Brüder von Mono-chan (das letzte Kapitel ist da) ================================================================================ Kapitel 22: Einsamkeit ---------------------- Herr Ozora blickte von seinem Buch auf, als seine Frau den Raum betrat. „Und?“ Sie zuckte mit den Schultern und setzte sich neben ihn aufs Sofa. „Ich glaube, er schläft.“ „Mit den Medikamenten oder ohne?“ „Ohne.“ Frau Ozora seufzte. „Meistens weigert er sich, die Tabletten zu nehmen… Du kennst ihn ja.“ Herr Ozora nickte und klappte das Buch zu. Daichi saß zu seinen Füßen auf dem Teppichboden und spielte mit Duplo-Steinen. Der Fernseher lief zwar, aber der Ton was ausgestellt, und niemand schenkte ihm Beachtung. „Vielleicht hätten wir doch mal mit ihm zum Psychologen gehen sollen.“, meinte Frau Ozora bedrückt. „Schon damals….“ Herr Ozora schüttelte den Kopf. „Das wollte er nicht, und außerdem ging es ihm doch soweit ganz gut…..“ „Jetzt geht es ihm nicht mehr gut. Hast du ihn in den letzten Tagen mal angesehen? Ich bin ja schon froh, wenn ich ihn einmal dazu bekomme, etwas Vernünftiges zu essen. Er kann kaum schlafen, und wenn man ihm zwei, drei zusammenhängende Sätze entlocken kann, ist das schon viel. So geht das doch nicht weiter…. Alles, was ihn interessiert, ist Sanae, und mit jedem Tag wird es schlimmer.“ „Ich weiß.“ Herr Ozora rieb sich müde mit den Händen über das Gesicht. „Ich weiß auch nicht, was wir machen sollen. Zwingen können wir ihn ja schlecht….“ „Na ja….“ Seine Frau zögerte. „Wir könnten ihm verbieten, Sanae zu besuchen, bis er wenigstens mal mit einem Therapeuten spricht.“ Herr Ozora blickte sie verdattert an, aber bevor er ihr antworten konnte, klingelte das Telefon. „Wehe, das ist wieder einer dieser Reporter…“, murmelte er wütend vor sich hin, während er aufstand und den Raum verließ. Seine Frau blieb alleine mit ihrem Jüngsten im Wohnzimmer sitzen. Daichi hielt mit seinem Spiel inne und blickte zu ihr auf, eifrig an seinem Schnuller nuckelnd. Sie lächelte leicht und hob ihn auf den Schoß. „Na? Geht’s dir gut? Wenigstens einer in der Familie….“ Daichi sah sie mit großen Augen an und legte schließlich leicht den Kopf schief. „Basa?“ „Der kann jetzt nicht mit dir spielen….später vielleicht wieder, ja?“ Es war paradox, aber der einzige, der anscheinend wirklich noch Zugang zu Tsubasa hatte, war Daichi. Vielleicht, weil der Kleine die ganze Lage noch nicht verstand….aber er schien intuitiv zu spüren, dass es seinem großen Bruder im Moment nicht gut ging, und suchte seine Nähe noch mehr als sonst. Und Tsubasa ließ es zu. Nur einmal war es kritisch gewesen, als Daichi nach Sanae gefragt hatte…. Frau Ozora wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ihr Mann zurück kam. „Und? War es wieder jemand von der Presse?“ Herr Ozora schüttelte den Kopf und setzte sich wieder neben sie. „Nein, Ryo. Er hat sich nach Tsubasa erkundigt, weil er wieder nicht beim Fußballtraining war. Die anderen machen sich anscheinend um ihn genauso Sorgen wie um Sanae.“ „Verständlich.“ Frau Ozora seufzte. „Wenn sich wenigstens die Polizei melden würde….“ „Ich bin schon froh, dass es die letzten Tage keine neuen Drohungen mehr gegeben hat, wenigstens in der Hinsicht ist Ruhe. Vielleicht ist dieser Irre schon damit zufrieden, was er angerichtet hat….“ „Wie geht es Sanae denn?“ „Anscheinend unverändert. Ich habe vor zwei Stunden mit ihren Eltern gesprochen.“ Frau Ozora schwieg bedrückt. Daichi begann zu zappeln, so dass sie ihn wieder auf den Boden ließ, damit er weiter spielen konnte. „Ich halte das für keine gute Idee.“, meinte ihr Mann plötzlich. Als sie ihn irritiert anblickte, zuckte er mit den Schultern. „Ich meine, dass du ihm verbieten willst, Sanae zu sehen.“ „Nur solange, bis er einwilligt, mit einem Psychologen zu reden….“ „Trotzdem. Ich habe Angst, dass er dann heimlich hingeht…und er sollte definitiv nicht alleine unterwegs sein. Das sehen seine Freunde genauso – ist dir nicht aufgefallen, dass sie ständig anbieten, ihn abzuholen? Und ich habe Kojiro ziemlich oft am Haus vorbei laufen sehen.“ Frau Ozora nickte. „Schon, aber…“ „Vielleicht sollten wir nachher beim Abendessen einfach mit ihm darüber reden. Wer weiß, vielleicht lässt er sich ja helfen…. Sanae wäre entsetzt, wenn sie ihn so sehen würde, das ist ein Argument, dass er vielleicht versteht.“ „Wenn du meinst.“ Seine Frau seufzte und stand schließlich auf. „Dann werde ich mich mal ums Abendessen kümmern….“ *** „Und? Hast du mit ihm gesprochen?“, wollte Taro sofort wissen, als Ryo vom Telefon zurück kam. „Nein, nur mit seinem Vater. Aber er ist zuhause, und anscheinend schläft er.“ „Gott sei Dank.“ Taro atmete auf. Es wäre seine und Ryos Aufgabe gewesen, Tsubasa vorm Krankenhaus abzupassen, damit er nicht alleine nach Hause ging, aber als sie dort eingetroffen waren, war Tsubasa bereits weg. Als er auch beim Fußballtraining eine halbe Stunde später nicht aufgetaucht war, hatten sie beunruhigt bei ihm zu Hause angerufen. Ihre Erleichterung, dass er unbeschadet daheim angekommen war, war groß. Es hatte seit der letzten Botschaft zwar keine neuen Briefe mehr gegeben, aber trotzdem….. „Eigentlich hätten wir uns keine Sorgen machen müssen – dass er beim Fußballtraining nicht mitmacht, ist ja seit kurzem nichts besonderes mehr.“, meinte Ryo niedergeschlagen. „Ja – er ist jede freie Minute bei Sanae.“ Kurze Zeit herrschte Schweigen, dann stand Taro auf. „Du auch Kaffee? Ich kann jetzt dringend einen gebrauchen.“ Ryo nickte und setzte sich auf einen Küchenstuhl. Aus Gründen, die er im Nachhinein selbst nicht mehr nachvollziehen könnte, hatten sie nicht vom Handy aus bei Tsubasa angerufen, sondern waren zu Taro nach Hause gegangen. Seit das alles passiert war, fühlten sie sich innerhalb einer Wohnung wohl unbewusst auch sicherer….. Ryo zückte sein Handy und tippte eine Rund-SMS an die anderen, dass mit Tsubasa soweit alles in Ordnung war. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wo Kojiro steckt? Ist er wieder am patroullieren?“ „Kann gut sein. Er lässt sich davon ja nicht wirklich abbringen – ich schätze mal, er würde den Typen gerne höchstpersönlich in die Finger kriegen.“ „Da ist er nicht alleine.“ Ryo warf das Handy auf den Tisch. „Ich würde dem Kerl auch liebend gern den Hals umdrehen! Wenn Kenji nicht tot wäre, könnte ich schwören, dass er es ist! Wer sonst sollte Tsubasa so hassen?“ „Keine Ahnung.“ Taro kam mit zwei dampfenden Tassen an den Tisch zurück. „Wenigstens ist Tsubasa weitestgehend vernünftig und geht kaum noch alleine irgendwohin…“ „Ich glaube, vernünftig ist das falsche Wort – es ist ihm eher egal.“ „Ja, leider….aber das Ergebnis ist in dem Fall dasselbe.“ Taro setzte sich und nippte an dem Kaffee. „Hast du eigentlich Neuigkeiten aus dem Krankenhaus?“ „Alles unverändert. Sanae ist stabil, aber nicht wach – und die Ärzte können immer noch nichts Genaueres sagen.“ Ryo presste wütend die Lippen zusammen. „Oh ja, ich würde diesem Kerl wirklich zu gerne den Hals umdrehen….“ Taro lächelte schwach und nahm einen neuen Schluck von seinem Kaffee. „Überlass das besser der Polizei….“ „Aber die machen doch nichts! Außer einen Beamten vor Sanaes Zimmer zu setzen….das ist zwar wichtig, aber….“ Ryo brach hilflos ab. „Es kann doch nicht sein, dass dieser Mistkerl einfach so von der Bildfläche verschwindet!“ „Ohne das Kennzeichen haben sie nicht viele Anhaltspunkte.“ „Schon, aber….“ Ryo brach erneut ab, dann nahm er schließlich einen extra großen Schluck aus seiner Kaffee-Tasse und verbrannte sich prompt die Zunge. „Au!!! Verdammt noch mal, heute ist wirklich nicht mein Tag…..“ Taro lächelte erneut und wärmte seine Hände an seiner eigenen Tasse. Ihm war ein neuer Gedanke gekommen…. *** Dröhnende Donnerschläge durchbrachen die Stille. Tsubasa zuckte zusammen und presste sich unwillkürlich die Hände gegen die Ohren, aber es half nichts. WAMM WAMM WAMM – der Donner kam zurück, drei Mal, noch lauter als vorher. „Tsubasa?“ Eine Stimme gesellte sich dazu. „Tsubasa, bist du wach?“ Tsubasa öffnete die Augen und realisierte, dass er in seinem Zimmer auf dem Bett lag. Sein Kopf dröhnte. Der Donner war verschwunden – statt dessen klopfte seine Mutter zum dritten Mal an seine Zimmertür. „Tsubasa! Das Abendessen ist fertig – bist du wach?“ „Ja.“ Er richtete sich etwas mühsam auf und ignorierte das protestierende Hämmern in seinem Kopf. Seine Mutter öffnete die Zimmertür und steckte den Kopf in den Raum. „Alles in Ordnung? Hast du einigermaßen schlafen können?“ „Ja.“, meinte Tsubasa dumpf und massierte sich unwillkürlich die Schläfen. „Alles bestens…“ Seine Mutter musterte ihn besorgt, beließ es aber dabei. „Kommst du bitte runter? Dein Vater und Daichi warten schon.“ „Ja….“ Frau Ozora verschwand und ließ die Tür offen. Tsubasa blieb noch ein paar Minuten auf dem Bett sitzen und wartete darauf, dass das Rumoren hinter seiner Stirn endlich nachließ. Kopfschmerzen waren nichts Besonderes mehr – mit den Albträumen war auch das protestierende Hämmern in seinem Schädel wieder zurück kommen. Eigentlich kein großes Wunder – er schlief zu wenig. Natürlich hätte er die Schlaftabletten nehmen können. Es war nicht dasselbe Medikament, dass sie ihm im Krankenhaus gegeben hatten, seine Mutter hatte aus der Apotheke ein leichteres und harmloseres besorgt, aber Tsubasa konnte gut darauf verzichten. Genau genommen waren Kopfschmerzen im Vergleich zu dem, was Sanae durchmachen musste, ja noch das kleinere Übel….und schlafen wollte er nicht. Schnell verdrängte er den Gedanken an den letzten Traum aus seinem Gedächtnis und stand auf – etwas zu schnell. Prompt wurde ihm schwindelig, und er setzte sich unfreiwillig wieder auf den Bettrand. Na wunderbar…. „Tsubasa? Kommst du?“, rief seine Mutter erneut von unten. „Ja….“ Tsubasa rieb sich ein letztes Mal mit beiden Händen über das Gesicht, dann stand er erneut auf, dieses Mal langsamer. Er brauchte ein, zwei Schritte, bis er sich wirklich wieder sicher auf den Beinen fühlte, aber dann verschwand das leicht benebelte Gefühl, und auch die Kopfschmerzen ließen etwas nach. Immerhin…. Als er die Küche kurze Zeit später betrat, war seine Mutter gerade dabei, die letzte Schüssel auf den Tisch zu stellen. Sein Vater und sein kleiner Bruder saßen bereits am Tisch, Daichi wie immer in seinem Hochstuhl, einen Plastiklöffel bereits in der Hand. Als er Tsubasa entdeckte, begann er sofort zu strahlen, ließ den Löffel fallen und streckte die Arme nach ihm aus. „Basa!“ Ihn auf den Arm zu nehmen, war im Moment wohl keine besonders gute Idee. Tsubasa strich ihm flüchtig über den Kopf und setzte sich anschließend auf seinen Platz. Daichi verzog enttäuscht das Gesicht, aber als seine Mutter einen Teller mit dampfendem Reis vor ihn hinstellte und ihm auch den Löffel zurück gab, war er schnell wieder getröstet. „Und, wie geht’s dir?“, wollte Herr Ozora von seinem ältesten Sohn wissen. „Wieder Kopfschmerzen?“ „Es geht.“ „Wenn du was gegessen hast, wird es sicher besser.“, mischte sich seine Mutter ein. „Ich habe keinen….“ „Das ist mir egal! Du isst was, und keine Widerrede!“ Tsubasa seufzte und rieb sich wieder die Schläfen. „Wenn du meinst…“ „Ja, meine ich.“ Frau Ozora blickte ihn streng an. „Ich habe keine Lust, dabei zuzusehen, wie du dich selbst krank machst!“ Tsubasa erwiderte nichts darauf, und sein Vater nutzte die Chance, das Wort zu ergreifen. „Es gibt da eh noch eine Sache, über die wir mit dir reden wollten.“ „Nämlich?“ „Na ja….“ Herr Ozora tauschte einen kurzen Blick mit seiner Frau aus, dann redete er schließlich weiter. „Wir haben überlegt, ob es nicht besser wäre, wenn du mal mit einem Psychologen sprechen würdest.“ Tsubasa hob den Kopf und blickte seine Eltern fassungslos an. „Was?“ „Sieh dich doch mal an!“, meinte Frau Ozora hastig. „Du hast seit Tagen nicht geschlafen und kaum was gegessen, und die Kopfschmerzen….“ „Ein Psychologe kann mir da sicher nicht helfen!“ „Wir meinen es nur gut, Tsubasa.“, entgegnete sein Vater ernst. „Eigentlich ist es unsere Schuld – wir hätten schon vor fünf Jahren darauf bestehen sollen, dass du eine Therapie machst….“ „Ich brauche keine Therapie, verdammt noch mal! Ich bin nicht verrückt!“ „Das hat ja auch keiner gesagt! Tsubasa, beruhige dich erst mal und hör mir zu, in Ordnung? Wir meinen es wirklich nicht böse. Du brauchst Hilfe, und ich denke, wenn du die Chance hast, auch das von vor fünf Jahren aufzuarbeiten….“ „Diese Sache hat damit gar nichts zu tun!“ „Und ob sie das hat, Tsubasa!“, mischte sich seine Mutter ein. „Bitte, denk doch wenigstens darüber nach! Sanae würde sicher nicht wollen, dass du….“ „Lass Sanae da raus!“ Tsubasas Stimme hatte so einen scharfen Ton angenommen, dass Frau Ozora abrupt abbrach und verunsichert zu ihrem Mann hinüber saß. Der zögerte kurz, bevor er erneut das Wort ergriff. „Du solltest uns vertrauen, Tsubasa. Es ist normal, dass dich die ganze Sache belastet, gerade darum ist es wichtig, dass du mit jemandem darüber reden kannst – mit jemandem, der dir mehr helfen kann als wir….“ „Belastet, ja?“, meinte Tsubasa bitter. „Ich kann Sanae jede Nacht schreien hören. Sie ist vor meinen Augen überfahren worden, da brauche ich keinen Psychologen, um….“ Er brach abrupt ab, dann er plötzlich auf und verließ die Küche. Nach der ersten Überraschung beeilte sich sein Vater, ihm zu folgen. Er erwischte ihn gerade noch vor der Haustür. „Tsubasa, warte!“ „Lass mich in Ruhe!“ „Nein, sicher nicht.“ Sein Vater verstärkte seinen Griff um Tsubasas Arm und zwang ihn, stehen zu bleiben. „Du kannst jetzt nicht einfach so weglaufen.“ „Ich gehe zu keinem Psychologen! Ich will nicht ständig erzählen müssen, wie sie….“ Tsubasa brach erneut ab. „Das kann ich verstehen, aber….“ „Lass mich bitte in Ruhe!“ Tsubasas Stimme hatte jetzt fast etwas flehendes. Sein Vater zögerte kurz, dann ließ er ihn los. „Versprich mir, dass du darüber nachdenkst. Wir wollen dir wirklich nur helfen.“ Tsubasa sagte nichts mehr, und sein Vater hielt ihn nicht zurück, als er das Haus verließ. Seufzend ging er in die Küche zurück. Seine Frau blickte ihm ängstlich entgegen. „Er sollte doch nicht alleine….“ „Ich weiß, aber ich glaube er braucht jetzt ein paar Minuten. Ich hoffe, dass er nicht allzu lange wegbleibt….“ Daichi blickte mit großen Augen zwischen seinen Eltern hin und her. Er hatte ausgenutzt, dass sie abgelenkt gewesen waren, und den Reis auf dem kleinen Hochstuhltischchen verteilt, so dass es aussah wie nach einem Schlachtfeld. „Herrje, was hast du denn angestellt.“, seufzte Frau Ozora resignierend, als sie darauf aufmerksam wurde. „Das nächste Mal füttere ich dich wohl doch besser wieder….“ Sie stand auf und holte einen Lappen, um die Sauerei zu beseitigen. Just in diesem Moment klingelte es an der Tür. Kam Tsubasa schon wieder zurück? Hoffnungsvoll stand Herr Ozora auf und öffnete. Zu seiner Überraschung stand Taro draußen. „Hallo. Ich wollte kurz mit Tsubasa reden….“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)