Das Schwarze Schwert von Demut ================================================================================ Kapitel 1: ERSTES KAPITEL ------------------------- Lord Adrrian Drachenkopf der Dritte, Herr über Heere von Ghulen, Untoten, Greifen und anderen finsteren Wesenheiten stand vor einer geschlossenen Flügeltür. Um präziser zu werden, bestand sie aus dunklem Holz und verfügte über drachenköpfige Türklopfer, die dem Herrscher grimmig in die Augen blickten. Ausser ihnen wagte es keiner, denn er war eine beeindruckende Gestalt und verlangte absoluten Respekt und Gehorsam von seinen Leuten. Oft schon hatten seine Stärke und seine langjährig und Erfahrung und seine Taktik das Ruder im Kampf herumgedreht, wenn es schon sehr schlecht ausgesehen hatte. Er war daher ein angesehener Feldherr. Und nicht nur das, er war sozusagen der offizielle inofizielle König der Unterwelt. Mit seinem reißenden Breitschwert führte er den Krieg seiner Vorfahren gegen die Oberwelt fort. Er war unzähligen Schrecklichkeiten begegnet, hatte das Blut vieler Männer fließen sehen und selbst in der hoffnungslosesten Schlacht nicht aufgegeben. Jetzt hatte er Muffensausen. Es gab weitaus schlimmere Dinge als den Tod. Der Raum hinter der Tür war von gräulichem Halblicht erfüllt. Als er sie öffnete, fiel ein heller Spalt auf ein vermodertes Bett, dessen üppige Bettdecken, Kissen und Leinen ebenso grau wirkten wie die zerrissenen Vorhänge, die wie Spinnweben den Baldachin herabhingen. Aber weniger das Bett war Grund für Adrrians zwingenden Drang die Flucht zu ergreifen, als vielmehr die Person, die darauf saß, die Knie am Bettrand übereinandergeschlagen, die Arme verschränkt und mit einer Miene, die die Milch sauer werden lassen konnte. „Aha“, schnappte Elster, die Gemahlin von Adrrian Drachenkopf dem Dritten. „Sieh an, wer angekrochen kommt.“ Adrrian kroch mitnichten, er stand wie immer aufrecht und imposant im Türrahmen. Wobei man anmerken könnte, dass er beim Klang ihrer Stimme ein wenig den Kopf eingezogen hatte. „Ah, meine Mondblume! Ich ähm... nunja... es war so, dass...“, knirschte er mit dunkler Stimme, die eigentlich gewohnt war Befehle über ein Schlachtfeld zu brüllem. „Du wirst lachen, aber...“ „WIE soll ich lachen...“, knurrte Elster. „Wenn du dich an meinem Geburtstag nicht blicken lässt?!“ „Also weißt du, wir waren von zwei Golemarmeen eingeschlossen und es gab kein vorankommen... ausserdem muss ich meinen Terminkalender irgendwie, äh...“ „Du brauchst einen TERMINKALENDER um dich an meinen Geburtstag zu erinnern?“ Empörung donnerte durchs Schlafzimmer. „Neinneinein! Dein Geburtstag (und unser Hochzeitstag) sind für ewig in mein Gedächtnis eingraviert wie in einen Grabstein, aber, weißt du... wenn man Tag und Nacht belagert wird, verliert man ein Bisschen das Zeitgefühl...“ Adrrian studierte vorsichtig Elsters Gesicht. Ein anbrechendes Gewitter umwölkte ihre Stirn. „Ich-musste-Tee-trinken! Ganz allein! Mit den GHULEN. Weil sonst keiner da war! Weißt du, wie es ist, wenn GHULE versuchen TEE zu TRINKEN? Sie haben einige meiner Lieblingstassen zerdeppert! Wenn das meine Freundinnen rauskriegen!“ „Elster...“, wagte er einzuwenden. Sie winkte ab. „Jaja, ich weiß ich habe keine Freundinnen. Aber stell dir vor, ich hätte welche, sie würden sich das Maul über mich zerreissen!“ Sie begann zu schniefen. „Das war vielleicht ein Trauerspiel, sag ich dir... wo bekomme ich denn nun neue Teeschädeltassen her? Wenn man eine Tasse von einem Service kaputt macht, kann man zwar die anderen noch benutzen, aber... sie sind einfach nicht mehr komplett! Und das Milchkännchen war auch dabei! Was macht man mit einem Teeservice ohne passendes Milchkännchen?“ Offensichtlich hatte sich Elsters Gemütszustand nun von Wut zu Verzweiflung gewandelt. Adrrian wagte es wieder, sich ihr zu nähern, tröstend breitete er die Arme aus, als er auf sie zuging. „Ach, mein dunkler Stern...“ Elster schmollte und drehte sich von ihm weg. „Von wegen dunkler Stern.“ Er setzte sich zu ihr ans Bett, durch sein Gewicht wurde sie ungefähr eine Elle in die Höhe gelupft. „Meine kleine Nachtrose, niemals würde ich dir absichtlich etwas böses tun wollen, es ist nur mal so, dass ich durch den Krieg sehr... eingespannt bin. Meine Männer verlassen sich auf mich...“ Sie seufzte, dann legte sie ihren Kopf auf seine Schulter. „Bin ich dir etwa nicht mehr wert als deine Männer?“ „Doch natürlich, aber es gibt im Krieg eben Situationen... in denen man den Überblick verliert. Man kann nicht einfach gehen, wenn es einem beliebt.“ „Dann beende diesen blöden Krieg doch einfach!“ Adrrian seufzte. „Ich weiß nicht, wie oft wir diess Thema schon hatten. Ich kann den Krieg gegen die Oberwelt nicht einfach beenden. Mein Vater kämpfte ihn, mein Urgroßvater kämpfte ihn und vor der Familie der Drachenkopfes waren es die Tothammers, die ihn begannen! Eines Tages werden wir die Oberfläche einnehmen, zur Erschließung unendlichen Reichtums und neuen Landes.“ Sie blickte verdrießlich an seinem Hals vorbei. „Jaja... eine Millionen Tote können sich nicht irren, was?“ Sie kicherte dann. „Meine kleine Nachtrose? Die Bezeichnung ist mir neu... was ist denn eine Rose?“ Er zog eine zierliche rote Blume aus seinem Brustpanzer. Zwischen seinen dicken Fingern wirkte sie fast zerquetscht. „Dies.“ Elsters Augen leuchteten. „Sie ist schön.“ „Nicht so schön wie du.“ Elster kicherte erneut. „Alter Schleimer...“ Sie blinzelte ihn mit langen, berauschend schwarzen Wimpern an und ihre Hand schlich zu seiner Rüstung um dort die Schnallen zu lösen. Doch Adrrian drückte sie mit sanfter Gewalt weg. Sie blickte fragend. „Stimmt etwas nicht, bist du etwa verletzt?“ Er blickte etwas beschämt weg, rieb sich dann mit der Hand den Nacken. „Nunja... ääähm...“ Elsters Blick wurde wieder verdrießlich. „Oh nein...“ „Ich muss auch gleich wieder... also...“ „Nein. NEIN, NEIN, NEIN!“ Elster warf sich vor Wut auf dem Bett hin und her, schmiss mit Kissen und Fetzen um sich und strampelte mit den Beinen. „Du gehst jetzt NICHT schon wieder auf´s Schlachtfeld! Du bleibst bei mir!“ Sie kam hoch, krallte sich an seinen Arm. „Bleib bei mir...“ Sie schob die Unterlippe vor. Adrrian holte tief Luft. „Elster... ich kann nicht!“ Ihre Unterlippe begann zu zittern. Er löste ihre Hand von seinem Arm. „Ich weiß, du als Frau, verstehst nichts vom Krieg, aber...“ Jeder Frauenkenner hätte bei diesen Worten nun schmerzvoll das Gesicht verzogen, denn die Phrase „Du verstehst nichts von (Bitte einfügen), weil du eine Frau bist.“, war fast genaso tödlich wie „Schatz, das Kleid ist zu eng, lass es weiter machen“. Adrrian schien in dieser Hinsicht blind und taub zu sein, denn spätestens an Elsters Reaktion hätte er seinen Fauxpass bemerken müssen. „...aber es ist nunmal wichtig für mich, diesen Krieg weiterzuführen. Ich verstehe, dass du das nicht nachvollziehen kannst.“ Sie hob auf die einzigartige Art und Weise ihre Braue, die in sämtlichen Sprachen dieser Welt verkündete, dass jetzt Ärger im Anmarsch war. Großer Ärger. „Was meinst du denn bitte damit...?“, fragte sie sehr freundlich. „Ich meine damit nur, dass du gar nicht weißt, wie es im Krieg zugeht – und natürlich ist das Schlachtfeld nicht für Frauen gemacht und...“ Er stockte. „Meine Nachtigall?“ „Jaha?“, meinte Elster und zerrupfte mit leerem Blick und entrücktem Lächeln systematisch das Kissen vor ihr in seine Einzelteile. Adrrian wurde von einer wagen Beunruhigung ergriffen. „Ich... ich muss jetzt.“ „Ja, Schatz.“ Vorsichtig beugte er sich vor, gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Keine Reaktion, nur noch mehr Kissenfüllung wurde aufgedröselt. „Also ... Tschüss.“ „Tschüss.“ Adrrian zögerte noch kurz, warf einen Blick auf seine Ehefrau, die noch immer starr ins Nichts lächelte. Dann zog er die Tür zu. Klack. Elster sprang aus dem Bett und verschwand aus dem Schlafzimmer, ging in die Bibliothek und hielt dabei immerzu den schwarzen Stein fest, der an einer Kette um ihren Hals hing. „Krieg, Krieg, Krieg... dem geb ich Krieg!“, knurrte sie. Kapitel 2: ZWEITES KAPITEL -------------------------- Kapitel 2 Die Küche. Es war eine ganz normale Küche am Nachmittag. Genauer gesagt eine grau geflieste Einbauküche aus dem 21. Jahrhundert, denn im Moment befanden wir uns nicht mehr in irgendeiner mittelalterlichen, von Magie geprägten Unterwelt sondern in der modernen Menschenwelt. Die Küche zeichnete sich durch helles Holz, graue Fliesen und einer kleine Abtrennung zur Vorratskammer aus. Irgendwo auf dem Fliesenboden standen zwei Näpfe, einer mit Wasser, einer mit Trockenfutter, beide trugen die Aufschrift „Schnuffi“. Und Etienne war gerade dabei sich eben hinter jener bereits erwähnten, hübschen, hellen Abtrennung zu verstecken und zwischen den Spalten der Holzverkleidung hindurch zu lugen. Er versteckte sich vor Schnuffi. Etienne war sechzehn Jahre alt, hellblond und hatte blaue Kulleraugen – sehr zu seinem Leidwesen. Ausserdem war er eher klein und trug eine Brille. Er hatte eine Vorliebe für japanische Horrorfilme, besonders widerlichen Krimskrams wie Totenköpfe, Gummispinnen und synthetisches Blut, mit dem er sein Zimmer auszustaffieren pflegte. Und er mochte Mathe. Aber dazu später mehr. Schnuffi schnurrte aggressiv und setzte die dicken, übergewichtigen Pfoten auf die Fliesen. Etienne konnte seine Krallen auf den Stein ticken hören. Hinter ihm stapelten sich Erdnussbutter, Marmeladen- und Honiggläser sowie der Brotkorb und andere Konserven. Er hielt den Atem an und lauschte. Keine Katzengeräusche aus der Küche mehr. Sein Herzschlag beruhigte sich. Konnte er es wagen? Er schob die Tür einen klitzekleinen Spalt auf. „MIIAAAUUURRRRR!“ Mit einem alptraumhaften Kampfgebrüll fuhren die Pfoten der Katze durch den Spalt und krallten sich in seine Jeans, raspelten Löcher hinein. Währenddessen versuchte Schnuffi seinen dicken, orangenen Kopf durch den Spalt zu zwängen. Etienne entschied sich zu schreien. „WAAAAH!“ Mit der Kraft des Schreckens knallte er den Spalt wieder zu – Schnuffi zog erst im allerletzten Moment seine Körperteile aus dem Spalt und tigerte nun vor dem Vorratsschrank auf und ab. Etienne seufzte, für´s erste gerettet, und drehte sich um. „Du versteckst dich vor einer Katze?“, fragte Elster, die hinter ihm stand. Sie hatte, ihm mit großem Interesse zusehend, ein Marmeladenglas aufgemacht und bediente sich nun daran. Etienne kam zu dem Schluss, dass ein zweiter Schrei angebracht war. „WAAAAH!“ Etiennes Rücken prallte gegen die Abtrennung. „Wie sind SIE HIER REINGEKOMMEN?!“ Elster tunkte eine Brotkante in die Marmelade. Etienne, der natürlich nicht wusste, dass es sich dabei um Elster handelte, die Liebste des Herrschers der Unterwelt, sah nur eine recht junge Frau mit schwarzen, recht kurzen, nach hinten gekämmten Haaren und hellblauen Augen, die ihn ansah, als wäre sie wirklich überrascht über seine Frage. „Ich? Na durch´s Fenster!“ Etienne blickte nach oben. Die Vorratskammer hatte natürlich ein Fenster, allerdings war es eher zum Druckausgleich der Luft gedacht und dementsprechend ungefähr nur so groß wie ein Blatt Papier. Selbst diese bemerkenswert kleine und filigrane Frau hätte wohl kaum dadurch gepasst. Dazu musste er nicht einmal ein Lineal holen. „Das kann nicht sein.“ Elster winkte ab. „Ach, ich hatte ganz vergessen...“ Sie beendete den Satz nicht, stattdessen lutschte sie die Marmeladen von der Brotkruste, blickte nach oben und seufzte. „...Nun, das macht die ganze Sache natürlich schwieriger. Sag mal, wie heißt du denn?“ Etienne hatte den Kopf schief gelegt und blickte misstrauisch, er schob die Brille auf seiner Nase hin und her, dann antwortete er. „Etienne.“ „Etienne, wirklich? Seltsam, warum hat man dir einen Mädchennamen gegeben?“ Er blickte finster – zumindest versucht er es. Mit babyblauen Augen ging das schwer. „Oh, entschuldige. Ich bin Elster.“ „Du heißt wie ein Vogel.“ Sie lächelte und dippte wieder in die Marmelade. „Jaja, ich weiß.“ meinte sie und fügte dann freundlich an: „Willst du mich nicht noch etwas fragen?“ Etienne runzelte die Stirn. „Wer...?“ Elster hob den Finger. „Ah-ah, falsche Frage.“ „Und woher...?“ Er stockte erneut. Als er sprach, war seine Stimme zu einem Flüstern gepresst. „Was willst du?“ Elsters Lächeln entsprach dem blinkenden Lämpchen beim einarmigen Banditen. Jackpot. Elster machte einen kleinen Hüpfer und stellte das Marmeladenglas – in dem noch immer die Brotkruste aufrecht stak – wieder ins Regal und näherte sich ihm, hob die Arme, als wolle sie ihn umarmen. Etienne wich zurück, leider war noch immer die Schiebetür der Vorratskammer im Weg. Sie beide waren genau gleich groß, weshalb er freien Ausblick auf ihr freudiges Gesicht hatte. „Ich bin deine Mama!“ Ein kurzer Moment verwirrter Stille, dann stieß Etienne ein kaltes Lachen aus und würgte ein: „Na, das wüsste ich aber!“, heraus. Elster ließ ihre Arme enttäuscht an ihre Seiten klatschen. „Erkennst du mich denn nicht?“ „Woher denn? Ich habe Sie noch nie gesehen! Außerdem habe ich schon eine Mutter!“ Etienne plante sich nach draußen zu schleichen... um irgendwie Hilfe zu holen, vielleicht kam er ja bis zum Telefon um die Polizei zu rufen. „Du hast also schon eine Mutter, hm? Aha, soso...“ Sie wirkte beinahe eifersüchtig und schmollte. „Wie heißt sie denn? Wie sieht sie aus? Wie ist sie denn so, deine Mutter?“ Etiennes Hand schlich zum Türgriff, er war sich allerdings bewusst, dass seine Geste zu offensichtlich war. Außerdem, ging ihm auf und er ließ die Hand wieder sinken, war Schnuffi sicher noch draußen. Blieb also nichts übrig als die direkte Konfrontation mit dieser seltsamen Frau. „Das geht sie gar nichts an! Was wollen sie überhaupt von mir?“, knurrte er, was Elster offenbar ganz entzückend fand. „Nein, wie süß! Du hast ja so viel von deinem Vater! Oh ja... – Weshalb ich hier bin?“ Etienne fand ihren Gesichtsausdruck ziemlich hinterhältig, so wie sie im Halblicht der Speisekammer lächelte. „Dazu muss ich wohl etwas weiter ausholen. Aber nunja, es scheint ja so, als hättest du ohnehin nichts besseres zu tun.“ Etienne wägte nochmals mit gewisser Verzweiflung ab, ob er sich in die Küche trauen könnte und warf einen Blick zum Spalt der Trennwand. „Nein... hab ich nicht.“, seufzte er ergeben. Elster hob ihre Hand zu einer beginnenden Geste. „Also... zuerst einmal musst du wissen, dass deine... Mutter nicht wirklich deine Mutter ist. Das bin nämlich ich.“, begann sie und drückte sich zur Unterstreichung mit der flachen Hand auf ihre Brust. „Mein Name ist, wie ich bereits erwähnt habe, Elster. Elster, Gemahlin von Lord Adrrian Drachenkopf dem Dritten, dem Herrscher der Unterwelt. Herzlichen Glückwunsch, mein süßer Etienne: Du hast königliches Blut in dir!“ Etienne hob lasch eine Braue. „Du könntest ruhig mehr Begeisterung zeigen.“, schmollte Elster. „Wie auch immer. Ich dachte mir einfach... es wird Zeit, dass ich meinen geliebten Sohn zu uns nach Hause hole!“ Etienne begann fieberhaft nachzudenken. Okay... ich bin mit einer Irren in einem Vorratsschrank eingesperrt. Irgendwie hat sie vor mich zu entführen und irgendwie bin ich mit nicht sicher, ob sie das nicht hinbekommt... sie guckt so... ach ich weiß nicht. Außerdem könnte sie Kumpanen dabei haben, wie sollte sie sonst ins Haus gekommen sein? Ich brauch einen Fluchtplan... Gehe ich also davon aus, dass sie sich innerhalb der nächsten halben Minute nicht bewegt und sich Schnuffi entweder direkt vor der Tür zur Vorratskammer oder zumindest in unmittelbarer Nähe befindet. D.h. maximale Entfernung zwischen Elster und Schnuffi sind 3 Meter. Schnuffi wiegt ca. 10 kg, nach dem Gesetz der Trägheit erreicht er seine Höchstgeschwindigkeit in Anbetracht der fehlenden Bodenhaftung (glatte Fliesen) und mit Addition der Reaktionszeit von Schnuffi, sowie der maximalen Newtonanzahl, die sein Beine nach 5 Jahren ohne jegliche Diät aufbringen können, nach ca. 5 Sekunden, wobei er eine Strecke von ca. 10 Metern zurücklegt, zurückgerechnet auf 3 meter also... Zahlen, ein Dreisatz und einige ballistische Diagramme später, dachte Etienne dann: Wenn ich, nachdem ich die Türe aufgezogen habe noch maximal 2 Sekunden stehen bleibe, müsste Schnuffi mich also bemerken und innerhalb jener Strecke (Küche zu Vorratskammer) und der genannten Zeit genug Beschleunigung in meine Richtung erreicht haben um... Elster hatte in der Zwischenzeit genug Zeit gehabt um zu Blinzeln und „Was...“ von ´Was hälst du davon?´ zu sagen. Etienne zog mit einer halben Pirouette die Vorratskammertür auf. Sie knallte dumpf und Etienne warf einen Blick über die Schulter. Schnuffi hatte prompt den Kopf erhoben, buchstäblich die Kurve gekratzt und stürmte mit zwei Kilo Kampfgewicht und wachsender Geschwindigkeit auf die Vorratskammer zu. Ein kurzer Augenblick verging, in dem Elster fragend den Mund öffnete – bevor sich Etienne zur Seite fallen ließ. Schnuffi setzte zeitgleich zum Sprung an und nach kurzem, ungraziösen Flug über Etienne hinweg krachte er gegen Elster und riss sie nach hinten in ein Regal voller Konserven. Es schepperte ohrenbetäubend und die nachfolgende von Schreien und Fauchen durchzogenen Geräuschkulisse war auch nicht schöner anzuhören. Aber da hatte er sich schon aufgerappelt, nahm die Beine in die Hand und stürmte mit quietschenden Turnschuhen über den Marmorboden und auf die Terassentür zu. Elster rief etwas, aber er verstand es nicht. Und er hatte keinen Bedarf daran, es herauszufinden. Er sauste durch die Küche und kickte aus Versehen Schnuffis Futterschüssel weg. Trockenfutterkrümel durchzischten die Luft. Er machte eine enge Kurve um das Wohnzimmersofa, die schon fast eckig war. Doch mitten im Sprint bewegte er seine Beine plötzlich rückwärts und ruderte mit den Armen um mit panischem Gesichtsausdruck abzubremsen. „Was...?“, presste er hervor. Etwas, das aussah wie eine schleimige, weiße, mannsgroße Made versperrte die Tür. Vier dünne, unförmige Fangarme sprossen aus ihrer Seite und waberten entlang des Türrahmens hin und her. Der Hinterkörper schleifte auf dem Boden, das Maul war ein Ring aus Zähnen, kreisförmig im Schlund angeordnet. Solch ein Monster erwartete man in irgendwelchen dunklen, feuchten Höhlen oder in der Kanalisation! Nicht in einem Wohnzimmer, das wie eine Seite aus einer Möbelzeitschrift aussah! Etienne schaffte es zu allem Überfluss auch nicht mehr seine Geschwindigkeit weit genug herabzudrosseln um zum Stehen zu kommen, landete mit dem Schuh auf dem lockeren Wohnzimmerteppich, rutschte darauf auf Kollisionskurs auf die Made zu. Sie gurgelte angesichts des sich rasch nähernden Etienne noch: „Höh?“ WAMM Schwärze auf beiden Seiten Kapitel 3: DRITTES KAPITEL -------------------------- Der karge Wind strich über die schwarze Ebene. Ausgedörrtes Land erstreckte sich in alle Himmelsrichtungen, Spalten verwandelten die Ebene in ein Meer aus schwarzen Schollen. Schon lange, lange Zeit hatte kein Strauch mehr Wurzeln geschlagen, hatte kein unschuldiges Tier seinen Fuß auf dieses Land gesetzt. Denn seit langer, langer Zeit war dieses Feld nichts anderes als die Grabstätte unzähliger Krieger. Schon seit langer, langer Zeit war es das Schlachtfeld aller Schlachtfelder, der Kriegsschauplatz aller Kriegsschauplätze. Hier wurde der Kampf um die Herrschaft der Obenwelt begonnen und hier, so hatten sich die alten Könige geschworen, würde er bis auf alle Zeiten weitergehen. Hell gegen Dunkel, Gut gegen Böse, Oben gegen Unten. Die Schlacht tobte... etwas lasch vor sich her. Hätte man das Kampfgetümmel auf Video aufgenommen und dann vorgespult, es wäre eine actiongeladene Schlacht daraus geworden. Das Problem war, dass der Krieg schon viel zu lange dauerte. Insgesamt viel zu lange und insbesondere bereits seit Gestern Morgen. Inszwischen war es Abend und die orangene Abendsonne fraß sich durch einen glutroten Himmel. Eigentlich eine Metapher für geflossenes Blut, Tod und Abschlachten, dürfte dieses Abendrot eher als das letzte, matte Aufglühen einer Holzkohle gesehen werden. Ein Ghul hob in Zeitlupe seine Keule und ließ sie auf halbem Wege kraftlos auf den verbeulten Helm des Kriegers ihm gegenüber fallen. Bomm. „Au.“, maulte dieser und piekste den Ghul mit seiner Axt. Ein ähnliches Bild war auf dem ganzen Schlachtfeld zu finden. Ein oder zwei Kämpfende, egal ob Freund ob Feind, waren, an Kopf, Schulter oder Rücken des anderen gelehnt eingeschlafen. Irgendwo fand ein Kartenspiel statt. Und Lord Adrrian Drachenkopf der Dritte befand sich ebenfalls mitten in der Schlacht. Er hatte sein großes Schwert über den Kopf erhoben, bereit zum Schlag... und schnurchelte leise. Ob dieses tiefen, dröhnenden Tons schwankte er ein wenig. Oft erwähnt man in Sagen, ein Krieger würde selbst im Schlaf noch Kämpfen. In Realität sah das ganze weitaus weniger heldenhaft aus. Der Mann, dem dieser eingeschlafene Schlag gegolten hätte, kroch ganz vorsichtig und vor allem leise aus der Reichweite des dunklen Herrschers. Später verließ er das Schlachtfeld und entschied sich, Gärtner zu werden. Lord Addrian hatte mehrere Schwerter, aber das Schwert, mit dem er den heutigen Kampf bestritt, war etwas besonderes. Nicht allein nur wegen seine Größe und seiner tödlichen Klinge, die aus Hämatit bestand, auch in seiner Bedeutung hatte es größeren Wert als seine anderen Schwerter. Die Sonne sank weiter und tauchte es in dunkelrote Lichtreflexe. Es war Zeit, sich zurückzuziehen. Nach und nach gingen die Krieger vom Schlachtfeld, schleppten sich und ihre Kameraden davon. Aus reiner Tradition wurden noch ein paar Drohungen für die nächste Schlacht ausgetauscht. „Morgen, ...oder Übermorgen... da könnt ihr was erleben!“ „Verzieht euch nur zurück in euer Loch, ihr, ihr... Ghule, ihr!“, bevor sie sich in ihre Lager zurückzogen. Drachenkopf ließen sie stehen. Er verließ nie das Schlachtfeld, morgen würde man ihn wecken und dann würde der Krieg ungebrochen weitergehen. Solange Adrrian dort stand, würden auch sie zurückkehren müssen, denn Adrrian war gewissermaßen der Krieg. Und er war alt. Und vor allem müde. Sie alle waren müde. Der Abend wurde schleichend zur Nacht und nach und nach linsten die Sterne als glitzernde Pünktchen zwischen den Wolkenresten hervor. Grau und unbeweglich wie eine Marmorstatue stand Adrrian Drachenkopf der Dritte noch immer da. Ein Standbild, das den vierten apocalyptischen Reiter symbolisierte. Mit erhobenem Schwert und bereit zum Kampf, stand er verlassen in der Ebene, während seine Soldaten sich in ihre Decken kuschelten. Doch trotzdem war der dunkle König nicht allein auf dem Schlachtfeld. Leise näherte sich ihm von hinten ein Schatten. Die Bewegungen wirkten für das menschliche Auge linkisch und unbeholfen, als wäre das Wesen nicht gewohnt, sich auf der Erde zu bewegen. Und auf Medlock traf das definitiv zu, denn er war ein Flederhund. Gerne hätte er sich seinem Ziel über die Luft hinweg genähert, doch hätte er dann seine Kreischlaute ausstoßen müssen um seine Beute, das Schwert, zu erkennen und das wäre gleich auf zwei Arten fatal gewesen: Hätte er dies getan, der dunkle König wäre sofort erwacht. Und dann wäre Medlock genau in der Reichweite seines Schwertes gewesen. Hier unten am Boden jedoch konnte er sich auf seinen Geruchssinn verlassen, ohne dass dieser vom Flugwind verweht wurde. So näherte er sich kraxelnd dem Herrscher. Keinen halben Meter von ihm entfernt stehend streckte er nun vorsichtig seinen linken Flügel aus, dessen ledrige Haut ganz vorne von einer lächerlich kleinen Kralle endete. Vor Aufregung knirschte er mit den Zähnen. Er konnte fast nichts erkennen in dieser blöden Dunkelheit! Nur die matten Lichtreflexe der Hämatitklinge im Sternenschein ließen ihn vermuten, wo sich das Schwert befand. Er reckte sich noch etwas mehr, benutzt den anderen Flügel dazu seinen pelzigen, dürren Körper so weit wie möglich vom Erdboden wegzudrücken. So verkrampft erstarrt tastete er so hauchzart, dass er damit eine Fliege hätte streicheln können. Hah! Harte, glatte Oberfläche, da war es ja, das Schwert! Einziges, aber ziemlich großes Problem: Drachenkopf hielt es noch immer in der Hand. Er ließ die Kralle etwas sinken. Mist. Linkisch schlich er um den Kriegsherrn herum, den mit Sternen gesprenkelten Himmel als Spiegelung in den Augen, die Kralle noch immer erhoben. Nun sah er ihn von vorne und das Gefühl, dass sich seine Augen jederzeit öffnen konnten um das Schwert auf ihn heruntersausen zu lassen, ließ ihn seine Nackenhaare sträuben. Mit seinem Mittelfinger strich er über die den Handballen seiner Majestät. Die Finger zuckten leicht. Medlocks andere Kralle stieg nach oben, während er den König weiter kitzelte. Ja... jaaaa... Falten durchzogen die Stirn von Adrrian wie Blitze einen Gewitterhimmel und er stieß einen zornigen Laut aus. Medlock fror ein und wähnte sein letztes Stündlein geschlagen. „Elster... hör aufmichzukitzeln...“ Medlocks schwarze Augen waren groß wie Fußbälle. Er unterdrückte den Drang davon zu laufen, stattdessen ließ er seine angehaltene Luft entweichen und begann zu säuseln. „Ich lass dich ja schlafen, Schatzi. Aber lass doch bitte dieses dumme Schwert los, ja...?“ Adrrians Gesichtsausdruck wurde weicher, er maulte. „Dasis kein dummes... Schwert...“ „Jaaaa, ich weiß doch, mein Schatz... aber hier im Bett hat das doch ganz sicher nichts zu suuuchen...“ Medlock, von seinem Triumph und dem nahen Tod benebelt, forderte sein Glück heraus und kitzelte wieder sein Handgelenk. „Jetzt lass schon los...!“, knurrte er. Und hapste dann. Aber das Gesicht des Herrschers glättete sich. Dann lächelte er. „Jajaaa... wie du willst, Liebste...“ Er ließ tatsächlich los. Das Schwert plumste ohne Gegenwehr in Medlocks andere Klaue. Wow... Lord Adrrian steht ja ganz schön unter der Fuchtel... Beide Fußkrallen um das Schwert geschlungen holte er mit den Flügeln feste Anlauf und glitt in die Nacht davon, auf der Flucht vor seinem eigenen, schnellen Herzschlag. Am nächsten Morgen erschütterte ein dumpfes Brüllen das Schlachtfeld. Es ließ die Kochen tief erzittern und vor Furcht traute sich keine der beiden Seiten in den Krieg zu ziehen. Die Schlacht ruhte zum ersten Mal seit vielen Jahren. Der dunkle König jedoch strich in Rage über das Land, auf der Suche nach seinem verlorenen Schwert. Er fand es nicht. Spätestens da ahnte er, dass etwas im Gange war, was besser nicht sein sollte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)