihn so schweren Situation und setzte mich in Bewegung. „Komm jetzt, ich hab’ noch was vor“, sagte ich munter. „Hey, warte!“, zischte Gaara nach einer Sekunde der Überrumplung. Dennoch folgte er mir, als ich draußen angekommen den Weg zur Einkaufsmeile einschlug. „Ich will dir nur etwas zeigen, also hab dich nicht so!“ Mein gut gelaunter, doch ohne Frage resoluter Tonfall ließ erkennen, dass ich keine Widerrede duldete. So viel schien Gaara in Punkto Gefühle schon zu kapieren. Augenrollend und mit einem grimmigen Gesichtsausdruck, der sämtliche Passanten erschrocken zurückweichen ließ, fügte er sich in sein Schicksal Mein Ziel war das einzige Blumengeschäft des Dorfes. Es war bereits Nachmittag und die Auswahl war beträchtlich geschrumpft, doch es gelang mir, den letzten Strauß Sonnenblumen zu ergattern. Der unverschämte Preis, war in einer Wüste nicht verwunderlich. Bereits bei dieser Aktion wirkte Gaara nicht gerade erfreut, doch das war nichts im Vergleich zu seinem irren Blick, als wir an der Bäckerei vorbeikamen und Ren auch noch die Frechheit besaß, mir aus dem Innern zuzuwinken. Mir war, als liefe ich neben einer tickenden Zeitbombe, die in grimmiger Erwartung den finalen Countdown zu ihrer Explosion herunterzählte. „Sollte Ren irgendeines – ich betone, irgendeines – unnatürlichen Todes sterben … und ich schwöre, ich finde das heraus…“, zischte ich, während ich Ren mit einem Lächeln zuwinkte. „…dann kippe ich einen kompletten Wassertank über dir aus. Und so ein Ding hat über zehn Liter, falls du dir es nicht vorstellen kannst.“ Gaara warf einen prüfenden Seitenblick in mein sadistisch lächelndes Gesicht und begriff auf Anhieb den Ernst dieser Aussage. Schnaubend wandte er den Blick ab und versuchte mich auf einen Seitenweg zu drängen, der uns nicht an Kaitos Laden vorbeiführen würde. Geradezu rabiat schob ich ihn in die andere Richtung. „Und dasselbe gilt für Kaito. Mal abgesehen davon, dass er eine Frau und drei Töchter hat, falls dir das entgangen sein sollte, und er keine pädophilen Neigungen hat.“ „Du gehst trotzdem nicht allein zu einem von beiden“, beharrte er, folgte mir allerdings. „Zu Befehl“, seufzte ich. Ähnliche Diskussionen füllten unseren kompletten Weg, bis wir Suna verlassen hatten und uns auf dem Weg zur privaten Oase des Kazekage befanden. Gaara fühlte sich wie alle Wüstenbewohner in der Gegenwart so starker Vegetation nicht wohl und schien froh zu sein, als ich schließlich anhielt. Wir waren nun an dem kleinen Kreuz, das ich vor einigen Wochen für Rachel angefertigt hatte. Dieser Tag kam mir nun eine Ewigkeit entfernt vor. Er lag in einer weit entfernten Dimension voller Zweifel und Unsicherheit. Ein feines Lächeln stahl sich bei dieser Erkenntnis auf meine Lippen. „Hey Rachel“, sagte ich und ging vor dem Kreuz in die Hocke. „Ich hab dir was mitgebracht, zwei Dinge, um genau zu sein. Einmal deine Lieblingsblumen und dann … der Freund, den du dir für mich gewünscht hast.“ „Dann ist es deiner Dimension also üblich, die Toten mit einem Kreuz zu ehren?“, fragte Gaara, der sich ein gutes Stück hinter mir hielt. Er klang ernst, doch nicht wirklich beteiligt. Ich legte die Blumen sorgfältig ab und stand erst dann auf, um mich halb zu ihm umzudrehen. Mir war klar, dass ich ihn mit dieser Situation in eine unangenehme Lage brachte, doch zumindest ich selbst fühlte mich nicht länger schuldig, mit ihm zusammen meiner toten Freundin zu gedenken. „Sie hätte dir verziehen“, sagte ich zusammenhanglos. „Wenn sie über dich Bescheid gewusst hätte … hätte sie dich verstehen können. Und sie hätte mir keinen Vorwurf gemacht.“ „Es hat dich also … so hart getroffen…?“ Hätte ich nicht gewusst, dass er es in der Tat nicht besser wusste, hätte ich ihm spätestens jetzt eine Ohrfeige verpasst. Doch woher sollte er auch wissen, wie es war, einen Freund zu verlieren? „Stell dir vor, diese Spione aus der Wüste hätten mich vor deinen Augen getötet. Ohne dass du etwas dagegen hättest tun können. Sie hätten meinen Körper vielleicht noch ein wenig verunstaltet … vor dir geprahlt … Und du müsstest hilflos dort sitzen, gelähmt von Wasser.“ Ich verstummte und betrachtete sein nachdenkliches Gesicht. Er nahm sich Zeit, um sich ebenjene Situation vorzustellen, bis nach einigen Minuten schließlich eine leise Erkenntnis i seinen Augen aufblitzte. Sicher nur ein minimaler Hauch dessen, was Rachels Tod für mich bedeutet hatte, doch immerhin ein Anfang. Seine Augen zuckten nach oben zu meinem Gesicht. „Ich werde deinen Freunden so etwas nicht wieder antun“, sagte er und ich spürte, dass es ihm ernst mit diesem Versprechen war. Das war mehr als ich mir für den heutigen Tag erhofft hatte. Ich kam nicht umhin, das Strahlen von meinen Lippen Besitz ergreifen zu lassen. „Genug von den alten Geschichten!“, rief ich übermütig. „Was hältst du von einer Extra-Trainingseinheit? Ich habe Gerüchte gehört, der Kazekage bestimmt bald die Anwärter für die Chunin-Prüfung. Wetten, dass ich es auf die Liste schaffe?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, hakte ich mich bei ihm ein und zog ihn mit mir. Und während er sich unwillig meinem Griff entwand, um die Führung zu übernehmen – Eine Angewohnheit, die er sicher nie verlieren würde – breitete sich in meinem Körper eine unvergleichliche Leichtigkeit aus. Nun, es mag übergeschnappt klingen, doch ich hatte so ein Gefühl, als hätte Rachel uns ihren Segen gegeben. Für meine gestörte Beziehung mit meinem mordenden Kidnapper, dem zu verzeihen mir ebenso unmöglich ist, wie ihm zu widerstehen. Vielleicht nichts weiter als eine weitere Facette unser beider masochistischen Natur. Und hätten Kim und meine Eltern davon gewusst, wäre es ihnen sicher nicht anders gegangen. Damit endet meine Geschichte. Wie ich bereits mehrmals sagte: Das hier hat nichts mit einem Märchen gemein. Ich bin nicht in Suna, um mein Schicksal zu erfüllen, sondern weil es meine einzige Chance war, zu überleben. Für uns gibt es kein Für immer und ewig, kein dubioses Ich liebe dich. Mein Freund bringt mir keine Rosen, sondern bestenfalls die Waffen seiner gefallenen Gegner als Souvenir nach einem Auftrag. Er mordet noch immer, auch wenn er keinen Grund dazu hat. Ich weiß es, wenn er wieder einmal einige Stunden fortgeht und der Geruch von Blut und Tod bei seiner Rückkehr an seinem Körper haftet. Ich weiß es, wenn er mich halb abweisend, halb hilflos ansieht und darauf hofft, mir nichts erklären zu müssen. Manchmal schreie ich ihn an und erkläre ihm in aller Ausführlichkeit, wie sehr die Angehörigen seiner Opfer nun leiden müssen. Manchmal schlage ich ihm die Zimmertür vor der Nase zu und ignoriere ihn für die nächsten Stunden. Und manchmal … manchmal kann ich nicht anders, als ihn in den Arm zu nehmen und ihm die Liebe zu gewähren, die er so wenig verdient hat. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wozu ein Mensch gedrängt werden kann, wenn seine Lage aussichtslos genug ist. Ich weiß um die Verderblichkeit jeder einzelnen Seele, in der Gaara sich kein bisschen von den anderen unterscheidet. Wahrscheinlich bin ich nur deswegen fähig, in ihm den Menschen zu sehen, der zu sein er längst verlernt hat. Wir werden nie das haben, was andere Paare haben: Hochzeit, Kinder und ein Leben im Einfamilienhaus. Aber um ehrlich zu sein, erscheint mir all dies vollkommen unwichtig in den ganz ganz raren Augenblicken, wenn ich in seinen Armen liegen darf. Dann weiß ich, dass ich am Ende des Treibsandes angelangt bin – und hoffe mit aller Innbrunst, nie wieder herauszufinden. ---- Nun, hiermit habe ich diese Fanfiction also zu ihrem Ende gebracht und muss sagen, dass ich eine ausgesprochen große Genugtuung empfinde :) Das Ende hatte ich so von Anfang an geplant und ich hoffe, ihr seid damit zufrieden, da es viel Spielraum für die eigene Fantasie lässt, inwiefern die Zukunft der beiden nun aussieht. Was mich zu meinem nächsten Punkt bringt: Ich hatte eigentlich geplant, noch einige Spezialkapitel zu schreiben oder künftige Ereignisse, bin mir aber nicht sicher, ob dies noch zur Story passt, da sie jetzt schön in sich geschlossen ist. Es wäre also schön, wenn ihr euch melden würdet, wenn ihr Interesse habt. Ansonsten vielen lieben Dank an jeden einzelnen Leser, der sich bis zum Ende durchgekämpft hat. In der Hoffnung, dass man sich vielleicht noch das ein oder andere Mal liest, verabschiede ich mich mit vielen Grüßen an alle Leser Meggy Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)