Strandurlaub von NaokoSato ================================================================================ Kapitel 10: Horizont -------------------- Hallöchen ^^ Ja, ich schon wieder. Als kleine Entschädigung, weil es beim letzten Kapitel so lang gedauert hat, diesmal etwas schneller... Viel Spaß beim Lesen Eure Naoko 10 Horizont 1. April. Der Scherz liegt direkt vor mir, in Form eines Kleiderschranks. Zu meiner Rechten kniet mein Mitbewohner Sebastian und zu meiner Linken mein Vater und gemeinsam starren wir auf die Ansammlung aus Brettern und Schrauben vor uns. „Also, die Küche ist fertig eingeräumt“, verkündet meine Mum fröhlich als sie ins Zimmer kommt. „Schön“, kommt es nur von Sebastian. Mein Dad und ich nicken zustimmend. „Habt ihr Probleme, den Schrank aufzubauen?“, fragt sie mit hochgezogener Augenbraue. Wir schütteln synchron den Kopf. Männer geben so etwas nicht zu. Nie! Auf keinen Fall! Sie seufzt und krallt sich die Aufbauanleitung. „Also, Nicky, du nimmst das Brett da und hältst es aufrecht, während Sebastian die Schrauben dort unten rein schraubt, dann...“ So geht es weiter bis der Schrank steht und wir drei total fertig aufs Bett sinken. „Schatz, wieso hast du nur Anweisungen gegeben?“, fragt mein Dad. „Ohne mich hättet ihr es gar nicht geschafft, also tu nicht so, starker Mann“, lächelt sie unschuldig und verlässt den Raum. „Hey, was soll das heißen?“, entrüstet sich mein Vater und folgt ihr. „Ich hoffe, dass Ben und du nicht auch so seid“, lacht Sebastian. „Nein, wir sind schlimmer“, grinse ich. „Na dann komm, bauen wir noch die Schreibtische und Regale auf, dann können wir uns bald dem Wohnzimmer widmen“, meint er nur und zerrt mich wieder auf die Beine. Ich bin mittlerweile umgezogen, in eine neue Wohnung, aber mit altem Mitbewohner. Okay, wir sind noch dabei, alles aufzubauen und einzuräumen, aber deswegen sind ja auch meine Eltern da und helfen. Da wir aus unserer alten Wohnung sowieso in einem Monat hätten ausziehen müssen, haben wir Bens Einzug gleich zum Anlass genommen, in eine größere Wohnung zu ziehen, diesmal haben wir sogar ein Wohnzimmer und ein Fenster im Bad, doch bei drei Leuten, die Miete zahlen, kann man sich solchen Luxus schon mal leisten. Bis morgen Nachmittag muss alles stehen, dann kommt Ben, endlich. Nicht, dass wir uns zwischendurch nicht gesehen hätten, aber immer nur für ein, zwei Tage, das kann man also nicht wirklich zählen. Und jetzt ist es also endlich so weit. Mal abgesehen von der schwierigen Zeit des Möbelaufbaus komme ich nicht aus dem Grinsen heraus. Unser Zimmer sieht so aus, wie wir es mittels Internet und Telefon entschieden haben, die Kosten werden später geteilt. Die Wohnung selbst haben Sebastian und ich ausgesucht und danach in ein Haus direkt gegenüber unserer alten Wohnung transferiert. Na ja, sie war schon da, aber das macht nur den Umzug leichter. Jetzt haben Ben und ich ein Zimmer mit zwei Schreibtischen, einem riesigen Schrank, einem neuen Bett und unzähligen Regalen, die die Wände verstecken. Nur Sebastian hat nichts neues für sein Zimmer bekommen, der Arme. Okay, die Wohnzimmereinrichtung ist neu, aber eben nichts für ihn alleine, nicht einmal die Küche... Dafür war er auch schneller fertig mit einräumen. Alles hat seine gute Seiten. Warum ich meine Möbel nicht auch einfach mitgenommen habe? Weil es ein Neuanfang wird. Für Ben und für mich. Für ihn ist ein genereller, neue Stadt, Studium, neues Leben, und für mich ist zumindest einer auf der Beziehungsebene. Das Frühwarnsystem habe ich schon installiert: Sebastian. Sobald ich anfange, Scheiße zu bauen, sagt er es mir. Oder er haut mir gleich eine rein, je nach dem wie groß die Scheiße ist. „Du bist glücklich, oder?“, fragt Sebastian als wir am Abend im Wohnzimmer sitzen. Ich kann nur noch breiter grinsen und weiter nervös mit meinen Händen spielen. „Ja, bin ich.“ „Strahl nur nicht zu viel, sonst beschweren sich noch die Nachbarn“, grinst er. „Damit müssten sie dann wohl leben“, grinse ich zurück. In dieser Nacht schlafe ich auf dem Sofa. Irgendwas hindert mich daran, unser Bett allein einzuweihen, schließlich gehört es uns beiden und nicht ein einziges Mal möchte ich darin allein schlafen. Sebastian, der Frauenheld, nennt mein Verhalten bekloppt. Er war noch nie verliebt. Ich weiß es, wir kennen uns seit der Schulzeit. Er studiert Jura wie ich, ist aber noch nicht so weit wie ich. Menschen, die viel lernen müssen, tun mir manchmal wirklich leid... Den ganzen Tag über werde ich immer nervöser und insgesamt drei Geschirrteile fallen meinen zitternden Händen zum Opfer – ein Teller, eine Tasse und ein Glas. Sebastian hat alle Mühe, mich zu beruhigen, aber auch Dank meinem Lieblingsgetränk – Koffein mit Kaffeegeschmack – bekommt er es nicht wirklich hin und wirft mich schließlich, zwei ganze Stunden bevor Bens Zug ankommt, aus der Wohnung. Habe ich schon mal erwähnt, wie sehr ich die Erfindung des Coffee to go liebe? Kaum hat ein Becher meine Hand verlassen, kommt schon der nächste dran. Mich in ein Café setzen? Geht nicht – zu nervös. Nach ca. 1 Stunde und 50 Minuten ziellosen Umherlaufens in der Innenstadt (ich glaube, ich bin mindestens zehnmal am Kaufhof vorbei gegangen – in eine Richtung...), begebe ich mich zum Bahnhof. Laut Fahrplan kommt der Zug aus Berlin, in dem Ben sitzt, um 17 Uhr 5 auf Gleis 11 an. Laut Anzeigetafel hat der Zug 30 Minuten Verspätung. Genug Zeit also, die Bahn mal wieder zu verfluchen und noch ein bisschen mehr Kaffee zu trinken. 30 Minuten nach fahrplanmäßiger Ankunft hasse ich die Bahn endgültig: 1 Stunde Verspätung. Auf genaue Nachfrage per Handy teilt Ben mir mit, dass er immer noch auf dem Bahnhof steht und der Zug noch nicht zu sehen ist. Irgendwie wäre ich jetzt gern in Japan, da gibt es so was nicht, wie ich im Fernsehen irgendwann mal gesehen habe. Okay, wenn der Fuji ausbricht, Erdbeben alle Städte zerstören und das Ebola-Virus die Bevölkerung dahin rafft, gleichzeitig, dann vielleicht, aber dann würden sich wohl selbst Japaner um andere Sachen sorgen als um verspätete Züge. Zurück nach Leipzig: Mein Handy gibt zu allem Überfluss auch noch den Geist auf. Ich hasse mein Leben. Es ist fast als hätte sich die ganze Welt gegen Ben und mich verschworen. Grummelnd sitze ich auf dem Bahnsteig, aufgrund der Menschenmassen auf dem Boden, als die Ansage ertönt: „Meine Damen und Herren an Gleis 11, der verspätete ICE aus Berlin zur Weiterfahrt nach München, planmäßige Ankunft war 17 Uhr 5, hat in wenigen Minuten Einfahrt am Gleis 10 gegenüber.“ Er kommt, er kommt wirklich an! Offenbar ist die Welt doch nicht ganz so böse, wie ich dachte. Und ich hätte schon fast geheult, laut, damit die von der Bahn es mitbekommen. „Endlich!“, seufze ich laut. „Ist Ihre Freundin in dem Zug?“, fragt eine amüsierte Rentnerin neben mir. „So ähnlich“, grinse ich sie an und stehe auf. Dann fährt er ein, der Ben mit meinem Zug. Nein, der Zug mit meinem Ben. Pünktlich um 19 Uhr 37. Der Bahnsteig ist so brechend voll, dass ich keine Ahnung habe, wie ich Ben in dem Chaos finden soll. Fast schon verzweifelt suche ich also die Massen nach ihm ab, als mir etwas auf die Schulter tippt. Ich drehe mich um, genervt, weil mich der Störenfried davon abhält, Ben zu suchen. „Suchst du was?“, fragt er mich grinsend, mein schwarzer Engel mit den strahlend blauen Augen, dem riesigen Rucksack, der Laptop-Tasche und den zwei großen Koffern. Ich kann nicht mal was sagen, bevor ich ihn umarme. Nur heulen könnte ich, vor Glück. Klingt übertrieben? Ist es aber nicht, weil es diesmal nicht nur zwei Tage sind, die wir uns sehen, sondern länger, weil diesmal nicht das Gefühl mitschwingt, sich bald wieder verabschieden zu müssen. „Hast es gefunden, was?“, lacht Ben. Ich nicke nur und küsse ihn. Die Menschenmassen um uns herum sind mir egal, einzig und allein er zählt, und dass er da ist, endlich. Unser Kuss kommt mir vor, als würde er in Zeitlupe stattfinden, wahrscheinlich weil wir uns wirklich Zeit lassen. „Komm, lass uns nach Hause gehen“, lächelt Ben mich schließlich an. „Ja, gehen wir“, erwidere ich nur leise, bewege mich aber keinen Millimeter. „Dann solltest du mich loslassen, oder dich wenigstens bewegen“, lacht Ben. „Wenn wir da sind, lass ich dich eh nicht mehr los.“ „Bei den Aussichten...“, murmele ich, lasse ihn doch los und schnappe mir gleich mal einen seiner Koffer. Meine Tante hat uns doch glatt ein Taxi spendiert, so müssen wir uns wenigstens nicht in die Straßenbahn quetschen. Dafür aber Bens Sachen in den zweiten Stock hoch schleppen. Und Sebastian vorstellen, den Ben nur vom Telefon und aus meinen Erzählungen kennt, doch das geht fröhlich vonstatten. Die beiden verstehen sich prima und der Abend wird sehr schön gemütlich bei Pizza, Bier und einem sehr anhänglichen Nick. Wie soll ich auch die Hände von Ben lassen, wenn er endlich in Reichweite ist? Sebastian nimmt es gelassen hin und geht früher ins Bett als gewöhnlich. Aus irgendeinem Grund ahne ich, warum... „Ich fürchte, wir haben ihn vergrault“, meint Ben als er weg ist. „Tut mir gar nicht leid“, grinse ich und küsse ihn mal wieder. „Warte mal, ich will noch über was mit dir reden.“ Mit diesen Worten schiebt er mich von sich, nicht weit, aber zu weit für meinen Geschmack. Scheint was ernstes zu sein... „Worüber?“, frage ich vorsichtig. „Na ja, ich hab dir doch gesagt, dass ich noch bei deiner Tante und deinem Onkel bleiben will, weil ich dort den Job habe und das Geld für die Wohnung und das Studium und so sparen will...“ „Hast du das nicht?“ „Doch, und es ist mehr als genug, hatte ja Zeit zum Arbeiten und nichts anderes zu tun, aber wir haben auch noch einiges regeln müssen...“ „Die Sache mit Alex“, meine ich und bin fest davon überzeugt, dass ich richtig liege. Was soll es sonst sein? „Auch...“, sagt Ben nur und seufzt. „Ich will dir was zeigen.“ Er steht auf und kramt in seinem Rucksack, der noch neben der Wohnzimmertür im Flur steht. Dann hält er mir plötzlich einen Ausweis vor die Nase. Seinen Ausweis. Nur steht da nicht Benjamin Schwarz, sondern Benjamin Gerken. Blöder Name, wie ich fin... Warte mal! Das ist der Name von Onkelchen und Tantchen! Aber wieso steht der auf Bens Ausweis? Offenbar habe ich was verpasst... „Ich konnte nicht früher herkommen, weil das zu regeln war“, meint Ben leise. „Wie? Das?“ „Wir... wir sind jetzt verwandt... rein rechtlich jedenfalls.“ Ich steh auf dem Schlauch, und auf meiner ganz gewaltig langen Leitung noch dazu. Was will Ben mir sagen? Was meint er mit verwandt? Was soll dieser Name? „Du kapierst es nicht, oder?“, fragt er lächelnd und ich schüttle nur den Kopf. „Sie haben mich adoptiert. Deine Tante und dein Onkel haben mich adoptiert.“ Er lächelt irgendwie erleichtert. „Adoptiert? Das... das heißt, du bist mein Cousin?“ „Nur rechtlich! An unserer Beziehung ändert sich nichts, wir dürfen machen, was wir wollen, ich hab Rainer extra gefragt“, erklärt er. „Du bist der Erste, der es erfährt!“ (Anmerkung des Nick: Rainer ist im Übrigen der Vorname meines Onkels.) „Seit wann?“, frage ich nur. Wieso erfahre ich so etwas wichtiges denn nicht? „Seit einem Monat ist es unter Dach und Fach, aber es war noch so viel zu erledigen... den Ausweis konnte ich auch erst gestern abholen. Tut mir leid, dass ich es dir nicht früher gesagt habe, aber ich wollte es dir persönlich sagen, nicht am Telefon und schon gar nicht per E-Mail“, meint er ernst. Könnte mir aber bitte mal einer sagen, warum ich beleidigt bin, dass er nichts gesagt hat? Ich sollte mich für ihn freuen, schließlich hat er jetzt endlich eine Familie, die ihn auch verdient, und die wahrscheinlich mehr für ihn tut als seine leibliche Familie. Den doofen Bruder ist er auch los! Nur Gründe zur Freude also. Nur ich Trottel bin beleidigt. „Nick?“, dringt Bens ängstliche Stimme an mein Ohr als ich nichts sage. „Tut mir leid, ich frage mich nur, was ich falsch gemacht habe, dass du es mir nicht früher gesagt hast“, gebe ich zu. Ich will ihm ja gar keine Vorwürfe machen, und doch klingt es so. „Nichts! Du hast gar nichts falsch gemacht!“, protestiert er energisch. „Ich wollte es dir eben nur persönlich sagen. Tut mir leid.“ „Wir haben uns gesehen, erst vor zwei Wochen. Das Wochenende mit meiner Tante und meinem Onkel in Berlin, das blöde Musical... du erinnerst dich?“ „Es tut mir leid“, wiederholt er und klammert sich an mich. „Mir auch“, flüstere ich und umarme ihn. „Ich... ich hatte Angst, dass du die Idee nicht gut findest“, gibt er leise zu. „Ich finde sie gut, fantastisch sogar. Wer ist denn darauf gekommen?“ „Keine Ahnung. Einen Tag nachdem ihr gefahren seid, haben Monika und Rainer beim Abendessen davon angefangen. Ich hab einfach nur Ja gesagt.“ (Anmerkung des Nick: Monika wäre dann der Vorname meiner Tante. Komisch, dass ich das noch nicht erwähnt hatte...) „Ich freu mich für dich! Wirklich! Jetzt hast endlich richtige Eltern“, lächle ich. „Die hatte ich schon vorher, nur waren die... na ja, total bescheuert, verbohrt und konservativ.“ Stimmt, aber mal abgesehen von den tollen Eltern hast du noch was ganz tolles bekommen“, grinse ich. „Was denn?“, wundert Ben sich. „Einen absolut unwiderstehlichen und noch dazu verdammt cleveren und gut aussehenden Cousin!“ „Spinner!“, lacht Ben und küsst mich. Eine ganze Weile sitzen wir knutschend auf dem Sofa, auf dem Tisch vor uns stehen noch die leeren Pizzakartons, aber wen kümmert das schon? Plötzlich löst Ben sich aber von mir und steht auf. „Was ist los?“, frage ich verwundert, lief doch gerade alles super... Ben sieht mich mit großen, traurigen Augen an. „Du hast mir zwar schon unser Zimmer gezeigt, aber irgendwie habe ich Lust, mir unsere Bettwäsche genauer zeigen zu lassen.“ Okay, manchmal bin ich zwar ziemlich schwer von Begriff, aber das kapiere ich auf Anhieb. Mist, wieso versteh ich immer nur das schnell, was meine Triebe befriedigt? „Dann sollte ich sie dir mal zeigen, was?“, schlage ich unschuldig lächelnd vor, jedenfalls denke und hoffe ich, dass es unschuldig und nicht triebgesteuert aussieht. Ben streckt mir seine Hand entgegen. „Komm! Zwei Wochen allein schlafen ist nicht mein Ding, zumindest seit wir zusammen sind.“ „Wir haben uns zwischendurch doch auch mal drei Wochen nicht gesehen. Wie hast du das denn überlebt?“, wundere ich mich während ich zu ihm gehe und seine Hand nehme. „Es waren vier und die reinste Hölle“, lächelt er und zieht mich ins unser Zimmer. Auf dem Flur begegnen wir Sebastian, der im Schlafoutfit ins Bad schlurft. „Wehe ihr macht zu laut!“, meint er nur und verschwindet. „Wenn wir wollen können wir auch leise sein“, murre ich ihm hinterher, doch Ben zieht mich schon weiter, macht die Tür zu und schiebt mich zum Bett. „Wirklich schöne Bettwäsche“, lächelt er lasziv. „Ja, guck dir mal das Muster an, es ist so schön raffiniert“, meine ich und mache mich an die Arbeit, also ich befreie ihn von seinem Hemd. „Du meinst so schön einfarbig blau“, grinst Ben. „Genau“, murmle ich nur und bedecke seinen Oberkörper mit Küssen. „Hey, du wolltest mir die Bettwäsche zeigen“, lacht er. Da gibt man sich schon mal Mühe... Gut, dann höre ich eben auf. Scheint ihm aber auch nicht zu gefallen, so wie er mir unters T-Shirt fährt und mich küsst. „Du hättest ein Hemd anziehen sollen“, murmelt er während er mir das Shirt über den Kopf zieht. „Warum?“, frage ich leise. „Das kann man ausziehen ohne die Lippen von einander trennen zu müssen.“ „Dann komm her! Meine Lippen vermissen deine schon“, meine ich nur und ziehe ihn wieder zu mir. Das Bett ist wirklich gut, so schön gefedert und es quietscht auch nicht... Als Ben eine ganze Weile später schon schläft, und nachdem ich nochmal im Bad war und das Licht ausgemacht habe, setze ich mich neben ihn und beobachte ihn im Licht der Straßenlaterne, das durch die Fenster scheint. Schlafend sieht er wirklich unschuldig aus. „Willkommen zu Hause“, flüstere ich und streiche ihm sanft eine Strähne aus der Stirn. „Schlaf endlich“, brummt er plötzlich und und zieht mich zu sich. „Zu Befehl!“, flüstere ich, betrachte ihn aber weiter, bis ich schließlich einschlafe. Monate späte, genauer gesagt 4 Monate und 3 Tage später, ist immer noch alles in Ordnung. Ich habe es noch nicht geschafft, irgendwelchen Mist zu bauen, und Sebastian hält es immer noch mit uns aus, tapferer Mann. Aber der ist gerade irgendwo in Russland oder so, irgendwo in Osteuropa jedenfalls, und versucht lebendig nach St. Petersburg zu kommen. Ben und ich sind nicht ganz so weit gekommen, nur zu meinen Eltern nach Hause. Tolles Urlaubsziel, ich weiß, vor allem, wenn man sonst wo sein könnte. Italien zum Beispiel, oder Island, oder Irland, oder Marokko. Hatten wir uns alles überlegt, aber sind dann doch wieder bei meiner Tante gelandet, für drei Wochen als Hunde- und Haussitter. Merkwürdigerweise gab es keine Probleme, nicht mal mit Bens ehemaliger Familie. Könnte aber auch daran liegen, dass sie, nachdem herauskam, wie Alex Ben behandelt hat, nichts mehr zu lachen hatten und aufs Festland gezogen sind. Es hat eben durchaus Vorteile, der beliebtere Bruder zu sein... Wie dem auch sei, jetzt ist die ganze Familie beisammen, sogar meine Großeltern sind da und der Bruder meines Vaters samt Anhang. Heute steigt nämlich die größte Party des Jahres, in unserem Garten. Nur nach feiern ist mir gerade nicht wirklich. Ben, der neben mir auf der Terrassentreppe zum Garten hin sitzt, auch nicht. „Ich werde sie umbringen“, murrt er. „Wir sehen lächerlich aus“, füge ich an. „Ja, außerdem ist es viel zu... luftig. Wir werden garantiert krank.“ „Warum haben wir nochmal Ja gesagt?“, frage ich. „Weil sie uns mit großen Augen angeguckt haben, alle vier!“, brummt er und meint meine Mum, meine Tante und die Zwillinge. Was murmelt ihr da in eure nicht vorhandenen Bärte?“, fragt mein Vater uns plötzlich. Er hat schon wieder seine Kamera in der Hand. „Pack die Kamera weg!“, fordere ich. „So etwas nennt man Katastrophentourismus“, murrt Ben. „Was habt ihr nur? Sieht doch sexy aus“, lächelt mein Vater. „DAD!“, entrüste ich mich fassungslos und er zieht weiter. „Ich will nie wieder das Wort 'sexy' aus dem Mund deines Vaters hören“, meint Ben leise. „Ich auch nicht“, gebe ich zu. „Wir hätten Monika und Rainer nach Japan oder so schicken sollen“, murmelt Ben. „Dann würden wir jetzt Kimono tragen“, gebe ich zu bedenken. „Aber die gehen wenigstens bis zu den Knöcheln, nicht nur bis zu den Knien“, wirft Ben ein. „Nächstes Jahr schicken wir sie nach Japan! Oder noch besser: nach Indien! Da wird es nur ein Turban und wir können unsere normalen Klamotten anlassen.“ „Oh ja! Hauptsache nicht wieder Schottland!“ „Nie wieder!“, stimme ich zu. Richtig geraten! Wir tragen Schottenröcke. Tantchen und Onkelchen haben sie uns mitgebracht und nun müssen wir sie tragen, vor allen Augen. Vorhin hat mich auch schon der Postbote in dem Ding gesehen, als er ein Paket meines in Amerika lebenden Onkels ablieferte, und prompt hat er die altbekannte Frage nach dem Darunter gestellt. Jetzt hasse ich ihn. „Nicky! Ben! Kommt her, wir wollen die Torten anschneiden“, ruft Charlie. „Na komm, wir wollen die beiden doch nicht warten lassen“, meint Ben und steht auf. „Ich trage einen Rock“, murre ich nur, doch Ben zieht mich nur hoch und in Richtung Tisch, auf dem zwei Torten mit jeweils 10 brennenden Kerzen stehen. „Sie haben doch nur einmal im Jahr Geburtstag“, lächelt Ben nur ruhig. „Und wir müssen leiden“, murre ich ungestört weiter. Ben lächelt immer noch. „Also irgendwie steht er dir ja.“ „Das will ich nie wieder von dir hören, wenn ich knielange Röcke trage!“ „Du ziehst wieder einen an?“, fragt er mit großen Augen. „Nein!“ „Ben, Nicky!“, rufen die Mädchen im Chor. „Schade“, grinst Ben nur und zerrt mich zum Tisch, an dem die Familie schon versammelt ist. Die Zeremonie kann also beginnen. Es werden Kerzen ausgeblasen und Geschenke verteilt. Die Zwillinge bekommen wie immer viele Geschenke, Spielzeug, neue Schultaschen, DVDs und CDs, was man halt als zehnjähriges Mädchen so alles braucht. Auch ein Umschlag ist dabei. „Von wem ist der denn?“, wundert Josie sich. „Keine Ahnung, mich beunruhigt eher, dass er für uns beide gemeinsam ist“, meint Charlie. „Macht ihn doch mal auf“, schlägt meine Großmutter mütterlicherseits vor. Josie nickt, reißt den Umschlag unter den neugierigen Blicken aller auf und zieht die darin befindliche Karte hervor. Die Zwillinge lesen sie und sehen Ben und mich fragend an. „Was ist?“, fragt Ben sie lächelnd. „Da steht, dass ihr mit uns nach Paris fahrt...“, murmelt Josie. „Nicht ganz. Da steht, dass wir mit euch nach Paris und nach Disneyland fahren, drei Tage Paris, drei Tage Disneyland“, erkläre ich lächelnd. Wir haben das halbe Semester gespart und gearbeitet, aber zum ersten runden Geburtstag darf es gerne mal mehr sein, fanden wir. Meine Eltern sind natürlich eingeweiht, soll ja schon in zwei Tagen losgehen, da haben die zwei noch Ferien. Die Mädchen sind fassungslos, wenigstens 10 Sekunden lang, dann fallen sie uns fröhlich um die Hälse. „Ich hab das Gefühl, die Idee gefällt ihnen“, lacht Ben. „Und wie sie uns gefällt!“ „Ihr seid echt die Besten!“, meint Josie und umarmt uns beide auf einmal. Mein Vater räuspert sich wenig unauffällig. „Tut mir leid, Papa, aber von dir haben wir ja nur was praktisches bekommen“, sagt Charlie ihm ins Gesicht. „Genau, Schultaschen sind für die Schule, und die kommt gar nicht gut an“, fügt Josie hinzu. „Dann lasst uns mal Kuchen essen“, erwidert mein Dad nur, was den Rest der Sippschaft nur noch mehr amüsiert und die Geburtstagskinder wieder jubeln lässt. Während des Essens werden wir die ganze Zeit von meinen Großeltern skeptisch beobachtet. Oder sollte ich lieber sagen, von unseren Großeltern? Weil ja jetzt die Eltern meiner Mum auch Bens Großeltern sind, da sie ja genauso die Eltern meiner Tante sind. Und der eine Onkel, der in den Staaten lebt und der Bruder meiner Mum ist, ist ja auch Bens Onkel, dafür aber der anwesende Onkel nicht, weil der ja der Bruder meines Vaters ist, der aber ja nicht direkt mit meiner Tante verwandt ist, sondern nur ihr Schwager... So richtig sehe ich bei den Verwandtschaftsverhältnissen nicht mehr durch... „Wir sollten es ihnen sagen“, flüstert Ben mir schließlich zu. „Ja, aber erst will ich noch ein Stück Kuchen“, flüstere ich zurück. „Vielfraß“, lacht er. „Jep“, grinse ich nur und schnappe mir noch ein Stück Schokotorte. Etwas später sitzen zwei Großmütter und zwei Großväter auf unserer Hollywoodschaukel. „Also... Opa, Oma, Oma, Opa... Wir müssen euch etwas sagen...“, beginne ich. „Wir sind zusammen“, meint Ben selbstbewusster als ich. „Zusammen?“, fragt die eine Oma verwundert nach. „Ja, wir sind ein Paar, wir lieben uns“, erklärt Ben. „Das ist aber schön für euch“, sagt die andere Oma, die ich eigentlich immer für konservativer gehalten hatte. Ihr Mann seufzt. „Guck nicht so verwirrt, Nicolas.“ „Aber... ihr rastet gar nicht aus...?!“, wundere ich mich. „Na ja, seit deine Oma hier diesen komischen Kabelanbieter abonniert hat und wir so viele Kanäle haben, schauen sich deine beiden Großmütter immer diese komische Sendung mit den Schwulen an...“ „Queer as Folk“, wirft die eine Oma ein. Man beachte hierbei die deutsche Aussprache des englischen Serientitels... „Aber die anderen Sachen, die auf dem Sender kommen sind auch gut“, meint die andere. „Stimmt, diese eine Sendung...“ Ich erspare mir an dieser Stelle die Wiedergabe des Gespräches zweier siebzigjähriger Großmütter über das Programm des ominösen, schwulen Fernsehsenders, von dem ich auch schon mal irgendwo gehört habe. „Lass uns gehen, das ist gruselig“, raunt Ben mir zu. Meine Großväter stimmen schnell zu und wir verkrümeln uns lieber. Der Rest des Tages gehört den Zwillingen, die uns belagern und immer wieder versichern, wie toll wir doch in unseren Röcken aussehen. Ben scheint sich mit dem Kleidungsstück abzufinden und auf meinen zu stehen... Na toll, dann darf ich das Teil wohl noch öfter tragen... Die Nacht gehört dann wieder uns allein. Wir liegen im Garten und beobachten die Sterne. Josie liegt auch noch neben Ben, ist aber längst eingeschlafen. „Das sollten wir öfter machen“, meint Ben irgendwann leise. „Gerne“, lächle ich ihn an. „Aber erst müssen wir mit den Zwergen nach Paris.“ „Wird bestimmt lustig“, murmelt er und sieht mich auf seine Ellenbogen gestützt an. „Mit dir allein wäre es auch schön lustig“, grinse ich. „Aber du kannst mich doch das ganze Jahr haben...“ „Ja, da hab ich wirklich Glück gehabt“, lächle ich. „Unsagbares Glück“, haucht er und küsst mich. Er hat Recht, es war unsagbares Glück, dass ich ihn gefunden habe. Mittlerweile ist bei mir zwar die Verliebtheit vorbei, dafür allerdings ist dieses Gefühl da, dass ich nur mit dem Wort Liebe erklären kann. Die Schmetterlinge in meinem Bauch haben sich beruhigt, jetzt ist da statt des Kribbelns Wärme und statt des Herzrasens Glück. „Ich liebe dich, Ben“, flüstere ich nach dem Kuss. „Ich liebe dich auch“, erwidert er und lehnt sich an mich, so dass wir Arm in Arm in den Nachthimmel sehen. Das Leben ist schön. Und wir sind wohl beide glücklich. Endlich weiß ich, wie sich das anfühlt: Einfach nur gut! So soll es sein, für den Rest unseres gemeinsamen Lebens. ENDE Ich hoffe, ihr seid mir jetzt nicht böse, dass es vorbei ist... Ja, es ist schade, mir sind die beiden auch ans Herz gewachsen, aber lassen wir sie jetzt mal ihr Leben genießen. Bis bald an anderer Stelle ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)