2160. von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Das Herz des Waldes ------------------------------ Das Europa Projekt Ich wurde geboren am 1.8.2142, genau um 20:32 Uhr. So ziemlich jeder im Umfeld meiner Mutter richtete ihr Glückwünsche aus: es sei ein denkwürdiges Datum und ich werde ein Milleniumkind werden. Nicht Millenium im klassischen Sinne, dass ein neues Jahrtausend beginnt, nein, vielmehr ein neues Zeitalter. An diesem Tag, genau um diese Uhrzeit startete das jahrelang geplante Europa-Projekt. Bei diesem Europa-Projekt handelte es sich um ein Projekt aller Raumfahrtbehörden der Welt, bei dem 12 Raketen auf den Mond geschossen wurden. Natürlich wollte man den Mond damit nicht vernichten, nein. Es waren Trägerraketen. In jeder Rakete befanden drei Tanks: Einer gefüllt mit einem komprimierten Sauerstoffgemisch, dass dem unserer Atmosphäre nachempfunden war, einer gefüllt mit Mineralien versetztem Wasser und einer gefüllt mit Algen. Jede der Raketen hatte noch zusätzlich etwas, was an eine große, elektromagnetische Spule erinnerte, der sogenannte Tesla-Druckreaktor. Wenn die Rakten aufschlugen, sollten sie die Ecken eines zwanzigseitigen Würfels, eines Ikosaeders, darstellen. Phase Eins war also die Landung der Raketen. Dann sollten schlagartig Luft, Wasser und die Algen ausgestoßen werden – in Richtung des Bodens: Phase Zwei. Phase Drei war Aktivierung des Tesla-Druckreaktors – Tesladüngung nannte man das. Dabei sollten die Algen sofort anfangen, die Luft und das Wasser umzusetzten und die Mondoberfläche zu bewachsen, um so den Mond binnen eines Jahres bewohnbar zu machen. Punkt 12:00 Uhr, mit Start der Raketen, begannen die Wehen meiner Mutter. Alle Phasen und meine Geburt liefen ganz ohne irgendwelche Komplikationen. Die letzte Phase, die Tesladüngung, setzte in dem Moment ein, in dem ich meinen ersten Schrei tat – und im selben Moment verdunkelte sich alles, nur am Himmel war ein grüner Kreis zu beobachten – der Mond. Der Strom auf der gesamten Erde fiel aus. Doch es war nicht einmal der Strom, der nicht mehr weitergeleitet wurde. Alle Systeme, die auch nur das kleinste bisschen Elektronik in sich hatten, waren zerstört – und ein Chaos begann. Ein Chaos, in dem viele Menschen umkamen – schließlich funktionierten weder Ampelsysteme, die den Verkehr regulierten, noch medizinische Hilfsgeräte, die Menschen am Leben hielten, noch irgendwelche Industrien, die lebensnotwendige Dinge herstellten. Wir schreiben jetzt das Jahr 2160. Das Chaos, dass dieser herbe Verlust aller technisierten Systeme mit sich brachte, hatte sich schon in den ersten zwei Jahren gelegt. Doch die Technik funktioniert immer noch nicht. Die gängige Theorie ist, dass die Tesladüngung den Mond in einen riesigen Magneten verwandelt hat und somit die erste Löschung aller Firmware, also des Codes, der in jedem gerät vorhanden sein muss, bewerkstelligte. Doch man konnte auf keinen Chip mehr diese funktionswichtige Firmware wieder aufspielen, was die Forscher dazu brachte, eine weitere Theorie aufzustellen: Die Algen bilden ein Netzwerk, dass den elektromagnetischen Pol dermaßen schnell über den Mond transportieren kann, dass alle Geräte permanent davon betroffen sind. Und der Mond...Tja, der Mond ist grün. Das Europa-Projekt hat angeschlagen, aber es nützt uns nichts, schließlich kann man ohne Technologie nicht hin fliegen – und ich bezweifle, dass wir mit der Ersatzlösung weit kommen. Die Ersatzlösung? Nun...es ist etwas, das vor circa 300 Jahren das erste mal aufkam: Dampftechnologie. Also Mechanik, die durch Dampfkraft angetrieben wird. Der Vorteil davon ist, dass es keine Elektrotechnik enthält und deshalb von dem elektromagnetischen Feld des Mondes nicht beeinflusst wird, aber... Es ist zum einen nicht das selbe wie all die hochentwickelten, digitalen Geräte und zum anderen verschmutzt es die Umwelt; es braucht, wie der Name schon sagt, Dampf, um zu funktionieren. Für diesen Dampf müssen Dinge verbrannt werden und diese Verbrennung erzeugt neben Dampf auch Rauch, der aus verschiedensten Stoffen besteht. Aber es sind eben Giftstoffe und andere Stoffe, die die Umwelt verschmutzen. kapitel 2 Als ich an diesem Morgen am Frühstückstisch saß, dachte ich schon gar nicht mehr daran, dass heute mein achtzehnter Geburtstag war. Wir aßen und unterhielten uns über irgendwelche nichtigen Dinge, als mein älterer Bruder das Zimmer betrat. „Musst du heut nich arbeiten?“ Mein Bruder war Funker bei der Firma Thomas & Staw, dem größten Telegraphenunternehmen in Europa. Er grinste. „Ein Sturm hat nen Baum umgeworfen und der hat uns die Leitungen gekappt - wir sitzen bis heut Nachmittag ohne Verbindung zur Außenwelt da, deswegen hat der Chef gemeint, wir sollen gefälligst zu Hause bleiben.“ „Also keine Nachricht von Papa?“ Ich sah ihn fragend an. „Nina!“ zischte meine Mutter. „Ja, was denn?“ Ich verschränkte die Arme und lehnte mich zurück. Mein Vater gehörte zum deutschen Forschungsteam, das am Europa-Projekt beteiligt war, doch seit der Durchführung vor achtzehn Jahren ist er verschwunden. Und trotzdem hoffte ich jeden Tag auf eine Nachricht von ihm. Meine Mutter hatte ihn aufgegeben, weswegen ich mir jedes mal den Mund verbieten lassen musste, wenn ich von ihm reden wollte, dabei kannte ich ihn doch gar nicht. Aber ich wusste, dass mein Bruder nur deswegen bei Thomas & Staw arbeitete, damit er ständig den Zugang zu Neuigkeiten hatte - auch wenn er es nicht zugeben wollte. Von ihm wusste ich auch das meiste über meinen Vater und ich wünschte mir, seit ich klein war, ihn irgendwann mal kennen zu lernen – doch eigentlich war es aussichtslos. Aus Höflichkeit blieb ich sitzen, bis alle fertig gegessen hatten und dachte währenddessen ein wenig nach. Als wir aufstehen durften, verabschiedete ich mich. „Ich geh ein bisschen in den Wald, Mama.“ „Pass auf dich auf, Schatz.“ Unsere Unterhaltungen waren nie sonderlich stark ausgeprägt. Während ich durch die wenig bevölkerten und größtenteils kaputten Straßen schlenderte, dachte ich über meine Familie nach. Mit meiner Mutter hatte ich nie wirklich viel gemeinsam, ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie mir je viel Liebe hatte zukommen lassen. Wir redeten so gut wie nie und noch seltener über wichtige Dinge, wie Zukunft und Gefühle. Aber ich hasste sie nicht. Mit meinem Bruder hatte ich nicht viel zu tun, er war vier Jahre älter als ich und ständig unterwegs, entweder bei der Arbeit oder bei seiner Freundin, mit der er schon seit sechs Jahren zusammen war. Zu ihm war mein Verhältnis mehr eine ständiges Schwanken zwischen Hass und Liebe, wie es unter Geschwistern vielleicht üblich ist, aber wir verstanden uns recht gut und seine Freundin war auch sehr nett. Ich erreichte den Wald, der zur Stadt nurmehr einen fließenden Übergang hatte. Nach der Katastrophe zogen sich die Leute in die Innenstadt zurück und die Natur holte sich nach und nach wieder, was ihr gehörte – es gab also keinen Waldrand mehr sondern überall vereinzelt Bäume, deren Zahl sich irgendwann zu einem Wald verdichtete. Als ich eine gute Viertelstunde geschlendert war, hörte ich in der Nähe ein paar Leute, die sich unterhielten. „Es muss hier irgendwo sein...Hey, guck mal, Äpfel!“ „Och nö...Nicht schon wieder.“ „Oh, doch, los jetzt!“ „Nein, mach du!“ „Nein, wieso ich? Ich hab schon beim letzten Mal!“ „Och man...“ Ich musste grinsen „Na gut...“ Man hörte einige Blätter rascheln und als ich mich auf die Geräuschquelle zu bewegte, sah ich zwei Menschen in weißen Umhängen, bei deren Anblick ich unwillkürlich zu kichern begann. Der größere von beiden, der stämmigere und ziemlich wuchtige, kletterte auf die Schultern seines schmächtigen, dafür hochgewachsenen Partners, um Äpfel von einem Baum zu pflücken. Nachdem er zwei, drei ergattern konnte, gab sein Untergrund nach und beide fielen hin. „Arg, du Trottel!“ „Wieso muss auch immer ich dich tragen? Du bist viel schwerer als ich!“ „Aber ich bin dein Prior!“ Der letzte Satz des scheinbar Älteren hatte mehr Nachdruck, als er eigentlich verdient hätte. Ich lachte laut auf, womit ich gleichzeitig die Blicke der beiden auf mich zog. Ihrer Kleidung und ihrem Verhalten nach, sowie den Begriffen, die sie benutzten, gehörten sie zur Mondstaub-Sekte, einer relativ großen Sekte, die behauptet, dass die Forscher, die das Europa Projekt gestartet hatten, nun auf dem Mond sitzen und von da aus verhindern, dass es Fortschritt und Technik auf der Erde gibt. Mit dieser Behauptung wollen sie ihre Mitglieder dazu bringen, kostenlos dafür zu arbeiten, dass man wieder den „gewohnten“ Lebensstandard einnehmen kann. „Was lachst du?“ Der Prior sprach mich an, aber ohne Vorwurf und Härte, es war ein eher schmeichelhafter Ton. „Wieso sammelt ihr Äpfel? Kriegt ihr nicht mehr genug zu essen?“ Er hob den Zeigefinger. „Junge Dame, werd nicht frech!“ Er räusperte sich, klopfte ein bisschen Erde von seiner Kutte und zog seine Kleidung zurecht. „Die Mondstaubgesellschaft verlangt von den Novizen ein Überlebenstraining in der Natur, bei dem der Prior ihn unterstützen muss.“ Dem Gesichtsausdruck des Novizen zufolge, war er genauso überrascht über diese Ausrede wie ich. „Schönen Tag noch.“ Er versteckte seine Hände in den Ärmeln und verbeugte sich. Der Novize tat es ihm gleich und beide verschwanden zwischen Gestrüpp und Bäumen. „Hihi, Mondstaubler...“ Ich hielt mir die Hand vor den Mund und kicherte. „Nach was die wohl wirklich gesucht haben?“ Ich blickte ihnen und ihrer Spur, die sie hinterließen, ein wenig hinterher und setzte dann meinen Weg fort. In der Zeit des großen Chaos hatte es diese Sekte extrem leicht, Anhänger zu finden – Sie versprachen einfach den Verzweifelten eine bessere Welt und erzählten den Leuten, was sie hören wollten – und zu dieser Zeit war eigentlich jeder verzweifelt. Aber trotzdem waren sie zum Großteil nur das Gespött der Leute. Ihre Art, ihre sinnlosen Theorien und fanatischen Lehren waren für die, die nicht daran glaubten, mehr lächerlich als glaubwürdig. Aber es bot manchen Menschen das, was viele brauchten: einen Halt im Leben. Es ist sogar eher verwunderlich, dass es nur die Mondstaubgesellschaft zu solch einer Größe geschafft hatte und es nicht mehr Sekten gab, die um die alleinige und einzig wahre Wahrheit stritten, wie die Mondstaubler und diejenigen, bei der der Fortschrittsglaube einen Fanatismus ähnlichen Zustand angenommen hatte. Hier im Wald lebte eine andere Gesellschaft, die man aber nicht als Sekte sehen konnte. Es war ein Naturvolk, dass der Überzeugung war, der Welt schon genug Schaden angetan zu haben und deswegen ohne Technologie und Fortschritt lebte. Sie suchten zwar keinen Kontakt zu dem Menschen in der Stadt, aber sie waren gastfreundlich und aufgeschlossen gegenüber jedem Fremden, der sich in ihr Dorf verirrte oder es besuchte – solange diese Person ihre Regeln und Ansichten achtete, was nicht heißt, dass man sie nicht teilen musste. Nein, ganz und gar nicht: Viele der Menschen ließen sich gerne auf sachliche und objektive Diskussionen ein, solange man sich nicht aufdrängte oder persönlich oder verletzend wurde. Diejenigen, die sich nicht auf Diskussionen einlassen wollten, sagten es direkt und völlig ohne Schärfe, die einen dazu hätte bringen können, verärgert zu sein. Manchmal war ich bei Ihnen zu Besuch und ließ mir Geschichten von den Ältesten erzählen, oder diskutierte mit ihnen über ihre Ansichten der Welt und der Technik, die ich größtenteils teilte. Aber heute hatte ich keine Lust auf Gesellschaft, ich wollte ein wenig Zeit alleine verbringen und so schlenderte ich stundenlang durch den Wald – immer tiefer und mehr in Richtung Herz des Waldes. Nach ein paar Stunden Spaziergang gelangte ich zu einem meiner Lieblingsplätze, einer großen Eiche, nicht weit von einem der Dörfer des Naturvolkes, und da ich sowieso ein bisschen müde war, legte ich mich darunter ins Gras. Als ich so die Wolken und den Himmel durch das Blätterdach beobachtete, fielen mir langsam die Augen zu und ich schlief ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)