Reborn von abgemeldet (Sequel zu 東京幻想) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- "Kôji! Aufstehen!" Ein leises Knurren war unter der Bettdecke zu vernehmen. Allerdings war dies auch die einzige Reaktion, die auf die unmissverständliche Aufforderung folgte. Als ihm jemand recht ungehalten die Decke wegzog, griff er lediglich nach seinem Kissen und zog es sich über den Kopf. "Kôji!" "Ja, Mama… ich steh ja schon auf…", grummelte der Rothaarige. Genervt nahm Yûichi ihm auch sein Kopfkissen weg. "Sehe ich etwa aus wie deine Mutter?!", fragte er verärgert. "Jetzt steh endlich auf, sonst kommen wir zu spät!" Der Gitarrist rieb sich verschlafen die Augen, als er sich aufsetzte, dann blinzelte er seinen besten Freund an. "Ich weiß gar nicht, was du willst… es ist doch noch früh…" Seufzend wandte sich der Sänger von ihm ab. "Wenn du drei Uhr nachmittags früh nennst… Du weißt, dass wir nachher Probe haben, also solltest du dich lieber ein bisschen beeilen. Ich habe keine Lust, deinetwegen Ärger mit Rikuo zu bekommen." Mit diesen Worten verließ er das Schlafzimmer. Kôji murrte ein wenig vors ich hin, als er aufstand und frische Kleidung aus seinem Schrank heraussuchte, bevor er langsam ins Bad schlurfte. Der rothaarige Gitarrist hätte einiges dafür gegeben, noch etwas länger schlafen zu können. Doch Yûichis letzter Satz hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Er wusste genauso gut wie jeder andere, dass ihr Manager nicht unbedingt der Typ war, der ernsthaft ausrastete. Dennoch – oder gerade deswegen – vermieden sie es nach Möglichkeit, sich seinen Unmut zuzuziehen. Für seine Verhältnisse war Kôji auch recht schnell fertig und stapfte nur mit einer Hose bekleidet in die Küche, wo sein Freund und Kollege mit einem improvisierten Frühstück auf ihn wartete. "Ich glaube, ich muss mir den heutigen Tag rot im Kalender anstreichen", grinste Yûichi mit einem Blick auf die Uhr. "Das ist ein neuer Rekord!" Kôji nahm sich einen feuchten Lappen von der Ablage und warf ihn dem Sänger ins Gesicht. "Mach dich ruhig lustig über mich", schnaubte er, als er sich an den Tisch setzte. "Bin doch schon dabei", gab der andere belustigt zurück und warf den Lappen in die Spüle. "Hast du eigentlich noch mal was von Naomi gehört?", wollte der Rothaarige wissen, als er sich eine Scheibe Toast nahm und dann nach dem Honigglas griff – auf Butter oder Margarine verzichtete er lieber. Der Angesprochene schüttelte den Kopf. "Nein, seit der letzten Probe vor zwei Tagen nicht mehr." Er seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. "Im Moment ist sie ja auch ziemlich beschäftigt." Ein Grinsen stahl sich auf Kôjis Gesicht. "Ich würde so ziemlich jede Wette eingehen, dass sie unserem werten Herrn Meisterregisseur die Hölle heiß macht." Daraufhin musste Yûichi lachen. "Das kann ich mir nur zu gut vorstellen. Auch wenn ich ehrlich gesagt bezweifle, dass sich an seinem Verhalten ihr gegenüber jemals etwas ändert." "Vermutlich bringt er sie auf die Palme und sie ihn an den Rand der Verzweiflung", meinte der Gitarrist kichernd. Yûichi nickte. "Das glaube ich auch. Er sollte sie nur nicht allzu sehr ärgern, sonst kann sie sich nicht anständig auf ihre Arbeit konzentrieren. Und das würde Rikuo gar nicht gefallen." Kôji biss nachdenklich ein Stück von seinem Toast ab. "Dann wird er wahrlich die Hölle auf Erden erleben." Er grinste breit. "Ich wäre dann ja zu gern dabei, wenn Rikuo ihn zusammenfaltet." "Vorausgesetzt natürlich, dass von ihm noch etwas übrig ist, nachdem Nao ihn sich vorgeknöpft hat", warf der Sänger lachend ein. Der Rothaarige verschluckte sich, als er ebenfalls anfing zu lachen. Er hustete und lief rot an, hatte sich aber recht schnell wieder unter Kontrolle. Kôji holte tief Luft und leerte dann sein Saftglas. Yûichi sah ihn alarmiert an. "Geht es?" Der Gitarrist winkte ab. "Mir geht's gut." Er stand auf und holte noch etwas Orangensaft aus dem Kühlschrank. Als er sich wieder setzte, gluckste er. "Kannst du dich noch an ihre Reaktion erinnern, als Rikuo ihr sagte, dass sie die Rolle in dem Film übernehmen soll?" Der Sänger prustete los. "Eine Statue war nichts dagegen." "Und hinter den Nachwirkungen des ersten Schocks hätte sich jeder Vulkan verstecken können", sinnierte Kôji. "Markus kann von Glück reden, dass er in dem Moment nicht anwesend war…" Yûichi wischte sich die Lachtränen weg. "Das ist ja wieder alles so traurig", kicherte Kôji. "Ich werde ihn sicher vermissen, wenn er den nächsten Job im Ausland hat." Der Dunkelhaarige nickte. "Ich auch. Wenn er hier ist, haben wir immer unseren Spaß, weil Naomi sich dauernd so herrlich über ihn ärgert." "Obwohl ich das gar nicht verstehe", wandte Kôji ein. "Er ist doch immer nett zu ihr." "Vielleicht ist ja gerade das ihr Problem." Als der Rothaarige ihn nur irritiert ansah, zuckte er mit den Schultern. "Scheint irgendwie eine Prinzipiensache zu sein. Ich blick da auch nicht durch." Für eine Weile spekulierten die beiden darüber, warum das Verhältnis zwischen dem Regisseur und ihrer Leadgitarristin so angespannt war und wie sich das Ganze wohl entwickeln würde. Schließlich sah Kôji auf die Uhr. Es war Zeit, sich auf den Weg zu machen, damit sie pünktlich im Studio ankamen. Schnell räumten sie den Tisch ab, dann stürmte der Gitarrist ins Schlafzimmer, um sich ein T-Shirt, seinen Lieblingspulli und Socken anzuziehen. Etwa zehn Minuten später verließen die beiden Musiker die Wohnung Naomi war ein wenig außer Atem, als sie das Gebäude der Universal Studios betrat. Die Außenaufnahmen hatten etwas länger gedauert als ursprünglich geplant. Deswegen hatte sie sich beeilt, um ja nicht zu spät zur Probe zu kommen. In der Eingangshalle warf sie einen Blick auf die Uhr. Erfreut stellte sie fest, dass sie sogar eine knappe halbe Stunde zu früh war. So hatte sie noch genug Zeit, sich in der Cafeteria einen Kaffee und etwas zu essen zu holen. Oben angekommen, ging sie als erstes zum Kaffeeautomaten. Sie nahm sich einen Becher und ließ ihn vor Schreck beinahe fallen, als sie hinter sich eine Stimme hörte, die sie nur allzu gut kannte. Für einen Moment schloss sie die Augen und schluckte schwer. "Ich habe keine Ahnung, was das bringen soll", seufzte Kirito, als er sich an einen Tisch setzte. Er hatte die Gitarristin gar nicht bemerkt, die mit dem Rücken zu ihm am anderen Ende des Raums stand. Was in erster Linie daran lag, dass ihre Haare jetzt schwarz waren, und nicht mehr pink mit schwarzen Strähnen. "Einen Versuch ist es wert, meinst du nicht auch?", gab Kohta genervt zurück. Er setzte sich zu seinem Bruder an den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Hastig stellte Naomi den Becher weg und zupfte an ihren Haaren herum, so dass sie möglichst viel von ihrem Gesicht verdeckten. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Was zum Geier wollten die beiden denn hier?! Sie waren doch schon lange nicht mehr hier bei Universal unter Vertrag. Zum Glück war die Wahrscheinlichkeit, dass Kirito und Kohta sie erkannten, recht gering. Es war noch gar nicht lange her, dass sie sich die Haare gefärbt hatte und es gab auch noch keine öffentlichen Bilder von ihr mit der neuen Frisur. Sie hörte gar nicht zu, worüber sich die beiden Musiker unterhielten, während sie fieberhaft die Handtasche nach ihrer Sonnenbrille durchsuchte. Erleichtert atmete sie auf, als sie den gesuchten Gegenstand endlich gefunden hatte, und setzte die Brille auf die Nase. So könnte sie eine reelle Chance haben, unerkannt die Cafeteria zu verlassen. Vorsichtig warf sie einen Blick über ihre Schulter. Weder der Sänger noch der Bassist sahen in ihre Richtung. Gut. Sie holte tief Luft, rückte ihre Handtasche zurecht und trat den Rückzug an. Auf dem Weg nach draußen behielt sie die ganze Zeit die Brüder im Auge, in der Hoffnung, dass sie nicht auf sie aufmerksam wurden. Ihr war bewusst, dass sie sich im Grunde albern verhielt – schließlich war sie diejenige gewesen, die die Beziehung damals beendet hatte. Aber es war ihr trotzdem lieber, wenn sie eine Konfrontation mit Kirito vermeiden konnte. Sie hätte ohnehin nicht gewusst, wie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Da sie nicht darauf achtete, wo sie hinlief, war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie erst merkte, dass ihr jemand entgegenkam, als sie mit ihm zusammenstieß. Erschrocken taumelte sie einen Schritt zurück und verzog dann genervt das Gesicht. "Was willst du denn hier?", grummelte sie. "Musst du nicht arbeiten?" Markus grinste sie breit an. "Du doch auch, oder nicht?" Als sie ihm keine Antwort darauf gab, seufzte er. "Wir sind für heute ohnehin fertig. Wenn du es vorhin nicht so verdammt eilig gehabt hättest wegzukommen, hätte ich dich mitnehmen können." Hoffnungsvoll sah der Sänger auf, als er die Stimmen der beiden vernahm. "Naomi?", fragte er leise. Die Gitarristin zuckte unmerklich zusammen. Mit einem gequälten Lächeln nickte sie ihm zu, dann wandte sie sich wieder an den Regisseur und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich wollte es nicht riskieren, mich zu verspäten. Das solltest du wissen", meinte sie und ging an Markus vorbei zur Tür. "Wenn ihr mich jetzt entschuldigt – ich habe zu arbeiten." Mit diesen Worten verließ sie die Cafeteria ohne sich noch einmal umzusehen. Mit einem tiefen Seufzer ließ sich Markus auf einen Stuhl fallen. Wenn sie schlechte Laune hatte, konnte diese Frau einen wahrlich in den Wahnsinn treiben. Wenn er nicht wüsste, dass sie sonst anders war und er sie nicht so furchtbar gern hätte, würde er sich die Mühe mit ihr sparen. Kirito legte die Stirn in Falten und wandte den Kopf in Markus' Richtung. "Was hat die denn gebissen?!", wunderte sich Kohta, als er der Studentin irritiert nachsah. Markus hob die Schultern. "Wenn ich das nur wüsste…", gab er ratlos zurück. "Sonst redet sie immer mit mir… aber jetzt?" "Nun ja… wenigstens weißt du jetzt, dass es ihr zumindest gut geht", sagte der Bassist und klopfte seinem Bruder auf die Schulter. Der zuckte zusammen, weil der Jüngere ihn gerade aus seinen Gedanken gerissen hatte. "Was…?", meinte er abwesend. "Wenn du das sagst…" Kohta verdrehte die Augen, dann sah er Markus an. "Und du weißt wirklich nicht, was mit ihr los ist?" Der Regisseur schüttelte den Kopf. "Leider nicht." Kirito biss sich auf die Unterlippe. "Es ist meine Schuld…", murmelte er. Daraufhin sahen ihn die anderen beiden verwirrt an. "Das glaube ich nicht", wandte Markus ein. "Sie ist schon seit ein paar Tagen so komisch." Er verzog das Gesicht. "Ich verstehe wirklich nicht, was momentan in ihrem Kopf vorgeht." Er seufzte und stand dann auf. "Bist du jetzt eigentlich wieder mit ihr zusammen?", erkundigte sich der Bassist bei ihm. Markus musste lachen. "Nein… das ist schon lange vorbei… aber das hab ich mir im Grunde selbst zuzuschreiben. Ich mag sie sehr und wir sind heute gut befreundet, auch wenn man es nicht immer merkt." Sein Blick fiel auf Kirito, der aussah als würde er über irgendetwas nachdenken. "Vielleicht solltest du mal mit ihr reden. Es ist gut möglich, dass sich ihre Laune dann wieder bessert." Der Sänger sah zweifelnd zu ihm auf. "Meinst du?" Der Regisseur zuckte mit den Schultern. "Sicher bin ich mir nicht. Aber du solltest es auf jeden Fall versuchen." Kirito nickte langsam, dann verabschiedeten sie sich voneinander und Markus ging. Als Naomi den Proberaum erreichte, blieb sie kurz draußen stehen und lehnte sich gegen die Wand. Mit zitternden Fingern fuhr sie sich durch die Haare und nahm jetzt endlich die Sonnenbrille wieder ab, die sie in ihrer Handtasche verstaute. Sie verstand selbst nicht so recht, warum die kurze Begegnung mit Kirito sie so aus der Fassung gebracht hatte. Es war doch schon über zwei Jahre her, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte! Nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, stieß sie sich von der Wand ab und öffnete die Tür. Zu ihrem Erstaunen war außer Kôji und Yûichi niemand da. Irritiert sah sie sich in dem Raum um. "Hey… wo sind denn die anderen?" Ihre beiden Kollegen wandten sich zu ihr um. "Hey Schwester", meinte Kôji. Er saß auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Er sah aus als bräuchte er die Stütze, sonst würde er gleich umfallen. Yûichi war ebenfalls blass, wirkte aber weitaus gefasster. Er ging auf die Studentin zu und umarmte sie. "Hallo Na-chan." Sie sah den Sänger besorgt an. "Was ist passiert?", wollte sie von ihm wissen. "Hideo hatte einen Unfall", antwortete Kôji leise. "Rikuo und Tatsuya bringen ihn gerade ins Krankenhaus." Sofort wich sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht und ihre Knie wurden weich. "Ist es sehr schlimm?", wisperte sie entsetzt. Sie setzte sich neben den rothaarigen Gitarristen und legte ihm eine Hand auf die Schulter – Kirito und Markus waren zunächst einmal vergessen. "Er wird es überleben", antwortete Yûichi, als er sich seinen Kollegen gegenüber auf dem Boden niederließ. "Aber vermutlich wird er eine Weile im Krankenhaus verbringen müssen." Kôji lehnte sich dankbar an die Musikstudentin. "Und das, wo er Krankenhäuser so sehr hasst…", murmelte er. "Was ist eigentlich mit dir?", erkundigte sich der Sänger bei Naomi. "Schon als du rein kamst, sahst du aus als hättest du einen Geist gesehen." Sie wollte gerade darauf antworten, überlegte es sich jedoch anders und schüttelte den Kopf. "Nicht so wichtig." Der Rothaarige schlang die Arme um ihre Taille und drückte die Musikstudentin an sich, wobei er seinen Kopf auf ihre Brust legte. "So gefällt mir das Ganze schon viel besser…", meinte er zufrieden. Entrüstet schob sie ihn von sich. "Such dir eine andere, die du angraben kannst, du Weiberheld!" Sie schlug die Beine unter. "Außerdem weißt du ganz genau, dass Luca dich in der Luft zerreißen würde, wenn sie das gesehen hätte." "Sie ist aber nicht hier." Der Gitarrist konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Aber wenn du genauso gut bist, dann habe ich definitiv keinen Grund, mich zu beschweren." "Sollte ich jemals einen solchen Aussetzer haben, dass ich mit dir etwas anfange, dann hast du garantiert nichts zu lachen." Sie sah ihn ernst an. "Und das ganz unabhängig davon, wie gut ich bin." Seufzend verdrehte er die Augen. "Du verstehst echt keinen Spaß mehr, Schwester." Er zupfte an einer von Naomis Strähnen. "Wer hat dir eigentlich deinen Sinn für Humor geklaut? Ich weiß, du hattest mal einen." "ich glaube nicht, dass sie ihn verloren hat", mischte sich Yûichi ein. "Wahrscheinlich hat er sich nur gut versteckt. Der taucht sicher bald wieder auf." Er tippte ihr Knie an. "Ne?" Kôji legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie wieder an sich. "Vielleicht macht er auch einfach nur Urlaub. Ab und zu braucht man so was, hab ich mir sagen lassen." "Ja…", gab der Sänger schmunzelnd zurück. "Möglicherweise da, wo ihn niemand aufspüren kann… im Bermudadreieck zum Beispiel." "Ihr seid doch bescheuert…", murmelte die Studentin, dann strich sie sich eine Strähne aus der Stirn. "Warum sitzt ihr eigentlich hier rum?" Sofort wurden die beiden anderen wieder ernst. "Wir warten darauf, dass Rikuo uns Bescheid sagt, sobald er Genaueres weiß", antwortete Kôji. "Und bis grade haben wir auf dich gewartet, weil wir ja nicht wussten, wo du genau warst. Wir dachten uns, dass du gern wüsstest, was los ist." Die Dunkelhaarige nickte bedächtig. "Danke, das ist lieb von euch…", meinte sie leise. "Ich hoffe, Hideo geht es einigermaßen gut… in Anbetracht der Umstände zumindest." "Ah… der Kleine ist hart im Nehmen." Der Gitarrist wuschelte ihr durch die Haare. "Das hat er mit dir gemeinsam." Naomi musste grinsen. "Sei froh, dass er das nicht gehört hat." "Was… dass er hart im Nehmen ist oder dass er was mit dir gemeinsam hat?" "Dass du ihn mal wieder 'Kleiner' genannt hast", gab sie amüsiert zurück. "Du weißt doch, dass er das nicht mag." Kôji hob gleichmütig die Schultern. "Ach was… er ist nun mal der Jüngste bei uns." "Ich bin auch nicht viel älter", wandte Naomi ein. "Nur knapp zwei Monate." "Aber immerhin älter. Außerdem bist du eine Frau, du darfst ruhig jünger sein." Yûichi stand auf und reichte ihr eine Hand. "Ich nehme an, du hast heute noch nicht allzu viel gegessen…", meinte er mit einem breiten Grinsen. Sie nahm seine Hand und ließ sich von ihm hoch ziehen. "Und was ist mit Rikuo?" Der Rothaarige rappelte sich ebenfalls auf und nahm sich Stift und Zettel. "Ich hinterlasse ihm eine Nachricht, dass er uns oben in der Cafeteria findet. Obwohl ich eher davon ausgehe, dass er anrufen wird. Dann muss er uns nicht suchen." Sofort versteifte sie sich, weil ihr einfiel, wem sie zuvor noch dort begegnet war. "Können wir nicht woanders hin?" "Warum?", wollte der Sänger von ihr wissen. "Ist da irgendwas? Asbest oder so? Oder ist das Essen verdorben?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein… aber… aber… ich…" Sie seufzte. "Auch egal… lasst uns gehen." Verwirrt sahen die beiden Musiker ihr nach, bevor sie ihr folgten. Nach dem kurzen Gespräch mit Markus verzichteten Kirito und Kohta dann doch darauf, sich mit einem von Naomis Kollegen zu unterhalten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie von ihnen mehr erfahren würden als von dem Regisseur, war ohnehin alles andere als hoch. Somit verließen sie recht zügig die Cafeteria und schließlich das Gebäude. Auf dem Weg zu Kiritos Appartement schwiegen sie, da beide ihren eigenen Gedanken nachhingen. Als der Sänger seine Wohnungstür aufschloss, drängelte sich Kohta an ihm vorbei und begab sich sofort ins Wohnzimmer, nachdem er sich seiner Schuhe und der Jacke entledigt hatte. Kirito folgte ihm einige Augenblicke später. Für eine Weile saßen sie nebeneinander auf dem Sofa. Noch immer sagte keiner von ihnen etwas. Der Ältere ließ die kurze Begegnung in der Cafeteria zum wiederholten Mal Revue passieren, auch wenn es keinen Unterschied zu den vorigen Malen machte. Er war sich nicht sicher, ob er sich jetzt besser fühlte. Zwar hatte er sie gesehen, aber miteinander gesprochen hatten sie trotzdem nicht. Vor allem konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie seinetwegen so schnell hatte gehen wollen. Nachdem Kohta bereits seine fünfte Zigarette geraucht hatte und immer noch kein einziges Wort gesprochen worden war, seufzte er. "Wann rufst du sie denn an?" "Hm?" Kirito hatte zwar vernommen, dass sein Bruder etwas gesagt hatte, aber dadurch, dass er in seine eigenen Gedanken so vertieft gewesen war, hatte er den genauen Wortlaut gar nicht mitbekommen. Der Bassist verdrehte die Augen. "Naomi. Anrufen. Wann?" "Du darfst ruhig normal mit mir reden", grummelte der Sänger. "Also? Wann hattest du vor, sie anzurufen?" "Warum soll ich sie überhaupt noch anrufen?", verlangte der Ältere zu wissen. "Du hast doch erreicht, was du wolltest. Wir haben sie gesehen. Ihr geht es gut. Punkt." Kohta sah ihn ungläubig an. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?! Warum willst du nicht mit ihr reden?" Der Sänger bedachte den Jüngeren mit einem nachdenklichen Blick. "Es ist eher so, dass sie nicht mit mir reden will…" Er seufzte. "Du hast doch gesehen, wie eilig sie es hatte. Wenn ich nicht da gewesen wäre…" "Du redest Unsinn und das weißt du auch!", fiel ihm Kohta ins Wort. "Sie hat doch selbst gesagt, dass sie arbeiten muss!" Er schüttelte den Kopf. "So langsam glaube ich wirklich, du spinnst. Sogar dieser Regisseur hat gesagt, dass du mit ihr reden solltest." Daraufhin wandte der andere den Blick ab. "Ich weiß nicht so recht…" "Wenn du nicht willst, dann lass es!", befand der Bassist ungeduldig. "Aber dann hör auch auf, Trübsal zu blasen!" Kirito seufzte schwer. "Du hast ja Recht…" Er warf einen Blick auf die Uhr. "Ich will dieses Gespräch nur ungern am Telefon führen, verstehst du? Und ich weiß auch nicht, wie lange sie heute arbeitet. Wie ich sie kenne, wird es spät. Abgesehen davon kann es auch sein, dass ihre Handynummer gar nicht mehr aktuell ist, danach haben wir natürlich nicht gefragt." Sein Bruder schlug sich leicht vor die Stirn. "Stimmt. Da war was." Er grummelte kurz vor sich hin. "Wenn se eine neue Nummer hat, wissen wir ja wenigstens, wen wir fragen können." "Du bist so ein Schaf, hat dir das schon mal jemand gesagt?", beschwerte sich Naomi, als sie sich zu Hideo auf die Bettkante setzte. "Was fällt dir eigentlich ein, uns so einen Schrecken einzujagen?!" Der Bassist grinste schief. "Tja… was soll ich sagen? Tut mir Leid…?" "Ah…", warf Yûichi ein. "Ist ja nicht so, als hättest du das mit Absicht gemacht." Hideo zog eine Augenbraue hoch. "Als ob ich mich absichtlich eine Steintreppe hinunterstürzen würde!", schnaubte er. "Natürlich nicht!" "Das ist auch dein Glück", brummte Kôji in seiner Ecke, wo er auf einem Stuhl herumlümmelte. "Ansonsten hätte ich noch mal nachgeholfen, darauf kannst du Gift nehmen!" Naomi schnappte sich ein Kissen vom Bett und warf es dem Rothaarigen an den Kopf. "Sag das nicht noch mal, sonst bekommst du es mit mir zu tun", grollte sie. "Und dann kann dir keiner mehr helfen." Als Kôji das Kissen zurückwarf, wollte sie es gekonnt auffangen, verfehlte es jedoch und es traf sie hart im Gesicht, so dass sie nach hinten kippte und auf ihrem verletzten Kollegen landete. Der stöhnte vor Schmerz auf. "Wenn ihr so weitermacht, komme ich nie hier raus!", jammerte er. "Tut mir Leid", erwiderte die Dunkelhaarige, dann warf sie dem Gitarristen einen giftigen Blick zu. Der wiederum hob abwehrend die Hände. "Du hast angefangen! Was kann ich dafür, wenn du nicht fangen kannst?" Naomi wollte gerade etwas darauf erwidern, kam jedoch nicht dazu, weil genau in diesem Moment eine Krankenschwester das Zimmer betrat, die sie darauf aufmerksam machte, dass die Besuchzeit bald vorbei war. Als Kôji sie sah, begann er sofort zu grinsen. "Also, wenn ich so eine hübsche Schwester bekommen würde, wär ich auch freiwillig krank… und hier." Die Studentin knackte gefährlich mit ihren Fingerknöcheln. "Das lässt sich einrichten!", versprach sie ihm. "Glaub mir, das geht ganz schnell." "Ich glaube, es ist besser, wenn wir gehen", stellte Yûichi sachlich fest, dann klopfte er dem Bassisten auf die Schulter. "Sei froh, dass du mit einem gebrochenen Arm und ein paar angeknacksten Zehen davongekommen bist. Es hätte auch schlimmer sein können." Hideo verzog das Gesicht. "Mit den Zehen kann ich leben, aber so kann ich nicht Bass spielen", maulte er. "Dann pass nächstes Mal besser auf." Der Sänger nickte zum Abschied, dann griff er Naomis Arm und zog sie mit sich aus dem Raum. Sie hatte gerade genug Zeit, sich rasch von ihm zu verabschieden, da waren sie auch schon auf dem Flur. Kôji folgte ihnen mit einigem Abstand. Er wollte sichergehen, dass sie ihn nicht strangulierte. Am Aufzug ließ Yûichi sie dann los. "Ich fahre dich nach Hause", beschloss er mit einem Blick auf die Uhr. "Es ist schon spät und du musst morgen sicher früh aufstehen." Naomi lehnte sich an die Wand und nickte. "Ist okay… dann werde ich sicher länger bei den Dreharbeiten sein, wenn die Proben jetzt erst mal ausfallen…" Sie wurde bleich. "Verdammt… die Konzerte müssen auch verschoben werden", seufzte sie. "Darum kümmert sich Rikuo schon, mach dir deswegen mal keine Sorgen." Kôji bohrte ihr einen Finger in die Seite. "Aber so könntest du vielleicht mal ein paar Abende frei haben, um sie mit uns zu verbringen. Wir bekommen dich ja kaum noch zu Gesicht, seit du bei diesem Film mitmachst." "Tut mir ja Leid…", erwiderte sie zerknirscht. "Ich kann auch nichts dafür." "Das wissen wir doch", meinte der Rothaarige versöhnlich und legte ihr einen Arm um die Schultern. "Aber es ist trotzdem schade." Endlich kam der Aufzug und die drei Musiker stiegen ein, damit sie endlich die Heimfahrt antreten konnten. Es war ein langer und nervenaufreibender Tag gewesen – für sie alle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)