Wenn die Nacht anbricht von sweet-shadow (story) ================================================================================ Kapitel 1, Teil 1 ----------------- Wenn die Nacht anbricht Wie eine Wolke Die vom Wind gescheucht wird Schwebt die Finsternis herbei Und legt sich Leise wie ein Schatten Tief wie ein See Kühl wie der Tod Über die Erde In ihr lauern sie Die Kinder der Nacht Lüsternd Wispernd Unheimlich Sie brechen aus Und das Unheil nimmt seinen Lauf Kapitel 1 Ich schaute mich unsicher um. Mein Gesicht zuckte nervös. Meine Sinne waren aufs äußerste gespannt. ‚Ruhig, ganz ruhig’, sagte ich zu mir selbst. ‚Es gibt hier gar keinen Grund, sich zu fürchten.’ Doch ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Meine Augen huschten argwöhnisch im Raum herum. Darauf bedacht, jedes unnormale Detail wahrzunehmen. Mein Verstand sagte mir, es gab nichts, wovor ich mich fürchten müsste, doch das beeinflusste meine Gefühle kein bisschen. Ich war von Dunkelheit umgeben. Langsam setzte ich einen Fuß auf die nächste Treppenstufe. Selbst das schon erwartete Knirschen des Holzes ließ mich schaudern. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Langsam drehte ich meinen Kopf herum. Wer sagte mir denn, dass da niemand hinter mir sein konnte? Doch dort war auch nur endlose Schwärze. Ich konnte lediglich die Schemen des Treppengeländers erahnen. Ob dort nun jemand war oder nicht mochte ich nicht zu erkennen. Ich richtete meinen Blick wieder nach vorn. Ich kam zu dem Schluss, dass ich so schnell und leise in mein Zimmer kommen musste, wie nur möglich. Da währe ich endlich in Sicherheit. Ich biss mir auf die Unterlippe, nahm meinen ganzen Mut zusammen und rannte so schnell es mir möglich war, ohne zu viele Geräusche zu verursachen. Treppenstufe um Treppenstufe. Auf dem langen, dunklen Flur angekommen stoppte ich. Erneut sah ich mich um, ließ meinen Blick schweifen- nichts zu sehen. Ich schlich auf leisen Socken voran. An der ersten Zimmertür vorbei. Warum musste die Tür bloß offen stehen? Ich sah den großen Schrank, der sich in meiner Phantasie zu einem dunklen Etwas formte. Sah ich da nicht Augen, die mich begierig anstarrten? Mein Herz schlug schneller. ‚Das war nur ein Schrank’, sagte ich mir, doch es half kaum. Ich rechnete jeden Moment damit, dass mich etwas von der Seite ansprang. Dann war die Tür auch schon hinter mir in der vollkommenen Schwärze verschwunden. Nun kam die zweite Tür, an der ich vorbei musste. ‚Komm, du hast es gleich geschafft, nur noch an vier Türen vorbei!’ Als ich an dieser Tür vorbei schlich hoffte ich inständig, sie würde auch geschlossen bleiben, aus Angst davor, was sich dahinter verbergen könnte. Die Schulter hochgezogen huschte ich weiter. Da hörte ich ein, wie es mir schien, unendlich lautes Geräusch. Wer hatte es verursacht? Ich war es diesmal nicht gewesen! Woher kam es? Was war es? Alles in mir zog sich zusammen. Hatte ich Recht, war hier wirklich jemand …oder etwas? Es war nicht mehr wichtig, ob es mich hören würde oder nicht, es war wichtig, dass ich hier wegkam! Ich rannte erschrocken los, stürmte verängstigt auf meine Zimmertür zu. Ich riss sie auf, sauste hinein, zog sie so schnell zu, wie nur möglich, lehnte mich gehen die geschlossen Tür und drehte den Schlüssel im Schloss. ‚Endlich in Sicherheit!’ Ich schloss die Augen fest. Ich wartete, bis sich meine Atmung wieder einigermaßen beruhigt hatte. Ich öffnete sie wieder und- stockte. Irgendwas war hier falsch! Ich schaute mich um, aber ich konnte keinen Grund feststellen. Unheimlich schien das Licht der Straßenlaterne durch den Spalt zwischen meinen Vorhängen. Still lag der gewohnte Anblick meiner vier Wände vor mir. Doch ich hatte dieses warnende Gefühl noch immer in den Knochen. Vielleicht war ich auch einfach nur zu schreckhaft. Vielleicht war das einfach ein bisschen zu viel Aufregung in den letzten Stunden gewesen. Ich sollte mich einfach ausruhen und morgen währe alles wieder in Ordnung! Ich tastete nach dem Lichtschalter und nach einem leisen „Klick“ flackerte die Lampe kurz und erhellte dann den kleinen, aber doch ganz gemütlichen Raum. Noch eine Weile stand ich an der Tür, dann ließ ich meinen Rucksack auf den Boden sinken. Mein Mantel rutschte mir von den Schultern. Ich ging in das Bad nebenan und schmiss mir kaltes Wasser ins Gesicht. Ich begutachtete mich im Spiegel. Das unwohle Gefühl war noch immer da. ‚Du brauchst unbedingt ein bisschen Ruhe!’, gestand ich mir zu, als ich mein übermüdetes und durch Aufregung und Anstrengung gekennzeichnetes Ebenbild betrachtete. Ich blinzelte. Jetzt spielten mir meine Augen auch noch einen Streich! Ich wollte ein Huschen im Spiegel hinter mir wahrgenommen haben. Ich schüttelte den Kopf und entschloss mich sofort schlafen zu gehen. ‚Sonst drehst du noch völlig durch, du zuckst ja schon bei jedem noch so kleinen Geräusch zusammen!’ Ich putzte mir fluschig die Zähne, als mich ein noch stärkerer Anfall von Beobachtung überkam, den ich nicht zu unterdrücken vermochte. Ich drehte mich um und erstarrte zu Eis. Meine Zahnbürste fiel klappernd zu Boden… Kapitel 1, Teil 2 ----------------- „Was?..... Wer sind sie? Was .... wollen sie?..... Wie kommen sie... überhaupt hier herein?“, stotterte ich völlig geschockt, obwohl ich die ganze Zeit praktisch darauf gewartet hatte. Ein Mann, ca. 25 Jahre alt, stand in der Tür. Er lehnte lässig an dem Türrahmen und schaute mich, höchst amüsiert über meine Angst, mit kalten, schmalen, orangen Augen an. Ich musterte ihn: Seine Gesichtszüge waren eigentlich Recht hübsch, nur der Ausdruck missfiel mir. Seine ungewöhnlichen pinken Haare standen ihm vom Kopf ab. Er trug einen langen, ihn ganz einhüllenden braunen Mantel. Allein diese gewagte Farbauswahl überrumpelte mich. Ich biss mir wieder auf die Unterlippe und ballte meine Hände zu Fäusten. Was wollte er von mir? „Angst?“, fragte er mit sanfter Stimme, die mich wieder überraschte. „Ist es mir zu verübeln, nachdem was ich erlebt habe, und wenn ein wildfremder Mann, des nachts, plötzlich in meinem Zimmer auftaucht?“, entgegnete ich als ich meine Stimme endlich wieder fand. „Wohl nicht, nein“, räumte der Mann ein. „Würden sie jetzt die Güte haben, mir zu erklären, was sie hier suchen?“, forderte ich ihn mit einer Gelassenheit im Angesicht der Situation, die ich nie von mir erwartet hätte. „Wie konnte ich nur? Entschuldigen sie bitte, mein Name ist Tülan.“ Dabei verbeugte er sich. Ich sah verwirrt zu diesem Mann. Nahm er mich auf den Arm? Wenn er nicht die Höflichkeit besessen oder es für notwendig gehalten hatte, anzuklopfen und auf mein „herein“ zu warten, warum nun das? Komischer Kauz! Und was wollte er eigentlich? Als ob er meine Gedanken erraten hätte sagte er: „Ich bin gekommen, um sie um etwas zu bitten. Ich brauche etwas, das ihnen gehört.“ Ich blickte ihn total verdattert und zugleich skeptisch an. „Und das wäre?“ „Es mag sich vielleicht etwas komisch anhören, denn ich denke, sie kennen den wahren Wert nicht“, begann er umständlich. „Nun sagen sie schon“, forderte ich und setzte mich auf den Rand meiner Badewanne, ohne diesen komischen Kerl aus den Augen zu lassen. Meine Angst ließ ein bisschen nach, aber dafür kam ihr Freund Skepsis zu Besuch. Was wollte er wirklich? War er auf mysteriöse Weise aufgetaucht, um mich dann höflich zu fragen, ob er irgendeinen Gegenstand von mir haben konnte? „Ich brauche“, er kam einen Schritt auf mich zu. Ich wollte zurückweichen, doch da ich vergessen hatte, dass ich auf dem Badewannenrand saß, verlor ich das Gleichgewicht und stürzte in das Becken. Ich spürte grade zu, wie sich meine Augen weiteten, als ich diesen Fehler erkannte, doch es war zu spät. Dann, kurz bevor ich den schon erwarteten Schlag bekam, durchzog mich etwas in meinem linken Arm und ich stoppte in der Schwebe. Dieser Tülan stand vor mir. Er hatte mich gehalten und den Aufschlag verhindert. „Entschuldigung, ich wollte sie nicht erschrecken!“, sagte er charmant und zog mich mühelos wieder auf die Beine. Ich war etwas konfus. „Eh... ja“, sagte ich und musterte Tülan mit verengten Augen. „Also?“, ich wich einen Schritt zur Seite. „Was wollten sie nun von mir?“, fragte ich. „Ja, natürlich... Es ist ihr Ohrring“, sagte er. Mein Ohrring? Ich griff einem Reflex folgend nach ihnen. Sie waren alt. Ich hatte sie von meiner Uroma bekommen. Sie stellten zwei verschiedene Drachen da. „Es ist ein Erbstück, oder?“, fragte er. „Es? Also interessiert sie nur der eine?“, fragte ich, inzwischen ziemlich sicher, dass dieser Kerl einen an der Klatsche hatte. „Der eine?“, echote Tülan überrascht. Mein langes Haar verbarg sie vollkommen, weswegen er sie nicht gesehen haben konnte. „Es gibt mehrere?“, wollte er wissen. „Ja“, sagte ich zögernd „ich habe zwei.“ „Interessant“, sagte Tülan und legte seine Hand nachdenklich ans Kinn. „Darf ich mal sehen?“, fragte er dann. „Wenn´s sein muss“, erlaubte ich. „Aber ich habe nicht gesagt, dass ich sie ihnen gebe“, fügte ich hinzu. Er trat auf mich zu und griff mir zuerst an das rechte Ohr. Ich schaute ihn an. Ja, er sah gut aus, aber er muss echt krank sein. Psychisch krank. Ohrringe.... Nur woher wusste er denn, dass ich Ohrringe trage? Ich überlegte, dass die Chancen recht gut stehen müssten, dass eine Frau Ohrringe trägt und diese Information nichts zu bedeuten hatte. Seine Stirn war in Denkfalten gelegt. Seine Augen musterten den kleinen Drachen eingehend. Dann schaute er sich den anderen genauso lange an. Er ließ sich viel Zeit. Ich wurde unruhiger. „Und?“, fragte ich schließlich. „Mh... schwerer als ich dachte....“, sagte er. „Aber Moment.“ Er ließ sich im Schneidersitz auf den Boden fallen. Dann zog er etwas aus seinem Mantel. „Das ist kein Problem, was wir nicht lösen könnten…“ Ich schaute gespannt zu, was jetzt kommen würde. Ich überlegte, ob ich vielleicht die Polizei rufen sollte, entschloss mich aber dann, vorerst ab zu warten. Als erstes holte er eine kleine Flasche heraus, sie war jedoch leer. Es folgte eine Zweite. Diese war mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt. Er öffnete beide und tröpfelte ein wenig von der vollen- in die leere Flasche. Dann schloss er beide wieder und steckte die Vollere zurück in den Mantel. Nun stellte er die übrig gebliebene Flasche vor sich auf den Boden und legte seine rechte Hand über sie. Zuvor zog er seinen linken schwarzen Handschuh aus. Seine Augen starrten auf die Flasche, mit dem Fußbad aus der durchsichtigen Flüssigkeit. Plötzlich glühten seine orangen Augen hell auf. Ich blinzelte und sofort war das Leuchten wieder fort. „Was tust du da?“, fragte ich erschrocken. Er löste seinen Blick von der Flasche, die wie ich nun bemerkte, einigen violetten Nebel enthielt. Er spreizte kurz seine linke Hand und nahm dann den Korken von dem Fläschchen. „Ganz ruhig. Ihnen wird nichts passieren“, versicherte er mir gelassen. Was? Warum sollte ich ganz ruhig bleiben? Was würde geschehen, das mich wohl aus der Ruhe bringen würde? Ich schaute Tülan fragend an, doch dann wurde mein Blick von etwas anderem abgelenkt. Der violette Nebel stieg aus der Flasche empor! Er stieg wabernd höher und höher und dann schoss er unerwartet auf mich zu. Er machte keines Falls mehr den Eindruck von wabernden, weichen Nebel. Wohl eher von einem Speerähnlichen Etwas. Aus Reflex zuckte ich zurück. Der „Nebel“ verfehlte mich nur knapp! „Geht’s noch?! Was zum Teufel war das?“, wollte ich entsetzt wissen. Kapitel 1, Teil 3 ----------------- „Tut mir Leid, aber ich hatte ihnen schon gesagt, sie müssen sich nicht erschrecken. Er hat mir lediglich gezeigt, welcher der echte ist“, sagte er und stand auf, nachdem er die zweite Flasche verstaut hatte. Der Nebel hatte sich aufgelöst. „Der echte was?“, wollte ich immer noch geschockt wissen. „Der echte Ohrring“, entgegnete er höflich. „Ja, das dachte ich mir. Ich wollte eher wissen, was es mit diesem Ohrring auf sich hat“, erklärte ich unumfänglich. „Oh, ja natürlich, ich vergass... Aber dazu muss ich etwas weiter Ausholen: Im alten China, lebte in einem kleinen Haus, auf einem einsamen Berg ein weiser Mönch. Dieser beschäftigte sich viel mit der Natur. Aber er war auch mit dem Wesen der Menschen vertraut. Jener Mönch galt als allwissend und einige verzweifelte Menschen nahmen eine beschwerliche Suche zu ihm auf sich, um Rat zu erlangen. Einer dieser Menschen war mein Urururgroßvater Achan Kanji. Er hatte etwas gefunden oder erlangt, was von großem Wehrt sein musste. Er machte sich extra zu diesem Mönch auf, um zu erfahren, wie man es am besten schützen könne. Als er nach Wochen, völlig ausgehungert und am Ende seiner Kräfte die Hütte des Mönchs erreichte, verwehrte ihm der weise Mönch seine Hilfe nicht. Er fertigte eine Silbertruhe an. Dort kam besagter Grund für den Besuch meines Großvaters hinein. Und nur ein Schlüssel- dein Ohrring um genau zu sein, sollte diese Truhe öffnen können. Nur der aus dem selben Mondsilber gegossene Schlüssel- keine Form von Gewalt sollte die Truhe aufbekommen. Doch damit nicht genug versteckte er die Truhe an einem Ort, der nur ihm bekannt war. Der Schlüssel sollte sie wieder aufspüren können, wenn die Zeit dafür gekommen wäre. Die beiden Gegenstände würden sich Gegenseitig anziehen. Mein Urururgroßvater dankte dem Mönch, vertraute ihm vorausschauend den Schlüssel an und machte sich auf den Heimweg. Doch dieser Weg sollte leider sein letzter werden. Räuber lauerten ihm auf und fielen über ihn her. Da er nichts von Wehrt bei sich hatte und nicht preisgeben wollte, was er hier machte töteten sie ihn. Seitdem gellten Schlüssel und Truhe als verschollen, für die wenigen, die überhaupt von ihrer Existenz wussten. Der Mönch war für die Söldner unauffindbar und mit den Jahren wuchs noch mehr Gras über die Geschichte. Doch schließlich erfuhr ich davon und das Blut von Achan Kanji, das immer noch in meinen Adern fließt, hat mich zu dir geführt.“ So endete Tülans Erzählung. Sollte ich ihm dieses Märchen wirklich glauben? Das Blut seines Urururgroßvaters hatte ihn zu mir geführt und deshalb glaubte er jetzt, ich müsse diesen mysteriösen Schlüssel besitzen? Er schaute mich abwartend an, aber ich konnte im Moment nichts dazu sagen. „Und jetzt wollen sie meinen Ohrring haben, um diese tolle Truhe zu finden? Doch sie wissen nicht mal, was sich darin befindet?“, fragte ich zweifelnd. Er nickte allerdings nur und erklärte weiter nichts. „Und wie soll der Ohrring in meinen Besitz gekommen sein?“, begann ich also zu fragen. „Keiner weiß, was der Mönch mit dem Schlüssel angestellt hat und auch das Wissen über das Versteck der Truhe ist mit meinem Urururgroßvater gestorben. Wenn ich jedoch nicht ganz falsch liege, könnte es durchaus sein, dass du ein Nachkomme des allwissenden Mönches bist und der Schlüssel in deiner Familie von Mitglied zu Mitglied vererbt wurde.“ Das war doch alles absurd! „Ja, klar“, setzte ich sarkastisch an: „Als nächstes-“ Ich wurde jäh abgelenkt, da das Licht im Zimmer kurz flackerte. Ich erstarrte und die Angst kehrte sofort wieder zurück- so vertraut, als wäre sie nie fort gewesen. „Sie sollten mal ’nen Elektriker rufen, so was hatte ich auch schon einmal, das ist auf Dauer etwas nervig“, riet mir Tülan, der mein Verhalten zwar bemerkt hatte, aber nicht das Wissen besaß, es richtig zu verstehen. „Sie sind hier“, flüsterte ich wie erstarrt. Tülan schaute mich nun ernst an. „Wer ist hier? Wovon sprechen sie?“, wollte er wissen. Ich schritt langsam ins Hauptzimmer, überprüfte dann das Fenster und ließ die Jalousie hinunter. Ich kramte hektisch in einer Schublade und angelte ein Feuerzeug heraus. „Sie sind mir gefolgt“, flüstere ich unter Schock stehend. „Wer?“, fragte Tülan nun ernster und schaute mich eindringlich an. Ich schaltete die Nachtischlampe ein. „Was machst du da?“, ich nahm Tülan gar nicht richtig wahr. Meine Gedanken kreisten. ‚Sie kommen! ’Schoss es mir durch den Kopf. ‚Sie kommen!’ Tülan rüttelte leicht an mir und endlich kam ich wieder zu mir. Doch da spürte ich sie schon, die Kälte, die in den Raum kroch und uns umlauerte. „Sie suchen mich“, stieß ich hervor. „Sie strecken ihre kalten, langen Finger nach mir aus. Sie tasten nach mir. Sie riechen mich und spüren mich auf.“ Ich zitterte leicht. Kapitel 1, Teil 4 ----------------- „Was ist hier los?“, fragte Tülan so ruhig er konnte. „Solang das Licht nicht erlischt, ist alles gut, sie wagen es nicht“, erzählte ich immer noch fast wie in Trance. „Wer sind sie?“, fragte Tülan erneut, mit dem Versuch, Licht ins Dunkel zu bringen. „Sie haben keinen Namen, weil niemand sie jemals gesehen hat, keiner weiß, wie sie aussehen. Doch man kann sie fühlen… ja, das kann man nur zu gut… wenn es dunkel ist, kriechen sie aus den Schatten“, sagte ich ängstlich. Wie zur Bestätigung meiner Worte wurde das Licht im Bad merklich dunkler. „Ich mach uns mal einen Tee, ja?“, schlug Tülan vor. Ich nickte abwesend. War es nicht eigentlich ich, die in meiner Wohnung meinem Gast etwas zu trinken anbieten sollte? Doch im Moment kreisten meine Gedanken um dringlichere Sachen. Während Tülan in meiner Küche handwerkelte schlich ich zum Bad. In der Tür, die die zwei Räume verband, blieb ich stehen. Ich schaute ins Badezimmer. Niemand war dort zu sehen, aber das hatte ich auch gar nicht erwartet. Tülan kam nun auch hinüber und schaute über meine Schulter in den Raum. Die Lampe wurde immer schwächer. Sie rang mit der Dunkelheit, den Schatten. Sie wollte nicht erlischen- war sich ihrer Aufgabe bewusst- doch es war aussichtslos. Bevor sie gänzlich ihren Geist aufgab zog ich die Tür rasch zu. „Wenn du mir nicht glaubst, wie erklärst du dir denn das?“, fragte ich und schaute ihn herausfordernd an. „Wer sagt denn, dass ich dir nicht glaube? Aber okay, dann sagen wir du vertraust mir- ja mir ist nicht entgangen, das du mir die Geschichte nicht abnimmst- und ich glaube dir deine. Was sagst du?“, fragte er und drückte mir eine Tasse Tee in die Hand. „Von mir aus“, sagte ich und zuckte die Achseln. Ich hatte wirklich andere Sorgen. Sie kamen… ich fror unwillkürlich bei dem Gedanken. Auch die warme Teetasse in meinen Händen half da nichts. Ich war mir sicher, dass ich nicht mehr fliehen konnte. Meinen Herzschlag spürte ich nun deutlich. Mein Atem ging rasch. Sie würden kommen und mich holen! „Was hast du getan?“, fragte Tülan, jedoch ohne jeglichen Anklang einer Anklage und setzte sich auf mein Bett. „Ich bin ihnen entkommen, als sie mich holen wollten. In letzter Sekunde bin ich ihnen entglitten. Ich habe sie erzürnt, wollte mich meinem Schicksal nicht beugen. Seit Wochen suchen sie mich jetzt- aber nun haben sie mich endlich. Ich konnte das unvermeidliche auch nur hinauszögern, nicht mehr…“ Ich schaute auf die Uhr, auf meinem Nachttisch: 2:06 nachts zeigte sie an. Das bedeutete, dass erst in 3 Stunden die Sonne aufgehen würde…. Das dauerte viel zu lange! „Wovor fürchtest du dich so?“, fragte er. „Vor ihnen—du wirst bald wissen, was ich meine“, sagte ich bitter. Ich setzte mich neben ihm auf’s Bett. „Mir jagt so schnell nichts Angst ein.“ Er lächelte schief. „Und ich werde schon dafür sorgen, dass diese Wesen, oder was sie sein mögen, dir und dem Ohrring nicht zu nahe kommen“. Er wollte mir Mut machen, Hoffnung geben, mir helfen, aber das vermochte zurzeit niemand. Auch er würde nichts ändern können. Ich seufzte. „Sollte man bei so einem großzügigen Angebot nicht eigentlich froh sein und mir tausend Mal danken?“, stellte Tülan gespielt gekrängt fest. Ein klägliches Lächeln huschte über mein Gesicht. „Tut mir Leid, es ist echt nett, dass du mich aufmuntern willst, aber es ist eben so, dass es keinen Sinn hat. Du wirst gegen sie auch nichts ausrichten können.“ Ich starrte ins Zimmer. Die Tasse hielt ich immer noch in meiner Hand aber ans trinken dachte ich gar nicht. Ich wusste nicht einmal, um was für eine Sorte es sich handelte. „Zweifelst du etwa an meinen Fähigkeiten? Nun gut, dann werde ich es dir eben beweisen müssen!“, sagte Tülan motiviert. Ein kurzes Schweigen kehrte ein. „Und nun? Ich sehe niemanden…“, stellte er fast enttäuscht fest. „Du wirst sie auch sehen können… wir können nur warten bis sie kommen, fliehen ist zwecklos. Überall ist es finster. Bete zu Gott, dass wir das überstehen.“ „Na wenn das so ist“, sagte Tülan gelassen und machte es sich gemütlich. Ich hing hingegen wieder meinen Gedanken nach. Hätte ich es verhindern können? Eigentlich nicht…. Es war ja keine Absicht gewesen… Die Kälte nahm zu. Auch Tülan rieb sich die Hände und stellte daraufhin die Heizung an. „Ich glaube nicht, dass das etwas bringt!“, Sagte ich düster, „sie sind es, die die Frostigkeit verströmen.“ Ich stellte meine unangerührte Tasse ab, stand auf und lugte zwischen den Jalousien nach draußen. Totale Schwärze. Waren sie vielleicht schon da? Beobachteten sie mich grade aus ihren schwarzen Augen aus? Schnell tat ich einen Schritt zurück. „Alles in Ordnung?“, fragte Tülan. „Nein, wie könnte es?“ Ich holte einen zweiten Pullover hervor und zog ihn mir über. „Wie heißt du überhaupt?“, fragte er dann. „Jelena“, antwortete ich. „Hübscher Name“, kommentierte Tülan. „Hast du dir nicht mal die Zeit genommen, auf das Schild neben meiner Haustür zu schauen?“, fragte ich leicht verblüfft, wurde denn aber um einen Antwort betrogen. Das Deckenlicht und die Nachtischlampe erloschen kurz, gingen aber sofort wieder an. „Es beginnt“, sagte ich verheißungsvoll. Kapitel 1, Teil 5 ----------------- Eine unangenehme Spannung baute sich in mir auf. Tülan wirkte jetzt leicht besorgt. Ich vergrub meine Hände in der Bettdecke und hielt sie fest. Meine Hände wurden bleicher. Ein Knarren durchzog das Haus. Ich schrak zusammen. „Kein Grund zur Panik“, sagte Tülan ruhig und gesellte sich zu mir. „Ich hab doch gesagt, dass ich auf dich aufpasse.“ Er schaute mich aufmunternd an. Wieder flackerte das Licht. Ich blickte unruhig im Zimmer hin und her. Meine Sinne waren angespannt. Und dann geschah es! Plötzlich schwang das Fenster auf, ein Windstoß bließ hinein. Und mit ihm kroch die Nacht ins Zimmer. Ich wollte aufspringen und das Fenster schließen, doch meine Glieder waren wie gelähmt. Tülan, mit derselben Idee war auf dem Weg zum Fenster, als die Lichter schlagartig erloschen. Ich schrie spitz auf. Da waren sie. Nichts war zu sehen. Die reinste Schwärze, als wäre ich auf einmal blind. „Komm zurück“, flüsterte ich schließlich in die vollkommene Finsternis. Eine Ewigkeit schien zu vergehen. Ich hörte Schritte, das musste Tülan sein- hoffte ich zumindest. „Ahhh!“ Der Schrei durchschnitt die Dunkelheit. Ein Rumpeln folgte. Mein Herz schien bersten zu wollen, so hart hämmerte es gegen meinen Brustkorb. Ich schob mich weiter unter die Decke, als könnte ich mich dort vor ihnen verstecken, als würde sie mich vor ihnen schützen. „Tülan?“, rief ich leise aber erschrocken. „Wieso hast du hier so viel Krimskrams rumstehen?“, nörgelte er endlich. „Wo bist du?“, fragte er dann von weiter weg. Würden sie mich finden, wenn ich weiterhin mit Tülan sprach? Ach Blödsinn, erstens hatte ich mich schon lange verraten und zudem vermutete ich, dass sie im Dunkeln gut sehen konnten- nicht wie wir Menschen. „Jelena?“ „Hier“, flüsterte ich zurück. Mehr brachte ich auch nicht hervor. Und dann spürte ich, wie jemand näher kam. Doch die Person zog nicht die böse Kühle der Wesen mit sich, sondern die Wärme eines lebenden Wesens. Tülan tastete nach mir und fand, nachdem er noch ein paar mal gegen andere Gegenstände gestoßen war meine verkrampfte Hand. Ein schauriges Heulen brüllte durch das noch immer offene Fenster hinein. Zwar war es weit entfernt, aber trotzdem nur zu deutlich zu hören. Ein Schauder rannte mir den Rücken entlang. Ich drückte mich erschrocken an Tülan. Er legte beruhigend einen Arm um mich. „Was ist hier los?“, fragte er. Konnte ich eine Spur von Angst in seiner Stimme feststellen? Hatte es ihn auch befallen? „Ich sag doch: sie sind hier“, wisperte ich. Ein Windhauch oder ein Arm, eines der Wesen strich an meiner Wange entlang. Ich zuckte. Wieso machten sie das mit mir? Ich konnte nicht klar denken, ich fühlte nur die gewaltige Angst in mir. Ich war froh, das Tülan da war. Ich traute ihm noch immer nicht blind, doch er konnte niemals schlimmer oder gefährlicher sein als sie. Alleine wäre ich wie versteinert dagesessen bis die Angst, ganz allmählich ihren grausigen Höhepunkt erreichen würde. Dann wäre ich zu dem Schluss gekommen, dass ich handeln müsse, denn der Tod wäre dann ein passables, vielleicht sogar erlösendes Risiko- Wie es in den letzten Wochen schon zu oft gewesen war. Doch dieses Mal war es schlimmer, nie waren sie mir so nah gewesen. Nie standen meine Chancen so schlecht. Wir waren gefangen in der Schwärze. Selbst ihn konnte ich nicht sehen, nur spüren und hören. „Das Feuerzeug, wo hast du es hingetan?“, fragte Tülan nun. Das hatte ich ja völlig vergessen! Ich kramte verbissen in meiner Jackentasche. Sie zogen den Kreis enger um uns. Ihr leises Wispern begleitete sie, das bedrückende Gefühl, das da jemand war. Der Nerven zehrende Eindruck, dass jeder Zeit jemand aus dem Dunkeln sich auf einen stürzen könnte. Und man selbst hilflos ausgeliefert. Endlich schloss sich meine zitternde Hand um das Feuerzeug. Ich zog es hinaus und ließ es aufschnappen. Licht! Es blendete mich und ich hätte das Feuerzeug beinahe fallen gelassen. Die Wesen waren zurückgewichen. Geflohen als das Feuer erschien war. Lauernd auf die nächste Gelegenheit zuzuschlagen. Mein Zimmer sah so aus wie immer. Nichts zu sehen von den unwillkommenen Besuchern. Als wären sie nie da gewesen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)