Santa ... Seto? von moonlily (Eine schöne Bescherung) ================================================================================ Prolog: -------- Santa ... Seto? – Eine schöne Bescherung Eine Seto-Weihnachtsgeschichte der anderen Art Nun, wie heißt es so schön ... erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. ^^ Ich weiß, eigentlich sollte ich bei meiner FF Fullmoon weiterschreiben, aber die Idee zu dieser Geschichte hatte ich schon während meines Praktikums im Oktober, darum ziehe ich sie jetzt erst einmal vor. Also seid mir nicht böse. Und nun ohne weitere Vorrede: Viel Spaß! ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ Prolog „Seto, jetzt komm endlich, wir müssen los!“ Mokuba klopfte ungeduldig an die Tür zum Arbeitszimmer seines großen Bruders. Von drinnen war nur ein gebrummtes „Ja, gleich“ zu hören. Der Junge legte unzufrieden die Stirn in Falten und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die er zu seinem letzten Geburtstag bekommen hatte. Die goldenen Zeiger bewegten sich mit beängstigend raschem Tempo über das Zifferblatt, es war kurz nach fünfzehn Uhr. Wenn sie nicht bald aufbrachen, würden sie sich kolossal verspäten. Eine Sache, die einem Kaiba nicht passieren sollte. Anscheinend hatte sein lieber Bruder das vergessen – auch wenn er sich das kaum vorstellen konnte, so perfektionistisch, wie Seto war. Entschlossen drückte Mokuba die Klinke herunter und öffnete die Tür. Ihm flutete gleißendes Neonlicht entgegen, das ihn blendete, da er bis eben auf einem im Halbdunkel liegenden Flur gestanden hatte. Seto musste jede einzelne Lampe seines Büros eingeschaltet haben, um auch den letzten Rest Dunkelheit aus dem Zimmer zu vertreiben. Auch wenn es noch eine Weile hin war, bis die Sonne unterging, lag heute alles in Dämmerlicht dar. Der Himmel hatte sich bezogen, die dichten, grauen Wolken ließen keinen einzigen Sonnenstrahl mehr hindurch und zwangen die Menschen viel früher als sonst, die Lampen anzuzünden. Seto saß an seinem aus massivem Mahagoniholz gefertigten Schreibtisch und tippte mit seinen langen, schlanken Fingern in atemberaubender Geschwindigkeit auf der Tastatur seines Laptops. Seine Augen wandten sich nur für wenige Sekunden zur Tür hin, mit einer derartig knappen Bewegung, dass man sie nur bei genauem Hinsehen bemerkte. Ansonsten registrierte er das Eintreten Mokubas lediglich mit einem kurzen Hochziehen der rechten Augenbraue, um seine volle Konzentration sofort wieder seiner Arbeit zuzuwenden. Sein Gesicht war hart und ernst, wie immer, wenn er arbeitete. Mokuba blieb im Türrahmen stehen und sah abwartend zu ihm. „Seto, bitte komm, wenn wir erst in den Stau geraten, werden wir garantiert zu spät kommen.“ „Gleich, Mokuba, ich will nur noch schnell diese Kalkulation fertig machen“, antwortete er, ohne seine Arbeit auch nur eine Sekunde zu unterbrechen. „Das hast du vor einer halben Stunde auch schon gesagt“, murrte der Kleine. „Mokuba, das ist wirklich sehr wichtig.“ Er näherte sich dem Schreibtisch langsam und setzte ein bittendes Lächeln auf. Diesem Gesichtsausdruck hatte sein Bruder bisher noch nie widerstehen können. „Seto ...“, begann er. „Nur noch fünf Minuten, Mokuba“, sagte Seto und tippte weiter. Nun wurde Mokuba langsam ungehalten. Wenn das so weiterging, würden sie heute überhaupt nicht mehr wegkommen. Dann wären seine vielen endlosen Gespräche, die er in den letzten Wochen mit Seto geführt hatte, um ihn von seiner Idee zu überzeugen, völlig umsonst gewesen. Dabei hatte er sich solche Mühe gegeben. „Bitte, Seto, es ist wirklich Zeit. Es sind nur ein paar Stunden –“ „In denen ich noch einiges schaffen könnte“, murmelte er leise. Er schien es mehr zu sich selbst gesagt zu haben, doch sein kleiner Bruder hatte jedes Wort genau gehört. „Es handelt sich doch nur um ein paar Stunden. Danach kannst du sofort an deinen Laptop zurück, versprochen. Aber bitte lass uns jetzt gehen. Du hast es mir versprochen!“, schniefte Mokuba. Endlich sah Seto von seiner Arbeit auf und zum ersten Mal schien er überhaupt wirklich zu bemerken, dass er sich seit einigen Minuten nicht mehr allein in seinem Büro befand. Mokuba sah ihn mit großen bittenden Augen an. Ein Seufzen kam über Setos Lippen und sein Blick richtete sich kurz zur Zimmerdecke. Wann nur hat Mokuba es gelernt, so zu schauen?, dachte er. Wenn er ihn so ansah, konnte er ihm nie etwas abschlagen – und das wusste sein kleiner Bruder nur zu gut, denn er benutzte diesen Blick gerne, ganz besonders, wenn er irgendetwas wollte. Seine Augen überflogen den hell leuchtenden Bildschirm, auf dem sich Datenreihe an Datenreihe reihte, eng aufeinander folgend standen dort Zahlen und Buchstaben, die er vor kurzem dort selbst eingetippt hatte. Er war schon den ganzen Tag am Arbeiten und dennoch nicht so weit, wie er es vorgehabt hatte. Es hatte in der Kaiba Corp ein Problem mit dem neuen Programm gegeben, das er zurzeit entwickelte, das hatte ihn heute einige Stunden gekostet. „Also schön“, sagte er dann, „aber gib mir wenigstens noch eine Minute, damit ich in Ruhe abspeichern kann.“ Er bewegte den Mauszeiger zu dem Diskettensymbol am oberen Bildschirmrand und klickte mit der Maus darauf. Danach schloss er das Programm und fuhr den Laptop schweren Herzens herunter. Versprochen war schließlich versprochen. Mokuba lächelte ihn zufrieden an. Dem Kleinen stand jedoch auch die Ungeduld ins Gesicht geschrieben, die mit jeder von Setos Bewegungen weiter wuchs. Er klappte mit einer unbeschreiblichen Gemütsruhe den Deckel des Laptops zu und trennte das Gerät vom Stromnetz. Sein Bruder stand daneben, verschränkte die Arme vor der Brust und tappte in regelmäßigen Abständen mit der Fußspitze auf den Boden. Manchmal konnte ihn Seto mit seiner Art schon in den Wahnsinn treiben. Seto schaltete die Lampe an seinem Schreibtisch aus und rückte mit dem Bürostuhl, der mit blauem Leder, passend zu seinen Augen, bespannt war, ab, um aufzustehen. Er warf einen Blick durch das Panoramafenster. Wie er diese grauen Tage hasste, an denen der nächste Regenschauer jederzeit über einen hereinbrechen konnte. Nicht dass er viel von dem Wetter mitbekam – dafür verbrachte er zu viel Zeit vor seinem Laptop. Wenn man wie er eine Firma leitete, blieb keine Zeit dazu, sich mit längeren Landschafts- oder Wetterbeobachtungen zu beschäftigen. Allerdings führte schlechtes Wetter bei ihm in letzter Zeit immer häufiger zu Kopfschmerzanfällen, was ihn wiederum bei seiner Arbeit störte. Er nahm seinen weißen Mantel vom Haken, löschte auch die restlichen Lichter und verließ gemeinsam mit Mokuba das Büro. Dieser hüpfte auf ihrem Weg durch die langen Flure der Villa Kaiba immer einige Schritte vor ihm her und pfiff ein Weihnachtslied. Seto brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass es „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ war. Wann hatte er das letzte Mal gesungen? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Aber er würde singen – sobald es ihm endlich gelungen war, Yugi im Duell zu schlagen. Der nächste Duelltermin stand schon fest, am Neujahrstag. So verlor er wenigstens keinen Arbeitstag, denn der 1. Januar war ein offizieller Feiertag und somit hatte selbst die Kaiba Corp geschlossen. Notgedrungen, versteht sich. Während sie durch die von großen Leuchtern erhellte Eingangshalle marschierten, schlüpfte Seto in seinen Mantel. Mokuba war längst angezogen, er hatte Jacke und Schal bereits getragen, als er in sein Büro gestürmt war. Als Seto die Haustür erreichte, blieb er stehen. „Muss das wirklich sein, Mokuba?“, fragte er. Der Angesprochene drehte sich mit einem so ungläubigen Blick um, als hätte er ihn gerade gefragt, ob er mit Duell Monsters aufhören sollte. „Das haben wir in den letzten Wochen ja wohl mehr als genug ausdiskutiert.“ „Aber es würde vollkommen ausreichen, wenn wir die Sachen hinschicken, so wie jedes Jahr.“ „Eben, wir machen es jedes Jahr so. Und deshalb ist es eine nette Abwechslung, sie selbst hinzubringen“, sagte Mokuba und wandte sich der wartenden Limousine zu. Kapitel 1: Von Erinnerungen und zu heißem Kaffee ------------------------------------------------ Kapitel 1 Von Erinnerungen und zu heißem Kaffee Der Wagen hielt und Roland, der gefahren war, stieg aus. Seto musterte mit einem für jeden anderen Menschen unverständlichen Interesse das Stoffmuster der Kopfstütze des Sitzes vor ihm. Auf der Fahrt hatte er sich wohl mehr als tausend Mal gefragt, ob das, was sie vorhatten – oder eher, was Mokuba da vorhatte – nötig war. Bisher hatte es stets ausgereicht, jemanden damit zu beauftragen und sein kleiner Bruder hatte sich nie über diese Vorgehensweise beklagt. Seit einigen Wochen jedoch lag er ihm mit diesem abstrusen Wunsch in den Ohren, mit Sicherheit darauf spekulierend, dass er früher oder später nachgeben würde. Wie immer. Dennoch hätte er zu gern gewusst, wer Mokuba auf diese Schnapsidee gebracht hatte. Einen Verdacht hatte er zumindest, denn ihm klang dieses Friede-Freude-Eierkuchen-Gehabe sehr nach Yugi und seiner Clique. Er konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum sich Mokuba ausgerechnet mit seinem größten Rivalen anfreunden musste, dem Einzigen, der ihm den Titel „König der Spiele“ verweigerte. „Seto“, sagte Mokuba und blickte ihn fragend an. „Großer Bruder?“ Die Stimme des Elfjährigen riss ihn aus seinen Überlegungen heraus. Er nickte ihm zu. „Alles okay.“ Roland öffnete mit einer leichten Verbeugung die rechte Hintertür der Limousine und ließ die Kaiba-Brüder aussteigen. Außerhalb der behaglichen Wärme des Wagens empfing sie ein schneidender, eiskalter Wind, gegen den sie selbst ihre warmen Mäntel nicht vollkommen zu schützen vermochten. Vor ihnen erhob sich ein großes, graues Gebäude. Die Bäume, die auf dem Hof standen, hatten ihr Laub längst abgeworfen, immerhin war heute der 24. Dezember. Der Wind zerrte an den kahlen Ästen, rüttelte an den Schaukeln und Spielgeräten, die nun einsam und verlassen dort standen. Seto fröstelte leicht bei Anblick des Gebäudes. Es war Jahre her, seit er zuletzt hier gewesen war. Jahre waren vergangen, seitdem Gozaburo Kaiba im Kinderheim aufgetaucht war und Seto ihn zu einer Partie Schach herausgefordert hatte. Ihn, den großen Schachweltmeister. Und er hatte ihr Spiel gewonnen. Gozaburo hatte sein Versprechen einlösen und ihn und Mokuba adoptieren müssen. An jenem Tag hatte sich sein Leben für immer verändert, seine Kindheit hatte mit einem Schlag aufgehört. Von diesem Zeitpunkt an hatten Lernen und die strengen Pläne seines Adoptivvaters sein Leben bestimmt. Hätte er nicht seine Duel Monsters-Karten gehabt, hätte er nicht vor allem gewusst, dass er das alles für Mokuba auf sich nahm, hätte er diese Zeit nie durchgehalten. So jedoch hatte sie ihn stärker gemacht, stark genug für den Augenblick, an dem er Gozaburo gegenübergetreten war und ihm verkündet hatte, dass die Kaiba Corp nun ihm, Seto, gehöre. Ja, seither war viel Wasser die Bäche und Flüsse entlang zum Meer geflossen und doch stand ihm jenes schicksalhafte Treffen von damals so deutlich vor Augen, als wäre es erst gestern geschehen. Ebenso erinnerte er sich an seine letzten Worte, die er geflüstert hatte, bevor die Tür von Gozaburos Limousine hinter ihm zugeschlagen war: Er hatte sich geschworen, dieses Waisenhaus nie mehr zu betreten. Nun allerdings war er im Begriff, eben diesen Schwur seinem Bruder zuliebe zu brechen. Für niemand sonst auf der Welt hätte er das getan. Roland hob mit ein paar ächzenden Lauten den riesigen Sack aus dem Kofferraum und stellte ihn auf der asphaltierten Straße ab. Er war mit einer dicken roten Kordel zugeschnürt und bis oben gefüllt. Roland rieb sich verstohlen den Rücken, wie Seto unzufrieden bemerkte. Anscheinend hatte Mokuba bei der Auswahl der Sachen kein Ende finden können und wenn sich Roland deshalb ein Rückenleiden zuzog ... Das Gericht würde das mit hoher Wahrscheinlichkeit als Arbeitsunfall anerkennen und er würde die Kosten für die Massagen und anderen Behandlungen tragen dürfen, die sein Angestellter dann von diesen Quacksalbern, die sich Ärzte nannten, verschrieben bekam. Ein paar Päckchen weniger hätten es auch getan, der Sack sah schwer aus. Auf Mokubas Gesicht lag, sehr zu Setos Unverständnis, ein fröhliches Lächeln. Wie konnte er sich nur freuen, wieder hier zu sein, auch wenn es nicht mehr als ein kurzer Besuch war? Besonders während er sich danach sehnte, sich mit einer Tasse frisch gebrühtem Kaffee in sein Büro zurückzuziehen und in Ruhe arbeiten zu können. Es gab Tage, da verstand er den Kleinen einfach nicht mehr. Wie sollte das erst werden, wenn er richtig in die Pubertät kam? „Also, bringen wir es hinter uns“, sagte Seto und zog den Kragen seines Mantels enger um seinen Hals, um sich vor dem an Intensität zunehmenden Wind zu schützen. Roland wuchtete den Sack auf seinen Rücken. Seine Beine knickten unter dem Gewicht ein und er musste einige Schritte hin und her stolpern, um das Gleichgewicht zu finden. Dann machten sie sich zu dritt auf den Weg über den Hof. Mokuba lief vor und betätigte die Klingel. Der schrille Ton war im ganzen Gebäude zu hören. Der Direktor, ein rundlicher kleiner Mann mit allmählich ergrauendem Haar und Schnurrbart, öffnete ihnen persönlich die Tür. „Guten Abend, Kaiba-sama. Wir freuen uns sehr, Sie bei uns begrüßen zu dürfen“, sagte er mit einer Verbeugung. Seto quittierte seine Worte mit einem Kopfnicken. Wie immer waren seine Bewegungen knapp, auf das nötigste Maß reduziert. Nur das Verhalten von Direktor Kazuoka ihm gegenüber hatte sich verändert, und das nicht gerade wenig. Damals hatte er ihn behandelt ... ja, wie ein Kind eben. Nichts anderes war er damals auch gewesen. Heute hingegen war sein Verhalten so förmlich, um nicht zu sagen devot, als hätte sich der Kaiser persönlich die Ehre gegeben, im Waisenhaus vorbeizuschauen. Er trat zur Seite und ließ die drei Gäste herein. Seto ließ den Blick kurz durch die Eingangshalle schweifen. Es schien sich nichts verändert zu haben. Die Wände waren cremefarben gestrichen, an der Decke hingen die gleichen Lampen wie früher. Selbst der Geruch hat-te sich nicht verändert, warm, manchmal etwas stickig. Er hätte wetten können, dass auch die Stufe der Treppe immer noch knarrte und den Kindern, die sich abends in die Küche schlichen, um noch etwas Essen zu stibitzen, so ihre Probleme bereitete. Die Wände des Flurs, durch den sie der Direktor führte, waren mit Girlanden, aus buntem Papier gebastelten Sternen und Bildern geschmückt, die die Kinder gemalt hatten. Passend zur Weihnachtszeit zeigten die meisten Weihnachtsbäume, die Kinder mit dem Weihnachtsmann oder – und diesen Wunsch teilten sicher alle Bewohner des Waisenhauses – Eltern, die sie adoptierten. Als der Direktor die Flügeltüren öffnete, die zum Speisesaal führten, schlug ihnen nicht nur eine gewaltige Wärmewelle entgegen, dass ihnen in den dicken Mänteln nach dem Kälteschauer draußen nun richtig heiß wurde, sondern auch ein unbeschreiblicher Lärm. Die Kinder schrien und redeten wild durcheinander und schienen die Besucher noch gar nicht bemerkt zu haben. Der Direktor klatschte laut in die Hände. Seine dröhnende Bassstimme übertönte den Krach im Saal. „Kinder, bitte seid ruhig und stellt euch auf. Unser Besuch ist da.“ Sechsunddreißig Köpfe wandten sich der Tür zu und ihre Besitzer verstummten. Dann setzte unter einigen ein kurzes Flüstern ein. „Das ist Kaiba-sama.“ „Er ist es wirklich.“ „Sie haben uns nicht angelogen, ich hab dir doch gesagt, dass er heute kommt.“ Eine der jungen Erzieherinnen räusperte sich vernehmlich. Es wurde wieder ruhig und die Kinder stellten sich in mehreren Reihen hintereinander auf. Alle hatten ihre besten Kleider angezogen. Auf ein Zeichen der Erzieherin hin sagten sie gemeinsam: „Wir heißen Sie herzlich willkommen bei uns, Kaiba-sama, und wünschen Ihnen frohe Weihnachten!“ „Das wünschen wir euch auch“, sagte Mokuba. Seto spürte einen Finger in seiner Seite bohren und sah sich dazu genötigt, ein „Ja, genau“ hinzuzufügen, wobei die Worte nicht so ganz zu seinem etwas grimmigen Gesicht passen wollten. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als diesen lästigen Pflichttermin, zu dem ihn Mokuba gedrängt hatte, endlich hinter sich zu haben. Er hatte immerhin einen weltweit operierenden Konzern zu leiten, so etwas machte sich nicht von allein. Mokuba wusste ganz genau, wie viel Arbeit damit zusammenhing. Die Frau des Direktors setzte sich an das Klavier und schlug die ersten Takte von „Alle Jahre wieder“ an. Die Kinder, Mokuba und die Erwachsenen stimmten in das Lied ein. Um nicht weiter aufzufallen, bewegte Seto die Lippen, jedoch ohne dass ihnen ein Ton entschlüpfte. Er nutzte die Zeit, um den Speisesaal einer näheren, kritischen Betrachtung zu unterziehen. Auch hier waren überall diese kitschig bunten Girlanden aufgehängt, dazwischen baumelten große Glocken. Die Tische waren mit Tannenzapfen, Kiefernzweigen und roten Kerzen geschmückt. Es hat sich nichts verändert, dachte Seto. Außer meiner Einstellung zu diesem Kram. Er konnte sich kaum vorstellen, dass er einmal selbst zu diesen Kindern gehört hatte, die diese geschmacklose Dekoration als schön betrachteten. Oder richteten sich die Augen bereits auf den prall gefüllten Geschenksack, den Roland neben dem Weihnachtsbaum abgestellt hatte? Es hätte ihn nicht weiter gewundert. Wenn er da an Mokuba dachte ... An Heiligabend fragte er ihm Löcher in den Bauch, wann endlich Bescherung sei, obwohl er genau wusste, dass es die Geschenke erst am nächsten Morgen gab. Wenn er dann herunterkam, saß sein Bruder bereits unter dem Weihnachtsbaum und war mit dem Geschenke-Auspacken beschäftigt. Spätestens wenn er sich diesen zuwandte, um sie auszuprobieren, nahm er Seto für den Rest des Tages kaum noch wahr. Er stellte seinen Laptop dann im Wohnzimmer auf, um ihn im Auge behalten zu können. Trotzdem musste er sagen, dass sie Weihnachten in den letzten paar Jahren immer getrennt verbracht hatten, obwohl sie sich sogar im gleichen Raum befunden hatten. Weihnachten ... für Mokuba war es ganz offensichtlich das Fest der Geschenke. Für ihn hingegen waren es Arbeitstage, nur mit dem kleinen Unterschied, dass er zu Hause und nicht in der Firma seine Arbeit erledigte. Gerade um die Feiertage herum gab es am meisten zu tun. Der Verkauf lief auf Hochtouren und die von der Kaiba Corp produzierten Duel Disks, Stofftiere und vielen anderen Dinge, die zu ihrer Produktpalette gehörten, ließen die Kassen mehr klingeln aus sämtliche Weihnachtsglocken zusammen. Die Nachfrage war derzeitig so groß, dass es teilweise sogar zu Lieferschwierigkeiten gekommen war und man die Preise etwas hatte anziehen können. Auf diese Weise hatte er es innerhalb weniger Tage geschafft, die Kosten für die Geschenke, die an das Waisenhaus gingen, und die Weihnachtsfeier seiner Firma doppelt und dreifach wieder reinzukriegen. Er bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass das Lied zu Ende ging und schloss den Mund, um nicht wie ein Fisch auszusehen, der an Land lag und nach Luft schnappte. Ihm stieg der Geruch von Zimtsternen in die Nase, die auf großen sternförmigen Papptellern auf den Tischen aufgehäuft waren. Hoffentlich erwartete der Direktor nicht von ihnen, so lange zu bleiben, um mit ihnen Kaffee zu trinken. So etwas hätte ihm gerade noch gefehlt. Seto hatte damit gerechnet, dass sie nur die Geschenke ablieferten und dann nach Hause fahren würden. Von mehr war in den Gesprächen zwischen den beiden Brüdern nie die Rede gewesen. Wenn Mokuba ihn jetzt ausgetrickst hatte ... immerhin war er für sein Alter sehr klug. Wenn er später richtig in die Firma mit einstieg, würden ihm seine Fähigkeiten zugute kommen, er würde einmal keine Probleme bei den Verhandlungen mit Geschäftspartnern haben. Was ihm nicht an der Sache passte, war, dass er für seinen Bruder als Versuchskaninchen herhalten musste. Obwohl man in Setos Fall wohl eher von einem Versuchsdrachen sprechen konnte. Oder lasse ich mich da zu sehr auf Spekulationen ein?, überlegte er, wobei ihm einfiel, dass er auf dem besten Wege war, eine seiner wichtigsten Grundregeln zu vergessen: Halte dich stets an die harten Fakten. Er konnte keine Dinge in Mokubas Verhalten hineininterpretieren, die gar nicht da waren. „Möchten Sie eine Tasse Kaffee, Kaiba-sama?“ Seto blickte die junge Erzieherin leicht irritiert an, fing sich jedoch rasch. Ein Kaiba ließ sich nicht irritieren, von nichts und niemandem. „Nein danke, wir werden nicht sehr lange bleiben.“ „Oh, das ist schade. Wir hatten gehofft, Sie würden noch eine Weile bleiben und den Kindern ihre Geschenke geben.“ Trage ich einen roten Mantel oder einen langen weißen Bart? Wohne ich seit Neuestem am Nordpol?, fragte er sich und hatte Mühe, sie angesichts ihrer Worte nicht anzuschreien. Der Blick, der die Erzieherin stattdessen traf, war vernichtender als Worte es hätten sein können. „Hey, das ist eine tolle Idee“, klang es da aus einer Ecke und Seto wünschte sich heute nicht zum ersten Mal, sich verhört zu haben. Mokuba, umringt von den anderen Kindern, blickte seinen Bruder an. „Mir fehlt die Zeit für so etwas.“ „Die halbe Stunde hast du sicher noch Zeit. Immerhin ist Weihnachten“, versuchte er es weiter. Hartnäckigkeit, noch so eine Eigenschaft, die er mit seinem Bruder teilte. „Mokuba, wir müssen wirklich –“ „Herr Direktor, haben Sie etwas dagegen, wenn wir unsere Geschenke schon jetzt verteilen?“, wandte sich der Junge dem Mann zu. Dessen zustimmendes Nicken kam für Seto in dieser Sekunde einem Todesurteil gleich. Jetzt saß er noch länger hier fest. Er nahm sich vor, Mokuba für den nächsten Monat kräftig das Taschengeld zu kürzen. Und wenn er grad dabei war, konnte er Roland auch gleich das Gehalt stutzen, denn dieser machte sich an der Kordel des Sacks zu schaffen. Mokuba half ihm, den dicken Knoten zu entwirren, die Kinder drängten sich um sie und die Erwachsenen sahen nicht so aus, als wollten sie etwas dagegen unternehmen. Mokubas Hände tauchten in den Sack und zogen das erste, in buntes Papier gewickelte Geschenk heraus, das er einem kleinen Jungen überreichte. Während dieser zwischen den Kindern hindurchtauchte, um sich eine ruhige Ecke zum Auspacken seines Geschenks zu suchen, hatte Mokuba seine Arbeit wieder aufgenommen und beförderte die nächsten Päckchen zutage, die ihm augenblicklich aus der Hand genommen wurden. Seto beobachtete sie eine Weile. Der Sack leerte sich schnell, selbst das kleinste Päckchen wurde herausgefischt. Mokuba schien diese Aufgabe richtig Spaß zu machen. Die Strenge im Gesicht des jungen Firmenchefs milderte sich ein wenig. Er sah es lieber, wenn sein Bruder lachte und seine Kindheit genoss, denn in wenigen Jahren würde sie vorbei sein und auch für ihn der Ernst des Lebens anfangen. Er spürte, wie jemand an seinem Mantel zog, den er trotz der Wärme im Saal nicht abgelegt hatte, schließlich hatte er keinen längeren Aufenthalt hier eingeplant. Er sah um sich, konnte jedoch niemanden entdecken. Erneut wurde an dem teuren Mantelstoff gezogen und sein Blick senkte sich verärgert nach unten, um endlich den Grund für diese Störung auszumachen. Neben ihm stand ein etwa sechsjähriges Mädchen, dessen lange dunkelbraune Haare zu dicken Zöpfen geflochten waren. Sie schaute ihn aus großen, braunen Augen an und das mit einem Blick ... Joey hatte doch nur eine Schwester, oder? Mit diesen Hundeaugen hätte sie ihm gut Konkurrenz machen können. „Was willst du?“, fragte er. „Für die Geschenke ist Mokuba zuständig.“ „Ich weiß, mein Geschenk habe ich schon“, erwiderte sie und hielt ihre neue Schwarzes-Magiermädchen-Puppe hoch. „Vielen Dank, Kaiba-sama. Und fröhliche Weihnachten. Bitte, nehmen Sie das, das habe ich für Sie gemacht.“ Sie hielt ihm ein in der Mitte gefaltetes Blatt Papier entgegen. Er nahm es ihr aus der Hand, auch wenn er nicht so recht wusste, was er damit anfangen sollte. „Akiko, sieh mal, was ich gekriegt habe!“, rief ein Junge, der gerade die letzten Papierreste von einem Plüschtier entfernte, das wie der Weiße Drache aussah. „Ich komme, Shinji!“, sagte Akiko, ließ Seto stehen und lief zu ihrem Freund. „Lässt du mein Magiermädchen auf dem Drachen reiten?“ Seto wandte sich von ihnen ab. Es kam ihm eigenartig vor, die beiden Monster miteinander spielen zu lassen; wenn sie auf dem Duellfeld waren, bekämpften sie sich immer. Sein Blick schweifte ein weiteres Mal durch den Raum. Die Kinder hatten sich mit ihren neuen Spielsachen überallhin verteilt. Mokuba half Roland dabei, den Sack zusammenzulegen. Es war kaum zu glauben, dass er bis vor kurzem noch all diese Sachen enthalten hatte, die nun für so viel Lärm sorgten. Setos Hand fuhr an seinen Kopf. Mokuba konnte, wenn er wollte, genug Krach für sechs machen, aber eine ganze Horde Kinder ... Das war schwerer zu ertragen als ein großer Aktieneinbruch an der Börse. Hinter seiner hohen Stirn machte sich ein leises Pochen breit. Kopfschmerzen hatten ihm jetzt gerade noch gefehlt. „Achtung bitte. Vorsicht!“, rief da jemand hinter ihm. Seto sah auf und drehte sich mit dem Oberkörper in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Da spürte er etwas Heißes, Nasses an seinem Arm und seiner Brust. Was ihn getroffen hatte, konnte er sagen, ohne hinzuschauen. Den Geruch kannte er nur zu gut, wehte er doch tagtäglich durch sein Büro. Als er an sich heruntersah, um sich das Ganze anzusehen, konnte er jedoch nur mit Mühe einen zornigen Schrei unterdrücken. Sein ehemals sauberer weißer Mantel schmückte sich mit einem riesigen dunkelbraunen Fleck, der auch die Ärmel in Mitleidenschaft gezogen hatte. Er mochte Kaffee ja wirklich sehr gern und nach einer langen, durchgearbeiteten Nacht mochte er für ihn hin und wieder so etwas wie ein Lebenselixier sein, doch drin baden wollte er sicher nicht. Sein Blick und damit seine gesamte noch nicht ausgesprochene Wut richteten sich auf ein siebzehnjähriges, braunhaariges Mädchen, das vor ihm auf dem Boden hockte. Die leere Kaffeekanne in ihrer Hand zeigte ihm mehr als deutlich, dass sie dafür verantwortlich war, dass er wie eine ganze Kaffeeplantage roch. Schon lag ihm ein „Sie sind gefeuert!“, auf der Zunge, als er sich daran erinnerte, dass sie ja überhaupt nicht für ihn arbeitete. Stattdessen zischte er: „Wie kannst du es wagen!“ Mit einer gewissen Befriedigung stellte er fest, dass sie zu zittern begann. Mokuba hatte sich gerade ein Plätzchen genommen, als er den Wutschrei seines Bruders hörte. Dieser sah für ihn jedoch momentan verdächtig nach einem sehr gereizten Stier aus, der jeden Augenblick losrennen und das Mädchen auf seine Hörner nehmen würde. Bei seinen Mänteln verstand er keinen Spaß. Jeder war ein Einzelstück und hatte nicht unbedingt wenig gekostet. Diese Kaffeeattacke musste ihm wie ein Sakrileg vorkommen. Mokuba ließ das Plätzchen auf den Teller zurückfallen und war mit wenigen Schritten bei seinem Bruder, der sich vor dem Mädchen aufgebaut hatte, die Arme in die Seiten gestemmt und mit einem Gesichtsausdruck, als stünde ihr das Jüngste Gericht bevor. Mit dieser Vermutung lag er wahrscheinlich noch nicht einmal so daneben – und Seto hatte den Vorsitz. „Seto, ich glaube, wir sollten gehen“, äußerte er vorsichtig und tippte ihn an. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was dieser Mantel gekostet hat?“, setzte Seto seine Schimpftirade fort. „Für den hab ich ein kleines Vermögen hingeblättert.“ „Seto!“, kam es nun eindringlicher von Mokuba. „Bitte lass uns gehen.“ Die Frau des Direktors eilte zu ihnen, einen Stapel Weihnachtsservietten mit Sternendruck in der Hand, mit denen sie versuchte, den entstandenen Schaden zu beheben. „Bitte verzeihen Sie ihr, Kaiba-sama, Sakura ist manchmal sehr ungeschickt.“ Dann wandte sie sich an das Mädchen, das Gesicht krebsrot vor Aufregung, dass sie kaum noch einen richtigen Satz zustande brachte. „Marsch ... dein Zimmer – kein Abendbrot.“ Sakura stellte die Kanne auf einem Tisch ab und verließ den Saal. Setos Augen folgten ihr bis zur Tür. Im Raum war es leise geworden, so dass sie jeden ihrer Schritte durch den Flur und die Treppe herauf hören konnten. Eine der Stufen gab ein knarrendes Geräusch von sich. Dann schlug eine Tür zu und es herrschte Ruhe. Seine Hand ballte sich und zerknitterte das Papier, das ihm Akiko geschenkt hatte. Er fegte die Hand von Frau Kazuoka, die immer noch mit den Servietten an ihm herumtupfte, unwirsch zur Seite. Das Papier entglitt seinen Fingern, flog durch die Luft und landete unter einem der Tische. „Lassen Sie das. Mokuba, wir gehen, auf der Stelle.“ Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Seto voraus, gingen er, Mokuba und Roland im Sturmschritt durch den Saal. Herr Kazuoka folgte ihnen, wobei er ununterbrochen Entschuldigungen und Bitten um Verständnis murmelte. „Sie werden von meinen Anwälten hören“, sagte Seto noch, bevor er durch die Haustür ging. „Ich verlange Schadenersatz.“ Der Direktor schluckte schwer. Die drei marschierten zur Limousine zurück. Roland bekam kaum so schnell die Hintertür auf, wie sein Chef bei ihm war und in das Wageninnere drängte. Mokuba warf einen letzten Blick auf das Haus, dann stieg auch er ein, eine verkniffene Miene zur Schau tragend. Sein schöner Plan, in wochenlanger Kleinarbeit erstellt, war durch dieses verdammte Ereignis zunichte gemacht worden. Seto war immer noch sauer, als sie nach Hause kamen. Er zog den Mantel aus, kaum dass sie durch die Tür gekommen waren. Das nun weiß-braun gefleckte Kleidungsstück segelte zu Boden wie eine Fahne. Roland hob es auf und betrachtete es stirnrunzelnd. Das sah nicht danach aus, als würde er heute pünktlich Feierabend machen können. Er musste zumindest versuchen, die Flecken zu entfernen, solange sie noch frisch waren. Ansonsten würde sich eine Reinigung mit dem empfindlichen Material beschäftigen müssen. Sein Chef stapfte die Treppen hinauf, kurz später konnte man hören, wie er die Tür seines Büros zuknallte. Kapitel 2: Nächtliche Überraschung ---------------------------------- Hallo, da bin ich wieder mit dem nächsten Teil von Santa ... Seto?, ich hab die Weihnachtstage natürlich kräftig zum Schreiben genutzt. Kapitel 2 Nächtliche Überraschung Er blieb bis zum Abendessen in seinem Büro und ließ seine Wut an der Tastatur aus. Es dauerte, bis er sich beruhigt hatte, zumal er ständig Tippfehler produzierte, die das Feuer seines Zorns neu anfachten. Als das Telefon klingelte und Mokuba ihn bat, zum Essen herunterzukommen, war er noch lange nicht so weit, wie er geplant hatte. Seto sah auf die Uhr, es war halb acht. Eigentlich hatte er überhaupt keinen Appetit. Aber er konnte sich ja zumindest zu seinem Bruder setzen, wenn dieser aß. Er sah kurz seine Akten durch. Seine Marketingabteilung hatte ihm gestern das neue PR-Konzept vorgelegt, das er noch durchlesen musste. Den Ordner unter den Arm geklemmt, stand er auf und machte sich auf den Weg ins Esszimmer. Über Weihnachten hatte der größte Teil des Personals frei und Mokuba hatte in Setos Lieblingsrestaurant The Garden Sushi bestellt, das vor einigen Minuten geliefert worden war. Er hatte es bereits auf großen Tellern angerichtet und mit den Sojasoßenschälchen aus der Küche gebracht. Seto ließ sich auf seinem Platz nieder und legte den Ordner neben sich. Er versenkte sich in die Vorschläge seiner Marketingexperten und war gerade auf der ersten Seite der Kostenkalkulation angelangt, als ein leises Zischen ihn aufblicken ließ. Vor ihm flammten mehrere weiße Kerzen auf, die in einem silbernen Leuchter steckten. Mokuba blies das Streichholz aus und setzte sich. „Hast du heute so viel zu tun, dass du dir auch zum Essen Akten mitnehmen musst?“, fragte er mitleidig. „Als CEO hat man nun mal so viel zu tun“, antwortete Seto und wandte sich seiner Akte zu. „Also musst du noch lange arbeiten?“ Mokuba griff mit den Stäbchen nach einem Stück Sushi, tauchte es kurz in die Soße und schob es sich in den Mund. „Davon kannst du ausgehen. Es wird heute wahrscheinlich sehr spät werden.“ „Schade, ich hab gedacht, wir setzen uns noch zusammen und sehen fern. Heute läuft Dickens Weihnachtsmärchen.“ „Diesen Geisterunsinn tu ich mir nicht an“, murmelte Seto. „Diese Geschichte ist ja fast so haarsträubend wie Yugis dauernde Fantasien von dem angeblichen Geist eines Pharao, der in seinem Puzzle lebt.“ „Gelebt hat“, korrigierte ihn sein Bruder ruhig. „Erinnere dich mal an diesen Sommer, als wir alle in Ägypten waren.“ „Hör mir bloß mit diesem Quatsch auf, von wegen er sei ins Totenreich gegangen. Ich glaube, du verbringst zu viel Zeit mit Yugi.“ „Aber findest du es nicht merkwürdig, dass vor zwei Monaten sein angeblicher Cousin Atemu hier aufgetaucht ist und fast genau wie er aussieht?“ „Das nennt man Familienähnlichkeit“, sagte Seto. „Oder willst du behaupten, er wäre jetzt auch noch zurückgekommen, weil es ihm im Jenseits zu langweilig war?“ „Es war ja nur eine Vermutung“, sagte Mokuba. „Willst du nichts essen?“ „Ich hab keinen Hunger.“ „Nicht mal auf einen kleinen Happen Sushi?“, versuchte er es weiter. „Wenn du heute noch lange arbeiten willst, kannst du dich schließlich nicht mit leerem Magen hinsetzen.“ Er sah von seinen Papieren auf, die er während ihres gesamten Gesprächs weiter gesichtet hatte. Mokuba hatte ordentlich zugelangt, der Kleine hatte eigentlich immer einen guten Appetit. Nur sein eigener Teller war noch genauso makellos, als wäre er eben erst aus dem Schrank geholt worden. Mit zögernden Bewegungen griff Seto nach den aus dunklem Holz gefertigten Stäbchen und nahm sich etwas von dem Essen. „Und, wie schmeckt es?“, fragte Mokuba, während sein Bruder kaute. „Gut, aber ich habe trotzdem keinen Hunger. Ich mache mir gleich noch einen Kaffee, der beruhigt mich im Moment eher.“ Er blätterte eine Seite in seiner Akte um. „Kannst du deine Arbeit nicht wenigstens zum Essen beiseite legen?“, beklagte sich Mokuba. „Heute ist schließlich Heiligabend und –“ „Ja, ja, ich weiß, dass du auf deine Geschenke wartest, aber die paar Stunden wirst du dich wie jeder andere auch noch gedulden müssen.“ Mokuba sah erst aus, als wollte er noch etwas sagen, drehte sich dann jedoch weg und schwieg. Seto vertiefte sich erneut in die endlosen Reihen von Zahlen und so bemerkte er nicht die wenigen Tränen, die seinem Bruder aus den Augen traten, auch nicht seine hastigen Bewegungen, mit denen er sie sich aus den Augenwinkeln wischte. „Möchtest du noch etwas essen?“, fragte er. Als Seto den Kopf schüttelte, räumte er das Geschirr zusammen und trug es rüber in die Küche. Die zweite Portion Sushi war noch fast vollständig, doch ihm war mittlerweile auch der Appetit vergangen. Er verstand seit einer Weile nicht mehr, was mit seinem Bruder los war. Seit sie aus Ägypten zurück waren, hatte sich so vieles geändert. Seto vergrub sich seither nur noch in seiner Arbeit. Sie waren bislang noch nicht einmal mit ihren Plänen für eine Kette von Vergnügungsparks weitergekommen. Dabei hatte er sich so auf die Zusammenarbeit mit seinem Bruder gefreut. Wohn- und Esszimmer waren in der Villa zu einem großen Raum zusammengefasst. Mokuba ließ sich im Wohnbereich auf der riesigen L-förmigen Couch nieder und schaltete den Fernseher an. Es lief gerade noch Werbung, doch es konnte sich nur noch um wenige Minuten handeln, bis der Film anfing. Er schlürfte an der Cola, die er sich aus der Küche mitgenommen hatte, und spähte zu Seto herüber. Dieser saß nach wie vor am Esstisch und sah mit konzentrierter Miene auf seine Arbeit. Darüber konnte er alles und jeden um sich herum vergessen und Mokuba war sich sicher, dass er selbst das Essen vergessen hätte, wenn er ihn nicht daran erinnert hätte. Auf dem Bildschirm tauchte der Nachrichtensprecher auf, der seinen Kollegen aufforderte, den Wetterbericht abzugeben. Für die nächsten Tage wurde eine Mischung aus Schnee und Regen angesagt, wobei der Regen überwiegen sollte. Das waren ja schöne Aussichten, dann würde es dieses Jahr wieder nichts mit den Weißen Weihnachten. Der Nachrichtensprecher verabschiedete sich und der Film begann. Mokuba lehnte sich entspannt zurück. Seto streckte sich und sah zufrieden auf den Bildschirm seines Laptops. In den letzten Stunden seit dem Abendessen hatte er noch eine Menge geschafft und das, was durch seinen Besuch im Waisenhaus liegen geblieben war, fast komplett aufgearbeitet. Er hatte sich den Rechner nach dem Essen nach unten geholt, um Mokuba nicht allein zu lassen. Sein Blick glitt zu der Uhr, die über dem Kamin hing. Es war beinahe halb zwölf. Heute konnte er es sich wohl leisten, etwas eher Schluss zu machen. In den letzten Wochen war er häufig gezwungen gewesen, wegen der Arbeit lange aufzubleiben und nach ein paar Tagen immer total übernächtigt. Zeitweise waren die dunklen Ringe unter seinen Augen ein Dauerzustand geworden. Nach einem letzten Abspeichern ging der Laptop zu. Für heute reichte es. Als er sich erhob, nahm er die Geräusche wahr, die aus dem Wohnzimmerbereich drangen. Er löschte die Esszimmerlampe und näherte sich den Geräuschen. Der Fernseher lief noch, es kam gerade eine dieser kitschigen Weihnachtskomödien. „Mokuba, es wird Zeit fürs Bett“, sagte er, doch er bekam keine Antwort. Ein paar weitere Schritte in Richtung Sofa zeigten ihm den Grund, nachdem er zu einem weiteren „Moku–“ angesetzt hatte. Sein Bruder lag zusammengerollt auf dem Sofa und schlief tief und fest. Seto schüttelte den Kopf und fragte sich, wie lange Mokuba schon so dalag. Er schaltete den Fernseher aus. Der Kleine murmelte im Schlaf etwas Unverständliches, als Seto ihn vorsichtig aufhob und in sein Zimmer trug. Er zog ihm den Schlafanzug an, legte ihn ins Bett und deckte ihn zu. Mokuba bekam nichts davon mit, er kuschelte sich in die weichen Kissen und schlief friedlich weiter. Seto schloss leise hinter sich die Tür und begab sich in sein eigenes Schlafzimmer. Auf der blauen Bettdecke lag die neue und verbesserte Version seiner Duel Disk. Er hatte sie sich sozusagen selbst zu Weihnachten geschenkt. Natürlich war es nur ein Prototyp, man befand sich noch in der Testphase. Was er jedoch bislang gesehen hatte, war sehr viel versprechend. Die Disk war etwas kleiner als ihre Vorgängerin und produzierte bessere Hologramme der Monster. Bis zur Massenproduktion dieser neuen Duel Disks würde es allerdings noch dauern. Derzeitig existierte nur eine weitere Disk dieses Typs und Seto wusste ganz genau, wann er sie zum Einsatz bringen würde. Da kam für ihn nur eine Gelegenheit infrage, die dieser besonderen Erfindung würdig genug war, nämlich sein Duell mit Yugi an Neujahr. Er nahm die Duel Disk hoch, sie war sehr leicht, und legte sie an. Ein leichter Knopfdruck genügte und sie war einsatzbereit. Sein Deck bewahrte er in einem kleinen Kasten aus Ebenholz auf, das auf dem Nachtschrank stand. Seto holte die Karten heraus und ließ seinen Blick für eine Weile auf jenem Monster ruhen, das sich stets ganz zuoberst von seinem Deck befand: Der Weiße Drache mit eiskaltem Blick. Er wollte die Karten gerade in den Halter der Duel Disk schieben, als er über sich einen dumpfen Knall vernahm, gerade so, als wäre etwas auf das Dach gefallen. Hatte sich der Wind etwa unbemerkt zum Sturm entwickelt und einen Ast von einem der Bäume gerissen? Seto erstarrte in der Bewegung und horchte. Erst war nur das leise Ticken der Uhr zu hören, dann so etwas wie ein Klopfen. Das konnte doch unmöglich ein Ast sein, es hörte sich fast so an, als wäre jemand auf dem Dach. Aber wer sollte es sein, ein Einbrecher? Und wie kam er dann überhaupt dahin? Die Leitern, die von seinen Gärtnern für das Beschneiden der Bäume benutzt wurden, standen alle in einem alarmgesicherten Gartenhaus. Er musste herausfinden, was los war. Seto verließ missmutig das Zimmer, die Disk am Arm, das Deck noch in der Hand. Wenn es ein Einbrecher war, würde er seine heiß geliebten Drachen garantiert nicht ungeschützt lassen. Er eilte die Treppen herunter und durch die Eingangshalle, griff im Vorbeigehen nach seinem Mantel und warf ihn sich über. Draußen wurde er von eisiger Kälte empfangen. Natürlich hätte er gleich die Sicherheitsfirma rufen können, die Alarmschalter waren über die ganze Villa verteilt. Wenn es sich aber nur um ein paar freche Eichhörnchen handelte, die sich auf das Dach verirrt hatten, würde er sich bis auf die Knochen blamieren. Ihm persönlich wäre das gleichgültig gewesen, aber wenn er wegen einiger rotbrauner Nager einen Großalarm auslöste, würde das seinem Ansehen bei seinen Geschäftspartnern nur schaden. Wie sollten sie ihn dann noch richtig ernst nehmen? Seto musste erst mehrere Schritte nach hinten gehen, um überhaupt etwas vom Dach zu sehen. Er konnte nicht verhindern, dass ihm der Mund aufklappte. Mitten auf dem Dachfirst parkte ein Schlitten, vor den acht – Setos Augen weiteten sich, als er die Geweihe sah – Rentiere gespannt waren. Eine dicke Gestalt machte sich an dem Schlitten zu schaffen, die Seto den Rücken zugekehrt hatte. Er blinzelte mehrmals, das musste eine Sinnestäuschung sein. Aber sie verschwand nicht, auch nicht, nachdem er die Augen geschlossen und bis drei gezählt hatte. Das war verrückt, völlig irrational. Die Wolken schoben sich auseinander und der Mond kam zum Vorschein. Sein blasses Licht fiel auf die Villa und Seto fand sich end-gültig davon überzeugt, an Wahnvorstellungen zu leiden, hervorgerufen durch Überarbeitung und Schlafmangel. Die Gestalt auf dem Dach trug einen langen, roten Mantel. Ganz ruhig, jetzt denk mal nach, überlegte er. Es gibt keinen Weihnachtsmann. Das ist nur ein Einbrecher, der sich verkleidet hat. Zugegeben ... gut ist die Maske ja, er hat an alles gedacht. Aber das sind keine echten Rentiere. Just in dem Moment bewegte eines von ihnen den Kopf nach hinten, schnaubte und stieß gegen die Gestalt. Diese ließ die Zügel fallen und drehte sich, die Arme in die Seiten gestemmt, zu dem Tier um. „Aber Comet, was soll das denn?“, sagte eine tiefe Männerstimme. Seto glitten die Karten aus der Hand. Der Stapel löste sich auf und flatterte wie Blätter, die der Herbststurm vom Baum gerissen hatte, durch die Luft und zu Boden. Eine der Karten wurde von einer leichten Böe erfasst, zurück nach oben getragen und landete auf der Duel Disk, wo sie sich aktivierte. Seto fuhr vor Überraschung zusammen, als plötzlich vor ihm sein Weißer Drache auftauchte und mit einem Brüllen seine Ankunft verkündete. Der Mann auf dem Dach fuhr herum. Seine Augen weiteten sich – ob ebenfalls vor Überraschung oder vor Schreck, ließ sich nicht sagen. Der Drache musterte ihn aus blauen Augen, die die gleiche Kälte ausstrahlten wie die seines Herrn. Der Mann trat einen Schritt zurück, hinein in die Schlaufe seiner Zügel, ein weiterer Schritt – Er spürte noch, wie sein Stiefel auf einen glatten Dachziegel stieß und abrutschte. Er versuchte sich an seinem Schlitten festzuklammern, bekam den Rahmen zu packen. Von einer Sekunde zur andern geriet der ganze Schlitten samt Rentiergespann und Fahrer ins Rutschen. Die Tiere bemühten sich verzweifelt, den Schlitten am Absturz zu hindern und mit ihm abzuheben, doch ihre Beine waren völlig durcheinander geraten. Als sie die Dachrinne streiften, schaffte der Mann es, die Verbindung zwischen Schlitten und Gespann zu lösen. Die Rentiere, nun von der Last des schweren Schlittens befreit, trabten an und – Seto blieb fast das Herz stehen – flogen davon. Im gleichen Moment wurde er vom Schwanz des Drachen erfasst, nach hinten gefegt und wirbelte kurzzeitig selbst durch die Luft. Er landete äußerst schmerzhaft mit seinem Hinterteil auf dem Rasen, der von einer Schicht Reif überzogen war. Dass der Boden steinhart gefroren war, war seiner Landung alles andere als zuträglich. Nur wenige Meter von ihm entfernt, genau dort, wo er bis eben noch gestanden hatte, war ein durchdringendes Krachen zu vernehmen. Holz barst, Splitter flogen in alle Richtungen auseinander. Die Rentiere schnaubten aufgeregt, flogen eine Kurve und landeten neben dem hölzernen Schrotthaufen, der bis vor kurzem noch ein schön bemalter Schlitten gewesen war. Seto stand langsam, mit etwas gequältem Gesicht auf und rieb sich die Kehrseite, die morgen mit großer Wahrscheinlichkeit ein blauer Fleck zieren würde. Auf dem Vorplatz seiner Villa hatte sich eine riesige Menge bunt verpackter Päckchen verteilt, dazwischen die Reste des Schlittens und inmitten dieses ganzen Chaos lag der Mann mit dem roten Mantel. Der größte Teil seines Gesichts war von einem dichten weißen Bart bedeckt. Das kann doch nur ein Albtraum sein, dachte der CEO. Er näherte sich dem Mann bis auf wenige Schritte und beobachtete ihn. Er stöhnte leise und hielt sich die Hand an die Stirn. Also war er nicht tot. Zumindest etwas. Eine Leiche in seinem Garten hätte ihm gerade noch gefehlt. Noch so ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse von Domino. Und wie hätte er das bitte schön der Polizei erklären sollen? Seto baute sich, die Arme vor der Brust verschränkt, um möglichst eindrucksvoll zu wirken, vor ihm auf. Er ärgerte sich, dass er in der Eile die Waffe, die er sich für den Notfall besorgt hatte, im Haus gelassen hatte. Sein strenger Blick wanderte zu dem Mann herunter, der gerade die Augen aufschlug. „Wer sind Sie und was haben Sie hier auf meinem Grundstück zu suchen?“, fragte Seto mit schneidender Stimme. Statt einer Antwort drang ihm nur ein weiteres Stöhnen entgegen. „Ich rate Ihnen zu antworten oder ich rufe sofort die Polizei und lasse Sie wegen Einbruch und Ruhestörung verhaften.“ Der Mann sah auf und blickte ihn mit gütigen Augen an, die das komplette Gegenteil von denen des Hausherren waren. „Guten Abend, Seto Kaiba. Du hast mir einen ganz hübschen Schrecken mit deinem Drachen eingejagt.“ „Antworten Sie mir endlich, wer sind Sie?“ „Oh, ist das nicht offensichtlich? Ich bin der Weihnachtsmann.“ Das breite Lächeln ließ in Seto die Lust anwachsen, ihm seine Faust ins Gesicht zu schlagen. „Versuchen Sie nicht, mich für dumm zu verkaufen. Sagen Sie mir auf der Stelle Ihren Namen.“ „Ich heiße Santa Claus. Aber ich bin auch als Sinter Klaas oder Weihnachtsmann oder Père Noël bekannt – such dir einen Namen aus.“ Setos Hand ballte sich zu einer Faust. „Hören Sie auf damit. Ich will Ihren richtigen Namen wissen.“ „Den habe ich dir eben gesagt, mein lieber Seto. Würdest du einem alten Mann vielleicht aufhelfen?“ „Ich rufe jetzt die Polizei“, sagte Seto und drehte sich weg. Der Mann versuchte allein aufzustehen, zuckte dann jedoch zusammen und stieß einen kurzen Schrei aus, gefolgt von einem tiefen Brummen. „Verflixt, das hat mir gerade noch gefehlt und auch noch ausgerechnet heute.“ „Was ist jetzt wieder?“, knurrte Seto. „Ich muss mir bei dem Sturz das Bein gebrochen haben.“ „Das ist nicht mein Problem. Dann kann ich wenigstens sicher sein, dass Sie mir nicht weglaufen, während wir auf die Polizei warten“, erwiderte er. Er zog entschlossen sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer der Polizei. Es klingelte kurz, dann hörte er am anderen Ende eine Frauenstimme, die ihm sagte, dass sein Anruf in der Notrufzentrale von Domino City eingegangen sei, er seinen Namen und den Grund seines Anrufes angeben sollte. Seto setzte zum Sprechen an, doch genau in der Sekunde wurde er von einem kurzen Piepen unterbrochen. Sein Blick richtete sich auf das Display seines Handys und er musste fassungslos feststellen, dass der Akku sich mit gefährlicher Geschwindigkeit der Nullgrenze näherte. „Es tut mir leid, Seto, aber das kann ich leider nicht zulassen“, sagte der Mann. Bei diesen Worten zog er selbst ein Handy aus einer Tasche seines Mantels und drückte auf eine Taste. „Hallo Timothy? Ich habe ein kleines Problem, Code 417. Nein, das ist leider kein Scherz, beeilt euch.“ „Wer ist Timothy?“, fragte Seto und beäugte seinen ungebetenen Besuch misstrauisch. „Mein Oberelf natürlich, was hattest du denn gedacht?“, sagte der Weihnachtsmann. „O-ber-elf“, wiederholte Seto wie mechanisch. „Natürlich. Und Sie sind der Weihnachtsmann.“ „Wie ich sagte.“ Nun begann Seto zu lachen. „Und das soll ich Ihnen glauben? Das wäre ein guter Witz – wenn ich dafür Humor hätte.“ Im nächsten Moment verstummte sein Gelächter. Ein paar Meter von ihnen entfernt begann die Luft zu flackern, als würde sie in Flammen stehen, Funken stieben umher und aus ihnen tauchten zwei Menschen auf. Obwohl ... nein, kein Mensch der Welt konnte so spitze Ohren haben. Die beiden Gestalten, die vor ihnen standen, waren in lange, weite Umhänge gehüllt. Das Mädchen mit den braunen Haaren schien ein wenig jünger als er zu sein, ihr Begleiter wirkte etwas älter. Er hatte seine langen blonden Haare zu einem Schwanz zusammengebunden. Die Kleidung der beiden wirkte ... nun, antik war vielleicht das falsche Wort, aber es lag nahe dran. Seto fühlte sich bei ihrem Anblick in das ausgehende 19. Jahrhundert hineinversetzt. Das Mädchen versteckte die Hände in einem großen Muff aus Fuchspelz. Seto verschlug es bei ihrem Anblick nicht zum ersten Mal an diesem Abend die Sprache. Das alles wurde immer verrückter. Er beschloss, gleich morgen einen Psychologen aufzusuchen, auch wenn er eigentlich überhaupt nichts von diesen Seelenklempnern hielt, die einem nur das Geld aus der Tasche zogen. Aber was er hier sah, war eindeutig nicht mehr normal zu nennen. Die beiden Elfen musterten Seto kurz, dann stieß das Mädchen einen entsetzten Schrei aus, als es den Mann am Boden liegen sah. „Santa, was ist mit dir passiert?!“ Sie stürzten an Seto vorbei und auf den Weihnachtsmann zu. „Timothy, Bianca, danke, dass ihr so schnell gekommen seid. Helft mir mal bitte auf.“ „Santa, ich halte es nicht für besonders klug, wenn du dich allzu viel bewegst“, erwiderte der als Timothy angesprochene Elf und betrachtete das rechte Bein des Rotgewandeten, das in einem seltsamen Winkel abstand. „Eindeutig gebrochen. Aber hier draußen ist es zu kalt, wir bringen dich ins Haus. Fass mal zu und hilf uns, Seto.“ „Äh – wie bitte?!“ Seto fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Jetzt wurden ihm auf seinem eigenen Grund und Boden auch noch Befehle erteilt wie einem Hausdiener. Als er sich nicht bewegte, brummte Bianca etwas, das er nicht verstand, aber alles andere als freundlich klang, fasste den Weihnachtsmann an den Schultern, Timothy nahm vorsichtig seine Füße und gemeinsam schleppten sie ihn Richtung Haustür. „He, Augenblick mal“, löste sich Seto endlich aus seiner Starre, sammelte hastig seine Karten zusammen und folgte ihnen. „Was soll das werden, wenn’s fertig ist?“ „Er muss ins Warme, Seto, und dein Haus ist schön warm“, gab Bianca zur Antwort und stieß mit dem Ellbogen gekonnt die Haustür auf. Sie trugen den Weihnachtsmann – obwohl Seto nicht die geringste Ahnung hatte, wie sie das machten, beide waren zierlich und ihr „Gepäck“ war alles andere als ein Federgewicht – durch die Eingangshalle und in das Wohnzimmer. Dort legten sie ihn auf dem Sofa ab und wischten sich den Schweiß von der Stirn. Bianca zog ihm mit größter Vorsicht den Stiefel aus und krempelte ihm das Hosenbein hoch. Der Knöchel war dick und blau angeschwollen. „Oh, oh, das sieht gar nicht gut aus“, sagte sie, während sie sein Bein untersuchte. „Ein glatter Bruch.“ „Immer dann, wenn man viel zu tun hat“, antwortete der Weihnachtsmann und ließ sich gegen die Sofalehne zurücksinken. „Wie soll ich denn so die Schornsteine herunterkommen, geschweige denn den Sack schleppen? Hätte das nicht warten können, bis ich fertig war?“ „Anstatt zu jammern, sollten wir uns überlegen, was wir jetzt machen, Santa“, erwiderte Timothy. „Über die Hälfte der Strecke liegt noch vor uns und der Schlitten ist auch zerstört. Wenigstens scheint der Sack den Sturz unbeschadet überstanden zu haben und von den Rentieren ist auch keins verletzt. Aber wir brauchen dringend einen Ersatz für dich.“ „Wie stellst du dir das vor?“, sagte Bianca. „Wo sollen wir mitten in der Weihnachtsnacht –“ Ihr Kopf wandte sich zu Seto um, der bisher mit verschränkten Armen in der Zimmertür gestanden hatte. Er schluckte, als er ein Funkeln in ihren Augen sah. Timothy folgte ihrem Blick. „Oh nein, Schwesterchen“, fing er an, doch Bianca hob die Hand, was ihn zum Schweigen brachte, und deutete auf Seto. „Wir nehmen ihn.“ Kapitel 3: www - Weihnachtsmann wider Willen -------------------------------------------- Kapitel 3 www – Weihnachtsmann wider Willen „WIE BITTE?“, stieß Seto hervor und versuchte gleichzeitig seine Stimme zu dämpfen, um Mokuba nicht zu wecken, sofern er von dem ganzen Krach der letzten Minuten nicht längst wach geworden war. Es hätte ihn nicht gewundert, seinen kleinen Bruder jeden Augenblick gähnend und sich die müden Augen reibend die Treppe herunterkommen zu sehen. Allerdings schien er die Intensität seines Schlafes ein wenig unterschätzt zu haben, von Mokuba war nichts zu hören, geschweige denn zu sehen. „Ja, du wirst unser Ersatzweihnachtsmann“, sagte Bianca voller Überzeugung und lächelte ihn an. „Du hast sie ja wohl nicht mehr alle, du Elfe!“, sagte Seto und durchquerte mit großen Schritten den Raum, um direkt vor ihr stehen zu bleiben. Jeder normale Mensch wäre angesichts der pulsierenden Ader an seiner Schläfe zusammengezuckt und hätte sich ein Mauseloch zum Verkriechen gewünscht. Bianca hingegen musterte ihn kritisch von oben bis unten und ging um ihn herum. „Na ja, die Figur passt nicht, aber mit ein bisschen Elfenmagie lässt sich das sicher ändern“, sagte sie fröhlich. „Untersteh dich, irgendeinen Hokuspokus mit mir zu veranstalten.“ „Hältst du das echt für nötig, Bianca?“, fragte Timothy. „Wir könnten doch Santas Bruder fragen, ob der einspringt.“ „Diesen Weihnachtsmuffel, für den sich jeder anständige Elf schämen muss?“, schnitt ihm seine Schwester das Wort ab. „Nein, nein, auf gar keinen Fall. Ein Weihnachtsmann muss auch was hermachen und bei Seto kann ich mir sehr gut vorstellen, dass er diese Aufgabe gut ausfüllen wird.“ „Mit der Meinung stehst du aber allein da“, gab Seto zurück. „Ich denke ja gar nicht daran, für euch den Weihnachtsclown zu spielen.“ „Es heißt Weihnachtsmann“, korrigierte Bianca hin. „Und ich werde dich natürlich begleiten.“ „Augenblick mal, ich hab dich mitgenommen, damit du dich um Santa kümmerst“, warf Timothy ein, „und nicht, damit du mit Seto Kaiba durch die Welt fliegen kannst.“ „Aber er hat keine Erfahrung mit dem Lenken des Schlittens, ich finde, wenn wir ihn schon für uns einspannen, sollte er auch ein bisschen Unterstützung kriegen.“ „He, und ich werde gar nicht gefragt, ob ich das überhaupt machen will?“, ließ Seto vernehmen. Die streitenden Elfen sahen ihn an und antworteten mit einem synchronen „Nein“. „Es ist schließlich deine Schuld, dass wir überhaupt in diesem Schlamassel stecken“, sagte Bianca. „Du bist uns was schuldig.“ „Warum das denn?“ „Weil dein Drache unseren Santa so erschreckt hat, dass er vom Dach gefallen ist – von deinem Dach. Also ist es ja wohl nur recht und billig, wenn du dich jetzt darum kümmerst, dass die Geschenke noch rechtzeitig ausgeliefert werden.“ „Womit wir vor dem nächsten Problem stehen“, sagte Timothy. „Der Zweitschlitten ist noch nicht fertig repariert – das hat man davon, wenn man mit einem Anfänger von einem Rentier fliegt –, der andere Schlitten ist zerstört ...“ „Bei allen Drachen, lasst mich bloß mit eurem Geschwafel in Ruhe“, sagte Seto ungehalten. „Das ist euer Problem, nicht meins.“ „Das ist es!“, rief Bianca plötzlich. „Drachen! Seto, wenn ich mich nicht irre, hast du auf deinem Grundstück doch einen Drachenjet stehen.“ Woher weiß sie das nun schon wieder?, überlegte Seto, nickte aber, auch wenn er nicht wusste, warum. „Sehr schön, dann werden wir den als Aushilfsschlitten nehmen.“ „Ja, aber –“ „Kein Aber, mein lieber Seto“, meldete sich da der Weihnachtsmann zu Wort, der bisher zu den Überlegungen seiner beiden Elfen geschwiegen hatte. „Bianca hat Recht. Du hast mir das mit dem Sturz eingebrockt und wenn ich meine Arbeit nicht schaffe, werden in ein paar Stunden Millionen Kinder sehr enttäuscht sein, weil sie nichts unter ihrem Weihnachtsbaum vorfinden werden. Willst du ihnen das antun?“ „Aber mir fehlt dazu die Zeit“, wandte Seto ein. „Wie soll das gehen, so viele Kinder in einer einzigen Nacht zu beliefern? Selbst wenn man die beste Logistik zur Verfügung hätte, und das hat die Kaiba Corp, wäre das einfach unmöglich.“ „Ach ja? Komisch, ich schaffe das jedes Weihnachten und das seit bald hundert Jahren. Obwohl ich zugeben muss, dass meine Vorgänger nicht so viel zu tun hatten wie heute unsereins. Seit der Industriellen Revolution muss man sich schon was einfallen lassen. Aber mit ein bisschen Magie ist alles möglich, auch das.“ „Geht das schon wieder los“, sagte Seto. „Wunderbar, dann brauchen wir nur noch ein Kostüm für ihn“, sagte Bianca. „Augenblick, das haben wir gleich.“ Sie schnippte mit den Fingern. Sekunden später drang ein wütender Schrei durch das Haus und Timothy packte Seto, bevor dieser Gelegenheit bekam, sich auf die kichernde Elfe zu stürzen. Die beiden rangen miteinander, bis Timothy schwer atmend als Sieger hervorging, indem er Seto in den Schwitzkasten nahm, was bei dessen Leibesfülle nicht gerade einfach war. „Mach sofort deinen Zauber rückgängig“, konnte Seto nur noch keuchen, „und das ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf, oder du bist gleich eine sehr tote Elfe.“ Ein weiteres Schnippen von Bianca ließ den dicken Bauch zurückgehen, den sie ihm angezaubert hatte. Der dichte, weiße Rauschebart verschwand und Seto tastete prüfend über seine nun wieder braunen Haare. „So wird das nichts“, meinte Timothy. „Lass es mich versuchen. Und überhaupt, Bianca, wenn, dann ist es meine Aufgabe, mich um unsern neuen Weihnachtsmann zu kümmern, schließlich bin ich hier der Oberelf und nicht du.“ „So?“, sagte sie und trat einen Schritt zur Seite. „Bitte sehr, Herr Oberelf, dann zeig mir mal, was du kannst.“ Er krempelte die Ärmel hoch. Seto wich instinktiv einen Schritt zurück, was ihm jedoch nicht viel nützte. Timothys Zauber traf ihn. Als er an sich heruntersah, musste er dem Elf zugestehen, dass er sein Handwerk offenbar doch um einiges besser als seine Schwester beherrschte. Er trug einen knöchellangen roten Mantel mit weißer Pelzborte über seiner schwarzen Hose, der seine schlanke Figur sehr vorteilhaft zur Geltung brachte. Seine Finger steckten in roten Handschuhen und auf seinem Kopf saß eine Kappe aus weißem Pelz. „Das hätte ich auch hingekriegt, wenn du mich gelassen hättest“, murrte Bianca. „Kinder, streitet euch nicht schon wieder, dafür haben wir keine Zeit“, sagte der Weihnachtsmann. „Timothy, du gehst jetzt mit Seto nach draußen und sammelst die Geschenke ein, dann macht ihr den Drachenjet klar. Und du, Bianca, geh bitte und mach mir einen von deinen köstlichen Kakaos, bevor du mit Seto fliegst.“ „Aber –“, fing Timothy an. „Nein, heute wird Bianca mit ihm fliegen, ich brauche dich hier“, sagte der Weihnachtsmann. „Aber erst siehst du zu, dass der Drache in die Luft kommt. Wir können uns nicht noch mehr Zeitverlust leisten. Wir liegen schon hinter dem Zeitplan zurück.“ Der Elf und der total überrumpelte Aushilfsweihnachtsmann spazierten aus dem Haus und machten sich daran, die Unmengen an Paketen einzusammeln und in den Sack zu stecken, die sich überallhin verstreut hatten. Kaum war das letzte Geschenk in den Untiefen des Sackes verschwunden, lief Timothy davon, um den Jet startklar zu machen. Seto hob den Sack an. Er war überraschenderweise relativ leicht, obwohl in ihm vermutlich gerade die Menge an Spielzeug verschwunden war, die einer Wochenproduktion der Kaiba Corp gleichkam. Als er in sein Haus zurückkam, stieg ihm als erstes der fein-süße Duft von frischer Schokolade in die Nase. Er fand den Weihnachtsmann und Bianca auf der Couch vor, beide schlürften an großen Tassen mit dem dampfenden Getränk. „Ah, da bist du ja wieder, Seto. Du siehst gut aus“, sagte der Weihnachtsmann heiter. „Also dann, Bianca, die Liste hast du, pass mir gut auf ihn auf.“ „Mache ich, Santa. Wir sind in ein paar Stunden zurück“, antwortete die Elfe. Sie nahm Setos Hand und zog ihn aus dem Wohnzimmer heraus. Mit dem Aufzug ging es in das Untergeschoss der Kaiba-Villa, wo neben der Garage mit der Limousine und den anderen Wagen auch eine Halle für den Drachenjet untergebracht war. Seto hätte um ein Haar einen erneuten Schreianfall bekommen, als er die getreue Nachbildung seines Lieblingsmonsters zu Gesicht bekam. Timothy hatte seine Abwesenheit genutzt, um eine kleine „Verschönerung“, wie er es nannte, anzubringen. Der Weiße Drache trug ein großes rotes Band mit einer Glocke um den Hals. Seto spürte in sich den innigen Wunsch aufsteigen, dem Elf für diese Frechheit den Hals umzudrehen. Der Unruhestifter winkte ihnen von der Steuerzentrale des Raumes aus zu. Bianca verstaute den Sack neben sich auf dem Zweitsitz des Jets und bedeutete Seto, einzusteigen. Der ließ sich grummelnd auf seinem Platz nieder, betätigte einige Schalter und das gläserne Dach des Cockpits schloss sich über ihnen. Timothy drückte einen Hebel in der Steuerzentrale herunter und die Decke des Hangars öffnete sich. Die Antriebsdüsen des Jets begannen zu dröhnen, dann erhob er sich mit seinen Passagieren in die Luft. Sekunden später flog der Drache mit Seto und Bianca über die Villa hinweg, die unter ihnen rasch auf Miniaturgröße zusammenschrumpfte. Dann nahmen sie Kurs auf das Stadtzentrum von Domino. „Woher soll ich überhaupt wissen, wo ich hinfliegen muss“, sagte Seto. „Tim hat den Hauptrechner des Jets mit unserer Flugroute und der Artig-Unartig-Liste gefüttert“, erwiderte Bianca. „Womit bitte?“, fragte er nach, denn er verstand kaum ein Wort von dem, was sie sagte. „Mit der Artig-Unartig-Liste, da stehen alle Kinder der Welt drauf, wie sie sich im letzten Jahr verhalten haben und was sie als Geschenk bekommen.“ Bianca zog einen USB-Stick hervor. „Ich gebe zu, am Anfang konnte ich mich zwar überhaupt nicht mit dieser ganzen Technik anfreunden, aber mittlerweile muss ich gestehen, dass sie sehr praktisch ist. Seit wir die Liste doppelt, also handschriftlich und am Computer führen, haben wir viel weniger Arbeit mit der Suche.“ „Ihr habt Computer?“ „Wir leben vielleicht am Nordpol, aber nicht hinter dem Mond“, antwortete Bianca entrüstet. „Obwohl ... vom Mann im Mond kann man auch nicht sagen, dass er altmodisch ist – außer bei seiner Kleidung.“ „Ha, das sagt die Richtige! Du siehst doch aus, als hättest du dich an der Kleidertruhe deiner Urgroßmutter vergriffen.“ „Also das kann wohl kaum der Fall sein“, sagte Bianca und reckte stolz die Nase. „Dann würde ich lange Gewänder aus dünnem Leinen und breite Halskragen tragen, meine Urgroßmutter stammt nämlich aus Ägypten. Und im Übrigen trage ich diese Sachen nur, weil wir Santas Abwesenheit ... nun ja, für eine kleine Kostümparty genutzt haben.“ „Ach nein“, erwiderte Seto und drehte sich zu ihr um. „Pass auf!“, kreischte die Elfe plötzlich. Setos Kopf wandte sich nach vorne, in letzter Sekunde gelang es ihm noch, das Steuer herumzureißen. Der Drache streifte das Dach des Hauses und die rechte Klaue riss das obere Ende des Schornsteins mit sich. Bianca ließ sich aufatmend gegen die Rückenlehne ihres Sitzes sinken. „Das war ganz schön knapp“, sagte sie. „Pass gefälligst besser auf, wo du hinfliegst, Seto.“ „Dann hör du auf, mich abzulenken.“ „Und du lass deine brummige Miene. Du solltest dich freue, heute Nacht hast du den besten Job der ganzen Welt. Um den würde dich jeder Mensch beneiden.“ „Wenn du so scharf auf die Arbeit bist, kannst du sie ja machen.“ „Geht nicht, es heißt immer noch Weihnachtsmann und nicht Weihnachtselfe. Ich bin nur die Unterstützung. Und du musst jetzt da vorne landen.“ Sie deutete auf ein mehrstöckiges Mietshaus, aus dessen Schornsteinen weißer Rauch aufstieg. Der Drache landete auf dem Dach und sie kletterten aus dem Cockpit heraus. „Sieht nicht aus, als hätten die hier einen Kamin“, meinte Seto. „Wie soll ich also in das Haus kommen? Wenn die ’ne Alarmanlage haben und die losgeht, bin ich geliefert. Wie sieht das denn aus, Seto Kaiba, der Multimillionär, bricht im Weihnachtsmannkostüm in ein Haus ein.“ „Du musst dich nur an dem Geschenksack festhalten“, erklärte ihm Bianca mit unsäglich geduldiger Stimme. „Er bringt dich ins Haus und auch wieder heraus. Du findest in ihm übrigens nur die Geschenke, die für das jeweilige Kind bestimmt sind, dann gibt es keine Verwechslungen. Du ahnst ja nicht, was wir früher manchmal für Berge an Reklamationen deswegen gekriegt haben. Wenn ich nur an den ganzen Papierkram denke, der dann jedes Mal angefallen ist, wird mir schon ganz anders. Aber jetzt ab mit dir.“ Seto funkelte sie böse an. Seit wann ließ sich ein Kaiba herumscheuchen und dann auch noch von einer Elfe? Er schulterte den Sack und stapfte zum nächstgelegenen Schornstein. Kaum war er stehen geblieben, spürte er, wie sich der Sack von seiner Schulter und in die Luft erhob. Seto verlor den Boden unter den Füßen, als er von ihm auf eine Höhe mit der Schornsteinöffnung gebracht wurde. In der nächsten Sekunde überkam ihn das Gefühl, jemand würde ihn durch einen sehr engen Schlauch pressen und dabei versuchen, seine sämtlichen Organe zusammenzuquetschen. Gleich darauf war es vorbei und er fand sich mitten in einem Wohnzimmer wieder. Als er sich umdrehte, erblickte er einen Kamin, obwohl er sich ganz sicher war, dass ihn der Sack gerade durch ein Heizungsrohr geschickt hatte. Daneben stand ein mit bunten Kugeln und Strohsternen dekorierter Weihnachtsbaum. Seto öffnete mit einem leisen Grummeln den Sack, holte die Päckchen heraus und legte sie unter den Baum. Je schneller er mit diesem ganzen Mist fertig war, den ihm dieser Weihnachtsmann eingebrockt hatte, desto besser. Dann konnte er sich endlich in sein weiches Bett legen und seine Ruhe genießen. Wenn er daran dachte, dass der Alte jetzt bei ihm im Wohnzimmer saß und sich den heißen Kakao von Bianca schmecken ließ ... Eine grauenhafte Vorstellung. Als er das letzte Paket hervorzog, streifte sein Blick kurz die kleine Karte, die daran befestigt war. Bei dem Namen stockte er und betrachtete sie etwas genauer. Roland stand dort in fein geschwungenen Buchstaben geschrieben. Aber das war ein Allerweltsname, es wäre schon mehr als Zufall, wenn es ausgerechnet sein Roland – Da erregte ein in Glas gerahmtes Bild, das auf einem kleinen Tisch stand, seine Aufmerksamkeit. Seto trat näher und hob es auf. Es zeigte eindeutig Roland. Er hatte den Arm um eine Frau gelegt, auf dem anderen Arm saß ein kleiner Junge und lachte in die Kamera. Ich wusste gar nicht, dass Roland eine Familie hat, schoss es Seto durch den Kopf. Wann ist der denn bei seiner Frau, er ist ja so gut wie immer bei mir. Das zweite Bild, das sich auf dem Tisch befand, ließ seine Augen noch ein Stück weiter aufgehen, denn hier war er selbst zu sehen. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann und zu welchem Anlass es genau aufgenommen worden war, doch es konnte noch nicht allzu lange her sein. Setos Gesicht war darauf ernst wie immer, Roland hingegen grinste breit. Aber warum hatte sein Angestellter ein Foto von sich und seinem Arbeitgeber neben einem Familienfoto aufgestellt? Das ergab für Seto keinen Sinn. Schätzte ihn Roland so sehr? Er stellte die beiden Bilder auf ihre Plätze zurück, es sollte schließlich niemand etwas von seinem nächtlichen Besuch erfahren. Der Sack in seiner Hand zog ihn in Richtung Kamin und das mit einer Kraft, dass ihm gar keine andere Wahl blieb, als nachzugeben und ihm zu folgen. Er fühlte sich an einen ungezogenen Hund erinnert. Erneut wurde ihm sein Innenleben zusammengequetscht, als er durch den Kamin – oder besser das Heizungsrohr – nach oben flog und wieder auf dem Dach landete, wo Bianca ihn ungeduldig erwartete. „Das hat aber lange gedauert, Seto. Was hast du so lange da gemacht, dir den Bauch mit den Plätzchen voll geschlagen, die sie dir hingestellt haben?“ „Was für Plätzchen?“ Er konnte sich nicht daran erinnern, welche gesehen zu haben. „Meine Güte, kennst du den Brauch nicht? Die Eltern stellen Santa einen Teller mit Keksen und ein Glas Milch hin. Was glaubst du, woher er den Bauch hat? Du müsstest mal Mrs. Santa hören, wenn er nach Hause kommt, sie setzt ihn jedes Jahr für mehrere Wochen auf Diät – aber es bringt nicht sonderlich viel.“ „Das sieht man. Und jetzt weiter, ich will heute Nacht auch noch mal nach Hause kommen.“ „Mein Lieber, wir haben gerade erst angefangen“, lächelte Bianca scheinheilig und deutete mit einer weit ausholenden Geste auf Domino. Das ist ein einziger Albtraum!, dachte Seto nur und setzte sich ins Cockpit, um wenige Sekunden später auf dem nächsten Hausdach zu landen. Kapitel 4: Wenn Weihnachtselfen helfen ... oder nerven ------------------------------------------------------ Kapitel 4 Wenn Weihnachtselfen helfen ... oder nerven Es war erst eine Viertelstunde vergangen, doch Seto kam sie wie eine kleine Ewigkeit vor. Das mochte daran liegen, dass für ihn als Weihnachtsmann die Uhren in dieser Nacht anders tickten. Für ihn und Bianca lief die Zeit hundertmal langsamer ab als für die gewöhnlichen Menschen, die in ihren Betten lagen und dem Weihnachtsmorgen entgegenträumten. Seto hätte sonst was dafür gegeben, zu ihnen zu gehören, einfach in seinem gemütlichen, warmen Bett zu liegen und zu schlafen. Stattdessen musste er bei dieser Eiseskälte mit seinem Drachenjet von einem Dach zum nächsten fliegen und überall Geschenke ausliefern. Er hatte es nach dem etwa zwanzigsten Haus aufgegeben, die Schornsteine, die er hinunter musste, und die Geschenke, die er unter die Bäume legte, zu zählen. Für ihn sahen die Zimmer ohnehin alle gleich aus und in der Dunkelheit war es schwer, etwas zu sehen. Zu seinem blauen Fleck, den er sich vor der Villa eingefangen hatte, hatten sich inzwischen weitere gesellt; der neueste stammte von einer Tischkante, an der er sich gestoßen hatte. Was hatte Bianca noch gesagt, dies sei der schönste Job der Welt? Das Mädchen hatte keine Ahnung. Aber diese Elfe schien ohnehin alles besser zu wissen. Sie nervte ihn pausenlos mit ihren Kommentaren und Ratschlägen und ignorierte mit wachsender Penetranz jeden seiner Wünsche, endlich ihre Klappe zu halten. „Halt, wir müssen hier landen“, unterbrach Bianca seine Gedankengänge. Seto stöhnte leise, als er das Gebäude erkannte, auf das sie deutete. Die bunte Bemalung, die im Schein der Straßenlaterne gut erkennbar war, und die große Schildkröte ließen keinen Zweifel daran, dass sie gerade direkt vor dem Spieleladen der Familie Muto gelandet waren. Seto war ganz bewusst vor dem Gebäude gelandet, denn das Dach hätte das Gewicht des Drachen mit Sicherheit nicht ausgehalten. Seto stieg aus dem Cockpit und war Sekunden darauf mit ausgesprochen genervt wirkendem Gesichtsausdruck schwebenderweise – dank seines Geschenksackes – auf dem Weg zum Schornstein. Als er aus dem Kamin in das Wohnzimmer des Mutoschen Haushaltes hineinstolperte, schüttelte er sich und klopfte sich den Ruß von seinem Mantel. „Die Mutos könnten ihren Kamin auch mal besser putzen!“, murmelte er. „Der Laden wird ja wohl so viel Gewinn abwerfen, dass sie es sich leisten können, mal einen Kaminkehrer kommen zu lassen. Und ansonsten kann Yugi reinklettern, wofür ist der so klein?“ „Wie lange dauert es denn noch?“, drang da eine Stimme aus dem Stockwerk über ihm. Die Wohnzimmertür, die auf den Flur hinausführte, war nur angelehnt, so dass Seto jedes einzelne Wort gut verstehen konnte. Dann hörte er Schritte auf der Treppe, Füße, die entschlossen die Stufen herunterstapften. Ihnen folgten mehrere andere, die sich leichter an-hörten. „Nein, Atemu, so funktioniert das nicht.“ Das war eindeutig Yugi. Und noch schlimmer: Er war noch wach. Bisher hatten die Menschen überall, wo Seto hingekommen war, geschlafen. Die Schritte näherten sich der Tür. In Seto, für eine Sekunde zu einer Eisskulptur erstarrt, kam Bewegung. Yugi und sein angeblicher Cousin Atemu durften ihn auf gar keinen Fall so sehen, erst recht nicht in diesem absolut lächerlichen Kostüm. Seto packte den Sack und warf sich hinter dem Sofa auf den Boden. Innerlich konnte er über diese Situation nur bitter lachen. Da befand er sich im Haus seines Erzfeindes und spielte mit ihm ohne sein Wissen Verstecken. Und nebenbei sollte er bei ihm auch noch ein paar Geschenke abliefern. Dieser Abend entwickelte sich mehr und mehr zu seinem persönlichen Albtraum. „Aber du hast doch gesagt, dass der Weihnachtsmann heute Nacht kommt und die Geschenke bringt, Yugi“, verteidigte sich Atemu, die Hand bereits auf der Klinke; die Tür ging ein Stück auf. „Ich will bloß mal nachsehen, ob er schon da war, danach gehe ich zurück nach oben.“ „Trotzdem wartet man bis zum Morgen, bis man runtergeht und nach den Geschenken sieht“, ließ sich nun eine dritte Stimme vernehmen, die Seto nach kurzem Überlegen Ryou zuordnen konnte. Was machte der denn im Haus der Mutos und dann auch noch an Heiligabend? „Ich hasse es zu warten“, grummelte der ehemalige Pharao. „Haben die letzten dreitausend Jahre im Millenniumspuzzle denn nicht gereicht?“ „Dann kommt es auf die paar Stunden doch nun wirklich nicht an, oder?“, versuchte Yugi ihn zu beschwichtigen. „Atemu, bitte, was ist, wenn er gerade bei uns ist und du ihn bei der Arbeit störst? Dann wird er nächstes Jahr bestimmt nicht zu uns kommen.“ Seto schwankte zwischen einem ganz leichten Anflug von Bewunderung für Yugi, weil dieser ihm wahrscheinlich gerade unwissentlich den Hals rettete, und einem Lachanfall, dass er in seinem Alter noch an den Weihnachtsmann glaubte. Diese These allerdings musste er Sekundenbruchteile später wieder verwerfen. Er selbst hatte bis heute Abend ebenfalls nicht an den Mann mit dem roten Mantel geglaubt, das hatte er noch während seiner Zeit im Waisenhaus abgelegt. Wenn einem aber eben dieser alte Herr vom eigenen Dach und direkt vor die Füße fiel, konnte man diese Meinung schon mal überdenken. „Na gut, schön“, sagte Atemu, nachdem er eine Weile überlegt hatte. „Aber dann stehen wir ganz früh auf.“ „Ja, versprochen. Ich wecke dich, sobald die Sonne aufgegangen ist“, sagte Yugi. „Einverstanden?“ „Gut, aber keine Minute später.“ Yugi atmete erleichtert aus. Damit hatte er sich ein paar Extrastunden Schlaf ausgehandelt, schließlich ging die Sonne im Winter später auf. Daran hatte Atemu sicher nicht gedacht. Seto spähte vorsichtig um die Ecke des Sofas. Im Licht der Flurlampe waren die drei Jungen gut zu sehen. Alle drei hatten Schlafanzüge an, demnach mussten sie bereits im Bett gewesen sein. Yugi und Atemu glichen sich mit ihren rot-blonden Stachelfrisuren wie ein Ei dem anderen, nur dass Atemu ein wenig größer war. „Gut nachdem das geklärt ist, wie wäre es, wenn wir raufgehen und unser Spiel noch schnell zu Ende bringen?“, sagte Ryou. „Hast du heute nicht bereits oft genug gewonnen?“ Seto horchte auf. Aber hallo, das hörte fast so an, als wäre Atemu gerade am Verlieren gewesen, ausgerechnet er, der ihn so lange in jedem Spiel geschlagen hatte. „Ärger dich nicht, Atemu“, sagte Yugi, der wie immer sofort bemüht war, die Wogen eines aufkommenden Streits zwischen seinen Freunden zu schlichten. „Skat ist anders als Duel Monsters, aber das lernst du auch noch.“ „Hab ich mich überhaupt schon bei dir bedankt, dass ich heute bei euch übernachten darf?“, fiel Ryou da ein. „Ach, ist doch überhaupt nicht der Rede wert“, sagte Yugi. „An Weihnachten soll man nicht allein zu Hause hocken.“ „Bakura hätte mir auch ein bisschen eher sagen können, dass er mit Mariku zum Skilaufen in die Berge fährt und sie sich eine kleine Hütte gemietet haben. Hätte Ishizu die beiden nicht im Schattenreich lassen können?“ „Wie hat sie so schön gesagt: Gleiches Recht für alle.“ „Du bist ja auch nicht mit einem sadistisch veranlagten Yami gestraft, Yugi“, erwiderte der Weißhaarige. „Und dann mit Mariku ... ich glaube, die zwei haben was miteinander.“ „Irgendwie zusammenpassen würden sie ja“, überlegte Atemu. „Wenn ich allein an den ganzen Ärger denke, den sie gemacht haben ...“ „Ja, und du kriegst heute Nacht auch noch Ärger, wenn du nicht endlich nach oben gehst“, sagte Yugi. „Wir beenden die Partie Skat und dann geht’s ins Bett.“ Atemu ließ die Türklinke los und wandte sich mit Yugi und Ryou der Treppe zu. Seto tastete sich ein Stück weiter vor, um eine bessere Sicht auf sie zu haben, als neben ihm ein leises Rauschen zu hören war. „Wie lange brauchst du denn noch, Seto?“ Bei diesen Worten fuhr er heftig zusammen, sein Kopf schnellte zu Bianca herum, die hinter ihm stand. „Hast du das eben auch gehört?“, fragte Ryou und wandte sich wieder der Wohnzimmertür zu. „War da nicht eben was im Wohnzimmer?“ Bianca blickte ihren Begleiter streng an. „Wir haben heute noch viel zu tun und – warum hockst du auf dem Boden?“ „Ja, jetzt hab ich auch was gehört“, äußerte Yugi. „Ihr glaubt doch nicht, dass ... der Weihnachtsmann –“ „Den muss ich sehen!“, rief Atemu. Yugi schüttelte den Kopf. Wenn er daran dachte, wie sicher ihn Atemu stets durch ihre Duelle gelenkt und ihm geholfen hatte ... Und nun verhielt sich der Ex-Pharao wie ein kleines Kind. Andererseits war es sein erstes Weihnachten, da konnte man ihm sein Verhalten nachsehen. Atemu war mit zwei Schritten an der Tür und stieß sie auf. Setos Reaktion kam schnell wie ein Blitz. Er packte Bianca und riss sie zu Boden. Seine Arme schlangen sich eng um sie, damit sie sich nicht wehren konnte, seine Hand legte sich auf ihren Mund. Er blickte sie warnend an und gab ihr stumm zu verstehen, dass sie den Mund halten sollte. Sie nickte ihn zu, was Seto sehr beruhigte, anscheinend hatte sie sich entschlossen, wenigstens ein Mal auf ihn zu hören. Yugi und Ryou drängten sich an Atemus Seite und spähten in den Raum hinein. Seto presste sich und Bianca so dicht an das Sofa, wie er nur konnte und hoffte inständig, dass sie den Raum nicht einer näheren Durchsuchung unterziehen würden. „Hmm, es ist nichts zu sehen“, meinte Yugi. „Vielleicht war es nur eine Maus.“ „Schade, es sind noch keine Geschenke da“, sagte Atemu, dessen Blick in Richtung des Weihnachtsbaumes gewandert war, enttäuscht. Seto spürte, wie sich Bianca unter seiner Hand regte. Ihre Nase zog sich kraus und bevor er etwas tun konnte, um es zu verhindern, nieste sie. Die Hand dämpfte das Geräusch etwas, doch in dem ansonsten stillen Haus war es noch deutlich genug zu hören, um die drei Jungen aufmerksam werden zu lassen. „Eine Maus also“, sagte Atemu. „Können eure Mäuse etwa niesen, Yugi?“ „Keine Ahnung, ich hab hier noch keine gesehen.“ „Ähm, wenn es keine Mäuse sind und hier auch sonst niemand zu sehen ist ... ihr habt hier doch keine Geister, oder?“, erkundigte sich Ryou. „Nicht mehr, seit ich in Ägypten ins Jenseits verschwunden bin“, sagte Atemu. „Ich danke Ishizu jeden Tag, dass sie es geschafft hat, mich da wieder rauszuholen. Klar, es war toll, meine alten Freunde wiederzusehen und mit Mana hatte ich mir viel zu erzählen, aber ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie langweilig es dort nach einer Weile war.“ „Doch, können wir, sogar sehr gut“, erinnerte ihn Yugi und seufzte. „Das alles hast du uns in den letzten Wochen sehr ausführlich erzählt. Aber jetzt lasst uns ins Bett gehen, sonst sind wir morgen nicht ausgeschlafen, wenn die anderen kommen.“ „Und das Geräusch?“ „Das war sicher nur unser Kater Horus“, winkte Yugi ab. Er schob Atemu aus dem Zimmer. Sie schlossen die Tür hinter sich und ließen, ohne dass sie es wussten, einen sehr erleichterten Seto Kaiba in der Dunkelheit zurück. Das wäre beinahe gehörig schief gegangen. Nicht auszudenken, wenn sie ihn in der Verkleidung gesehen hätten. Seto wartete, bis sie die Stufen hinaufgegangen waren und er oben eine Tür zuschlagen hörte. Er nahm die Hand von Biancas Mund und ließ sie los. Dann sank er an der Rückenlehne des Sofas zusammen. „Also, Seto –“, setzte Bianca an, wurde jedoch sofort von ihm unterbrochen. „Was. Zum. Teufel. Hat. Dich. Geritten. Hierher. Zu. Kommen?“, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Bist du wahnsinnig geworden, du Elfe?“ „Hey, ich hab einen Namen!“ „Antworte mir, Bianca.“ „Du warst so lange weg und da dachte ich –“ „Du sorgst dafür, dass sie mich erwischen oder was?“ „Ich konnte doch nicht wissen, dass sie gerade im Flur stehen. Bin ich vielleicht Hellseherin?“ „Ich weiß es nicht. Sag du’s mir doch“, erwiderte Seto bissig. „Du weißt doch sonst auch alles besser.“ Ihre Stimmen waren im Verlauf ihres Gesprächs immer lauter geworden. Als sie über sich ein dumpfes Geräusch vernahmen, wurden beide schlagartig still wie Mäuse und lauschten. Es blieb ruhig, die Bewohner des Hauses schienen nichts vom Streit des Weihnachtsmanns und seiner Elfe mitgekriegt zu haben. „Hör zu, misch dich nicht in meine Arbeit ein, sonst fahre ich sofort nach Hause und du kannst die Geschenke selbst verteilen.“ Seto kam hinter dem Sofa hervor und beeilte sich, die Sachen unter dem Baum zu verteilen, wobei er mit den Päckchen alles andere als vorsichtig verfuhr, obwohl eines sogar ein Schild mit der Aufschrift Nicht schütteln trug. Nichts wie weg hier, war sein einziger Gedanke, als er sich mit dem Sack dem Kamin näherte. Bevor Atemu auf die Idee kommt, doch noch mal nachzusehen. Bianca folgte ihm schweigend. Kurz darauf saßen sie wieder im Drachenjet und flogen ihrem nächsten Ziel entgegen. Sie ließen Domino hinter sich und nahmen Kurs auf die Berge. Kapitel 5: Highway to hell -------------------------- Kapitel 5 Highway to hell Seto warf einen kontrollierenden Blick auf die Anzeigen des Drachenjets. Nachdem sie sich durch etliche kleinere Städte und Dörfer gearbeitet hatten, befanden sie sich nun mitten im Nirgendwo. Um sie herum gab es nichts als Berge. Steine und Felsen, so weit das Auge nur reichte. Die Hänge waren mit dichten Kiefernwäldern bewachsen; von Zeit zu Zeit tauchte zwischen den Bäumen die Straße auf, die vom letzten Dorf, in dem sie Halt gemacht hatten, nach Norden führte und der sie folgten. Die Landschaft lag unter einer dicken Schneedecke begraben, die Bäume sahen aus, als hätte sie jemand mit einer dicken Puderschicht überzogen. Zum ersten Mal, seit sie an diesem Abend aufgebrochen waren, gestattete Seto sich ein zwar kurzes, dafür aber ehrliches Lächeln. Er liebte den Winter, mit seinem Schnee und seiner Kälte war es genau seine Jahreszeit. Leider schneite es in Domino viel zu selten. „Wer ist denn jetzt dran?“, fragte Seto, ohne den Blick nach hinten zu Bianca zu richten. „Lass mich mal nachsehen ...“, sie rief die im Bordcomputer gespeicherte Artig-Unartig-Liste auf. „Oh, als nächstes kommen Mariku und Bakura.“ „Wie, die kriegen was?“, ließ er sich überrascht vernehmen. „Stimmt schon, als artig kann man die sicher nicht bezeichnen, aber sie stehen hier drauf und die Liste stimmt. Santa kontrolliert sie immer mehrfach.“ „Wie schön für ihn“, brummte Seto. „Das da muss die Hütte sein, von der dieser Ryou gesprochen hat“, sagte Bianca da, „aber entweder hat er Bakura falsch verstanden oder der hat ihn angelogen. Von wegen kleine Hütte.“ Das Haus, das vor ihnen lag, konnte man sicher nicht als kleine Hütte bezeichnen. Es war viel mehr eine kleine Villa. Seto besaß selbst so eine, etwa drei Stunden von Domino entfernt, nur dass seine natürlich ein gutes Stück größer war. Dort verbrachten er und Mokuba meistens die Woche nach Neujahr sowie einen Teil der Winterferien. Seto fragte sich, woher die beiden Ägypter das Geld hatten, sich so ein Haus zu leisten. Hatte er nicht letztens etwas von einem Banküberfall gehört oder irrte er sich da? Oder hatten sie sich das Geld von Marik und Ryou besorgt? Er schnappte sich den Sack und ließ sich zum Schornstein tragen, nachdem er Bianca ermahnt hatte, ja im Cockpit sitzen zu bleiben und ihm auf keinen Fall zu folgen. Schon auf halbem Weg den Kamin hinab merkte Seto, dass etwas nicht stimmen konnte. War es in dem Mantel die ganze Zeit über so warm gewesen? Die Pelzmütze wurde ihm auf einmal sehr unbequem. Dann bemerkte er den beißenden Geruch. Es ist mitten in der Nacht, haben diese zwei Psychopaten etwa das Kaminfeuer angelassen? Ryou hat Recht, das sind Sadisten! Der Sack verlangsamte seinen Flug jedoch nicht und brachte Seto der Wärmequelle immer näher. Er schaute an sich herunter, unter ihm brannte tatsächlich noch das Feuer. Als die Öffnung breiter wurde, versuchte er zur Seite zu steuern, um nicht direkt in die Flammen zu geraten. Er raffte den Saum seines Mantels – Brandflecken hätten ihm noch gefehlt – und landete knapp neben dem Feuer. Von einem Scheit löste sich etwas verkohltes Holz und landete auf seinem Stiefel. Seto schlenkerte das glühend heiße Stück ab und stieg umsichtig an den brennenden Holzscheiten vorbei. Kaum war er außerhalb des Kamins, griff er sich den Schürhaken und schob das Holz beiseite, um für den Rückflug mehr Platz zur Verfügung zu haben. Er hatte keine Lust, sich hier abfackeln zu lassen. Der Weihnachtsbaum, den die zwei Bewohner mit goldenen und blut-roten Kugeln geschmückt hatten, stand in einer Ecke des Zimmers. Seto öffnete die Kordel des Sacks und zog mehrere in buntes Papier geschlagene Päckchen hervor, die er am Fuß des Baumes platzierte. Bei einem schimmerte durch das helle Seidenpapier der Titel des Buches durch. Seto runzelte die Stirn und fragte sich, auf wessen Wunschliste wohl das Kamasutra – Techniken für Fortgeschrittene gestanden haben mochte. Allem Anschein nach hatte Ryou mit seiner Vermutung, zwischen den beiden würde etwas laufen, gar nicht so Unrecht. Der Aushilfsweihnachtsmann zog seine Liste zu Rate (die jeweilige handschriftliche Seite der Artig-Unartig-Liste wurde vom Sack zu den Geschenken zwecks Überprüfung immer mitgeliefert). Bei Mariku und Bakura standen das Buch, ein Voodoo-Set – er wollte lieber nicht weiter lesen, wer weiß, was sich die beiden noch alles gewünscht hatten. Den leeren Sack geschultert, wollte Seto sich auf den Rückweg machen, als ein Schrei ihn innehalten ließ. „Au, nicht so fest, Kura! Das war die falsche Stelle.“ „Es ist zu dunkel, ich seh kaum was.“ „Das ist keine Entschuldigung. Ich hab gleich gesagt, lass mich das machen“, entgegnete Mariku. Bin ich im falschen Film?, dachte Seto. So genau hatte er nicht wissen wollen, was da zwischen dem ehemaligen Grabwächter und dem Räuber lief. „Stell dich nicht so an und bück dich endlich wieder runter, wird’s bald?“, sagte Bakura. „Hör auf, mich herumzukommandieren, ich bin keiner deiner Wüstendiebe.“ „Da hättest du dich aber gut gemacht. Nein, nicht da, etwas höher. Gib mir mal die Nägel rüber, ich hab’s gleich“, hörte man Bakura sagen. „Wo bin ich hier wieder reingeraten“, murmelte Seto. „Wenn unser Vermieter das rausfindet, gibt es Ärger“, meinte Mariku. „Was kann ich dafür, wenn seine Betten so wenig aushalten?“ „Du hättest eben nicht so wild sein dürfen, dann wäre es auch nicht zusammengekracht.“ „Musst ausgerechnet du sagen. Den Hammer bitte, ich will heute noch mit der Reparatur fertig werden.“ Die letzten Worte beruhigten Seto, der sich schon sonst was ausgemalt hatte, was gerade im Stockwerk über ihm bei den beiden ablief, ungemein. Wenigstens hatte er sie nicht mittendrin gestört. „So, fertig“, verkündete Bakura. „Wie wäre es noch mit einem Sake, bevor wir ins Bett gehen?“ „Den hast du schon vor Stunden alle gemacht. Aber wir haben noch Wein, den könnten wir über dem Kamin heißmachen.“ Bei diesen Worten marschierte Seto ohne weitere Verzögerung zum Kamin hinüber. Es war ohnehin höchste Zeit für ihn, am Ende kam Bianca noch auf die Idee, ihr Versprechen, das er ihr mühsam abgerungen hatte, zu vergessen und ihm Gesellschaft zu leisten. Der Sack hob mit ihm ab und trug ihn durch die stark aufgeheizte Luft, die im Kamin nach oben zog. Bianca hatte es sich in seiner Abwesenheit auf ihrem Platz bequem gemacht und die Beine oben auf den Rand des Cockpits gelegt. Sie warf den Kopf zurück, als sie das leise Rauschen hörte, das ihn ankündigte. „Siehst du, ich hab ganz brav hier gewartet“, sagte sie. „Seh ich. Ab zum nächsten Haus“, sagte er und letzte leise hinzu: „Bloß weg von diesen beiden Spinnern.“ „Was hast du gesagt?“ „Ach, gar nichts. Äh ... Du hast mir immer noch nicht gesagt, wo ich überall hin muss.“ „Natürlich überall, was für eine Frage“, erwiderte Bianca mit leichtem Kopfschütteln. „Santa kümmert sich um die Kinder der ganzen Welt.“ „Das ist mir klar, aber bestimmt hat er doch schon das eine oder andere Land abgeklappert, bevor er bei uns die Bruchlandung hingelegt hat.“ „Ach so, sag das doch gleich. Warte kurz ...“, sagte Bianca und konsultierte die Liste ein weiteres Mal, „ja, Santa war bereits in Russland und Europa und ist dann weiter nach Nordamerika, bevor er nach Japan gekommen ist. Der Rest liegt an dir.“ „Na wunderbar“, seufzte Seto. „Und ich werde aufpassen, dass du alles richtig ablieferst.“ Sein Seufzen ging in ein Brummen über, das kurz darauf von den Geräuschen der Motoren übertönt wurde. Um sie herum stob der Schnee auf, als sie abhoben. „Und wie mache ich mich bisher?“, fragte er über die Schulter gewandt. „Also ... ich würde sagen, du schlägst dich sehr gut“, sagte Bianca nach kurzem Überlegen. „Das freundliche Lächeln müssen wir eventuell noch ein wenig üben, aber ansonsten bin ich sehr zufrieden mit dir.“ „Es sieht doch eh keines von den Kindern, ob ich nun lächele oder nicht“, meinte Seto. „Denkst du, der Weihnachtsmann lächelt immer bei der Arbeit?“ „Oh, das tut er. Natürlich ist er auch mal schlecht gelaunt, aber nicht an Heiligabend. Auf den Tag freut er sich immer das ganze Jahr über, da hat er gar keinen Grund, traurig oder böse zu sein.“ „Ich bin auch nicht traurig, ich sehe immer so aus.“ „Dann solltest du es mal mit einem Lächeln versuchen“, antwortete sie. „Damit würdest du dich viel besser fühlen. Übrigens ... Das Kostüm steht dir ganz ausgezeichnet.“ Seto bemerkte verwirrt, dass sich die Wangen der Elfe bei diesen Worten leicht röteten. „Danke“, erwiderte er mit einem leichten Grinsen im Gesicht. So, ich hoffe, euch hat auch der nächste Teil von Santa … Seto? gefallen. Dieses Kapitel ist ein bisschen kürzer ausgefallen, aber das nächste wird wieder länger, versprochen. ^^ Kapitel 6: Oh Palmenbaum ------------------------ Kapitel 6 Oh Palmenbaum Ihre Flugroute führte sie einmal quer durch China und Indien, wo Seto im Palast eines Maharadschas eine wahre Großlieferung an Geschenken ablegen musste. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre unter dem Gewicht des Sackes zusammengebrochen. Zu allem Überfluss weckte er aus Versehen den zahmen Tiger eines Sohnes des Maharadschas, indem er ihm auf den Schwanz trat. Nach einem kräftigen Jaulen ging das Tier auf ihn los und Seto musste die Beine in die Hand nehmen, um dem Tiger und den durch den Krach aufgeschreckten Palastwachen zu entkommen, die ihm mit ihren Säbeln und Pistolen nachsetzten. Wie schafft es nur dieser Weihnachtsmann jedes Jahr, seine Geschenke in diesem Labyrinth abzuliefern?, dachte Seto, nachdem er zum mindestens vierten Mal falsch abgebogen war. Er horchte kurz, ob die Wachen ihn schon eingeholt hatten, dann hastete er den Gang zurück und durch den nächsten, wo er endlich eine Tür fand, die nicht verschlossen war. Er schlüpfte in den Raum hinein und verschaffte sich mit einem raschen Umherschweifen der Augen einen kurzen Überblick. Das riesige, von einem orange-gelben Himmel aus Damast gekrönte Bett ließ keinen Zweifel daran, dass es sich um eines der königlichen Schlafzimmer handelte und zog er noch das Puppenhaus und die anderen Spielsachen hinzu, konnte sich Seto ziemlich sicher sein, dass er es mit den Räumlichkeiten einer kleinen Prinzessin zu tun hatte. Als er näher hinsah, erkannte er, dass sie in ihrem Bett lag und schlief. Er schlich auf Zehenspitzen durch den Raum, um sie nicht zu wecken. Wenn sie auch noch Alarm schlug, war er geliefert. Erleichtert stellte er fest, dass die Tür, auf die er zu geschlichen war, auf einen großen Balkon hinausführte. Er hängte sich den leeren Sack um den Hals und stieg an der Regenrinne, die neben dem Fenster entlang führte, zum Dach hinauf, wo er den Drachenjet geparkt hatte. Bianca sah erst so aus, als wollte sie etwas zu seinem zerzausten Aussehen bemerken, als sie allerdings seinen zornigen Blick sah, verkniff sie sich jeglichen Kommentar. Über die Arabische Halbinsel ging es weiter nach Afrika, wo seine Arbeit von dem Brüllen der Löwen und einem elefantischen Trompetenkonzert begleitet wurde, das, wenn man so wie er ganz in ihrer Nähe war, auch problemlos die Trompeten von Jericho in den Schatten gestellt hätte. Er bereute es längst, keine Ohrenschützer mitgenommen zu haben, aber wer rechnete auch mit so etwas. Über der Straße von Gibraltar gerieten sie in ein schweres Unwetter und es war ausschließlich ein paar mehr als waghalsigen Flugmanövern von Seto zu verdanken, dass sie nicht von einem der wild zuckenden Blitze getroffen wurden. Das Gewitter ließ erst nach, als sie das Gebiet, das zu Marokko gehörte, hinter sich gelassen hatten. Einige Zeit später tauchten am Horizont die Silhouetten der Pyramiden von Gizeh auf und Seto sah sich mit der Tatsache konfrontiert, dass er heute noch einen von ihm gefassten Vorsatz über Bord würde werfen müssen. Nach ihrer Reise im Sommer hatte er beschlossen, so schnell keinen Fuß mehr auf ägyptischen Boden zu setzen. Auf der anderen Seite war er darüber erleichtert, dass ihm der nördliche Teil von Amerika erspart blieb, weil sich dort der Hauptsitz von Industrial Illusions, Maximilian Pegasus’ Firma, befand, ebenso wie dessen überaus pompös eingerichtete Villa. Er konnte sich schon denken, was bei Pegasus unter dem Weihnachtsbaum lag: Ein neues Plüschtier seines Lieblingstoonhasen und ein Stapel Comics, vielleicht auch noch ein paar Flaschen Rotwein. Das würde ihm ähnlich sehen. Bianca hatte zwischendurch ein paar Mal versucht ihn aufzuheitern. Sie hatte ihm Komplimente gemacht, wie gut er seine Arbeit als Weihnachtsmann ausführe, dass der Mantel ihm sehr gut stehen würde und dass er in der Ausführung seiner Auslieferung der Geschenke eine unglaubliche Kreativität und Wendigkeit an den Tag lege, die sogar den Weihnachtsmann persönlich manchmal übertreffe. Diese Worte hatten das Fass wohl zum Überlaufen gebracht, da Seto sie danach dermaßen angeschrien und zusammengefaltet hatte, dass sie seit Tunesien verdächtig still geworden war, überhaupt hatte sie seitdem kaum noch etwas von sich gegeben, außer dem Kreischen während des Gewitters. Seto war das nur recht, so konnte er seine ihm aufgedrängte Arbeit ohne ihre ständige Einmischung erledigen. Die Straßenlaterne flackerte und erlosch, als sich der Drachenjet dem Flachdach des Wohnhauses in der Nähe des Ägyptischen Museums von Kairo näherte. Seto schwang sich von seinem Sitz und begab sich über das Heizungssystem in das Innere des Hauses. Er hatte sich dazu entschlossen, dem Weihnachtsmann eine kleine Änderung seiner Arbeitsweise vorzuschlagen, sobald er nach Hause kam, weil er den Einstieg über den Kamin und die Heizungen nicht mehr zeitgemäß und ganz nebenbei furchtbar unpraktisch fand. Und wenn er erst an dieses verflucht unangenehme Gefühl dachte, dieses ständige Zusammenpressen der inneren Organe, jedes Mal, wenn er einen der Schächte herab musste. Das konnte man doch nun wirklich nicht gut für die Gesundheit nennen. Mit einem Generalschlüssel ließ sich die Arbeit seiner Ansicht nach viel leichter bewältigen und vor allem würde der allgegenwärtige Ruß entfallen, den er kaum noch von seinen Stiefeln bekam. Seto musste jedes Mal, wenn er aus dem Kamin trat, höllisch aufpassen, dass er nicht versehentlich Fußspuren hinterließ. Schließlich sollte ihm niemand auf die Schliche kommen. So wie jedes Mal klopfte er sich als erstes am Kamin den Staub und Schmutz ab, bevor er sich aufrichtete und sich im Raum umsah, um den Weihnachtsbaum zu finden, unter den er, ganz den Anweisungen von Bianca und dem Weihnachtsmann folgend, die Geschenke legen musste. Es war im Zimmer stockdunkel, man sah kaum die Hand vor Augen. Anscheinend waren die Vorhänge zugezogen, so dass nicht einmal das Licht des Mondes in das Innere des Hauses dringen konnte. Seto tastete sich vorsichtig an der Wand entlang und suchte nach einem Lichtschalter. Wie sollte er denn so arbeiten? Nach einer Weile fand er endlich, wonach er gesucht hatte, direkt neben der Tür. Die Lampe an der Decke ging an und tauchte alles in ein grelles Licht, das Seto blendete. Er musste sich die Hand über die Augen halten und mehrmals blinzeln, ehe die kleinen Punkte vor seinen Augen verschwanden. Als er wieder etwas sehen konnte, glaubte er im ersten Augenblick, nicht in einer privaten Wohnung, sondern mitten in einem kleineren Saal des ägyptischen Museums gelandet zu sein. Die Tür wurde auf der anderen Seite von einer großen Wächterstatue flankiert, ähnlich der, die man aus der Grabkammer des Tutanchamun kannte. An einer Wand hingen mehrere beschriebene und bemalte Papyri, geschützt von Glas. Das moderne Regal, das bis zum letzten Fach mit Büchern gefüllt war, passte jedoch nicht so ganz in das Bild, ebenso wenig wie der Fernseher und das Telefon. Ansonsten schienen die Personen, die hier wohnten, eine Menge für klassische orientalische Einrichtungen übrig zu haben. Der Boden war mit dicken, fein gemusterten Teppichen bedeckt, von dem Parkett war nur an wenigen Stellen noch etwas zu sehen. Überall waren große Kissen verteilt, dazwischen befanden sich kleine, mit Schnitzereien verzierte, niedrige Tische, die Messingtabletts mit Teegläsern und Kannen trugen. In einer Ecke entdeckte er sogar eine Wasserpfeife. Als Seto dann allerdings den „Weihnachtsbaum“ erblickte, der in der Nähe des Fensters stand, dessen Vorhänge aus fein drapiertem Stoff bestanden, wäre er fast vom Glauben abgefallen. In Ägypten hatte er ja einiges erwartet, aber nicht, dass jemand so verrückt sein könnte, sich eine Palme ins Haus zu holen und sie mit violetten und cremefarbenen Christbaumkugeln zu schmücken. Der bewährte Blick auf seine Liste zeigte Seto in Sekunden, wer die drei verrückten Baumschmücker waren. Er war im Haus von Ishizu, Marik und Odion gelandet. Noch ein paar Leute, von denen er gehofft hatte, ihnen nie wieder in irgendeiner Form über den Weg zu laufen. Ishizu war ihm mit ihrem ewigen Gerede, von wegen Yami sei ein alter Pharao und dass er sein Priester gewesen sei und ihm in der heutigen Zeit ebenfalls helfen müsse, unglaublich auf die Nerven gegangen. Und dann die Geschehnisse in Ägypten, als er scheinbar in der Vergangenheit gelandet war und sich später Yugi und Yami ... duelliert hatten ... Er konnte sich bis heute nicht erklären, was damals eigentlich genau passiert war. Seto wandte sich der Weihnachtspalme zu und platzierte die Geschenke: Marik bekam einen neuen Motorradhelm, Ishizu hatte sich ein Ausgrabungsset gewünscht und für Odion fand eine hübsch verpackte Auswahl an CDs ihren Platz unter der Palme. Er arbeitete seit einiger Zeit in einer Kairoer Disko als DJ. Was die drei wohl zu Weihnachten singen? ‚Oh Palmenbaum, wie grün sind deine Wedel’ oder was?, dachte er und nahm sich eines von den Sesamplätzchen, die auf einem kleinen Teller lagen. Diesen Teil seiner Vertretungsarbeit hasste er beinahe noch mehr als die ungewöhnliche Art, sich Zugang zu den Wohnungen zu verschaffen. Vom Weihnachtsmann wurde erwartet, dass er sich überall von dem Gebäck und der Milch bediente, die für ihn hingestellt wurden. Seto war schon nach ein paar Häusern in Domino dazu übergegangen, etwas Milch in den nächsten Blumentopf oder ein anderes Gefäß, das zufällig gerade in seiner Nähe stand, zu schütten; er konnte ja schlecht in den Wohnhäusern zur Toilette gehen. Die Spülung hätte gleich die Bewohner alarmiert und aus wäre es mit dem Geheimnis um den Weihnachtsmann gewesen. Er knabberte ein wenig von dem Keks ab, die lange Arbeit machte verflucht viel Hunger. Er hatte den Überblick verloren, seit wie vielen Stunden er damit beschäftigt war. Hinzu kam die magische Zeitverzögerung. Dadurch konnten es längst Tage sein, ohne dass er es gemerkt hatte. Er drehte sich in Richtung Kamin um und blickte in zwei hellgrüne Augen, die ihn von einem auf einem Schemel liegenden Kissen aus misstrauisch beobachteten. Die Besitzerin dieser Augen hatte einen schlanken Körperbau und saß graziös auf ihren langen Hinterbeinen. Das weiße Fell der Katze war von schmalen schwarzen Streifen bedeckt. Als Seto einen Schritt nach vorne machte, stellte sie sich auf alle vier Beine und krümmte ihren Rücken zu einem Buckel, wobei sich ihr Fell aufstellte. „Sieh mich nicht so an, ich bin kein Einbrecher“, sagte Seto, obwohl er sich sicher war, dass ihn die Katze ohnehin nicht verstehen würde. Bei seinem nächsten Schritt wurden ihre Zähne sichtbar, was ihn auch nicht weiter einschüchterte. Nach dem dritten Schritt wünschte er sich Sekundenbruchteile später, er hätte ihn nicht gemacht. Die Katzendame stieß sich kraftvoll mit den Hinterbeinen von ihrem Kissen ab und sprang ihn an. Seto konnte gerade noch zur Abwehr die Hände heben, da spürte er auch schon eine weiche Pfote mit gar nicht weichen Krallen in seinem Gesicht. Er musste sich auf die Lippen beißen, um nicht vor Schmerz loszubrüllen. Ich hasse Katzen! Dann schon lieber Wheeler – ich meine Hunde! Die Katze hatte sich mit einer ansehnlichen roten Krallenspur auf seiner linken Wange verewigt. Er packte das Tier mit beiden Händen und riss es von sich fort, Hauptsache erstmal Abstand zwischen sie beide bringen. Aus der immer noch geringen Entfernung konnte er den Namen auf der kleinen Marke lesen, die sie an ihrem Halsband trug: Hatschepsut. So gemeingefährlich, wie sie war, konnte sie doch nur Ishizu gehören. Er drehte die Marke um und wurde eines besseren belehrt, denn als Besitzer war Marik eingetragen. Hatschepsut wurde von Setos kältestem Blick getroffen, dessen er fähig war. Das böse Fauchen verwandelte sich binnen Sekunden in ein leises, klägliches Miauen. Er ließ sie los und die Katze lief mit eingezogenem Schwanz in die hinterste Ecke des Zimmers. Ein zufriedenes Grinsen huschte über sein Gesicht. Seto packte seinen Sack, löschte das Licht im Zimmer und begab sich zum Kamin zurück. Unterwegs stolperte er über eines der Kissen und flog der Länge nach hin. Böse Flüche auf den Lippen, ertastete er sich den restlichen Weg zu seinem persönlichen Ausgang und ließ sich von dem Sack in die Höhe tragen. Es reichte. Bianca hatte ein ungutes Gefühl, als sie Seto auf dem Dach auftauchen sah. So wütend hatte er nicht mal nach der Jagd mit dem Tiger ausgesehen. „Du!“ Seto streckte den Finger aus und deutete auf sie. „Oh, du blutest ja, Seto“, sagte sie und kletterte aus dem Drachenjet. Sie zog ein Taschentuch hervor und begann damit, ihm das Blut von der Wange zu tupfen. „Hattest du etwa Ärger mit Hatschepsut?“ „Woher weißt du von diesem Höllenvieh von Katze?“ „Marik hat sie sich vor drei Jahren gewünscht“, erwiderte sie. „Die Kleine hat bei uns so ein Theater gemacht, sie wollte einfach nicht in ihrem Körbchen bleiben –“ Seto hielt ihre Hand fest und musterte sie scharf. „Und du hältst es nicht für nötig, mich vor ihr zu warnen?“ „Ich dachte doch nicht – hast du sie vielleicht geärgert?“ Seto entgleisten für einen Moment die Gesichtszüge. Nicht genug damit, dass er von diesem Tiger im Kleinformat angegriffen worden und sein makelloses Gesicht so himmelschreiend verunstaltet worden war, nein, jetzt beschuldigte ihn diese Elfe, die sich seine Helferin nannte, auch noch, das Tier gereizt zu haben. „Sehe ich etwa aus, als hätte ich sie eingeladen, mir das Gesicht zu zerkratzen?“ „Nein, aber ...“ „Es reicht mir! Endgültig! Ich steige aus“, rief er, riss sich die Pelzmütze vom Kopf und warf sie vor sich auf die Dachschindeln. „Du tust was?“, fragte sie entgeistert. „Ich hab genug davon, für euch den Weihnachtsmann zu spielen. Seht zu, wie ihr eure restlichen Pakete ausliefert, mein Drachenjet und ich stehen euch jedenfalls ab sofort nicht mehr zur Verfügung. Ich fliege nach Hause.“ Seto ging an ihr vorbei, wobei er ihr den Sack in die Hände drückte, und auf seinen Jet zu. „Aber Seto, die Kinder –“ „Die interessieren mich nicht.“ „Dein Bruder Mokuba auch nicht?“, fragte sie und hörte mit Genugtuung, wie seine Schritte verstummten. „Wenn sie am Morgen aufwachen und nichts unter ihrem Baum vorfinden, werden sehr viele Kinder bitter enttäuscht sein, Seto.“ „Solange ich als Chef der Kaiba Corp spreche, ist Weihnachten gut für meine Firma. Aber ansonsten ist es für mich nur ein Fest des Konsums. Ich sehe keinen großen Sinn darin, ein Fest nur zu feiern, damit die Kinder ihre Spielzeugvorräte wieder auffüllen können.“ „Hältst du das für den Zweck von Weihnachten?“ In Biancas Stimme klang eine große Portion Bitterkeit mit. Als er nicht antwortete, fuhr sie fort: „Du machst jetzt seit Stunden Santas Arbeit, ich hatte gehofft, du hättest inzwischen den wahren Sinn von Weihnachten erkannt, Seto.“ „Ich weiß nicht, was ...“, sagte er, während er sich zu ihr umdrehte. Bianca war mit wenigen Schritten bei ihm. Ihre Lippen legten sich auf seine. Er stellte verwirrt fest, dass sie die Augen geschlossen hatte und ihre Hände an seiner Brust lagen. Es war eine Weile her, seit er sich zuletzt mit einem Mädchen eingelassen hatte, seine Arbeit ließ ihm kaum Zeit für derartige Vergnügungen und es gab wenige, die mit seiner sehr reservierten Art klarkamen. Während er noch darüber nachdachte, erkannte er plötzlich, dass er ihren Kuss erwiderte und seine Arme dabei waren, sich um ihren Körper zu schlingen und sie enger an sich zu ziehen. Seine Lider senkten sich und gaben seinen anderen Sinnen Gelegenheit, die Elfe genauer zu erforschen. Hatte sie schon die ganze Zeit diesen leichten Duft nach Zimt und Vanille gehabt, der ihrer Haut und ihren Haaren entströmte? Ihre weichen Lippen gaben dem Necken seiner Zunge nach und öffneten sich ihm, was Seto sogleich ausnutzte, um ihren Kuss zu intensivieren. Wenn in diesem Augenblick auch nur ein einziges Kind in der Nachbarschaft aus seinem Fenster gesehen und die beiden erblickt hätte, wäre der Ruf des Weihnachtsmannes nachhaltig mehr als ruiniert gewesen. Als sich die beiden voneinander lösten, war Bianca hochrot im Gesicht. Bei Seto zeigte sich ebenfalls ein wesentlich gesünderer Farbton, als er ihn sonst hatte. „Das ist der wahre Sinn von Weihnachten“, flüsterte Bianca. „Liebe. Mit den Menschen zusammen zu sein, die einem am meisten bedeuten, mit den Freunden, der Familie ... Die Geschenke sind nur ein schmückendes Beiwerk, um das wir uns kümmern ... oder ich, wenn du nicht weitermachst. Auch wenn ich nicht weiß, wie ich das allein und ohne Transportmittel schaffen soll, obwohl wir bald fertig sind.“ „Steig ein“, brummte Seto. „Ich mache den Kram jetzt schon den ganzen Abend, auf die paar Geschenke kommt es auch nicht mehr an.“ Er nahm auf seinem Sitz Platz und machte den Jet für den Abflug klar. So blieb ihm zumindest die Peinlichkeit erspart, Bianca noch länger ansehen zu müssen. Aber ... meine Güte, konnte diese Elfe küssen! Da fragte er sich doch fast, wie viele Jahrhunderte Erfahrung dahinter stecken mochten. Bianca schaute derweil glücklich lächelnd aus dem Fenster. Elfen ihrer Größe hatten vielleicht nicht die Fähigkeit zu fliegen, aber momentan schwebte sie weit über den Wolken, auch wenn sie wusste, dass es nur von kurzer Dauer sein würde. Kapitel 7: Von nervigen Hunden und anderen Überraschungen --------------------------------------------------------- Kapitel 7 Von nervigen Hunden und anderen Überraschungen Der Drachenjet überflog ein weiteres Mal den orientalischen Raum und die Länder Asiens, bevor er in den späten Stunden der Nacht – oder es ließ sich auch sagen, dass es die frühen Morgenstunden waren – in das beschauliche japanische Städtchen Domino zurückkehrte. Seto hatte sich mit Biancas Hilfe tapfer durch die schier endlos erscheinende Liste von Namen und Geschenkwünschen gearbeitet und jetzt waren nur noch einige wenige übrig, denen sie noch nichts unter den Baum gelegt hatten. Seit ihrem Kuss war die Elfe noch kleinlauter als nach ihrem ersten Streit geworden, sie wagte es kaum noch, ihm überhaupt in die Augen zu sehen. Seto vermutete, dass sie sich für ihr Verhalten schämte. Ihm selbst ging es da nicht viel besser, er schalt sich innerlich, weil er für kurze Zeit all seine Vorsicht und Selbstkontrolle hatte fallen lassen. So etwas war ihm noch nie passiert. Jedenfalls konnte er sich nicht an einen derartigen Fall erinnern. Und dennoch konnte er nicht leugnen, dass er sich für diesen Augenblick restlos glücklich und zufrieden gefühlt hatte. „Zu wem muss ich jetzt?“, erkundigte er sich – wie in den vergangenen Stunden dauernd – bei Bianca, um wenigstens kurzzeitig die Stille zwischen ihnen zu überbrücken. „Warte ... Joey Wheeler und seine Schwester Serenity sind die nächsten.“ „Mir bleibt heute auch gar nichts erspart“, seufzte Seto. „Ausgerechnet dem Köter muss ich auch noch Geschenke bringen. Hätte dein Santa da nicht vorbeifliegen können, bevor er zu mir gekommen ist?“ „Nein, konnte er nicht. Und jetzt lande bitte, wir sind gleich da.“ „Ja, ja, ich mach ja schon.“ Joey einen Besuch abstatten zu müssen, war beinahe noch schlimmer, als bei Yugi und seinem Anhang aufzukreuzen. Dieser freche, vorlaute Kerl mit den blonden Haaren schaffte es mit einer erschreckend schönen Regelmäßigkeit, ihn, die Eiseskälte in Person, zur Weißglut zu treiben. Seit sie zusammen zur Schule gingen, konnte er sich an keinen einzigen Tag erinnern, an dem sie sich nicht gestritten hatten und sei es wegen etwas vollkommen Belanglosem gewesen. Irgendwo machten Seto diese Streitgespräche sogar Spaß – schließlich war er immer derjenige, der sie gewann. Trotz all ihrer Differenzen hatte Joey jedoch bis heute nicht damit aufgehört, Seto als Freund zu bezeichnen, genauso wenig wie der Rest der Clique. So hatte Seto eher unfreiwillig einiges über ihn und die anderen erfahren. Joey war vor ein paar Monaten aus der Wohnung seines Vaters ausgezogen und hatte seine Schwester zu sich geholt. Sie teilten sich jetzt zu zweit eine kleine Wohnung, die in der Nähe ihrer Schule lag. Durch diesen Umstand schaffte Joey es in letzter Zeit sogar, nicht mehr zu spät zum Unterricht zu kommen. Serenity verstand es ausgezeichnet, ihren Bruder aus dem Bett zu scheuchen. In der Wohnung der Wheeler-Geschwister erschien dort, wo sich normalerweise die Heizung befand, ein großer, gemauerter Kamin an der Wand. Der Schrank musste zur Seite ausweichen, um für die Feuerstelle genügend Platz zu schaffen. Setos Stiefel setzten mit einem leisen, dumpfen Klang auf dem Stein auf und er stieg aus dem Kamin. Er horchte für einen Moment, um sich zu vergewissern, dass niemand mehr wach war. Gerade von Joey wollte er sich nicht als Weihnachtsmann sehen lassen, dann hätte er für die nächsten Jahre ein sicheres Mittel, ihn damit zu ärgern. Die gut und gern hundert kleinen elektrischen Lampen, die über den fast raumhohen Weihnachtsbaum verteilt waren, spendeten ausreichend Helligkeit, damit Seto sich zwischen den Möbeln zurechtfinden konnte. Joey hatte den Rest des Preisgeldes aus dem Königreich der Duellanten, der nach Serenitys Operation noch übrig geblieben war, dazu benutzt, die Wohnung zu mieten und im westlichen Stil einzurichten. Auf dem braunen Sofa lagen ein paar cremefarbene Kissen, ebenso wie auf den beiden Sesseln. Auf dem Tisch stand eine große Glasschale mit Keksen. Bei näherem Hinsehen bemerkte Seto stirnrunzelnd, dass sie die Form von Duel Monstern hatten und sogar mit Zuckerguss passend bemalt waren. Wer von den beiden die wohl gebacken hat?, grübelte er und nahm sich einen der Weißen Drachen. Wow, die sind ja lecker. Und die Einrichtung ... für ihre Verhältnisse gar nicht mal schlecht. Hätte ich dem Hündchen gar nicht zugetraut. In der Stille, die im Haus herrschte, nahm er das Ticken der Uhr besonders stark wahr. Es war mittlerweile fast halb fünf, die Nacht neigte sich ihrem Ende entgegen. In wenigen Stunden würde über Domino die Sonne aufgehen und bis dahin musste er seine Arbeit beendet haben und nach Hause zurückgekehrt sein. Seto durchquerte mit großen Schritten das Zimmer, nahm den Geschenksack schwungvoll von seiner Schulter und stellte ihn neben den Baum. Ein kurzes, sehr leises Jaulen ertönte. Seto hob den Kopf und sah sich um, konnte jedoch die Quelle des Geräusches nicht ausmachen. Ich wüsste gern, was sich Joey gewünscht hat ... vielleicht eine neue Hundeleine? Er entfernte die Kordel und griff in das Innere des Sacks. Das Geschenk, das er zu fassen bekam, war überraschend schwer. Eine Leine fiel demnach schon mal aus, das Gewicht passte eher zu einer großen Ladung Ziegelsteine, auch wenn er nicht wusste, was er damit wollte. Er musste mit beiden Händen zupacken, um das Paket überhaupt aus dem Sack herauszuwuchten. Dagegen waren ja selbst die Hanteln, die er in einem chinesischen Dorf ausgeliefert hatte, leicht gewesen. Seto legte das Paket unter dem Baum ab und erhob sich schwer atmend. Jetzt wollte er aber endlich wissen, was sich Joey gewünscht hatte. Er musste auf der Liste erst ein wenig suchen, bevor er Joeys Namen relativ weit unten fand. Sein Finger fuhr in die rechte Spalte, wo die Geschenke aufgelistet waren. Er las die wenigen Worte, die dort bei seinem Namen standen, doch glauben konnte er sie nicht. Oder er wollte sie nicht glauben. Seine Augen weiteten sich und der Mund klappte ihm auf. „D-das glaub ... glaube ich einfach ... nicht“, stammelte er. Seto las dreimal nach, um sich zu vergewissern, dass ihm seine Augen nicht gerade einen Streich spielten. Er hatte von Joey so einiges erwartet, aber ... das war viel zu unglaublich, um wahr zu sein. Trotzdem stand es da, schwarz auf weiß. „Was will Joey denn ausgerechnet mit einer medizinischen Enzyklopädie?“ Joey Wheeler, seines Zeichens vorlautester und gleichzeitig unbegabtester Schüler der Klasse, wenn nicht sogar den gesamten Jahrgangs, hatte Interesse an Medizin? Seto war ehrlich schockiert. Gleich darauf wurde er von einem lauten Glockenschlag aus seinem Schock herausgerissen. Die Uhr hatte halb fünf geschlagen. Er durfte sich nicht länger mit seinen Grübeleien aufhalten. Seto griff ein weiteres Mal in den Sack und zog einen großen Korb hervor, der mit einer karierten Wolldecke abgedeckt und mit einer großen roten Schleife geschmückt war. In der gleichen schnörkeligen Schrift, in der auch die Liste abgefasst war, stand auf einer kleinen Karte Für Serenity. Als er den Korb absetzte, hörte er zum zweiten Mal ein Jaulen, dieses Mal lauter. Und es drang eindeutig aus dem Korb. Zwischen den Lagen der Decke schob sich eine kleine schwarze Nase hervor, gefolgt von einer hellen Schnauze. Seto bückte sich herunter und blickte in zwei kleine braune Knopfaugen, die ihn treuherzig anblickten. „Na, das passt ja, ein Hündchen für die Schwester dieses Köters“, murmelte er. „He du, jetzt sei aber ruhig, sonst weckst du mit deinem Gejaule noch das ganze Haus auf.“ Seine Hand fuhr unter die Decke und kraulte den kleinen Shiba Inu am Kopf. Schön, jetzt darf ich schon ihren Hund beruhigen. Wenn ich gewusst hätte, was ich mir da heute Abend alles einbrocke, hätte ich mein Zimmer niemals verlassen! Das Schloss der Wohnungstür klickte und Seto verfluchte sich innerlich, so viel Zeit in Joeys Wohnung vertrödelt zu haben. Er stand mit einer fließenden Bewegung auf, wobei er gleich den Sack mit aufnahm, und wandte sich dem Kamin zu. Oder eher gesagt der Stelle, von der er gedacht hatte, dass der Kamin dort wäre. Das einzige aber, was er sehen konnte, war eine weiß gestrichene Heizung. Er hätte sich ohrfeigen können. Bianca hatte ihn schon zu Beginn ihrer Reise gewarnt, dass der Zauber, der in den modernen Wohnungen die Kamine erscheinen ließ, immer nur ein paar Minuten anhielt. Ohne es zu merken, hatte er die Zeit gnadenlos überzogen – wegen des Hundes. In Seto stieg Wut auf, die er zu gerne an dem Welpen ausgelassen hätte, aber im Moment hatte er ganz andere Probleme. Er musste aus der Wohnung raus und das sofort. Die Haustür schwang auf und Stimmen wurden laut. „Du hast ganz toll gesungen, Serenity“, sagte Duke und zwängte sich gemeinsam mit Tristan durch die Tür. „Du solltest damit auftreten“, fügte Tristan hinzu. „Ich bin mir sicher, dass aus dir ein großer Star werden würde.“ „Meinst du das ernst?“ Serenity sah zwischen den beiden Jungs hin und her. Aah, da wird einem ja schlecht!, dachte Seto, der sich in aller Eile hinter die offen stehende Wohnzimmertür geflüchtet hatte. „Da muss ich Tristan ausnahmsweise mal Recht geben“, sagte Duke. „Und wenn es so weit ist, stehe ich dir gern als dein Manager zur Seite.“ „Hey, wenn hier einer Serenitys Manager wird, dann bin ich das!“, warf Tristan ein und packte den schwarzhaarigen Meister der Würfel am Kragen. „Hört auf, euch zu streiten, es ist Weihnachten“, sagte Joey und versuchte seine Freunde voneinander zu trennen. „Ihr benehmt euch wie kleine Kinder“, fügte Tea hinzu. „Brauchst du vielleicht Hilfe, Joeylein?“ Typisch, wo Joey ist, kann Mai ja nicht weit sein. Was findet die bloß an ihm? „Nein danke, geht schon, Mai. Aber kannst du den beiden ein Taxi rufen? Die zwei hatten bei unserer kleinen Party ein paar Biere zu viel.“ „Ich rufe besser gleich zwei“, antwortete Mai und betrat das Wohnzimmer. Sie nahm das schnurlose Telefon aus seiner Halterung, wählte die Nummer der Taxizentrale und bestellte zwei Wagen zu Joeys Wohnung. „So, das wäre erledigt. Sie sind gleich da und dann seht zu, dass ihr einen klaren Kopf kriegt. Sonst habt ihr einen bösen Kater, wenn wir uns morgen Mittag mit Yugi, Atemu und Ryou treffen. „Is ja g-gut“, lallte Duke und schlug mit der flachen Hand gegen die Tür. „Psst, du weckst unsere Nachbarn auf“, warnte Joey. Die Nachbarn wurden durch den Krach nicht geweckt, dafür allerdings begann der Shiba Inu, den Seto eben noch gerade so ruhig gestellt hatte, wieder zu jaulen und machte die sechs, die immer noch mit ihren Mänteln und Jacken draußen im Flur standen, auf sich aufmerksam. „Seht mal, die Geschenke sind da!“, rief Serenity und deutete aufgeregt auf den Baum. Seto presste sich noch mehr in die kleine Ecke, in der er stand, während das Mädchen und ihr nachfolgend auch Mai, Tea und die Jungen an ihm vorbeistürmten. Serenity ließ sich unter dem Baum nieder und zog die Decke von dem Korb herunter. Der Welpe nutzte seine Chance und sprang aus dem Korb, in dem er die letzten Stunden verbracht hatte, und seiner neuen Besitzerin direkt in den Schoß. Seine Zunge leckte über ihre Hände und Arme. „Oh, du bist ja ein ganz Süßer“, sagte Serenity verzückt und kraulte ihn. „Und wie willst du ihn nennen?“, fragte Mai, die sich zu ihr herunter- beugte. „Ich glaube, ich nenne ihn Kai“, meinte sie, nachdem sie kurz überlegt hatte. „Wie kommst du auf den Namen?“ „Ein Kompromiss, Joey hatte ‚Seto’ als Namen vorgeschlagen.“ Gleichnamiger Weihnachtsmann zog scharf die Luft ein und musste seine ganze Willenskraft in die Waagschale werfen, um nicht aus seinem Versteck und wild schreiend auf Joey zuzustürzen. Wie konnte er es wagen, ausgerechnet seinen Namen für einen Hund vorzuschlagen?! „Und Kai ist die erste Silbe von Setos Nachname“, erklärte Serenity weiter. „Wenn du meinst“, sagte Duke schulterzuckend. „Irgendwie passt der Name zu ihm. Aber wenigstens hat er nicht Kaibas eisigen Blick.“ „Stimmt“, grinste Joey. „Wo wir gerade von ihm sprechen, hattest du ihn nicht auch für heute zu der Karaokeparty eingeladen, Schatz?“, erkundigte sich Mai. Schatz? Sind die zwei etwa auch noch zusammen? Moment mal, soll das heißen, Wheeler hat eine Freundin und ich nicht? Das ist unerhört! „Hatte ich“, ließ sich Joey vernehmen. „Ich habe sogar extra feines Briefpapier benutzt, damit er die Einladung nicht für Werbung hält und gleich in den Papierkorb pfeffert. Aber unser vornehmer Herr Geldsack scheint es nicht mal für nötig zu halten, auf eine Einladung zu antworten. Und ich werde ihm sicher nicht hinterher rennen.“ Seto ging in Gedanken die Post durch, die in den letzten Tagen in seinem Eingangskorb im Büro gelandet war. Er erinnerte sich an einen Brief, der an ihn persönlich adressiert gewesen war und auf der Rückseite Joeys Namen als Absender getragen hatte. Er hatte ihn zur Seite gelegt, weil er sich gerade mit einem widerspenstigen Programm herumgeschlagen hatte. Das musste die Einladung gewesen sein. Seto war sich sicher, dass er abgesagt hätte, schließlich hatte er noch andere Dinge zu tun, als auf irgendwelche Weihnachtspartys zu gehen ... Ja, eine schöne andere Beschäftigung, die er heute hatte. Aber dass Joey Recht hatte, traf ihn hart. Auch wenn er nicht gekommen wäre, hätte es die Höflichkeit geboten, ihm zumindest abzusagen. Und wie als Strafe durfte er sich nun anhören, wie seine selbsternannten Freunde über sein Verhalten lästerten. „Und im Übrigen, könnt ihr euch Seto beim Singen vorstellen? Er ist zwar ein guter Duellant, aber dass er Gesangstalent hat, bezweifle ich stark.“ Seto ballte die Faust. Ha, hat der eine Ahnung. Mit meiner Stimme würde ich ihn genauso schlagen wie auf dem Duellfeld. Wozu singe ich seit Jahren unter der Dusche? „Und was machen wir mit seinem Geschenk?“, fragte Tea. Sie wollten mir was schenken? „Du meinst das Schreibset? Das kann Serenity haben, wenn sie es möchte. Unserem Drachen wäre es wahrscheinlich doch eh wieder viel zu schäbig gewesen.“ Joey zog ein längliches, rechteckiges Päckchen, das in blaues Eisblumenpapier eingepackt war, aus seiner Tasche. „Hier, Schwesterchen, damit kannst du dir deine Notizen für deinen nächsten Krimi machen.“ „Hast du denn schon Antwort vom Verlag gekriegt?“, fragte Mai. „Nein, bisher nicht. Aber ich habe heute noch gar nicht nach der Post gesehen. Du, Joey?“ „Nö, keine Zeit gehabt. Ich hol sie“, sagte er und verschwand im Flur. „Er hat den ganzen Tag für die Aufnahmeprüfung der Uni gebüffelt“, sagte Serenity. „Tja, er will ja unbedingt Medizin studieren“, sagte Tea. Seto hörte, wie die Wohnungstür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Joey und Medizin? Das erklärte natürlich das Geschenk, aber nicht, was ihn auf diese Idee gebracht hatte. Wenige Minuten darauf kam Joey mit der Post zurück. Er musste es eilig haben, die Schlüssel klapperten bei seinem Versuch, die Tür aufzuschließen. „Serenity! Du hast Post!“, rief er schon vom Eingang aus und kümmerte sich dieses Mal selbst nicht darum, ob die Nachbarn nun aufwachten oder nicht. Seine Schwester kam ihm mit schnellen Schritten entgegen und riss ihm förmlich den Brief aus den Händen. Sie ritzte den Umschlag mit dem Finger auf, zog ein Blatt Papier heraus und überflog die Zeilen. Joey hatte sich neben sie gestellt, um mitlesen zu können. „Und? Und?“, drängte Tea. „Sie haben mein Buch angenommen“, sagte Serenity langsam, als könnte sie die Nachricht nicht fassen. „Siehst du, ich hab es dir doch von Anfang an gesagt“, meinte Joey und nahm seine Schwester in den Arm. „Dabei hast du sie immer am meisten kritisiert“, entgegnete Duke. „Hat ja was gebracht, wie man sieht. Schade, dass euer Taxi gleich da ist, aber morgen – ich meine heute Mittag müssen wir das unbedingt feiern. Meine Schwester, die Schriftstellerin.“ „Für einen kleinen Schluck zum Anstoßen müssten wir gerade noch Zeit haben“, sagte Mai. Die anderen stimmten ihr zu und zu Setos Erleichterung verließen sie das Wohnzimmer und begaben sich in die Küche. Er packte die Gelegenheit beim Schopf und hastete, den Sack fest gepackt, zur Wohnungstür. Wenn er nicht mehr durch den magischen Kamin kam, blieb ihm nichts anderes, als das Haus auf herkömmliche Weise zu verlassen und das so schnell wie möglich. Er drückte leise und mit äußerster Vorsicht die Türklinke herunter und öffnete die Tür gerade so weit, dass er durch den Spalt schlüpfen konnte. Aus der Küche war was Klirren von Gläsern zu hören. Er schloss die Tür hinter sich und überließ die Wheelers und ihre Freunde ihrer frühmorgendlichen Feier. Der Weg aufs Dach, wo Bianca ungeduldig im Drachenjet wartete, gestaltete sich als schwierig. Seto fand die Tür zum obersten Stockwerk verschlossen vor und kletterte notgedrungen über die Feuerleiter nach oben. Wenn er das jemals Mokuba erzählen sollte, würde ihm der Kleine kein einziges Wort glauben. Kapitel 8: All I want for Christmas ... --------------------------------------- Kapitel 8 All I want for Christmas ... Bianca empfing Seto mit einen Kichern, das sie hinter ihrer Hand ziemlich vergeblich zu verbergen versuchte. Der arme Junge sah so abgekämpft aus. „Ich möchte jetzt nichts von dir hören“, sagte Seto ernst und bestieg den Jet. Die letzten Minuten hatten ihm mehr als genug Stoff zum Nachdenken geliefert. Bekam er jetzt etwa Schuldgefühle, weil er nicht auf Joeys Einladung geantwortet hatte und sich auch sonst nie um ihn und die anderen kümmerte? Das musste an dieser gefühlsüberladenen Weihnachtsstimmung liegen. Und daran, dass er dieses Kostüm trug ... und die vielen Kekse, von denen hatte er schon leichte Magenschmerzen. „Jetzt ist nur noch eine Station übrig, zu der wir müssen“, sagte Bianca. „Na endlich, und wer ist der Glückliche, den ich als letztes mit meiner Anwesenheit beehren darf?“ „Das wirst du gleich sehen.“ Sie lotste ihn durch die halbe Stadt, über das Geschäfts- und Universitätsviertel hinweg, immer weiter fort vom Zentrum. Seto konnte sich nicht helfen, irgendwie kam ihm die Gegend, über die sie gerade flogen, bekannt vor. „Waren wir hier nicht schon längst?“, fragte er. „Nein, und jetzt geh da runter.“ Seto folgte ihrer Bitte – die in seinen Ohren eben mehr wie eine Anweisung geklungen hatte – und setzte den Drachen auf dem Dach eines großen Gebäudes ab. Als er den Sack aus dem Jet heben wollte, ließ er ihn gleich wieder los. „Man, was habt ihr denn da alles reingetan? Wie viele Kinder gibt es in diesem Haus?“ Seine Augen wanderten in den dunklen Vorhof hinab, wo er die Schemen von ein paar Klettergerüsten erkannte. „Sag mir nicht, wir sind –“ „Doch, bei deinem alten Kinderheim. Und jetzt sieh mich nicht so griesgrämig an, sondern lächle bitte, Seto. Als du noch hier gelebt hast, hast du so oft gelächelt. Das steht dir viel besser als diese ewige böse Miene.“ Er begnügte sich damit, ihr als Antwort einen kurzen, undefinierbaren Blick zuzuwerfen. Dann machte er sich ein letztes Mal auf den ungemütlichen Weg durch die Heizungsrohre. Als das Gefühl des Zusammengequetschtwerdens aus seinen Eingeweiden verschwunden war, fand er sich im Speisesaal des Waisenhauses wieder. Der große Baum, der in der Mitte aufgestellt war, tauchte den Raum in einen warmen goldenen Schimmer, der sich in den Kugeln widerspiegelte. Diese warfen funkenartige Lichtreflexe an die Decke. Die Tische waren bereits für das Frühstück eingedeckt, das in wenigen Stunden stattfinden und den Raum wieder mit Leben erfüllen würde. Im Waisenhaus hatte Seto die meiste Arbeit zu erledigen; ein Päckchen nach dem anderen wanderte unter den Baum. Der Sack schien gar nicht damit aufhören zu wollen, weitere Pakete auszuspucken, jedes Mal, wenn Seto hineingriff, um zu sehen, ob er noch etwas vergessen hatte, fand er ein weiteres Geschenk. Das konnte er nur noch Ironie des Schicksals nennen. Als Mokuba ihn gestern Nachmittag (schließlich war jetzt der 25. Dezember) darum gebeten hatte, den Kindern die Geschenke auszuteilen, hatte er sich krampfhaft geweigert, diese Arbeit zu übernehmen, allein schon, weil er sie nicht für eines Kaibas würdig hielt. Und nun, gerade einmal zwölf Stunden später, stand er an der gleichen Stelle und tat genau das, wogegen er sich zuvor so stark gesträubt hatte. Was ihn jedoch noch mehr in Erstaunen versetzte, war, dass es ihm inzwischen sogar ein wenig Spaß machte – wenn man von seinen unliebsamen Begegnnungen mit Yugi, Joey und den anderen absah. Er fand es fast schon schade, dass er die Kinder nicht sehen konnte, wenn sie in ein paar Stunden ihre liebevoll verpackten Geschenke öffneten. Er genoss jedes Jahr den Moment, wenn sich Mokuba kurz zu ihm umdrehte und ihm zulachte. Das riss ihn immer kurz aus der Arbeit, an der er für gewöhnlich auch am Weihnachtsmorgen saß. Und dann wandte sich sein kleiner Bruder von ihm ab und beschäftigte sich mit seinen neuen Sachen. Seto griff in den Sack und zu seiner Überraschung dieses Mal ins Leere. Also hatte endlich das letzte Päckchen seinen Weg zum Baum gefunden und er konnte nach Hause fahren. „Santa Claus? Bist du das?“ Warum immer ich?, schoss es ihm nur durch den Kopf, bevor er sich umdrehte. In letzter Sekunde erinnerte er sich noch an Biancas Worte und bemühte sich, ein freundliches Lächeln auf seine Lippen zu zaubern. In der Tür stand ein kleines Mädchen, das eine Puppe in der Hand hielt, die Seto genau wie ihre Besitzerin verdächtig bekannt vorkam. Wie war nur gleich der Name gewesen? Er überlegte fieberhaft. Der Weihnachtsmann kannte die Namen aller Kinder. „Was machst du denn hier ... Akiko“, fragte er mit verstellter Stimme. „Ich habe was gehört und gehofft, dass du es bist.“ Sie kam mit langsamen, schüchternen Schritten auf ihn zu, wobei ihm nicht entging, dass sie keine Hausschuhe trug. „So, und warum hast du das gehofft?“, fragte er. „Weil ... Sag mal, bist du sonst nicht viel dicker?“ piepste Akiko, die nun so nahe war, dass die Kerzen ihr Gesicht beschienen. „Ich habe eine kleine Diät gemacht“, sagte Seto. „Ich ... ich möchte dir etwas geben“, fuhr sie fort und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor. „Das wollte ich eigentlich Kaiba-sama schenken, er ist zu uns gekommen und hat uns auch Geschenke gebracht. Aber er wollte es nicht, dabei habe ich mir solche Mühe ge- geben.“ „Und jetzt schenkst du es mir?“ Sie nickte nur. Seto nahm das Blatt entgegen und faltete es auseinander. Akiko hatte es geglättet, von den vielen Knitterfalten, die er beim Zusammenknüllen hinein gemacht hatte, war kaum noch etwas zu sehen. Er schwankte für einen flüchtigen Augenblick, als ihm sein geliebter Drache entgegensah. Natürlich konnte man ihn alles andere als perfekt nennen, aber Akiko hatte sich alle ersichtliche Mühe gegeben. Seine Gesichtszüge wurden weicher und das falsche machte einem ehrlichen Lächeln Platz. „Vielen Dank“, flüsterte er. „Bei dir weiß ich es in guten Händen“, sagte sie. „Jetzt aber ab mit dir ins Bett, sonst erkältest du dich. Du dürftest gar nicht hier sein.“ „Ich weiß, aber ... ich wollte dich unbedingt sehen. Gute Nacht, Santa und ... frohe Weihnachten.“ „Dir auch, Akiko.“ Sie drehte sich um und ging mit federnden Schritten aus dem Saal. Seto hob den Sack auf. Aus der Öffnung löste sich ein Stück Papier und flatterte zu Boden. Als er es aufhob, merkte er, dass es sich um einen Brief handelte. Seine Augenbrauen wanderten nach oben. Der Umschlag trug das Wasserzeichen der Familie Kaiba. Ein Blick auf die Rückseite bestätigte seine Vermutung. Der Absender war Mokuba. Nun packte Seto die Neugier. Ihm war klar, dass er damit gegen das Briefgeheimnis verstieß, aber er wollte unbedingt wissen, was sein kleiner Bruder dem Weihnachtsmann, denn an diesen war der Brief gerichtet, zu schreiben hatte. Lieber Santa, als erstes noch einmal vielen Dank für die schönen Geschenke vom letzten Jahr. Ich habe mich sehr über die Playstation, die DVDs, die Bücher und die Spiele gefreut. Ich weiß, eigentlich habe ich Dir meine Wunschliste schon vor drei Wochen geschickt, aber ich möchte Dich bitten, die Geschenke darauf zu streichen. Mir ist klar, dass du momentan sicher mindestens genauso viel zu tun hast wie mein großer Bruder Seto. Aber genau das ist der Grund, weshalb ich dir schreibe. Seto hat sich in den letzten Monaten sehr verändert, er ist noch ernster geworden als früher und vergräbt sich nur noch in seiner Arbeit. Ich sehe ihn kaum noch, was mich sehr traurig macht. Ich hatte eigentlich gehofft, dass sich das durch unser Freizeit-Park-Projekt ändern würde, aber davon spricht er kaum noch. Für dieses Jahr habe ich mir deshalb überlegt, mit ihm zu unserem alten Waisenhaus zu fahren und den Kindern die Geschenke zu bringen, damit er auch mal ein bisschen in Weihnachtsstimmung kommt. Es macht mich traurig, dass er nicht einmal zu Weihnachten seine Arbeit beiseite legen will. Früher haben wir gemeinsam unter dem Baum gesessen und unsere Geschenke ausgepackt. Seit ein paar Jahren aber sitze ich allein dort und Seto scheint mich gar nicht richtig zu beachten. Er sitzt am Tisch, arbeitet und denkt wahrscheinlich, dass ich mich über die Sachen freue. Das tue ich auch, aber viel lieber wäre es mir, wenn wir mal wieder einen Tag gemeinsam verbringen würden, ohne dass er dauernd an die Firma denkt. Was soll ich mit den ganzen Sachen, wenn ich keinen Bruder habe, der sie mit mir ausprobiert? Kannst du mir vielleicht mit Seto helfen? Mokuba Kaiba Seto fuhr sich über die Augen und wischte sich die Tränen ab, die sich in ihren Winkeln gebildet hatten. Zum zweiten Mal flogen seine Augen über das Papier und doch änderten sich die Worte nicht. „Oh Mokuba, wenn ich das gewusst hätte“, sagte Seto. Ein leises Rauschen in der Luft ließ ihn aufblicken. Hastig wischte er sich noch einmal über das Gesicht. „Seto, komm endlich, oder willst du nicht nach Hause?“, fragte Bianca, die direkt neben ihm auftauchte. „Äh ... irre ich mich oder hast du geweint? Ist irgendwas passiert?“ „Es ist gar nichts“, erwiderte er, was er mit einer ernsten Miene und seinem eiskalten Blick zu unterstreichen versuchte, der ihm nach dem Lesen des Briefes jedoch nicht so ganz gelingen wollte. „Dann können wir ja gehen“, sagte Bianca, der sein aufgewühlter Zustand ganz und gar nicht entgangen war. Kurze Zeit später landete der Drachenjet mit Seto und Bianca an Bord im unterirdischen Hangar des Kaiba-Anwesens. Seto gähnte verhalten, so gerädert hatte er sich lange nicht mehr gefühlt. Vierundzwanzig Stunden am Stück auf zu sein und zu arbeiten, das hinterließ eben seine Spuren. Erst recht, wenn einem für die letzten Stunden noch nicht mal ein Kaffee als Wachmacher zur Verfügung gestanden hatte. Das konnte selbst einen Seto Kaiba an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringen. Sie fanden den Weihnachtsmann und Timothy im Wohnzimmer vor, wo sie es sich bei einer Partie Mensch-ärger-dich-nicht auf dem Sofa gemütlich gemacht hatten. Die beiden blickten auf, als sie Seto und Bianca hereinkommen hörten. „Ah, da seid ihr ja wieder. Und wie war es?“, fragte Timothy. „Es ist alles gut gelaufen“, flötete Bianca. „Deine Bedenken waren völlig unbegründet.“ „Das haben wir gesehen“, sagte der Weihnachtsmann und hielt einen kleinen goldenen Handspiegel hoch, in dessen Rand Stechpalmenzweige graviert waren. „Wir haben euch natürlich während des ganzen Abends nicht aus den Augen gelassen.“ Auf Setos Gesicht legte sich ein Hauch von Rosé. Wenn er wirklich alles gesehen hatte, dann war ihm auch der Kuss nicht entgangen. Dabei hatte er den geheim halten wollen. Bianca, die neben ihm stand, trat nervös von einem Bein auf das andere. „Wie dem auch sei“, fuhr der Weihnachtsmann nach einer knappen Musterung der beiden fort, „ich möchte dir gratulieren, Seto. Das hast du wirklich ganz toll gemacht. Wenn ich es mir so recht überlege ... vielleicht sollte ich mal den Osterhasen bei dir vorbeischicken, der Gute würde sich ganz sicher über ein bisschen Urlaub freuen.“ In Seto stieg ein Bild, ein erschreckendes Bild, von ihm selbst auf, wie er mit langen Hasenohren und einem flauschigen Puschelschwanz durch die Vorgärten von Domino hüpfte, einen großen Korb mit bunt bemalten Ostereiern am Arm ... Er schüttelte sich. Nie im Leben! Die bloße Vorstellung war ihm schon grausam genug. „Ich halte das für keine gute Idee“, sagte er. „Für einen Osterhasen bist du auch etwas zu groß geraten“, lenkte Santa nun ein. „Auf jeden Fall wird es für uns Zeit, dass wir aufbrechen.“ Er und Timothy standen von der Couch auf. „He! War dein Bein nicht gebrochen? Wie kannst du dann schon wieder stehen?“ „Wie? Ach das. Das ist der Vorteil, wenn man zu den Fabelgestalten gehört, mein lieber Seto“, sagte der Weihnachtsmann. „So schnell kann mich nichts aus der Bahn werfen und außerdem ist Timothy ein hervorragender Heiler.“ „Soll das etwa heißen, es wäre überhaupt nicht nötig gewesen, mich als deine Aushilfe einzuspannen?“, brauste Seto auf. „Ich hätte also auch hier bleiben und ins Bett gehen können? Stattdessen bin ich durch die halbe Weltgeschichte gejagt, kämpfe mit Tigern, verstopften Kaminen, hinterhältigen Katzen und hab überhaupt noch nicht geschlafen und du sitzt hier, obwohl du arbeiten konntest.“ „Reg dich nicht so auf, Seto, das schadet nur deiner Gesundheit“, sagte der Weihnachtsmann ruhig. „Glaub mir, wenn du so weitermachst wie bisher, hast du in ein paar Jahren deinen ersten Herzinfarkt. Du solltest dir dringend überlegen, in Zukunft etwas kürzer zu treten. Und zu deiner Frage: Doch, es war nötig. Dass ich mir das Bein gebrochen hatte, war nur ein guter Vorwand. Hättest du sonst all die Dinge gelernt und all das erfahren, was du heute Nacht mitbekommen hast?“ „Früher oder später ...“ „Wohl eher später“, mischte sich Timothy ein. „Wenn du nicht mit deinem Bruder zusammenwohnen würdest, könnte man dich auch gut einen Einsiedler nennen, so wie du dich von allem und jedem abkapselst.“ „Ich kapsele mich überhaupt nicht ab.“ „Dann wusstest du also vorher, dass Mokuba sich trotz deiner Gegenwart einsam fühlt?“, fragte Bianca sanft. Setos Blick wurde starr. „Siehst du“, sagte der Weihnachtsmann. „So, und jetzt müssen wir wirklich gehen. Seto, ich wünsche dir frohe Weihnachten.“ Er tippte sich an die gerötete Nasenspitze und verschwand mit einem „Plopp“. Ein zweifaches leises Rauschen folgte ihm und von den beiden Elfen blieb nichts übrig als ein feiner goldener Nebel, der sich nach einer Weile ebenfalls verflüchtigte. Seto rieb sich die Augen. Hatte er das alles nur geträumt? Aber nein, das Spielbrett stand noch auf dem Tisch und er trug nach wie vor seinen roten Mantel. Erneut drang ein lautes Gähnen aus seinem Mund. Er schleppte sich die Treppen herauf und die Gänge entlang in sein Zimmer. Mantel und Mütze landeten auf einem Stuhl, dann fiel er in sein Bett und war Sekunden darauf in einen tiefen Schlaf versunken. Er bekam nicht mehr mit, wie Bianca noch einmal in seinem Schlafzimmer auftauchte, ihm die Bettdecke überlegte und ihm einen Kuss auf die Wange hauchte. Epilog: Fröhliche Weihnachten ----------------------------- Epilog Fröhliche Weihnachten Der Wecker klingelte und riss Seto aus seinem mehr als knapp zu nennenden Schlaf. Seine Hand schlug auf den Ausknopf und brachte ihn zum Schweigen. Er ging in sein Bad und klatschte sich mehrere Ladungen eiskalten Wassers ins Gesicht, um wenigstens einen halbwegs wachen Eindruck zu machen. Dann griff er nach seinem Bademantel und verließ sein Zimmer. Auf dem Flur traf er auf Mokuba, der im Gegensatz zu seinem großen Bruder einen sehr munteren Eindruck machte. „Guten Morgen, Seto“, sagte der Kleine überrascht. „Guten Morgen. Willst du nicht runtergehen und nach deinen Geschenken sehen?“ Kaum ausgesprochen, war Mokuba auch schon auf dem Weg die Treppen herunter. Seto folgte ihm in gemessenem Tempo. Als er ins Wohnzimmer kam und den Weihnachtsbaum sah, blieb er im Türrahmen stehen. Die Geschenke waren vor ein paar Stunden, als er ins Bett gefallen war, noch nicht da gewesen. Offenbar waren der Weihnachtsmann und seine beiden Elfen noch einmal zurückgekommen. Mokuba war allerdings zu seiner Überraschung nicht damit beschäftigt, seine Päckchen aufzureißen, sondern stand hinter der Couch, die Arme auf die Lehnen gestützt. Seto trat neben ihn und musterte ihn von der Seite. „Stimmt etwas nicht, Mokuba?“ „Nein, es ist alles okay“, schüttelte er den Kopf. „Der Weihnachtsmann scheint alles gebracht zu haben, was ich auf meine Liste geschrieben habe, aber ...“ „Ja?“ „Ach, nichts.“ Aber meinen wichtigsten Wunsch kann wahrscheinlich nicht mal er mir erfüllen, fügte Mokuba in Gedanken hinzu. „Dann mach doch deine Geschenke auf“, meinte Seto und schob seinen Bruder auf den Baum zu. Mokuba ließ sich auf dem Boden nieder und griff nach dem ersten Päckchen. Er hatte kaum angefangen, das Papier zu entfernen, als er innehielt und zu seinem Bruder aufsah, der im Begriff war, sich neben ihn zu setzen. „Wo hast du deinen Laptop gelassen, Seto?“ „Der ist oben in meinem Büro. Genau dort, wo er hingehört.“ „Ich dachte, du hast so viel zu tun.“ „Weißt du, Mokuba“, sagte Seto und griff nun selbst nach einem Päckchen, „manchmal kann einem eine einzige Nacht mehr Dinge deutlich vor Augen führen als ein ganzes Leben.“ „Ich verstehe nicht ganz, was du mir damit sagen willst.“ „Das wirst du schon noch“, sagte Seto und wandte seinen Blick gedankenverloren dem Fenster zu. „Das wirst du schon – oh, sieh mal! Ich glaube, es fängt an zu schneien.“ Mokuba sprang auf, lief zum Fenster und riss die Gardinen zur Seite. Die Flocken fielen in einem dichten Reigen vom Himmel. Auf dem hart gefrorenen Boden hatte sich bereits die erste dünne Schicht gebildet. Es war ein schöner, beruhigender Anblick, den Flocken bei ihrem Fall zuzusehen. „Sag mal“, begann Seto, „was hältst du von einer kurzfristigen Weihnachtsparty?“ „Wen willst du denn einladen?“, fragte Mokuba. „Das wird eine Überraschung“, sagte Seto mit einem geheimnisvollen Lächeln. „Aber bist du damit einverstanden?“ „Klar.“ „Gut, dann pack weiter aus. Ich muss kurz in mein Büro und die Party organisieren.“ Seto marschierte schnurstracks in sein Büro und wählte als erstes die Privatnummer von Roland, um ihn zu bitten, sich um die Einladungen zu kümmern und ihn gleich selbst einzuladen. Dann rief er beim Partyservice an, um das Essen und die Getränke für den Abend zu bestellen, sowie bei einigen anderen Leuten. Mokuba begann noch während der Vormittagsstunden, die seltsamen Worte seines Bruders zu begreifen. Seto setzte sich zu Mokubas Verwunderung nicht an seinen Laptop, sondern verbrachte den ganzen Tag mit ihm. Sie bauten sogar aus dem bis zum Mittag fallenden Schnee einen, wenn auch noch etwas mickrigen Schneemann. In den späten Nachmittagsstunden fuhr vor der Villa ein Wagen des Partyservice vor und lieferte die bestellten Sachen an. Die Hausmädchen hielt Seto mit umfangreichen Putzarbeiten auf Trab und bis zum Abend war das ganze Haus auf Hochglanz gebracht. Um Punkt neunzehn Uhr klingelte es an der Haustür. Seto, mit schwarzer Hose und gleichfarbigem Rollkragenpullover bekleidet, über dem er seinen weißen, ärmellosen Mantel trug, öffnete persönlich die Haustür und ließ seinen etwas verwirrt aussehenden Besuch ein. „Füße abtreten, Wheeler“, zischte er, als Joey mit seinen von Schnee umkränzten Schuhen über die Schwelle treten wollte. Augenblicklich begannen auch Yugi, Atemu, Tea, Serenity, Tristan, Duke, Mai und Ryou damit, den Schnee von ihren Schuhen zu klopfen. „Was verschafft uns so unerwartet die Ehre, von dir eingeladen zu werden?“, erkundigte sich Atemu, während er seinen dicken Wintermantel und die Handschuhe ablegte. „Herzitiert trifft es wohl eher“, meinte Tristan. „Sei froh, dass ich heute keine Lust habe, mich auf solche Debatten einzulassen“, sagte Seto. „Es ist Weihnachten, da kann ich ja wohl einladen, wen ich will. Und jetzt kommt rein.“ Als er die Tür schließen wollte, glitt sein Blick noch einmal nach draußen. Der Schnee glitzerte im Licht des Mondes silberweiß, als wären Diamanten und nicht Eiskristalle vom Himmel gefallen. Neben einem großen Ahorn bewegte sich ein Schatten. Seto sah rasch zurück ins Haus, seine Gäste waren im Wohnzimmer verschwunden und schienen damit beschäftigt zu sein, das Büffet und den Baum zu bestaunen. Er trat nach draußen, auf die oberste Stufe der Treppe, und spähte zu dem Baum herüber. Aus dem Schatten des Baumes trat eine Gestalt, die in einen langen Umhang gehüllt war. Ihr Gesicht war unter einer weiten, mit Pelz verbrämten Kapuze verborgen. „Wer bist du?“, fragte Seto. „Erkennst du mich nicht?“ Sie schlug die Kapuze zurück. Langes, braunes Haar wurde sichtbar. „Bianca.“ „Ich wollte noch einmal nach dir sehen, Seto. Offensichtlich hast du deine Lektion am Ende doch gelernt.“ „Jaah ... Werden wir uns noch mal wiedersehen?“ „Vielleicht nächstes Weihnachten ... ich weiß es nicht“, sagte Bianca. „Ich wünsche dir frohe Weihnachten.“ „Ich dir auch.“ Sie nickte ihm zu und verschwand mit einem leisen Rauschen. Der goldene Staub, der sie begleitete, vermischte sich mit dem wieder einsetzenden Schneefall. „Danke, Bianca“, flüsterte Seto. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)