Roter Lotus von Chenoa_ (Im Bann des Blutsees) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Sie saß wie an allen Werktagen in ihrem Bus zur Schule. Es war ein alter klappriger Linienbus, bei dem man die Farbe kaum noch erkennen konnte. Auch die Sitze waren bereits abgenutzt. Von Jugendlichen in ihrem Alter, die nichts Besseres zu tun hatten , als das Polster mit ihren Schweizer Taschenmessern auf zuschneiden oder die Lehnen mit Edding voll zu schreiben. Der Bus war alles andere als angenehm. Morgens, wenn es noch dunkel war, funktionierten die Lichter nicht, also war es unmöglich noch vor der Schule seinen Stoff zu lernen. Jedes Mal, wenn der Bus in eine Haltestelle einfuhr, quitschten die Reifen so laut, dass man sich fast die Ohren zuhalten mußte. Und nach jeder Station füllte sich der Bus mehr und mehr. Ander letzten Station waren sogar die Gänge überfüllt. Wie man so etwas Schülern nur zumuten kann. Doch trotz des lärmes und des stark gebauten Mannes neben ihr versuchte sie sich zu konzentrieren. Es war unangenehm. Er roch nach Zwiebeln und wenn er sich mit einem Arm an der anderen Achsel kratzte, was er komischerweise sehr häufig tat, schwabbelte das überflüssige Fett an seinem Oberarm. Er trug ein T-Shirt, obwohl es eigentlich ziemlich kalt war. Gerade, als sie sich wieder über ihre Latein-Vocabeln beugte, angespannt und erpicht darauf die Wörter in ihr Gedächtnis zu schweißen, hustete er und der gesamte Sitzplatz wackelte. Ein tolles Gefühl, zu wissen, man würde an jenem Tag eine wichtige Arbeit schreiben und das, ohne auch nur ein paar Minuten dafür gelernt zu haben. Sie schlug ihr Buch verzweifelt zu und holte ihren MP3-Player aus ihrer schwarzen Schultasche und wickelte das Kabel der Kopfhörer ab. Versunken in die Melodie ihres Lieblingsliedes schloss sie die Augen und entspannte sich. Doch das Leben kehrte zurück, als der Bus plötzlich einen lauten Knall von sich gab. Sie blickte sich um. Scheinbar hatte niemand außer sie diesen Krach mitbekommen. Na gut, dachte sie, dann war das eben nur Einbilbung. Sie hörte weiter ihre Musik, als es erneut krachte. Sie blickte zu dem Herrn neben sich. Sein Gesicht war rötlich und immer wieder rümpfte er seine Knollnase. Nichts. Er hatte einfach gar nichts bemerkt. Obwohl es doch so laut war, dass sie es selbst durch die Musik hörte, die sie voll aufgedreht hatte. Bis zur letzten Station kam nichts Außergewöhnliches mehr vor. Sie stieg aus dem abgenutzten Bus aus mit den Kopfhörern in den Ohren und marschierte wie gewohnt zur Schule. Vorbei an älteren Reihenhäusern und kleinen Gassen. Sie hasste diese Stadt. Alles voll von Autos und stinkenden Maschinen. Sie war auf dem Land aufgewachsen und lebte gerne dort. Frische Luft und ein wundervoller Ausblick auf riesige Wälder und gigantische Feldreihen. Sie geht dort gerne mit ihrem Hund spazieren, gerade deshalb, weil sie es liebt zu sehen, wenn Tiere frei sind. Wie sie sich an der Landschaft erfreuen, herum springen oder den Sorgen einfach entfliehen. Wie sie den Vögeln hinterher jagen, die sich mit wenigen Flügelschlägen in die Lüfte erheben. Wie wäre es wohl, einfach weg zu fliegen, ohne sich Gedanken zu machen, was in der Zukunft passiert? Die Freiheit geniessen, die man eigentlich verdient hätte. Jeden Tag liefert man eine bestimmte Leistung ab und wird dafür auch noch bewertet. Ein Zwang, dem man nicht mehr entgehen kann, und den man früher nicht gebraucht hat. Im Klassenzimmer angekommen lächelte sie jeder an, aber niemand begrüßte mit ihrem Namen. Sie knallte ihre Schultasche auf ihren Tisch und kramte das Lateinbuch heraus um die Grammatik noch ein wenig zu wiederholen, bevor die Arbeit ausgeteilt wurde. Es waren längst noch nicht alle anwesend. Erst nach ein paar Minuten kamen die Letzten schnaufend ins Klassenzimmer, manche noch mit Karteikarten in der Hand oder ihrem Buch. Erschöpft und enttäuscht darüber, dass sie die Grammatik einfach nicht vertand, schlug sie ihr Buch und knallte ihren Kopf auf den Tisch. Klasse, dachte sie, wieder eine schlechte Note im Anmarsch. “Na, du?” “Hä?” Sie blickte auf. Ihr bester Freund Mohinder hatte sich auf den Tisch neben sie gehockt und blickte sie mit seinen dunklen Augen freundlich an. Er war derjenige, der sich immer für sie einsetzte, oder sie aufmunterte, wenn sie schlecht drauf war. “Hast du gelernt?” “Nö, du?” “Frag nicht so blöd, klar hab ich! Bin doch nicht so´n Loser wie du!” Er lachte. Das tat er gerne. Sie zu ärgern war eine seiner Lieblingsnbeschäf- tigungen. Denn egal in welchem Fach, er war immer besser, als sie je zu sein schien. Der Lehrer betrat mit strengem Gesicht den Raum. Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte er einmal in die Runde und begutachtete danach die Tafel. Nachdem jeder zur Ruhe gekommen war, setzte er seine Brille auf und zog die Prüfungsblätter aus seiner braunen Ledertasche, die so aussah, als würde sie gleich in ihre Einzelteile zerfallen. Sobald die Blätter ausgeteilt wurden drohten einige der Mädchen fast in Ohnmacht zu fallen. “Ich bin so was von tot.” “Das glaub ich dir aufs Wort, so wie du heute ausschaust.” Er kicherte. Seine indische Abstammung kam dann immer zur Geltung. Er hatte weiße Zähne wie kein anderer und unter seiner dunklen Haut strahlten sie einen richtig an, ohne, dass er viel grinsen musste. Der Lehrer erlaubte nun, die Arbeitsblätter um zudrehen. Der erste Blick genügte, um zu sehen, dass sie kein Wort von dem verstand, was auf dem Blatt stand. “Wie ging es dir?”, fragte Mohinder. “Du kennst die Antwort, also frag nicht so scheinheilig.” “Du kannst einem echt den Tag vermiesen.” Mohinders Gesicht bekam einen ärgerlichen Ausdruck. So hatte er seit einer Ewigkeit nicht mehr geschaut. Es ergriff sie ein schlechtes Gewissen. “Tut… tut mir leid… ich wollte dich nicht böse machen. Ich weiß einfach nicht, was ich noch gegen meine schlechten Noten machen soll.” “Wie wärs mit Lernen?” Es erschlich sich wieder ein Lächeln auf seinem Gesicht. “Hab ich schon versucht. Klappt alles nicht.” Sie sah zu ihm auf. Er war be- stimmt einen Kopf größer als sie. “Und was ist mit Nachhilfe?” “Naja… man kanns ja mal versuchen…-” “Gut”, brach er sie ab. “Dann komm heute um fünfzehn zu mir und wir versuchen es mal zusammen, ja?” Sie stockte. Mohinder hat wirklich vor ihr Nachhilfe zu geben? Komisches Gefühl. Er blickte sie erwartungsvoll an. “Na, was ist?” “O-ok…” Es fühlte sich gut an, zu wissen, dass der Einzige, der einem noch zur Seite steht, jemanden so unterstützt. Zu wissen, dass man dort, wo man jetzt steht sicher vor jedem Verrat ist. “Avi?” Sie schreckte aus ihren Gedanken auf. “Ja, ´tschuldigung…” “Macht doch nichts. Sag mal, wie lange hast du heute Abend noch frei?” “Naja, die ganze Zeit eigentlich.” “Sehr gut! Dann gehen wir gleich nach der Nachhilfestunde ins Kino, was meinst du?” Sie nickte lächelnd. Ein tolles Gefühl! Die Türklingel klingelte um Punkt fünfzehn Uhr. Avi hörte Schritte, einen dumpfen Schlag ein lautes Fluchen und kurze Zeit drauf ging die Tür auf. “Hi, Avi.” Sie fing lautstark an zu lachen. Erstaunt blickte sie Mohinder an, was ihren Lachanfall nicht verminderte. “Was denn?” Auch er musste anfangen zu lachen. Kichernd betraten sie nun das Haus. Es war sehr groß, eher schon eine Villa. Überall standen goldene indische Götter, die Wände waren mit Bildern mit goldenen Rahmen und Teppichen geschmückt. Als sie das Wohnzimmer betraten viel ihr das große Gemälde über dem Kamin auf. “Das sind meine Großeletern”, sagte Mohinder, während er auf den kleinen Tisch in der Mitte des Zimmers zuging. Es waren bereits die Lateinbücher, Blöcke und Stifte darauf vertielt. Avi fing an ein wenig zu zittern. Es sind doch nur Nachhilfestunden bei Mohinder, dachte sie, ich kenne ihn doch schon so lange. Was ist denn mit mir los? “Alles in Ordnung?” “Was? Ja, sicher…. Ich habe nur… Angst, dass das auch nichts bringt.” “Also bei dem Lehrer!” Sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Sie war erleichtert, denn ihr zittern hatte ein wenig nachgelassen. Sie setzten sich und fingen mit der leichtesten Übung an. Avi machte große Augen, als sie plötzlich alles ganz einfach fand. So wie Mohinder es ihr erklärte, war es viel besser als in der Schule. Zum Abschluss ließ sie Mohinder noch eine letzte Aufgabe machen. Er korrigierte sie und grinste. “Nur ein einziger Fehler. Ich bin beeindruckt von dir, Avi.” Sie jubelte. Das war alles so einfach gewesen. Sie blickte auf die vergoldete Uhr an der Wand. Es war bereits achtzehn Uhr. Es kam ihr vor wie eine Stunde. “Also, dann! Zieh dich an, damit wir noch rechtzeitig ins Kino kommen. Das fängt um halb sieben an und wir brauchen noch Karten.” Schnell zogen sie ihre Mäntel an und zogen die Tür hinter sich zu. Zu Fuß brauchte es zehn Minuten bis zum örtlichen Kino. Unterwes unterhielten sich die beiden über denn gewaltigen Fortschritt von Avi. “Das hatte ich gar nicht von mir erwartet.” “Ich auch nicht, aber ich bin stolz auf uns. Ich hab gleich gesagt, das wird was.” “Ja, ich geb´s zu!” Als das Kino in Sicht kam, sahen sie auf die Uhr. Es waren nur noch fünf Minuten. Mohinder packte Avi an der Hand und rannte mit ihr im Schlepptau bis vor zur Kasse. Keuchend bat Mohinder um zwei Karten. “Kuschelbank oder einzeln?” “Was? Ähm…” Erst jetzt merkten sie, dass sie immer noch ihre Hände hielten. Mohinder wollte etwas sagen, doch Avi kam ihm zuvor: “Eine Kuschelbank, bitte.” “Zahlen sie zusammen oder getrennt?” Dieses Mal ergriff Mohinder das Wort. “Ich zahle. Aber jetzt los, sonst verpassen wir den Anfang.” Kichernd und immer noch händchenhaltend liefen sie in der Saal. Sie kamen gerade noch rechtzeitig bevor der Film anfing. “Das war klasse!” Die wenigen Leute gingen noch mit Lachtränen in den Augen aus dem Saal. “Den muss ich mir auf DVD kaufen!” “Hast du mitbekommen wie er…” Lachend und kichernd entfernte sich das Stimmengewirr während Avi und Mohinder noch auf ihren Plätzen saßen und sich den Abspann ansahen. Nach einer Schweigepause sahen sie sich in die Augen. “Avi… ich… liebe dich.” Sie stockte. Hatte er das jetzt wirklich gesagt? War das, was sie fühlte das gleiche gewesen? Sie kamen sich immer näher, bis sich ihre Lippen sanft berührten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)