Brüder von Mono-chan (das letzte Kapitel ist da) ================================================================================ Kapitel 21: Schutz ------------------ Wieder einmal war es in Taros Wohnung, genauer gesagt in der Küche, totenstill. Das einzige Geräusch waren Kojiros unruhige Schritte. Es gab nicht genügend Sitzplätze für alle, aber selbst wenn, hätte es den Toho-Kapitän nicht lange auf einem Stuhl gehalten. Die Wut, die in ihm brodelte, war offensichtlich. Taro schluckte und blickte unwillkürlich zu Tsubasa hinüber. Der Kontrast zwischen den Beiden war geradezu gespenstisch – er hatte kein Wort mehr gesprochen als unbedingt nötig und wirkte die meiste Zeit so, als wäre er mit seinen Gedanken woanders. Taro konnte sich auch gut vorstellen, wo…. Er schluckte wieder und blickte auf den neuen Brief, der für alle sichtbar auf der Tischplatte lag. Im Nachhinein war er doppelt froh, dass er die anderen überzeugt hatte, das Gespräch in seine Wohnung zu verlegen. Auf dem Fußballplatz ließ es sich nicht wirklich gut reden. Und so hatten sie sich alle in der kleinen Küche versammelt - Ryo und Izawa waren gekommen, Yukari, Taki, Kisugi und noch ein paar andere aus der alten Schulmannschaft – und natürlich Kojiro. Bei der Erinnerung an den Entrüstungssturm, der losgebrochen war, als Tsubasa erzählt hatte, was seit seiner Ankunft aus Brasilien alles geschehen war, bekam Taro unwillkürlich eine Gänsehaut – besser gesagt, bei der Erinnerung daran, wie stoisch Tsubasa das alles aufgenommen hatte. Die Vorwürfe seiner Freunde waren scheinbar einfach an ihm abgeprallt…. „Verdammt noch mal!“, riss ihn Kojiros Stimme aus seinen Gedanken. „Ich kapier’s immer noch nicht! Warum hast du uns nicht früher davon erzählt? Oder bist wenigstens zur Polizei gegangen? Ich meine, so naiv kann man doch gar nicht sein! Nicht nach dem, was dir passiert ist!“ Tsubasa zuckte mit den Schultern. „Jetzt weiß ich auch, dass es ein Fehler war.“ „Was soll das denn bitte heißen? Hakst du das einfach so ab? Was ist, wenn dieser Irre weitermacht? Ich meine, wenn er dich oder Sanae…“ Kojiro brach hilflos ab, und die anderen schwiegen bedrückt, den Blick auf den Brief auf der Tischplatte geheftet. Die Drohung war eindeutig. „Next one please!“ Noch schlimmer war allerdings das Foto, das mit in dem Umschlag gesteckt hatte. Sanae. Sanae auf der Intensivstation, reglos, unter den ganzen Verbänden teilweise kaum zu erkennen….. „Sanae steht unter Personenschutz.“, meinte Tsubasa dumpf. „Die Polizei hat mir das fest zugesagt.“ „Und was ist mit dir?“, mischte sich Ryo ein. „Ich versteh nicht, wie dich das so kalt lassen kann….“ Er brach ab, als sein Blick Tsubasas Augen begegnete, und schluckte. Kalt lassen war eindeutig das falsche Wort….. „Ich brauche keinen Personenschutz. Sanae ist wichtiger.“ „Das eine schließt das andere nicht automatisch aus.“, meinte Kojiro seufzend und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht, bevor er seine Wanderung wieder aufnahm. Mit einem Mal wirkte er jedoch nicht mehr wütend, sondern genauso müde wie alle anderen auch. „Die Frage ist, was wir jetzt machen.“ „Ich fürchte, wir können nicht viel machen.“, meinte Taro niedergeschlagen. „Die Polizei ist jetzt ja zum Glück informiert. Vermutlich können wir nur die Augen offen halten….“ Die Anderen nickten, Kojiro dagegen stützte die Hände auf die Tischplatte. „Aber das werden wir äußerst gründlich tun! Tsubasa, dir ist nie irgendjemand aufgefallen, der dir gefolgt sein könnte? Was ist mit dem Opel, hast du vielleicht den Fahrer erkannt? Es reicht schon ob es eine Frau oder ein Mann war….“ „Nein. Das habe ich der Polizei auch schon gesagt.“ „Aber irgendetwas muss dir doch aufgefallen sein! Ich meine, der Kerl beobachtet dich anscheinend rund um die Uhr….ich habe den Eindruck, dass er deinen Tagesablauf besser kennt als du!“ „Ich habe niemanden gesehen.“ Die kleine Auseinandersetzung mit dem parkenden Opel-Fahrer behielt er wohlweislich für sich. Seine Freunde mussten nicht unbedingt erfahren, dass er grundlos auf einen Wildfremden losgegangen war. „Und die Gestalt, die du vor Sanaes Zimmer gesehen hast?“, wollte Izawa wissen. „Es war dunkel, und vermutlich war es sowieso nur ein Spaziergänger.“ „Ein Spaziergänger!“ Kojiro schnaubte. „Von wegen – dann bin ich der Kaiser von China!“ „Das war bestimmt Kenji!“, meinte Taki leise und wütend. „Ganz sicher – wenn wir den in die Hände kriegen…..“ „Kenji ist tot.“ Auf diese neue Nachricht wurde es erneut mit einem Schlag totenstill. „Tot?“, meinte Ryo schließlich fassungslos. „Wie…. ich meine, woher…..?“ „Sanae hatte denselben Gedanken wie ihr und hat in der Bibliothek alte Zeitungen durchforstet. Er ist seit ein paar Jahren tot, Autounfall.“ Das mussten seine Freunde erst mal verdauen. „Aber…wenn Kenji nicht….wer dann?“, wollte Izawa unsicher wissen. „Ich meine, du warst die letzten drei Jahre weg, wer sollte…..“ „Ich weiß es nicht.“ Wieder senkte sich für ein paar Sekunden Schweigen über die kleine Runde. Yukari fuhr sich unauffällig mit dem Ärmel über die Augen. Man sah ihr an, dass sie viel geweint hatte in der letzten Nacht, sie wirkte blass und unausgeschlafen. Wobei niemand in diesem Raum gut geschlafen hatte….. „Wenn du den Schutz der Polizei nicht willst, musst du unseren nehmen.“, meinte Kojiro schließlich leise, aber fest. „Du gehst nirgends mehr alleine hin! Kapiert?“ Tsubasa sagte nichts, was von Kojiro als Zustimmung gewertet wurde. Er nickte mehr oder weniger zufrieden und wandte sich an alle. „Wir erstellen eine Handy-Liste….hauptsächlich für mich und für Wakashimazu, ich werde versuchen ihn nachher zu erreichen. Sein Karate kann uns vielleicht helfen. Dann sind wir jederzeit alle erreichbar und können uns abwechseln….“ Er brach ab, als Tsubasa aufstand. „Was soll das werden?“ „Nichts. Ich muss los.“ „Was? Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen.“ „Ich muss. Meine Mutter dreht mir den Hals um, wenn ich jetzt zu spät komme, sie macht sich eh Sorgen, wenn ich unterwegs bin.“ Das klang einleuchtend. „Ich komme mit.“, bot Ryo an, aber Tsubasa schüttelte den Kopf. „Du solltest genauso wenig alleine unterwegs sein wie ich.“ Er deutete auf die Nachricht auf dem Tisch. Next one. Ryo schluckte. „Du meinst…..?“ „Ja.“ „Guter Punkt.“; meinte Kojiro nachdenklich. „Wir sollten auf alle Fälle immer mindestens zu zweit sein…..“ „Dann komme ich eben auch mit.“, meinte Izawa, aber Tsubasa schüttelte wieder den Kopf. „Das braucht ihr nicht. Ich muss eh noch mal zur Polizei, das ist nicht weit, und von da aus kann ich mich abholen lassen.“ „Versprochen?“ „Ja.“ Tsubasa lächelte bitter. „Mein Vater lässt mich auch nirgends mehr alleine hin. Kein Grund zur Sorge also.“ *** Entgegen Tsubasas Überzeugung, dass es nicht mehr schlimmer werden konnte, wurde es noch schlimmer: Es wurde Nacht. Nach seinem erneuten Besuch der Polizei, wo er brav den neuen Brief abliefert, hatte ihn in der Tat sein Vater abgeholt, und zuhause war alles scheinbar so seine gewohnte Bahn gegangen, dass es weh tat. Seine Mutter war in der Küche mit dem Abendessen beschäftigt und unterbrach ihre Arbeit nur kurz, als ihr ältester Sohn nach Hause kam. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass den Umständen entsprechend alles in Ordnung war, verschwand sie wieder an den Herd. Daichi war etwas stiller als sonst, wuselte aber ansonsten unbeschwert in seinem Laufstall herum. Als Tsubasa erkannte, mit was er da spielte, spürte er einen kleinen Stich. Der Knautschfußball….. Herr Ozora, der nach ihm das Wohnzimmer betrat, hatte offensichtlich denselben Gedanken. Er lächelte traurig und hob Daichi auf den Arm, was sein Jüngster nach einem kurzen Protestruf – offensichtlich nur pro forma – mit einem zufriedenen Glucksen quittierte. Tsubasa wandte sich schweigend um und ging in sein Zimmer hinauf. Die Fensterscheibe war über Tag repariert worden –zum zweiten Mal. Dieses Mal gab es wenigstens keine bösen Überraschungen… Als seine Mutter kurze Zeit später zum Abendessen rief, konnte er sich nicht wirklich erinnern, mit was er sich beschäftigt hatte oder welche Gedanken ihm durch den Kopf gegangen waren, aber das war auch gut so. Hunger verspürte er keinen, aber da er seine Eltern kannte, versuchte er gar nicht erst, sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen. Also ging Tsubasa gehorsam nach unten, setzte sich zu seiner Familie an den Tisch und aß gerade so viel, dass er in Ruhe gelassen wurde. Zu seinem Glück beanspruchte Daichi fast die ganze Aufmerksamkeit seiner Eltern, er quengelte, weil er den Reis nicht essen wollte, und fegte schließlich mit wütendem Geheul den Plastikteller von seinem Hochstuhl. Tsubasa konnte Sanaes Reaktion fast bildlich vor sich sehen und lächelte schwach, während seine Mutter schimpfend den Schlammassel beseitigte. Alles ganz normal – irgendwie. Aber Sanae war nicht da. Dieser Gedanke kam immer wieder, drehte sich wie ein Karussell in Tsubasas Kopf. Daichi wurde nach dem Essen ins Bett gebracht, seine Eltern setzten sich vor den Fernseher. Tsubasa wollte eigentlich die Gelegenheit ergreifen und wieder nach oben verschwinden, aber nach kurzem Zögern blieb er dann doch – allerdings ohne auch nur das Geringste von der Fernsehsendung mitzubekommen. Und dann war es plötzlich Nacht, seine Eltern gingen schlafen, und Tsubasa war alleine in seinem Zimmer. An Schlaf war nicht zu denken….. Mechanisch warf er einen Blick aus dem Fenster. Kein roter Opel. Natürlich nicht. Weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, machte er sich schließlich doch bettfertig, blieb anschließend aber auf der Decke sitzen und blickte sich um. Gestern war Sanae noch hier gewesen….halt, vorgestern. Es war schon fast zwei Tage her…… Mit einem Mal waren die Bilder wieder da. Der aufheulende Motor des Wagens, der dumpfe Aufprall, das Klatschen, als Sanaes Körper auf die Straße aufschlug. Überall war Blut, Sanae schrie. Dann fiel plötzlich eine Kellertür ins Schloss, und das einzige, was Tsubasa noch hörte, war das Hämmern seines eigenen Herzschlags und das Dröhnen in seinen Ohren. Miss her – next one – miss her – next one…. Er erschrak, als er plötzlich am Arm gepackt wurde, um ein Haar hätte er selbst aufgeschrien, aber dann spürte und sah er, dass es seine Mutter war, die sich auf den Bettrand gesetzt hatte. Offensichtlich war er doch eingeschlafen…. Sein Herz hämmerte immer noch schmerzhaft gegen seine Rippen, er zitterte am ganzen Körper. Seine Mutter sagte gar nichts, sie nahm ihn einfach in den Arm. Genau in diesem Moment landete der erste Anruf auf seiner Mailbox. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)