Angel hiss von singvogel ================================================================================ Kapitel 1: Folgen ----------------- Die Folgen Was hat ihn nur dazu getrieben? Nun hat er nicht nur in der Aufgabe versagt um die er so lange gebettelt hatte, nein dazu ist er jetzt auch noch besudelt durch die Berührung des Dämons. Wieso hat er es nur zugelassen? Wieso hat er nur so störrisch darauf bestanden ausgerechnet zu dieses Mädchen in seine Obhut zu nehmen, wo doch selbst Erfahrenere zögerten und ihm nachdrücklich abrieten. In einem letzten verzweifelten Versuch sie von ihrem Tun abzuhalten hat er zum Schluss sogar gegen jede Regel gehandelt, die sichere astrale Form der Schutzengel aufgegeben und ist in einen Körper geschlüpft, in der verzweifelten Hoffnung sie doch noch zu überzeugen, aber all sein Flehen hat nichts genützt und nun ist er hier gestrandet. Ein Versager, gefangen in einem irdischen Körper, dazu verdammt zu warten bis jemand nach ihm sucht und ihn zurückbringt, denn nach Hause kann er nun nicht mehr aus eigener Kraft. Dazu ist er nicht alt, nicht mächtig genug nachdem er seine Energie hier so nutzlos verschwendet und in fleischlicher Form gebunden hat. Tränen der Hoffnungslosigkeit sammeln sich in seinen Augen. Was soll er jetzt bloß tun? Das schmerzhafte Bewusstsein völliger Hilflosigkeit steigt in ihm auf. Hier ist er, allein zurückgelassen mit nichts um ihm weiterzuhelfen. Mutlos schaut er sich um und schreckt zusammen als er sieht, dass seine letzte Annahme doch nicht völlig korrekt war. Er hat einen Namen. Den Namen des Dämons, der wie eine letzte lachende Verhöhnung mit dem Blut seines toten Schützlings an die Wand geschrieben wurde. Isrial. Er denkt zurück an die gestrigen Ereignisse, die schwarzen Augen des Anderen, so voll von stillem, herablassenden Gelächter, die ihn nicht mehr losließen, gegen deren Kraft er sich nicht wehren konnte. Die Berührungen, zuerst so täuschend sanft, die bisher nie gekannte Gefühle und Schmerzen hervorriefen und seine eigene Verzweiflung die alles so bedeutungslos erscheinen ließ. Wieso hätte er auch noch Widerstand leisten sollen wenn doch alles schon verloren war? Heute bedauert er diese apathische Reaktion. Sich so sehr in Trauer versinken zu lassen hatte ihn zu angreifbar gemacht und nun muss er die Folgen tragen. Was mag Isrial gerade tun? Prahlt er mit seiner Tat? Bei dieser Vorstellung fängt der Engel wirklich an zu weinen. Seine Schande schonungslos ausgebreitet vor allen die sie sehen wollen, während er machtlos ist und nichts dagegen tun kann. Schluchzend klaubt er sein blutiges Gewand vom Boden, hält jedoch inne als ihm klar wird, dass er sich so gekleidet kaum in die Stadt wagen kann wenn er unauffällig bleiben will. Was bleibt jetzt noch? Bei der Vorstellung die Kleider der Toten zu tragen sträubt sich alles in ihm, aber welche andere Möglichkeit hat er denn? Durch die langen blonden Haare und seine schlanke, zartgliedrige Statur, die ihn problemlos als Mädchen durchgehen lassen, wird er so weniger Aufmerksamkeit erregen als in dieser weiten, wallenden Robe. Immer noch haltlos heulend macht er sich mit fahrigen Bewegungen daran die abgetragenen Kleider von dem unbeweglichen Körper zu zerren und verwendet dann noch ein wenig mehr seiner kostbaren Energie darauf sie vom Blut zu reinigen und seine Flügel zu verbergen. Den ungewöhnlichen Hauch von Grau in dem normalerweise weißen Gefieder ignoriert er dabei mit der Entschlossenheit der Verzweifelten. So verkleidet hüllt er die kalte Leiche sorgsam in die Überreste seines eigenen Gewandes und streicht ihr zum Abschied noch einmal sanft durch die verfilzten, schwarz gefärbten Haare, bevor er sich endgültig abwendet und leise schniefend das Gebäude verlässt. Der Wald scheint sich gegen ihn verschworen zu haben. Alle paar Schritte bleibt er an irgendwelchen Zweigen hängen oder tritt in schlammige Pfützen, die verborgen unter einer trügerisch trockenen Schicht von Blättern nur auf ihn gewartet zu haben scheinen. Als der erschöpfte Engel endlich einen der Hauptwege erreicht hat macht sich Erleichterung in ihm breit. Nur raus aus diesem feindseligen Gesträuch denkt er sich und eilt in Richtung Stadt weiter. Die stille Schönheit vom taufeuchten Moos das verhalten in der dunstigen Herbstsonne glitzert kann er heute weder wahrnehmen noch würdigen. Eisiger Wind durchdringt den dünnen Stoff des grünen Pullovers sowie den des eng sitzenden T-Shirts darunter mit Leichtigkeit und er fragt sich mit klappernden Zähnen wie das Mädchen diese Kälte nur den ganzen Tag ausgehalten hat. Auch die kontinuierliche Bewegung hilft nicht viel gegen das schmerzhafte Prickeln in seinen Fingern und zu allem Überfluss fängt nun dieser Körper, den er sich so unüberlegt geschaffen hat, an ihn mit eindeutigen Hungergefühlen zu belästigen. Aber wo soll er in dieser feindseligen Welt etwas zu Essen herbekommen? Der Anblick der ersten Häuser kann ihn nicht aus seiner Mutlosigkeit reißen, doch er läuft dennoch weiter, weil sonst der grausame Wind, der erbarmungslos an den schlanken Gliedern nagt, noch viel kälter scheint. Die sauberen, abgezirkelten Gärten, die vor den makellosen Neubauhäusern angelegt wurden, wirken so abweisend dass er nicht wagt die Bewohner um Hilfe zu bitten. Misstrauische Blicke folgen ihm durch weiße Spitzenvorhänge und er beeilt sich diese Gegend zu verlassen, wo seine Person so unerwünscht ist. Eine Stunde und einmal schuldbewusstes Schwarzfahren später, findet sich der Engel im Stadtzentrum wieder, wo kaum noch jemand auf ihn achtet. Erschöpft hockt er sich neben eine staubige U-Bahn Treppe. Dort ist es wenigstens ein kleines bisschen wärmer als draußen und er kann sich in relativer Ruhe Gedanken über seine Lage machen, während die Menschheit an ihm vorbeihastet. Es kommt nicht viel bei seinen Überlegungen heraus. Er hat kein Geld, keinen Platz zum schlafen und kennt auch niemanden hier außer einem arroganten Dämon. Bei diesem Gedanken muss er erneut gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen. Die Einsamkeit frisst sich langsam in sein Herz und droht ihn endgültig zu lähmen. Schnell springt er auf und läuft weiter, um den drückenden Gefühlen zu entkommen die ihn aber doch nicht verlassen werden, so weit er auch rennen mag. Auf seinen ruhelosen Streifzügen durch Supermärkte, glänzende, wimmelnde Geschäfte voll mit Kleidern und Neuheiten wird ihm klar, dass er unbedingt Hilfe braucht um hier zu überleben. Gerade steht er mit sehnsüchtigem Blick vor einem Glas Gurken, da fühlt er wie ihn ein Blick streift, voll Belustigung und Herablassung. Das kann nicht sein! Entgeistert wirbelt er herum und erblickt Isrial inmitten einer Gruppe abgerissener Jugendlicher, die sich gerade darüber streiten ob sie genug Geld für Bier haben. Der Dämon zwinkert ihm zu und grinst boshaft, bevor er auf einmal, mit der ganzen Truppe im Schlepptau, auf ihn zukommt. Erschrocken will der Engel die Flucht ergreifen, aber er kommt nicht weit und nach ein paar Schritten ist er bereits eingekreist. Unruhig schaut er um sich. Noch stehen alle entspannt da ohne Anstalten zu machen aggressiv werden zu wollen. Der Geruch von Alkohol vermischt mit Schweiß geht von ihnen aus und der Engel muss sich zurückhalten um nicht die Nase zu rümpfen. Keine besonders angenehme Gesellschaft die Isrial da pflegt. „Was willst du hier?“ Fragt der Schwarzhaarige gerade misstrauisch. „Ich äh… wieso? Was meinst du?“ Ein genervtes Augenrollen. „Ich meine warum bist du hier und nicht zuhause wo du hingehörst?“ Der Engel schluckt nervös. „Ich kann nicht zurück“, sagt er, so leise dass man ihn kaum hören kann über der aufdringlich fröhlichen Kaufhausmusik. „Ich bin zu schwach.“ „Geht ihr schon mal das Zeug besorgen. Ich muss hier noch was klären.“ Eine knappe Handbewegung und die restlichen Jugendlichen zerstreuen sich. Der Engel will alarmiert zurückweichen, aber da hat ihn Isrial schon am Kragen gepackt und nah herangezogen. „Zu schwach hm?“ sagt er leise. „Wieso erzählst du mir das und offenbarst deine Schwäche? So naiv kannst du gar nicht sein! Was tust du wirklich hier?“ Nach einem misslungenen Versuch sich unauffällig loszumachen antwortet der Blonde schließlich gepresst: „Du hast gefragt. Ich habe dir gesagt ich kann nicht weg. Das ist die Wahrheit. Und jetzt lass mich los!“ Doch der Griff lockert sich nicht. „Soso, du kannst nicht weg. Und wie willst du das überstehen kleiner Unschuldsengel? Du hast doch nicht die geringste Ahnung wie das Leben hier läuft. Bestimmt hast du doch Jemanden den du um Hilfe rufen kannst oder? Wieso bist du nicht bei denen? Wieso folgst du mir?“ „Ich folge dir gar nicht!“ faucht der Engel, der inzwischen fast am Ende ist mit den Nerven. „Ich habe niemanden. Sie würden mich auch gar nicht erkennen jetzt wo ich den Körper habe. Keiner weiß wo ich bin oder was geschehen ist. Ich bin hilflos! Bist du jetzt zufrieden Isrial?“ „Verarsch mich nicht!“ Knurrt der Dämon jetzt wütend. „Wieso verfolgst du mich? Hä? Wen willst du mir auf den Hals hetzen?“ Jetzt hat auch der Engel genug. „Es geht hier nicht um dich!“ erklärt er in schon gefährlich hysterischem Tonfall. „Es geht hier einzig und allein um mich! Es ist mein Leben das zerstört ist nicht deins! Du hattest deinen Spaß und jetzt lass mich endlich gehen!“ Damit bricht er wieder in Tränen aus und wäre einfach auf dem Boden zusammengesunken, würde er nicht aufrecht gehalten von dem Dämon, dem nun dämmert dass ihn der andere vielleicht wirklich nicht anlügt. Verstohlen riecht er an den blonden Haaren, während der Engel mit seinen Tränen seine Jacke befeuchtet und gar nicht mehr zu realisieren scheint an wem er da gerade hängt. Es ist immer noch derselbe verwirrende, aber gleichzeitig faszinierende Geruch wie Gestern, grün und frisch, seltsam lebendig, wie ein sonnenbeschienenes Blatt. Dennoch, ganz überzeugt ist er noch nicht, aber wenn der Andere wirklich so schwach ist wie er behauptet gibt es eine einfache Möglichkeit dies herauszufinden. „Wie ist dein Name?“ fragt Isrial mit leiser, schmeichelnder und auf einmal ganz sanfter Stimme und der Engel, noch immer völlig aufgelöst, antwortet ohne nachzudenken. „Sariel.“ Das darauf folgende befriedigte Lächeln des Dämons kann er nicht sehen. Könnte er es, würde er wahrscheinlich auf der Stelle fliehen so schnell es ginge. „Küss mich Sariel“, sagt er und diesmal vibriert seine Stimme geradezu vor Macht. Der Engel zuckt zwar erschrocken zusammen, aber er kann sich in seinem ausgelaugten Zustand nicht widersetzen, muss sich der Macht des Stärkeren beugenden und Befehl ausführen. Zwei Lippenpaare treffen aufeinander in der Parodie eines leidenschaftlichen Kusses und als sie sich voneinander lösen steht tiefe Erschütterung in den blauen Augen Sariels. „Das ist nicht dein Ernst“, wispert er entsetzt. „Das kannst du nicht machen!“ Der Andere hat ihn nun endlich losgelassen, doch frei zu gehen ist er damit noch lange nicht. „Und ob ich kann.“ Grausame Belustigung spiegelt sich in dem arroganten Gesicht. „Du selbst hast mir die Macht gegeben indem du mir freiwillig deinen Namen verrietest.“ Er wendet sich ab. „Komm.“ „Nein! Ich will nicht. Lass mich gehen!“ Isrial schenkt ihm ein weiteres rasiermesserscharfes Lächeln. „Willst du dass ich dich zwinge… Sariel?“ „Aber ich habe nicht gelogen. Wirklich! Wieso tust du mir das an?“ will der Blonde verzweifelt wissen. „Weil ich es kann und jetzt komm endlich.“ Damit packt er den Engel einfach am Arm und zieht ihn hinter sich her durch den gut besuchten Supermarkt. Eigentlich ist sein Handeln ziemlich unklug. Er könnte noch ernsthafte Probleme bekommen falls doch einer der mächtigeren Engel nach Sariel suchen sollte, aber es ist einfach zu verlockend als dass er diese Macht, die ihm der unerfahrene Junge einfach so übergeben hat, ignorieren könnte. Er erinnert sich an andere die dasselbe Spiel mit ihm getrieben haben. Niemals wieder beschließt er grimmig, niemals wird er sich wieder so benutzen lassen. Er hat seine Lektion gelernt und der Engel wird das nun auch tun. Letztendlich ist es nur zu seinem Besten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)