Vermilion von KumaChan ================================================================================ Kapitel 1: Drei Schatten ------------------------ Drei Schatten „In der letzten Nacht starben bei einem Autounfall zwei Menschen. Das Ehepaar hinterließ eine 12-jährige Tochter, die den Autounfall, leicht verletzt, überlebte. Der Unfallverursacher war ein Betrunkener, der unverletzt überlebte. Die Waise ist jetzt in staatlicher Obhut...“ Dieser Bericht sorgte für große Schlagzeilen. Noch eine Weile wurde das gerichtliche Verfahren, in dem der Verursacher des Unfalls zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde, verfolgt. Doch nach und nach verloren die Menschen das Interesse. Neuere, traurigere Geschichten drängten die Berichte aus der Zeitung. Mich interessierte es nicht. Als meine Eltern starben, ging meine Welt unter und alles wurde grau und schlecht. Nicht einen sonnigen Tag hatte es seitdem für mich gegeben. Es gab eine Menge Debatten darüber, was mit mir geschehen sollte. Es wurde entschieden, dass ich ins Waisenhaus kommen sollte. Nach meiner Meinung hatte nie jemand gefragt, aber es war mir auch egal. Ich fühlte nichts mehr. Die Betreuer des Waisenhauses schickten mich zu einem Therapeuten, doch es war sinnlos. Man verschrieb mir Tabletten und irgendwie ließ ich sie immer wieder verschwinden. Ob ich lebte oder starb, es war mir egal. Meine Seele war betäubt und träge und ich dachte, es würde sich nie wieder ändern. Wie immer begann ein trüber Tag. Alle um mich herum trugen kurze, bunte Kleidung, einfach grässlich! Ich trug seit dem Unfall nur noch schwarz. Es schien mir angemessen und etwas anderes kam nicht in Frage. Ich fühlte mich nicht mehr dazugehörig und die Menschen um mich herum zeigten mit dem Finger auf mich. Ich war nur noch ein Schatten meiner selbst. Auf andere wirkte ich wahrscheinlich wie ein kleiner Geist, denn meine helle Haut stand im direkten Gegenteil zu meiner schwarzen Kleidung und meinen dunkelbraunen Haaren. Ich hasste die Sonne. Sie schien mich zu verhöhnen. Auch an diesem Tag schien sie umbarmherzig und verbrannte meine geschundene Seele. Ich hasste solche Tage. Ich wurde gezwungen in die Schule zu gehen. Ich lernte nichts und hatte dort keine Freunde. Sie schienen alle in einer anderen Welt als ich zu leben. Jede Minute schien Stunden zu dauern und quälend langsam ging auch dieser Tag zu Ende. Ich wurde ignoriert, denn mir war es völlig gleichgültig, wenn man mich ärgerte, oder mich bedrohte. Vielleicht war der Tod auch besser, als das Leben. Konnte es eine noch schlechtere Welt, als diese geben? Ich machte mich auf den Rückweg, ich wollte zurück in dieses dunkle Zimmer und an nichts mehr denken. Plötzlich krachte es. Vor mir wurde ein Mann überfahren. Er blutete stark und die Menschen wurden hysterisch. Sie schrieen und eilten dem Mann zu Hilfe. Ich blieb stehen und sah dem Spektakel ungerührt zu. Wie seltsam. Ich fühlte rein gar nichts, nicht einmal Trauer. Ich beobachtete sie alle. Die Helfer, die geschockten Zuschauer. Jeder Einzelne fühlte sich dem Mann verbunden und wollte helfen. Aber warum? Sie kannten ihn genauso wenig wie ich und doch... Das Ganze dauerte eine halbe Stunde. Die ganze Zeit rührte ich mich nicht vom Fleck. Der Mann wurde im Krankenwagen weggefahren und die Menschenmenge löste sich allmählich auf. Ich blieb stehen und niemand schien mich zu bemerken. So viele Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. „Wieso helfen Menschen jemanden, den sie nicht kennen? Warum waren sie so aufgewühlt, traurig oder geschockt?“ Als ich diesen Mann sah, sah ich einfach nur das Geschehen. Ich sah das verbeulte Auto, den verletzten Mann, die Menschen um ihn herum, doch Gefühle hegte ich keine. Mir wurde erst nach und nach bewusst, dass die Sonne langsam unterging. Endlich war diese grausame Lichtkugel verschwunden. Ich setzte meinen Weg fort. Die Dunkelheit tat gut. Alles war ruhig und einsam, genau wie ich es wollte. Die Straße war wie leer gefegt, denn niemand wollte nach Einbruch der Dunkelheit noch hier sein. Bandenkriege machten diese Gegenden unsicher. Plötzlich sauste etwas über mich hinweg. Ein Vogel? Nein, etwas größeres. Ich hatte keine Angst aber ich war neugierig, ein Gefühl, dass ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Ich folgte dem Schatten und in einer Gasse holte ich es ein. Die Gasse war umgeben von hohen Mauern, die alte Plattenbauten einschlossen, eine üble Gegend. Es waren mehrere Menschen dort versammelt. Ich versteckte mich hinter einer Mülltonne und beobachtete diese seltsame Szene. Eine Laterne in der Nähe fing an zu flackern und dann sah ich es ganz deutlich. Drei Männer in seltsamer Kleidung und mit Schwertern kämpften gegen zwei Wesen, die ich eindeutig als Dämonen erkannte. In dieser Welt gab es nur noch wenige Dämonen. Diese grausamen Mörder wurden nach und nach von einer geheimnisvollen riesigen Familie Namens „Cage“ gejagt und ausgerottet. Die Menschen verehrten und fürchteten diese Menschen, die rücksichtslos auch Unschuldige töteten, um an ihr Ziel zu kommen. Nun konnte ich mit eigenen Augen sehen, wie Mitglieder der Cage die wahrscheinlich letzten Dämonen auslöschten. Sie taten mir nicht leid, so etwas wie Mitgefühl kannte ich nicht mehr. Doch ich kam nicht umhin zu bemerken, wie menschlich diese Dämonen wirkten. Sie hatten rote Augen und spitze Ohren, doch das war fast das Einzige, was sie von Menschen unterschied. Die drei Cage griffen das Dämonenpaar, ein Mann und eine Frau, mit ihren Schwertern an. Warum wehrten sich diese Dämonen nicht richtig? Dann sah ich es. Hinter dem Paar stand ein kleines Kind. Es kauerte im Schatten einer umgefallenen Mülltonne um schaute seine Eltern ängstlich an. Diese wehrten die Hiebe der Cage mit etwas ab, dass aussah, wie ein rötlicher Schutzschild. Die drei Männer schlugen immer kräftiger zu und der Dämonenmann sank auf die Knie. Die Schwerter fingen an zu leuchten. Die Augen der Dämonenfrau glitzerten voller Entschlossenheit. Sie wollten ihr Kind schützen und würden für es sterben, das erkannte ich sofort. Das Kind kroch aus der Dunkelheit zu seinem Vater und umarmte ihn. Dies schien ihn zu stärken, denn der Dämonenmann stand auf und der Schutzschild, das zu brechen drohte, leuchtete in neuer Kraft. All diese ungewöhnlichen Dinge, die hier geschahen, überraschten mich kaum. Ich nahm es, wie schon den Unfall zuvor, völlig sachlich auf. Die beiden Dämonen wurden von den flammenden Schwertern immer weiter zurückgedrängt. Sie bewegten sich langsam in meine Richtung. Ich rührte mich nicht vom Fleck. Selbst wenn sie mich entdecken und umbringen würden, es war mir völlig gleich. Vielleicht war es sogar besser so, denn was hatte mein Leben denn schon für einen Sinn? Das Dämonenkind stand nun genau vor der Mülltonne, hinter der ich hockte. Seine Mutter drehte sich besorgt zu ihm um. Unsere Augen trafen sich nur einen Moment. Ihre roten Augen spiegelten so viele Gefühle wider, es war fast unerträglich, besonders für jemanden wie mich, der zu fühlen verlernt hatte. Sie drehte sich wieder um und ließ sich nichts anmerken. Sie ging einen Schritt zurück und drängte ihr Kind somit zu mir. Ganz plötzlich stürmte sie durch den Schutzschild und griff die drei Männer mit aller Kraft an. Alle waren gleichermaßen überrascht. Das Kind, ihr Gefährte und die drei Männer. Mir war es egal, sollte sie sich doch umbringen. Der Dämonenmann drehte sich zu seinem Sohn um, jetzt sah auch er mich. So etwas wie erkennen trat in sein Gesicht und er stürmte seiner Frau hinterher. Ich begriff nicht, warum sie das taten. Sie beide drängten die Cage zurück und entfernten sich immer mehr von mir und ihrem Kind, das reglos vor mir stand. Der kleine Junge ging langsam rückwärts und versteckte sich hinter der Tonne. Erst als er sich zusammengekauert umschaute, entdeckte er mich. Er sah mich überrascht an. Seine Augen waren ebenfalls rot, sie spiegelten Leid und Angst wider. Ich fand sie erträglicher, als die seiner Mutter. Ein Schrei durchbrach die Stille. Der Dämonenmann sank leblos zu Boden. Der kleine Junge neben mir zuckte zusammen und stumme Tränen rollten an seiner Wange entlang. Seine Mutter kämpfte, wie ein Löwe. Sie blutete stark und überall waren Pfützen von Blut. Die drei Männer schnauften erschöpft, doch sie schlugen umbarmherzig weiter auf die Frau ein. Sie hatten es geschafft, ein Schrei und die Frau sank leblos zu Boden. Die Cage - Männer machten eine Verschnaufpause und sahen sich atemlos an. „Sie hatten noch ein Kind dabei, oder?“ Die Stimme klang rau und tief. Er musste der Anführer des Trupps sein, ging es mir durch den Kopf. Der Kleine neben mir versuchte seine Schluchzer zu unterdrücken und duckte sich noch tiefer hinter die Tonne. Die Cage – Männer schauen sich um. „Wahrscheinlich werden sie mich auch töten, wenn sie ihn finden.“ Es war mir egal, ich hatte keine Angst. Plötzlich regte sich ein Gefühl in mir, Rache. Ich wusste nicht wieso, aber aus irgendeinem Grund wollte ich, dass diese Männer versagten, wollte sie in Rage bringen. Ich stand auf. Die Männer drehten sich überrascht zu mir um und hielten ihre Schwerter bereit. Ich stand im Schatten und so sahen sie nur meine Silhouette . Sie hielten mich für das Kind und rannten auf mich zu. Genau das hatte ich beabsichtigt! Ich rannte davon und sie folgten mir. Sie liefen einfach an dem Jungen, der da im Schatten kauerte, vorbei. Ich musste grinsen. Es war eine Genugtuung sie so herein zu legen. „Sie haben es verdient!“ Ich fühlte mich zum ersten Mal seit Wochen richtig lebendig. Ein seltsames Gefühl. Ich lief in den Park, die drei Männer hinter mir her. Plötzlich sauste, wie schon zu Beginn dieses seltsamen Schauspiels, etwas über meinem Kopf hinweg. Wie aus dem Nichts stand einer der Männer vor mir. Er muss über mich hinweg gesprungen sein! Fast wäre ich gegen ihn gerannt, konnte aber noch rechtzeitig stehen bleiben. Sie hatten mich umzingelt. Im Licht der Laterne konnten sie mich erkennen und starrten mich überrascht an. „Das ist nicht das Dämonenkind!“ Der Anführer war entsetzt. Ich grinste innerlich. „Tja, da seid ihr wohl reingefallen!“, schoss es mir durch den Kopf. Diese Gedanken verwirrten mich. Wieso fühlte ich auf einmal so viel? „Sprich, Mädchen! Wer bist du?“ Der Anführer hielt mir sein Schwert entgegen. Trotz des Laufens war ich nicht aus der Puste. Ich stand völlig ausdruckslos und gelassen vor ihm. Ich hatte seit dem Unfall nicht mehr gesprochen, warum sollte ich das nun tun? Der Mann schwang sein Schwert, ich rührte mich nicht und blinzelte nicht einmal. Das Schwert stoppte Millimeter vor meinem Hals. „Die ist ja völlig zurückgeblieben!“, rief einer der Männer aus. Der Anführer sah mir in die Augen. Ich hielt seinem strengen Blick völlig emotionslos stand. „Sie scheint wirklich irgendwie zurückgeblieben zu sein! Suchen wir das Dämonenkind!“ Der Jüngste der drei Männer sah mich an. „Shit, es ist bestimmt über alle Berge! Dieses dumme Mädchen!“ Er packte mich an den Armen. Es hätte bestimmt wehgetan, wenn ich etwas hätte fühlen können, aber so schaute ich ihn bloß gleichgültig in die Augen. Er wurde wütend, ich amüsierte mich köstlich. Diese überheblichen Mörder würden mich nie verletzen können, während ich sie völlig aus der Fassung brachte. Der Mann ließ mich los. „Wir müssen uns beeilen! Was machen wir mir ihr?“ Der Anführer ging an mir vorbei. „Wir lassen sie hier, ist doch klar! Die kann eh niemanden etwas erzählen. Los jetzt!“ Im nächsten Moment waren sie verschwunden. Ich blieb einen Moment stehen. Sollte ich nach Hause gehen? Meine Neugierde siegte, ich machte mich auf die Suche nach dem Kind. Ich ging zurück in die Gasse. Er war nicht mehr hinter der Tonne, wäre ja auch ziemlich dumm gewesen. Ich ging weiter und plötzlich regte sich neben mir etwas. Die Tonne bewegte sich. Sicher nur eine Katze. Ich schaute hinein und der kleine Dämonenjunge sprang mir fauchend entgegen. Er kauerte sich in die Ecke der Mauer und starrte mich völlig verängstigt an. Er wirkte wie ein Rehkitz. Ich ging einen Schritt auf ihn zu und er fauchte mich erneut an und versuchte noch weiter in die Ecke zu kriechen, natürlich erfolglos. Ich setzte mich auf den Boden und schaute ihn ruhig an. Er fauchte noch immer leise. Ich blieb sitzen und die Minuten vergingen. Der Junge beruhigte sich langsam und sah mich misstrauisch an. Aus Minuten wurden Stunden. Es war völlig still um uns herum und der Junge kämpfte mit der Müdigkeit. Ich war weder müde noch hungrig. Ich tat das, was ich am Besten konnte, nichts! Der kleine Dämon fror. Ich hätte ihn, wie alle Menschen, eigentlich hassen sollen, aber auf gewisse Weise waren wir uns ähnlich. Wir waren beide Waise und würden in dieser Gesellschaft nie akzeptiert werden, weil wir uns nie anpassen würden. Das Kind krabbelte auf mich zu, es zitterte. Seine Hand bewegte sich langsam und zitternd auf mich zu. Ich rührte mich nicht. Er berührte mich und schreckte dann zurück, als er merkte, dass ich lebendig war. Ich schaute ihn nur an. Er berührte mich erneut und schreckte diesmal nicht zurück. Er setzte sich neben mich, schaute mir ins Gesicht und ich wartete. Es vergingen Stunden und der kleine Junge neben mir schmiegte sich an mich. Er schlief ein. Der Tag brach an. Die grausame Sonne war im Begriff aufzugehen. Ich konnte mich kaum rühren, meine Arme und Beine waren eingeschlafen, aber es störte mich nicht. Als ich mich bewegte wachte der Junge auf. In Morgenschein wirkte seine Haut unnatürlich hell und seine roten Augen stachen wie Rubine aus seinem Gesicht hervor. Ich stand auf, der Junge tat es mir nach und als ich ging folgte er mir. Ich ignorierte ihn und machte mich auf den Rückweg nach Hause. Ich musste zurück ins Waisenhaus. Sie hatten wahrscheinlich schon die Polizei gerufen, aber was machte das schon. Hinter mir hörte ich das Tapsen nackter Kinderfüße, der Dämon folgte mir noch immer. Die ersten Menschen waren auf der Straße zu sehen. Ich ging die Gassen entlang und nahm Schleichwege, denn ich wollte nicht unnötig auffallen. Das altertümliche Gebäude des Waisenhauses drängte die Plattenbauhäuser rundherum in den Schatten. Der Zaun hatte hinter einem Gebüsch ein Loch, durch das ich mich zwängte. Hinter mir war der Dämonenjunge. Mein Fenster war, wie immer, nur angelehnt und mit schwarzen Vorhängen versehen. Ich kletterte durch das Fenster und das Dämonenkind versuchte mir zu folgen, kam aber nicht am Fenstersims hoch. Er blieb vor dem Fenster stehen und sah mich an. Die Sonne stieg immer höher und ich sah, dass der Dämon sie genauso wenig mochte, wie ich. Ich trug ihn in mein Zimmer, er war erstaunlich leicht. Er sah sich sofort um und untersuchte die wenigen Habseligkeiten im Raum. Ein alter Schrank, ein Stuhl an einem winzigen Tisch, eine schwarze Kommode mit einem alten Kerzenständer darauf und ein großes, zerschlissenes Himmelbett, mit schwarzem Bettbezug. Es hätte genauso gut einem Vampir gehören können und wirkte wenig einladend. Der Dämon schien sich wohl zu fühlen und kletterte auf das Bett. Vor der Tür hörte ich aufgeregte Stimmen flüstern. „Ich sag dir doch, ich habe etwas gehört!“ – „Das hast du dir eingebildet! Ich möchte nicht in dieses Zimmer... Es ist so unheimlich.“ Der Dämon und ich sahen uns an. Ich zeigte unter das Bett und er nickte. Wortlos kletterte er unter das Bett und ich ging auf die Tür zu um sie zu öffnen. Vor mir standen die zwei Betreuerinnen des Waisenhauses. Sie wichen erschrocken zurück und schnappten nach Luft. „Eve... W-Was machst du denn hier? Wir dachten, du wärst nicht da!“ Sie hatten angst vor mir, denn in ihren Augen war ich unberechenbar. Ich sah sie nur emotionslos an, wie immer. Sie schauten sich gegenseitig an und setzten wieder ihre freundlichen Masken auf. „Wir haben uns große Sorgen gemacht! Du kannst doch nicht einfach verschwinden... Hast du dich verletzt?“ Das machten sie immer. Sie behandelten mich wie ein zurückgebliebenes Kind. Es kümmerte mich kein Bisschen, denn sie sollten mich einfach nur in Ruhe lassen. „Soll ich dir etwas zu Essen bringen?“ Sie heuchelten ein freundliches Lächeln. Ich hatte keinen Hunger, hatte ich schon ewig nicht mehr gehabt, was man auch an meiner Statur deutlich sah. Aber... vielleicht hatte ja der kleine Dämon Hunger. Die beiden Betreuerinnen schauten mich fragend an. „Na, möchtest du etwas essen?“ Sie erwarteten keine Antwort, denn ich hatte nie auch nur annähernd gezeigt, dass ich sie verstand. Es war mir zwar zuwider, aber ich nickte. Der erwartete Schock blieb nicht aus. Sie starrten mich an. „W-Was? Du hast Hunger?“ Ich nickte erneut. Die beiden Frauen strahlten sich glücklich an. Sie dachten, es sei ihr Verdienst, dass ich reagierte und fingen an mir etliche Fragen zu stellen. Ich schaltete ab. Sie merkten, dass ich nicht gewillt war noch eine Reaktion zu zeigen und gingen. „Wir bringen dir sofort etwas zu Essen!“ Ich hatte Schwäche gezeigt und fühlte mich wie ein Verlierer. Als ich die Tür schloss, drehte ich mich um. Vielleicht war es die Sache doch wert gewesen, denn als ich in diesem Moment auf dieses kleine Wesen, das da unter meinem Bett hervorschaute, blickte, dachte ich, dass es richtig war. Ich setzte mich vor den Jungen, der mich jetzt neugierig betrachtete. Nach einigen Minuten klopfte es an der Tür und der Kopf des Dämons verschwand unterm Bett. Eine der Betreuerinnen kam mit einem Tablett herein. „Ich stelle dir dein Essen hier hin, ist das in Ordnung, Eve?“ Sie versuchte wohl, mich erneut zum Reagieren zu bringen, aber ich reagierte nicht. „Lass es dir schmecken, O.K.?“ Sie ging mit schnellen Schritten aus dem Zimmer, sie mochte es ja nicht. Als sich Tür hinter ihr schloss, tauchte der Kopf des Jungen wieder auf. Ich holte das Tablett und stellte es zwischen uns. Die Augen des Dämons blitzten, er hatte offensichtlich riesigen Hunger. Auf dem Tablett waren zum Glück übertrieben viele Speisen. Der Dämon sah mich fragend an und ich nickte ihm zu. Unsicher kam er aus seinem Versteck und setzte sich vor das Tablett. Ich reichte ihm ein Stück Brot. Er rührte sich nicht. Ich schaute ihn fragend an, er blickte unverwandt auf das Stück Brot. Hatte er Angst, dass es vergiftet war? Wahrscheinlich musste man als Dämon immer auf der Hut sein. Ich biss von dem Brot ab und reichte ihm den Rest. Der Junge zögerte aber nach ein paar Sekunden nahm er es und schlang es gierig hinunter. Mit allen anderen Speisen machten wir es genauso. Ich kostete vor und er aß den Rest. Es machte irgendwie Spaß. Schon lange war ich niemanden so nahe gewesen. Uns verband etwas unausgesprochenes und ohne Worte gingen wir aufeinander ein. Er reichte mir den Rest der Milch aus dem Glas. Ich nahm es, auch wenn ich keinen Durst hatte. Der kleine Dämon bückte sich zu mir hinüber und flüsterte mir leise ein Wort ins Ohr: „Vermilion.“ Er zeigte auf sich. Offenbar war das sein Name. Seine Stimme klang seltsam zischend. Er schaute voller Erwartung, in der Annahme, dass auch ich ihm meinen Namen verriet. Ich überlegte kurz. Vor ihm konnte ich Schwäche zeigen, denn er war ansonsten schwächer als ich. Auch ich beugte mich zu ihm hinüber und flüsterte: „Eve.“ Der Dämon lächelte und auch ich musste unwillkürlich lächeln. Dieser Moment schien der Beginn von etwas Großem zu sein. Mit nur einem Wort schlossen wir Freundschaft und schenkten uns gegenseitiges Vertrauen. Nur mit unseren Namen. Den restlichen Tag über taten wir nichts, als schweigen. Der kleine Dämon schien etwas abwesend zu sein und fing immer wieder zu weinen an. Er dachte anscheinend an seine Eltern. Ich umarmte ihn dann und er weinte sich hemmungslos aus. Die Sonne ging unter und der Abend brach an. Wir gingen zusammen ins Bett und schliefen, aneinander gekuschelt, ein. So etwas wie wärme hatte ich schon ewig nicht mehr gespürt, aber es fühlte sich gut an. Ich wachte auf. Draußen war es dunkel und der Wind rüttelte an dem angelehnten Fenster. Die schwarze Gardine wehte wild ins Zimmer. Vermilion schlief noch immer. Er sah aus, wie ein normales Kind, wenn unter dem schwarzen Haarbüschel nicht die spitzen Ohren hinausgeschaut hätten. Ich stand auf und ging zum Fenster. Ich wollte das Fenster schließen, hielt jedoch inne, denn ein Schatten im Garten erregte meine Aufmerksamkeit. Der Schatten bewegte sich auf den Lichtschein zu, den die Straßenlaterne in den Garten warf, und ich erkannte den Jüngsten der drei Cage – Männer. Er schien etwas zu suchen und mir wurde schlagartig bewusst, dass er noch immer nach meinem neuen Freund suchte. Ich drehte mich zu Vermilion um und sah in sein friedliches und sorgloses Gesicht. Er durfte ihn nicht finden! Doch es war zu spät! Er hatte mich entdeckt und lief auf mich zu. Mein Herz schlug schneller, eine seltene Reaktion. Ich setzte meine emotionslose Maske auf und rührte mich nicht vom Fleck. Der Cage-Mann kam immer näher. Er stand jetzt so dicht bei mir, dass ich seinen Atem hören konnte. „Du... ?“ Er kniff die Augen zusammen, um mich zu erkennen. „Du bist doch das Mädchen von gestern Nacht!“ Er sprach leise. Der Wind blies immer stärker. Sein Gesicht näherte sich meinem immer mehr. Er roch an mir. „Bist du ein Dämon?“ Ich schrak weder zurück, noch antwortete ich. Der Mann richtete sich auf. „Ach scheiße, ich verschwende meine Zeit mit dir! Du riechst nach Dämon, wahrscheinlich, weil du dabei warst, als wir diese Bestien erledigt haben.“ Ich reagierte nicht, aber innerlich ballte ich meine Fäuste. Diese Kerle hatten Vermilions Eltern umgebracht! Der Mann seufzte und strich sich durch die Haare. „Kannst du mir sagen, wo sich diese kleine Ratte versteckt?“ Ich reagierte nicht. Wenn er gewusst hätte, wer dort in meinem Bett schlief! Hinter dem Mann tauchten seine beiden Gefährten wie aus dem nichts auf. Der Anführer sah mich kalt an. Sein Blick war kälter als Eis und härter als Stahl, aber ich hielt ihm stand. „Was machst du hier, Kohir? Wir müssen diesen Dämon finden!“ – „Ich bin seinem Geruch gefolgt, Meister.“ Der alte Mann sah ihn an. „Und?“ Kohir räusperte sich, er schien sich unwohl zu fühlen. „Na ja, anscheinend hat sie diesen Geruch abgesondert, weil sie dabei war.“ Er zeigte auf mich. „Das ist ein seltsames Mädchen, Meister!“ Der dritte Mann mischte sich ein. „Sie scheint nichts zu fühlen! Sieh doch mal diese gleichgültigen, leeren Augen. Die macht sogar mir angst!“ – „Red keinen Unsinn, Sheter! Das ist nur ein dummes, hirnloses Menschenmädchen! Wir gehen!“ Er warf mir einen wütenden Blick zu. Von einem zum anderen Moment waren sie verschwunden. Ich drehte mich um und seufzte erleichtert. Sie hatten ihn nicht entdeckt! Ich schlich wieder ins Bett und kuschelte mich an Vermilions kleinen Körper. Wie viel Zeit würde noch vergehen, bis die Männer begriffen? Wie lange würden sie uns noch in ruhe lassen? Vermilion wachte auf und sah mich mit seinen großen roten Augen fragend an. Ich lächelte ihn an und wir schliefen wieder ein. Sicher würden sie nicht wieder kommen. Kapitel 2: Keimende Hoffnung ---------------------------- Keimende Hoffnung Der Morgen war plötzlich völlig anders, als sonst. Als ich aufwacht, zog ich mir eines meiner schwarzen Kleider an und Vermilion kämmte mir die Haare. Er schloss seine Augen und in seinen Händen tauchte in einem roten Licht eine rote Haarschleife auf. Auf ihr waren, fast nicht sichtbar, seltsame Symbole aufgestickt. Er band mir sein Geschenk in die Haare und lächelte mich an. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so glücklich gefühlt. Ich strich über Vermilions Kopf und bedeute ihn, im Zimmer zu bleiben. Ich ging aus dem Zimmer und schlich den Flur entlang. Die meisten Kinder schliefen noch, während die Betreuer das Essen vorbereiteten. Ich ging wortlos in die Küche, etwas, dass ich noch nie getan hatte. Die Betreuerinnen hielten inne und starrten mich verblüfft an. „G-Guten morgen, Eve!“ Sie konnten es kaum fassen. Ich reichte ihnen das leere Tablett, dass sie mir am Morgen zuvor gegeben hatten. Sie schauten sich fragend an. „Möchtest du etwas zu Essen?“ Ich nickte und sie freuten sich. Erneut packten sie mir übertrieben viel Essen auf das Tablett. Ich nahm das mit Essen beladene Tablett und ging in mein Zimmer zurück. Vermilion war nicht zu sehen. „Vermilion?“ Ich flüsterte, denn meine Stimme war es nicht mehr gewohnt etwas zu sagen. Vermilions Kopf schoss unter dem Bett hervor. Wie schon am Tag zuvor, stellte ich das Tablett zwischen uns und ich kostete vor, während Vermilion den Rest aß. Diesmal nahm ich mir allerdings etwas mehr. Es machte Spaß, mit ihm zusammen zu essen. Als wir fertig waren, ging die Sonne ganz auf und ich musste zur Schule. Doch wie sollte ich das Vermilion klar machen? Selbst wenn ich es ihm gesagt hätte, dann hätte er es nicht verstanden. Er sah mich fragend an. Wie sollte ich ihm begreiflich machen, dass ich für mehrere Stunden weg musste? „Ich muss jetzt für mehrere Stunden weg, mein Kleiner.“ Noch immer flüsterte ich. So viele Worte hatte ich schon eine Ewigkeit nicht mehr gesprochen. Es war wahrscheinlich sinnlos, denn ich sprach kein Dämonisch. „Wohin gehzzt du, Eve?“ Vermilion flüsterte mir diese Worte ins Ohr. Ich war überrascht. Er verstand mich! „In die Schule!“ Ich umarmte ihn. „Ich warte hier auf dich!“ Seine Kinderstimme klang zischend, aber in meinen Ohren war es wie Musik. Sie klang unglaublich niedlich. Wir schauten uns an und wieder war dieses wortlose Einverständnis zwischen uns. Ich nahm meine Schultasche aus der Ecke des Zimmers und sah meinen kleinen Freund noch einmal an. „Nimm dir ruhig ein Kissen mit unter das Bett.“ Er nickte. Wir umarmten uns zum Abschied und ich schloss die Tür hinter mir ab. Der Schultag war wie immer und doch wirkte die Sonne nicht mehr ganz so schrecklich. Meine Mitschüler übersahen mich gekonnt, wie immer. Die Lehrer übergingen mich und doch schienen mir ihre Worte mehr zu bedeuten. Es ging in Geschichte um den Krieg zwischen Menschen und Dämonen und ich ertappte mich dabei, wie ich mir Notizen dazu machte. Auch mein Geschichtslehrer bemerkte es, sagte aber nichts. Als die Stunde vorbei war liefen meine Mitschüler hinaus in die Pause. Wie immer blieb ich sitzen. Das Klassenzimmer war leer, bis auf mich und meinem Geschichtslehrer, Mister Sherman, ein älterer Mann, knapp vor der Pension. „Hat sich bei dir irgendetwas geändert, Eve, oder magst du einfach nur meinen Unterricht?“ Seine Stimme war freundlich und kein bisschen heuchlerisch, so wie das bei den meisten anderen Erwachsenen war. Ich reagierte nicht und er seufzte. „Ich weiß, dass du einen schweren Schicksalsschlag hinter dir hast, aber wie lange willst du dich noch dieser Welt verschließen?“ Obwohl er unangenehme Sachen sagte, fand ich ihn nicht unsympathisch. Er dachte nicht, dass er besser wäre als ich, das hörte ich in seiner Stimme und das sah ich in seinen Augen. Er sah mich an und ich schaute zurück. Wie alt er war. „So lange, wie es nötig ist.“ Meine Stimme klang brüchig und leise. Das Resultat monatelangen Schweigens. Er sah mir stumm in die Augen. „Und wie lange wird das noch sein?“ Ich erwiderte seinen Blick und schwieg einen Moment lang. „Bis der Schmerz nicht mehr da ist.“ Ich kam mir irgendwie wieder schwach vor. Warum hatte ich das zugegeben? „Es wird immer wehtun, dagegen kannst du nichts tun, doch das Leben geht weiter. Meine Tochter starb, als sie ungefähr in deinem alter war. Das Schicksal ist oftmals grausam, doch wir können nichts dagegen tun. Ich habe gelernt, es zu akzeptieren, das solltest du auch tun.“ Seine Stimme klang traurig, doch was er sagte, kam für mich nicht in Frage! Das Schicksal einfach so zu akzeptieren, das konnte ich nicht, denn es tat zu sehr weh. Ich betäubte meine Seele erneut und schaute Mister Sherman emotionslos an. „Verstehe, du bist wohl noch nicht bereit dazu. Lass dir eins gesagt sein, kleine Eve, es gibt einen Grund warum wir Leben. Auch du wirst eines Tages einen Sinn in deinem Leben finden... zumindest wünsche ich dir das vom ganzen Herzen!“ Der Sinn meines Lebens? Auch ich hoffte, dass ich ihn eines Tages finde würde, denn ansonsten hätte ich doch einfach sterben können. Mister Sherman packte seine Sachen zusammen und stand auf. Er schaute mich kurz an und ging dann zur Tür. „Danke!“ Das Wort rutschte über meine Lippen, ohne dass ich nachdachte. Mister Sherman lächelte mir zu und verließ den Raum. Irgendwie fühlte ich mich einsam und mir wurde klar, dass ich Vermilion vermisste. Ich stand auf und ging. Ich schwänzte die letzten beiden Stunden und ging nach Hause. Ich fing an zu rennen und nahm die Menschen um mich herum nur noch schemenhaft wahr. Der Weg schien so unendlich weit. Endlich sah ich das Waisenhaus und ich ging langsamer. Ich schritt durch die Tür und ging dann den leeren Flur entlang, endlich war ich wieder vor meiner Zimmertür, drehte den Schlüssel im Schloss und atmete tief ein. Vor mir stand der Anführer der Cage – Männer. Er sah mich mit funkelnden Augen an. „Wo ist er?“ Ich reagierte nicht und mein Herz schlug schneller. Wieso hatte er ihn nicht entdeckt? Er war doch unter dem Bett, das einzige Versteck, dass es in diesem Zimmer gab. Hatte er noch keine Zeit gehabt zu suchen? Ich betrat den Raum und schloss die Tür hinter mir. Ohne irgendwelche Anzeichen, dass ich ihn bemerkt hätte, stellte ich meine Schultasche in die Ecke und setzte mich auf mein Bett. Er wurde immer wütender, packte mich am Kragen und zerrte mein Gesicht nahe an seines. Ich reagierte noch immer nicht, was ihn noch wütender machte. „Ich könnte dich auf der Stelle töten! Sprich endlich, du kleine Mistkröte!“ Ich reagierte nicht. Er schleuderte mich gegen die Tür und ich blieb am Boden liegen. Von dort sah ich in Vermilions Gesicht. Er war kreidebleich und zitterte. Ich machte ihn kaum merkbar klar, dass ich in Ordnung war und er beruhigte sich ein wenig. Der Mann schritt im Zimmer auf und ab und glaubte anscheinend, dass er übertrieben hatte und ich Ohnmächtig war. Er fluchte leise. „Ach verdammt, wir müssen ihn endlich finden! Diese kleine Rotzgöre macht nichts als ärger!“ Er ging auf mich zu um sich zu vergewissern, dass ich noch lebte. Ich hatte angst, dass er Vermilion entdeckte und stand schnell auf. Von meiner Schulter tropfte Blut. Der Mann schaute mich überrascht an, ich blieb weiterhin emotionslos. „Fühlst du überhaupt etwas?“ Wie oft hatte ich diese Frage schon gehört? Er packte mich erneut am Kragen und bebte vor Wut. Ich ließ mich nicht aus der Fassung bringen. Er ließ mich los und ich fiel zu Boden, stand aber aus Angst um Vermilion gleich wieder auf. „Was ist mit dir los, kleine Ratte. Ist dir dein Leben denn gar nichts Wert?“ Keine Antwort. Er drehte sich zum Fenster. Im Garten spielten die Kinder des Waisenhauses und quiekten vor Freude. Es war ein normaler Sommertag und ich stand vor einem Mitglied der Cage – Familie, der mir mit dem Tode drohte. Der Mann vor mir sah mich noch einmal mit seinen eisblauen Augen an und löste sich dann in Rauch auf. Hinter mir wurde die Tür aufgerissen. Eine der Betreuerinnen kam schnaufend herein. „Was ist passiert? Ich habe Krach gehört und eines der Kinder hat mir erzählt, dass hier ein fremder Mann zu hören war!“ Sie sah mich noch immer keuchend an und bemerkte meine blutende Schulter. „Um Himmels Willen! Was ist hier nur geschehen?“ Sie ging auf mich zu und hockte sich vor mir auf den Boden, um meine Schulter zu betrachten. Nur eine Schürfwunde. Ich spürte es gar nicht, ich merkte nur, wie etwas Warmes meinen Arm entlang floss. Meine Gedanken waren bei Vermilion, der dort unter dem Bett kauerte. Noch immer begriff ich nicht, wieso der Cage ihn nicht gefunden hatte. „Das muss verbunden werden! Komm.“ Sie nahm meine Hand und wollte mich aus dem Raum führen. Ich blieb stehen. Sie sah mich fragend an. „Was ist? Ich muss deine Schulter verbinden, nun komm schon!“ Ich rührte mich nicht vom Fleck, denn ich wollte unbedingt Vermilion trösten. Die Betreuerin seufzte. „Na schön, ich hole den Erste-Hilfe-Kasten. In Ordnung?“ Ich wollte einfach nur, dass sie ging und nickte. Sie seufzte entzückt. „Oh, du reagierst immer mehr, wie schön!“ Ich hasste es, wenn sie sich freute. Es kam mir vor, als ob sie über mich siegte. Sie verließ den Raum und ich stand ein paar Sekunden alleine in dem ruhigen Raum. Vermilion kam schluchzend aus seinem Versteck und umarmte mich. Ich sank auf die Knie und erwiderte die Umarmung. Die Umarmung löste alle Zweifel und Ängste und wir beruhigten uns gegenseitig. Alles war jetzt wieder Ok. „Hazzt du dir verletzzt, Eve?“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Es ist alles gut!“ Ich hörte Schritte im Flur und schickte Vermilion unter das Bett. Die beiden Betreuer kamen herein. Sie verbanden mich wild schnatternd und fragten mich aus. Ich antwortete nicht. „Ob hier wirklich ein Mann war?“ – „Wie hätte der abhauen sollen? Ich war mit den Kindern im Garten und du warst hier im Haus... Es sei denn er versteckt sich immer noch hier.“ Es war völlig ruhig im Zimmer. Die beiden Frauen schienen nicht zu wissen, was sie von dieser Vermutung halten sollten und sahen mich an. „War hier ein Mann, Eve?“ Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Wenn sie den Raum durchsuchen würden, würden sie meinen kleinen Freund entdecken, aber erneut Schwäche zeigen? Und wie sollte ich die Verletzung erklären? Langsam schüttelte ich meinen Kopf. Sie sahen sich fragend an. „Und wie hast du dich verletzt?“ Was sollte ich tun? Ich reagierte nicht. Die zwei Frauen waren ratlos. Nach einigen Minuten verließen sie, noch immer wild spekulierend, mein Zimmer. Was für eine Ruhe. Ein Rascheln unter mir und Vermilion sprang munter unter dem Bett hervor. Ich sah ihn mir das erste Mal genauer an. Er war ziemlich dünn und an einigen Stellen traten deutlich seine Knochen hervor. Er musste lange mit seinen Eltern geflohen sein. An seinen nackten Füßen waren Schürfwunden. Er trug einen grauschwarzen Stofffetzen der ihn bis zu den Knien reichte und eine zerfetzte kurze Hose. Sein schwarzes Wuschelhaar wirkte unwirklich, genau wie seine weiße Haut und seine rubinroten Augen. Ich fand ihn wunderschön, was man bei einem Kleinkind eigentlich sonst nicht sagen konnte. Er schaute mich an und warf sich dann blitzschnell in meine Arme. „Eve!“ – „Vermilion.“ Wir saßen zusammen auf meinem Bett. Ich hatte so viele Fragen und fing mit der wichtigsten an. „Wieso hat er dich nicht gefunden, mein Kleiner?“ Er entblößte seine Zähne. Sein Grinsen wirkte fast schelmisch. „Du hazzt mir beschützt!“ Sein Akzent klang süß aber ich war verwirrt. „Wie?“ Er zeigte auf meine Haare. Ich war noch immer verwirrt, dann, ein Geistesblitz. „Das Haarband?“ – „Genau.“ Er setzte sich in meinen Schoß und lehnte sich zufrieden zurück. „Meine Mutter hat gezeigt, wie geht. Es zzeien einfacher, starker Zauber. Solange du da, er mir nicht findet!“ Er sprach sehr schnell und seine Worte überschlugen sich. Er hatte einen undefinierbaren Akzent. Einen Dämonischen, nahm ich mal an. Sein Lachen klang gurgelnd. „Er mir riechen, aber nicht zzehen.“ Es sah zu mir hoch. „Du gekommen zzehr früh. Warum du zzo früh kommen?“ Ich lächelte. „Ich habe dich vermisst!“ Sein Blick wirkte verwundert. „Du mir vermizzt?“ Er schaute verlegen auf die Bettdecke. „Ich dir auch vermizzt!“ Wir saßen einfach nur da und hörten in die Stille hinein. Die Kinder draußen wurden zum Abendessen hereingerufen. Die Sonne machte sich auf den Weg nach unten. „Wir unz nicht kennen, warum wir mögen?“ Eine gute Frage. „Wir sind gleich.“ – „Wir nicht gleich! Ich zzeien Dämon und du zzeien Mensch!“ Er schaute mir empört ins Gesicht. Ich musste lachen, aber nur ganz leise. „Das mag sein, aber hier drinnen sind wir gleich.“ Meine Hand ruhte auf seiner Brust. Er schien es nicht zu verstehen. „Wir gleich fühlen?“ Er hatte doch begriffen und ich nickte. „Wir fühlen das Gleiche.“ Wir redeten. Stundenlang, über ihn und auch über mich. Dämonen waren uns Menschen in so vielen ähnlich, doch es gab auch wesentliche Unterschiede. Ihr Leben war geprägt von Verfolgung und in dieser stolzen Rasse von Kriegern erkämpfte sich ein jeder seinen Platz in der Gruppe, auch die Frauen. Sie liebten gleich, oder auch mehr, als wir Menschen. Ich war beeindruckt von dieser Kultur. Vermilion ging es nicht anders. Er stellte mir Fragen über alles Mögliche, was in meinen Augen eigentlich völlig belanglos erschien. Es tat gut, sich selbst sprechen zu hören. Die Sonne war untergegangen und wir schwiegen wieder. Ein seltsamer Geruch stieg mir in die Nase. Ich roch an meinem kleinen Freund. „Du stinkst.“ Ich sagte das völlig sachlich. „Und du zzeien dreckig.“ Er sprach genauso gleichgültig, wie ich. „Wir brauchen ein Bad.“ Er antwortete nicht. Wortlos stand ich auf und ging ins Bad. Ich wusste weder, wo ich Handtücher, noch, wie ich Kleidung zum Wechseln fand. An meinem schwarzen Kleid klebte Blut. Ich ließ Wasser ein und sah mich um. Nichts. Das Bad war groß, aber es befanden sich keine Handtücher oder Kleidung darin. Offenbar, damit keines von den kleinen Kindern etwas anstellen konnte. Ich hatte keine Wahl, ich müsste die Betreuerinnen fragen. Ich ging die Flure des Hauses entlang. Ich begegnete zuerst der älteren der Beiden, Alice. Sie legte im Wäscheraum Laken zusammen. „E - Eve, was ist los? Ist etwas passiert?“ Ich schüttelte den Kopf. Es war mir höchst unangenehm, aber ich rang mich dazu durch. „Ich möchte baden.“ Es war ein ganz normaler Satz, doch Alice ließ das Laken fallen und umarmte mich. „Da bist du ja wieder. Du hast eine wunderbare Stimme!“ Es klang ehrlich und ich fühlte mich ein wenig geschmeichelt. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Du kannst natürlich baden. Hier sind Handtücher.“ Sie reichte mir ein ganzes Bündel. „Und hier ist auch saubere Kleidung.“ Sie sah mich zuversichtlich an. „Ist das hier in Ordnung?“ Ein schwarzer Rock und ein kurzes, rotes Shirt. Es war mir egal, solange ich mit Vermilion ungestört baden konnte. Ich nickte. Sie begleitete mich mit ins Bad und schüttete dort noch Schaumbad ins nun fertige Wasser. „Ich lege dir die Handtücher hier hin, Ok?“ Sie wirkte überglücklich. Es schien, als wollte sie warten, bis ich fertig war. „Ich möchte alleine baden.“ Es überraschte sie sichtlich, dass ich noch mehr Sätze von mir gab. „Natürlich, wenn du das möchtest. Ich warte solange im Büro. Sag bitte Bescheid, wenn du fertig bist.“ Sie ging endlich. Sofort eilte ich in mein Zimmer, Vermilion wartete schon ungeduldig. „Wir nehmen jetzt ein Bad!“ Er schaute mich unglaubwürdig an. „Wir?“ Ich lachte. „Na, was dachtest du denn? Stell dich nicht so an, wie alt bist du, 6?“ – „5.“ Er schien angestrengt nach zu denken. „Zu Hause, wir immer getrennt baden. Ich und Papa, Oma und Mama.“ – „Jetzt wirst du halt mit mir baden, ist doch nichts dabei. Ich werde dir schon nichts weggucken. Jetzt komm.“ Ich reichte ihm meine Hand. Er nahm sie nach kurzer Überlegung an. Das Bad tat gut. Vermilion zierte sich und nun sah ich auch, warum. Sein Körper war übersät von kleinen, dünnen Narben. Es sah so aus, als sei er vor nicht allzu langer Zeit ausgepeitscht worden. Ich fragte ihn nicht danach, sondern schrubbte ihm den Rücken. Er schien sich zu entspannen, denn er spielte ausgelassen mit einer Gummiente. Erneut fiel mir auf, wie sehr er doch einem normalen Kind ähnlich sah. Wie grausam das Schicksal doch sein konnte. Warum konnte er nicht als normaler Mensch geboren werden? Vermilion schaute vergnügt zu mir auf. „Ich deine Rücken schrubben!“ Wir badeten mehrere Stunden, bis unsere Hände schon verschrumpelt waren. Vermilion kam nur ungern aus der Wanne, obwohl er schon zitterte. Ich brachte ihn, in Handtüchern eingewickelt, in mein Zimmer zurück. „Warte! Ich die Schleife machen!“ Stimmt, sein Schutz! Ich beugte mich zu ihm und er band mir die Haarschleife ins nasse Haar. Ich zog mich im Bad an und machte mich auf den Weg ins Büro. Hinter der Tür hörte ich Stimmen. „.... Glaub mir, sie hat wirklich mehrere Sätze gesprochen, Meg. Ich glaube langsam, unserer Geduld macht sich bezahlt.“ – „Komm schon, sie hat vielleicht mal reagiert, aber bis sie spricht, dauert das sicher noch ne ganze Weile!“ Ich hatte bis zu diesem Moment beschlossen, nicht noch einmal zu sprechen und mich wie schon zuvor zu benehmen, doch irgendwie regte sich in mir mein Stolz. Ich wollte, dass sich Megan, die jüngere und unsympathischere von beiden, irrt und ärgert. Schon wieder dieser Trotz. Ich klopfte an. „Herein?“ Die beiden Frauen schauten mich verblüfft an. Es war ungewohnt mal wieder etwas anderes, als schwarz zu tragen. Alice lächelte mir zu. „Bist du fertig?“ Ich nickte. Megan grinste. „Es war sehr angenehm, vielen Dank.“ Ihr Gesicht verzog sich zu einem ungläubigen Glotzen. Nun war Alice mit dem Grinsen dran. „Kein Problem, Eve. Wenn du einen Wunsch hast, komm ruhig zu mir.“ Megan konnte es immer noch nicht fassen. „D-Du... Ich, äh, ich meine...“ Ich machte einen Knicks. „Ich wünsche eine angenehme und gute Nacht.“ Meine Eltern hatten immer gewollt, dass ich höflich war, doch das war nur, um Megan noch mehr zu schocken. Alice schien es durchschaut zu haben und machte ebenfalls einen Knicks. „Gute Nacht und schöne Träume.“ Sie lachte, ich grinste und ging. Manchmal gab es doch schöne Tage. Kapitel 3: Neue Gefahr?! ------------------------ Neue Gefahr?! Es vergingen Wochen und ich sprach immer mehr. Ich hielt mich in der Schule zurück, aber mit Vermilion lachte ich mehr, denn je. Unsere Tage verliefen immer nach dem selben Schema, ich ging zur Schule und Vermilion wartete unauffällig. Ich kam zurück und wir hatten bis zum Abend eine schöne Zeit. Die Wunden der Vergangenheit waren fast verheilt. Nur noch selten schreckte Vermilion schweißgebadet aus dem Schlaf auf. Nur noch selten dachte ich an den verheißungsvollen Tag, der mein Leben zerstörte. Langsam keimte ein neues Gefühl in mir: Hoffnung. Doch dieses Gefühl währte nicht lange, das tat es nie. Es war ein verregneter Sonntag. Etwas seltsames lag in der Luft. Das ganze Haus war freudig angespannt, denn es kamen Interessenten, „Potentielle Eltern“ wie sie gerne genannt wurden. Mir war es egal. Sonntags konnte ich die meiste Zeit mit Vermilion verbringen und das war alles, was mich interessierte. Ich hatte bei Alice Spielzeug besorgt, mit dem ich mit Vermilion spielte. Wie kindisch er doch manchmal sein konnte. Und trotzdem machte es mir großen Spaß. Es klopfte an der Tür und Vermilion huschte blitzschnell unter das Bett. Ich schob das Spielzeug hinterher (er sollte sich ja nicht langweilen) und schloss meine Zimmertür auf. Zur Sicherheit hatte ich sie die letzten Wochen immer abgeschlossen. Es war Alice. „Guten Morgen, Eve. Du hast sicher mitbekommen, dass heute potentielle Eltern kommen, daher bitte ich dich mit zu uns in den Gemeinschaftsraum zu kommen.“ Sie war sehr direkt, das mochte ich. „Ich komme nicht. Ich hatte Eltern.“ Ich war noch immer wortkarg, aber es störte sie nicht. „Vielleicht magst du sie ja. Außerdem habe ich gehört, dass sie sehr reich sind. Sie können einem von euch eine wunderbare Zukunft garantieren. Klingt das nicht toll?“ Sie lächelte hoffnungsvoll. „Nein.“ „Einen“ von euch bedeutete, dass ich Vermilion verlassen müsste und das stand außer Frage. Ich wollte keine neuen Eltern, denn meine waren die Besten. Alice wusste, dass ich so dachte und gab auf. So oder so war ich ein schwer zu vermittelnder Fall. Psychisch labil, depressiv, Unterernährt, nicht gerade umgänglich und schon 12, kurz, hoffnungslos. Alice strich mir über den Kopf. „Sie werden dich vielleicht sehen wollen, daher mach dich bereit, dass du Besuch bekommst, bis dann, mein kleiner Schatz.“ Wir beide wussten, dass dies unwahrscheinlich war. Ich schloss die Tür hinter ihr und wand mich wieder angenehmeren Dingen zu, Vermilion zum Beispiel. Es war Nachmittag, als vom Garten aufgeregtes Gemurmel ertönte Ich ging zum Fenster und sah, wie eine lange, schwarze Limousine vorfuhr. Die anderen Kinder standen in ihrer besten Kleidung in einer Reihe vor dem Tor und verbeugten sich vor dem Ehepaar. Sie kamen mir unangenehm bekannt vor. Der Mann erinnerte mich an die drei Cage – Männer, die selben Augen. Die Frau wirkte majestätisch und stolz, obwohl sie noch ganz jung war. Bei ihrem Anblick bekam ich eine Gänsehaut. Ich schloss die Vorhänge wieder und berichtete meinem kleinen Freund das eben gesehene. Auch er war beunruhigt. „Zzie zzuchen mir vielleicht immer noch!“ – „Ganz bestimmt, aber hier weiß doch niemand etwas von dir. Und adoptieren können sie dich ja sowieso nicht.“ – „Aber dir! Sie können dir holen und mir in die Falle locken!“ Er sprach immer besser, trotz der grammatischen Fehler. Was er sagte, beunruhigt mich. „Würden die wirklich auf solche Mittel zurückgreifen? Außerdem wissen die doch gar nicht, dass du hier mit mir bist.“ Er sah mich ernst an. In solchen Momenten wirkte er sogar älter als ich. „Aber zzie ahnen es. Vielleicht zzie zzo verzweifelt, dass zzie alle Möglichkeiten durchgehen...“ Auch er war unsicher. Wir beiden wussten nur eins, wir mussten auf der Hut sein! Die Minuten erschienen uns wie Stunden. Nervös saßen wir auf dem Bett, jederzeit bereit. Vermilion stand auf und kroch unter das Bett. „Ich hier bleiben, bizz die Menschen weg!“ – „In Ordnung.“ Auch ich fühlte mich ein wenig besser. Im Flur hörte ich Stimmen. „... Aber ich sage ihnen doch, das Mädchen ist gestört. Sie ist noch in ärztlicher Behandlung und eine Adoption kommt zur Zeit nicht in Frage!“ Ich wusste zu Schätzen, dass Alice sich so für mich einsetzte, auch ihr schien der Ernst der Lage bewusst zu sein. Mein Herz schlug wie ein Presslufthammer. Es klopfte an der Tür. Ich rührte mich nicht. „Eve, Schätzchen? Ich bin’s, Alice. Mach bitte die Tür auf, hier wollen ein paar Leute mit dir sprechen.“ Sie klang nervös. Unter mir hielt Vermilion die Luft an. Ich rührte mich noch immer nicht. „Es tut mir leid, aber offensichtlich will sie nicht rauskommen. Ich bitte vielmals um Entschuldigung! Wenn Sie mir dann bitte folgen möchten?“ Die Stimmen hinter der Tür waren deutlich hörbar. „Was ist, wenn ihr etwas passiert ist und sie nicht aufschließen kann? Ich sollte die Tür lieber aufbrechen... “ Der Mann klang freundlich, aber von seiner Stimme bekam ich eine Gänsehaut. Ich wusste, was er mir damit sagen wollte. Er kam hier rein, ob mit oder gegen meinen Willen. Ich gab nach, stand auf und schloss die Tür auf. Ich öffnete die Tür ein kleines Stück und schaute zu den Menschen davor hinauf. Ich versuchte so hohl und emotionslos, wie möglich drein zu schauen. Vor ein paar Tagen hätte ich gar nicht anders gekonnt. Nun fiel es mir ein wenig schwerer, aber noch gelang es. Der Mann starrte mich mit seinen eisblauen Augen prüfend an. Die Frau sah mich beinahe mitleidig an. „Schön, dass du die Tür doch noch geöffnet hast, Eve. Na, möchtest du mit diesen netten Menschen hier sprechen?“ Alice sprach glücklicherweise mit mir, als sei ich gestört und half mir dadurch die Maske aufrecht zu erhalten. Ich starrte die Menschen nur an. Die Frau murmelte ihrem Mann etwas zu, dass so klang wie, „... völlig sinnlos.“, doch der Mann winkte ab. Er beugte sich zu mir hinunter. Ich rührte mich nicht. „Hast du etwas dagegen, wenn wir uns in deinem Zimmer etwas mit dir unterhalten?“ Ich bewegte mich nicht vom Fleck. „Ihr kommt bestimmt nicht in mein Zimmer!“, schoss es mir durch den Kopf. An dem Lächeln in seinem Gesicht sah ich, dass er nicht locker lassen würde, bis er hatte, was er wollte. Die Frau mischte sich ein. „Deine Betreuerin kann ruhig mitkommen, wenn du dich dann besser fühlst. Wir wollen nur ein wenig reden.“ Sie lächelte freundlich und unter anderen Umständen hätte ich ihr vertraut, doch nun rührte ich mich nicht. Der Mann schob die Tür sanft aber kräftig auf und ich gab nach. Solange ich die Schleife im Haar hatte, konnten sie ihn nicht finden und ich setzte mich auf mein Bett. Das Paar sah sich interessiert im Zimmer um. Ihre Blicke blieben an mir haften. Alice sah von dem Paar zu mir. „Ähm, ich hohle ein paar Stühle, wenn ihnen das recht ist.“ Sie verbeugte sich und verließ den Raum. Nun waren wir alleine, genau das, was sie wollten. „Wo ist der Dämon?“ Der Mann fackelte nicht lange. Er sah mich eindringlich an aber mein Blick blieb weiterhin unberührt. Die Frau hockte sich vor mich und nahm meine Hände in die ihrigen. „Hör zu, meine Kleine. Es ist ganz wichtig, dass du es uns sagst, wenn du weißt wo dieser Dämon ist. Wir sorgen uns um dich. Dämonen sind gemeine Menschenmörder! Sag, ist hier ein Dämon?“ Ich blieb standhaft, so lieblich ihre Stimme auch klang. Dem Mann riss der Geduldsfaden. Er packte mich an den Schultern. „Sag uns endlich, wo sich dieses kleine Ungeziefer aufhält, oder wir töten dich!“ Ich nahm seine Drohung nicht ernst. Hier würde er mich garantiert nicht umbringen. Aber ob Vermilion das auch wusste? „Lass das Mädchen in Ruhe, Onkel! Du weißt, was Vater gesagt hat, wir nehmen das Mädchen mit und der Rest erledigt sich von selbst.“ Das Schlimmste, was wir uns ausgerechnet hatten, war geschehen. Sie wollten mich als Köder benutzen. Alice betrat mit zwei Stühlen den Raum. Der Mann tat so, als ob er mich tätscheln würde. „Was für ein süßes Mädchen!“, heuchelte er. Nettigkeiten wurden ausgetauscht und schnell kamen sie zum Hauptthema. „Wir möchten die Kleine unbedingt adoptieren! Wir werden die ärztliche Versorgung übernehmen und wenn Sie uns ein klein wenig entgegen kommen, soll das nicht zu Ihrem Nachteil sein. Unsere Familie wird Ihnen eine beträchtliche Summe überweisen. Dem Mädchen wird es gut gehen, sie hat eine wunderbare und glückliche Zukunft vor sich.“ Die Worte der jungen Frau klangen so aufrichtig, dass selbst ich ihnen fast Glauben schenkte. Zum Glück dachte ich die ganze Zeit nur an meinen kleinen Freund, er half mir, mein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Meine Maske blieb, doch Alice konnte nicht widerstehen. Die Worte klangen zu gut in ihren Ohren. Die Zukunft des Waisenhauses und meine Zukunft wären mit einem Schlag gesichert. Ich nahm es ihr nicht übel. „Es klingt einfach fantastisch und ich wünsche mir nichts sehnlicher für Eve, aber es ist allein ihre Entscheidung. Es tut mir Leid.“ – „Sie haben uns erzählt, dass die Kleine uns wahrnimmt und versteht, oder? Nun, wenn sie nicht mit uns kommen will, muss sie es nur sagen.“ Erwischt! Entweder ich gab zu, dass ich nur dumm spielte und verriet mich oder ich ginge mit ihnen mit. Ich steckte in der Zwickmühle. Alice lächelte mir zuversichtlich zu. „Das klingt fair. Was meinst du, Eve? Möchtest du mit diesen beiden netten Menschen mitgehen? Es wäre auch erst einmal zur Probezeit. Nach einer Woche kommst du wieder hierher zurück und kannst dich eindeutig entscheiden.“ – „Probezeit?“ Die beiden schienen verwirrt zu sein. Die Probezeit hatte mich gerettet. Auch Vermilion hörte dieses Gespräch, also wusste er, dass ich nur für eine Woche weg war. So konnte ich mein Gesicht wahren! „Nun, die Probezeit ist hier Flicht. Die meisten Kinder können nicht auf Anhieb eine so große Entscheidung treffen. Wir müssen sicher gehen, dass alles klappt. In dieser Woche werden Sie von einem Psychologen besucht, der das Verhalten der Kinder beobachtet und bewertet. Das sichert optimale Sicherheit für unsere Schützlinge. Ist das für Sie in Ordnung?“ Alice schlug einen geschäftsmäßigen Ton an. Die beiden gerieten nur kurz aus der Fassung, sammelten sich dann aber wieder. „Natürlich. Wir wollen ja auch, dass sich die Kleine bei uns wohl fühlt.“ Wie ehrlich die Frau klang. Ich hielt an meinem Plan fest. Meine Maske blieb. Ich begleitete sie für eine Woche, oder weniger, wenn es sich einrichten ließ und wäre dann fein raus. Sie würden kein Wort aus mir herausbekommen. Vermilion müsste sich nur eine Woche allein versorgen. Ich musste mit ihm reden. „Also, was ist, Kleine? Wenn du nicht mit uns mitkommen möchtest, dann schüttle einfach den Kopf.“ Der Mann grinste kaum merkbar. Ich reagierte nicht. „Na dann ist ja alles klar!“ Die beiden standen auf und Alice begleitete sie. „Gehen wir doch in mein Büro und erledigen das Schriftliche.“ Alice schien glücklich zu sein. Munter summend führte sie das Paar aus meinem Zimmer. Der Mann verließ den Raum als letzter. Er drehte sich zu mir um. „Du wirst sprechen!“ Er verschwand und ich seufzte. Unter mir ertönte ein Schluchzer. „Eve!“ Vermilion krabbelte zu mir aufs Bett und umarmte mich. Dicke Tränen kullerten an seinen Wangen entlang. Ich hielt ihm fest im Arm. Meine Kehle tat weh, aber ich weinte nicht. „Du musst jetzt stark sein, mein Kleiner! Du wirst sehen, eine Woche ist im Nu vorbei! Ich komme ganz schnell wieder. Ich werde nicht sprechen, versprochen!“ Vermilion schluchzte laut. „I- Ich weizz! Du meine Freundin. Ich hab dir zzo lieb. Ich komme klar! Wir müzzen beide ztark zzein.“ Seine Worte schnürten meine Kehle noch fester zu. „Ach, mein Kleiner. Es ist nur eine Woche, nur eine. Wir kamen auch viele Jahre ohne einander klar. Wir schaffen das. Lass dich nicht erwischen!“ Wir gaben uns beide noch Tipps. Ich hörte Schritte im Flur. „Ich hab dich ganz doll lieb, Vermilion! Mach’s gut!“ Er krabbelte unters Bett. „Eine Woche!“ Ich lächelte. „Ja, eine Woche.“ „Bist du bereit, Eve?“ Alice schaute mich zufrieden an. „Und du möchtest wirklich mit diesen Leuten mitgehen? Sie wirkten auf mich etwas... äh, eigen.“ – „Es... ist Ok.“ Sie seufzte. „Endlich wirst du vernünftig!“ Sie umarmte mich. „Dann mal los, Süße! Sie warten draußen schon auf dich. Deine Sachen schicke ich dir später hinterher, Ok?“ Ich nickte. Plötzlich strich etwas Weiches an meinem Bein entlang. Unauffällig reichte mir Vermilion einen seltsam aussehenden Kuschelhasen. Genauso unauffällig nahm ich sein Geschenk an. Wir verließen den Raum und machten uns auf den Weg in eine ungewisse Woche. Ich drückte das Kuscheltier fest an mich, es gab mir Kraft. Ich würde es schaffen! Das Paar wartete vor dem Auto. Die anderen Kinder winkten mir zu. Ich ignorierte sie. Die Maske hatte ich wieder auf und die würde ab sofort noch die ganze Woche bleiben. Ich stieg in das Auto und schaute noch einmal zum Waisenhaus. Eine ganze Woche. Die Limousine fuhr los. Das Paar schwieg, jeder in seinen eigenen Gedanken gefangen. Das Anwesen, in das die Limousine fuhr, war riesig. Das Haupthaus war umgeben von mehreren kleineren Gebäuden. So weit das Auge reichte, sah ich nur Häuser, alle umgeben von einer riesigen, gut bewachten, Mauer. Hier würde ich nicht entkommen können, soviel war klar. Eine viertel Stunde, nachdem wir das Haupttor durchfahren hatten, hielten wir vor dem größten Gebäude. Eine Schar von Dienern stand in zwei Reihen vor der großen Treppe, die zur riesigen Tür des Hauses führte. Der Mann stieg aus und die Diener verbeugten sich. Die Frau nahm meine Hand und führte mich die Treppe hinauf. Noch immer verbeugten sich die Diener, ohne auch nur einen von uns anzuschauen. Fasziniert schaute ich mich um. Das Anwesen war gigantisch! Der Hase in meinem Arm schien schwerer zu werden und erinnerte mich dadurch, warum ich mich hier befand. Erst jetzt bemerkte ich den Mann, der am Ende der Treppe auf uns wartete. Es war der älteste der drei Cage – Männer, die Vermilions Eltern getötet hatten. Die beiden Männer begrüßten sich. „Es ist also alles glatt gegangen, Bruder?“ Der Mann sah mich geringschätzig an. „So viel Aufwand für einen winzigen Dämon!“, murmelte er. „Wo ist Vater, Onkel?“, mischte sich die Frau ein. „Er möchte, dass ich sie sofort zu ihm bringe.“ – „Er ist bei Dilia.“ Die beiden Männer wanden sich von uns ab und gingen ins Haus. Die Frau blieb stehen, sie hielt noch immer meine Hand. „Mein Name ist Shirai.“ Sie schaute zu mir hinab. Ich reagierte nicht und sah sie bloß an. „Du hast keine Wahl, du wirst sprechen. Aber ich warne dich! Diese Familie ist nicht zimperlich und dein Leben hat hier keine Bedeutung. Lass dir dies gesagt sein.“ Wir betraten das Haus. Der Saal war riesig und mehrere Treppen führten zu unterschiedlichen Bereichen des Hauses. Alles war so alt und antik. Wohin ich auch schaute, überall sah ich Schätze und Kunstwerke. Wir nahmen eine der Treppen auf der linken Seite des Saals. Eine lange Zeit gingen wir wortlos nebeneinander her. Nach mehreren Minuten hatten wir endlich die Tür erreicht und Shirai klopfte an. Der Flur war wie ausgestorben. Hinter der Tür hörte ich ein freundliches „Herein“ und wir betraten den Raum. Wie dunkel es war. Die roten Vorhänge waren zugezogen und an einem schönen Himmelbett saß ein Mann. Er sah freundlich aber auch erschöpft aus. Seine Augen hatten die selbe Farbe, wie die seiner beiden Brüder, doch sie strahlten eine gewisse Wärme aus. Vor ihm musste ich mich nicht fürchten, er würde mich bestimmt nicht töten. Im großen Kamin brannte ein Feuer und überall standen persönliche Dinge, die den Raum einen gewissen Charme verliehen. Besonders beeindruckte mich der ausgestopfte Bär, der in der Ecke des Raumes stand und einem jeden Moment anzufallen drohte. Der Hase wurde schwerer, ich passte wieder auf. Wir standen genau vor dem Mann und erst in diesem Moment bemerkte ich die schlafende Frau, die dort im Bett lag. Sie wirkte wie eine schlafende, wunderschöne Königin. Sofort fiel mir das Märchen von Dornröschen ein. Ich sah dem Mann am Bett ins Gesicht, er war offenbar besorgt um seine Frau, wie ich annahm. Er stand auf und empfing seine Tochter mit offenen Armen. „Shirai, du bist erfolgreich zurückgekehrt, wie ich sehe!“ Sie umarmten sich. „Ja, Vater. Dies ist das besagte Mädchen.“ Er sah mich an. Sein Blick war undefinierbar, weder erfreut, noch wütend, einfach nur durchdringend. Er kniete sich zu mir hinunter und legte seine Hände auf meine Schultern, damit er mich besser betrachten konnte. Ich war viel zu klein für mein alter, das wurde mir in dem Moment bewusst. „Du, meine junge Dame, bist also Evelyn Ruchmond, 12 Jahre alt, Waise.“ Sie hatten sich offenbar über mich informiert. Ich reagierte nicht. „Du hast eine lange Geschichte hinter dir, wie ich hörte. Ein tragisches Schicksal, das muss man schon sagen.“ Seine Hände glitten meine Arme entlang und ruhten auf meinen Händen, eine ziemliche väterliche Geste, wie ich fand Er ließ meine Hände los und wand sich wieder seiner schlafenden Frau zu. „Dämonen haben sie angegriffen.“, sagte er an mich gewandt. „Sie haben eine schwangere, wehrlose Frau gefangen genommen! Als wir sie fanden, war sie halb tot und das Kind verschwunden. Wahrscheinlich ist es tot. Seitdem ist sie in diesem Zustand.“ Ich wusste nicht, worauf er hinaus wollte und wunderte mich, warum er mir so etwas Persönliches erzählte. Auch Shirai schien verwundert, sagte aber nichts. „Diese Dämonen sind grausame Mörder, die nichts anderes, als den Tod verdient haben!“ Er schien den Tränen nahe zu sein und nahm die Hand seiner Frau. Ich hätte am liebsten etwas erwidert und Vermilion verteidigt, aber ich wusste, dass ich ihn dadurch verraten hätte, mich selbst verraten hätte. „Sie schläft nun schon seit 13 Jahren, kannst du dir das vorstellen, Mädchen? Das ist länger, als du lebst!“ Er war aufgebracht. „Wir müssen diesen Dämon finden! Seine Familie war es, die meiner Frau das angetan haben! Wir werden diese miesen Ratten auslöschen, der kleine Dämon ist der letzte Nachfolger dieser verfluchten Familie! Warum schützt du solche Mörder? Sag mir, wo dieser Dämon ist und wir lassen dich für immer in Ruhe!“ Er konnte sich nicht mehr zurück halten und schüttelte mich durch. Es tat mir nicht weh, doch aus irgendeinem Grund regte sich die Frau im Bett. Auch der Mann hatte es gemerkt und ließ mich los, um sich seiner Frau zu zuwenden. Sie rührte sich nicht mehr. Der Mann schien verwirrt zu sein. „Dilia, mein Schatz, sag doch etwas!“ Nichts. Er sah mich an. Ohne Vorwarnung gab er mir eine Backpfeife und ich fiel hin. Ich war verwirrt, hatte aber keine Schmerzen. Erneut regte sich die Frau. „Warum reagiert sie, wenn das Mädchen schmerzen hat?“ Shirai half mir auf. „Vater, sei vernünftig! Du weißt, Mutter hat schon des Öfteren reagiert. Es ist nur Zufall!“ Er schüttelte seinen Kopf. „Ja, aber es könnte doch sein, dass das jedes mal geschah, wenn sie schmerzen hatte! Überleg doch mal. Das letzte mal hat sie reagiert, als Orrin bei ihr war. Weißt du noch, was er sagte? Er hat sie an der Schulter verletzt.“ Ich begriff nicht, was ich mit dieser Frau zu tun haben sollte. Die beiden anderen ignorierten mich und setzten sich in die Sessel vor dem Kamin. Shirai versuchte ihren Vater davon zu überzeugen, dass er sich irrte, während dieser seine These verteidigte. Ich näherte mich der Frau im Bett. Sie sah wirklich märchenhaft aus. „Sie schläft wirklich schon 13 Jahre? Einfach unglaublich!“, schoss es mir durch den Kopf. Es sah so aus, als könnte sie jeden Moment aufwachen. Als hätte man sie nur wachrütteln müssen. Ich streckte meine Hand zu ihr aus. „He, was machst du da, Mädchen?“ Der Mann hatte mich erwischt, doch ich berührte sie schon. Ein Blitz durchzuckte mich und ich konnte mich nicht mehr bewegen. Ich fühlte mich plötzlich unglaublich schwach. Meine Wange schmerzte, meine Schulter pochte und mein ganzer Körper kribbelte unangenehm. Alles passierte innerhalb eines kurzen Augenblicks. Endlich war es vorüber. Der Mann kam auf mich zu. Um mich herum wurde alles verschwommen. Ich schaute zur Frau im Bett, die mich ansah. Es war, wie ein Schock, als würde an dem Bild etwas nicht stimmen. Sie hatte wundersame, aber unglaublich gefühlvolle, braune Augen. Sie lächelte mich an. Alles wurde schwarz und ich spürte, dass ich auf den Boden fiel. Nichts. Kapitel 4: Wendepunkt --------------------- Wendepunkt Ich wachte aus einem traumlosen Schlaf auf. Ich lag in einem Bett und neben mir sah ich den Schein einer Kerze. Jemand saß an dem Bett, aber ich war noch zu benommen, um diese Person zu erkennen. Mir tat alles weh. Das Gesicht dieser Frau fiel mir wieder ein und ich schreckte auf. „Ruhig, ruhig, mein Schatz.“ Es war die Frau! „Jetzt ist alles wieder gut.“ Ich wusste nicht, wovon sie sprach. Nichts war gut. Ich fühlte mich so schlecht, wie nie. Es waren noch andere Leute in dem Raum. Shirai, ihr Vater, die drei Cage – Männer und einige, die ich noch nicht kannte. Sie sahen alle ernst und dennoch feierlich aus. Es war völlig still im Raum, als ob sie darauf warteten, dass ich etwas sagte. Ich suchte nach meinem Hasen. Er lag nicht auf dem Bett und ich konnte ihn nicht finden. „Hier, mein Schatz.“ Die Frau neben dem Bett, Dilia hieß sie glaube ich, reichte mir Vermilions Geschenk. Ich nahm ihn wortlos an. Ich fühlte mich wieder etwas sicherer. Noch immer schauten mich alle an, doch nicht nur mich, wie ich jetzt merkte. Sie schauten auf mich und diese Dilia. Was war geschehen, als ich in Ohnmacht gefallen war? Ich war völlig verwirrt, doch offenbar hielt es niemand für nötig mich aufzuklären. Wieder war es völlig still. Dilia lächelte mir ununterbrochen zu. Die anderen schienen auf etwas zu warten. Ich konnte nicht anders. „Was ist hier los?“ Ein Aufatmen ging durch die Runde. Jetzt kamen Shirai und ihr Vater an mein Bett. „Ist alles mit dir in Ordnung, Kleine?“ Ich verstand gar nichts mehr. Der Hase in meinem Arm vibrierte, aber es war sowieso zu spät. Ich hatte mich verraten, doch Vermilion würde ich nie verraten. Das Spiel war aus, die Maske weg. „I-Ich... was ist hier los?“, fragte ich erneut. Shirai beugte sich zu mir hinab und umarmte mich. „Sie ist es, das weiß ich! Oh, wie schön!“ Sie weinte. Ich bekam langsam Kopfschmerzen. Auch der Mann an meinem Bett weinte. „Endlich sind wir wieder vereint!“ Manche der anderen Menschen fingen ebenfalls an zu weinen. Andere blickten mürrisch und misstrauisch, darunter dieser Orrin. Auch Dilia umarmte mich. „Ich habe solange auf dich gewartet, mein Schatz, solange. Endlich bist du wieder bei mir!“ – „I-Ich war doch noch nie hier.“, platzte es aus mir heraus. Endlich schienen sie zu begreifen, dass ich rein gar nichts verstand. Sie lächelten mich verständnisvoll an. Der älteste Mann, der mir bis jetzt noch nicht aufgefallen war, mischte sich ein. „Ich werde es dir erklären, Mädchen.“ Er war in etwa so groß wie ich und nach dem Aussehen zu urteilen an die 80 Jahre alt. „Du bist das vermisste Kind von Dilia und Boreg. Durch einen Zauber hat Dilia dich vor Gefahr beschützt und als Nebenwirkung fiel sie in diesen Schlaf.“ „Ich bin nicht 13!“, fiel ich ihm ins Wort. Er lächelte. „Doch. Die, die du für deine leiblichen Eltern hieltest, hatten dich nur adoptiert! Sie konnten dein Alter nur schätzen.“ – „Das ist nicht wahr!“ Ich konnte es nicht glauben. Meine Eltern waren immer alles für mich, sie hätten mich nie belogen. Der alte fuhr fort. „Durch eure Begegnung eben, hat sich der Zauber gelöst. Nun können wir alle beruhigter schlafen.“ Ich war noch immer verwirrt. Was sie erzählten ergab einfach keinen Sinn. Ich, eine Cage? Niemals! Tief im Innern gestand ich mir ein, dass das alles durchaus möglich sein konnte. Ich sah meinen Eltern kein Stück ähnlich, während ich Dilias Augen- und Boregs Haarfarbe hatte. Ich wollte nicht, das es stimmte. Was sollte dann aus Vermilion werden? Jetzt konnte ich nicht mehr zurück ins Waisenhaus, was sollte ich nur tun? „Was bedrückt dich, mein kleiner Liebling? Du solltest glücklich sein, denn jetzt bist du endlich wieder bei deiner Familie! Bei deiner Mutter!“ Dilia strahlte mich an. „Und bei deinem Vater!“ Jetzt umarmte mich auch Boreg. Es war mir peinlich. „I-Ich hatte Eltern! Sie starben vor einem halben Jahr. Ich kenne niemanden von euch.“ Dilia sah mich verletzt an. „ICH bin deine Mutter!“ Wieder eine stürmische Umarmung. Es wurde mir zu viel und ich riss mich los. Ich stand auf und blieb mit meinem Hasen hinter dem Bett stehen. Alle Augen ruhten auf mir. Dilia war verblüfft. „Was hast du, mein Schatz? Wir sind doch deine Familie.“ „Außerdem bist du dank uns geheilt. Endlich sprichst du!“, mischte Shirai ein. „Das verdanke ich meinem besten Freund!“, platzte es aus mir heraus. Ich hoffte, sie wussten nicht, wen ich meinte! Doch ich wurde ertappt. Orrin grinste mich wissend an. „SOWAS nennst du deinen besten Freund? Was für eine Schande.“ Ich erwiderte nichts, denn nicht jeder im Raum wusste wovon er sprach. Kohir mischte sich ein. „Also weißt du, wo sich dieser Dämon befindet!“ Ich blieb Stumm. „Dann sag es uns, meine Kleine! Wir können den letzten dieser Familie, die deiner Mutter das angetan haben, endlich vernichten und in Frieden leben.“, sagte Boreg aufgeregt. Ich schüttelte meinen Kopf. Dilia sah mich nachdenklich an. „Darum geht es dir also. Du hast Angst um deinen kleinen Freund.“ Sie seufzte. „Es ist in Ordnung, wir werden deinen Freund verschonen.“ Protestrufe erklangen aus den Reihen der Familienmitglieder. Ich wurde neugierig. „Ihr werdet ihm nichts antun? Ist das ein Versprechen?“ Auch Boreg lenkte mit ein. „Wir versprechen es! Ich bin das Oberhaupt der Familie und werde den offiziellen Befehl so bald wie möglich ausrufen lassen. Die Suche nach dem Dämon ist hiermit endgültig vorbei.“ Endlich! Endlich, konnte Vermilion ohne Angst weiterleben. Ich war so glücklich, dass ich mich zu einem Lächeln hinreißen ließ. Dilia seufzte entzückt. “Das ist ja alles schön und gut, aber was soll nun mit dem Dämon geschehen?“, mischte sich Orrin ein. Boreg strahlte vor Freude. „Er soll bleiben, wo er ist und in Ruhe sein Leben leben, wenn meine Tochter das glücklich macht.“ Ich wusste, worauf Orrin hinaus wollte. Dort, wo er war, konnte er nicht bleiben, soviel war sicher. Was sollte nun mit Vermilion geschehen? Ich wollte ihn nicht verlassen, selbst wenn diese Menschen meine Familie sein sollten. Ich hatte ihn so lieb und diese Menschen kannte ich kaum. Ich war völlig unsicher. „Das hat doch alles noch seine Zeit. Wir sollten feiern, heute ist ein großer Tag! Ich möchte mich aber noch auf den neuesten Stand bringen. Schließlich habe ich die letzten 13 Jahre geschlafen. Wie groß doch alle geworden sind. Shirai, mein Engel, du bist eine richtige Frau geworden! Ich bin so gespannt, ihr müsst mir einfach alles erzählen!“ Dilia war munter, wie ein kleines Kind. Ich fühlte mich bei dieser Wiedersehensfreude völlig fehl am Platz. Ich wollte zurück zu meinem Freund, denn für keinen dieser Menschen hegte ich irgendwelche Gefühle. Doch hatte ich eine Wahl? Was, wenn sie Vermilion umbrachten, damit ich bliebe? Ich war absolut ratlos. Die Menschen verließen lachend und aufgeregt miteinander redend den Raum, bis nur noch meine vermeidlichen Eltern, meine Schwester und ich im Raum waren. Sie betrachteten mich über das Bett hinweg. Sie strahlten pure Glückseligkeit aus. Eine vereinte Familie, aber nicht meine Familie. „Komm mit, Evelyn. Wir haben so viel zu besprechen.“ Boreg reichte mir seine Hand. Ich rührte mich nicht und er nahm sie enttäuscht zurück. „Das hat doch noch bis morgen Zeit, Liebling. Lass ihr Zeit zum eingewöhnen. So viel, wie heute passiert ist, da wäre ich auch völlig durcheinander.“, redete Dilia beruhigend auf ihren Mann ein, dieser lächelte sofort wieder. „Wahrscheinlich hast du recht. Denk gut über alles nach, wir reden dann morgen, Evelyn. Ich wünsche dir eine gute Nacht!“, sagte er dann an mich gewandt. Er ging auf mich zu und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Shirai tat es ihm nach. „Gute Nacht, kleine Schwester! Ich bin so glücklich, dass ich dich doch noch kennen lernen darf.“ Sie folgte ihrem Vater in einen anderen Raum. Ich stand allein mit Dilia in einem Raum und irgendwie machte mich ihr Blick nervös. Es war, als würde sie etwas in mir suchen. „Ruh dich aus, es war ein ereignisreicher Tag, mein Kind.“ Ich reagierte nicht. Sie wirkte mit einem Mal sehr traurig. Sie beugte sich zu mir hinunter. „Ich bin deine Mutter, das musst du doch spüren! Alle Cage sind auf eine gewisse Art verbunden! Spürst du denn überhaupt nichts?“ Ich schüttelte meinen Kopf. Sie seufzte. „Das werden wir morgen dann klären. Schlaf gut!“ Sie machte sich auf den Weg, den anderen zu folgen. „Ich möchte nicht hier bleiben!“, sprudelte es aus meinem Mund. Sie drehte sich in der Tür zu mir um. „Morgen können wir alles besprechen, schlaf erst mal. Ist das in Ordnung?“ – „Jah...“ Sie ging und ließ mich grübelnd zurück. Ich konnte nicht einschlafen, denn zu viele Gedanken schwirrten mir im Kopf herum. Konnten diese Menschen wirklich meine leiblichen Eltern sein? Und selbst wenn, hieße das denn, dass ich sie unbedingt lieben musste? Ich kannte keinen von ihnen und keiner kannte mich. Dass sie einfach so annahmen, ich wäre genauso glücklich, wie sie, war geradezu lächerlich. Es stand außer Frage, dass sie mich hier behalten wollten, aber es konnte auch ein Trick sein, damit ich sie zu Vermilion führte. Aber sie hatten versprochen, ihm nichts zu tun. Oder war das auch nur ein Trick? „Ach Vermilion, wärst du nur hier!“ Der Hase in meinem Arm wurde wärmer. „Eve?“ Ich schrak auf. „Vermilion, bist du das?“ Ich flüsterte. „Ja!“, kam eine leise Stimme zurück. Ich sah mich um, nichts. „Wo bist du?“ – „Ich sprechen durch Stofftier.“ Ich hielt den Hasen vor mein Gesicht. Die Augen waren rot geworden. „Hast du alles mitbekommen?“ Eine Pause. „Ja.“ Ich bemerkte, dass auch er verwirrt war. „Was sollen wir jetzt tun? Du hast gehört, sie sind nicht mehr hinter dir her, aber was wird jetzt aus dir?“ Vermilion dachte nach, seine Antwort klang wohl durchdacht. „Ezz könnte allez nur gelogen zzein, aber dazz ich nicht glauben. Wahrscheinlich, du wirklich Cage. Ich... Dämonen dafür geboren alleine zu überleben, du keine Zzorgen machen. Ich ztark!“ Ich war bis jetzt nicht auf den Gedanken gekommen, dass ich wahrscheinlich zu der Familie gehörte, die Vermilions Familie ausgelöscht hatte. Was er wohl in jenem Moment von mir dachte? Ob er mich jetzt genauso hasste, wie diese Menschen hier? Mir kamen unwillkürlich die Tränen. „I-Ich kann verstehen, wenn du mich jetzt hasst. Schließlich gehöre ich zu dieser Familie!“ - „Dazz mir egal! Du meine Freundin! Ich dir immer noch lieb haben!“ Ich musste noch mehr weinen. Ich versuchte meine Schluchzer zu unterdrücken, aber ich hatte schon so lange nicht geweint und jetzt kam alles raus. „Ja, wir sind Freunde, für immer! Mir ist egal, ob sie meine Familie sind, ich möchte zurück zu dir, Vermilion! Was soll ich nur tun? Wie soll ich denen hier das klar machen? Sie werden mich nicht gehen lassen und dich notfalls umbringen, damit ich nicht zurück zu dir möchte. ... Ich vermisse dich!“ Vermilion schluchzte nur, sonst war nichts zu hören. Er wusste genauso wenig, was wir tun konnten, wie ich. Wir weinten einfach nur stumm miteinander. Es klopfte an meiner Tür und ich hielt die Luft an. Ob sie uns gehört hatten? Ich verkroch mich unter meine Decke und versuchte meine Schluchzer zu unterdrücken. Die Tür wurde geöffnet. „Schatz?“ Es war Dilia. Ich versuchte krampfhaft mein Schluchzen zu ersticken. Sie setzte sich auf mein Bett. „Schatz, ich muss mit dir reden.“ Ich rührte mich nicht. „Ich habe dein Gespräch eben gehört. Ich wollte nicht lauschen, aber ich ging zufällig an deiner Tür vorbei..“ Ich richtete mich auf und sah sie an. Sie hatte uns entdeckt, nun war alles aus! Sie wischte meine Tränen aus dem Gesicht und lächelte mich an. Ich war verwirrt. Was hatte sie vor? „Ich ertrage es nicht, dich so leiden zu sehen! Als ich schlief, habe ich dir jeden Schmerz genommen, aber nun musst du alleine damit fertig werden. Ich kann nichts versprechen, aber ich denke, ich kann euch aus dieser Zwickmühle befreien.“ Sie wollte uns helfen? „Wie?“ Sie streichelte meine Wange. „Bedeutet dir dieser Dämon wirklich so viel, mein Schatz?“ Ich nickte. Der Hase vibrierte leicht und ich drückte ihn noch fester an mich. „Dann findet sich eine Lösung. Wir wollen dich nicht verlieren, nicht noch einmal! Du bist die Nachfolgerin deines Vaters, die Familie ist auf dein Wohl bedacht.“ – „Was ist mit Shirai? Sie ist älter, als ich.“ Dilia legte sich zu mir ins Bett und umarmte mich. „Wir haben sie aufgenommen, als ihre Eltern im Kampf starben. Sie ist für uns, wie eine richtige Tochter, aber unser Erbe bist du, das wissen alle. Auf dir wird eine Menge Verantwortung lasten, aber du bist stark, auch wenn dir das noch nicht bewusst ist.“ Sie machte eine kurze Pause. „Evelyn, Schatz, ich werde dafür sorgen, dass du glücklich bist, auch wenn das bedeutet, dass wir einen Dämon in unser Haus aufnehmen müssen!“ Mein Magen verkrampfte sich. Ihn aufnehmen, hier? „Wie kann ich sicher sein, dass ihm niemand etwas antut? Hier hassen doch alle Dämonen! Er wird niemals freiwillig hierher kommen und das kann ich verstehen. Diese Familie hat seine Familie gejagt und ausgelöscht, wie kann er das jemals vergessen?“ Der Hase in meinem Arm vibrierte zustimmend. Auch Dilia schien es gemerkt zu haben und legte den Hasen zwischen uns auf die Bettdecke. „Unsere Familien befinden sich schon etliche Generationen im Krieg. Auch ich kann verstehen, wenn du nicht in die Nähe dieses Hauses möchtest, aaber bedenke, kleiner Dämon, dass wir dich in unser Haus einladen. Und das bedeutet die Offenbarung unseres Versteckes. Für uns ist es genauso riskant, wie für dich, dir hier eintritt zu gewähren.“ Der Hase war still, vibrierte dann aber. „Ihr zzeid aber zztärker alzz ich. Ihr mich einfach umbringen könnt!“ Dilia zuckte ein wenig zusammen. Sie hasste Dämonen, das merkte ich, aber sie sah mich an und fuhr fort. „Nun, dann müsst ihr uns einfach vertrauen. Ihr habt noch die ganze Woche Zeit, euch zu entscheiden. Ich werde euch nach Kräften unterstützen. Doch lass dir eins gesagt sein, Dämon. Wenn du meiner Tochter auch nur im geringsten wehtust, werde ich dich umbringen.“ Die Augen des Hasen leuchteten rot auf. „Dazz gebe ich gerne zzurück! Wenn ihr meiner Freundin wehtut, ich werden zzo viele von euch in den Tod mitnehmen, wie möglich.“ Es schien, als gäbe es eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen den beiden. Dilia stand auf. „Nun, ihr könnt mir dann in einer Woche sagen...“ – „Nein, ich habe mir entschieden!“, unterbrach sie der Hase. Wir sahen ihn beide verwundert an. „Und?“ Es schien, als habe der Hase einen entschlossenen Gesichtsausdruck bekommen. „Ihr könnt mir morgen abholen, ich nehme dazz Angebot an. Wenn ihr mir umbringen, Eve wizzen, ob zzie euch vertrauen kann!“ Dilia nickte. „Dann ist es entschlossen. Wir werden dich morgen abholen und in diesem Haus aufnehmen. Es soll euch beiden an nichts fehlen, gute Nacht.“ Die Endgültigkeit dieser Worte erschrak mich ein wenig. Dilia drehte sich um. „Danke!“, flüsterte ich kaum hörbar. Sie drehte sich um und lächelte mir zu. Sie verließ den Raum und ließ mich mit Vermilions Häschen allein. „Das ist unglaublich mutig von dir!“, platzte es aus mir heraus. Ich war glücklich, wie noch nie. Schon morgen würde ich ihn wieder in meine Arme schließen können. „Ich nicht mutig. Ich habe angst!“ – „Ich bin bei dir, Kleiner. Alles wird gut!“ Ich kuschelte mit dem Hasen. „Ja, allez wird gut.“ Wir schliefen zusammen ein. Kapitel 5: Eine neue Familie ---------------------------- Eine neue Familie Ich wurde von einer Dienerin aufgeweckt. „Junge Herrin? Die Herren wünschen Sie zu sehen.“ Ich schaute auf die Uhr auf dem Nachttisch. 7 Uhr morgens. Mir fiel Vermilion ein und ich war sofort hellwach. Die Dienerin reichte mir ein Kleid. Es war weiß. Es war mir zwar zuwider aber ich zog es an. Die Dienerin schnürte die vielen Bänder zu und wollte mir die Haare kämmen. Ich hielt sie auf. „Das mache ich schon, vielen Dank.“ Ich wollte nicht, dass jemand die Haarschleife anfasste. Es war Vermilions einziger Schutz. Es passte zwar nicht zusammen und die Dienerin sagte es mir auch, aber ich ließ die Schleife im Haar. Die Dienerin nahm meine Sachen und verbeugte sich. „Wenn Sie mir bitte folgen würden, Herrin.“ Ich nickte. „Aber können Sie mich vielleicht Eve nennen?“ Sie verbeugte sich erneut, lächelte dabei aber. Wie ihr wünscht, Fräulein Eve.“ Ich lächelte zurück. Es war ein wichtiger Tag und ich war gut gelaunt. „Wie heißen Sie?“ – „Helen, Fräulein Eve.“ Ich folgte ihr aus dem Zimmer. „Wie lange arbeiten Sie schon für diese Familie, Helen?“ Sie sah noch jung aus, vielleicht 25. „Seit fünf Jahren, Fräulein Eve.“ – „Und wie ist diese Familie so, nett, streng oder vielleicht brutal?“ Sie kicherte. „Es ist mir untersagt Informationen über die Herren preis zu geben, aber ich würde mir da keine Sorgen machen, Fräulein Eve.“ Sie ging etwas zügiger, ich folgte ihr. Nach einigen Minuten standen wir vor einer reich verzierten Tür. Von innen drangen dumpfe Stimmen nach draußen, aber ich verstand kein Wort. Helen verbeugte sich. „Sie müssen nur anklopfen, Fräulein Eve, die Herren erwarten Sie.“ Sie drehte sich um und ging. Ich blieb allein, mit einem mulmigen Gefühl im Magen, vor der Tür stehen. Ich musste mich zusammenreißen, für Vermilion. Mir fiel ein, dass ich den Hasen vergessen hatte, aber es war zu spät, um umzukehren. Ich schaffte das auch allein. Ich atmete tief ein und klopfte an die Tür. Von Innen kam ein undeutliches herein und ich drückte die Türklinke runter. Dilia und Boreg saßen, händchenhaltend, nebeneinander vor Orrin und dem alten Mann. Im Hintergrund standen Kohir und Sheter, sowie zwei junge Frauen, die ich vorher noch nicht gesehen hatte. Delta lächelte, sie schien müde zu sein. „Schönen guten Morgen, mein Schatz. Hast du gut geschlafen?“ Sie reichte mir ihre Hand und ausnahmsweise nahm ich sie an. „Ja, vielen Dank.“ Orrin und der alte Mann musterten mich streng. Boreg gab mir einen Kuss auf die Stirn und er wünschte mir ebenfalls einen guten Morgen. Damit schien das offizielle Gespräch zu beginnen. „Deine Mutter hat uns deine Bitte vorgetragen, dass wir einen Dämon hier aufnehmen sollen und ich muss zugeben, dass das in der Familie für ziemlichen Aufruhr sorgt.“, begann der alte Mann. Ich nickte. „Das ist mir bewusst und ich habe nichts anderes erwartet.“ Sie stutzten. Ich klang für mein kindliches Aussehen viel zu erwachsen, damit hatten sie anscheinend nicht gerechnet, während Delta lächelte. „Nun, deine Mutter konnte letzte Nacht noch einige Fürsprecher gewinnen, aber wir sind dagegen einen Dämonen Eintritt in dieses Haus zu gewähren!“ Orrin sah mich wütend an. Ich schaute ihm unberührt in die Augen. „Ich werde für ihn bürgen. Sollte es irgendwelche Schwierigkeiten geben, kannst du mich umbringen, zufrieden?“ Alle im Raum hielten die Luft an. Sie hatten nicht mit solchen Antworten gerechnet, soviel war klar. Anscheinend hatten sie mit einem verschüchterten kleinem Kind gerechnet, dass sich nicht wehrte. Sie wussten nicht wie sie reagieren sollten. Der alte Mann lächelte. „So klingt eine wahre Führerin. Du hast unglaublichen Mut, junge Dame.“ Er wand sich an Dilia. „Ihr habt meinen Segen!“ Orrin stand ungestüm auf. „Vater, das kann nicht dein Ernst sein!“ Der alte schaute seinen Sohn kühl an. „Und ob das mein Ernst ist. Ihr könnt ihn jederzeit abholen, Dilia.“ – „Danke, Großvater!“ Dilia und Boreg küssten sich überglücklich, es war mir peinlich. Der Alte sah mich an. Ich nickte. „Vielen Dank.“ Er lachte. „Mein Gott, du hättest nicht höflicher sein können, wärst du hier aufgewachsen!“ Ja, wäre ich dort aufgewachsen, aber ich war es nicht, was mir in diesem Moment erst richtig bewusst wurde. Kohir, Sheter und die zwei Frauen verbeugten sich und verließen den Raum, offenbar, um den Ausgang des Gespräches den anderen Familienmitgliedern zu verkünden. Orrin folgte ihnen mürrisch. Der alte wandte sich wieder an mich. „Wir haben dir ein Zimmer einrichten lassen. Wenn du zurückkehrst, kannst du uns sagen, ob es zu deiner Zufriedenheit ist.“ Er lächelte. „Es ist genug Platz für zwei, wenn du verstehst, was ich meine.“ Ich nickte. „Danke. Ich möchte ihn immer in meiner Nähe haben.“ – „Nun gut, aber wer soll dich begleiten, wenn du ihn abholst?“ Ich überlegte kurz. „Dilia, wenn es ihr recht ist.“ Dilia seufzte. „Natürlich ist es mir recht, Schatz, aber warum nennst du mich bei meinem Namen? Ich bin deine Mutter.“ Ich hatte sie verletzt. „Entschuldige, aber... ich kenne dich erst seit zwei Tagen, wie kann ich dann jemanden „Mama“ nennen?“ Es folgte eine lange Pause. Der alte Mann fuhr plötzlich hoch. Er hatte einen wissenden Gesichtsausdruck. Alle sahen ihn verwundert an. „Was ist, Vater?“, fragte Boreg. „Als du geboren wurdest, Evelyn, befandest du dich in der Obhut der Dämonen.“, richtete sich der alte an mich. „Sie haben dich, wie ich jetzt merke, mit einem Bann belegt, der deine Kräfte blockiert und dich dann bei den Menschen ausgesetzt. Warum sie dich nicht getötet haben, weiß ich allerdings nicht.“ Ich verstand, was er meinte und konnte ihm antworten. „Weil sie nicht die skrupellosen Mörder sind, für die er sie haltet!“ Keiner erwiderte etwas, obwohl ich merkte, dass sie drauf und dran waren, mir zu widersprechen. Der alte Mann räusperte sich. „Nun gut, aber ich kann den Zauber lösen, es ist nur ein alter, aber effektiver Zauber. Stell dich bitte hier hin.“ – „Und was passiert dann mit mir?“ Ich war nervös. „Du erhältst deine Kräfte und wirst das, was du eigentlich sein solltest, ein Mitglied dieser Familie, eine Cage.“ Ich musste erst darüber nachdenken. Wollte ich das überhaupt, eine Cage werden? Und wie würde ich dann zu Vermilion stehen? Ich stellte mich dorthin, wo er mich haben wollte. „Ich werde aber niemand anderes sein, als ich bin, oder?“ Der alte schüttelte seinen Kopf. „Du bist, wer du bist.“ Er nahm meinen Kopf zwischen seine Hände und murmelte Sätze in einer seltsamen Sprache. Etwas Warmes durchfloss mich. Plötzlich tauchten in meinem Kopf seltsame Bilder auf. Ich sah Dilia, die im Dunkeln hockte und sang. Ich sah Tausende Menschen, die in einem Krieg gegeneinander kämpften. Wieder tauchte das Bild von Dilia auf, die mit einer Dämonin sprach, sie hatte schmerzen. Mir kamen die Tränen. Wie lange war sie dort allein gefangen gewesen, immer darauf bedacht, dass mir nichts geschah? Dilia lag in den Wehen. Wieder tauchten die Bilder des Krieges auf, diesmal sah ich vereinzelte Gesichter. Es waren Dämonen und Menschen, die eine erbitterte Schlacht führten. Dilia hielt ihr Neugeborenes im Arm, Dämonen versuchten, es ihr zu entreißen. Sie sang eine Zauberformel. Dann war alles schwarz. In dieser völligen Stille und Dunkelheit spürte ich plötzlich undeutliche, aber fremde Gedanken. Sorgenvolle Gedanken von meinen Eltern und neugierige von meinem Großvater. Ich öffnete meine Augen und stand noch immer im selben Raum. Meine Eltern sahen mich besorgt an. „Ist alles in Ordnung, Schatz?“ Ich spürte ihre Gedanken. „Ja, es geht schon.“ Großvater schaute mich neugierig an. „Ich spüre jetzt deine Anwesenheit, es hat sich also etwas geändert.“ Ich war noch immer etwas verwirrt von dem Erlebten. Meine Mutter umarmte mich und ich fühlte mich so geborgen wie nie zuvor. Ich umarmte sie ebenfalls und ich spürte, dass sie vor Freude weinte. Sie war meine Mutter und hatte so vieles für mich geopfert, dass spürte ich in diesem Augenblick und ich wurde traurig und glücklich zugleich. „Mama...“ Ich flüsterte es nur, aber mein Vater hörte es dennoch und nahm mich in seine Arme. „Endlich weißt du es.“ Ich umarme auch ihn. In seinen Armen war ich so sicher und behütet wie ein Baby im Bauch der Mutter. Diese beiden Menschen wurden von einem zum anderen Moment, zu einem wichtigen Teil in meinem Leben. Vater setzte mich wieder ab. Großvater Aldoron, ich wusste plötzlich, dass er so hieß, kam auf mich zu. Ich umarmte auch ihn. Dieser alte Mann strahlte unglaubliche Weisheit und Güte aus. Es war ihm ein wenig peinlich, das spürte ich. Ich ließ ihn los und er räusperte sich. „Nun wirst du hoffentlich alles besser verstehen.“ Ich nickte, denn nun verstand ich einiges mehr. Erst jetzt fiel mir Vermilion wieder ein und glücklicherweise hatte sich zu meiner Einstellung zu ihm nichts geändert. „Wollen wir losfahren? Mein kleiner Freund wartet sicher schon.“ Meine Eltern sahen mich enttäuscht an. „Es ist dir also wirklich ernst, Schatz?“ – „Ja, Mama, er ist mein bester Freund.“ Dass ich sie Mama nannte, stimmte sie wieder etwas freundlicher. Ich spürte, dass sie es akzeptierten und ich lächelte ihnen zuversichtlich zu. Auf dem Weg zum Haupteingang begegneten wir einigen anderen Familienmitgliedern. Ich spürte sie alle und wusste immer instinktiv ihre Namen. Ihre Einstellung zu mir hatte sich, dadurch, dass auch sie mich jetzt spüren konnten, völlig geändert. Es war einfach großartig, wie dazugehörig ich mich fühlte. Als ich aus dem Auto stieg, kam mir das Waisenhaus irgendwie dunkler, als früher vor. Verwundert kam Alice aus dem Haus und begrüßte meine Mutter. Sie schien mich nicht zu erkennen. Ich sah in weißer Kleidung auch irgendwie seltsam aus, wie ich fand. Erst als sie genauer hinsah, erkannte sie mich und ihr stockte der Atem. „E- Eve... mein Gott, du siehst so anders aus!“ Ich lächelte. Das konnte durchaus sein, denn schließlich war ich ja jetzt wieder bei meiner Familie. Während Alice noch mit meiner Mutter sprach, rannte ich in mein Zimmer. Es waren gerade mal zwei Tage vergangen, aber alles kam mir anders vor. Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer und blieb atemlos im Raum stehen. Es war niemand zu sehen. „Vermilion!“ Unter dem Bett schoss sein kleiner Strubbelkopf hervor. „Eve!“ Er umarmte mich glücklich, schrak dann aber zurück. „Waz izzt lozz mit dir? Du bizzt anderzz!“ Ich lächelte ihn an und drückte ihn wieder an mich. „Nur ein wenig anders, aber mach dir keine Sorgen. Jetzt ist endlich wieder alles gut. Wir bleiben zusammen!“ Glücklich gingen wir Hand in Hand aus dem Zimmer. Die Kinder, denen wir auf dem Weg begegneten, rannten alle bei Vermilions Anblick davon. Unsicher drückte Vermilion meine Hand noch fester. Er hatte sich sein ganzes Leben verstecken müssen. Alle Menschen hassten Dämonen und er fühlte sich so Schutzlos, völlig verloren, das wusste ich. Doch ich würde ihn beschützen, vor allem. Als wir die Limousine erreichten, schrak Alice erschrocken zurück. Meine Mutter sah sich um und schien sich zu wundern. Ich spürte, dass sie ihn nicht sah. Ich nahm mir die Schleife aus dem Haar. Sie erschrak kurz, sammelte sich dann aber schnell. Vermilion versteckte sich ängstlich hinter mir. Alice konnte es kaum fassen. „Mein Gott, so was war hier im Haus?“ Ich schaute sie wütend an. „Er ist mein Freund, damit das klar ist! Ihm verdanke ich einfach alles!“ Verdattert sah sie mich an. „Oh... Ich wollte nicht... Ich...“ Ich kicherte. „Schon in Ordnung.“ Sie fasste sich wieder. „Ich habe gehört, dass du bei dieser Familie bleiben möchtest, ist das wahr?“ Es war offenbar zu kompliziert gewesen, die Wahrheit zu sagen, deshalb blieben sie bei der Adoptionsgeschichte. Ich nickte glücklich. „Jetzt, wo ich meinen kleinen Freund bei mir habe, gibt es nichts, was mich glücklicher machen würde.“ Alice nickte und umarmte mich glücklich. „Ich wünsche dir alles Gute, meine Süße. Sei schön lieb und komm mich mal besuchen!“ Sie weinte. Ich versprach es und stieg dann mit Vermilion in die Limousine. Meine Mutter und Alice unterhielten sich noch kurz und schüttelten sich dann zum Abschied die Hände. Als sie einstieg sah sie Vermilion ablehnend an. Es gefiel ihr nicht, das spürte ich. Ich setzte ihn auf meinen Schoß und umarmte ihn. Ich wollte ihr zeigen, dass sie sich nicht zu fürchten brauchte. Aber beide, Vermilion und meine Mutter, taten es. Bis wir das Anwesen erreichten, würdigten die beiden sich keines Blickes. Wieder Stand eine Schar Diener bereit, die sich verbeugten. Vor der Treppe warteten Vater und Großvater bereits, um uns zu begrüßen. Sie sahen angespannt aus und blickten sich nervös um. Mutter stieg als erste aus, ich folgte ihr. Vermilion zögerte. Er duckte sich und versuchte sich so klein, wie möglich, zu machen. Ich nahm ihn auf dem Arm und er versteckte sein Gesicht an meiner Schulter. Ich lächelte meine Familie zuversichtlich an. „Es ist alles gut gegangen, hier ist mein kleiner Freund.“ Sie bemühten sich so freundlich, wie möglich, zu lächeln. Großvater Aldoron wagte den ersten Schritt. „Willkommen, Dämon. Ich hoffe du weißt unsere Gastfreundschaft zu schätzen. Solange du dich hier aufhältst, sorge ich persönlich für deine Sicherheit.“ Vermilion sah zu ihm auf. „Doch bedenke, Evelyn hat für dich gebürgt. Sollte es also Probleme geben, wird auch sie bestraft.“ Vermilion nickte ernst. „Verstehe.“ Wir stiegen die Treppe hoch. Noch bevor ich reagieren konnte, sauste etwas auf mich zu. Ich erkannte erst, was es war, als dieses Ding etwa zehn Zentimeter vor meinem Kopf zum Stillstand kam. Es war ein blau leuchtender Pfeil, der offenbar in einem rötlichen Schutzschild steckte. Ich erkannte sofort, dass dies Vermilions Schutzschild war. Keine Sekunde später wurde ich von drei anderen Schutzschildern umgeben. „Schnell rein!“, rief Vater und drängte mich die Treppe hinauf. Die Diener wichen nicht von der Stelle. Erst als die Tür hinter uns geschlossen wurde, atmeten alle wieder auf. Meine Mutter wich nicht mehr von meiner Seite und blickte sich nervös um. Ich schien die einzige zu sein, die keine Angst hatte. „Danke, mein Kleiner! Du hast mich gerettet!“, lächelte ich Vermilion an. Ich vermied es seinen Namen zu nennen, weil ich fürchtete, er würde es mir übel nehmen. Immerhin waren es unsere Namen, die uns gegenseitiges Vertrauen schenkten. Vermilion nickte. „Schon Okay.“ „Wir hätten eine bessere Bewachung anfordern sollen, Großvater! Wir müssen ihr einen Leibwächter an die Seite stellen, oder besser, mehrere!“ Mein Vater war außer sich. „Nein, das ist schon Okay, wirklich! Ich habe doch schon einen Beschützer!“ Sie machten die Sache schlimmer, als sie war. „Mag sein, dass der kleine Dämon diesen Pfeil abgewehrt hat, aber er ist nicht stark genug, um größere Attacken abzuwehren.“ Sie alle machten sich große Sorgen, das spürte ich. Großvater schaute mich verwundert an. „Warum bist du eigentlich nicht überrascht, oder ängstlich? Jemand hat gerade versucht dich zu töten!“ Ich zuckte mit den Achseln. „Mir war klar, dass nicht alle damit einverstanden sind, einen Dämon hier aufzunehmen, also was soll’s!“ Ich grinste. „Ich vertraue meinen kleinen Freund und euch natürlich! Ich fühle mich absolut sicher!“ Sie beruhigten sich langsam, das war deutlich zu fühlen. „Na, wenn du das meinst!“ Meine Mutter fing an zu lachen. „Ja, du bist wirklich einmalig!“ Auch die anderen beiden lachten. „Sie ist ja auch eine Cage!“ Ein Diener kam uns entgegen und verbeugte sich. „Das Zimmer der jungen Herrin ist nun bereit.“ Großvater nickte. „Wir geben heute Abend ein Fest, bis dahin kannst du dich hier einrichten. Entschuldige, ich meine natürlich, könnt ihr euch hier einrichten.“ Großvater verbeugte sich und ging. Meine Eltern rührten sich nicht vom Fleck. Sie hatten noch immer angst um mich. „Hier im Haus wird mich schon keiner angreifen, geht schon!“ Sie gingen, wenn auch nur widerwillig. Vater sprach noch einen Schutzzauber über mich aus und drückte mir dann einen Kuss auf die Stirn. „Bis heute Abend, Liebling!“ Auch Mutter gab mir einen Kuss und sprach dann „nur zur Sicherheit“ noch einen Schutzzauber über mich. Ich folgte dem Diener in mein Zimmer. Es lag direkt neben Shirais Zimmer. Das meiner Eltern lag etwas weiter den Flur entlang, wie mir der Diener erzählte. Ich fragte auch ihn, wie er hieß und bat ihn, mich beim Namen zu nennen. Er hieß Ganter und war genauso glücklich, wie Helen, die andere Dienerin, als ich ihn darum bat. „Ich hoffe, dass ihnen das Zimmer so gefällt, Fräulein Eve!“ Lächelnd drehte er sich um und ging wieder. Mein Zimmer war groß genug für fünf Personen, aber es war schön eingerichtet. In dem großen, weißen Himmelbett hatten Vermilion und ich genug Platz, auch wenn noch ein zweites, kleineres Bett aufgestellt worden war. Es hingen große Gemälde, von meinen Vorfahren, wie ich annahm, an den Wänden. Ich hatte einen wundervollen Ausblick auf den Garten. Durch die großen Glastüren konnte man auf eine riesige Terrasse gehen. Sie verband alle Zimmer, die sich auf dieser Seite des Hauses befanden. Vermilion machte es sich sofort auf meinem Bett gemütlich. „Ezz izzt schönezz Zimmer!“ Ich nickte. „Ja, das ist es.“ Auf dem Kamin standen Fotos von meinen Eltern und meiner restlichen Familie. Die meisten davon hatte ich noch nicht kennen gelernt. In dem großen Schrank hingen etliche Kleider in meiner Größe. Die meisten hatten Rüschen, was ich gar nicht mochte. Das beste, an diesem Zimmer fand ich allerdings in dem kleinen Schrank daneben. Darin befanden sich nämlich Sachen für Vermilion. Es waren verschiedene Größen, da sie ja nicht wussten, wie alt oder groß er war. Ich fand Kleidung, die ihm passte und zog sie ihm sofort an. Der schwarze Pullover war ein wenig zu groß, aber die schwarze Hose passte perfekt. Jetzt sah er viel gesünder aus und die Kleidung stand ihm richtig gut. Er schien auch zufrieden zu sein. Die Stille im Raum tat gut. Ich setzte mich zu Vermilion auf das Bett. „Ist es wirklich Okay für dich? Ich meine, hier zu sein.“ Vermilion lächelte. „Klar. Du bizzt hier, allez izzt gut, wie ez izzt!“ Ich umarmte ihn. „Du bist echt großartig!“ – „Genau wie du, Eve!“ Es klopfte an der Tür und ich rief „herein“. Es war Ganter, der ein Tablett herein trug. „Ich habe Ihnen eine kleine Zwischenmahlzeit zubereitet, ich hoffe Sie haben Hunger.“ Ich lächelte. „Vielen Dank Ganter!“ Er stellte das Tablett auf den großen Tisch in der Mitte des Raumes. Eine große Blumenvase mit wunderschönen Blumen darin zierte den Tisch. „Wenn Sie noch einen Wunsch haben klingeln Sie einfach!“ Er stellte eine kleine Glocke auf die Kommode neben dem Bett. Er verbeugte sich und verließ den Raum. Vermilion und ich stürzten uns sofort auf den Kuchen, natürlich nicht, ohne vorher unser „Ritual“ durch zu führen. Ich probierte vor, er aß den Rest. Den Rest des Tages verbrachten wir damit, das Zimmer zu erkunden. Wir fanden sogar Kuscheltiere und Spielzeug, sie hatten einfach an alles gedacht. Die Sonne färbte sich rot und ging langsam unter. Ganter brachte uns noch etwas zu Essen, offensichtlich hielt er uns für Unterernährt. Als Shirai anklopfte, spielte ich gerade mit Vermilion „Krieg der Kuscheltiere“. Es war ziemlich lustig. Shirai steckte ihren Kopf durch die Tür und lächelte mir zu. „Mama hat gesagt, ich soll dir beim Umziehen helfen.“ „Beim Umziehen? Wozu das?“ Shirai lachte und betrat den Raum. Sie hielt etwas in der Hand, das wohl ein Kleid sein sollte. Es war so übertrieben voll von Rüschen und Schleifen, dass ich erst nicht erkannte. „Was soll das denn?“ Auch Vermilion war verblüfft. „Na, das ist dein Kleid für das Fest! Alle Familienmitglieder kommen zusammen und das ist selten! Du willst doch süß aussehen!“ Sie war so unbegreiflich fröhlich, dass es schon fast wieder lustig war. DAS würde ich bestimmt niemals anziehen, soviel war klar! Shirai spürte, was ich dachte und war enttäuscht. „Und ich dachte, es würde dir richtig gut stehen!“ Ich lächelte. „Nun, das ist mir ein wenig zu übertrieben, tut mir Leid!“ Shirai seufzte. „Hab ich mir fast gedacht. Hast du ein Kleid im Schrank gefunden, das dir gefallen hat?“ Ich überlegte. Eigentlich nicht. „Ich habe einz gezehen. Es war schön!“ Vermilion versuchte in Shirais Gegenwart nicht so zu zischen. Wir schauten ihn beide verwundert an. „Ach ja?“ Er wurde rot. „Und welches?“, ermunterte ich ihn. Er ging zu dem großen Schrank und schlüpfte hinein. Nach einigem Gewühle kam er mit einem Kleid wieder heraus. Es hatte zwar ein paar hellblaue Schleifen zum Zubinden, aber keine Rüschen. Es war wirklich schön und gefiel mir auf anhieb, auch wenn es sonst weiß war. Shirai schien auch zufrieden zu sein. „Das ist auch Okay! Komm ich helfe dir, es anzuziehen!“ Nachdem ich das Kleid anhatte, kämmte sie mir noch die Haare und band mir zwei weiße Schleifen in die Haare. Als sie zufrieden war, wand sie sich an Vermilion. „Für dich haben wir auch Kleidung besorgt. Ich denke, es wird dir passen.“ Sie klingelte Ganter herein, der ihr die Sachen gab. Es sah ein wenig, wie ein dunkelblauer Kampfanzug aus, nur schöner und verlieh Vermilion irgendwie etwas Magisches. Shirai nickte zufrieden. „Jetzt seid ihr vorzeigbar!“ Sie war netter zu Vermilion, als ich erwartet hatte. Offensichtlich hatte sie davon gehört, dass er mein Leben gerettet hatte. „Was ist das für ein Fest? Muss man da tanzen?“ Shirai nickte. „Aber natürlich, es ist ein Fest! Es ist eine Feier für dich und Mama, da tanzt man einfach!“ Ich wurde rot. „Ich kann aber nicht tanzen.“ – „Hab ich mir fast gedacht, aber das ist schon in Ordnung. Du bist ja noch ein Kind, also was soll’s.“ Shirais Gedanken waren voller Freude. „Shirai?“ – „Ja?“ Ich zögerte. Sie lächelte mich an. „Wäre ich nicht aufgetaucht... Wärst du dann Vaters Nachfolgerin geworden?“ Sie schaute mich verwundert an, lächelte dann aber wieder. „Nein, einer deiner Onkel wäre es gewesen. Sie sind näher mit Vater verwand, als ich.“ In ihrer Stimme klang etwas trauriges mit. Ich schämte mich. Shirai seufzte und strich mir über den Kopf. „Na, dann kommt mal mit. Jetzt lernst du deine ganze Familie kennen!“ Ich reichte Vermilion meine Hand, die er Dankbar annahm. Er würde jeden Augenblick in einem Raum sein, indem eine Menge Menschen waren, die Dämonen hassten. Ich konnte ihn verstehen, doch es standen auch einige Leute auf seiner bzw. meiner Seite. Wir folgten Shirai in einen riesigen, festlich geschmückten Ballsaal. Es waren Hunderte von Menschen versammelt, die munter miteinander Sprachen. Ich spürte die Anwesenheit jedes Einzelnen, was mich fast überrollte. Shirai legte mir die Hand auf die Schulter. „Tief einatmen und immer ruhig bleiben!“ Es half. Vermilion erging es noch schlechter, als mir. Er zitterte am ganzen Körper. Hinter uns tauchten Großvater und meine Eltern auf. Die Menge verstummte, als sie ihre Anwesenheit spürten und blickten zu uns hinauf. „Unser großer Auftritt, mein Schatz!“, flüsterte mir meine Mutter zu. Ich nickte nur und nahm ihre Hand. „Steht aufrecht, ihr beiden!“, wandte sich Großvater an Vermilion und mich. Wir sahen ihn fragend an. Alle Augen waren auf uns gerichtet und schlagartig verstanden wir. Ich war die zukünftige Anführerin dieser Familie und das musste ich auch zeigen. Sofort stand ich aufrechter. Vermilion durfte keine Schwäche zeigen, sonst würde er immer angreifbar sein und niemals von diesen Menschen respektiert werden. Er stand aufrecht und nahm meine Hand. „Wir können gehen.“ Wir stiegen die Treppe hinab und die Leute fingen an sich zu verbeugen. Einer nach den anderen verkündete somit den Respekt, den sie uns entgegenbrachten. Nicht jeder schien erfreut, doch sie alle verbeugten sich. Am Ende des Saals angelangt, drehten wir uns zu den Leuten und Großvater fing an zu sprechen. „Willkommen, meine liebe Familie. Heute ist ein großer Tag für uns! Unsere geliebte Dilia ist nun wieder aus ihrem Schlaf erwacht!“ Die Menge applaudierte und meine Mutter machte einen höflichen Knicks. Großvater sprach weiter. „Und wie durch ein Wunder haben wir auch unsere Stammhalterin, Tochter von Dilia und Boreg, und zukünftige Anführerin des Cage– Clans, wieder gefunden. Heißen wir sie mit offenen Armen in unserer Familie willkommen. Evelyn Cage.“ Die Bedeutung seiner Worte raubte mir erst recht den Atem, als die Menge in einem tosenden Applaus ausbrach. Ich stand dennoch aufrecht und blickte die Runde vor mir an. Ich war also die zukünftige Anführerin dieser Menschen. Vermilion drückte meine Hand und sah mich entgeistert an. Ich lächelte ihn beruhigend an. „Ich bin ja da.“ Ich schaute zu Großvater und dieser schien zu verstehen. Er hatte noch eine Ankündigung zu machen. Er hob die Arme und bedeutete der Menge somit, wieder zu Ruhe zu kommen. Das aufgeregte Gemurmel erstarb und Großvater Aldoron räusperte sich. „Wie euch sicher nicht entgangen ist, haben wir einen Dämonen in unserer Mitte.“ Unnötigerweise deutete er auf Vermilion. Viele sahen ihn mit Verachtung und Hass an. Ich war entschlossener denn je, ihn zu verteidigen. „Dieser Dämon steht unter unserem persönlichen Schutz. Er wird weder angegriffen, noch sonst irgendwie verletzt.“ Empörtes Gemurmel. Das war zu erwarten, dadurch würde ich mich nicht entmutigen lassen. Ich sah den Menschen, die uns beide nun argwöhnisch Anstarrten, direkt in die Augen. Jeder senkte nach ein paar Sekunden den Blick, sie hatten verstanden. Die Menge verstummte wieder. „Dies ist ein offizieller Befehl! Jegliche Zuwiderhandlung wird streng bestraft!“ Erneut verbeugten sie sich. Ich sah zu Großvater und dieser grinste mich auf seltsame Weise an. „Gut gemacht!“ Er hatte mir diese Worte telepathisch gesandt, was mich ziemlich verwirrte. Was hatte ich denn getan? Die offizielle Begrüßung schien zu Ende zu sein. „Nun, meine Lieben, lassen wir die Feierlichkeiten beginnen. Heute ist ein schöner Tag!“ Die Menge klatschte höflich und löste sich dann auf. Ein paar fingen sofort an, miteinander zu diskutieren, wieder andere wanden sich dem Buffet zu, doch die meisten versuchten ein Gespräch mit meinen Eltern oder mit mir zu führen. Eine ältere Frau mit übertrieben viel Schmuck an Händen und Hals, drängte mich zur Seite und umarmte meine Mutter. „Dilia, Schatz! Meine Güte, ist das schön dich wieder zu sehen...“ Sie plapperte mit ihrer hohen Stimme endlos weiter und ich konnte mit Vermilion unauffällig in der Menge verschwinden. In einer Ecke konnte ich ihn erleichtert umarmen. „Ist alles in Ordnung, mein Kleiner?“ Vermilion lächelte. „Sie mir nichtz tun. Ich bei dir bin. Ez nicht schöner zein kann!“ Auch er war anscheinend erleichtert. „Dieser miese, kleine Dämon hat sich ja ziemlich schnell eingeschmeichelt! Echt widerlich!“ Hinter dem Vorhang, vor dem wir standen, tauchte der jüngste der drei Cage- Männer auf, die Vermilions Familie umgebracht hatten. Sein Name war Kohir, wie mir einfiel. Er schaute Vermilion herablassend an. Ich drückte ihn fester an mich und schaute Kohir ernst an. „Na, ist das nicht komisch?“ Kohir schaute mich verwundert an. „Was meinst du?“ Ich grinste. „Ein so kleiner Junge scheint dir ja ganz schön Angst zu machen, oder warum diese Feindseligkeit?“ Er warf mir einen wütenden Blick zu und drehte sich um. „Sei bloß nicht so übermutig, kleine Giftschlange! Du wirst bald sehen, dass dir hier nicht jeder in den Arsch kriecht.“ Er verschwand in der Menge. Ein älterer Mann entdeckte mich und kam lächelnd auf mich zu. Er verbeugte sich und gab mir einen Kuss auf die Hand. „Es ist mir eine Ehre, dich doch noch kennen zu lernen, kleine Evelyn!“ Ich konnte seine Gedanken nicht spüren, doch er war definitiv ein Mitglied der Familie. Er schirmte sie anscheinend ab, so wie Kohir zuvor, wie mir auffiel. „Es ist mir gleichfalls eine Ehre.“ Der Mann grinste breit und begab sich dann in die Richtung meiner Eltern. Musik setzte ein und die Menschen fingen an zu tanzen. Ich kämpfte mich mit Vermilion wieder zu meinen Eltern durch, die immer noch damit beschäftigt waren, verschiedenste Familienmitglieder zu begrüßen. Meine Mutter entdeckte mich und zog mich erleichtert zu sich heran. „Bleib lieber in meiner Nähe, Liebling.“ Sogleich stürzten sich die Familienmitglieder auf mich und lobten meine Mutter, wie hübsch ich doch sei. Ich antwortete immer höflich, selbst wenn ich wusste, dass die Leute alles nur heuchelten. Ein schwarzhaariger Mann mit klaren, grünen Augen verbeugte sich vor mir und gab mir, wie alle anderen, einen Kuss auf die Hand. „Es ist mir eine Ehre.“ Ich nickte ihm zu. „Auch mich ehrt es.“ Er wandte sich an Vermilion. Dieser drückte meine Hand fester, wich aber nicht zurück. „Ich habe eine Menge von dir gehört, aber ich wollte nicht glauben, dass es wahr ist. Ein wahrhaftiger Dämon, mitten unter uns.“ Der Mann sprach so leise, dass nur wir es hörten. Er war uns nicht feindlich gesonnen, das spürte ich, doch er hatte etwas seltsames an sich. Etwas, dass ich nicht definieren konnte. Der Mann sah Vermilion eine ganze Weile an und schaute dann wieder zu mir. „Du hast dir einen ungewöhnlichen Beschützer ausgesucht, junge Dame. Aber es ist eine gute Wahl, er scheint stark zu sein.“ – „Das scheint nicht nur so, er ist stark, aber deshalb ist er nicht bei mir. Wir sind Freunde!“ Wie so oft diesen Abend blieb mein Blick standhaft. Der Mann lächelte, ein merkwürdiger Anblick. „Freunde also. Ungewöhnlich, wo wir uns doch im Krieg mit den Dämonen befinden.“ Ohne ein weiteres Wort verschwand er in der Menge und ließ uns beide verwirrt zurück. Der restliche Abend verlief ohne weitere Zwischenfälle. Ich lernte noch einige Familienmitglieder kennen. Es gab glücklicherweise auch viele, die mir freundlicher gesonnen waren und die mir aufrichtig ihre Treue schworen. Als ich so gut wie jedem der hundert Gäste die Hand geschüttelt hatte, neigte sich der Abend endlich dem Ende. „Und nun, meine Freunde, kommen wir zu unserem traditionellen Abschlusstanz!“, verkündete Großvater über die Menge hinweg. Zu meinem Bedauern musste jeder mittanzen, also auch ich. Die Paare begaben sich auf die Tanzfläche. Meine Eltern tanzten zusammen, Shirai tanzte mit einem hutaussehenden Jungen, ihrem Cousin dritten Grades und ich wählte natürlich Vermilion als Partner. Da weder er noch ich tanzen konnten, standen wir zunächst ziemlich nervös voreinander. Als die Musik begann, machten wir den Erwachsenen einfach alles nach und nach einer gewissen Zeit hatten wir den Dreh raus, noch besser, es war sogar lustig. Als die Musik endete und die Menge sich langsam auflöste, gingen wir Hand in Hand zu meinen Eltern. Vermilion sah zum ersten Mal, wie ein glückliches Kind aus. Er strahlte über beide Ohren. „Dazz war luztig! Wir daz machen irgendwann wieder?“ – „Ganz sicher!“ Kurz zuvor hätte ich es nie für möglich gehalten, auch nur annähernd ein solches Glücksgefühl zu verspüren, doch in diesen Augenblick genoss ich es in vollen Zügen. „Es ist spät, Schatz. Geht doch schon mal ins Bett.“ Vater war noch immer damit beschäftigt, die Leute zu verabschieden. Mutter schob uns zur Treppe und gab mir einen Gutenachtkuss. „Ich komme nachher und decke dich zu, mein Schatz.“ Ich nickte nur und hüpfte dann munter mit Vermilion in die Richtung meines Zimmers. Im Gang begegneten wir dem schwarzhaarigen Mann, mit den seltsamen, grünen Augen. Er hatte anscheinend auf uns gewartet, denn außer uns dreien, war sonst niemand da. Eine Weile standen wir uns nur stumm gegenüber, bis er dann langsam in unsere Richtung schlenderte. „Ihr beiden seid schon ein seltsames Paar...“ Er machte eine kurze Pause, in der er uns eingehend betrachtete. „... ohne irgendwelche Ähnlichkeiten. Wie kommt es, dass Dämonen und Magier sich so gut verstehen?“ Vermilion ergriff als erster das Wort. „Wir zzeien im Innern gleich! Wir Freunde, warum du so zeltsam fragen?“ Der Mann blieb stehen. „Mein Name ist Anno. Ich bin seit vielen Jahren Freund Ihrer Familie, junge Evelyn und stets auf ihre Sicherheit bedacht. Ihr zwei könntet auch Spione der Dämonen sein, die uns aushorchen, das wäre doch durchaus möglich.“ Darauf wollte er also hinaus. Er vertraute uns beiden nicht und vor allem nicht unserer Freundschaft. Es konnte mir jedoch egal sein, denn es kümmerte mich kein Bisschen. Ich nahm Vermilion auf den Arm und ging an Anno vorbei. Sollte er doch denken, was er wollte, wir kannten schließlich die Wahrheit. „He, Kleine.“ Ich blieb stehen, antwortete aber nicht. „Du solltest lernen, deine Gedanken abzuschirmen, denn ich kann sie lesen, wie ein offenes Buch.“ Ich hatte nichts zu verbergen, aber ich wollte nicht, dass jemand in meinen Gedanken rumstocherte. „Na, wenn du das denkst, sollte ich dir lieber zeigen, wie du deine Gedanken abschirmen kannst, oder?“ Er grinste und ich drehte mich genervt um. „Sie wollen es mir beibringen?“ Er nickte gelassen. „Ich werde ab sofort dein Lehrer sein. Bis dann.“ Er drehte sich um und ging. Ich blieb sprachlos zurück. „Was sollte das?“ Vermilion zuckte mit den Schultern. „Wir jetzt schlafen gehen?“ Ich nickte und ging endlich in mein Zimmer. Wir fielen erschöpft auf das große, weiche Bett und seufzten erleichtert. „Was für ein Tag, nicht wahr, mein Kleiner?“ Er nickte. „Ein guter Tag.“ Wir zogen uns Schlafanzüge an und kuschelten uns zusammen in mein Bett. „Gute Nacht, mein Kleiner.“ – „Gute Nacht, Eve.“ Wir schliefen augenblicklich ein. Kapitel 6: Ein kleiner Abstecher -------------------------------- Ein kleiner Abstecher Ich wachte am nächsten Morgen entspannt und völlig zufrieden auf. Ich ließ Vermilion schlafen, denn er wirkte etwas erschöpft. Ich schlich mich aus meinem Zimmer und machte mich auf die Suche nach dem Esszimmer. Keine leichte Aufgabe, denn schon nach 10 Minuten hatte ich mich hoffnungslos verlaufen. Ich seufzte, setzte mich auf den Boden und lehnte mich an die Wand. Der Gang, in dem ich war, sah aus, wie alle anderen. Ich schloss die Augen und versuchte die Anwesenheit von irgendeinem Familienmitglied zu spüren. Zuerst fühlte ich überhaupt nichts, bis ich mich immer stärker konzentrierte und langsam die Anwesenheit von Shirai spürte. Sie schien mich auch zu spüren und sandte mir telepathisch ihre Gedanken. „Was ist los? Ist alles OK, Evelyn?“ Ich wusste nicht recht, wie ich ihr antworten konnte und versuchte es einfach. Ich dachte konzentriert an die Worte „Ich hab mich verlaufen.“ und es funktionierte. Shirai fing an zu lachen, das konnte ich spüren und ich wurde rot. „Das ist nicht witzig!“, sandte ich ihr. „Tut mir Leid! Bleib, wo du bist, ich komme dich holen.“ Unsere Verbindung löste sich, aber ich spürte dennoch ihre Anwesenheit, die sich in meine Richtung bewegte. Es war ein seltsames Gefühl, so etwas außergewöhnliches zu können. Irgendwie machte es mir angst und dennoch fand ich es furchtbar aufregend. Ich ging Shirai ein Stück entgegen, denn ich spürte ihre Nähe. Sie hatte immer noch ein Grinsen im Gesicht, als sie mich entdeckte. „Das Haus ist größer, als man denkt, oder?“ Ich nickte nur. Sie lachte wieder. „Ach, komm, ist doch nicht so schlimm! Als Kind hab ich mich tausend mal verlaufen.“ Das stimmte mich etwas fröhlicher. „Und wie hast du zurückgefunden?“ Sie lächelte mich an. „Ich wurde immer von jemanden aufgespürt. Das hat manchmal Stunden gedauert, da das Haus so groß ist.“ Ich versuchte mir die kleine, verirrte Shirai vorzustellen und lachte. „Aber sag mal, Evelyn. Von wen hast gelernt, jemanden aufzuspüren?“ Ich schaute verwundert zu ihr auf. „Von keinem, ich hab’s einfach ausprobiert.“ Sie blieb stehen und sah mich verwundert an. „Das hast du dir selbst beigebracht, ehrlich? Ich hab ziemlich lange gebraucht, um das zu lernen. Genauso mit dem Kommunizieren. Du bist echt talentiert.“ Ich verkniff mir ein Grinsen und wurde rot. „Danke.“ „Wie wäre es mit einem gemeinsamen Frühstück?“ Ich nickte. „Und was ist mit Mama und Papa?“ Shirai seufzte. „Die haben heute noch eine Menge zu tun. Langsam kehrt wieder Alltag ein, dabei ist keine Woche vergangen, seit Mutter wieder erwacht ist. Alle tun so, als wären keine 12 Jahre voller Trauer, Wut und Einsamkeit vergangen. Es ist irgendwie seltsam.“ Ich nickte. „Vielleicht ist es das, aber die Menschen neigen nun mal dazu, schlimme Dinge zu verdrängen. Wenn etwas Schlimmes passiert, denkt man nicht daran, damit es nicht mehr so wehtut. Ich weiß, wovon ich spreche, denn mir erging es mit meinen Adoptiveltern genauso. Bis vor ein paar Wochen war ich ein seelisches Wrack, dass nichts fühlen konnte, aber sieh mich jetzt an. Ich könnte nicht glücklicher sein! Ich werde immer an sie denken, denn sie haben mich geliebt und ich sie, aber ich schaue nach vorne. Genauso ist es mit dieser Familie. Alle schauen nach vorn und freuen sich nun auf ihre Zukunft. Bist du nicht auch entspannter und glücklicher?“ Ihr Gesicht erhellte sich und sie sah mich auf eine seltsame Weise an. „Du bist Mutter so ähnlich, obwohl du sie erst seit 4 Tagen kennst.“ Wir unterhielten uns noch eine Weile über dieses und jenes. Nach etwa zehn Minuten hatten wir das Esszimmer erreicht, in das locker 50 Leute hineinpassten. Shirai bemerkte meinen Blick und erklärte mir, dass oft Staatsgäste oder Familien anderer Magier zu besuch kämen und diese müssten natürlich irgendwo speisen. Dennoch fand ich den Raum zu übertrieben. „Gibt es keinen kleineren Speiseraum?“ Shirai überlegte kurz. „Hm, neben der Küche ist ein kleiner Raum für die Angestellten, aber da können wir nicht...“ – „Warum nicht? Bist du dir dazu zu fein. Ich komme aus einfachen Verhältnissen und muss mich erst einmal an diesen Reichtum gewöhnen.“ Ich hatte sie überredet und glücklicherweise war das kleine Esszimmer nicht weit entfernt. Als wir durch die Küche gingen, kamen wir an vielen beschäftigten Dienern vorbei, die das Frühstück für die einzelnen Familienmitglieder zubereiteten und auf ihre Zimmer brachten. Sie waren bei unserem Anblick ziemlich erstaunt und verbeugten sich rasch. „Herrin, was wünscht Ihr?“ Shirai wirkte etwas verlegen. „Äh...Wir würden gerne Frühstücken.“ – „Habt Ihr einen besonderen Wunsch, meine Herrin?“, fragte der Koch. „Nein, das übliche ist mir schon recht, wir werden nebenan speisen, wenn es recht ist.“ Die Diener hielten in inne und sahen uns verdutzt an. Ich fand die Situation lustig, während Shirai am Liebsten im Erdboden versunken wäre, wie es mir vorkam. „Im Angestellten- Esszimmer?“ Diesmal antwortete ich. „Na klar, warum denn nicht? Oder ist er vielleicht besetzt?“ Der Koch errötete. „Ein paar Angestellte Frühstücken noch, aber die können wir sofort wegschicken, wenn Ihr es wünscht!“ Ich lächelte ihm freundlich zu und schüttelte den Kopf. „Nicht nötig! Ich möchte einfach nur Frühstücken und möglichst in einem Raum, dessen Ende man auch sehen kann.“ „Wie Ihr wünscht, Herrin!“ Einer der Diener führte uns in den Raum. An der Türschwelle drehte ich mich um. „Wie heißen Sie?“ Der Koch sah mich verwundert an. „Karan, meine Herrin.“ – „Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Karan. Mein Name ist Eve und es wäre schön, wenn Sie mich auch so nennen würden.“ Ich betrat das Esszimmer und ließ einen verdutzten Koch am Herd stehen. Der Raum war nicht unbedingt klein, aber gemütlich. Eine Handvoll Mitarbeiter aßen gerade ihr Frühstück und unterbrachen es sofort, als sie uns sahen. „Bleibt ruhig sitzen und esst zuende!“, sagte ich und setzte mich neben einen älteren Herren der nicht aufhören konnte, mich anzustarren. Shirai war nun schon etwas entspannter und setzte sich lächelnd gegenüber von mir, neben eine junge Frau, die etwa in Helens alter war. Keiner der Diener aß weiter, sondern starrten uns nur an. „Ihr könnt beruhigt weiter essen, oder stört euch unsere Anwesenheit?“ Sie schüttelten alle heftig ihre Köpfe und aßen hektisch weiter. Ich seufzte. Keine Minute später servierten uns einige Diener ein köstliches Frühstück. Als wir mit dem Essen begannen, beruhigten sich die Diener langsam und aßen langsamer. Ich sprach den alten Mann neben mir an. „Wie ist Ihr Name?“ Er schrak zusammen und ließ den Suppenlöffel fallen. „Ich... äh... wie bitte?“ War er schon senil oder einfach nur überrascht? Ich machte mir sorgen, dass er vielleicht einen Herzinfarkt bekommen könnte, wenn ich ihn berührte. „Ich habe nach Ihren Namen gefragt.“, antwortete ich höflich und lächelte ihm zu. „Mein Name ist Guido, meine Herrin.“ – „Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Guido. Ich werde gerne Eve genannt, wenn Ihnen das recht ist.“ Guido grinste mich mit seinen dritten Zähnen an. „Wie Sie wünschen, Fräulein Eve.“ Shirai war zunächst verblüfft, fasste dann aber Mut und tat es mir gleich. Sie sprach die junge Dienerin neben sich an. Sie hieß Riane und war um einiges lockerer, als ihre älteren Kollegen. Schon nach kurzer Zeit waren wir in ein Gespräch mit allen Dienern am Tisch verwickelt, die immer entspannter wurden und sogar lachten. Sie waren es nicht gewohnt, so von gleich zu gleich mit uns sprechen, wie sie gestanden. Ich erfuhr, dass Guido schon seit 60 Jahren im Dienst der Familie war und sprach ihm meinen Respekt aus. Er freute sich, wie ein kleines Kind. Riane und Shirai schnatterten wie zwei alte Freundinnen über die neueste Mode und ähnliches. Sie waren etwa im selben alter. Shirai war 22 Jahre alt und Riane 24 Jahre. Als wir satt waren verabschiedeten wir uns von der nun glücklichen Dienerschaft und gingen. „Auf Wiedersehen, Karan.“, sagte ich zu dem summenden Koch und dieser grinste. „Es ist mir eine Ehre, mein junges Fräulein Eve.“ Ich nahm noch ein Tablett mit Essen für Vermilion mit und dann machten wir uns auf den mühsamen Rückweg. „Das war unglaublich, Eve! Ich hab gar nicht gewusst, dass man sich so gut mit Dienern verstehen kann.“ – „Es ist viel besser, wenn die Angestellten von ihren Arbeitgebern wie gleichgestellte behandelt werden, denn dann sind sie glücklicher und verrichten ihre Arbeit gewissenhafter.“ Shirai kicherte. „Wo hast du denn diesen Spruch gelesen?“ Wir kabbelten uns noch eine ganze Weile und ich spürte, dass unsere Freundschaft immer enger wurde. Ich hatte sie sehr lieb gewonnen, wie mir in diesen Moment bewusst wurde. So lieb, wie ich auch meine leiblichen Eltern und Vermilion gewonnen hatte. Vor meinem Zimmer verabschiedeten wir uns und ich ging zu Vermilion, der mich schon sehnsüchtig erwartete. „Eve!“ Er stürmte vom Bett und umarmte mich glücklich. „Wo du gewezen?“ Ich hielt das Tablett hoch, damit nichts herunterfiel. „Ich war Frühstücken. Schau, ich hab dir was mitgebracht!“ Seine Augen strahlten. „Zuper!“ Da ich schon gegessen hatte verzichteten wir auf unser „Ritual“ und Vermilion schlang sein Essen genüsslich hinunter. Danach zogen wir uns Kleidung aus den Schränken an, die einigermaßen tragbar war. Wie auf Stichwort klopfte Ganter an. „Die Herren wünschen Sie zu sehen, Fräulein Eve. Sie ebenfalls junger Herr.“, wandte er sich an Vermilion, der bei diesen Worten fast erstarrte. Man hatte ihn „Herr“ genannt! Wir folgten Ganter in einem Raum, der glücklicherweise nicht allzu weit entfernt war. Es sah aus wie ein Versammlungsraum und es waren auch viele Menschen versammelt. Meine Eltern, Shirai, Großvater Aldoron und dieser seltsame Typ vom Fest, Anno hieß er. Ich schloss die Tür hinter mir. Meine Eltern wünschten mir einen guten Morgen und ich ihnen ebenfalls. Anno musterte uns nur, sagte aber nichts. Ich konnte nicht sagen, ob die Stimmung fröhlich oder angespannt war, doch irgendwie lag etwas in der Luft. „Setzt euch.“, sagte Großvater und zeigte auf die zwei leeren Stühle neben ihm. „Wir müssen noch eine Menge Dinge regeln.“, fing er an und sprach in die Runde. „Erstens müssen wir klären, auf welche Schule du ab sofort gehen wirst, Eve.“ Richtig, Schule! Nach all dem Durcheinander hatte ich sie völlig vergessen. „Ich kann doch einfach auf meine Schule gehen, oder?“ – „Auf keinen Fall, Schatz. Du musst noch eine Menge lernen, dass dir kein normaler Lehrer beibringen kann. Wir dachten an Privatunterricht, das wäre doch am Praktischsten, oder was meinst du?“ Ich überlegte kurz. Wenn ich Privatunterricht bekommen würde, wäre ich immer bei meiner Familie und Vermilion. Ich nickte. „Hätten wir das also geregelt. Deine Ausbildung wird hauptsächlich Anno übernehmen.“ Meine Stimmung sank auf den Tiefpunkt. Diesen Kerl würde ich tagtäglich ertragen müssen? Wie gemein. Ich hatte vergessen, dass er meine Gedanken lesen konnte und fing mir einen eiskalten Blick ein. Großvater sprach weiter. „Er wird ebenfalls die Ausbildung deines jungen Freundes übernehmen... wie war noch mal sein Name?“ „Mein Name zein Vermilion.“, mischte er sich ein. Ich war froh, dass er ihnen so sehr vertraute und lächelte ihn an. „Nun gut, dann wird er Vermilions Ausbildung ebenfalls übernehmen.“ Ich unterbrach ihn. „Kennen Sie sich mit Dämonen aus, Mr. Anno? Ich meine, sie haben ganz andere Sitten, Rituale und Fertigkeiten, oder?“ Er sah mich mit seinen leuchtend grünen Augen an. „Ich kenne mich mit Dämonen besser aus, als ihr beide zusammen.“ Wir schwiegen, streiten war eh sinnlos. „Kommen wir zum nächsten Punkt. In zwei Tagen kommt eine Prüferin des Waisenhauses, um zu sehen, wie es dir hier geht, Evelyn.“ Richtig, es sollte doch jemand kommen, das hatte ich total vergessen. „Das dürfte doch kein Problem werden, denn hier geht es mir doch gut.“, warf ich in die Runde. Großvater seufzte und kratzte sich an seinem bartlosen Kinn. „Das ist leider nicht ganz so einfach, wie du vielleicht annimmst. Normale Menschen kommen nicht sehr gut mit der Existenz von Magie klar und einen Dämonen dürfen sie selbstverständlich nicht sehen. Dieses Haus ist ein großes Geheimnis und durch viele Zauber geschützt, damit es niemand findet. Du wirst mit Shirai und deinen Eltern in ein anderes Haus einziehen, zumindest für ein paar Tage.“ Er wandte sich mit diesem Satz auch an meine Eltern, diese nickten. Es wäre eine willkommene Abwechslung mal an einen kleinen Ort zu bleiben und mir war klar, warum wir nicht nur für diesen einen Tag dort leben sollten. Es wäre schließlich ziemlich auffällig, wenn ich die Räumlichkeiten nicht kennen würde. Plötzlich schoss mir etwas durch den Kopf. „Aber das heißt doch, dass ich Vermilion hier ganz allein lassen müsste!“ Großvater nickte. „Das sollte doch kein Problem sein, oder?“ Für mich war es ein Problem. Ich hätte ihn ohne Bedenken in der Obhut meiner Eltern und Shirai gelassen, aber die kamen ja mit. „Ich werde ihm im Auge behalten.“, sagte Anno zu mir. Er las, wie immer, meine Gedanken. Langsam fing es an zu nerven. „Äh, kannst du nicht auf ihn aufpassen, Großvater? Bei dir weiß ich, dass er in Sicherheit ist.“ „Aber Schatz.“, mischte sich meine Mutter ein. „Es wird ihm schon keiner was tun, dafür hat Großvater doch schon gesorgt.“ Ich sah sie zweifelnd an. „Also ich weiß noch, was passiert ist, als ich ihn in dieses Haus gebracht habe und bezweifle, dass ihm niemand etwas antun möchte.“ Ihr verletzter Blick ließ mich diesen Satz sofort bereuen. „Ich habe sehr viel zu tun und kann nicht auch noch den Babysitter für einen Dämonen spielen.“, mischte sich Großvater ein. Jetzt war es an mir zu seufzen. Ich wollte ihn nicht bei diesen Anno lassen, aber ich hatte wohl keine Wahl. Ich spürte eine klein Hand auf meiner. Vermilion lächelte mich an. „Izt schon gut. Ich kann auf mir aufpassen, Eve.“ Ich strich durch sein Wuschelhaar. „Das weiß ich doch, es ist nur... Ich lass dich ungern zurück.“ „Ez zein nur paar Tage, izzt nicht schlimm.“ Er hatte recht und ich gab nach. Dieser komische Anno sah uns die ganze Zeit mit einem seltsam neugierigen Blick an, der mir mehr als unangenehm war. „Nun, dann wäre das auch geklärt.“, nickte Großvater. Er wirkte sehr gestresst. Sicher hatte er seit Mutters Wiedererweckung eine Menge zu tun. „Pack deine Sachen Evelyn, morgen werdet ihr fahren. Das wäre es dann fürs erste, ihr zwei könnt gehen.“ Vermilion und ich standen auf und gingen zur Tür. „Ach ja, eins noch.“ Wir drehten uns um und sahen Großvater an. „Wenn du zurück bist, Evelyn, wird Vermilion ein eigenes Zimmer haben.“ Er bedeutete uns zu gehen und wir gingen ziemlich verdutzt in unser Zimmer. „Wiezo? Warum zoll ich nicht mehr hier schlafen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, aber es gefällt mir auch nicht!“ Ich war nun stinksauer. „Warum wollen die uns denn immer trennen? Haben die nicht gemerkt, dass das nicht klappt?“ Vermilion lächelte mir beruhigend zu. „Zie unz nicht trennen, Eve. Ez izt doch ganz normal, daz man in verschiedenen Zimmern izt, oder?“ Klar war es normal, vor allem in so einem riesigen Haus, aber das war mir scheißegal. „Ich werde das schon klären, wenn ich wieder zurück bin, also lass uns packen.“ Ich seufzte und wir machten uns ans Werk. Ganter hatte mittlerweile mehr tragbare Kleidung besorgt, die ich sorgfältig in die bereitgestellten Koffer packte. Es war als verginge die Zeit wie im Flug und ich musste auch schon gehen. Es fiel mir schwer mich von Vermilion zu verabschieden, aber seine Zuversicht gab mir Mut. Die Woche ohne Vermilion kam mir unendlich vor. Die Prüferin hatte, wie erwartet, nichts zu bemängeln und wünschte uns viel Glück als neue Familie. Diese Woche hatte mich auch näher an meine Familie gebracht. Endlich hatten wir Zeit, über alles Mögliche zu sprechen. Sie wollten einfach alles über mich wissen und ich erzählte ihnen bereitwillig alles. Wir sprachen auch oft über meine Adoptiveltern. Meine Eltern schienen dann immer ein wenig betrübt, aber ich spürte, dass sie sehr froh darüber waren, dass ich so gut aufgehoben gewesen war. Endlich kam der langersehnte Tag der Rückkehr. Ich würde meinen kleinen Freund wieder sehen und freute mich wie ein kleines Kind. Die Limousine fuhr bis vor die riesige Treppe und die Schar von Dienern verbeugte sich, wie immer. Ich stürmte die Treppe hinauf und begrüßte meinen wartenden Freund mit einer stürmischen Umarmung. „Vermilion!“ – „Eve!“ Kapitel 7: Entführt! -------------------- Entführt! Obwohl wir uns unglaublich freuten uns wieder zu sehen, spürte ich eine gewisse Distanz zwischen uns. Es war als hätte diese Woche uns zur Besinnung gebracht und uns aus unserem Freundschaftsfieber geweckt. „Wie ist es dir ergangen, mein Kleiner?“, fragte ich ihn auf dem Weg in mein Zimmer. Er erzählte mir, dass er die meiste Zeit mit diesem Anno verbracht hatte und dieser ihn mit Fragen durchlöchert hatte. Außerdem hatte er Vermilion vieles über den legendären Dämonenkrieg erzählt, wie mir Vermilion erklärte. „Er izt eigentlich ganz nett.“, endete seine Erzählung. Ich zischte. „Jah, genau.“ Vermilion grinste und verkniff sich eine patzige Antwort. Als ich nach der Türklinke meines Zimmers griff, merkte ich, dass Vermilion weiter gegangen war. Er ging zu der Tür neben meiner. „Daz sein meine neue Zimmer.“ Ich spürte einen stechenden Schmerz in der Brust. Wir hatten uns von einander entfernt, zweifellos. Ich hatte angst, dass wir irgendwann vielleicht gar nichts mehr füreinander empfinden würden und kämpfte mit den Tränen. Plötzlich hörte ich eine leise Stimme hinter meinem Ohr. „Hab keine angst, Eve.“ Es war Vermilions Stimme. Ich sah ihn verdutzt an. „Ich dachte es geht nur mit Familienmitgliedern!“ Vermilion lächelte. „Ja, das stimmt.“ Ich war noch verwirrter. „Beweizt daz nicht, daz wir unz zehr nahe zind? Wie eine Familie?“ Ich verstand und lachte. „Oh, ich verstehe! Natürlich, wie konnte ich nur an unseren Gefühlen zweifeln? Wir sind ja praktisch Geschwister, oder?“ Vermilion nickte und ging strahlend in sein Zimmer, ich folgte ihm. Es war etwas dunkler gehalten und ganz nach seinem Geschmack eingerichtet worden. Er hatte einen großen alten Schrank und ein rustikales, aber gemütliches Sofa. Es war im allgemeinen sehr altmodisch gehalten, aber es wirkte sehr gemütlich und passte zu Vermilions Wesen. Vermilion führte mich durch sein kleines Reich und zeigte mir voller Stolz seine Besitztümer. „Und das bezte kommt errzt noch!“, strahlte er mich an. Er klopfte gegen die Wand und wie durch Zauberei öffnete sich eine verborgene Tür in mein Zimmer. „Von der anderen Zeite es genauzo klappen!“ Es war perfekt, jeder hatte sein eigenes Reich und doch waren wir nicht getrennt. Ich ging durch die Geheimtür in mein Zimmer. Auch mein Zimmer hatte sich ein wenig verändert. Das kleine Extrabett war verschwunden und es gab mehr Blumen im Zimmer. Alles wirkte etwas mädchenhafter und heller. Das Zimmer passte zu mir. Den Rest des Tages verbrachten wir damit, uns gedanklich zu unterhalten. Vermilion blieb in seinem Zimmer und ich in meinen, die Geheimtür blieb verschlossen. So versuchten wir gegenseitig unseren Geist zu erspüren und zu kommunizieren. Anfangs wollte es nicht recht klappen, doch mit der Zeit wurden wir immer besser und brachten uns durch Telepathie zum Lachen. Ich konnte sogar seine Anwesenheit spüren. Es war anders, als bei meiner Familie und doch war es schön. Abendessen gab es zusammen mit meinen Eltern, Shirai, Großvater und zu meinem Leidwesen auch mit Anno. Vermilion und ich redeten nur noch Telepathisch miteinander und fingen an zu Lachen, wenn einer etwas Komisches sagte. Meine Eltern waren sichtlich verwirrt. „Ist alles in Ordnung, Liebling? Habt ihr beiden euch gestritten?“, fragte meine Mutter besorgt. Ich schüttelte meinen Kopf. „Natürlich nicht. Alles in Ordnung, oder?“ Ich wandte mich grinsend an Vermilion. Dieser nickte. „Allez gut.“ Vermilion fühlte sich gemeinsam mit meinen Eltern am Tisch etwas unsicher, wie ich spürte doch ich munterte ihn immer wieder auf. Gedanklich natürlich. „Hört mit diesen Kindereien auf und redet normal miteinander. Ihr verbraucht so nur unnötig Energie.“, mischte sich Anno ein. Seine grünen Augen sahen uns streng an. Wir schluckten. „Was meinst du, Anno?“, wollte mein Vater wissen. „Ganz einfach. Die beiden kommunizieren telepathisch miteinander.“ Meine Eltern und Shirai stutzten und sahen uns fragend an. „Stimmt das?“ Ich nickte. „Wie ist das möglich? Ich dachte wir können mit Dämonen nicht auf diese Weise kommunizieren.“, staunte Shirai. Da es nun alle wussten, machte es auch nicht mehr so großen spaß und wir beide unterhielten uns wieder ganz normal. Nach dem Essen gingen wir ins Bett. Telepathisch unterhielten wir uns noch eine Weile und wünschten uns dann eine gute Nacht. Ich wachte von Vermilions telepathischen Hilferuf auf. Ich war sofort hellwach. „Eve! Fremde Männer!“ Ich sprang aus meinem Bett und klopfte gegen die Wand, sodass sich die Tür öffnete. Vier verhüllte Gestalten waren durch Vermilions Fenster gestiegen und standen in seinem dunklen Zimmer. Eine der Gestalten kämpfte gerade mit dem wild um sich schlagenden Vermilion und drückte ihn seine Hand auf den Mund, als ich den Raum betrat. Eine Sekunde lang blieben alle reglos. Ich war geschockt und wusste nicht, was ich tun sollte. „Eve!“, rief Vermilion laut, da sein Angreifer seinen Griff gelockert hatte. Die Gestalten fingen sich wieder und zerrten Vermilion mit sich. Ich packte Vermilion und klammerte mich so fest ich konnte an ihn. Eine Gestalt versuchte mich weg zu zerren, schaffte es aber nicht. Im Haus gingen ein paar Lichter an. „Zzrankkr frrrak!“, rief eines der Wesen und der andere zerrte noch heftiger an mir. Ich ließ nicht locker und fing an zu rufen. „Mama, Papa, Shirai! Angreifer !“ Sofort fühlte ich, wie die drei meinen Geist ertasteten. Wieder rief einer der Angreifer etwas, das ich nicht verstand. Der andere drückte mir seine Hand auf den Mund und zerrte mich mit aus dem Fenster. Mit einer Hand packte ich noch immer Vermilions Pyjama und er krallte sich an meinem Arm fest. Ich spürte den kalten Nachtwind im Gesicht und hörte rufe durch das Haus schallen. Das Wesen, das mich trug, packte mit seiner freien Hand an meine Stirn und ein Blitz durchzuckte meinen Körper. Ich sah nur noch ein rotes Licht und fiel sofort in Ohnmacht. Kapitel 8: Im Reich der Dämonen ------------------------------- Im Reich der Dämonen Als ich aufwachte wurde ich noch immer getragen. Ich öffnete die Augen, hätte es aber lassen können, denn es war stockdunkel. Ich suchte nach dem Geist von Vermilion und bemerkte, dass auch er in Ohnmacht gefallen war. Er wurde vom Entführer vor mir getragen und ich atmete erleichtert auf. So seltsam das auch war, aber ich war froh bei ihm zu sein. „Keierz gnanam, krrozerr.“, sagte mein Entführer zu dem vor uns. Die Wesen blieben stehen. Ich konnte noch immer nichts sehen und fragte mich, wie diese Wesen in einer solchen Finsternis etwas erkennen konnten. Ihre Sprache kam mir allerdings bekannt vor. Ich wurde abgesetzt und blieb auf den Boden sitzen. Vermilion legten sie etwas vor mir auf den Boden. Ich tastete nach ihm und fand dann schließlich seinen Arm. Noch einmal könnten die uns nicht trennen. Die Stimmen um uns herum vermehrten sich und unterhielten sich murmelnd in dieser seltsamen Sprache. „Kannzzt du zzehen, Mensch?“ Eine tiefe Stimme erhob sich über den anderen, die sofort still wurden. Ich hatte einen Geistesblitz. Dies mussten Dämonen sein, keine Frage. Ich ballte meine Fäuste noch fester um Vermilions Schlafanzug. „Nein.“, antwortete ich ihm und versuchte in seine Richtung zu sprechen. Schritte näherten sich und eine Hand legte sich über meine Augen. Ich zuckte zusammen. Eine Frauenstimme sprach ein paar beruhigende Worte in Dämonisch. Eine angenehme Wärme durchströmte meine Augen und ich sah schwach ein rotes Licht, dass immer heller wurde. Die Dämonenfrau nahm ihre Hand weg und ich erkannte eine große unterirdische Höhle. Das Stein der Wände war schwarz und eine Schar von Dämonen hatte sich in einem Kreis um uns herum gestellt. Direkt vor uns, saß auf einem Steinthron der Anführer der Dämonenschar. Er hatte langes Haar und ein strenges, kantiges Gesicht. Ich blickte ihn direkt ins Gesicht und er musterte mich neugierig. „Du keine angst?“ Ich sah zu Vermilion, der vor mir auf dem Boden lag. „Ein bisschen.“, gestand ich. Der Dämonenanführer sah mich mit einer Mischung von Abscheu und Neugierde an, was mir äußerst unangenehm war. „Wirr den Jungen nichtz tun. Auch nicht den Jungen von Magierrrn, Zzzrrrkk.“ Er zischte voller Abscheu, nachdem er das Wort „Magier“ ausgesprochen hatte und die restlichen Dämonen taten es ihm nach. Ich saß in der Höhle des Löwen, doch zum Glück war ich ein „Junges“. Hier war also der Ort meiner Geburt, ich bekam eine Gänsehaut. „Ihrr habt einen von unz entführrt!“, zischte mich der Anführer an. „Das haben wir nicht.“, entgegnete ich ihm bestimmt. Ein Murmeln hob sich um uns herum an und wurde immer lauter. Der Anführer hob seine Hand und sie wurden wieder alle still. „Ihrr habt zzeine Familie errmordet! Ihrr habt diezzen Jungen entführrt!“, brüllte er und zeigte mit seinem Finger auf mich. Ich stand auf und sah ihm entschlossen ins Gesicht. „Mag sein, dass einige Mitglieder meiner Familie euch unrecht getan haben, aber wir haben Vermilion nicht entführt, sondern bei uns aufgenommen!“ Die Dämonen um uns herum zischten als ich Vermilions Namen erwähnte und der Anführer wurde noch wütender. „Ihrr ihn gefoltert, damit er Namen zzagt!“ Seine Stimme bebte. Ich spürte Vermilions kleine Hand an meinem Fußknöchel. Er kam zu sich. Eine Dämonenfrau kam, um ihm auf zu helfen, doch ich kam ihr zuvor und stellte meinen kleinen Freund auf die Beine. „Alles in Ordnung, mein Kleiner?“ Er nickte verwirrt. „Wo zind wir, Eve?“ Die Dämonenschar schien verwirrt, angesichts unserer Vertrautheit. Auch der Anführer kratzte sich verwirrt an seinen Bartstoppeln. „Vermilion!“, zischte er. Vermilion sah ihn, noch immer verwirrt, an. Er schien erst in diesem Moment zu begreifen, wo er war. „Warum habt ihr mir entführt?“, fragte er den Anführer, ohne die geringste Spur von angst. Diesmal blieb es nicht bei einem Murmeln, sondern lautes Gerede in Dämonisch erschallte durch die Höhle. „Wrreinkzz zkker gterew woi?“, brüllte der Anführer. Vermilion blieb zu meiner Überraschung völlig ruhig und antwortete ihm total ungerührt. „Ich euch nichtz unterstellen, ich wurde entführt.“ – „Wirr haben dir gerettet!“, mischte sich ein Dämon ein, den ich als einen der Entführer erkannte. Meine Hände ruhten auf Vermilions Schultern. Er gab mir die Sicherheit, die ich brauchte. „Woher wusstet ihr, dass er bei uns ist?“, wandte ich mich an den Anführer. Dieser blickte nur unverwandt Vermilion an. „Daz nichtz zurrr Sache tun. Wirr wuzzten ez!“ Ich seufzte. Offensichtlich glaubten diese Dämonen, dass wir Vermilion entführt und gefoltert hatten und dass sie ihn gerettet hatten. Wie hätte ich sie vom Gegenteil überzeugen können. In diesem Augenblick ertönte eine dumpfe Glocke und alles wurde unheimlich ruhig. Der Anführer erhob sich und verbeugte sich tief. Aus einem Nebeneingang betrat eine majestätische Dämonenfrau den Raum. Sie hatte strenge Augen und schien unendlich alt und weise. Sie wurde von einer Schar von Dämonenfrauen begleitet. Jeder im Raum schien vor Ehrfurcht zu erstarren. Zumindest fast jeder. „Oma!“, rief Vermilion und rannte mit ausgebreiteten Armen auf die Frau zu, die ihn mit offenen Armen empfing. Für einen kurzen Augenblick wurden ihre Gesichtszüge sanft und freundlich. Als sie wieder aufsah, war ihr Gesicht wieder steinhart. Sie nahm Vermilion auf den Arm und ging auf den Anführer zu, der sich sofort wegschlich. „Greikzzer roin.“, sagte sie und der Dämonenanführer stellte sich zu den anderen in den Kreis. Ich kam mir irgendwie ziemlich verloren vor. Ganz allein umringt von Dämonen, in einer dunklen Höhle und ich hatte keine Ahnung, wo genau ich war. Vermilion kuschelte sich in den Armen der Frau und war überglücklich, diese setzte sich auf den Steinthron. Ich musste lächeln, als ich seine glückliche Aura spürte. Er hatte mir schon von seiner Großmutter erzählt, aber ich hatte geglaubt, dass sie gestorben war. „Warum lächelst du, Mensch? Ist dir klar, wo du dich befindest, Mädchen?“ Ihre Stimme war hart und kalt und ich musste schlucken. „Aber Oma, ich denkte dir zeien tot! Du leben!“, mischte sich Vermilion ein. „Ja, ich habe den Angriff der Familie Cage überlebt.“ Es klang wie ein Vorwurf an mich gewandt. Ich bekam eine Gänsehaut von dieser kalten Stimme. Vermilion schaute seine Großmutter verwundert an und kletterte von ihrem Schoß. Er stellte sich neben mich und nahm meine Hand. „Oma, dazz zeien meine Freundin, Eve. Zie hat mir gerettet!“ Die Miene der Frau blieb hart. „Dämonen und Magier sind keine Freunde, mein Junge, dass habe ich dir doch oft genug erklärt.“ – „Warum zie zo sauer zeien, Eve? Zie zonst immer nett, ehrlich!“, sandte er mir telepathisch. Er versuchte sich offensichtlich für seine Großmutter zu entschuldigen. Dass er für mich Partei ergriff, fand ich unglaublich süß. Ich hob ihn hoch und umarmte ihn. Für viele Dämonen war das ein Schock. Sie zischten bedrohlich. Die Miene von Vermilions Großmutter veränderte sich nicht. „Wir sind Freunde, Kan Gorir.“ Ich verbeugte mich. Kan Gorir war das dämonische Wort für „Königin“, das hatte mir Vermilion mal erzählt. „Vielleicht sogar mehr als Freunde.“ Für einen winzigen Augenblick war auch Vermilions Großmutter überrascht. Sie fing sich blitzschnell und flüsterte eine ihrer Dienerinnen etwas zu, diese verbeugte sich und ging. „Wir werden uns unter vier Augen unterhalten.“ Sie wandte sich an die Schar der Dämonen im Raum. „Serrizz greikz gerr! Grreikkor toim mert wekkz.“ Die Dämonen verbeugten sich und verließen wortlos den Raum. Als der letzte gegangen war, erhob sich die Königin und verließ die Höhle durch eine kleinere Tür. „Ich glauben, wir ihr folgen zollen, Eve.“, sandte mir Vermilion. Ich nickte und folgte ihr. Ihre Dienerinnen sahen mich misstrauisch an. Der Raum, in den wir ihr folgten, war mit vielen bunten Seidenstoffen behangen. Er wirkte behaglich und schien ihr Schlafgemach zu sein. Sie setzte sich auf einen der weichen Sessel und rieb sich die Stirn. Dann sah sie Vermilion an und lächelte. All die Härte wich aus ihrem Gesicht und ich wunderte mich, wie jung sie doch aussah, wenn sie lächelte. „Mein Kleiner, ich bin so froh, dass es dir gut geht. Ich habe viele Gebete an den Himmel geschickt, dass ich dich und deine Eltern noch einmal sehen darf. Ich nehme an, dass die beiden nicht mehr leben, oder?“ Vermilion kletterte auf den Schoß seiner Großmutter und umarmte sie erneut. „Zie leben nicht mehr, aber du bist noch da, Oma!“ Er hatte Tränen in den Augen. Tränen der Trauer, aber auch der Freude. Ich musste den Drang selbst zu weinen runterschlucken und blieb vor den beiden stehen. „Ich bin noch da, genau wie du. Die einzigen Überlebenden der Irakih- Familie.“ Sie schaute mich böse an. Wieder ein Vorwurf. Aber was konnte ich denn für die Ungerechtigkeiten in unseren Familien. Ich war doch gerade mal einen Monat lang Teil der Cage- Familie. „Wie ist dein Name?“, fragte sie mich geradeheraus. „Evelyn Cage.“ Sie schaute mich überrascht an. “E- Evelyn?!” Vermilion und ich sahen uns verwundert an. „Waz izt denn Oma?“ Sie versuchte sich zu fangen. „Wessen Tochter bist du?“ Ich wunderte mich sehr, dass mein Name sie so überraschte, aber ich antwortete ihr ehrlich. „Mein Vater ist Boreg Cage und meine Mutter heißt Dilia, sie sind die Anführer des Cage- Clans.“ Sie sah mich streng an, als würde sie denken, ich würde lügen. Dann begriff ich. „Habt ihr mir meinen Namen gegeben?“ Ich hatte immer geglaubt, meine Adoptiveltern hätten mir meinen Namen gegeben, aber das musste ja nicht sein, schließlich war dies mein Geburtsort. „Ceraleon, meine treueste Dienerin, hat dir diesen Namen gegeben. Sie hat sich nach deiner Geburt um dich gekümmert.“ Sie flüsterte eine der Dienerinnen etwas zu und diese verbeugte sich und verließ den Raum. „Du weißt also, dass du hier geboren bist?“ Ich nickte. „Und wie kommt es, dass du bei den Cages bist? Ich hatte dich persönlich mit einem Bann belegt, damit du ganz normal bei den Menschen leben konntest.“ „Nun, das verdanke ich einigen widrigen Umständen.“, antwortete ich mit einem viel-sagenden Blick in Vermilions Richtung. Im nächsten Augenblick klopfte es an der Tür und eine hübsche, hoch gewachsene Dienerin betrat den Raum. Obwohl sie nicht besonders alt aussah, strahlte eine Aura von Weisheit aus, die mich faszinierte. Sie hatte langes schwarzes Haar und typisch rote Dämonenaugen. Als sie mich sah blieb sie erstarrt stehen und schnappte nach Luft. „A-Aber wieso...?“ Ich schaute Vermilions Großmutter verwundert an. „Dies ist Ceraleon. Cera, wie du richtig erkannt hast ist dies Evelyn.“ Die Dämonenfrau riss sich zusammen und setzte sich auf einen Stuhl neben ihre Herrin. Sie seufzte schwer und sah mich prüfend an. „Du bist groß geworden, Eve.“ Ich antwortete nicht. Wie konnte sie mich nach all den Jahren überhaupt erkennen? Sekunden des Schweigens vergingen, doch ich hielt es nicht mehr aus und stellte die Frage, die mich schon die ganze Zeit beschäftigte. „Wie kamen Sie eigentlich auf den Namen Evelyn?“ Ceraleons Gesicht nahm einen liebevollen Gesichtsausdruck an. „Ich wollte dich nach der ersten Frau der Menschen benenne und „Lynn“ ist der Name meiner verstorbenen Tochter. Evelyn ist ein sehr schöner Menschenname, findest du nicht?“ Eine komische Antwort und eine komische Frage, doch ich nickte. „Wieso bist du nicht bei den Menschen geblieben? Ich habe so gehofft, dass du fernab von Krieg und Verrat ein harmonisches Leben führen kannst, wieso bist du zurückgegangen?“ Die Frau klang betrübt, doch das liebevolle Gesicht blieb. „Man kann nicht trennen, was zusammen gehört.“, antwortete ich leise. „Auch wenn ich meine Familie erst seit einem Monat kenne, fühle ich mich mehr mit ihnen verbunden, als mit irgendjemand anderen auf dieser Welt.“ Die beiden Dämonenfrauen sahen mich verwundert an. „Du bist erst seit einem Monat bei den Cages?“ Ich nickte. „Ja, wieso?“ „Sie haben dich also nicht gleich wieder gefunden?“, warf Ceraleon ein. „Nein, die letzten zwölf Jahre habe ich bei meinen Adoptiveltern gelebt. Sie starben vor ein paar Monaten bei einem Autounfall. Danach habe ich Vermilion getroffen.“ Sie lauschten interessiert meiner Erzählung und unterbrachen mich nicht. „Wie hast du ihn getroffen? Es ist nicht gerade normal, dass Menschen auf Dämonen treffen.“, fragte mich Vermilions Großmutter. „Ich... äh, na ja. Drei Mitglieder meiner Familie...“ Es fiel mir schwer ihnen die Wahrheit zu sagen, doch das musste ich auch nicht, denn sie nickten wissend. „Wir wissen in etwa, was an diesem Abend geschah. Nach dem Vorfall haben wir ein paar unserer Leute hingeschickt. Ihre Leichen hatte man schon beseitigt, aber man hat viel Blut von ihnen gefunden. Wir dachten, alle drei wären tot.“ „Und wie seid ihr dann Freunde geworden?“, fragte Ceraleon. Diesmal sprach Vermilion. „Mama und Papa haben mir ihr anvertraut! Zie haben mir zu ihr geschickt.“ Ich war erstaunt, dass der kleine Kerl wusste, was seine Eltern an diesem Abend getan hatten. „Dann hat Eve mir gerettet!“, berichtete er stolz. „Zie hat die drei Männer weggelockt und ich haben mir versteckt.“ Vermilions Großmutter sah ihren Enkel liebevoll an. „Du hast so viel erlebt und wahrscheinlich auch viel gelernt. Du kannst schon viel besser sprechen und du bist gewachsen, Vermilion. Ich möchte dich an meiner Seite wissen und dich beschützen. Ich liebe dich und du erinnerst mich so sehr an deine Eltern, doch wenn du wieder gehen möchtest, stehe ich dir nicht im Weg.“ Alle im Raum sahen Vermilions Großmutter erstaunt an. Mir verschlug es die Sprache. „Aber, eure Majestät, das kann doch nicht euer ernst sein! Bedenkt doch, er ist der Prinz unseres Volkes und sie wollen ihn den Feinden ausliefern?“, Ceraleon war ganz irritiert. „Wirklich? Ich kann wieder zu Eve? Ich darf bei ihr bleiben?“ Vermilions Augen strahlten pure Glückseligkeit aus und er umarmte und küsste seine Großmutter Dutzende male. Diese sah mich ernst an. „Ich gebe ihn in deine Obhut, Evelyn Cage. Wenn ihm etwas zustößt, bist du dafür verantwortlich und wir werden dich bis ans Ende der Welt verfolgen!“ „Ist das wirklich euer ernst? Sie wollen mir die Zukunft eures Volkes anvertrauen?“ Auch ich sprach ernst und ruhig. „Vermilion ist nicht der direkte Nachfolger auf den Thron, sondern sein älterer Bruder, Verron.“ Die Nachricht überraschte mich. Vermilion hatte einen Bruder? Aber warum hatte er ihn nicht mit einen Wort erwähnt? Ich fragte ihn telepathisch. „Er ist sehr gemein... Ich mag ihn nicht.“ Seine Antwort war ehrlich aber ich wusste, es steckte mehr dahinter. Ich fragte nicht weiter nach. „Verron zieht es vor, Krieg gegen die Magier zu führen, als bei seiner Familie und bei seinem Volk zu sein.“ Vermilions Großmutter klang irgendwie enttäuscht und traurig. „Ich werde mich gut um Vermilion kümmern! Machen Sie sich keine Sorgen.“ Ich lenkte das Gespräch wieder in eine andere Richtung. „Ich muss aber wieder zurück. Meine Eltern machen sich bestimmt wahnsinnige Sorgen und suchen mich überall. Ich möchte nicht, dass sie euch finden, aber sie können mich erspüren.“ Cera lächelte. „Hier werden sie dich nicht finden, wir sind hier sehr gut geschützt!“ Die Königin sah mich nachdenklich an. „Kannst du deine Gedanken vor den Mitglieder deiner Familie abschirmen?“, fragte sie mich geradeheraus. Die Frage kam überraschend. Irgendwie fühlte ich mich an Anno erinnert. „Ich... noch nicht.“, gestand ich. „Das ist schlecht! Sie könnten aus deinen Erinnerungen unseren Aufenthaltsort herausfinden.“, sagte sie, noch immer nachdenklich. „Cera?“ Die Dämonenfrau schaute auf. „Eure Majestät?“ „Ruf bitte Tokiro herein. Ich möchte, dass er ihr es beibringt.“ Ich war so überrascht, wie Ceraleon guckte. „Tokiro?“ Sie nickte und Cera ging. „Da mein Enkel dir traut, werde auch ich es versuchen. Niemand kann uns hier finden. Zauber, so mächtig, wie alt, schützen diesen Ort. Solange du hier bist, Evelyn, kannst du gehen, wohin du willst. Ihr beiden solltet noch etwas schlafen, nachdem ich dir Tokiro vorgestellt habe.“ Wie auf Stichwort, klopfte es an der Tür. Vermilion döste schon auf meinem Schoß vor sich hin. „Komm herein, Tokiro!“ Ein junger schwarzhaariger Mann betrat den Raum. Er hatte dämonentypische rote Augen und ein schmales hübsches Gesicht. Er war höchstens 16, wie ich schätzte. „Eure Majestät, Ceraleon hat mir alles erzählt. Ist dies das besagte Mädchen?“ Er musterte mich geringschätzig. Ich wunderte mich, denn Ceraleon war gerade erst losgeschickt worden. Wie hatte sie ihm alles so schnell erzählen können? „Tokiro, dies ist Evelyn Cage. Evelyn, dies ist Tokiro, mein bester Schüler.“ Die Stimme der Königin klang ein wenig stolz. Ich nickte Tokiro zu und dieser sah mich kalt und abweisend an. „Eure Majestät, das kann nicht euer ernst sein! Sie ist eine Magierin!“ Unter dem strengen Blick seiner Lehrerin schwieg er bestürzt und fand sich wohl oder übel mit seinem Schicksal ab. „Wir beginnen morgen früh!“, fuhr er mich an und stapfte wütend aus dem Raum. Die Königin seufzte. „Er hat so viel Potenzial aber einfach kein Benehmen... Ich wünsche euch beiden eine angenehme Nacht.“ Sie schaute auf ihren schlafenden Enkel in meinem Schoß. „Du brauchst dir keine Sorgen um deine Sicherheit machen, ich werde dich offiziell als unseren Gast verkünden.“ Ich nickte. „Auch ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Kan Gorir.“ Ich verneigte mich leicht und stand behutsam auf, damit Vermilion nicht aufwachte. Ich folgte der Königin aus dem Raum, hinein in die große Höhle. „Meine Dienerin wird dir dein Quartier zeigen. Ich nehme Vermilion mit zu mir.“ Sie nahm mir vorsichtig den kleinen Jungen ab. Mir war mulmig zumute, doch ich sagte nichts. Es wäre einfach kindisch gewesen, wenn ich darauf bestanden hätte, ihn bei mir zu behalten. Sie war schließlich seine Großmutter und ich konnte mich notfalls immer noch telepathisch mit ihm unterhalten. Ich verbeugte mich noch einmal und drehte mich um, als plötzlich wie aus dem nichts ein riesiger, roter Energieball auf mich zugefasst kam. Ich hielt schützend meine Arme vors Gesicht und konnte gerade noch erkennen, wie die Energiekugel an einem hellblauen Schutzschild abprallte. Ein zweiter Energieball folgte, der den Schutzwall durchbrach und dann an einem roten Schild abprallte. Die Königin tauchte neben mir auf und sprach ein paar Worte, die ich nicht verstand. Die Angriffe hörten auf und ich konnte einen dürren Dämonenmann ein paar Hundert Meter vor uns in der Luft schweben sehen. Er schimpfte wütend und schlug wild um sich. „Grokal, wie kannst du es wagen unseren Gast anzugreifen?“ Die Stimme der Königin war eisig und der zappelnde Mann war plötzlich wie versteinert. Er schaute seine Königin an und schimpfte etwas auf Dämonisch, wobei er mit dem Finger auf mich deutete. „Ich werde mich darum kümmern, du kannst ins Bett gehen.“ Die Königin schaute mich entschuldigend an. Eine Dienerin tauchte wie aus dem nichts auf und verbeugte sich. Eine andere trug währenddessen Vermilion, der immer noch schlief, davon. „Vielen Dank, Majestät.“ Ich folgte der Dienerin auf wackeligen Beinen. Ich fühlte mich irgendwie schwach. Hatte ich etwa den ersten Schutzschild errichtet? Mit einem gewissen Stolz betrat ich das Gästezimmer. Es war ein wenig düster aber gemütlich. Die Dienerin wünschte mir eine schöne Nacht und schloss hinter sich die Tür. Ich war völlig allein. Allein mit mir und meinen Gedanken. Erst ein paar Stunden zuvor hatte ich noch seelenruhig im Haus meiner Familie geschlafen und hätte nicht glücklicher sein können, doch nun stand ich in einem dämonischen Raum, an einem völlig unbekannten Ort. Der nächste Morgen begann sehr früh, zu früh, wie ich fand. Eine Dienerin weckte mich und gab mir Kleidung zum Anziehen. Schwarze Kampfkleidung, ähnlich einem Karateanzug. Ich war noch gar nicht richtig wach, denn die Nacht zuvor hatte mich ziemlich ausgelaugt. Eine andere Dienerin band mir meine Haare zu einem geflochtenen Zopf und brachte mir etwas zu Essen. Sie sprachen nur sehr wenige, höfliche Worte und verschwanden sehr schnell wieder. Ich gähnte immer wieder. Wie lange hatte ich geschlafen? Sicher nicht mehr als 4 Stunden. Ceraleon betrat das Zimmer und wünschte mir einen schönen Morgen. „Wie spät ist es?“, fragte ich gähnend. Da es keine Fenster im Raum gab, wusste ich auch nicht, ob es schon hell war. Ceraleon lächelte. „Da ist wohl jemand ein Morgenmuffel. Es ist noch früh aber unsere Tage beginnen immer um diese Zeit.“ Als ich sie entgeistert anschaute, lachte sie. „Nun komm schon, dein Lehrmeister wartet.“ Meine Stimmung sank auf den Tiefstpunkt. Erst wurde ich von Dämonen entführt, dann wurde ich von einem angegriffen, ich wurde noch fast in der Nacht geweckt und sollte dann auch noch den Tag mit jemanden verbringen, der mich auf den Tod nicht leiden konnte. Ein fantastischer Tag. Cera führte mich durch dunkle Korridore in eine größere Halle. Die Wände der Korridore waren alle aus bearbeitetem, schwarzen Fels. Diese Halle sah allerdings so natürlich aus, wie die der Königin. In der Mitte der Halle saß Tokiro in einem aufgemalten Kreis, der mit Kerzen umrandet war. Er sah mich wütend an. „Du bist spät.“ Ceraleon wünschte mir viel Glück und verließ grinsend die Höhle. „Setz dich vor mich in den Kreis.“, fuhr er mich an. Ich atmete noch einmal tief ein und machte mich an mein Training. Tokiro war, wie erwartet, ein sehr strenger Lehrer, aber ich nahm das Training sehr ernst. Ich wollte alles lernen, was mit Magie zu tun hatte, besonders nach dem Erlebnis mit dem Schutzschild. Nachdem ich die Theorie gelernt hatte, kamen wir zur Praxis. „Also konzentrier dich und ich versuche in deine Gedanken einzudringen.“ Offenbar hatte sich Tokiros Einstellung zu mir etwas geändert, als er merkte, wie ernst ich seine Lektionen nahm. Doch er blieb abweisend. „Fangen wir an.“ Ich konzentrierte mich und versuchte an eine schwarze Wand zu denken, als ich spürte, wie Tokiro meine Gedanken lesen wollte. Es gelang mir kurze Zeit, doch meine Gedanken schweiften ab und das gestrige Erlebnis, mit dem angreifenden Dämonen und dem Schutzschild kam mir in den Sinn. „Konzentriere dich!“, ermahnte mich Tokiro. „Entschuldigung.“ Ich dachte wieder an das Bild von der schwarzen Wand und versuchte nur noch an sie zu denken. Diesmal gelang es mir und das Bild blieb standhaft. „Viel besser.“, sagte Tokiro ernst. Ich konnte dennoch den Anflug eines Lächelns in seinem Gesicht sehen. „Versuchen wir es weiter. Das Bild muss auch unbewusst erscheinen und deine Gedanken schützen. Du wirst nicht immer wissen, wann jemand deine Gedanken lesen will.“ Ich nickte. Schließlich hatte ich rein gar nichts gespürt, als dieser Anno meine Gedanken las. Wir übten noch stundenlang, bis die Wand ganz von selbst erschien. Ich war ziemlich erschöpft und auch Tokiro schien ein wenig geschafft zu sein. Wir machten eine Pause und aßen gemeinsam. „Sag mal, warum hast du vorhin an diesen Angriff gedacht? War das so ein einschneidendes Erlebnis?“ Ich lächelte. „Nein, als ich zu mir nach Hause kam, wurde ich genauso empfangen... Ich war nur überrascht, dass ich ein Schutzschild errichten konnte.“ Er schaute mich verwundert an. „Wieso? Das ist doch ziemlich leicht. Bei deinem Talent war das doch sicher kein Problem.“ Ich fühlte mich ein wenig geschmeichelt. „Ich bin erst seit kurzen bei meiner Familie. Ich hatte noch keinen Magieunterricht.“ Er war sehr überrascht. „Noch keinen Unterricht?“ Er sah mich mit leuchtenden Augen an. „Was ich dir alles beibringen könnte! Ohne Einfluss von Magiern...“ Er schaute verträumt zur Decke. „Es wäre eine Verschwendung, wenn du deine große Kraft für Magier einsetzen würdest! Willst du nicht lieber hier bleiben? Ich würde dir beibringen, deine Kräfte zu beherrschen. Unsere Majestät könnte dir dann den letzten Schliff geben. Sie ist eine sehr mächtige Frau und eine gute Lehrerin!“ Er redete voller Überschwang und legte mit einem Mal seine Abneigung gegen mich völlig ab. „Das kann ich nicht...“, antwortete ich leise. Er schaute mich an und das Leuchten verschwand aus seinen Augen. „Stimmt ja... Du bist die zukünftige Herrscherin der Magier.“ Er seufzte enttäuscht. „Ich wäre aber froh, dich als meinen Lehrer zu haben. Der, den ich kriege, ist einfach grässlich.“ Er grinste. Irgendwie sah er ja doch gut aus, schoss es mir durch den Kopf. Ich tadelte mich für meine Gedanken. Plötzlich spürte ich, wie jemand in meine Gedanken eindringen wollte. Die Wand tauchte von selbst auf, doch ich schob sie mit aller Kraft zur Seite. „Vermilion!“ „Endlich erreichen ich dir, Eve!“ Seine Stimme klang in meinem Kopf sehr erschöpft. „Ich hatte doch Training, um meine Gedanken zu schützen. Tut mir Leid, mein Kleiner.“ Ich spürte seine Freude. „Großmutter hat mir gesagt, dass wir nachher alle zusammen Mittagessen. Sie wollen sehen, wie dein Training läuft und dann wir können vielleicht schon gehen, nach dir nach Hause!“ Ich lachte. „Alles in Ordnung?“, fragte mich Tokiro und sah mich leicht verwirrt an. „Ja, ich bin nur in Gedanken.“ „Lass uns weiter Trainieren. Ich möchte dir noch so viel, wie möglich beibringen.“ Ich nickte. „Ich werde jetzt weiter Trainieren, Vermilion. Wir sehen uns dann nachher beim Mittagessen. Wir kommen schneller nach Hause, als du denkst, du wirst sehn.“ – „Bis dann, Eve.“ Ich folgte Tokiro zum Kreis und er brachte mir noch kleinere Zauber bei, mit denen ich mich verteidigen konnte. Zu mehr hatten wir keine Zeit. Vor allem mein Schutzschild wurde durch das Training um einiges stärker. Gegen Mittag kam Ceraleon und holte uns zum Mittagessen. „Die Königin wünscht, mit euch zu Mittag zu essen. Sie ist gespannt auf die Fortschritten des Trainings.“ Ich wischte mir mit einem Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht. „Alles in Ordnung, Eve?“ Sie musterte mich leicht beunruhigt. „Natürlich!“, sagte ich munter. Das Training hatte mich erschöpft, aber es war eine gute Art der Erschöpfung. Ich hatte viel gelernt. „Ich hab jetzt einen Bärenhunger!“ Wir gingen durch viele dunkle Korridore. Es gab nirgendwo Tageslicht, deshalb nahm ich an, dass wir uns unter der Erde befinden mussten. Überall standen Kerzenleuchter und an den Wänden hingen Dutzende Fackeln. Sie verbreiteten gewisse Wärme und genügend Licht. Doch der Raum, den wir betraten, erinnerte mich daran, dass es dennoch ziemlich dunkel war. Wir betraten einen hellgestrichenen Raum, der Prächtig ausgestattet war. Es hingen Porträts von verschieden Dämonen an den Wänden und die Schränke waren mit bunten Blumenvasen ausgestattet. Es war ein schönes, aber ziemlich undämonisches Zimmer. In der Mitte des Raumes befand sich ein riesiger Tisch an dem die Königin und Vermilion saßen. Wir verbeugten uns nahezu gleichzeitig und Vermilion grinste mich glücklich an. „Setzt euch doch.“, sagte die Königin zufrieden. Ein paar Diener brachten das Essen. Ich setzte mich neben Vermilion; Tokiro und Ceraleon setzten sich mir gegenüber. „Nun, wie läuft euer Training?“, fragte die Königin an Tokiro gewandt, als wir mit dem Essen anfingen. Tokiro schien auf diese Frage gewartet zu haben und er hatte wieder diesen leidenschaftlichen Gesichtsausdruck, den er allerdings etwas zurückhielt. „Sie ist unglaublich talentiert, eure Majestät!“, fing er an zu berichten. Die Königin und Ceraleon hörten verdutzt auf zu essen und sahen den jungen Mann überrascht an. „Sie hat sehr schnell alles begriffen, ich wusste ja gar nicht, dass es so talentierte Magier gibt.“ Die Königin fing sich, wie immer, sehr schnell und lächelte. „Sie überrascht uns doch alle. Ich bin froh, dass es keine Probleme gab, denn die Zeit drängt und ihr werdet nach dem Essen gehen.“, sagte sie an Vermilion und mich gewandt. Mir war es peinlich, wie sie über mich redeten und wurde rot. „Sehr wohl, Eure Majestät. Vielen Dank.“ Tokiro berichtete noch weiter begeistert von meiner Lernfähigkeit und Vermilion und ich redeten telepathisch über unseren Tag. Vermilion hatte den Tag genutzt, um Zeit mit seiner Großmutter zu verbringen. Nach dem Essen machten wir uns reisefertig. Ich bekam noch ein paar Kampfanzüge von Tokiro, Reiseproviant von Ceraleon und die Königin schenkte mir ein wunderschönes Medaillon, dass ich voller Ehrfurcht annahm. Auch Vermilion kam mit einem vollgepackten Rucksack aus seinem Zimmer. „Tokiro wird euch den Weg zeigen, passt gut auf euch auf!“ Ceraleon umarmte mich und verbeugte sich vor Vermilion, dieser wurde leicht verlegen. Die Königin trat vor uns und sah mich ernst an. „Die Zukunft wird uns eines Tages wieder zusammenführen, das spüre ich. Ich wünsche mir, das sich deine Einstellung zu uns sich bis dahin nicht geändert hat, Evelyn Cage. Ich vertraue dir meinen Enkel an, weil ich weiß, dass er bei dir glücklich werden kann. Das Leben hier ist nichts für ihn, das haben seine Eltern schon gewusst, als sie beschlossen in der Menschenwelt zu leben. Eines Tages wird er vielleicht den Thron besteigen und bis dahin soll er so viele Erfahrungen, wie möglich machen.“ Sie verbeugte sich und ich mich ebenfalls. „Ich danke Ihnen für alles, Kan Gorir. Ich werde Ihre Worte im Herzen bewahren.“ Sie lächelte und wandte sich dann an ihren Enkel. „Pass gut auf dich und deine Freundin auf. Euer Schicksal ist miteinander verflochten. Ich wünsche mir, dass du ein starker Mann wirst und viel lernst.“ Sie umarmte ihn. „Auf Wiedersehen, mein Schatz.“ Vermilion hatte Tränen in seinen Augen. „Du wirst stolz auf mich sein, Oma.“ Er hatte sich bemüht, alles richtig auszusprechen. „Auf Wiedersehen.“ Wir folgten Tokiro in einen langen dunklen Tunnel und winkten den beiden Frauen ein letztes Mal zu. Tokiro beleuchtete den Weg mit einer magischen roten Kugel, die er vor sich schweben ließ und nutze die Zeit, mir diesen Trick bei zu bringen. Nach fünfzehn Minuten schwebten eine rote und eine blaue Lichtkugel nebeneinander vor uns her. „Es ist schade, dass ihr schon geht. Ich hätte euch beide unterrichten können.“ Er wandte sich erstmals an Vermilion. „Die Königsfamilie bringt immer starke Krieger hervor, sicher seid Ihr so talentiert wie Euer Bruder, Prinz.“ Vermilion schaute verlegen zum Boden. „Er ist stark, das hat er mir oft genug bewiesen!“, antwortete ich für ihn. Wir hatten einen langen Weg vor uns und Tokiro erklärte mir noch paar theoretische Grundlagen der Magie. Ich unterhielt mich gerne mit ihm. Er war sehr aufgeschlossen und war ein wenig enttäuscht, als wir das Ende des Tunnels erreichten. „Von hier aus, müsst ihr alleine gehen.“, erklärte und Tokiro. „Geht so weit vom Höhleneingang weg, wie ihr es für nötig haltet und nimm Kontakt mit deiner Familie auf.“ Ich nickte. Ich war ihm so dankbar für alles, dass Worte einfach nicht ausreichten, um dies auszudrücken. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Tokiro erstarrte und wurde knallrot. „V... Viel Glück! Bis bald!“, stotterte er und eilte hastig in den Tunnel zurück. Im nächsten Augenblick verschwand der Eingang und eine glatte Felswand blieb zurück. Wir standen in einem Wald und schauten uns nach allen Richtungen um. Als wir uns für eine Richtung entschieden, gingen wir los. Vermilion grinste mich. „Du mögen Tokiro sehr gerne, oder.“ Ich wurde ein wenig rot. „Er ist nett.“, antwortete ich nur. Sein Grinsen wurde noch breiter. „Nett, ahaaa...“ Mein Gesicht wurde immer heißer. „Lass mich doch.“ Er zog mich noch ein wenig auf und es war ein gemütlicher Spaziergang durch den Wald. „Was werden wir deine Familie sagen? Sie werden fragen, wo wir waren.“ Ich seufzte. Daran hatte ich auch schon gedacht. „Ich werde mir schon etwas einfallen lassen. Sie werden wahrscheinlich so froh sein, dass ich zurück bin, dass ihnen alles andere egal sein wird.“ – „Hoffentlich.“ Vermilion wirkte sehr nachdenklich. Nach etwa einer Stunde entschieden wir, dass wir weit genug vom Eingang der Höhle entfernt waren. Ich setzte mich auf den Boden und konzentrierte mich. Ich schickte meinen Geist auf die Suche nach einem Cage und fand sehr schnell die Spur meines Vaters. Ich folgte ihr und entdeckte seinen Geist. Ich rief ihn. „Papa?“ Ich spürte, wie er erschrak. „Evelyn?“ Er schien fast zu weinen vor Freude. „Ja, ich bin es aber ich weiß nicht wo ich bin...“ – „Bleib wo du bist, wir kommen dich abholen!“ Er verschwand und mein Geist kehrte in meinen Körper zurück. „Und? Du sie gefunden, Eve?“, fragte mich Vermilion, nachdem ich meine Augen wieder geöffnet hatte. „Ja, sie kommen gleich und holen uns ab.“ Ich spürte, wie mehrere Familienmitglieder nach meinem Geist suchten und ihn fanden. Keine 10 Minuten später tauchten meine Eltern, wie aus dem Nichts, auf und eine ganze Schar bewaffneter Krieger folgte. Meine Mutter rannte glücklich auf mich zu und überhäufte mich mit Küssen, während sich mein Vater besorgt umschaute. Er glaubte allem Anschein nach an einen Hinterhalt. Die Krieger verteilten sich in alle Richtungen. Als ich mich von meiner Mutter lösen konnte, lief ich zu meinem Vater und umarmte ihn. Er zitterte vor Freude und Erleichterung. „Ich bin so froh, dass du noch lebst, Evelyn!“ Er erdrückte mich fast. „Lass uns nach Hause gehen.“ Ich ging zu Vermilion und reichte ihm meine Hand. Meine Eltern schienen ihn erst jetzt zu bemerken. „Wieso bist du auch zurück? Haben sie dich verstoßen?“ Meine Mutter schaute ihn nervös an. Vermilion schüttelte seinen Kopf. „Sie haben mir auch gehen lassen.“ „In wie fern?“, hakte mein Vater nach. „Lass uns doch erst mal nach Hause gehen.“, unterbrach ich ihn. Mein Vater reichte mir die Hand. „Wir werden Teleportieren.“ Ich schaute ihn wenig begeistert an. „Es macht spaß, du wirst sehen, Schatz!“, versuchte mich meine Mutter aufzumuntern. „Und Vermilion?“ Meine Mutter lächelte. „Ich werde ihn mitnehmen, in Ordnung?“ Die Frage war an uns beide gerichtet. Wir nickten und Vermilion reichte meiner Mutter seine Hand. Es machte wirklich spaß. Die Umgebung um uns herum verschwand und wir tauchten in ein Meer von Farben ein. Es war, als könnte ich fliegen. Nur allzu bald bildeten die Farben um uns herum die Form unseres zu Hauses an. Wir standen vor der großen Treppe des Haupteingangs, vor der, wie selbst verständlich, eine Reihe Diener uns begrüßten. Shirai kam aufgeregt auf mich zu gerannt und umarmte mich. „Oh, du hast tatsächlich überlebt, ich bin so froh!“ Sie schaute mich von oben bis unten an, als würde sie nach etwas suchen. „Und du bist völlig unverletzt!“ – „Lasst uns erst einmal reingehen.“, ermahnte sie mein Vater. Ich drehte mich um und entdeckte, dass meine Mutter noch immer die Hand von Vermilion hielt und dieser sich leicht nervös umschaute. Es war irgendwie niedlich. Vermilion bemerkte mein Gesicht und schaute verlegen zum Boden. Er wollte die Hand meiner Mutter nicht loslassen, damit sie sich nicht beleidigt fühlte. Meine Mutter schien es gar nicht zu merken. „Mama?“ Sie schaute mich überrascht an. „Was ist, Liebling?“ Ich schaute Vermilion an und dann meine Mutter. Sie sah zu ihm herunter und ließ seine Hand los. „Oh, Verzeihung.“ – „Schon in Ordnung...“, nuschelte Vermilion verlegen. Wir gingen ins Haus zu Großvater. Dieser hieß mich eher Kühl willkommen. „Du hast uns eine Menge Ärger gekostet. Fast die ganze Familie hat dich seit gestern Nacht gesucht und nicht einmal geschlafen.“ – „Es tut mir Leid, Großvater... Es war bestimmt nicht meine Absicht.“ Wieso machte er mir Vorwürfe? Ich hatte mich bestimmt nicht mit Absicht entführen lassen. Obwohl? Eigentlich ja schon. Es klopfte an der Tür und zu meinem Leidwesen kam Anno herein. Er sagte nichts, sondern schaute mich nur wieder mit diesem seltsamen neugierigen Blick an. Ich spürte, wie er versuchte meine Gedanken zu lesen, doch die schwarze Wand tauchte auf und er kam nicht an sie ran. Es war eine innere Befriedigung. Jetzt würde er mich nicht mehr so aufziehen können. „Es ist ein Wunder, dass du unversehrt zurückgekehrt bist, aber einfach unglaublich ist, dass du deinen kleinen Freund wieder mitgebracht hast. Das musst du mir schon erklären.“ Ich seufzte. Zum Glück hatte ich mir schon etwas ausgedacht. „Wir wurden frei gelassen. Ich weiß auch nicht genau, warum.“ Er sah mich ungläubig an. „Einfach frei gelassen?“ Vermilion nickte. Wir sprachen unsere Aussagen telepathisch ab. „Und was ist während deines Aufenthalts dort geschehen? Haben sie dir schreckliche Dinge angetan?“ Shirai war den Tränen nahe. Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein, ich wurde äußerst respektvoll behandelt. Die Königin hat sich sehr gut um mich gekümmert.“ Ich bemerkte Großvaters misstrauischen Blick und lächelte so unschuldig, wie möglich. Hoffentlich kaufte er mir die Unwissenheitsnummer ab. „Haben sie dir irgendwelche Fragen über uns gestellt?“ – „Nein, sie wollten nur wissen, wer ich bin.“ Meine Mutter mischte sich ein. „Und du hast es ihnen gesagt?“ „Das habe ich. Auch wenn sie sehr überrascht waren, sie waren höflich zu mir. Ich bin noch ein Kind und ich habe niemanden etwas getan, warum sollten sie mir also etwas antun?“ Alle, außer Anno waren verdutzt. Das erste Mal mischte auch er sich ein. „Wieso haben sie dich entführt, wenn sie nicht einmal wussten wer du bist?“ Ich schaute ihn wütend an. „Es war meine Schuld. Eigentlich wollten sie nur Vermilion zurückholen.“ Er grinste und ich hasste dieses überlegene Getue. „Und deshalb haben sie ihn auch wieder einfach so gehen lassen?“ Diesmal sprach Vermilion. „Ich haben sie überredet. Als ich sagen, dass ich hier sicher, sie mich gehen lassen. Es haben lange gedauert, aber ich sie überredet.“ Großvater schaute Vermilion streng an. „Vom welchen Stand ist deine Familie? Es muss ein minderer sein, sonst hätten sie dich sicher nicht gehen lassen.“ Vermilion schwieg. „Soll ich ihnen Wahrheit sagen, Eve?“, Vermilions Gedanken klangen unsicher. Ich antwortete für ihn. „Seine Familie waren einfache Bürger, soweit ich es richtig verstanden habe.“ Wir diskutierten noch eine Weile, doch nach und nach schienen alle zufrieden zu sein. Nur eine Frage stand noch offen und die musste natürlich Anno stellen. „Wo ist ihr Versteck?“ Ich spielte die Unwissende. „Das weiß ich nicht, man hat mir die Augen verbunden.“ Anno schaute zu Vermilion. „Und dir haben sie auch die Augen verbunden?“ Der ironische Unterton stärkte meinen Hass auf diesen miesen Kerl noch mehr. „Nein, sie mir nicht die Augen verbindet, ich bin einer von ihnen.“ „Und weißt du, wo es ist?“, fragte mein Vater angespannt. „Ich werde sie nicht verraten.“ Vermilion schaute mit festem Blick in die Runde. „Natürlich nicht.“, mischte sich meine Mutter ein. Mein Vater schaute sie fragend an. „Er ist ein Dämon, schon vergessen? Niemand verrät seine Familie.“ Die anderen stimmten zu. Sie hätten ihn wahrscheinlich gefoltert, wenn ich nicht da gewesen wäre. Sie gaben sich nach einigen Stunden endlich zufrieden. „So etwas soll nicht noch einmal geschehen.“, sagte Großvater im strengem Ton. Ich spürte seine Erschöpfung, er hatte lange nicht geschlafen. „Wir haben die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Außerdem bekommst du einen persönlichen Leibwächter, der dich überall hin begleitet.“ Das hatte mir noch gefehlt, ein Babysitter. „Wir können nicht riskieren, dass unserer zukünftigen Erbin etwas zustößt.“, beendete Großvater seine Rede. Am selben Tag stellte man mir einen Leibwächter zur Seite. Sein Name war Kunan und er wirkte mehr wie ein Schatten und nicht wie ein Mensch. Er redete nie, was mich irgendwie verunsicherte. Er war ein älterer Mann, sehr schlank und so leise, dass ich ihn manchmal gar nicht bemerkte. Sein Gesicht hatte immer den gleichen resignierten Ausdruck und sein grau-meliertes Haar war wie bei den Samurai zu einem Knoten gebunden. Eigentlich war er mir nicht wirklich lästig, denn ich vergaß sehr oft, dass er da war. Auch Vermilion hatte keine Schwierigkeiten, sich an ihn zu gewöhnen. Er erzählte mir von den Leibwächtern, die er gehabt hatte und dass es immer riesige, muskelbepackte Männer waren, die alles andere als unauffällig waren. Nach dem Abendessen legte ich mich erschöpft in mein Bett. Endlich war ich wieder zu Hause. Ich hatte viel erfahren und gelernt. Eines Tages würde ich meiner Familie die Wahrheit über Vermilions Herkunft sagen können, doch noch war die Zeit nicht reif dafür. Ich schlief endlich ein, doch mein Schlaf war sehr unruhig. Kapitel 9: Der Gefangene ------------------------ Der Gefangene Ich träumte von Dunkelheit und ich hörte eine Stimme. „Hilfe...“ Sie war ganz leise. Eher ein Wimmern. „Wer bist du?“, rief ich. Ein überraschtes Schluchzen. „Hilfe...“ – „Ich kann dir helfen, wenn ich weiß wo du bist! Sag mir wo du bist!“ Das Schluchzen entfernte sich. „Wo bist du?“ Ich wachte auf. „Hilfe...“ Es war leise, doch ich hörte es. Es war kein Traum. Ich richtete mich auf und weckte telepathisch Vermilion. „Wazist?“, murmelte er verschlafen. „Jemand hat nach Hilfe gerufen! Wir müssen helfen!“ – „Du geträumt...“ Er schlief schon fast wieder. „Ich mache mich auf die Suche nach ihm.“ Ich war mir sicher, dass es ein Junge war. „Viel spaz!“ Und schon schlief er wieder. Ich war sauer, dass er mich nicht ernst nahm. Ich stand auf und zog mir einen der Kampfanzüge von Tokiro an, da ich nicht lange suchen wollte. Ich schlich aus meinem Zimmer und überlegte. „Wo bist du?“ Ich konzentrierte mich, so gut ich konnte. „Hilfe...“ Ich hatte seine Spur gefunden und folgte ihr. Ich ging durch das dunkle Haus und folgte dem Hilferuf hoch konzentriert. Er war weit entfernt. Seine Spur führte mich in eine Sackgasse. Vor mir war eine Wand. Ich schaute mich um. Irgendetwas stimmte nicht. Ich hörte wieder das Wimmern. Ich fummelte an dem Kerzenständer rum, er war das einzige an dieser Wand und es öffnete sich eine Geheimtür. Zufrieden ging ich in den Geheimgang. Ich ließ eine Lichtkugel vor mir schweben, so wie es mir Tokiro beigebracht hatte und gelangte zu einer Weggabelung. Ich schloss die Augen und suchte nach seiner Spur. Er rief nicht mehr nach Hilfe aber ich hörte sein Wimmern. Ich ging nach rechts. Genauso machte ich mit den anderen Weggabelungen. Ich befand mich in einem Labyrinth und ich vertraute ganz meinem Instinkt. Schon nach kurzer Zeit landete ich in einer Sackgasse. Zumindest auf den ersten Blick, denn ich entdeckte erneut eine Geheimtür. Ich fühlte mich wie bei den Dämonen. Mich umgaben schwarze Wände an denen Fackeln hingen, doch etwas war anders. Als ich dem Gang folgte, kam ich an Gitterstäben vorbei. Es war eine Zelle. Es saß niemand darin, aber ich sah Blutspuren auf dem Boden. Jetzt hörte ich das Wimmern, nicht in meinem Kopf, sondern mit meinen Ohren. Der Junge war hier. Ich hörte Stimmen von Männern. „Das kleine Monster soll endlich die Schnauze halten! Dieses wimmern nervt!“ Ein anderer antwortete. „Ich sollte ihn wieder eine Tracht Prügel geben!“ Ich spürte, dass die Männer Mitglieder meiner Familie waren. Sie waren um viele Ecken mit mir verwand und ich wusste irgendwie ihre Namen: Nosar und Kirel. Eine Tür wurde geöffnet und ich versteckte mich hinter einer Wand. Ich hörte einen Schlüssel klirren und wie ein Schloss aufgeschlossen wurde. „Sei endlich still, du Wurm!“ Kirel schrie den Jungen an. Dann hörte ich einen Tritt und mein Herz schlug schneller. Er trat einen Jungen! Was sollte das? Ich atmete tief ein und überlegte, was ich tun sollte. Ich war die zukünftige Herrscherin dieser Familie, sie mussten auf mich hören... Oder? Ich nahm all meinen Mut zusammen und setzte den stärksten Blick auf, den ich hatte. Ich ging ruhig auf die Tür zu, die Kirel gerade aufgeschlossen hatte. Es war ein schäbiger, kleiner Raum, ohne Fenster oder Licht. In einer Ecke kauerte eine kleine Gestalt, die umbarmherzig den Füßen Kirels ausgeliefert war. „Hör sofort damit auf, Kirel!“ Ich war selbst überrascht von der strenge in meiner Stimme. Der Mann drehte sich schockiert um. „Was zum... Was machen Sie denn hier, Prinzessin?“ Prinzessin... Wie das klang. „Ich will sofort wissen, was hier los ist!“ Nosar kam hinzu. „Was ist denn los? Was zum...?“ Als er mich sah verbeugte er sich. „Was machen Sie denn hier?“ Ich sah ihn völlig gefühllos an. „Ich möchte aufgeklärt werden. Was ist hier los?“ „Das ist nur ein Kriegsgefangener, Majestät.“ Jetzt sah ich die zusammengekauerte Gestalt deutlicher. Es war ein Junge, etwa in meinem Alter. Seine Haare waren silbergrau und er hatte, wie ein Dämon, spitze Ohren. Er hatte ausdruckslose goldene Augen und war völlig abgemagert. Er machte sich so klein wie möglich und wimmerte leise. Ich konnte es nicht ertragen. Sein ganzer Körper war übersät mit Wunden. Mir kamen fast die Tränen, doch ich schluckte sie runter. Ich musste jetzt stark sein. „Dieser Junge ist nicht älter als ich, wie könnt ihr ihm nur so etwas antun?“ Ich schrie sie förmlich an. „Er ist nur ein Monster...“ – „Ein Lebewesen!“ Ich war so wütend, wie nie zuvor. Die beiden Männer fühlten sich beleidigt. Ein Kind schrie sie an. Ich funkelte die beiden an und ging zu den Jungen. Dieser versuchte verzweifelt, sich noch kleiner zu machen. Er zitterte am ganzen Leib. „Was habt ihr ihm nur angetan!“ Nosar schnaubte verächtlich. Ich war so wütend, dass sich in meiner Hand, wie von selbst ein Feuerball bildete. Es war nur ein Kleiner, doch ich schleuderte ihn Nosar an die Brust. Dieser fiel zurück auf den Boden. Im nächsten Augenblick sprang Kirel vor und griff mich an. Ich brauchte mich nicht zu schützen, denn im selben Augenblick sprang Kunan aus dem Nichts hervor und schlug Nosar nieder. Kirel rappelte sich auf und griff Kunan an, dieser schlug ihn so schnell KO, dass meine Augen gar nicht hinterher kamen. „Danke.“, nuschelte ich. Kunan verbeugte sich nur und verschwand in den Hintergrund. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Jungen. Ich wollte seine Schulter berühren und hockte mich vor ihn, doch er zuckte zusammen und wimmerte laut. „Keine Angst, ich tue dir nichts!“ Ich strich leicht über seine zerkratzte Haut. Er war völlig verängstigt. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Wie konnte man nur einen Kind so viel Leid zufügen? Der Junge sah mich ängstlich an, hörte aber auf zu wimmern. „Hilfe...“ Er sandte mir die Worte telepathisch. „Ja, Hilfe!“, antwortete ich ihm. Er beruhigte sich etwas und ich reichte ihm meine Hand. Er schaute sie entgeistert an. „Gorran kzing, sgir?” Ich verstand kein Wort. „Ich verstehe dich nicht... Komm mit mir.“ Ich sprach ruhig und freundlich. Zitternd nahm er meine Hand. „Gut so. Komm schon.“ Er stand sehr langsam auf und zitterte am ganzen Leib. Er trug nur so etwas, wie einen schwarzen Lendenschurz. „Kunan, kann ich deinen Umhang haben?“ Ohne zu zögern zog er ihn aus und reichte ihn mir. Ich legte ihm den Umhang um. „Jetzt wird alles wieder gut.“ Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und beruhigte mich. „Weißt du, wie wir zurück kommen, Kunan?“ Kunan nickte und ging voran. Ich folgte ihm langsam, denn der Junge schwankte stark. Seine Beine waren voller Schnitte und blaue Flecke. Er war größer als ich, deshalb konnte ich ihn auch nicht tragen. „Kunan, kannst du ihn tragen? So kommen wir nicht voran.“ Kunan nickte und beugte sich nach vorn. Ich half dem Jungen auf seinen Rücken. Er stäubte sich, meine Hand los zu lassen, also hielt ich sie fest. So gingen wir die dunklen Gänge zurück. Wir machten uns auf den Weg in mein Zimmer, doch ich entschied mich eine Tür weiter zu gehen. „Vermilion!“ Er schlief immer noch tief und fest. Ich ging auf ihn zu, wobei ich Kunan und den Jungen mit mir zog. „Wach endlich auf!“ Er öffnete die Augen. „Ist schon Morgen?“ Er realisierte, dass noch andere Personen im Raum waren und richtete sich ruckartig auf. Ich schaltete das Licht an und der Junge auf Kunans Rücken fing an zu wimmern. Er war Licht anscheinend nicht gewöhnt. Vermilions Augen weiteten sich. „Wer oder waz ist denn daz?“ Er musterte den seltsamen Jungen genau. Er hatte eine schneeweiße Haut, doch man sah fast nur blaue oder grüne Flecken, sowie ziemlich viele Schnittwunden und Schmutz. Er fluchte leise etwas auf Dämonisch. „Lass ihn bitte runter Kunan.“ Wortlos setzte er den Jungen ab. Dieser flitzte so schnell wie er konnte unter Vermilions Bett. „Würdest du uns bitte allein lassen?“ Kunan verbeugte sich, wie immer, wortlos und verließ auf leisen Sohlen den Raum. Vermilion beugte sich unter sein Bett und flüsterte dem Jungen etwas auf Dämonisch zu. Dieser antwortete kleinlaut. „Er haben angst.“, erklärte er mir. „Ich weiß! Ich habe ihn in einem Verließ hier im Haus gefunden! Kannst du das glauben? Meine eigene Familie haben ein wehrloses Kind misshandelt!“ Ich lief wütend im Zimmer auf und ab. Der Junge sagte etwas auf Dämonisch und Vermilion ermahnte mich. „Du machen ihn angst, Eve! Nicht so laut!“ Ich entschuldigte mich. Tausend Dinge schwirrten mir im Kopf herum. Ich musste mit meinen Eltern reden, unbedingt. „Ich muss zu meinen Eltern.“, sagte ich laut. Vermilion schaute mich ruhig an. „Es seien sehr spät. Du können morgen mit ihnen reden.“ Er hatte recht aber ich war so wütend. „Vielleicht wir erst mal Jungen heilen.“, sagte Vermilion so ruhig, wie zuvor. Ich blieb stehen und starrte ihn an. Daran hatte ich gar nicht gedacht, der arme Junge. Ich setzte mich neben Vermilion und schaute unter sein Bett. Der Junge kauerte sich ängstlich zusammen. „Hey,“, sagte ich ruhig, „du brauchst keine angst haben. Na komm.“ Ich reichte ihm meine Hand. Er sah sie nachdenklich an. „Hilfe.“, sandte ich ihm telepathisch und er schaute mich überrascht an. Zögernd nahm er meine Hand und kam unter dem Bett hervor. „Kannst du ihn heilen, Vermilion?“ Er nickte. „Ich seien nicht sehr gut, aber er haben keine große Wunden..“ Vermilion nahm die zitternde Hand des Jungen und schloss die Augen. Aus seiner Hand strahlte ein rotes Licht. Auch der Junge schloss seine Augen und ich staunte nicht schlecht, als nach und nach eine Wunde nach der anderen verschwand. Der seltsame Junge sah ziemlich gut aus, doch er war noch immer sehr abgemagert. Vermilion öffnete keuchend seine Augen. „Alles in Ordnung, mein Kleiner?“ Er nickte schwach. „Ich muss nur ausruhen.“ Er begab sich wackelig in sein Bett und schmiss sich erschöpft auf seine Matratze. „Ruh dich ruhig aus, ich kümmere mich um den Rest.“, sagte ich zu Vermilion und richtete meine Aufmerksamkeit auf den Jungen, der mich mit einer Mischung aus Angst und Neugier musterte. Ich lief ins Bad nebenan, ließ die Badewanne voll laufen und suchte Handtücher zusammen. Ich brauchte nur noch Kleidung, doch wie sollte ich sie beschaffen? Auch wenn er recht abgemagert war, war der Junge größer als ich und vielleicht sogar ein bisschen älter. Ich ging durch die Geheimtür in mein Zimmer und durchwühlte meinen Schrank. Ich konnte ihn schlecht ein Kleid geben und der Rest war Maßgeschneidert... doch dann kam mir eine Idee. Tokiro hatte mir Anzüge in verschiedenen Größen gegeben und den größten holte ich aus meiner Tasche. Er war weiß mit hellblauen Einzelheiten und dunkelblauen Nähten. Es war ein sehr hübscher Anzug und würde ihn sicher stehen, doch zuerst musste der Junge baden. Ich ging zurück in Vermilions Zimmer, wo der Junge an der gleichen Stelle saß und mich neugierig beobachtete. Die Wanne war fast voll und ich stellte das Wasser ab. Jetzt war alles vorbereitet, aber wie sollte ich ihn baden? Einen älteren Jungen! Bei Vermilion hatte ich keine Probleme, er war so etwas wie ein kleine Bruder für mich, aber bei diesem Jungen war es etwas anderes. Vermilion war noch zu erschöpft, ihn konnte ich nicht fragen. Blieb nur noch einer, aber würde er es machen? Zweifellos, wenn ich es ihm befahl. Ich wusste nie, ob Kunan etwas nicht gefiel, er hatte immer den gleichen Gesichtsausdruck und sagte nie einen Ton. Ich wollte ihm nichts befehlen, was er nicht machen wollte... Ich hatte sowieso keine Wahl. Leise öffnete ich Vermilions Zimmertür und flüsterte Kunans Namen. Er tauchte aus dem Schatten auf und verbeugte sich. Ich bat ihn herein und schloss hinter ihm die Tür. Ich wurde rot und schaute beschämt zu Boden. „D... Der Junge muss Baden, ich..“ Ich war total nervös, also atmete ich tief ein und riss mich zusammen. „Ich kann ihn nicht baden, dass gehört sich nicht. Kannst du mir helfen?“ Es sah fast so aus, als hätte sein Mundwinkel sich für eine Millisekunde gezuckt. Aber nur fast. Er verbeugte sich und ging auf den Jungen zu, dieser duckte sich ängstlich. Er hatte offensichtlich Angst vor Männern. Kunan blieb stehen und schaute mich an. Ich ging zu dem Jungen und tätschelte seinen Kopf. „Alles in Ordnung. Er tut dir nichts, siehst du?“ Ich nahm Kunans Hand und die des Jungen. Langsam führte ich sie zueinander, bis Kunan schließlich seine Hand hielt. Ohne mit einer Wimper zu zucken führte er den Jungen ins Bad und schloss die Tür hinter sich. „Vielen Dank!“, rief ich ihm hinterher. Es war so ruhig, dass ich mir schon ein wenig sorgen machte. Wieso brauchten die so lange? Ich setzte mich zu Vermilion aufs Bett, dieser schlief schon wieder fest. Was war der Junge eigentlich? Er sprach dämonisch, aber war garantiert kein Dämon. War er vielleicht so etwas wie ein Mischling? Diese Lösung kam mir immer wahrscheinlicher vor. Goldene Augen, silberne Haare, spitze Ohren, schneeweiße Haut. Wie passte das zusammen? Ich wusste nur, das er etwas magisches hatte und er ziemlich gut aussah. Endlich hörte ich die Türklinke und Kunan kam mit dem Jungen aus dem Bad. Wie verändert er aussah! Er wirkte nicht mehr wie der ängstliche, abgemagerte Junge, den ich aus dem Verließ gerettet hatte, sondern wie ein ziemlich hübscher Jungendlicher, der ein weißes Licht ausstrahlte. Seine Haare waren Schulterlang und sahen so aus, als hätte man sie mit einem Schwert geschnitten. Sie waren sehr hell und wirkten im Licht wie dünne Silberfäden. Seine schneeweiße Haut war makellos und er sah in dem weißen Kampfanzug fast wie ein Heiliger aus. Der Junge klammerte sich an Kunans Arm und schaute mich nervös an. Seine Augen stachen aus seiner weißen Erscheinung heraus, wie goldene Sterne. Ich konnte den Blick gar nicht mehr von ihm lassen. Kunan ging auf mich zu und verbeugte sich, der Junge klammerte sich noch immer an Kunan. Ich konnte meinen Blick endlich von dem Jungen abwenden und lächelte Kunan dankbar an. „Vielen Dank, Kunan.“ Kunan nahm die Hände des Jungen von seinem Arm und gab sie mir. Er drehte sich um und verließ geräuschlos das Zimmer. Meine Zuneigung zu diesem Mann wuchs stetig. Der Junge zitterte nicht mehr, er hatte wohl endlich begriffen, dass ich ihm nichts tun würde. Er sah sich neugierig in Vermilions Zimmer um und schaute dann zu mir. Ich lächelte so freundlich ich konnte. „Eve!“, sagte ich und zeigte auf mich. Dann sah ich ihn fragend an. Er schaute mich nachdenklich an und schüttelte seinen Kopf. Ich seufzte enttäuscht. „Wie soll ich dich dann nennen? Ich kann dich ja schlecht Junge nennen.“ Der Junge lies meine Hand los und schaute mich unsicher an, als würde er gleich umfallen. Ich ließ ihn gewähren und setzte mich wieder zu Vermilion aufs Bett. Ich strich meinem schlafenden Freund durch sein Wuschelhaar. Der Junge schaute mich mit einem Blick an, den ich nicht richtig deuten konnte. Neugier? Verwunderung? Ich wusste es nicht recht, aber ich spürte wie mich die Müdigkeit übermannte. Ich war todmüde, denn ich hatte diese Nacht kaum geschlafen. Den folgenden Tag wollte ich meine Familie zur Rede stellen, dazu musste ich ausgeruht sein. Ich schaute den Jungen an und deutete erst auf ihn dann auf Vermilions Bett. „Schlafen!“, sagte ich zu ihm. Er reagierte nicht. Ich gähnte und stand auf. „Ich gehe jetzt schlafen, morgen werde ich alles klären.“ Ich klopfte auf das Bett und zeigte dann auf ihn. Er schien zu verstehen und nickte. Ich ging auf die Geheimtür zu und schaute noch einmal zu meinem schlafenden Freund und den weißen Jungen, der sich jetzt vorsichtig auf das Bett zu bewegte. Ich schaltete das Licht aus und wünschte beiden eine gute Nacht. Ich war so müde! Als ich in meinem Bett lag, schlief ich fast augenblicklich ein. Es war noch dunkel als ich merkte, wie meine Beine immer schwerer wurden. Ich erschrak nicht und irgendwie wusste ich, dass es der Junge war. Ich spürte etwas scharfes an meiner Kehle. Er wollte mich umbringen und es überraschte mich nicht, ich verstand selbst nicht, warum. Hatte ich es unbewusst in seinen Augen gesehen, die klüger wirkten, als er sich gab? Irgendwie hatte ich geahnt, dass es soweit kommen würde. Ich öffnete die Augen und sah direkt in das mondbeschienene Gesicht des Jungen. Er weinte. Stumme Tränen rannen an seinen Wangen hinunter. „Was nun?“, fragte ich leise. Er sah in meine Augen. Ich sah, wie ein innerer Kampf in ihm loderte. Irgendetwas hielt ihn zurück, mich umzubringen. „Wenn du auch nur einen Muskel bewegst, wird dich Kunan umbringen. Das weißt du!“ Ich flüsterte noch immer. „Das ist es wert, oder?“, zischte er wütend. Ich reagierte nicht. Es war also wirklich alles nur gespielt gewesen. Er hatte so unschuldig getan, damit ich ihm vertraute und man ihn unterschätzte. Er konnte mich verstehen und sprach fast ohne Akzent. „Ich töte die Nachfolgerin dieser Barbaren und sterbe dann. Das Opfer ist es Wert!“ Seine Tränen tropften auf mein Gesicht. „Und was hätten dein Leben dann für einen Sinn gehabt? Du bist noch jung und ab jetzt bist du frei, ich kann dich zu deiner Familie bringen...“ Der Druck auf meine Kehle wurde stärker und ich hörte es neben mir rascheln. „Meine Familie?“, zischte er noch wütender. „Meine Familie? Ich habe keine Familie! Ich werde niemals frei sein, so was wie ich wird immer der Abschaum sein, hier und auch bei denen!“ Er deutete mit den Kopf auf Vermilions Zimmer. Ich umfasste sein Handgelenk und zog seine Hand mit sanfter Gewalt von meiner Kehle. Er wehrte sich nur halbherzig. Ich schloss meine Augen und verband meinen Geist mit seinem. Ich fühlte seine Wut, seine Angst und seine unglaubliche Einsamkeit. Doch da war noch mehr. Ich fühlte, dass er ein Mitglied meiner Familie war! Ja, ich war mir absolut sicher. Sein Name... „Kibo.“ Er starrte mich entsetzt an. “Deine dämonische Mutter hat dich “Hoffnung” getauft. Und dein Vater war Toya, ein Cousin meiner Mutter.“ Kibo sprang aufgewühlt von meinem Bett. „Das reicht!“, schrie er mich an. Ich richtete mich auf. „Du bist mit mir verwandt.“ Er funkelte mich an. „Mein so genannter Vater hat meine Mutter missbraucht, ganz sicher!“ Ich setzte mich auf meine Bettkante. Mir tat der Kopf weh, vom vielen Konzentrieren. „Nein.“, antwortete ich ruhig. „Er war ein guter Mann, bevor er starb. Er...“ Das, was ich spürte, beunruhigte mich. „Er wurde von seinem Bruder getötet.“, sagte ich geschockt. „LÜGNERIN!“, schrie mich Kibo an. „Wenn er sie nicht misshandelt hat, wieso ist sie dann immer noch...“ Er stockte. „Immer noch was?“, fragte ich. „W- Wieso ist sie dann immer noch da? Wieso ist ihr Geist nicht im Jenseits?“ Ich hockte mich vor ihn. Er sah also den Geist seiner Mutter. Wahrscheinlich war er deshalb nach all den Jahren Gefangenschaft nicht verrückt geworden. „Ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast, aber ich bin erst seit kurzem hier. Dämonen haben mich bei meiner Geburt von meiner Mutter getrennt und ich wuchs bei den Menschen auf.“ – „Wieso erzählst du mir das? Glaubst du, mich interessiert das?“ Ich lächelte. „Worauf ich hinauf wollte, ist, dass meine Mutter einen Zauber gesprochen hat, der allen Schmerz von mir nahm und mich beschützte. Im Gegenzug übernahm sie meinen Schmerz und fiel in einen tiefen Schlaf.“ Er schaute mich verwundert an. Ich beugte mich zu ihm herüber und flüsterte. „Mütter machen alles für ihre Kinder, egal was mit ihnen selbst geschieht. Sie will dich beschützen, Kibo. Selbst wenn sie ihre Seele dafür opfern muss.“ Tränen stiegen in seine Augen und rannen stumm seine Wangen entlang. Er umschlang seine Beine und weinte in seine Beine hinein. Aus dem Nichts tauchte eine durchsichtige junge Frau neben ihm auf. „Geh weg!“, schluchzte er. Er konnte sie wohl spüren. Sie beugte sich zu ihm hinunter und berührte sanft seine Schulter. „Geh endlich, ich brauche dich nicht mehr!“ Niemand rührte sich. Es war ein seltsamer Anblick, diesen weiß leuchtenden Jungen dort im Mondlicht weinen zu sehen, getröstet vom Geist einer Dämonenfrau. „Ich werde ihn beschützen!“, flüsterte ich kaum hörbar. Der Geist der Frau drehte sich zu mir. „Er steht unter meinem Schutz, wenn sie es zulassen.“ Obwohl die Frau durchsichtig war, konnte ich alle Facetten ihres Gesichtes sehen. Auch Kibo schaute auf. „Wenn ich ihn beschütze, zusammen mit meiner Familie, können Sie dann endlich gehen?“ Sie sah traurig zu ihrem Sohn und dann zu mir. „Mein Kind ist alles, was zählt. Kannst du es? Kannst du ihn beschützen, wie es eine Mutter kann?“ Konnte ich es? Ich war noch jünger als er, doch ich hatte durch meinen Rang viel Macht. Doch wie viel genau, konnte ich noch nicht mal erahnen. „Vielleicht schaffe ich es nicht alleine, aber ich habe viele Freunde.“ Ich schaute in die Richtung, in der ich Kunan vermutete. Er kam einen Schritt aus dem Schatten hervor und verbeugte sich. Ich sah sein Spiegelbild in den Augen der Dämonenfrau und sah so etwas, wie vertrauen und doch auch angst. „Du hast es gehört, Mama! Du kannst endlich gehen, du siehst es doch, ich bin sicher.“ Er schleuderte den kleinen Dolch, mit den er mich bedroht hatte, weg. Der Geist der Frau verschwamm für einen kurzen Augenblick, wurde dann aber sofort wieder klar. „Eines Tages wird mein Geist ruhe finden, doch noch kann ich nicht gehen.“ Auf Kibos Gesicht trat entsetzen. „Du sollst nicht wegen mir so Leiden, Mama! Du willst doch gehen, das weiß ich!“ Kibos Mutter schaute voller Sehnsucht zum Vollmond. „Ich möchte zu ihm...“ An Kibos Gesicht erkannte ich, dass er nicht wusste, was sie meinte. „Also haben sie sich geliebt?“, fragte ich leise. Sie nickte. „Er war so ganz anders, als alle anderen. Er war mein Seelenpartner...“ Ich spürte, dass sie die Wahrheit sagte. Toya war ein guter Mann und er war gut mit meiner Mutter befreundet gewesen. Ob sie wohl wusste, dass er tot war? Kibos Mutter erhob sich und schaute zu Kunan. Dieser hatte sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt. Die Augen der beiden trafen sich und ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie sich kannten. Nach einigen Sekunden nickte Kunan und die Dämonenfrau lächelte. „Ich werde gehen, doch wenn du mich brauchst, komme ich zurück, mein Sohn.“ Sie beugte sich zu ihrem erstaunten Sohn hinunter und gab ihn einen Kuss auf die Stirn. Dieser nickte nur und der Geist seiner Mutter erleuchtete hell. Sie flog direkt auf Kunan zu, der sich nicht bewegte. Das Licht flog durch ihn hindurch und verschwand dann. Es war totenstill in meinem dunklen Zimmer. Nach einigen Minuten erklang Kibos brüchige Stimme. „Sie ist weg, oder?“ – „Du hast es gehört.“, antwortete ich. „Sie wird gehen, doch wenn du sie brauchst, kommt sie zurück.“ Er stand auf. „Dann sollte ich dafür sorgen, dass ich sie nie wieder brauche. Oder, wie du ja selbst behauptet hast, solltest DU dafür sorgen.“, sein Tonfall war so zynisch, was mich schon ein bisschen wütend machte. „Du glaubst wohl, ich kann das nicht!“ Sein Grinsen sagte mehr als tausend Worte. „Was willst du eigentlich? Ich kenne dich kaum aber hab die Verantwortung für dich übernommen. Du müsstest mir Dankbar sein, dass ich dich gerettet habe!“ Kibo senkte seinen Blick. „Du hast mich vor deiner eigenen Familie gerettet, ist dir das klar?“ Wir schwiegen beide unangenehm berührt. „Nicht jeder in dieser Familie ist so. Es gibt auch durchaus verständnisvolle Menschen, wie meine Eltern, zum Beispiel.“ Meine Stimme war nicht ganz so überzeugend, wie ich gehofft hatte. Kibo schaute mich verächtlich an. „Was glaubst du, wem ich all diese Zeit in eurem Kerker verdanke. Tu nicht so, als wüssten sie nichts davon!“ Ich starrte ihn wütend an. Er kannte meine Eltern doch überhaupt nicht, also was erlaubte sich dieser arrogante Kerl? Ich musste unwillkürlich an Anno denken, die beiden wären ein perfektes Team. Ich stand auf und schaltete mein Licht an. Meine Augen hatten sich so an die zwielichtige Dunkelheit gewöhnt, dass ich sie erst einmal zusammenkneifen musste. Zu meinem erstaunen hatte Kunan es geschafft an mir vorbei aus dem Zimmer zu schleichen, sodass ich mit Kibo alleine war. „Und was jetzt?“, raunte er. „Jetzt werde ich dir beweisen, dass meine Eltern nichts von dir wussten!“, giftete ich zurück. Ich ging zu meinem Schrank und holte die erst beste Kleidung hervor, die ich fand. Wortlos ging ich zu der Geheimtür und zog mich in Vermilions Zimmer um. Dieser schlief immer noch seelenruhig. Fertig angezogen ging ich zu Kibo zurück und zeigte zur Tür. „Dann lass uns losgehen, ich kann jetzt eh nicht mehr schlafen..“ Kibo zögerte. In seinen Gesicht spiegelten sich misstrauen aber auch angst wieder. „Was ist?“ Kibo schaute auf den Fußboden. „Sie werden mich wieder einsperren...“ Ich seufzte. „Dieses Haus“, ich machte eine ausholende Geste, „ist ein Haus der Magier. Die Herrscher dieser Art leben hier und doch schläft nebenan in aller Seelenruhe ein Dämon. Du hast nichts zu befürchten, solange ich da bin.“ Er schaute mich nicht ganz überzeugt an, doch folgte mir ohne ein weiteres Wort. Wir gingen auf den dunklen Flur hinaus und neben uns ging eine Tür auf. Eine verschlafene braunhaarige junge Frau schaute hinaus. „Was ist los, Evelyn? Ich hab Stimmen gehört...“ Sie schaute zu Kibo und ihre Augen weiteten sich. „Was zum...!“ Kibo drückte sich an die gegenüberliegende Flurwand und versuchte so unauffällig wie möglich zu wirken. Er hatte wohl nur vor mir eine große Klappe. „Schon gut.“, beruhigte ich Shirai. „Er gehört zu mir. Ich muss unbedingt zu Mama und Papa...“ „Sie sind glaube ich drüben.“, sagte Shirai ernst und ließ Kibo keine Sekunde aus den Augen. „Drüben? Wo soll das sein?“ Ich hatte schon des Öfteren gehört, dass meine Eltern „drüben“ waren aber hatte mir nicht viel dabei gedacht, doch ich musste sie unbedingt sprechen. „In der magischen Welt, in Kigen.“ Ich hörte zum ersten Mal von einer magischen Welt und wurde hellhörig. „Kigen? Wie komme ich dahin? Ich muss sie unbedingt sprechen, ich muss etwas wissen...“ – „Kann das nicht bis morgen warten? Sie wollten morgen früh zurück kommen.“ Sie hatte endlich den Blick von Kibo abgewandt und schaute nun zu mir hinunter. Ich schüttelte den Kopf. Shirai seufzte. „Dann warte kurz auf mich.“ Sie schloss die Tür hinter sich. „Ich wandte mich an Kibo, der noch immer ängstlich an der Flurwand klebte. „Kennst du diese magische Welt?“ Er sah mich erstaunt an. „Natürlich! Was glaubst du, wo ich herkomme?“ Ich wurde immer neugieriger. „Und wie ist sie so? Gibt es da auch irgendwelche Kreaturen? Oder andere magische Wesen?“ Kibo stutzte. „Du willst mir doch nicht weis machen, du warst noch nie in Kigen! Dann hättest du ja noch nicht mal einen Namen...“ – „Sie hat ihren richtigen Namen auch noch nicht.“, mischte sich Shirai ein. Sie hatte lautlos die Tür geöffnet und stand nun umgezogen vor uns. Kibo erstarrte augenblicklich wieder zur Salzsäule. Die ganze Zeit hatte Shirai nicht gelächelt und schaute auch jetzt noch sehr ernst. „Folgt mir.“ Sie ging schnellen Schrittes voran und ich zog Kibo hinter mir her. Er sträubte sich, wie eine Katze, die gebadet werden musste. „Das ist keine gute Idee, die sperren mich wieder ein, ich sag’s dir...“, zischte er unentwegt. Ich scherte mich nicht darum. Er reagierte vollkommen übertrieben. Wir gingen durch etliche Flure und als ich schon dachte wir würden nie ankommen, machte Shirai vor einen großen Tor halt. Es war ein gigantisches Tor mit Verzierungen am Rahmen und seltsamen Zeichen , die überall auf den Torflügeln glitzerten , als wären sie aus Wasser. Das ich dieses Tor noch nie zu Gesicht bekommen hatte wunderte mich sehr. Shirai murmelte Worte in einer seltsamen Sprache und ihre Hand leuchtete hellblau. Sie berührte ein Schriftzeichen und das Tor knarrte. Ich erwartete voller Ungeduld, dass sich das Tor majestätisch zur Seite schwang und eine fantastische Magierwelt entblößte, aber nichts der gleichen geschah. Im rechten Torflügel erschien eine kleine, normale Holztür. „Halte meine Hand fest!“, forderte mich Shirai auf. Ich nickte und umklammerte ihre Hand. Mit der anderen nahm ich Kibos Ärmel. Kibo schaute mich entgeisterte an, wehrte sich jedoch nicht. Shirai griff nach der Türklinke und schaute mich noch einmal ernst an. „Mutter und Vater wollten nicht, dass du in diese Welt gehst, solange es nicht nötig ist. Dort sind wir Magier angreifbar und dort herrscht auch Krieg.“ Sie schwieg einen Moment. „aber ich glaube es ist wichtig, dass du begreifst, in was für einer Welt wir leben und was das da ist.“ Sie deutete auf Kibo, dieser wiederum schaute sie nicht an. Ich war vollkommen verwirrt. Wie konnte jemand so nettes, wie Shirai, ein Kind als „das da“ bezeichnen? Ich hatte jedoch keine Zeit mehr zu Fragen, denn im nächsten Augenblick zog sie mich durch die Tür. Zuerst merkte ich nichts. Es war vollkommen dunkel, doch im nächsten Augenblick hatte ich das Gefühl, als würde ich in ein schwarzes Loch im Boden fallen. Mein Magen spielte verrückt, doch als ich dachte, dass ich mich gleich übergeben würde, war es auch schon vorbei und ich stand auf festem Stein. „Alles in Ordnung?“ Shirai musterte mich von der Seite. Mir war noch etwas schwindlig aber es ging. „Ja, kein Problem.“ Ich schaute zu Kibo, dieser zuckte nicht mal mit der Wimper. Wir standen in einer großen, von Fackeln beleuchteten Höhle, die mich ziemlich an die der Dämonen erinnerte. Shirai steuerte zielsicher auf einen der vielen Gänge zu und keine zwanzig Schritte später standen wir im Freien. Es erinnerte mich immer mehr an meine Zeit bei den Dämonen, denn wir kamen aus einem Berg und vor uns war ein Wald. Shirai drehte sich schnell um und ließ den Eingang verschwinden. Vorher kam allerdings noch Kunan aus dem Loch geflitzt und verschwand wie ein Schatten zwischen den Bäumen. Diese Gegend ist nicht besonders sicher, aber so kommen wir schneller in Manjaru an. Das ist eine Magierstadt!“, fügte sie hinzu, als sie mein fragendes Gesicht sah. Shirais Schritte wurden immer schneller und sie sah sich immer wieder um. Ich bewunderte erstaunt den Wald. Die Bäume waren so hoch und dick, wie ich es noch nie gesehen hatte. Außerdem waren sie schneeweiß mit silberfarbenen Blättern. Der Boden und das Moos schimmerten in verschieden Blautönen. So hatte ich mir eine Magierwelt vorgestellt! Doch plötzlich mischte sich auch ein dunkelroter Rinnsal in das dunkelblaue Moos. Als ich aufsah, bemerkte ich zwei reglose Körper, die einige Schritte vor uns auf dem Boden lagen. Shirai erschrak und riss mich und somit auch Kibo mit sich hinter einen Baum. „Das waren die Wächter dieses Eingangs, sie waren sehr stark!“, flüsterte mir Shirai entsetzt zu. „Nur jemand sehr Mächtiges könnte sie so zugerichtet haben!“ Mein Herzschlag wurde immer lauter. Jetzt machte sogar ich mir sorgen. Ich hielt die Luft an und lauschte in die Stille. Es war nur Vogelgezwitscher und das Rascheln der Bäume zu hören. Die Vögel klangen viel höher und heller, als ich sie kannte. Ich wollte gerade etwas zu Shirai sagen, als ich hinter uns etwas rascheln hörte. Ich drehte mich abrupt um und sah gerade noch die Umrisse eines schwarz gekleideten Mannes hinter einen Busch verschwinden. Ein paar Meter neben ihm sah ich noch eine zweite Gestalt. Ich spürte mehr, als das ich es sah, dass wir umzingelt waren. Auch Shirai hatte es bemerkt und presste mich an sich. Mein Herz schlug immer schneller. Wir waren die perfekte Zielscheibe für die Männer, die auf dem Hügel neben uns auf uns hinab zielten. Doch hätten wir aus der Deckung des Baumes verlassen, wäre es das gleiche gewesen. „Was machen wir jetzt, Shirai?“, flüsterte ich und zog ängstlich Kibo ein wenig hinter mich. Shirai schaute ernst zu mir hinunter. Sie hatte den entschlossenen Blick eines Kriegers, der mich ein wenig erschreckte. „Mach dir keine Sorgen, dir passiert schon nichts!“ Irgendetwas an diesem Satz beunruhigte mich. Was hatte sie vor? Shirai nickte kaum merklich dem Baum, der uns gegenüber stand, zu und beugte sich dann zu mir hinunter. „Wenn ich dir ein Zeichen gebe läufst du so schnell du kannst den Weg entlang und drehst dich nicht um! Nicht einen Augenblick, hast du verstanden?“ Tränen schossen mir in die Augen. „Aber...“ Shirai funkelte mich wütend an und ich verstummte. „Verstanden...“ Es dauerte keine zwei Sekunden und ein grüner Lichtblitz schoss vom gegenüberliegenden Baum auf die Männer über uns zu. „Los!“, schrie Shirai und schubste mich auf den Weg. Ich rannte so schnell wie nur möglich los und zog Kibo mit mir. Wir passierten die beiden Leichen und ich blieb geschockt stehen. Die beiden Männer waren Magier und sie hatten überall Brandwunden und Löcher, dem einen fehlte sogar ein Arm. „Was ist los, wir müssen weiter!“, zischte Kibo gehetzt. Mein Magen drehte sich um und ich war kurz davor mich zu übergeben. „Komm schon!“ Kibo zerrte an meinem Arm, doch ich rührte mich nicht. „Ich will nicht, dass sie genauso enden!“, sagte ich leise und nun liefen mir Tränen über die Wangen. Ich hörte hinter mir Kampfgeschrei und Explosionen. „Wenn du jetzt nicht weiterläufst, war ihr Opfer doch völlig umsonst!“ Kibo zog mich ein Stück mit sich. In meinem Inneren tobte ein Kampf. Das, was Kibo sagte stimmte, aber es musste doch noch eine andere Möglichkeit geben! Ohne lange zu überlegen verließ ich den Weg und lief in den Wald. Kibo folgte mir fluchend. „Was hast du vor?“ In mir keimte langsam ein Plan, der, wenn er gelang, das Leben von Shirai und Kunan retten konnte. Ich lief so schnell, wie es ging den Hügel hinauf und zurück zum Kampfgeschehen. Dicht gefolgt von Kibo. Ich nutzte den Busch, den die beiden Männer noch wenigen Minuten als Deckung genutzt hatten, nun ebenfalls als Deckung und sah zum Kampfgeschehen hinunter. Neben mir lag ein toter Mann, dessen Gesicht völlig entstellt und verbrannt war. Der grüne Blitz hatte ihn mitten im Gesicht getroffen. Shirai und Kunan standen Rücken an Rücken einer Schar Dämonen gegenüber und wurden unentwegt angegriffen. Rote Lichtkugeln schleuderten gegen ihre blauen und grünen Schutzschilde. Gleichzeitig feuerten sie Lichtblitze auf ihre Gegner. Aus den Gebüschen um sie herum wurden ebenfalls rote Lichtkugeln auf sie gefeuert. Es mussten an die dreißig Gegner sein! Ich schlich durch das Gebüsch und näherte mich zwei Dämonen, die aus der Deckung eines dunkelblauen Busches unentwegt rote Lichtblitze auf Shirai und Kunan abfeuerten. Kibo trat leise hinter mich und flüsterte mir panisch ins Ohr. „Was soll das? Sie erwischen und noch! Lass uns gehen!“ Shirai sackte ein wenig zusammen. Sie war am Ende ihrer Kräfte. „Kannst du Angriffszauber?“, fragte ich Kibo leise. „Keine sehr starken.“, erwiderte er verwirrt. „Und Schutzzauber?“ Er nickte. „Der einzige Zauber, den ich gut kann.“ Sicher war es auch der einzige, der ihm all die Jahre in Gefangenschaft genutzt hatte. „Dann Schütze uns jetzt!“, zischte ich ihm zu und er schaute mich verwirrt an. Dann begriff er endlich und seine Augen weiteten sich. „Das kannst du nicht...“ Weiter kam er nicht ich feuerte zwei hellblaue Lichtkugeln auf die beiden Dämonen. Ich steckte all meine Wut in sie hinein und sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Die beiden Männer sanken leblos zu Boden. Plötzlich schoss eine Salve dunkelroter Lichtkugeln auf mich zu. Sie prallten wirkungslos an einem weißen Schutzschild ab. Ich schlich weiter durch das Unterholz. Ich war schon jetzt völlig erschöpft, doch ich ignorierte es. Erneut traf ich auf einen Dämonen. Dieser bekam nicht einmal mit, was ihn da von der Seite traf und sackte sofort in sich zusammen. In diesem Augenblick war ich Tokiro unglaublich dankbar für seinen Unterricht! Von rechts kamen zwei große Lichtblitze auf mich zu, doch Kibo hatte nicht übertrieben mit seinem Können. Das Schild hielt auch dem Stand. Viele der Dämonen hatte jetzt unsere Anwesenheit bemerkt und teilten sich auf. Die eine Gruppe kämpfte weiter mit Shirai und Kunan, die andere Hälfte kam auf Kibo und mich zu. Ich atmete tief ein und konzentrierte mich. Vor mir erschienen sechs blaue Lichtkugeln. Ich spürte die Bewegung der Dämonen und schickte jede Lichtkugel zu einen anderen Dämonen. Alle sechs trafen und keiner der sechs Dämonen überlebte. Acht weitere Dämonen griffen mich an. Kibos Schild musste einiges aushalten und er schnaufte vor Anstrengung. Ein besonders großer Lichtblitz durchbrach den Schild und streifte meinen Oberarm. Warmes Blut floss aus einer tiefen Wunde. „Tut mir Leid...“, keuchte Kibo. „Egal!“, zischte ich durch zusammengebissenen Zähnen. Ich nahm all meine Energiereserven und erschuf fünf Lichtkugeln. Es gab einen lauten Knall, der von Kunan verursacht wurde, und ich nutzte diese Ablenkung, um mich fünf Gegner zu entledigen. Die letzten Drei kamen mit gezogenen Schwertern auf uns zu und wir mussten notgedrungen unsere Deckung verlassen. Einer der Dämonen holte uns schnell ein und sein Schwert raste auf meinen Kopf zu. Es prallte einige Zentimeter vor meinem Hals an einem weißen Schild ab. „Danke!“, zischte ich außer Atem. Kibos goldenen Augen blitzten Kampfeslustig. Ich schaffte es nur noch eine Lichtkugel zu erschaffen schleuderte sie dem Dämonenmann entgegen. Er wehrte die Kugel mit seinem Schwert ab und sprang auf mich zu. Kibo stieß mich zur Seite und aus seinem Arm schoss eine kleine weiße Flamme direkt durch das Herz des heranspringenden Dämonen. Die letzten beiden Dämonen umkreisten uns lauernd und in ihren Augen blitzte Mordlust. Sie griffen gleichzeitig an. Weder Kibo noch ich hatten noch Kraft. Ich schloss meine Augen und in diesem Augenblick fand ich einen Raum in meinem Geist, den ich nicht kannte. Ich öffnete ihn und eine Schier unglaubliche Menge an magischer Kraft durchströmte mich. Ich fühlte diese Kraft durch jede Ader fließen. Es war, als würde ich im lauwarmen Wasser liegen und die Zeit stehen bleiben würde. Ich nahm meine Umgebungen wie durch einen hellen Schleier wahr. Die beiden Dämonen waren noch immer in der Luft und Kibo hielt sich schützend die Arme vor sein Gesicht. Ich ging auf Kibo zu. Die Szene änderte sich nicht. Ich wusste irgendwie, was ich zu tun hatte. Im Geist ertastete ich die Aura von Shirai, Kunan und Kibo. Ich durfte ihnen nicht Schaden, sie mussten verschont bleiben! Ich atmete tief ein und breitete die Arme aus. Explosionsartig wich der Magiestrom aus meinem Körper und tötete jeden einzelnen Dämonen, auch die, die bei Shirai und Kunan waren. Ich spürte noch dumpf, dass ich auf dem Boden aufschlug. Ich fühlte mich unglaublich leer und müde. Ich wollte nur noch schlafen! Kibo schüttelte mich und rief irgendetwas, aber ich hörte nichts. Schemenhaft nahm ich wahr, dass auch Shirai und Kunan auf mich zu rannten. Ich war so müde... Meine Augenlider wurden immer schwerer und mein Körper fühlte sich plötzlich bleischwer an. Ich konnte nicht mal mehr einen Finger bewegen. Jemand schlug mir leicht ins Gesicht. Warum ließ Shirai mich nicht einfach schlafen? Ich wollte ihr sagen, dass sie mich schlafen lassen sollte, aber es kam nur ein Stöhnen aus meinem Mund. Sie hörte nicht auf mich zu rütteln und ich konnte nicht schlafen. „Bleib bei mir!“, hörte ich ihre Stimme aus der Ferne. Ich bin doch hier, dachte ich verwirrt. Ich öffnete halb meine Augen, meine Lider waren so unglaublich schwer. Ich konnte Shirais verweintes Gesicht nur schwer erkennen. Dann hörte ich Stimmen, doch es war mir egal. Lasst mich doch einfach schlafen, dann geht es mir wieder gut! Ich war schon dabei meine Augen zu schließen, als ich meine Mutter erkannte. Sie hatte sich zu mir hinabgebeugt und meinen Kopf zu sich gedreht. Ihre klaren Augen drangen tief in meinen Kopf ein. „Du darfst jetzt nicht schlafen, mein Schatz!“, hörte ich ihre klare Stimme in meinem Geist. „Ich bin aber so unglaublich müde! Nur ein Bisschen...“, antwortete ich erschöpft. Ich schloss meine Augen und spürte schwach, wie meine Mutter mich in den Arm nahm. „Irgendwann wirst schlafen, aber nicht jetzt, nicht heute!“ Etwas Warmes durchströmte meinen Körper und mein Verstand wurde wacher. Ich begriff langsam, warum ich nicht schlafen durfte... „Werde ich sterben, Mama?“ Ich sah ihre klaren Augen in meinem Geist und sie schüttelte lächelnd ihren Köpf. „Nicht heute, nicht jetzt!“ Als ich diesmal meine Augen öffnete sah ich alles wieder klarer. Shirai weinte und verbarg ihr Gesicht an der Brust meines Vaters, der wie versteinert auf mich hinab sah. Eine größere Gruppe von Magiern hatte sich auf der Lichtung versammelt und einer der Männer hatte Kibo den Arm auf den Rücken verdreht. Dieser war so erschöpft, dass ihm der Schweiß von der Stirn lief. Meine Mutter hielt mich noch immer fest umklammert in ihrem Arm. Ich hob schwach meine Hand und zeigte zitternd auf Kibo. „Lasst... ihn... in Ruhe! ... Gehört... zu mir!“, brachte ich schwach hervor. Der Magier ließ ihn abrupt los und Kibo fiel erschöpft zu Boden. Shirai löste sich von Vaters Brust und stürzte sich glücklich auf mich und meine Mutter. Endlich ließ auch meine Mutter mich los und ich fühlte mich ein wenig kräftiger. Sie sah erschöpft und bleich aus. Shirai stützte sie, als sie sich wieder aufrichtete und mein Vater trug mich auf seinen Armen. Freudentränen glitzerten in seinen Augen. Ich lächelte matt. Mein Blick suchte Kunan, der, wie immer schweigend, hinter meinem Vater stand. „Kümmere dich um Kibo, ja?“, meine Stimme war brüchig. Kunan verbeugte sich und ich sah, während ich weg getragen wurde, dass er sich zu Kibo hinunter beugte und den erschöpften Jungen in seine Arme nahm und hinter mir her trug. Wir liefen eine lange Strecke und jedes Mal, wenn der Schlaf drohte mich zu übermannen, kam wie auf ein Stichwort meine Mutter und gab mir neue Kraft. Nach einer Stunde, die mir wie Tage vorkam, erreichten wir die Stadt. Ich bekam nicht viel mit und nahm nur am Rande die vielen verschiedenen Stimmen wahr. Irgendwann wurde es ruhiger und der schweigsame Zug der Magier war in einer großen hellen Halle angekommen. Ich hörte wie sich Schritte langsam entfernten und schnelle Schritte auf uns zukamen. „Eure Majestät!“, hörte ich die Stimmen von Dienern. Mein Vater folgte einer Dienerin in eines der vorbereiteten Krankenzimmern. Ich hörte, wie man sich ebenfalls um Shirai, Mama und Kunan kümmerte und war beruhigt. Wir hatten es tatsächlich geschafft, wir hatten alle überlebt! „Das war so unglaublich dumm von dir!“, sagte mein Vater leise und legte mich sanft auf das weiche Bett. „Du hättest umkommen können und dann hätte ich dich schon wieder verloren!“ Stumme Tränen rannen an seinen Wangen hinunter. Er strich mir zärtlich den Pony aus dem Gesicht und drückte mir ein Kuss auf die Stirn. „Mach so etwas bitte nie wieder, hast du verstanden?“ Ich war zu schwach um zu antworten und nickte bloß. „Eure Majestät!“, räusperte sich eine junge Magierin hinter meinem Vater und zupfte nervös an einem Verband. „Ich muss mich jetzt um ihre Wunden kümmern!“ Mein Vater schaute erst auf meinen blutenden Arm und dann auf seine blutverschmierte Kleidung. Er wurde etwas blasser, nickte und verließ das Zimmer. Die Magierin entledigte mich geschickt meiner Kleidung und kümmerte sich mit flinken Händen um meine Wunden. „Die ist sehr tief, die muss ich nähen, Prinzessin!“, sagte sie als sie meine Wunde am Oberarm reinigte. Ich nickte erschöpft. Sie seufzte entzückt. „Wie tapfer ihr doch seid!“ Sie holte Nadeln und Faden hervor und murmelte einige Zauberformeln vor sich her. Der Schmerz in meinem Arm verschwand und ich spürte nicht einen Stich. Als sie fertig war verband sie genauso geschickt wie schnell meinen Arm. Die anderen, kleineren Wunden heilte sie mit Magie. Zum Schluss wusch sie mich und zog mir neue saubere Kleidung an. Ich fühlte mich erfrischter, doch wieder drohte mich ein bleischwerer Schlaf zu übermannen. Die junge, blonde Magierin beugte sich besorgt über mich und nahm meine Hand in ihre. Sie flüsterte etwas und warme Kraft durchströmte mich. Sie war bei weitem nicht so mächtig wie bei meiner Mutter und so versiegte schon nach kurzer Zeit der Kraftstrom und die Magierin sank erschöpft zurück, ohne dass ich mich wirklich besser fühlte. „Ich hole Eure Mutter!“, sagte sie nervös und verschwand schwankend aus dem Zimmer. Eine Welle Müdigkeit durchdrang mich. Ich schloss die Augen und konzentrierte meinen Geist auf mein innerstes. Es war vollkommen leer. Wo ich sonst immer das blaue Licht meiner Magie sah, war schwarze Leere. Aber da war noch etwas anderes. Eine Kammer, wie die, die ich öffnete, als ich all die Feinde getötet hatte. Aber es gab nicht nur eine. Je mehr ich mich konzentrierte, desto mehr Kammern entdeckte ich. Sie waren aller voller Magie. Waren das meine Kraftreserven? Ich beschloss, eine zu öffnen und so die Leere in meinem Inneren zu füllen. Es funktionierte. Die Magie durchströmte meinen Körper und ich fühlte sie in jeder Pore. Die Müdigkeit verschwand schlagartig und ich fühlte mich völlig erfrischt. Ich öffnete die Augen und richtete mich auf. Außer einem dumpfen Stechen im Oberarm, war ich wieder völlig wieder hergestellt. Diese Magiekammern in meinem Innern waren wirklich nützlich. Ich stand auf und schlüpfte in die bereitgestellten weißen Hausschuhe. Überhaupt war in diesem Raum alles weiß oder aus Kristall, was alles etwas edler aussehen ließ. Ich öffnete die ebenfalls weiße Tür und fand mich in einem marmorierten Flur wieder. Die runde Decke befand sich etliche Meter über mir und wurden von riesigen Marmorsäulen gehalten. Auch hier war alles weiß. Ich ging in die Richtung aus der ich die Aura meiner Familie wahrnahm. Sie befanden sich alle in einer riesigen, weißen Halle mit etlichen Säulen und zwei wunderschönen Thronen aus Kristall am anderen Ende. Shirai und mein Vater unterhielten sich aufgebracht und nervös mit Großvater Aldebaran. Es ging wohl um meinen kritischen Zustand. „Du musst die Priester holen, sie stirbt sonst.“, sagte Shirai aufgebracht. Ich lief so leise, wie möglich auf die drei zu. Keiner bemerkte mich, stellte ich amüsiert fest. „Dilia kann sie nicht ewig am Leben halten. Es zerrt jetzt schon an ihren Kräften, sie wird immer schwächer!“, mischte sich auch mein Vater ein. „Sie können aber nicht vor morgen hier sein, versteht das doch.“ Großvater klang so besorgt wie noch nie. „Und was jetzt? Sollen wir sie abwechselnd am Leben halten, bis die Priester kommen?“, fragte Shirai nervös. „Aber dann wären wir angreifbar.“, stellte mein Vater fest. „Dann lasst es doch einfach.“, mischte ich mich ein. Ich stand jetzt genau hinter ihnen. Sie drehten sich erschrocken um. „Evelyn!“, rief Shirai überrascht und entsetzt fügte sie hinzu, „Bist du ein Geist?“ Ich lächelte. Geister waren doch nicht so materiell. Mein Vater war leichenblass und nur mein Großvater schaute mich ernst an. Gerade als er etwas sagen wollte, stürmte meine Mutter herein und rief ganz aufgeregt. „Schatz, sie ist weg! Ich wollte gerade nach ihr sehen, die Heilerin sagte, dass es ihr schlechter geht und...“ Sie verstummte und schaute mich entsetzt an. Im ersten Augenblick dachte sie wohl auch, ich wäre ein Geist. Doch im nächsten fiel sie mir erleichtert um den Hals. „Es geht dir wieder besser, wie schön!“ Sie drückte mich so fest, als hätte sie angst, ich würde mich wirklich gleich auflösen. „Mir geht es gut, Mama, aber ich krieg gleich keine Luft mehr!“, sagte ich gelassen. Sie ließ mich los und wischte sich eine Freudenträne aus ihrem strahlenden Gesicht. „Wie ist das nur möglich?“ Shirai trat näher an mich heran und berührte unsicher meinen Kopf. Plötzlich zog sie mich an sich heran und umarmte mich schluchzend. „Du kleiner Idiot.“, schniefte sie. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst fliehen und was machst du?“ Sie schluchzte laut. „Aber Shirai, ich wollte nicht, dass du stirbst!“, sagte ich entschuldigend. „Und Kunan auch nicht!“ Mein Vater blieb sprachlos und umarmte mich als nächster, nachdem mich Shirai endlich frei gelassen hatte. Langsam ging es mir auf die Nerven. Großvater schien der einzige zu sein, der sich nicht freute. Er musterte mich misstrauisch. Wie aus dem Nichts tauchte hinter ihm Anno auf und musterte mich so feindselig wie immer. „Es war weit und breit kein lebendiger Gegner mehr zu finden.“, sagte er leise. Großvater nickte. „Im welchen Umkreis?“, fragte er. „4 Kilometer!“, antwortete Anno und ich wurde leicht nervös. Hatte ich das etwa getan? Mein Vater ließ mich auch endlich los und wandte sich ebenfalls an Anno und Großvater. „Gab es irgendwelche Verluste auf unserer Seite?“, fragte Großvater und ich musste schlucken. Ich hatte nicht erwartet, dass ich so großen Schaden angerichtet hatte und mich nur darauf konzentriert, Shirai, Kunan und Kibo zu schützen. Anno schüttelte seinen Kopf. „Es waren nur Familienmitglieder in der Nähe. Sie haben keinen Kratzer abbekommen und alle berichteten von einer riesigen, magischen Schockwelle, die jeden Dämonen getötet hatte.“ Es herrschte einige Sekunden lang unangenehme Stille. Dann wandte sich Großvater an mich. „Das, was du getan hast, kann kein Magier überleben. Du hast die Kammer deiner Kraftreserven vollkommen geleert, das bedeutet für jeden Magier den sofortigen Tod!“, erklärte er mir ernst. Ich schaute meine Mutter an. „Dann hast du mich gerettet, oder Mama?“ Meine Mutter schaute mich ernst an. „Ich habe dir genug Kraftreserven gegeben, damit du den Weg hierher überlebst. Ich hätte sie jetzt alle paar Stunden wieder auffüllen müssen, damit du überlebst...“, sagte sie nachdenklich. Ich erinnerte mich an die Kammer mit den Kraftreserven, von denen Großvater gesprochen hatte und fragte ihn danach. „Die Magie, die du angewendet hast, ist so etwas wie ein Kamikazeangriff. Ein Magier tötet sich und alle Feinde im Umkreis, indem er die Reservekammer anzapft und seine ganze Magie auf einmal entlädt. Dadurch behält er aber keine Magie mehr in seinem Körper und stirbt.“, erklärte mir stattdessen Anno im hochmütigen Tonfall. Meine Mutter strich mir gedankenverloren über den Kopf. „Hat jeder Magier nur eine Reservekammer?“, fragte ich zaghaft. Ich konnte nicht glauben, dass sie so erstaunt waren. Großvater nickte. „Eigentlich schon. In seltenen Fällen haben einige zwei Kammern. Unsere Hohepriester, die mächtigsten aller Magier, haben sogar drei.“, erklärte er mir. Ich konnte schlichtweg einfach nicht glauben, was ich da hörte. Was waren denn all die Kammern, die ich in meinem Inneren gesehen hatte? Es waren so viele, dass ich sie nicht einmal zählen konnte! „Vielleicht hat sie ja zwei Kammern!“, warf Shirai begeistert ein. „Ich meine, es wäre ja möglich, schließlich hatte ihre Urgroßmutter ja auch...“ – „Das sind doch nur Vermutungen!“, unterbrach sie Anno. „Ich finde wir sollten sie richtigen untersuchen und testen, dann können wir uns sicher sein!“ Darauf hatte ich nun wirklich keine Lust, besonders nicht, wenn ich von diesen miesen Schnösel untersucht werden sollte. „Warum hast du überhaupt gefragt, ob man nur eine Kammer hat?“, fragte Großvater ernst. „Hast denn eine zweite geöffnet?“ Alle starrten mich gespannt an. Das Blut schoss mir ins Gesicht. „Das ist doch unmöglich, Großvater!“, mischte sich Shirai erneut ein. „Sie hat noch gar keine Erfahrung mit Magie und ...“ – „Ich glaube schon.“, antwortete ich verspätet auf Großvaters Frage und unterbrach Shirai. Er nickte. „Etwas anderes konnte ich mir auch nicht vorstellen. Du schaffst Zauber, die selbst die erfahrensten Magier unter uns nicht meistern. Ich glaube das Blut unserer Ahnen ist in dir besonders stark. Mit der richtigen Ausbildung, wirst du sicher eine mächtige Königin.“ Großvaters Worte hatten mich beeindruckt. Allerdings lief ich von so viel Lob wieder rot an. „Ich werde mein Bestes geben, damit sie diese Ausbildung erhält!“, unterbrach Anno meine Gedanken. Was sollte ich von dem schon lernen können? Wie man fies grinst? Großvater nickte und wand seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. „Hast du noch mehr solcher Kammern gesehen oder gespürt?“ Shirai lachte. „Ja klar, Großvater! Als ob das möglich wäre.“ Ich überlegte kurz, ob ich die Wahrheit sagen sollte, beließ es aber bei einem Kopfschütteln. Ich wollte nicht Gefahr laufen, dass mich dieser Anno am Ende doch noch untersucht. Großvater nickte erneut und setzte sich auf einen der vielen Stühle die an den Seitenwänden aufgestellt worden waren. Ich zupfte meinem Vater am Ärmel, dieser schien mit seinen Gedanken ganz weit weg zu sein. „Papa, eigentlich bin ich ja aus einem bestimmten Grund hier! Es geht um Kibo...“ – „Ach ja!“, unterbrach mich Shirai erschrocken. „Deswegen sind wir hier. Evelyn hatte plötzlich einen Mischling bei sich! Ihr habt diese Kreatur im Wald ja auch gesehen.“ „Hey, wie redest du denn von ihm? Gut, er ist nicht gerade eine Sympathiebombe, aber eigentlich ist er doch ganz in Ordnung...“, sagte ich vorwurfsvoll. „Erst einen Dämon und jetzt einen Mischling. Ganz schön dreist.“, grinste Anno. Mein Vater schaute betreten zu Boden. „Schatz, das ist schwer zu erklären, besonders Kinder verstehen es meistens nicht, aber diese Kreaturen, diese Mischlinge... sie sind...“ Ich schaute sie fragend an. „Eben Mischlinge!“, vollendete Anno ihren Satz. „Sie sind weder Magier noch Dämonen. Sie sind das Produkt eines Hochverrats. Magier und Dämonen sind seit Anbeginn der Zeit verfeindet, sie dürfen sich nicht zusammen tun.“ Anno redete so, als wäre all der Schwachsinn, den er verzapfte ganz natürlich, doch an den Gesichtern meiner Familie sah ich, dass sie genauso dachten. „Er ist Toyas Sohn!“, sagte ich wütend. Meine Mutter schnappte überrascht nach Luft. „Toya?“ Ich nickte. „Toya war ein guter Mann, das spüre ich und er hat sich eine Dämonenfrau verliebt. Liebe kann man eben nicht lenken.“, versuchte ich zu erklären. „Gefühle kann man unterdrücken und in diesem Fall wäre das unbedingt nötig gewesen!“, entgegnete Anno. Ich funkelte ihn böse an. „Was ist mit Toya geschehen, Liebling?“, fragte meine Mutter meinen Vater. Dieser schaute traurig auf den Boden. Er wurde getötet. Das ist schon lange her. Er hatte versucht sich unserem Urteil zu widersetzen...“, erklärte er ruhig. Auch meine Mutter schaute traurig zu Boden. „Er ist immer ein heißblütiger Mann gewesen und stur war er auch.“, sagte meine Mutter mit einem traurigen Lächeln. „Woher weißt du das alles, mein Schatz?“ – „Ihr müsst Kibo nur mal anschauen, dann spürt ihr es auch!“, erklärte ich aufgeregt. „Stellt euch vor, er war seit er ein ganz kleines Kind war, in einem Kerker in unserem Haus gefangen!“, fügte ich entrüstet hinzu. Meine Mutter schaute fragend auf. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte sie meinen Vater. Dieser verhielt sich schon die ganze Zeit so merkwürdig ruhig. Er seufzte und setzte sich auf die weißen Marmorstufen, die zu den Thronen führten. „Es ist schon so lange her. Es geschah zu der Zeit als wir dich wieder gefunden haben. In diesem schlafenden Zustand und ohne unser Kind. Ich war am Ende.“, erklärte er gequält. Meine Mutter setzte sich zu ihm und berührte sanft seine Schulter. Vater versteckte sein Gesicht in seinen Händen. „Ich habe die Dämonenfrau eigenhändig umgebracht! Ich... Ich war so wütend! Und als ich dann auch noch diesen Mischling sah... Ich konnte nicht anders. Ich dachte nur daran, wie du gelitten hattest, Dilia und wie unser Kind nicht einmal die Chance zum Leben bekommen hatte. Und dieser Mischling wagte es zu existieren. Ich ließ ihn einsperren und befahl, ihn nie wieder frei zu lassen!“ Mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Meine Mutter tätschelte sanft seine Schulter. „Ist schon gut, jetzt ist doch alles wieder gut!“ „Nichts ist gut!“, schrie ich wütend. „Du hast einem Kleinkind die Mutter genommen und es dann zu lebenslanger Gefangenschaft verurteilt! Ich dachte du wärst anders... du wärst gut, aber...“ Ich drehte mich wütend um und lief so schnell ich konnte aus der Halle. Es war einfach ungeheuerlich! So Menschenunwürdig! Wie konnte mein eigener Vater so etwas tun? Ich lief blindlings in eine Richtung. Ich spürte ganz schwach Kibos Aura und rannte auf ihn zu. Ich erreichte schnell das Zimmer, indem er sich befand. Er hatte gerade zusammen mit Kunan gegessen und kauerte nervös auf der weißen Couch. Kunan zuckte nicht einmal mit der Wimper als ich völlig atemlos die Tür aufriss und mit verheulten Gesicht eintrat. Kibo erschrak und war mit einem Satz auf den Beinen. „Was ist los? Ist was schlimmes passiert?“ Als ich ihn sah brach es endgültig aus mir heraus. Ich schmiss mich auf die Couch und weinte hemmungslos in eines der Kissen. Kunan trank in aller Seelenruhe seinen Tee aus während Kibo nicht wusste, was er tun sollte und ratlos erst zu mir und dann zu Kunan schaute. „He, wieso heulst du denn so?“, fragte Kibo mich schließlich barsch. „Wegen dir, du Idiot!“, schniefte ich wütend. „Was soll das denn auf einmal?“ Kibo war völlig verwirrt, dann erschrak er. „Bin ich etwa zum Tode verurteilt worden?“, fragte er mit brüchiger Stimme. Ich hatte mich ein wenig beruhigt und schaute zu ihm auf. „Nein, ich hab doch gesagt, dir passiert nichts...“ Kibo schnaufte. „Und der Kampf, in den du mich verwickelt hast, war nicht gefährlich?“ Ich antwortete ihm nicht. „Warst du nicht so gut wie Tod?“, fragte er mich leise. Ich nickte und griff dankbar nach dem Taschentuch, das mir Kunan reichte. „So gut wie, aber ich hab es überlebt. Hab nur ne Schramme.“ Ich deutete auf meinen verbundenen Arm. „Magier sind stärker, als ich dachte.“, sagte Kibo mit echter Verehrung. Es klopfte an der Tür und Kibo zuckte unweigerlich zusammen. Es war meine Mutter. Kibo sprang mit einem Sprung hinter die Couch. Er hatte wohl wirklich nur eine große Klappe, wenn er mit mir alleine war, dieser Feigling. „Ist alles in Ordnung, mein Schatz?“, fragte sie mich besorgt. Ich nickte nur. Meine Mutter setzte sich neben mich auf die Couch und nahm meine Hand. „Deiner Vater ist wirklich kein schlechter Mensch, Schatz. Er war nur sehr verzweifelt und sehr einsam.“ Ich schnaubte wütend. „Und das ist ein Grund eine Frau zu töten und ein Kind einzusperren?“, fragte ich schnippisch. Meine Mutter seufzte. „Normalerweise werden Mischlinge kurz nach, oder noch vor der Geburt getötet.“, sagte sie ruhig. Ich schaute sie schockiert an. „Ist das wahr? Aber wieso?“ Ich war wieder den Tränen nahe. „Mischlinge gehören zu keiner Seite. Sie werden weder von uns, noch von den Dämonen akzeptiert. Es wäre ein schreckliches Leben, dass sie führen würden, als Ausgestoßene.“ Hinter dem Sofa regte sich leise etwas. „Wir töten diese Kinder und die Dämonen nutzen sie als Sklaven. Sie sind für sie nicht viel mehr wert als Hunde, dieses Leben wollen wir diesen Kreaturen ersparen.“ „Sie haben gar keine Chance ein Leben zu führen? Sie sterben entweder oder werden versklavt, nur weil als etwas geboren werden, was wir nicht mögen? Sie haben es sich doch gar nicht ausgesucht, oder? Niemand hat sie gefragt, man wird als das geboren, was man ist. Und das allein reicht als Grund, so etwas zu tun?“ Eine stumme Träne suchte sich den Weg an meiner Wange entlang. In mir breitete sich eine eisige Kälte aus, als wäre jegliches Gefühl von mir gewichen. „Was du sagst, nun, einige von uns denken genauso, aber in den Köpfen von Generationen hat sich all das festgesetzt, was wir heute für richtig halten. Es war schon immer so, dass Mischlinge getötet wurden, was hat sich geändert?“ Ich schwieg kurz. „Ich bin jetzt da.“ Meine Mutter schaute mich erstaunt an. „Ich wurde nicht so erzogen, Dämonen zu hassen und mir hat niemand eingetrichtert das Mischlinge getötet werden und das es nun mal so ist. Ich wurde so erzogen, keine Vorurteile zu haben, den Schwachen zu helfen. So bin ich nun mal und das wird sich nicht ändern.“ Meine Mutter schaute mich traurig an. „Hasst du mich jetzt?“, fragte ich leise und schaute zu ihr hinauf. Sie lächelte. „Aber nein. Gerade weil du bist, wie du bist, liebe ich dich.“ Sie zog mich an sich heran. „Dass wir unterschiedlich denken, ist völlig in Ordnung. Doch du darfst nicht denken, dass wir alles woran wir glauben in Frage stellen, weil du denkst, dass es richtig ist. Alte Menschen tun sich schwer Veränderungen zu akzeptieren.“ – „Aber du bist gar nicht alt!“, entgegnete ich. Meine Mutter lachte wieder. „Oh doch, viel zu alt!“ Ich schaute sie verwirrt an. „Denkst du auch, dass Mischlinge kein Recht zu Leben haben?“ Sie schaute mich ernst an und schüttelte dann ihren Kopf. „Du hast mich ziemlich verwirrt und ich denke plötzlich über Dinge nach, die ich vorher einfach wortlos akzeptiert habe.“ Sie schwieg einige Sekunden. „Ich denke, wir haben nicht das Recht darüber zu bestimmen, wer leben darf und wer nicht.“, sagte sich schließlich. Ich lächelte sie dankbar an. „Wird Kibo in diese Familie aufgenommen?“, fragte ich hoffnungsvoll. Meine Mutter schaute mich traurig an und schüttelte leicht den Kopf. „Ich glaube nicht, dass das geht. Das habe ich nicht zu bestimmen.“, sagte sie entschuldigend. Ich schaute sie entsetzt an. „Und was wird jetzt aus ihm?“ Meine Mutter löste sich von mir und stand auf. „Fürs erste werde ich dafür sorgen, dass seine Existenz zumindest akzeptiert wird. Das sollte erst einmal genügen. Mehr kann ich wirklich nicht tun.“ Ich schaute sie betreten an. „Trotzdem Danke.“, sagte ich leise. „Kibo!“, sagte meine Mutter plötzlich und ich musste ihn nicht sehen, um zu wissen, dass er zusammen zuckte. „Tritt hervor, ich möchte dich sehen!“ Ganz langsam erhob er sich. Er schaute meine Mutter nicht an und kam hinter dem Sofa hervor. Meine Mutter ging auf ihn zu und zog sein Gesicht zu sich heran, so dass er ihr in die Augen schauen musste. So verharrten sie eine Zeit lang und meine Mutter musterte ihn ganz genau. Dann ließ sie endlich ab von ihn und Kibo schaute verlegen auf seine Füße. „Du hattest Recht, Liebling. Toya war ein wirklich guter Mann mit einer aufrechten Art zu lieben!“ Dann wandte sie sich an Kibo und strich durch sein langes Haar. Kibo schaute erschrocken und entsetzt zu ihr hinauf. „Dein Vater war ein guter Freund von mir. Er hat dich sehr geliebt, denn seine Liebe fließt durch deine Adern, das fühle ich.“ Sie lächelte ihn liebevoll an und verließ dann den Raum. Zurück ließ sie einen völlig verwirrten Mischling, der noch lange auf die Tür starrte. Kapitel 10: Ein neuer Name -------------------------- Ein neuer Name „Das ist ungeheuerlich! Ein Mischling befindet sich in der Nähe der Königsfamilie!“, hörte ich einige Diener vor vorgehaltener Hand tuscheln während ich das Schloss durchstreifte. Es war gerade mal ein Tag seit dem Ereignis im Wald vergangen. Mit meinem Vater redete ich noch immer kein Wort. Nachdem ich Kibo in der Obhut von Kunan gelassen hatte, frühstückte ich mit Shirai und machte mich gleich darauf auf den Weg um meine Umgebung genauer zu betrachten. Ich befand mich in einem gigantischen Schloss, dessen weißer Marmor immer zu strahlen schien. Die Gemäuer mussten Uralt sein, doch waren die Zeichen der Zeit nicht zu sehen. Es sah so aus, als wäre das Schloss erst kurz zuvor gebaut worden. Ich folgte gerade einen langen, großen Flur, der von einem Turm in den nächsten führte, als sich neben mir etwas bewegte. Es war nur eine kleine weiße Taube, die an einem der riesigen abgerundeten Fenster vorbei flog. Die Aussicht, die ich genoss, war atemberaubend. Ich befand mich in mehreren hundert Meter Höhe und war noch nicht mal auf der Spitze des Schlosses. In den Fenstern befanden sich keine Glasscheiben und dort oben wehte ein kalter, aber irgendwie angenehmer Wind. Auf der westlichen Seite konnte ich einen riesigen Wald sehen, der sich so weit das Auge blickte erstreckte. Ganz weit am Horizont konnte ich die schemenhaften Umrisse von Bergen erkennen. Auf der gegenüberliegenden Seite hatte ich einen fantastischen Überblick über die Stadt Manjaru. Prächtige helle Gebäude schossen in die Höhe. Es gab viele Kirchen und Kathedralen, so wie eine gigantische Magierschule. Alles war hell und freundlich, man konnte kaum glauben, dass hier Krieg herrschen sollte. Hinter der Stadt fing erneut ein Wald an. Einige einsame Hügel ragten aus ihm hinaus. Und so klein, dass man es kaum sah, gab es in der Ferne ein paar kleine Dörfer. Der frische Wind, der klare Himmel und sie Strahlende Sonne beflügelten meine Abenteuerlust. Ich war voller Tatendrang und flitze los um noch so viel, wie möglich zu entdecken, bevor es losging. Es sollte etwas fantastisches an diesem Tag stattfinden, hatte mir Shirai beim Frühstück erzählt. Ich würde endlich meinen wahren Namen bekommen. Was es genau damit auf sich hatte, wusste ich zwar nicht, aber es klang unheimlich spannend. Während ich mir noch überlegte, wie wohl mein richtiger Name lautete, hatte ich mich wieder einmal verlaufen und stand plötzlich vor dem großen Eingangstor. Es war, als wäre ich ins Mittelalter zurück versetzt worden. Es gab nichts Elektrisches, oder irgendetwas, was auf die moderne Zeit erinnerte. Selbst die Wachen trugen Schwerter, statt Pistolen und auf den grob gepflasterten Straßen führen Kutschen, statt Autos. Dies war wirklich eine vollkommen neue Welt für mich. Ich streifte mir die Kapuze meines neuen weißen Umhangs über und verbarg mein Gesicht. Als ich schwerverletzt von meinem Vater ins Schloss gebracht worden war, hatten mich viele Menschen gesehen und jedes Mal, wenn mich irgendjemand erkannte verneigte er sich ehrfürchtig und nuschelte „Eure Majestät“ oder „Ehrwürdige Prinzessin“. Ich wollte dieses ganze Gefasel nicht hören und lieber unerkannt die Stadt auskundschaften. Wie im Mittelalter gab es einen großen Marktplatz auf dem die Verkäufer lautstark ihre Waren anpriesen. In der großen Menschenmenge fiel ich nicht auf und mein Herz raste vor Aufregung. Ich musste unbedingt noch einmal mit Vermilion hierher kommen! Ein Stand hatte es mir besonders angetan. Auf einem einfachen Holztisch in einem winzigen offenen Leinentuchzelt lagen ordentlich nebeneinander die unterschiedlichsten Schmuckstücke. Sie waren wunderschön verziert und mit verschiedenen Runen und Symbolen beschmückt. Keines der Schmuckstücke wirkte protzig, sondern jedes einzelne schien auf seine Weise edel und geheimnisvoll zu sein. „Chrm, chrm.“, räusperte sich eine helle Stimme neben mir. Gedankenverloren blickte ich auf und schaute direkt in ein wunderschönes Gesicht. „Gefallen dir meine Schmuckstücke, junge Dame?“, fragte die wunderschöne Verkäuferin. Sie hatte blonde dichte Locken, die ihr sanft bis zur Hüfte fielen. Ihr hellrotes Kleid betonte perfekt ihre frauliche Figur. Neben ihr kam ich mir wie ein Kleinkind vor. „Ja, sie sind sehr schön!“, antwortete ich verlegen. Die Verkäuferin kicherte. „Du bist ja eine richtige Kennerin! Diese Schmuckstücke haben alle eine besondere Geschichte. Findest du eines besonders Interessant?“, fragte sie mit glockenheller Stimme. Ich ließ noch einmal den Blick über die Schmuckstücke wandern und blieb an einem fein gearbeiteten silberschwarzen Ring hängen. Die Art, wie er verarbeitet worden war und die vielen verschnörkelten Muster erinnerten mich an das Medaillon, das ich von Vermilions Großmutter geschenkt bekommen hatte und das ich immerzu bei mir trug. Ich zeigte auf den Ring. „Was ist mit dem da? Ist das ein dämonischer Ring?“, fragte ich leise, damit nicht unbedingt jeder Passant, der vorbei lief mich hörte. Die Augen der Verkäuferin blitzen auf, wandelten sich dann aber wieder zu einem freundlichen Lächeln. „In der Tat, junge Dame. Du hast einen scharfen Blick.“ Sie nahm den Ring in die Hand. „Dieser Ring hat eine sehr traurige Geschichte. Er wurde einer Dämonenfrau abgenommen, die ihr Junges beschützen wollte. Es war ein Mischling, weißt du.“ Ich schluckte. Das kam mir irgendwie bekannt vor. Die Verkäuferin nahm meine Reaktion wohl falsch auf, denn sie lachte beschwichtigend. „Keine Sorge, Kleine! Soweit ich weiß hat man den Mischling auch getötet, aber das weiß niemand so genau. Nun, jedenfalls soll dieser Ring von dem Vater des Mischlings angefertigt worden sein, mit Hilfe des Bruders der Mutter oder so. Das weiß man nicht so genau, aber viele sagen, dass der Vater eine verbotene Magie in den Ring versiegelt hätte und dass sich je nach Herz des Trägers die Farbe des Steines ändert.“ Sie zeigte demonstrativ auf den hübschen runden schwarzen Stein, der in den Ring eingearbeitet war und steckte sich den Ring auf. „Das ist allerdings völliger Quatsch, denn so viele Leute haben ihn aufgesetzt und er bleibt schwarz!, seufzte sie. Und tatsächlich änderte sich die Farbe des Steines nicht. Die Verkäuferin nahm den Ring wieder von ihrem Finger und hielt ihn mir vor die Nase. „Na, bist du interessiert?“, fragte sie lächelnd. Ich schaute den Ring an und dann die Verkäuferin. Sicher glaubte sie, dass sie einem Kind alten Schrott für viel Geld andrehen würde, doch dieser Ring hatte einen besonderen Wert für mich. Ich wusste einfach, dass es der Ring von Kibos Mutter gewesen ist. Ich nickte verlegen. „W- Wie viel kostet er denn?“, fragte ich schüchtern um ein wenig kindlicher zu wirken. Die Frau beugte sich lächelnd zu mir hinunter und tätschelte meine Kapuze, die sie mir dann wie zufällig von Kopf streifte. Ich sah kein Erkennen in ihren Augen und atmete innerlich auf, wobei ich sie äußerlich nur fragend anschaute. Die Verkäuferin schien einen kurzen Augenblick enttäuscht zu sein, fing sich aber wieder schnell. „Eigentlich kostet dieses seltene Stück 6000G, aber weil du noch so jung bist und so nett gebe ich ihn dir für 3000! Na, ist das kein Angebot?“, fragte sie mich lächelnd. „Das ist aber trotzdem noch ziemlich teuer.“, antwortete ich kleinlaut und lächelte Schüchtern. Und das war es in der Tat! Shirai hatte mir erklärt, dass das Geld in dieser Welt etwa den gleichen Wert wie in der normalen Welt hatte. Um Geld musste ich mir als Mitglied des Königshauses eigentlich keine Sorgen machen, aber ich war schon immer ein sehr sparsamer Mensch und wenn ich mit Geld um mich warf, wäre das auch ziemlich auffällig gewesen. Die Verkäuferin seufzte. „Nun, viele Leute haben sich den Ring angeschaut, aber keiner wollte ihn kaufen. Wie wäre es mit 1000G? Das ist nun wirklich spottbillig!“ Soweit ich wusste, verdienten die Menschen in dieser Gegend nicht schlecht und auch eine Schülerin in meinem Alter wäre in der Lage diese Summe zusammen zu sparen. Ich spielte verlegen mit meinen schwarzen Haarspitzen und nickte schüchtern lächelnd. „Das ist sowieso alles, was ich habe.“ Die Verkäuferin nickte zufrieden und für einen winzigen Augenblick sah ich wieder dieses Blitzen in ihren Augen. Sie wickelte den Ring in ein kleines braunes Päckchen und ich kramte das Geld aus der Innentasche meines Mantels. Zufrieden machte ich mich auf den Rückweg und die Verkäuferin rief mir noch einen lieblichen Abschiedsgruß hinterher. Ich streifte meine Kapuze wieder über und hörte plötzlich eine Stimme neben mir sagen: „Da hast du dich ja ganz schön abzocken lassen, Kleine!“ Ich drehte mich um und sah – niemanden. Erst als ich nach unten schaute, entdeckte ich einen Zwerg, der genüsslich auf einem Apfel kaute und lässig an einem Karren lehnte. „Meinst du mich?“, fragte ich verwirrt. „Wen sonst?“, schmatzte er. Ich zweifelte keine Sekunde, dass dieses Wesen ein Zwerg war, denn es erfüllte alle Merkmale, die ich von Zwergen gehört hatte. Er hatte einen langen, am ende geflochtenen Bart und einen kurzen aber kräftig gebauten Körper. Auf seinem Rücken befand sich eine, für seine Größe, ziemlich große Streitaxt. Der Zwerg war etwa einen Kopf kleiner als ich und trug die selbe Kleidung, wie die Zwerge, die ich schon im Schloss gesehen hatte. Diese Bewachten dort verschiedene Dinge, aber ich wusste nichts genaueres. „Dieser Ring ist einfach nur Dämonenschrott! Ich hätte ihn vielleicht für 30G gekauft, aber keinesfalls teurer!“ Der Zwerg hatte eine raue barsche Stimme, die irgendwie hochmütig klang, aber ich wusste, dass es nicht so gemeint war. Ich lächelte. „Keine Sorge, mein Herr.“, sagte ich ruhig. „Ich habe mir schon etwas bei diesem Kauf gedacht. Der Ring mag auf Sie vielleicht wie Schrott wirken, aber für mich hat er einen besonderen Wert.“ Der Zwerg hob ungläubig eine Augenbraue und hörte auf zu kauen. „Du wusstest, dass sie dich abzockt?“ Der Zwerg verschluckte sich am Apfel und begann zu Husten. Ich lachte freundlich und klopfte auf seinem Rücken. „Natürlich wusste ich das, aber es ist schon in Ordnung so.“ Der Zwerg beruhigte sich und warf den Apfel weg. „Ich hab noch nie jemanden getroffen, der sich absichtlich abzocken ließ!“, sagte er grimmig. „Es gibt für alles ein erstes Mal, oder?“, grinste ich. Der Zwerg schaute mich schief von der Seite an. „Du bist ziemlich merkwürdig!“, sagte er dann bestimmt. Das sagte mir ausgerechnet ein Zwerg! Bei dem Gedanken musste ich kichern. „Vielleicht...“, antwortete ich dann. Der Zwerg setzte sich in Bewegung und ich folgte ihm einfach. Es kam mir so vor, als hätte er das gewollt, auch wenn seine forsche Art abweisend wirkte. „Mein Name ist Mogar. Ich gehöre zur Leibgarde des Königshauses.“, stellte er sich grimmig vor, während wir langsam auf das Schloss zu gingen. „Freut mich dich kennen zu lernen. Mein Name ist Evelyn.“, stellte auch ich mich vor. Er zog wieder eine Augenbraue hoch. „Merkwürdiger Name!“ Ich zuckte mit den Achseln. „Du hast doch gesagt ich bin merkwürdig, dann passt es ja.“ Mogar fing plötzlich schallend an zu lachen. Er lachte so laut, dass sich die Leute um uns herum zu ihm umdrehten oder einen weiten Bogen um den Zwerg machten. „Das ist gut!“, lachte er noch immer. „Du hast echt Schneid, Kleine! Das fehlt den meisten Kindern heutzutage!“ Er lachte etwas leiser weiter und wischte sich eine Lachträne aus seinem Auge. Ich grinste ihn unter meiner Kapuze an. Der kleine Kerl hatte wirklich ein sonniges Gemüt! „Du redest, als wärst du ein alter Mann, Mogar.“, sagte ich freundlich. In meinen Augen war er vielleicht dreißig, aber keinesfalls älter. Aber konnte man das bei Zwergen so genau sagen? „Ich bin immerhin schon 307 Jahre alt!“, sagte er stolz und nahm eine straffere Haltung an. Ich starrte ihn verdutzt an. Konnte das sein? Nun war es an Mogar zu grinsen. „Erstaunt, was?“ Ich nickte nur. Das war einfach zu viel für mich, aber eigentlich hätte mich ja nichts mehr schocken dürfen, nach allem, was ich schon erlebt hatte. Am Rand des Schlosses gab es einen großen Tumult und eine große Menschentraube hatte sich versammelt. „Was ist da los?“, fragte ich Mogar. „Ach, hast du es nicht gehört? Heute bekommt die Prinzessin ihren Namen!“, sagte er ruppig, aber ich hörte auch etwas Stolz in seiner Stimme. „Das ich das noch erleben darf! Alle dachten, sie wäre schon lange gestorben und jetzt dürfen wir das noch miterleben. Und auch die Königin ist wie durch ein Wunder wieder erwacht, jetzt geht alles wieder Bergauf. Eine Zeit lang sah es ziemlich düster für uns aus! Ich bin gespannt, wie unsere zukünftige Herrscherin so ist.“ Ich wurde knallrot unter der Kapuze. „Sie ist doch noch ein Kind, oder?“, fragte ich zur Ablenkung. Mogar nickte. „Sie ist nicht viel älter als du, aber ich erkenne wahre Stärke, wenn ich sie sehe! Und weißt du, wie ich das erkenne?“, fragte er mich schnippisch. Ich schüttelte meinen Kopf und beugte mich neugierig zu ihm hinunter. „Die Augen!“, sagte er leise. „Wenn sie starke und klare Augen hat, werde ich ihr mit Freuden folgen!“ Ich bekam ein flaues Gefühl im Magen. Hatte ich denn solche Augen? „Hier müssen wir uns wohl verabschieden.“, unterbrach Mogar meine Gedanken. „Ab hier haben nur Befugte Zutritt in das Schloss.“ Ich nickte und verbeugte mich höflich. „Pass auf dich auf, Kleine!“, rief er mir noch zu und rannte erstaunlich schnell davon. „Du auch!“, rief ich ihm hinterher, aber das hörte er schon nicht mehr. „Eve!“, ertönte Shirais aufgeregte Stimme hinter mir. „Ich hab dich überall gesucht! Du kannst doch nicht einfach ohne ein Wort zu sagen das Schloss verlassen!“ – „Tut mir Leid, Shirai!“, antwortete ich und streifte mir die Kapuze vom Kopf. „Komm schnell!“, sagte sie erleichtert, nahm meine Hand und zog mich mit sich. „Die Vorbereitungen für deine Namensgebung laufen auf Hochtouren. Eben gerade sind die Priesterinnen angekommen!“, sagte sie ganz aufgeregt und lief immer schneller. „Wieso brauche ich eigentlich einen neuen Namen?“, fragte ich keuchend. „Jeder Magier hat einen ihm vorbestimmten Namen, den er eigentlich kurz nach seiner Geburt von den drei Hohepriesterinnen bekommt. In deinem Fall bekommst du ihn etwas später, aber es immer ein großes Ereignis!“, erklärte sie und bog in einen anderen Flur ab. „Muss ich irgendetwas machen?“, fragte ich nervös. Shirai lachte. „Aber nein! Vergiss nicht, die Zeremonie wird sonst mit Säuglingen vollzogen!“ Ich entspannte mich ein wenig. Aber wäre es dann nicht peinlich mit dreizehn eine Zeremonie zu vollziehen, die andere als Babys hatten? Endlich erreichten wir ein großes Zimmer, dass voller Kleider war. Eine ältere Frau begrüßte uns freundlich und verbeugte sich vor mir. „Wenn Ihr es wünscht, werde ich Euch bei der Wahl Eures Kleides behilflich sein, Eure Majestät!“ Ich schaute fragend zu Shirai. „Das letzte Mal haben wir dich unserer Familie vorgestellt, aber heute präsentieren wir dich unserem Volk. Schließlich bist du ihre zukünftige Herrscherin!“, erklärte sie mir. Ich schluckte. Meine Nervosität erreichte einen äußerst kritischen Punkt. Shirai lächelte mich aufmunternd an und schob mich in die Richtung der Dienerin. „Wie wäre es mit diesem Kleid?“, fragte sie freundlich und hielt mir ein weißes Seidenkleid vor die Nase. „Für die Zeremonie müsst Ihr unbedingt weiß tragen, Majestät!“ Ich begutachtete das Kleid misstrauisch. „Ich möchte nicht mit Rüschen oder so tragen.“, erklärte ich. Die Dienerin nickte lächelnd und hatte keine drei Sekunden ein wunderschönes Kleid zur Hand. Es war relativ schlicht, so wie es mochte, allerdings auch ziemlich enganliegend, wie ich feststellte. Ich schaute auf den Brustansatz, der in der letzten Zeit stetig wuchs und den man in dem Kleid besonders gut sah. „Ich weiß nicht, ist es nicht ein Bisschen zu Figurbetont?“, fragte ich zweifelnd. Die Dienerin schüttelte energisch ihren Kopf. „Keinesfalls, Eure Majestät! Ihr habt eine so zierliche und schöne Figur! Nicht viele Kinder in Eurem Alter sind mit so einer schönen Figur gesegnet, zeigt Euch ruhig! Findet Ihr nicht auch, dass Ihr um einiges älter und edler ausseht?“ Ich betrachtete mein Spiegelbild in dem großen Spiegel, der in der Mitte des Raumes stand. Sie hatte vollkommen recht, ich sah wirklich älter aus und das Kleid gefiel mir immer besser. „Es ist perfekt!“, sagte ich schließlich. Shirai holte noch zwei weitere Frauen in das Zimmer. Während die eine kleine Strähnen in meine Harre flocht und sie kunstvoll mit einer hübschen Spange zusammensteckte, trug die andere ein wenig Make-up auf mein Gesicht auf und gab mir dezenten, aber hübschen Schmuck. Ich erkannte mich kaum wieder und auch Shirai staunte nicht schlecht. „Ich hab das Gefühl, als ob ich mich vor dir verbeugen müsste!“, scherzte sie. „Lass die Witze!“, sagte ich nervös. „Und was ist, wenn mich die Menschen nicht mögen?“, fragte ich leise. Shirai lachte kurz auf. „ Warum sollten sie ein so hübsches und süßes Mädchen nicht mögen?“ Ich war nicht wirklich überzeugt. Shirai schlüpfte schnell in ein wunderschönes Kleid und begleitete mich schließlich zu einem kleineren Saal, der sich direkt hinter dem Thronsaal befand. Dort wurde ich von meinen Eltern überrascht empfangen. „Oh mein Gott! Schatz, du siehst ja so wunderschön aus!“, strahlte meine Mutter und nahm mich in den Arm. „Danke...“, sagte ich nicht sehr begeistert. Meinen Vater schaute ich nicht an. Ich hatte ihm noch immer nicht wegen der Sache mit Kibo verziehen. „Evelyn...“, sagte er traurig. „Bitte sei nicht mehr sauer auf mich.“ Er legte mir seine Hand auf die Schulter. Ich schwieg. Er seufzte enttäuscht. „Ich dachte mir schon, dass du mir nicht so leicht verzeihst, aber bitte sieh das als kleines Zeichen meiner Reue.“ Ich drehte mich verwirrt um und folgte mit meinem Blick dem Finger meines Vaters. Eine kleine Tür am Ende der Kammer öffnete sich und ein kleiner schwarzer Wuschelkopf tauchte in der Tür auf. „Vermilion!“, rief ich glücklich und nahm meinen kleinen herausgeputzten Freund in die Arme. „Nicht zo doll, Eve!“, quietschte er vergnügt. Doch das war nicht die einzige Überraschung, denn dicht gefolgt tauchte hinter Vermilion die weiße Gestalt von Kibo auf, dicht gefolgt von Kunan. „Kibo? Du bist auch hier? Ich dachte...“ Ich drehte mich zu meinem Vater um und schaute ihn völlig verblüfft an. Dieser lächelte entschuldigend und zuckte mit den Achseln. „Es steht nirgendwo geschrieben, dass deine Freunde nicht dabei sein dürfen.“ Ich platze fast vor Glück! Doch die größte Überraschung folgte noch. Mein Vater kam auf Kibo zu und verbeugte sich tief. Dieser wiederum schreckte verwirrt zurück und schaute mich fragend an. Ich lächelte nur. „Es tut mir Leid, was ich dir und deiner Familie angetan habe. Ich werde es nie wieder gut machen können, doch bitte sei meiner Tochter auch weiterhin ein guter Freund. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um mein Vergehen gegen dich wieder gut zu machen!“ Im Raum wurde es plötzlich totenstill. Kibo war nun vollends verwirrt und wurde noch blasser, als er ohnehin schon von Natur aus war. Er nickte nur und mein Vater seufzte erleichtert. Von draußen klang ein Stimmengewirr zu uns. „Bist du soweit?“, fragte mich meine Mutter freundlich. Ich nickte. In Wahrheit war ich es natürlich nicht, aber das konnte ich ja schließlich nicht zugeben. „Warum bist du ohne mich nach Kigen gegangen?“, fragte mich Vermilion telepathisch. Er klang ein wenig verletzt. „Es ist viel geschehen und du warst so erschöpft... Es tut mir Leid, mein Kleiner!“ Vermilion lächelte mich verständnisvoll an. „Wer hat dich hierher geführt?“, fragte ich ihn laut. Vermilion schaute zu meiner Mutter, diese lächelte verlegen. „Danke, Mama!“, sagte ich glücklich. Dann schaute ich zu meinem Vater. Ich ging langsam auf ihn zu und er schaute mich traurig an. „Es tut mir wirklich Leid.“, murmelte er und beugte sich zu mir herunter. „Kannst auch du mir bitte verzeihen?“ Ich fiel in seine starken Arme und wurde herzlich empfangen. „Du bist mein Vater, wie könnte ich das nicht?“, sagte ich glücklich. Großvater, der in einer Ecke unauffällig alles beobachtet hatte, räusperte sich. „Die drei Hohepriesterinnen lässt man nicht warten!“, ermahnte er streng. Zusammen mit Shirai, Vermilion, meinen Eltern, Großvater, Kibo und Kunan schritten wir durch eine Seitentür des Raumes. „Gehen wir nicht in den großen Thronsaal?“, fragte ich verwirrt. „Erst nach der Zeremonie. Diese findet in einer heiligen Halle statt und nur die engsten Vertrauten von dir dürfen dabei zusehen.“, erklärte meine Mutter. Vermilion drückte meine Hand. „Du musst mir nachher aber unbedingt alles erzählen!“, sandte er mir. „Auf jeden Fall!“, antwortete ich auf die selbe Weise. Wir erreichten eine weiße hohe Tür, auf denen hellblaue Runen schimmerten. Links und rechts neben der Tür standen zwei Priester in hellgrauen Gewändern. Sie verbeugten sich tief vor mir und meiner Mutter, die sich hinter mich gestellt hatte und ihre Hände auf meine Schultern legte. Gemeinsam gingen wir durch die sich von selbst öffnende Tür. Im Inneren befand sich eine rundgewölbte Höhle, deren Wände schwarz glänzten. Der runde Raum wurde von Dutzenden Fackeln beleuchtet, die in einem gleichmäßigen Abstand an der Wand hingen. In der Mitte der Höhle befand sich ein Teich, in dessen Zentrum sich eine runde Steinplatte befand. Auf ihr waren heilige Symbole und Zeichen geschrieben. Die drei Hohepriesterinnen befanden sich auf eben dieser Steinplatte und schauten, eingehüllt in lange, weiße Gewänder, in meine Richtung. „Dies sind die drei Hohepriesterinnen.“, erklärte meine Mutter flüsternd, während wir auf den Teich zugingen. „Sie repräsentieren drei Generationen und somit auch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“ Ich schwieg ehrfürchtig. Ein schmales weißes Boot stand für mich bereit, um mich zur Steinplatte zu bringen. „Nur wir beide werden in den heiligen Kreis gehen.“, erklärte mir meine Mutter, als ich sie fragend anschaute. „Die anderen werden hier auf uns warten.“ Ich drehte mich zu Vermilion um und nickte ihm zu. „Wünsch mir Glück!“, sandte ich ihm. „Du kriegen beztimmt einen schönen Namen.“, munterte er mich auf. Meine Mutter half mir in das kleine Boot und es fuhr von selbst los. Ich schaute noch einmal zurück. Mein Großvater blickte, wie immer, resigniert drein. Shirai und Vater hatten Freudentränen in den Augen und Vermilion winkte mir nach. Kibo war nicht von Kunans Seite gewichen und schaute mir mürrisch nach. Zufrieden seufzte ich und drehte mich wieder um. Die Priesterinnen standen Aufrecht und würdevoll nebeneinander, als wir auf die Steinplatte kletterten. Als wir den Kreis erreichten legten sie wie auf Stichwort gleichzeitig ihre Umhänge ab. Die älteste Priesterin trug ein dunkelgraues Kleid und hatte langes, glattes graues Haar. Sie war hochgewachsen und ihr faltiges Gesicht strahlte pure Weisheit aus. Die zweite Priesterin war eine Frau mittleren Alters und trug ein hellgraues Kleid. Sie hatte noch keine Falten und ihre braunen langen Haare waren ebenso glatt, wie die ihrer Mutter. Denn Mutter und Tochter waren sie ganz sicher, so sehr, wie sie sich ähnelten. Die letzte Priesterin war ein kleines Kind von etwa sieben Jahren. Sie trug ein weißes Kleid und hatte, wie auch ihre Mutter, braune, glatte Haare. Alle drei trugen rituellen Schmuck und schauten meine Mutter und mich ernst an. Meine Mutter verbeugte sich ehrfürchtig und ich tat es ihr gleich. „Welch ungewöhnliches Alter für eine Namensgebung.“, ertönte die raue Stimme der ältesten Priesterin. „Für wahr!“, antwortete ihre Tochter. „Doch das ändert für uns nicht das geringste, nicht wahr?“ Die älteste schüttelte ihren Kopf. „Nicht das geringste“, stimmte sie zu. Meine Mutter erhob sich und ich machte es ihr einfach nach. Sie führte mich genau in das Zentrum der Steinplatte und stellte mich auf den weißen Kreis, der auf dem Boden gezeichnet worden war. „Ich, Dilia Cage, Tochter von Alkane und Hotogai, erbitte um einen Namen für meine leibliche Tochter.“, sagte sie mit klarer Stimme. Die drei Priesterinnen bewegten sich langsam und gleichmäßig auf uns zu. Die älteste stellte sich auf eine Rune links hinter mir. Die zweite Frau stellte sich rechts hinter mir auf eine andere Rune und das kleine Mädchen stellte sich vor mir auf eine dritte Rune. Meine Mutter verbeugte sich tief und verließ den Aufgezeichneten Kreis, um sich am Rand nieder zu knien. Ich schaute in das hübsche Gesicht des Mädchens vor mir und stellte erstaunt fest, dass ihre Augen, wie die ihrer Mutter und Großmutter, hellgrün Leuchteten. Die älteste Priesterin fing mit einem leisen Gesang in einer mir unbekannte Sprache an. Ihre Tochter fiel in den Gesang mit ein und dann schließlich auch die jüngste. Obwohl ich nichts verstand, wusste ich, dass sie von der Zeit und deren Vergänglichkeit sangen. Sie besangen Himmel und die Erde und erzählten von Freude und Leid. Ich schloss meine Augen und ließ die Worte in meinem Kopf widerhallen. Jeder Ton berührten mich und machte mich entweder traurig oder glücklich. Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Ich wusste nicht, ob wir schon seit Stunden oder erst seit ein paar Minuten dort standen. All meine Erinnerungen schienen von mir ab zu fallen. Ich war völlig entspannt und im Einklang mit dem Gesang. Als sie ihre letzte Note gesungen hatten, öffnete ich wieder meine Augen und ich fühlte mich erschöpft aber glücklich. Alle drei Priesterinnen lächelten und schlossen ihren Kreis um mich enger. Sie nahmen sich an der Hand und schlossen mich in ihrer Mitte ein. „Ein Kind, voller Kraft und Güte.“, sagte die älteste laut und klar. „Ein Herz, rein und mutig!“, sagte die zweite im gleichen Tonfall. „Ein Schicksal, von größter Wichtigkeit und der größten Entscheidung!“, sagte das kleine Mädchen in einer Lautstärke, die ich ihr nicht zugetraut hatte. Die drei nickten Zufrieden und sagten Laut und gleichzeitig: „Ihr Name, vom Schicksal selbst gewählt lautet Kiraya, Freund in allen Sprachen.“ In mir stieg ein Glücksgefühl auf, wie ich es noch nie gespürt hatte. Ich wusste, das dies mein Name war. Ich fühlte ganz stark, dass er es schon immer gewesen war. Kiraya! Dieses Gefühl, es ganz genau zu wissen, glich dem, als Großvater mir den Bann nahm und ich plötzlich wusste, wer meine Familie war. Meine Mutter, die die ganze Zeit über reglos am Rande des Kreises gehockte hatte erhob sich und die drei Priesterinnen gingen zurück auf ihre Runen. „Ich, Delia, leibliche Mutter von Kiraya und Zeugin ihrer Namensgebung werde ihren Namen bewahren!“, sagte sie stolz. Ich lächelte sie an und sie nickte mir glücklich zu. Die Priesterinnen verbeugten sich leicht vor mir. „Du wirst eine gute Herrscherin werden, bleibe stark!“, hörte ich die Stimme der ältesten in meinem Kopf. „Glaube auch weiterhin an deine Freunde und halte an deinen Moralvorstellungen fest.“, erklang darauf die Stimme der zweiten Priesterin in meinem Kopf. „Auch aus einer Niederlage gewinnt man etwas. Vergiss nie, dass du nicht jeden retten kannst.“, ertönte als letztes die Kinderstimme des Mädchens. Ich verbeugte mich tief und wartete bis die drei Frauen sich wieder in eine Reihe gestellt hatten. Meine Mutter stellte sich zu mir und nahm meine Hand in ihre. Die Priesterinnen hüllten sich wieder in ihre Gewänder und schauten meine Mutter an. „Ihr habt eine gute Tochter, Dilia.“, sagte die älteste. „Gebt gut auf sie acht.“ Meine Mutter verbeugte sich tief und wir drehten uns um. Schweigend stiegen wir in das Boot und ließen uns zum Ufer treiben. Voller Ungeduld wurden wir erwartet. „Kiraya!“, rief mein Vater und hob mich aus dem Boot. Shirai half meiner Mutter. Während mein Vater mir ein Kuss nach dem anderen auf die Stirn gab, kam auch Vermilion angeflitzt und umarmte meine Hüfte. „Ich hab doch gezagt, dass ez ein schöner Name wird!“, strahlte er mich an. Ich errötete leicht. Ich schob meinen Vater sanft beiseite und strahlte in die Runde. Selbst Großvater sah einigermaßen glücklich aus, was man von Kunan, der ohnehin nie sein Gesicht verzog und Kibo, der noch immer mürrisch dreinblickte, nicht behaupten konnte. Gemeinsam verließen wir die Höhle und machten uns auf den Weg zum Thronsaal. „Kiraya bedeutet „Freund“, oder?“, fragte Shirai meinen Großvater. Dieser nickte. „Korrekt übersetzt bedeutet Kiraya „Freund, Gleichgesinnter, Partner und Kamerad“, es ist ein seltener Name.“, sagte er geheimnisvoll. „Wie meinst du das mit übersetzt?“, fragte ich. Diesmal antwortete mein Vater. „Wir alle bekommen Namen in der Alten Sprache, die heute nur noch von Priestern gesprochen wird. Jeder Name hat eine ganz besondere Bedeutung. Mein Name, zum Beispiel, bedeutet „Starker Wächter“ und der deiner Mutter bedeutet „Schöne Blume“. Ein passender Name!“, grinste er. Ich nickte beeindruckt. „Und was bedeutet dein Name, Großvater?“, fragte ich neugierig, während wir die weißen Flure entlang liefen. „Weiser Führer.“, antwortete er und lächelte sanft. Ich drehte mich zu Shirai um und schaute sie fragend an. Sie lachte. „Mein Name bedeutet „Gütige Kriegerin“, was nicht unbedingt treffend ist.“ Ich wollte gerade noch etwas sagen, als wir auch schon vor dem Tor zum Thronsaal standen. „Jetzt wirst du dein zukünftiges Volk kennen lernen, Kiraya.“, sagte Großvater ernst. Ich nickte. Es war ein seltsames Gefühl, einen Namen, den man vorher noch nie gehört hatte auf einmal so selbstverständlich als seinen eigenen zu wissen. Die beiden Torflügel schwangen langsam auf und Großvater stellte sich neben mich. Hinter uns reihten sich meine Eltern ein und hinter ihnen folgten die anderen. Es war ein atemberaubender Anblick, der sich mir bot. Im Thronsaal hatte sich eine riesige Menschenmenge versammelt, die alle laut jubelten, als wir eintraten. Es waren aber nicht nur Menschen anwesend. Ich entdeckte eine Anzahl von Zwergen, ein paar Elben und noch viele andere fremdartige Wesen, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Großvater führte mich stolz erhobenen Haupt vor die beiden Throne, auf die sich meine Eltern setzten. Shirai stellte sich neben meine Mutter und meine Freunde stellten sich zu den Rittern hinter dem Thron. Ich blickte mit klopfenden Herzen auf die Menge, die mich fasziniert anstarrte. Großvater wartete bis sich die Menge beruhigt hatte und es totenstill war. Es herrschte eine angespannte Stimmung und es schien als würde jeder einen Moment die Luft anhalten. „Nach Jahren der Qual und des Wartens,“, verkündete Großvater laut und klar und ich zweifelte nicht daran, dass ihn auch die Menschen in der hintersten Ecke alles verstanden. „kann ich voller Freude meine Schwiegertochter wieder in die Arme schließen und ihre Rückkehr verkünden!“ Lauter Jubel brach aus, als meine Mutter aufstand und liebevoll in die Runde lächelte. Sie hatte wahrlich die Aura einer Königin, wie mir jetzt auffiel. Als es wieder still wurde sprach Großvater weiter. „Doch die größte Überraschung ist wahrlich die Rückkehr meiner tot geglaubten Enkeltochter, unserer Thronfolgerin und zukünftige Herrscherin.“ Großvater sprach immer lauter. „Voller Stolz stelle ich euch, unserem Volk, die zukünftige Herrscherin der Königsfamilie und unsere Zukunft vor. KIRAYA CAGE!“, rief er laut und ein so überschwänglicher Jubel brach aus, dass es mir den Atem raubte. In den Augen der Menschen, die dort unten standen, sah ich pure Freude, Ehrfurcht und Respekt. All das für ein Kind, dass sie nicht kannten? Ich war so überwältigt, dass mir Tränen in die Augen schossen. Ich schluckte sie tapfer runter, konnte aber nicht ganz verbergen, wie gerührt ich war. Der Jubel brach nicht ab und wurde auch nicht leiser. Ich hörte wie eine Gruppe von Menschen laut und voller Inbrunst immer wieder meinen Namen riefen. „KIRAYA, KIRAYA!“ Ein seltsames Gefühl erwachte in mir. Schlagartig wurde mir klar, dass es irgendwann meine Aufgabe sein würde, all diese Menschen zu schützen und Entscheidungen zu ihrem Wohl zu treffen. Ich war ihre Dienerin. Ehrfürchtig verbeugte ich mich vor ihnen und ein der Jubel wurde noch lauter, was ich für unmöglich gehalten hatte. Ich hörte einige Leute schluchzen und ganz besonders Laut weinte ein Zwerg, der am Fuße der Treppe stand. Es war Mogar, der hemmungslos in ein großes Taschentuch schnaufte. „Was für Augen!“, hörte ich ihn schluchzen. Ich errötete und lächelte ihn gerührt an. Jemand stupste Mogar an und er schaute auf. Er erstarrte, als er bemerkte, dass ich ihn direkt anschaute. Ich nickte ihm zu und er wurde rot. Großvater führte mich wieder zurück zu dem Tor, aus dem wir gekommen waren. „Gut gemacht.“, hörte ich ihn undeutlich flüstern. Mein Herz raste noch immer, als das Tor hinter mir geschlossen wurde und die lauten Rufe verstummen ließen, Großvater war im Thronsaal geblieben. Ich hörte undeutlich die Stimme meines Vaters über die Menge hinweg rufen. Er verkündete etwas von einem Fest, doch mehr konnte ich nicht verstehen. Ich spürte eine kleine Hand an meinem Ärmel zupfen. „Das war ganz schön aufregend!“, strahlte mich Vermilion an. Ich nickte. Auch Kibo und Kunan waren mir gefolgt. Kibo schaute zur Abwechslung mal nicht mürrisch. „D- Das es so viele Menschen gibt.“, stotterte er nervös. Er hatte in all den Jahren im Verlies natürlich nur wenige Menschen gesehen. Ich schaute ihn entschuldigend an. „Entschuldige, dass ich dich da einfach mit hinein gezogen habe!“, lächelte ich verlegen. Kibo schüttelte seinen Kopf. „Ist doch jetzt egal, aber wie soll es jetzt weiter gehen? Soll ich dir ewig, wie ein Hündchen folgen, damit ich nicht umgebracht werde?“ Ich grinste. „Gar keine so dumme Idee!“ Kibo riss entsetzt seine Mund auf. „Was?“ Ich lachte. „Natürlich nicht, du Idiot. Keine Ahnung, was wir jetzt mit dir machen... Was willst du denn?“ Kibo schaute mich verwirrt an. „Ich?“ Ich nickte. Kibo schaute nachdenklich zu Kunan hinauf. Mein schweigsamer Beschützer war offenbar der einzige, den er mochte. „Wenn Kunan nichts dagegen hat, kannst du erst mal bei ihm bleiben.“, sagte ich . „Allerdings läuft er mir immer nach, da er mich beschützen muss. Also fangen wir wieder bei null an.“ Eine Dienerin unterbrach uns. „Verzeiht, Eure Hoheit, aber Eure Gemächer sind bereit. Bitte folgt mir.“ Sie verbeugte sich tief und führte uns in einen Raum, der gut als großes Wohnzimmer zu beschreiben war. Ein gemütliches Feuer prasselte im Kamin und ein großes, weiches Sofa bot jede Menge platz. Der rote Teppich und die rustikalen Möbel machten den ganzen Raum behaglicher. Vermilion warf sich übermütig auf das Sofa, während sich Kibo auf einen der Sessel vor dem Kamin platzierte. Kunan lehnte sich an die Wand neben der Tür und behielt uns im Auge. „Er beschützt dich doch nicht 24- Stunden am Tag, oder?“, nahm Kibo unser Gespräch wieder auf. „Hier im Schloss nicht.“, bestätigte ich. „Aber sonst eigentlich schon.“ Kibo schwieg. Auch ich dachte angestrengt nach. „Was ist jetzt eigentlich alles passiert?“, fragte mich Vermilion. Er schaute mich neugierig an. Ich lächelte. Er schien der einzige zu sein, der sich um nichts Gedanken machte. Ich erzählte meinem kleinen Freund ausführlich, was geschehen war, seit er Kibo geheilt hatte. „Wirklich?“, fragte Vermilion erstaunt, als ich geendet hatte. „Dann wärst du ja fast gestorben, als ich friedlich geschlafen hab!“ Ich nickte ernst. „Aber es ist noch mal gut gegangen. Ich muss noch eine Menge lernen, wie mir scheint, sonst sprenge ich mich irgendwann noch in die Luft.“ „Stimmt!“, lachte Vermilion und kletterte auf meinen Schoß. Es klopfte an der Tür und Shirai trat ein. Sie hatte gerötete Wangen, als wäre sie gerade gerannt. „Meine Güte, ich dachte, die hören nie auf!“, sagte sie schnaufend. Ich schaute sie fragend an. „Die Meute wollte sich nicht beruhigen lassen. Bis eben haben sie laut gejubelt und wollten dich noch mal sehen.“ Ich wurde rot. Warum mochten die mich so? „Dein Auftritt hat sie ganz schön beeindruckt, Kiraya. Selbst die Zweifler sind bekehrt!“ Ich war endgültig verwirrt. „Welcher Auftritt? Ich hab doch nichts getan!“ Shirai setzte sich erschöpft neben mich. „Oh doch. Sie haben genau gespürt, dass du deiner Aufgabe gewachsen bist. Als du dich dann verbeugt hast und ihnen damit klar gemacht hast, dass du ihnen dienen wirst, war sogar ich beeindruckt. Großvater meinte, dass du seiner Urgroßmutter ähnelst. Sie war die bisher berühmteste Königin unter deren Herrschaft das Land Jahrzehnte in Frieden lebte.“ Ich schwieg nachdenklich. Es gab noch so Vieles zu lernen. Die Geschichte meiner Familie, die Geschichte von Kigen, die Geschichte der Dämonen und auch die Geschichte der Mischlinge, ich wollte alles wissen. Ich hatte an diesem Tag vieles gelernt und doch wusste ich nichts. Es klopfte erneut an der Tür und diesmal traten meine Eltern ein. Sie strahlten über alle Maßen. „War das nicht aufregend, Schatz?“, fragte mich meine Mutter. Ich nickte erschöpft. Obwohl ich eigentlich nicht viel getan hatte, war ich müde. Meine Mutter setzte sich neben Shirai auf das Sofa und mein Vater setzte sich in den noch freien Sessel. Niemand schien Notiz von Kibo zu nehmen. „Heute wird das traditionelle Fest zur Namensgebung des Thronfolgers gefeiert. Da es üblicherweise ja ein Baby ist, nimmt du eigentlich nicht an der Feier teil, aber wenn du willst, kannst du es natürlich!“, erklärte mein Vater. Ich nickte. „Vielleicht schaue ich mal vorbei, irgendwie bin ich erschöpft.“ Shirai streichelte über meinen Kopf. „Kein Wunder, die Namensgebung erschöpft die Babys immer so sehr, dass sie danach immer durchschlafen, ein Segen für die Mütter!“, grinste sie. „Ich bin aber kein Baby mehr!“, murmelte ich entrüstet. Meine Eltern und Shirai lachten. „Ruh dich ein wenig aus und dann kannst du heute Abend bei dem Fest vorbei schauen.“, schlug meine Mutter vor. Ich schüttelte den Kopf. „Es geht schon. Aber ich muss unbedingt noch etwas klären.“ Ich schaute zu Kibo, der sich in seinem Sessel so klein, wie möglich machte, um ja nicht bemerkt zu werden. „Kibo weiß nicht, was jetzt aus ihm wird. Wo soll er denn jetzt hin? Er würde gerne bei Kunan bleiben, wenn das ginge.“, erklärte ich. Erst in diesem Moment schienen sie ihn zu bemerken und schauten zum Sessel. Kibo schaute verlegen zu Boden, als sich die Blicke aller Anwesenden auf ihn Richteten. „Hat Kunan keine Wohnung?“, fragte Vermilion in die Runde. „Natürlich hat er die. Er lebt in seinem Familienhaus, dass sich auf unserem Grundstück befindet. Seine Familie dient unserer schon seit vielen Generationen und hat etliche starke Krieger hervorgebracht.“, erklärte Vater stolz. Kunan regte sich nicht. Ich schaute Kibo an. „Wie wäre es denn, wenn er dort hin könnte? Kunan wird mich ja nicht ständig beschützen, oder?“ Sie schwiegen einen Augenblick. „Genau das ist seine Aufgabe. Er beschützt dich, denn du bist ständig in Gefahr! Als unsere Erbin trachten dir viele nach dem Leben.“, sagte mein Vater leise. Ich nickte. „Das weiß ich ja, aber hat er denn niemals frei? Hat er kein Urlaub?“ Mein Vater schüttelte seinen Kopf. „So etwas gibt es hier nicht. Allerdings würde er dich nicht begleiten, wenn du bei Anno Unterricht hast. So gesehen hat er also Freizeit.“ Unterricht? Ich hatte schon fast vergessen, dass es so etwas noch gab. „Und was wird aus den beiden Jungs?“, fragte ich und deutete auf Vermilion und Kibo. Mein Vater überlegte kurz. „Kibo kann bei Kunans Familie bleiben, wenn sie nichts dagegen hat.“ Er schaute Kunan an und dieser verbeugte sich. „Gut, dann wäre das ja geklärt.“, fuhr mein Vater fort. „Vermilion wird ja, wie du, von Anno unterrichtet, das ist nicht weiter problematisch.“ Ich seufzte. „Aber so meinte ich das nicht. Das Vermilion bei uns bleibt, war mir schon klar. Dass Kibo bei Kunan leben kann, ist sehr schön, aber wie sieht es mit seiner Ausbildung aus? Auch er wird irgendwann Erwachsen sein. Ich habe nicht vor, Kibo nach ein paar Jahren, wie ein Hund aus zu setzen, falls ihr das denkt. Er soll nicht auf dem Stand eines 10- Jährigen sein, wenn er seine eigene Familie gründet.“ Alle schauten mich verwundert an und ich wurde rot. Ich hatte mich nicht mehr wie eine dreizehnjährige angehört, das war mir klar. „So weit hatten wir noch nicht gedacht.“, sagte mein Vater entschuldigend. „Aber du hast recht, auch er hat jetzt eine Zukunft, sie beide haben eine.“, Er schaute zu Vermilion. „Anno wird Vermilion unterrichten, aber bei Kibo ist es etwas anderes.“, Shirai schnaubte. „Also er kann nie und nimmer von irgendjemanden unterrichtet werden. Eigentlich gibt es bei uns ja keine Mischlinge, also weiß auch so gut wie niemand etwas über sie.“ – „I- Ist schon gut.“, mischte sich Kibo leise stotternd ein. Alle schauten ihn überrascht an. „Ich weiß, dass meine Existenz an sich nur geduldet wird. I- Ich will gar nicht mehr, das würde sich nicht gehören. Mir reicht es vollkommen, wenn ich einen Ort zum Leben habe.“ Kibo sprach so leise, dass man genauer hinhören musste, um ihn zu verstehen. Mein Vater sah in traurig an. „Ich werde noch eine Lösung dafür finden!“, versprach er und stand auf. „Leider haben wir keine Zeit mehr, die Pflicht ruft.“, entschuldigte er sich. Auch meine Mutter erhob sich. Wir sehen uns heute Abend, Schatz.“, sagte sie und lächelte mir zu. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, stand auch Shirai auf. „Ich werde dann auch mal gehen und ein paar Freunde von mir begrüßen. Ich war schon lange nicht mehr hier in Kigen.“ Sie streichelte mir noch einmal über den Kopf und verließ dann fröhlich summend den Raum. „Das war richtig mutig von dir, dass du mal deinen Mund geöffnet hast!“, neckte ich Kibo, als Shirai außer Hörweite war. „Schnauze!“, fauchte er und wurde rot. „Was sollte auch der Scheiß mit der Ausbildung. Ich weiß welchen Stand ich habe, so etwas wie eine unbeschwerte Zukunft werde ich nie haben und eine Familie erst echt nicht.“ Ich schaute ihn traurig an. Wahrscheinlich hatte er recht, aber ich wollte es nicht einfach so hinnehmen. „Manchmal lohnt es sich, für seine Zukunft zu kämpfen.“, entgegnete ich leise. Kibo schnaubte und verschränkte seine Arme vor der Brust. Es war ein sinnloses Unterfangen, ihn umzustimmen, also ließ ich es. Vermilion krabbelte von meinem Schoß und ich stand auf. „Macht euch ein schönen Tag, oder so was.“, sagte ich zu Kunan. „Ich werde noch ein Bisschen das Schloss auskundschaften und Vermilion alles zeigen. Hier im Schloss musst du mich ja nicht beschützen.“ Kunan nickte leicht und ich winkte Kibo zum Abschied. Bis heute Abend, oder so.“, grinste ich und verschwand aus der Tür. Ich nahm Vermilion bei der Hand und erklärte ihm die Örtlichkeiten. „... und da oben kommt man in den zweiten Turm. Man hat eine echt gute Aussicht von dort.“, erklärte ich begeistert und Vermilion hörte fasziniert zu. Es herrschte ein hektisches Treiben, aufgrund des Festes und die Diener und Dienerinnen rannten von einem Raum in den nächsten. Niemand beachtete uns großartig. Vor einer weißen Tür machte ich halt, da mir schlagartig etwas einfiel. Es war der Raum, indem all die Kleider hingen und in dem ich mich umgezogen hatte. Ich ging hinein und fand ihn leer vor. Meine alte Kleidung und mein Umhang hatte man sorgfältig auf einen Stuhl gelegt, bemerkte ich erleichtert. „Was wollen wir hier, Kiraya?“, fragte Vermilion verwirrt. Ich durchsuchte den Umhang und fand das kleine braune Bündel. „Das hier habe ich vorhin vergessen.“, sagte ich lächelnd. So schön das Kleid, das ich trug, auch war, es war ein wenig ungemütlich, wie ich feststellen musste. Ich zog es kurzerhand aus und schlüpfte in ein einfaches, weißes Kleid, wie es fast jedes Mädchen in Manjaru trug. Vermilion hatte währenddessen verlegen auf seine Füße gestarrt. „Was hast du, mein Kleiner?“, fragte ich noch halb nackt. Er schüttelte nur seinen Kopf. „Nichts, es nur nicht richtig, Mädchen bei umziehen zugucken. Das hat Oma gezagt.“, nuschelte er verlegen. Ich lachte. „In ein paar Jahren darfst du das auch nicht mehr, o.k.?“ Vermilion antwortete nicht sondern schaute sich im Raum um. Als ich das Kleid anhatte, entfernte ich noch die Brosche aus meinem Haar und machte mir einen einfachen Pferdeschwanz. Ich hatte mich innerhalb von ein paar Minuten von einer Prinzessin zu einem normalen Mädchen gewandelt. Zuletzt legte ich noch den Schmuck auf den Stuhl und legte mir den Umhang um. „Wir können los.“, sagte ich zu Vermilion und drehte mich wieder um. Er war nicht da. „Vermilion?“, fragte ich erschrocken. „Ich bin hier!“, hörte ich einen Wäschestapel am Ende des Raumes murmeln. Ich ging darauf zu und sah, dass sich auch Vermilion ein Umhang umgelegt hatte. Der dunkelgraue Umhang war eines der wenigen kleineren Kleidungsstücke und war ihm trotzdem ein wenig zu groß. „So erkennen mich nicht jeder.“, sagte er stolz und streifte sich die Kapuze über. „Die anderen starren mich immer so an.“ Das konnte ich mir gut vorstellen. Ein Dämonenkind inmitten einer Magierwelt war nicht unbedingt unauffällig. Ich zog mir ebenfalls die Kapuze ins Gesicht. „Ich werde auch immer angestarrt, also mach dir nichts draus, mein Kleiner.“ Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in die Stadt. Es war geradezu kinderleicht aus dem Schloss zu kommen. Niemand beachtete die beiden Stadtkinder in ihren Umhängen, während alle beschäftigt ihren Tätigkeiten nachgingen. In der Stadt ging es ähnlich turbulent zu und ich stellte fest, dass die meisten Menschen mit bis ins Gesicht gezogenen Umhängen herumliefen. Den Ring von Kibos Mutter hatte ich vorsichtshalber aufgesteckt, damit ich ihn nicht wieder vergaß. „Ich war noch nie in einer so großen Stadt!“, sagte Vermilion fasziniert. Plötzlich gab es vor uns in der Straße einen Tumult. Die Menschen schimpften und Fluchten. Ich schob mich, mit Vermilion an der Hand durch die Menschenmenge und erkannte entsetzt den Grund für den Aufruhr. Mitten auf der Straße stand eine dunkelrot gekleidete Dämonenfrau, die ein Säugling in ihrem Arm hielt. Das Baby schrie nach Leibeskräften. Die Menschen um sie herum verfluchten und beschimpften die Dämonenfrau, aber kamen ihr nicht zu Nahe. Sie ließen einen Kreis von ein paar Metern um sie herum frei. Die Dämonenfrau lief mit einem angestrengt ruhigem Gesicht unsicher weiter. „Heiwa! Ich darrf hierr zein!“, zischte sie. „Heiwa?“, fragte ich Vermilion telepathisch. „Das bedeutet „Frieden“, aber ich weiß nicht, warum sie hier ist.“, erklärte er mir ebenfalls telepathisch. Er klang so nervös, wie ich mich fühlte. Gegen so viele Gegner hatte die Frau gar keine Chance und schon gar nicht mit einem Baby. „Du wagst, es deinem Balg am selben Tag wie unserer Prinzessin, einen Namen geben zu wollen?“, raunte ein Mann neben mir und spuckte ihr voller Abscheu vor die Füße. Ein paar Kinder bewarfen die Frau mit faulen Gemüse und rannten dann jauchzend davon. Die Dämonin blieb unsicher stehen und drückte ihr Kind an sich. Sie hatte einen gehetzten Gesichtsausdruck und schaute sich nach allen Seiten nach einem Fluchtweg um. Ich drängelte mich an den Leuten vorbei und zog Vermilion mit mir vor die Frau. Diese wich erschrocken ein paar Schritte zurück, als sie eine verhüllte Person so nah vor sich sah. Die Meute wurde ruhiger und schaute mich verwundert an. Ich beugte mich zu Vermilion hinunter und flüsterte in sein Ohr. „Geh zu ihr und sag ihr, dass ich ihr helfen werde und sie ins Schloss begleite.“ Vermilion schaute mich zweifelnd an, doch ich schupste ihn entschlossen in die Richtung der Frau. Diese wirkte erschrocken, entschied sich aber, dass dieser laufende Meter wohl kaum eine Gefahr darstellte. Vermilion schaute zu ihr hinauf und als die Dämonin das Gesicht meines kleinen Freundes erkannte, weiteten sich ihre Augen. „Kragirz Krollgam!“, zischte sie erschrocken. Vermilion hob beschwichtigend seine Hände und gab der Frau ein Zeichen, dass sie sich hinunterbeugen sollte. Die Frau bückte sich und Vermilion flüsterte ihr einige Sätze ins Ohr. Während sie so gebeugt dastand, konnte ich einen Blick auf das Baby werfen. Das kleine Ding hatte orange leuchtende Augen und nuckelte an seiner Faust. Es hatte winzige dünne Finger und ein sehr niedliches Gesicht. Selbst seine weiße Haut und seine kleinen spitzen Öhrchen fand ich einfach nur niedlich. Die Menschenmenge um uns herum tuschelte verwirrt miteinander, als die Frau auf mich zu kam und sich leicht verbeugte. „Danke.“, sagte sie so leise, dass nur ich es hörte. Ich nickte und nahm Vermilion wieder bei der Hand. So bahnte ich mir meinen Weg die Straße entlang, dicht gefolgt von der Dämonenfrau. Die Menschen wichen ehrfurchtsvoll zurück. „Wer ist das?“, fragten sie verwirrt. „Ein Bote vom Königshaus?“, hörte ich sie tuscheln. Ich ging gerade und kein Bisschen unsicher die Straße entlang, sodass die Menschen einfach den Weg frei machen mussten. Als die Tore des Schlosses in Sichtweite waren, hatte sich allerdings erneut eine Menschenmenge in den Weg gestellt. Offenbar hatten sie entschieden, dass ich doch nur ein kleines Mädchen sein musste. „Lasst uns durch!“, sagte ich ruhig. „Niemals!“, sagte einer der Männer. „So ein Ding darf nicht unser heiliges Schloss entweihen!“ In seiner Stimme sprach blanke Abscheu. Ich sah ihn unbeeindruckt an. „Geht aus dem Weg!“, sagte ich genauso ruhig, wie zuvor. Die Meute tuschelte nervös miteinander. „He, was ist hier los? Geh mir aus dem Weg, Mensch!“, hörte ich eine Stimme im Gedränge und ein Zwerg bahnte sich den Weg zu uns durch. „Was ist hier los? Was soll der Radau?“, fragte der Zwerg. Er trug die Kleidung der Schlosswache und ich erkannte ihn sofort. „Mogar!“, begrüßte ich ihn glücklich. Der Zwerg schaute mich nachdenklich an. „Ach, du bist’s, Mädchen!“ Mogar schaute erst auf die Frau hinter mir und dann auf die Menschenmenge. Er schien die Situation sofort zu durchschauen. „Hier gibt es nichts zu sehen, Leute!“, rief er energisch. „Diese Dämonin steht unter dem Schutz des Heiwa und das wisst ihr!“ Er schob die Meute ein Stück zurück. „Aber sie wagt es, ihrem Balg am gleichen Tag, wie unserer Prinzessin einen Namen zu geben!“, rief einer der Männer aufgebracht. Die Züge des Zwerges wurden hart. „VERSCHWINDET!“, brüllte er und die meisten der Menschen liefen auf der Stelle davon. „Ihr kennt das Gesetz! Geht nach Hause!“, sagte er auch zu den letzten Zweiflern. Einer der Männer ging wie zufällig dicht an der Dämonenfrau vorbei, nahm ihr blitzschnell das Baby weg und schleuderte es davon. Die Dämonin schrie entsetzt und fiel auf den Boden. Reflexartig sandte ich meine Magie zu dem Baby und hüllte es darin ein. Es blieb in der Luft schweben und ich rannte auf das kleine schreiende Bündel zu und brachte es zurück zu seiner Mutter. Das Baby war so unschuldig und federleicht, ich konnte nicht verstehen, wie jemand es einfach wegschleudern konnte. Ich funkelte den Mann wütend an, doch dieser hatte sich schon abgewandt und rannte davon. Zitternd nahm die Frau ihr Kind wieder in die Arme. Sie saß noch immer auf dem Boden. „D- Danke! Vielen Dank!“, erklang ihre brüchige Stimme und im nächsten Augenblick brach sie in Tränen aus. „Schon gut!“, sagte ich beruhigend und hockte mich neben sie. Als ich sie sanft an der Schulter fasste, drehte sie sich zu mir und nahm mich in den Arm. Schluchzend drückte sie mich an sich. Überrascht umarmte auch ich sie. „Ist ja gut!“ Mogar scharrte nervös mit seinen Füßen auf dem Boden. „Ist nicht so ne gute Idee, hier sitzen zu bleiben!“, ermahnte er mich. „Ich strich der schluchzenden Frau über den Rücken. „Na kommen Sie schon, ihr Kind möchte schließlich einen Namen haben.“, ermutigte ich sie. Mogar half ihr beim Aufstehen und die Dämonenfrau schaute mich zweifelnd an. „Ez war keine gute Idee, gerade heute herkommen. Prinzessin hat Namen bekommen!“ Ich schüttelte meinen Kopf, wobei mir die Kapuze vom Kopf rutschte. Ich lächelte die überraschte Frau an. „Machen Sie sich darüber keine Gedanken!“ Mogar schnaufte überrascht. „Du.. IHR!“ Ich wurde rot. „Tut mir Leid, Mogar, dass ich es nicht erwähnt habe.“ Der überraschte Zwerg starrte mich mit offenem Mund an. „Was ist?“, fragte die Dämonenfrau unsicher. „Ach nichts!“, sagte ich beschwichtigend und deutete auf das Schloss. „Lassen Sie uns gehen.“ Die Frau nickte etwas zuversichtlicher und setzte sich in Bewegung. Mogar war einen Moment nicht in der Lage, etwas zu tun. Als er sich wieder fing, waren wir schon ein gutes Stück vorangekommen. „Wartet, Prinzessin!“, schnaufte der Zwerg und schloss zu uns auf. Ich schaute ihn fragend an und die Dämonenfrau blickte irritiert zu Vermilion, der sie dann in Dämonisch aufklärte. „Dämonen nehmen einen anderen Eingang zur Namensgebung. Hier entlang bitte.“, erklärte uns Mogar. Die Frau schaute mich einen Augenblick ernst an. „Ihr zeit die Prinzessin?“ Ich nickte. „Kan Gorir hat von euch erzählt! Sie sagen, Ihr seid gutes Mädchen. Sie hatte recht!“, sagte die Dämonenfrau leise. „Wie Euer Name?“ – „Kiraya.“, antwortete ich lächelnd. „In was für einer Beziehung stehen Sie zur Königin?“, fragte ich genauso leise. „Ich seien einer ihrer treuesten Dienerin!“, sagte sie stolz und nahm eine geradere Haltung an. „Schon in vierter Generation meine Familie dienen Königshaus.“ Der Gesichtsausdruck der Dämonin wandelte sich in das stolze Gesicht einer Kriegerin. Ich nickte anerkennend. „Wie heißen Sie?“, fragte ich etwas lauter. „Mein Name zein Araiko.“, antwortete sie höflich. „Das Baby... Ist es ein Mädchen?“, riet ich. Araiko nickte. „Sie mein ganzer Stolz! Mein erstes Kind.“ Araiko lächelte ihr Kind liebevoll an. Ihrem Aussehen nach war sie etwa Mitte zwanzig, aber das konnte man bei Dämonen nie so richtig erraten. „Hier ist der Eingang!“, räusperte sich Mogar. Wir standen vor einer unscheinbaren, schwarzen Tür, die gar nicht in das weiße Ambiente des Schlosses passte. „Ist irgendwie diskriminierend.“, stellte ich matt fest. Vermilion nickte zustimmend. „Das zein schon in Ordnung. Wichtig ist, mein Kind bekommt Namen!“ Vielleicht war es für sie so, aber während man meine Namensgebung mit einem großen Fest feierte, musste sich diese Frau in einen Hintereingang schleichen und sich vorher auch noch beschimpfen lassen! Die Welt war einfach ungerecht. Wieso mussten die Dämonen zur Namensgebung denn auch nach Manjaru? Ich fragte sie danach, während wir durch die Tür gingen. „Den vom Schicksal erteilten Namen können nur die Hohepriesterinnen geben.“, antwortete stattdessen Mogar, der mit einer Fackel vor uns her lief. „Manche Dämonen trauen sich nicht hier her, daher gibt es so einige, die ihren richtigen Namen nie bekommen werden.“ – „Und wie war das mit dem Heiwa? Was ist das?“ Mogar schaute mich prüfend an. „Man merkt, dass Ihr nicht hier aufgewachsen seid, Majestät. Heiwa ist ein Vertrag, den die Dämonen und Magier vor Ewigkeiten geschlossen haben. Wenn eine Dämonenfrau im roten Gewand und mit einem Baby im Arm nach Manjaru kommt, darf ihr niemand Leid zufügen. Wer dieses Gesetz bricht, dem erwartet die Todesstrafe!“ Mogar deutete auf eine weitere schwarze Tür. „Diese Tür führt zum Tempel.“, erklärte er. Die Dämonin nickte. „Ich danke Ihnen sehr, mein Herr.“ Mogar rückte seinen Gürtel zurecht und nickte zufrieden. „Ich hole Sie hier ab und führe Sie bis zum Stadtrand, wenn Sie fertig sind.“ Die Augen von Araiko leuchteten dankbar, als der Zwerg sein Angebot aussprach. Sie kniete sich vor ihm nieder. „Ich danken Ihnen von Herzen! Sie zein zu Gütig!“ Mogar machte eine wegwerfende Geste und wandte sich beschämt ab. „Nicht doch...“ „K- Kann ich vielleicht mitkommen?“, fragte Vermilion leise. „Oh, bitte! Ich möchte auch mit!“, flehte ich Araiko an. Die Dämonenfrau schaute überrascht zu uns herunter und lachte dann laut. Es war das erste Mal, dass ich sie lachen hörte und es klang sehr schön. „Es zein mir eine Ehre!“, sagte sie dann voller stolz. „Es ist mir eine Ehre.“, verbesserte sie Vermilion lächelnd. Araiko lächelte ebenfalls. „Oder so.“ Zum zweiten Mal an diesem Tag betrat ich den großen gewölbten Raum mit dem See in der Mitte. Ich half Araiko in das Boot und sah ihr fröhlich hinterher, als es, wie von selbst, losfuhr. Die drei Priesterinnen standen wie selbstverständlich in einer Reihe auf der Plattform und erwarteten ihren Gast. Als das Boot ankam, sah ich undeutlich Araikos Umriss aus dem Boot steigen. Ich trug Vermilion hoch und setzte ihn auf meine Schultern, damit er besser sehen konnte. Leise wehte Araikos Stimme zu uns hinüber, die verkündete, dass sie, Araiko, leibliche Mutter des Kindes, um einen Namen für ihre Tochter bat. Sie legte das Baby in die Mitte des aufgezeichneten Kreises und die Priesterinnen stellten sich auf die Runen. Araiko platzierte sich genauso, wie es meine Mutter getan hatte und die Priesterinnen fingen an zu singen. Die Stimmen der Priesterinnen schienen ganz nah zu sein, als ob sie neben uns standen. Ich bemerkte, wie Vermilion sich prüfend umdrehte um zu gucken, ob da wirklich niemand stand. Als das Lied endete, nahmen sich die drei an den Händen, wie bei mir zuvor, verkündete die älteste: „Ein Kind, schön und mutig.“ Als nächste sprach die mittlere der Priesterinnen. „Ein Herz, wild und entschlossen.“ Danach sprach die jüngste, laut und klar: „Ein Schicksal, so wie keines und doch wie jedes.“ Ich konnte undeutlich sehen, wie sich die drei zunickten und laut verkündeten: „Ihr Name, vom Schicksal selbst gewählt, lautet Mirave, Mystischer Wind.“ Als die Prozedur vorbei war und ich Araiko aus dem Boot half, begleiteten wir sie zurück „Mirave ist ein wirklich schöner Name!“, lächelte ich sie an. „Ein sehr seltener Name!“, stimmte Vermilion mir zu. Araikos Gesicht strahlte vor Stolz. „Ez zein großer Tag für mir, heute. Ich werden zu Hause allen von euch erzählen!“ Ich lächelte verlegen und öffnete die schwarze Tür vom Hintereingang. Vor der Tür trat Mogar ungeduldig von einen auf den anderen Fuß. „Ihr seid fertig? Gut.“ Er wirkte äußerst angespannt. „Was ist los, Mogar?“ Die Zwerg starrte in Richtung Stadt. „Die Menschen versammeln sich, ich glaube sie haben etwas vor... Wir sollten uns beeilen.“, sagte er an Araiko gewandt. Die Dämonenfrau nickt nervös. In ihrem Arm schlief die kleine Mirave seelenruhig. Die Zeremonie hatte das kleine Wesen geschwächt. Mit raschen Schritten gingen wir auf das Tor zu. Am Tor angelangt, blieb Mogar stehen. „Ihr solltet am besten hier bleiben, Prinzessin. Ich werde mit der Meute schon fertig, es ist besser, Ihr bleibt hier.“ Ich schüttelte energisch meinen Kopf. „Ich hätte keine ruhige Sekunde, wenn ich nicht mit eigenen Augen sehen würde, dass Araiko in Sicherheit ist.“ Gegen die Endgültigkeit dieser Worte, kam der Zwerg nicht an. „Haltet Euch aber zurück. Es wäre nicht gut, wenn das Volk sieht, dass Ihr eher auf der Seite der Dämonen seid, als auf ihrer.“ Ich starrte den Zwerg verdutzt an. „Ich stehe auf der Seite der Gerechtigkeit! Der Gerechtigkeit gegenüber jedem Lebewesen!“, erwiderte ich empört. Der Zwerg lächelte liebevoll. „Ich weiß es und schätze es sehr, aber nicht jeder ist so verständnisvoll, wie ich.“ Wir hatten den Marktplatz erreicht und kamen ohne Schwierigkeiten an den dort beschäftigten Menschen vorbei. Vermilion und ich hatten uns die Kapuzen ins Gesicht gezogen. Wir hatten schon fast das Tor an der Außenmauer von Manjaru erreicht und ich atmete erleichtert auf. Mogar hatte sich wohl geirrt, die Menschen ließen Araiko in Ruhe. Bevor sie durch das Tor schritt, drehte sie sich noch mal zu uns um. „Ich danken euch für allez!“, sagte sie an uns drei gewandt. Wir nickte nur. „Viel Glück, euch beiden und grüße bitte Kan Gorir von mir.“ In diesem Augenblick geschah es. Ein lila leuchtender Stein raste auf Araiko zu und hielt wenige Millimeter vor ihrer Schläfe an, als er an einen roten Schild abprallte. Erschrocken rissen auch Vermilion und ich unsere Schutzschilde hoch und konnten grade so einen Schauer bunt leuchtender Steine aufhalten. Mogar schwang grimmig seine Axt und wehrte die Steine, die auf ihn zuflogen dadurch ab. Die Meute hatte sich hinter den Häusern vor dem Tor versteckt und kamen langsam aus ihren Verstecken. Einige hatten sich mit Stöcken oder sogar mit Schwertern bewaffnet. „Was macht ihr, Narren? Ihr kennt das Gesetz! Der Dämonenfrau darf nichts passieren!“, schrie Mogar über das wütende Gebrüll der Meute hinweg, doch sie ignorierten ihn. Voller Abscheu und Wut starrten sie Araiko an, die ängstlich die kleine Mirave an sich drückte. „Wie lange brauchst, um dich in Sicherheit zu bringen?“, zischte ich ihr leise zu und stellte mich schützend vor sie. Vermilion tat es mir gleich. „Bis weg teleportieren kann, es zein etwa fünf Minuten.“, flüsterte sie nervös zurück. Ich nickte. „Geh, wir halten sie auf. Dreh dich nicht um und lauf so schnell du kannst, Araiko.“ Die Dämonenfrau wollte etwas erwidern, doch ich schnitt ihr das Wort ab. „Denk an Mirave! Lauf!“ Araiko drehte sich um und verschwand durch das Tor. Die Meute kreischte aufgebracht. „Sie entkommt!“ Mogar, Vermilion und ich versperrten den Weg durch das Tor. „Aus dem Weg, ihr Halbwüchsigen!“, schrie ein hoch gewachsener Mann, an der Spitze des Pöbels. „Wir wollen euch nichts tun, lasst uns durch das Tor.“ Mogar hielt seine Axt kampfbereit vor sich. „Ich werde dafür sorgen, dass das Gesetz geachtet wird!“ Der hochgewachsene Mann stürmte auf den Zwerg zu, dieser wehrte den Angriff ab und stürzte den Mann zu Boden. Daraufhin folgte auch der Rest der etwa 50 Menschen und griffen an. Ich tat das einzige, was mir einfiel und schob meine Kapuze zurück. „Sofort aufhören!“, rief ich. Viele der Menschen hatten mich erkannt und erstarrten verdutzt, die anderen waren zu aufgebracht und stürmten weiter auf uns zu. Ich konzentrierte mich und griff auf meine Magiekammer zu, um einen mächtigen Schild herauf zu beschwören. Ich achtete diesmal sorgfältig darauf nicht alles auf zu brauchen, doch der Schild tat auch so seine Wirkung. Die Menschen liefen gegen eine hellblaue, undurchdringliche Mauer. Kein Zauber oder Mensch schaffte es den Schild auch nur annähernd zum Schwanken zu bringen und die Menschen, die sich dagegen geworfen hielten sich die blutenden Köpfe. „Ich sagte, ihr sollt aufhören!“, reif ich erneut und diesmal hatten mich alle gehört. Es wurde so abrupt still, dass ich fast befürchtete, plötzlich taub geworden zu sein, bis eine Frau sich räusperte. „P-Prinzessin?“ Alle starrten mich verdutzt an. Ich nickte ernst. „Diese Dämonenfrau steht unter meinem persönlichen Schutz, wagt es nicht, sie zu verletzen!“ Ein lautes Stimmengewirr erhob sich und der hochgewachsene Mann starrte mich wütend und mit blutendem Kopf an. Bevor ich noch etwas sagen konnte, bahnten sich eine Gruppe von Männern ihren Weg durch die Menge. „Was ist hier los, was hat das hier alles zu bedeuten?“ Es war mein Vater und seine Leibgarde. Die Menge verbeugte sich ehrfürchtig und so hatte mein Vater den Blick auf das Geschehnis frei. Er starrte auf mich und meine Gefährten, meinen Schutzschild und die verletzten Menschen. Seine Gesichtszüge wurden hart. „Kiraya, was um alles in der Welt tust du hier?“ Ich sah ihn verdutzt an. „Ich wollte nur...“ Er unterbrach mich mit einer wegwerfenden Geste. „Hauptmann, sorgt dafür, dass die Leute nach Hause kommen.“ Augenblicklich schoben die Soldaten an der Seite meines Vaters die Menschenmenge in Richtung Stadt. Als auch die letzten Menschen außer Hörweite waren, schritt mein Vater blitzschnell auf mich zu. Ich löste meinen Schild auf und seufzte erleichtert. Auch Vermilion entspannte sich, doch Mogar blieb nervös. „Euer Majestät, ich kann das erklären..“, begann Mogar und stellte sich vor mich. Was er wohl von meinem Vater dachte? Als ich in das Gesicht meines Vaters schaute verschwand meine Erleichterung sofort wieder. Ich hatte ihn noch nie so wütend gesehen. „Was fällt dir ein, unser Volk an zu greifen, Kiraya! Mitglieder des Königshauses greifen niemals... NIEMALS einen Untertanen an!“ Mein Vater bebte förmlich vor Wut. Entsetzt wich ich zurück. „Ich habe mich nur verteidigt.“, entgegnete ich mit brüchiger Stimme. Nie zuvor hatte er so mit mir geredet. Vermilion klammerte sich an mich. Mein Vater starrte mich nur an, Mogar stand noch immer zwischen uns. „Du hast keine Ahnung, was du da grade angerichtet hast!“, schrie er mich an. Da hatte er vollkommen recht, denn ich war der Meinung, dass ich überhaupt nichts angerichtet hatte. Schnaufend drehte sich mein Vater um und ging in Richtung Schloss. „Komm sofort mit!“, herrschte er mich wütend an. Ich war zu verwirrt um irgendetwas zu erwidern und folgte ihm stumm. Vermilion wich nicht von meiner Seite und Mogar folgte uns mit einigem Abstand. Warum war mein Vater denn so aufgebracht. Alles, was ich getan hatte, war, einen Schutzschild zu errichten. Das die Leute dagegen gelaufen waren, war doch nun wirklich keine große Sache. Erst als wir wieder im Schloss bei Großvater, meiner Mutter und Shirai waren, sprach er wieder zu mir. Er hatte sich offenbar ein wenig beruhigt. „Das war einfach unglaublich dumm von dir!“, sagte er barsch. „Schatz, was ist denn los?“, fragte meine Mutter nervös. „Sie hat Menschen aus der Stadt angegriffen.“ Erschrocken sogen alle im Raum die Luft ein. „Sie hat WAS?“, fragte Shirai entsetzt. „Ich habe niemanden angegriffen!“, verteidigte ich mich. „Ich habe mich nur geschützt!“ Meine Mutter schaute mich besorgt an. „Was ist denn geschehen, mein Schatz?“ Ich erzählte ihr so knapp, wie möglich, was geschehen war, während mein Vater aufgebracht im Raum auf und ab ging. „Das war wirklich dumm!“, mischte sich Großvater ein, als ich geendet hatte. Ich schaute ihn fragend an. „Warum? Ich wollte sie doch nur beschützen!“ Warum waren denn alle so aufgebracht? Meine Mutter schwieg nachdenklich. „Wie Ihr seht, Majestät, kann ihre Ausbildung nicht mehr warten. Ihre mangelnden Kenntnisse könnten irgendwann noch schlimmeren Schaden anrichten.“, mischte sich Anno aus dem Schatten des Raumes ein. Ich zuckte unweigerlich zusammen, denn ich hatte nicht bemerkt. Großvater nickte ernst. „Kiraya, du wirst morgen wieder nach Hause gehen und mit deiner Ausbildung beginnen, wenn du nicht einmal die Grundkenntnisse dieser Welt kennst, ist es hier viel zu gefährlich für dich.“ Ich wurde immer verwirrter. „Ich habe nichts schlimmes getan!“, stieß ich aufgebracht hervor. Meine Mutter stand auf und legte ihre Hände auf meine Schultern. „Ich weiß, dass du es nicht besser wusstest, aber du musst unbedingt mit deiner Ausbildung anfangen!“ Mein Vater drehte sich bei diesen Worten um und sah seine Frau an, dann seufzte er. „Du hast recht, sie weiß es ja nicht besser... Aber Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Sicher werden die Menschen eine Bestrafung verlangen!“ – „Aber das können sie doch nicht tun, sie ist doch noch ein Kind!“, mischte sich Shirai erschrocken ein. „Was ist eigentlich los, Kiraya?“, fragte mich Vermilion telepathisch. Ich zuckte mit den Achseln. „Wenn ich das nur wüsste. Meine Mutter ließ von mir ab und die Erwachsenen unterhielten sich aufgebracht, während Anno mich mal wieder beobachtete. Sein überlegenes Grinsen war mir in diesem Moment völlig egal. „Kann mir endlich jemand erklären, was hier eigentlich los ist?“, fragte ich aufgebracht. Sie unterbrachen ihr Gespräch und schauten mich an, als wären sie überrascht, dass ich überhaupt noch da war. Mein Großvater fing sich, wie immer, zuerst. „Es ist Mitgliedern der engeren Königsfamilie bei Strafe verboten einen unschuldigen Bürger Leid zu zufügen. Dies ist ein sehr wichtiges Gesetz.“ Ich schaute verwirrt in die Runde. „Und wo ist das Problem? Ich habe lediglich ein Schutzschild aufgebaut!“ – „An dem sich einige Menschen verletzt haben!“, ergänzte mein Vater forsch. „Du musst sofort zurück!“ Ich schnaubte wütend und funkelte ihn an. „Ich habe nichts unrechtes getan! Ich habe mich verteidigt, mehr nicht! Ich versteh absolut nicht, was das ganze Theater soll!“ Ich drehte mich ruckartig um und stürmte aus dem Raum, Vermilion lief mir hinterher. „Alles in Ordnung, Kiraya?“, fragte er mich, wie immer telepathisch. „Es ist total ungerecht, wie sie mich behandeln! Darf ich mich jetzt nicht mal mehr verteidigen?“ Vermilion holte auf und hielt mich am Arm fest. „Ich glaube, sie meinen es nicht böse.“ – „Du verteidigst sie?“, fragte ich verwirrt und zog meine Augenbrauen hoch. „Das hätte ich nicht von dir gedacht!“ Vermilion schritt nervös von einem auf den anderen Fuß. „Sie sonst immer so nett, es muss irgendwas schlimmes passiert sein, sonst würden sie nicht so reagieren!“ Ich wusste, er hatte recht, aber das wollte ich in diesem Moment nun wirklich nicht hören. Seufzend strich ich durch seinen schwarzen Haarschopf. „Kannst du mich eine Weile alleine lassen? Ich muss über diese ganze Sache nachdenken, ich muss einfach erst mal weg hier.“ Vermilion starrte mich an. „Du willst weg?“ Ich nickte. „Nicht weit, in der Stadt bin ich ja offenbar nicht gern gesehen. Ich werde im Garten über alles nachdenken, vielleicht komm ich ja dahinter, was das alles soll.“ Erleichtert nickte Vermilion mir zu. „Ich warte im Zimmer auf dich!“ Der kleine Dämon kehrte auf dem Absatz um und lief munter den Gang entlang. In meinem Kopf brodelte es förmlich. Es war bei Strafe verboten einem Bürger zu verletzen, selbst bei Notwehr? Selbst, wenn man überhaupt nicht angriff? Dieses Gesetz musste doch an irgendwelche Bedingungen geknüpft sein. Die Flure, die ich entlang schritt, waren seltsam leer und die wenigen Diener, denen ich begegnete schauten mich nicht an, ganz so, als hätten sie angst. Wie konnte man nur von einem auf den anderen Augenblick jemanden so anders sehen? Als ich die Terrassentür erreichte, atmete ich erleichtert auf. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Gemütlich schlenderte ich über den hellblauen Rasen. Es war doch ein so schöner Tag und nun war ich offenbar so etwas, wie eine Schwerverbrecherin... Diese Welt gefiel mir mit einem Mal nicht mehr so gut, wie zuvor. Rechts von mir hörte ich leises Wiehern und ich ging darauf zu. Der Stall war mir zuvor nie aufgefallen, genauso wenig, wie die kleine Koppel. Die Pferde in den Boxen, waren die größten, die ich je gesehen hatte. Sie waren voller Muskeln und ziemlich stämmig. Ob diese Tiere als Arbeitstiere benutzt wurden? Ich ging auf das größte Pferd zu, ein brauner Hengst mit einer weißen Raute auf der Stirn, deren Spitze bis zur Nase des Tieres reichte. Ein wenig erinnerte es an eine Sternschnuppe. Das Pferd beschnupperte mich neugierig, als ich mich vor seine Box stellte. Ich war nicht einmal so groß, wie seine Beine lang waren, diese ungeheuere Größe beeindruckte mich ziemlich, so dass ich wieder ein paar Schritte zurück ging. Irgendwo nebenan hörte ich jemanden hereinkommen. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war Gesellschaft, also kroch ich schnell ich einen der altertümlichen Wagen und zog die Stoffplane zu. Ein wenig fühlte ich mich, wie in einem Zelt, es war sogar genauso gemütlich, denn der Holzboden war mit haufenweise Tüchern bedeckt. Erschöpft legte ich mich auf den Rücken und starrte die weiße Wagendecke an. Ob meine Eltern mich schon suchten? Würde ich bestraft werden? Der Gedanke daran, machte mir ein wenig angst. „Ich sollte lieber zurück gehen, bevor es noch mehr Probleme gibt.“, überlegte ich. „Allerdings kann ich sie auch noch ein Bisschen schmoren lassen, besonders Papa, so, wie er mich behandelt hat!“ Ich seufzte und kuschelte mich in die Stoffe. Ich hatte eine Menge Energie verbraucht, als ich den Schild erschaffen hatte und sank müde in einen unruhigen Schlaf. Kapitel 11: Krieg ----------------- Krieg Als ich wieder aufwachte, war es bereits dunkel. Ich erschrak und richtete mich auf, nur um im nächsten Moment wieder nach hinten zu kippen, die Kutsche hatte kurz angehalten und war gleich darauf wieder losgefahren. Ich brauchte einige Zeit, um zu begreifen. „Die Kutsche ist losgefahren!“ Nervös schälte ich mich aus den Tüchern, in die ich mich gekuschelt hatte. Hatten die Leute mich denn nicht gesehen, als sie losgefahren waren, oder war dies vielleicht eine Entführung? So oder so, ich musste zum Kutscher. Bevor ich den Stoffvorhang zu Seite zog, atmete ich noch einmal tief ein und machte mich auf das Schlimmste gefasst. Der Kutscher zog erschrocken die Luft ein, als er plötzlich meinen Kopf neben sich entdeckte. „Was zum?!“ Reflexartig hielt er die Kutsche an. „Wer bist du?“, fuhr der alte Mann mich an. Er hatte graues kurzes Haar und seine Haut war auffällig faltig und braun. Dies war mit Sicherheit ein Bauer, stellte ich erleichtert fest. Seiner Reaktion nach, hatte er nicht gewusst, dass ich an Board war. „Tut mir Leid!“, antwortete ich verspätet, als der Mann mich durchdringend anstarrte. „Was machst du auf meinem Karren, Mädchen?“, fragte er barsch. Verlegen kratzte ich mich am Kopf. „I-Ich wollte nur ein Platz zum Verstecken... ich bin eingeschlafen, tut mir Leid!“, nuschelte ich. Der Blick des Mannes wurde sanfter. „Na, da hast du dir ja einen tollen Ort zum Ausruhen ausgesucht. Diese Kutsche fährt bis nach Sarikokar, dass ist eine der abgelegensten Orte überhaupt.“ Ich starrte den Alten entgeistert an. Er fing an zu lachen. „Nun schau nicht so, Mädchen. Bis dahin sind es noch Wochen, wir sind gerade mal einen halben Tag unterwegs, also kann ich dich wieder zurück bringen.“ Ich lächelte dankbar. „Das ist wundervoll! Komme ich dann noch heute an? Meine Eltern machen sich bestimmt sorgen.“ Der Mann rutschte auf seinem Sitz ein wenig zur Seite und bot mir den Platz neben sich an. Wir wurden von eben dem Pferd durch einen dunklen Wald gezogen, dass ich mir im Stall so genau angeschaut hatte, stellte ich fest. „Heute werden wir nicht weiter reisen, es ist schon sehr spät und ich bin erschöpft. Morgen, in aller Frühe, brechen wir auf, dann bist du gegen Mittag wieder zu Hause, wenn das in Ordnung für dich ist.“ Ich seufzte ein wenig enttäuscht, nickte aber. „Natürlich, vielen Dank. Wie ist Ihr Name?“ Der Alte schaute mich überrascht an. „Was für ein Themenwechsel... Mein Name ist Hama, Mädchen. Wie hat man dich genannt?“ – „Kiraya.“, antwortete ich automatisch. Hama zog die Augenbrauen hoch. „Dieser Name kommt mir verdammt bekannt vor...“ Ich betrachtete mich mit zusammengekniffenen Augen, dann schüttelte er den Kopf. „Was soll’s...“, murmelte er vor sich hin. Hama ließ das Pferd bis zu einem geeigneten Rastplatz weitergehen und band es dann an einem Baum fest. Er trug mich von der Kutsche und holte danach Decken und einen Schlafsack aus der Kutsche. „Die Nächte können verdammt kalt werden, wenn du willst, kannst du in der Kutsche schlafen. Ich mache uns ein Feuer, das hält die Tiere fern.“ Er schaute sich um. „Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich mich ein wenig umschauen, bevor wir es uns hier zu gemütlich machen, du kannst ja schon mal Brennholz suchen.“, schlug er freundlich vor. Ich nickte. „Aber warum musst du dich umsehen? Hast du dich verlaufen?“ Hama lachte. „Aber nicht doch.“ Er beugte sich zu mir hinunter. „Dieses Gebiet hier ist dafür bekannt, dass Dämonen hier herum streifen.“, flüsterte er bedrohlich. Dann richtete er sich wieder auf. „Aber keine Sorge, mit ein paar von denen werd ich immer wieder fertig!“ Er drehte sich um und ging auf die dunklen Schatten des Waldes zu. „Bleib aber unbedingt hier, Mädchen! Bleib beim Pferd!“ Ich nickte. „Ist mir so wieso zu gruselig hier herum zu schleichen.“, gab ich fröstelnd zu. Hama lächelte und verschwand in der Dunkelheit. Ich nahm die kleine Öllampe von der Kutsche und suchte nach Feuerholz. Es tat gut, mal einfach wieder etwas normales zu tun und ich erinnerte mich an ein Sommerferiencamp, dass ich mal besucht hatte. Es war nicht einmal zwei Jahre her und doch schien es mir in einem anderen Leben geschehen zu sein. Als ich einen ordentlichen Haufen zusammen gesucht hatte, suchte ich nach passenden Feuersteinen. Ich fand keine und entschied mich, ein wenig Magie ein zu setzen. Außer dem Knistern des Feuers und dem gelegentlichen Scharren von Pferdehufen, herrschte absolute Stille. Selbst der Wind schien still zu stehen, es war unheimlich. Angespannt lauschte ich in die Dunkelheit um mich herum. Ein Rascheln, ein Knistern, es mussten Tiere in der Nähe sein. „Ahhrrgh!“ Erschrocken stand ich auf. „Das war Hama!“, dachte ich entsetzt. Ohne zu Überlegen stürzte ich mich in die Dunkelheit, in die Richtung, aus der der Schrei kam. Ich rannte eine halbe Ewigkeit, wie es mir vorkam. Aus der Ferne hörte ich Kampfschreie, doch als ich versuchte, Hama mit meinem Geist zu erspüren, spürte ich lediglich die Anwesenheit von Dämonen. Mit stechender Seite und völlig außer Atem, hatte ich Hama endlich eingeholt. Ich schickte meine Leuchtkugel vor, um das Geschehnis besser erkennen zu können. Hama kämpfte mit einer Horde von Dämonen auf etwas Ähnlichem, wie Pferde. Die Wesen waren kleiner und flinker als normale Pferde und sahen nicht kräftig genug aus, um jemanden zu tragen und doch saßen die Dämonen fest im Sattel. Hamas Schutzschild geriet schon ins Wanken und er hatte ein paar kleinere Schnittwunden. Sein Gesicht spiegelte blanken Hass wider und immer wieder schoss er lilafarbene Feuerkugeln ab. Die Dämonen hatten keine Probleme damit, seine Attacken abzuwehren und zogen ihren Kreis um ihn enger. „Aufhören, bitte!“, rief ich ihnen keuchend zu und rannte winkend auf sie zu. Die pferdeähnlichen Wesen wurden unruhig und die maskierten Dämonen drehten sich zu mir um. Undeutlich rief einer von ihnen etwas und dann ging alles Blitzschnell. Einer der Dämonenmänner durchbrach mit Leichtigkeit Hamas Schutzschild und schlug ihn Bewusstlos und zusammen mit einem anderen Dämonen verfrachteten sie ihn auf eines der Wesen. Als ich bei der Lichtung ankam, waren sie schon in der Dunkelheit der Nacht verschwunden und ich stand allein da, keuchend und mit brennenden Lungen. Ich brauchte ein paar Minuten , um wieder zu Atem und zu klaren Verstand zu kommen. Warum hatten sie Hama entführt? Er war nur ein alter Mann, ein Händler, und sie hatten nicht einmal seinen Karren ausgeraubt. Mein Magen knurrte laut in der Stille des Waldes und entsetzt stellte ich fest, dass ich keine Ahnung mehr hatte, aus welcher Richtung ich gekommen war. Ich drehte mich in jede Richtung. Ich war einfach so blind in die Nacht hineingelaufen, mir kam nichts bekannt vor. Ich ließ meine Lichtkugel dicht über dem Boden schweben und suchte nach meinen Fußspuren. Sie waren nur ganz schwach, aber erkennbar. Nach etwa fünfhundert Metern hörten meine Spuren auf, der Waldboden war dort so hart, dass keine Spuren mehr erkennbar waren. Missmutig setzte ich mich an einen Baum. Wohin sollte ich jetzt? Zurück zum Pferd, aber was dann? Ich musste jemanden finden, im Schloss bescheid sagen. Doch was würde in der Zwischenzeit mit Hama passieren? Und sicher würde man die Dämonen abschlachten, wenn man sie fand. Ich seufzte laut. Warum konnte ich die Dämonen nicht einfach genauso hassen, wie alle anderen Magier? Sicher wäre vieles einfacher, wenn man wüsste, auf welcher Seite man stand. Die Antwort kam mir natürlich sofort in den Sinn, als ich an Vermilion dachte. Vielleicht waren er und seine Familie ja eine Ausnahme, dürfte ich die anderen dann einfach hassen? Sofort fiel mir Araiko und ihre Tochter Mirave ein. Wie ich es auch drehte und wendete, die Dämonen schienen mir nicht böse zu sein. Hinter mir hörte ich Hufgetrappel und Pferdeschnaufen. Waren sie noch einmal zurückgekommen, um mich zu holen? Ich löschte meine Lichtkugel und verkroch mich in den riesigen Wurzeln eines Baumes. Die Pferdgeräusche kamen langsam näher. Das Tier schien auf dem Boden nach etwas zu schnüffeln. Nach mir? Konnten Pferde das überhaupt? Ich hielt die Luft an, als die Schnauze eines Pferdes neben mir hinter dem Baum auftauchte. Erschrocken wich ich zurück, atmete dann aber erleichtert auf. Neben mir stand die riesenhafte Gestalt von Hamas Pferd und sah mich aus klugen Augen an. „Ach, du bist es! Du darfst mich doch nicht so erschrecken!“ Ich stand auf und klopfte mir den Dreck von der Kleidung. Mein einst weißer Mantel war zerrissen, grau und befleckt. Mein Kleid sah nicht unbedingt besser aus. Während meines Sprints durch den Wald, war ich an etlichen Zweigen, Ästen und Dornensträucher hängen geblieben. „Ich habe mir große Sorgen um euch gemacht, was ist mit Hama geschehen?“ „Tut mir Leid! Sie haben Hama einfach..“ Entsetzt drehte ich mich um. Dort stand nur das Pferd. „Hast du...!?“ Das Pferd schnaubte. „Was haben sie mit Hama gemacht?“ „Du kannst ja reden!“ Es sah fast so aus, als hätte das Pferd seine Augenbrauen gehoben. „Was dachtest du denn, natürlich kann ich Sprechen, auch wenn ich keine Stimme habe.“ Ich hatte nicht bemerkt, dass es telepathisch mit mir sprach, denn seine Stimme schien direkt vom Pferd aus zu kommen. Es war die Stimme eines jungen Mannes, wie es schien und doch klang sie erhaben. „Also, was haben sie mit Hama gemacht?“, fragte er streng. „Sie haben ihn mitgenommen. Ich konnte ihnen nicht folgen, tut mir Leid.“ Das Pferd schnaubte. „Es wäre ziemlich unklug, diesen Leuten zu folgen. Sie kennen kein Erbarmen, auch nicht bei Fohlen.“ „Aber, warum haben sie ihn denn gefangen genommen und nicht gleich umgebracht?“ Das Pferd schnaubte angewidert. „Ich habe von Gerüchten gehört, dass die Dämonen Magier gefangen nehmen, um sie zu Foltern und irgendwelche Informationen von ihnen zu bekommen. Doch manchmal sind sie sogar noch grausamer.“ Ich schaute das Pferd schaudernd an. Etwas Schlimmeres als Folter? „Sie unterziehen ihren Opfern eine Gehirnwäsche und zwingen sie dazu, alle, die sie lieben, zu töten.“ Ich bekam eine Gänsehaut. Das waren nicht die Dämonen, die ich kennen gelernt hatte, das waren wahre Monster. Langsam verstand ich, wie die Menschen in der Stadt fühlten und dachten. „Kannst du ihnen folgen... äh, wie heißt du eigentlich?“ Das Pferd sah mir tief in die Augen. „Um auf deine erste Frage zu antworten, ich kann jedem überall hin Folgen. Deine zweite Frage ist schon schwieriger zu beantworten. Namen sind für magische Wesen etwas sehr persönliches. Jemanden einer anderen Rasse seinen wahren Namen zu nennen, bedeutet, ihm aus tiefsten Herzen zu vertrauen.“ – „Und warum? Es ist doch nur ein Name, ein Wort, nichts weiter.“ Das Pferd schnaubte. „Mädchen, du scheinst keine Ahnung zu haben. Wenn einer der Dämonen deinen wahren Namen wüsste, könnte er dich auch über eine große Entfernung verfluchen, aufspüren oder was ihm sonst noch einfällt. Er hätte dich praktisch in der Hand!“ Ich hatte wirklich keine Ahnung, woher auch? Es gab in dieser Welt so viele Dinge, die ich schon von Klein auf hätte lernen müssen. Stattdessen brachte man mir völlig sinnlose nichtmagische Dinge bei, die jeder Normalo lernte. Ich bereute diesen Gedanken sofort. Ich hatte eine glückliche Kindheit und hätte mir keine liebevolleren Eltern wünschen können. In Momenten, wie diesen, wo mir alles über den Kopf zu wachsen schien, sehnte ich mich fast nach diesem normalo Leben. „Es tut mir Leid, Herr Pferd, ich weiß noch so manches nicht. Ich wollte wirklich nicht aufdringlich sein.“, antwortete ich mit einiger Verspätung. Das Pferd sah mich an und wieder schien es, als würde es seine Augenbrauen heben. „Herr Pferd? ... Ich bitte dich, fällt dir nichts Besseres ein?“ Ich grinste verlegen. „Ich bin nicht besonders gut in Namen ausdenken...“ Ich überlegte. „Wie wäre es mit Furie oder irgendsowas? Hm, der weiße Fleck auf deiner Stirn sieht wie eine Sternschnuppe aus, Shootingstar oder Stardust vielleicht.“ Das Pferd scharrte nervös mit den Hufen. „Ich weiß nicht, was diese Namen bedeuten, aber entscheide dich langsam. Ich muss etwas unternehmen!“ Ich nickte ernst. „Du meinst, wir sollten etwas unternehmen. Ich komme auf jeden Fall mit! Ich werde dich einfach Star nennen, ist kurz und leicht zu rufen.“ Star sah mich ernst an. Ich hoffte, dass der Ton in meiner Stimme ihm klar gemacht hatte, wie ernst ich es meinte. „Nun gut, dann spring auf.“ Star schaute auf seinen Rücken und dann wieder zu mir. Er schnaubte, was eher wie ein Seufzen klang, und legte sich hin. Dennoch fiel es mir schwer, auf seinen Rücken zu kommen. Ich wusste nicht, wo ich mich festhalten sollte, denn er war nicht gesattelt. Als ich endlich aufsaß, erhob sich Star ruckartig und ich fiel fast wieder runter. „Halte dich gut an meiner Mähne fest, das tut mir schon nicht weh, keine Sorge.“ Gerade als ich nach der Mähne gegriffen hatte, preschte er los. Dafür, das Star so unglaublich groß und stämmig war, lief er in einer Geschwindigkeit, die alles übertraf, was ich kannte. Ich schmiegte mich eng an seinen Körper, um nicht den Wind ins Gesicht zu bekommen. Die Landschaft um uns herum war nur noch als verschwommene Farben zu erkennen. Wir hatten keine Hindernisse im Weg und mir kam es so vor, als würden wir in Lichtgeschwindigkeit reisen, wie in diesen Science-Fiction Filmen. Wir waren nicht lange unterwegs und doch kam es mir vor, als wären es Stunden gewesen. All meine Muskeln taten mir von der angespannten Haltung weh und meine Finger schienen eingefroren zu sein. Star hatte seine Geschwindigkeit auf normale Pferdegeschwindigkeit reduziert und schnaufte erschöpft. „Wir scheinen in Hamas Nähe zu sein, ich kann sein Blut wittern.“ Ich setzte mich auf und sah mich um. Wir waren noch immer in einem Wald, doch wirkte dieser eher, wie ein Dschungel und trotz der Dunkelheit erkannte man, dass die Bäume nicht in diesem typisch-magischem Blau, sondern ganz normal grün waren. "Wo sind wir hier, Star?" "Wir sind hier im Reich der Dämonen. So wie die Welt der Magier, ist auch sie durch gewisse Zauber versteckt. Sie befindet sich übrigens näher an der normalen Menschenwelt als Kigen." Ehrfürchtig sah ich mich um. "Wenn diese Welt so gut geschützt ist, wie kommt es dass wir hier sind?" Star schnaubte triumphierend. "Ich bin kein gewöhnliches Pferd, Mädchen. In meinen Adern fließt das Blut von Dämonenpferden!" Ich stutzte. Diese schlanken, kleinen Wesen waren das direkte Gegenteil von Star... "Und jeder, der auf deinem Rücken sitzt, kann in diese Welt?", fragte ich zweifelnd. Star erhöhte erneut seine Geschwindigkeit und ich klammerte mich fest. "Nein. Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, dass der Schutzzauber dich abhält und du draußen gewartet hättest. Offenbar bist du berechtigt hier zu sein. Ein ranghoher Dämon muss es dir erlaubt haben." Der Ranghöchste sogar. Kan Gorir hatte mir höchstpersönlich die Erlaubnis gegeben, dass ich wieder kommen durfte. "Ja...", nuschelte ich nachdenklich und Star hielt so abrupt an, das ich über seinen Kopf flog und unsanft auf dem Hintern landete. "AUA! Was sollte das?" Star richtete sich drohend vor mir auf und schaute mich eindringlich an. "Bist du ein Spion der Dämonen? Ich habe von Anfang an den Geruch dieser Brut an dir gerochen!" Verwirrt schüttelte ich den Kopf. "Nein, ich bin kein Spion." Star schnaubte ungläubig. "Aber ich habe dämonische Freunde und bevor du mich verurteilst, ", denn Star wollte gerade nach mir schnappen und ich wich zurück, "sie sind wirklich gute Wesen. Die Dämonen, die ich kenne, sind keine Monster. Sie sind liebenswürdig und ehrlich!" - "Kein Dämon ist ehrlich! Sie alle haben nur das eine Ziel: Magier auslöschen!" Ich schüttelte energisch de Kopf. "Das ist nicht wahr. Sie haben das gleiche Ziel, wie wir alle: Sie wollen überleben! Wie kann ein halbdämonisches Pferd die Dämonen verurteilen?" Ich war erstaunt, wie viele Emotionen ein Pferdegesicht zustande brachte. In diesem Moment strahlte Stars Gesicht pure Verwirrung aus. Er erwiderte nichts, denn gegen pure Logik war kein Kraut gewachsen. Langsam trottete er an mir vorbei und drehte sich zu mir um. "Brauchst du eine schriftliche Einladung?" Ich schüttelte lächelnd den Kopf und stieg wieder auf seinen Rücken. Star verhielt sich äußerst ruhig, er schien angestrengt nach zu denken. Ich ließ ihn das gesagte erst einmal verdauen. Mittlerweile hatte sich die Landschaft verändert. Vom Mondlicht beleuchtet sah ich die Umrisse von grossen Bergen vor uns. Die Bäume wurden weniger und wichen mannshohem Gras. "Riechst du das auch?", flüsterte ich in Stars Ohr und dieser schrak auf. "Es riecht nach Feuer!", bestätigte er. "Es muss ein Dorf in der Nähe sein." Unsicher zog ich mir meine Kapuze ins Gesicht. Wie würden Dämonen auf ein Kind das auf einem riesigen, offensichtlich nicht dämonischem Pferd saß, reagieren? Star ging langsam weiter und versuchte kleiner zu wirken... es gelang ihm nicht! Das Dorf war von einer zwei Meter hohen Mauer aus morschem Holz umgeben. Am Eingangstor standen zwei Wachen, ich war sicher, dass es Wachen sein sollten, auch wenn sie wie Herumtreiber aussahen. Der eine Dämon bohrte gelangweilt in der Nase und kratzte sich am Kopf. er war äußerst dreckig, aber nichts, im Vergleich zu seinem Kollegen, der sich an die Mauer gelehnt hingesetzt hatte und leise schnarchte. Ich stieg von Star herunter und erreichte das Tor zusammen mit einer Gruppe von Dämonen, die offenbar betrunken waren. Niemand beachtete uns. Das riesige Pferd in ihrer Mitte wäre jedem aufgefallen, doch diese Männer waren viel zu betrunken und die Wachen sahen, zu unserem Glück, nicht einmal auf. Sobald wir das Tor durchquert hatten, setzten wir uns unauffällig von der Gruppe ab und verschwanden im Schatten einer kleinen Lehmhütte. So musste es im Mittelalter im Armenviertel ausgesehen haben, kam es mir in den Sinn. "Ich werde zu den Ställen gehen und die Pferde befragen. Versuche möglichst unauffällig Informationen über Hama zu sammeln. Ich kann ihn nicht mehr spüren, das ist kein gutes Zeichen!" Ich bekam ein flaues Gefühl im Magen. Ohne ein weiteres Wort trennten wir uns. Das Dorf war fast dämonenleer. Um diese Zeit schliefen die meisten sicher. Ich bewegte mich leise im Schatten der Gebäude. Es stank an einigen stellen fürchterlich und der Boden war eine einzige riesige Schlammpfütze. Ich kam mir schäbig vor. Ich hatte einfach alles, was ich mir wünschen konnte und hier gab es anscheinend nicht einmal Toiletten... "Uff..." Plötzlich tauchte vor mir ein Dämon auf und ich wäre fast mit ihm zusammen gestoßen. "Drankzrk.", entschuldigte ich mich. Vermilions Sprachunterricht trug nun erstmals Früchte. Im Schein einer Fackel erkannte ich das Gesicht des Mannes. Er war uralt und schien nur aus Falten zu bestehen. Verwirrt schaute er mich an und schenkte mir dann ein zahnloses Lächeln. "Gir szollk menorkz!", krächzte er und schlurfte langsam von dannen. Das bedeutete in etwa: "Nur mit der Ruhe, Liebes" oder "Ruhig Blut, Kleines." Die Dämonensprache ließ viel Platz für Fantasie, was sie ziemlich schwer zu verstehen machte. Je nachdem, zu wem man etwas sagte, konnte ein und der selbe Satz völlig unterschiedliche Bedeutungen haben. Langsam schritt ich weiter und kam an eine große, leer stehende Fläche, offenbar so etwas, wie ein Versammlungs- oder Marktplatz. In der Mitte brannte ein größeres Feuer, um das sich eine Horde Dämonen versammelt. Sie sprachen ausgelassen miteinander und ich schlich näher heran um sie zu verstehen. Sie unterhielten sich auf dämonisch und ich konnte ihre Sätze nur halbwegs übersetze. Es ging um irgendeinen General und eine Armee. "Ich hab es gehört, der General plant einen Angriff. Da muss irgendwas in Kigen passiert sein, Leute.", sagte einer der Männer auf dämonisch. "Das wäre doch praktisch Selbstmord! Der General hat noch lange nicht genug Leute, um gegen die feindliche Armee an zu kommen."; erwiderte ein anderer. Ein grauhaariger Dämon mischte sich ein. "Ich habe gehört, dass er eine geheimnisvolle, mächtige Waffe erlangt hat. Ich weiß nichts genaues, aber angeblich soll sie alle Magier vernichten können." - "Idiot! Dann wären doch schon alle erledigt!" Der restlichen Unterhaltung konnte ich nicht mehr folgen, da alle durcheinander und sehr schnell sprachen. Dies war der erste Beweis, den ich hatte, dass sich Dämonen und Magier im Krieg befanden. Es gab also einen General und er hatte eine Geheimwaffe? Oder war dies nur ein Gerücht? Ich hoffte es inständig. Hinter mir fing eine Dämonenfrau an zu schreien. Hatte sie mich erkannt? Erschrocken drehte ich mich um und sah die Frau in eine andere Richtung laufen. Es war, als würde die Erde beben. Eine Reiterschar aus dreißig Männern auf riesigen, muskulösen Pferden, die Star in nichts nachstanden, ritt mir Fackeln und Schwertern bewaffnet durch das Dorf. In Panik flohen die Dämonen in alle Richtungen. Die Reiter waren mit schwarzen Hauben maskiert und zündeten die Strohdächer an. Überall fing es an zu brennen und der Qualm trieb mir die Tränen in die Augen. Hustend versuchte ich einen geschützten Platz zu finden, rannte aber stattdessen vor die Füße eines der riesigen Pferde, dass sich drohend aufbäumte. "Du mieses kleines Stück Abschaum!", erklang eine dumpfe Männerstimme unter der Haube. "Stirb!" Der Mann holte mit seinem Schwert aus und ich war unfähig irgendetwas zu tun. "Das sind Magier!", wurde mir schlagartig bewusst. Meine zukünftigen Untertanen! Sie griffen ein wehrloses Dorf an, einfach so. "Zganrikz!", hörte ich eine Stimme schreien und ich wurde von den Füßen gerissen. Das Schwert des Reiters hatte mich nicht getroffen, sondern steckte nun im Rücken des alten Dämons, mit dem ich fast zusammen gestoßen wäre. Der Alte hatte sich mit einer Geschwindigkeit bewegt, die sein Alter lügen strafte. Der Reiter ritt unbeeindruckt durch die Menge weiter und schlachtete einfach so ein kleines Dämonenkind ab, dass ihm im Weg stand. Nicht fähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, kroch ich auf den toten, alten Dämonen zu. Er hatte sich einfach so für mich geopfert. Für mich! Auf dem Gesicht des Alten befand sich ein zufriedenes Lächeln. Er hatte mit deinem letzten Atemzug ein Leben gerettet und dies war ein äußerst ehrenvoller Tod für Dämonen, wie ich von Vermilion wusste. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, doch in diesem Augenblick erbebte die Erde erneut. Eine Gruppe von über 50 Reitern ritt auf kleinen, schlanken Pferden durch das Tor und sogar über die Mauer hinweg. Wo ich auch hinsah kämpften Dämonen gegen Magier und mitten unter ihnen schrieen und weinten die Dorfbewohner und rannten um ihr Leben. Die Angst siegte über meine Fassungslosigkeit und ich rannte blindlings los. Eines der Dämonenpferde rammte mich im vorbei preschen und ich wurde gegen die Mauer einer Hütte geschleudert. Endlose Sekunden bekam ich keine Luft mehr und alles drehte sich. Schwankend richtete ich mich auf und sackte wieder zusammen, um mich zu übergeben. Etwas warmes floss über meinen Kopf in mein Gesicht und ich wischte es achtlos weg. An die Hauswand gestützt, schwankte ich voran. Ich musste hier weg. Weg von dem Geschrei. Weg von dem Feuer. Weg von dem Tod... Vor mir stand ein kleines schreiendes Dämonenmädchen. Es war etwa so alt wie Vermilion und stand einfach da, zwischen all den Leichen, und schrie sich die Seele aus dem Leib. Sie blutete aus einigen Schrammen, schien aber nicht weiter verletzt zu sein. Ein Reiter hatte sie entdeckt und ritt mit erhobenem Schwert auf das Mädchen zu. Einen Herzschlag lang, sah ich tatsächlich vermilion dort stehen und ich wurde wütend. "NEIIIN!", schrie ich und errichtete ein Schutzschild um mich und das Kind. Der Reiter stieß mit aller Macht zu und verstärkte sein Schwert sogar mit Magie, sodass es dunkelblau leuchtete, doch es prallte wirkungslos an dem Schild ab. Nein! Dieses Kind werdet ihr nicht auch noch töten, nicht solange ich lebe! Ich schlang meine Arme beschützend um das Kind und duckte mich, um den Schild verkleinern und somit Kraft sparen zu können. Tokiro war ein ausgezeichneter Lehrer gewesen. Der Reiter schlug immer Kräftiger zu, doch ich würde den längeren Atem haben! Plötzlich hörten die Schläge auf und der Reiter brach zusammen. In seinem Rücken steckte das Schwert eines Dämons. "Nirkgrsk!", rief er und zu, doch ich kam nicht mehr dazu, zu verschwinden, denn im selben Augenblick trafen mich die Hufe eines herrenlosen Pferdes und ich sank in eine schwarze Leere. Kapitel 12: Erinnerungen ------------------------ Erinnerungen Als ich mein Bewusstsein wieder erlangte, lag ich auf etwas Weichem. Ein unbeschreiblicher Schmerz breitete sich von meinem Hinterkopf und meinem Rücken aus, sodass ich kaum atmen, geschweige denn meine Augen öffnen konnte. Über das grauenvolle Pochen in meinem Kopf hinweg hörte ich eine Kinderstimme. Ich verstand nicht, was gesprochen wurde, aber eine Frauenstimme antwortete. Ich versuchte meine bleischweren Augen zu öffnen und sah lediglich einen bunten, hellen Schleier, indem sich Schatten bewegten. Es wurde kurz heller und dann ruhiger im Raum. Nur am Rande meines Bewusstseins nahm ich wahr, dass mich eine kleine, warme Hand berührte. Wieder die Kinderstimme. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, was sie sagte, doch ich konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Dann wurde es kurz wieder heller, aber ich konnte meine Augen nicht mehr aufhalten. Eine ruhige Männerstimme sagte etwas, ich wusste nicht, ob zu mir, oder jemanden anderen, aber es war mir auch egal. Ich war einfach zu erschöpft, ich wollte schlafen. Hatte ich so etwas nicht schon einmal erlebt? Ich durfte ja nicht schlafen, dass hatte meine Mutter mir mal gesagt. Ich konzentrierte mich mit aller Willenskraft, die ich noch übrig hatte auf meine magischen Reserven. Es gab keinen Raum zu füllen, der leer war. Was sollte ich also tun? Ich hatte meine Reserven nicht aufgebraucht, der Grund für meine Erschöpfung war ein anderer. Aber welcher? ich erinnerte mich nicht mehr, auch nicht daran, wo ich war, oder wie ich dahin gekommen war. Eine raue Männerhand legte sich auf meine Stirn und ich fühlte, wie etwas warmes, angenehmes meinen Körper durchfloss. Die Schmerzen wurden weniger und meine Gedanken etwas klarer. Als ich die Augen öffnete, sah ich einen grauhaarigen Mann vor mir, mit roten Augen und spitzen Ohren. Er kam mir genauso fremd vor, wie alles andere in dem Raum. Der Mann berührte weiterhin meine Stirn, während ich allmählich zu Kräften kam. Neben mir kniete ein kleines Mädchen mit schwarzen, langen Haaren und großen, roten Augen und starrte mich neugierig an. Sah ich auch so aus? Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich weder rote Augen, noch schwarze Haare oder spitze Ohren hatte, aber sicher war ich mir nicht. Es war alles sehr verwirrend. Hinter dem kleinen Mädchen stand eine Frau, in einer Rüstung. Ihre schlanke Figur und ihr überaus hübsches Gesicht, verliehen ihr etwas magisches. Der Ähnlichkeit nach zu urteilen, war dies die Mutter des kleinen Mädchens. Kannte ich die beiden? Der Mann nahm seine Hand von meiner Stirn und setzte sich erschöpft auf einen kleinen Hocker, der neben meinem Bett stand. "Sie ist nicht mehr in Lebensgefahr, aber es wird noch lange dauern, bis sie wieder gesund ist." Er sprach eine seltsam zischende, fremde Sprache, aber ich verstand sie. "Bringt sie zu den anderen.", befahl der Alte und die Frau nickte. "Vielen Dank, Meister Koreshu." Der alte starrte grimmig zu mir herunter. Hatte ich ihm etwas getan? Ich spürte, dass er mich nicht mochte, aber wieso nicht? "Ich verstehe absolut nicht, warum du sie gerettet hast, Rujanda. Ich hätte sie liegen lassen, wie jeder andere auch." Ok, das war ganz schön fies, dieser Meister Koreshu mochte mich offenbar wirklich nicht. "Sie hat Rinak das Leben gerettet, ich stehe in ihrer Schuld, Meister und das wissen Sie ganz genau. Jeder ehrenwerte Dämon begleicht seine Schulden." Der Alte wendete sich ab und murrte. "Schaff sie mir endlich aus den Augen. Die Frau beugte sich zu mir hinunter. Ihr Gesicht hatte einen harten Ausdruck angenommen, sie lächelte kein Bisschen. Kaum hatte sie mich hochgehoben, kam der Schmerz in meinem Rücken ruckartig wieder und ich ich verlor erneut mein Bewusstsein. Als ich diesmal erwachte roch es nach angebranntem Fleisch und es war sehr laut. Ich lag auf einer kleinen Trage aus Leder und Holzgestell in einem großen Zelt, aus verschiedenen, zusammen genähten Stoffen. Doch ich war nicht die Einzige, die dort lag. Zu beiden Seiten neben mir lagen ebenfalls Verletzte auf Tragen. Ich konnte mich nicht aufrichten, doch ich vermutete, dass das Zelt voll mit Verletzten war. "Du haben dir ausgeruht?" Das kleine Mädchen stand wieder vor mir und diesmal sprach sie eine Sprache, die mir vertrauter vorkam, allerdings irgendwie falsch. "Wo bin ich?" Meine Zunge fühlte sich irgendwie pelzig an und ich konnte nur heiser Flüstern. Ich hatte im gesamten Körper Muskelkater und selbst die kleinsten Bewegungen piekten unangenehm. "In Zelt, wo Verletzte hinkommen. Viele schon tot oder bald tot, Mama gesagt." Das Kind sprach völlig emotionslos, während ich schlucken musste. "Ich auch? Werde ich auch sterben?" Die Kleine lächelte. "Nein, du werden leben. Du liegen auf der Leben- Seite, dahinten Sterben-Seite." Die Kleine zeigte auf die gegenüberliegende Zeltseite, von der das lauteste Stöhnen kam. Im Zelt liefen Frauen in unterschiedlichstem Alter von einem zum anderen und versorgten die Verletzten. Sie alle trugen rote Roben mit weißem Kragen. Mich schienen sie zu meiden, sie schauten mich nicht einmal an. Im Gegensatz zu dem Mann neben mir, ging es mir auch ziemlich gut. Der Mann war bis zum Hals bandagiert und wand sich stöhnend unter schmerzen. Durch seine weißen Verbände schimmerte deutlich rotes Blut hervor. Ich wand mich ab. "Was ist nur geschehen? Wieso sind so viele Menschen verletzt?", fragte ich mühsam das kleine Mädchen. "Dämonen, keine Menschen. Du einziges Mensch hier." Ich schaute sie fragend an. "Ich bin ein Mensch?" Nun schaute auch das Kind verwundert drein. Hinter ihr tauchte die hübsche Frau in der Rüstung auf. "Du kannst dich nicht erinnern?" Auch sie Sprach in meiner Sprache und das flüssig. "Woran erinnern?" Die Frau schaute mich kalt an. "Wie heißt du?" Ich überlegte, ernsthaft, doch alles was mir einfiel waren wirre Gesichter. Ich konnte mich schleierhaft an ein Schloss erinnern. Ich wusste, ich hatte eine Mutter und auch an ihre Stimme konnte ich mich schwach erinnern, aber ein Gesicht oder gar ein Name wollten mir einfach nicht einfallen. "I-Ich weiß nicht so genau... Ich erinnere mich nicht.", gab ich nach langem Überlegen zu. Die Frau hob ungläubig eine Augenbraue. "Weißt du wie alt du bist?" Wieder eine schwierige Frage. Ich war meiner Stimme nach zu urteilen ein Mädchen und kam mir auch nicht besonders alt vor. Langsam und unter schmerzen hob ich meine Hände und betastete meinen Körper und schließlich mein Gesicht. "Ich glaube, ich bin ein Kind. Vielleicht 12?" Ich wusste nicht warum, aber die Zahl kam mir vertraut vor. Die Frau hatte mir die ganze Zeit in die Augen gestarrt, was äußerst unangenehm war. Sie seufzte und zog einen hölzernen Hocker an mein Lager. Vom anderem Ende des Zeltes kam ein lauter Schrei, der abrupt endete. Ich zitterte und schloss meine Augen, um mich zu beruhigen. "Du hast meine Tochter gerettet, als das Dorf angegriffen wurde. Eines unserer Pferde hat dich überrannt und ich habe dich zu unserem Heiler gebracht.", berichtete die Frau leise. "Angegriffen? Von wem?" Ich öffnete meine Augen und schaute die Frau an. Diese schaute traurig zur Seite. "Von deinen Leuten." Sie flüsterte fast und ich dachte, ich hätte sie falsch verstanden, doch ihr Blick sagte alles. Tränen schossen mir in die Augen und ich konnte sie nicht zurückhalten. "War ich auch einer der Angreifer? Wieso habe ich dann ihre Tochter gerettet?" Ich bedeckte mein Gesicht mit meinen Händen. "Sie müssen mich doch sicher hassen. Ich verstehe das alles nicht." Ich schluchzte und schaute die Frau erneut an. "Wer bin ich?" Eine stumme Träne bahnte sich über das Gesicht der Frau und sie griff nach meiner Hand und drückte sie sanft. "Ich weiß es nicht, Kleines. Eins ist aber gewiss, du warst nicht bei den Angreifern dabei. Anscheinend wurdest du schon vor dem Angriff im Dorf gesehen. Niemand hier weiß, wer du bist, oder warum du hier bist." Ich konnte es nicht fassen. Ich war eine Fremde, noch schlimmer, ein Feind und lag hier mitten unter den Verletzten und Sterbenden, die von meinem Volk oder was auch immer so zugerichtet wurden. Mit einem Mal kam ich mir unendlich einsam vor. "Es tut mir Leid. Das was meine Leute, oder wer auch immer, euch angetan haben. Wahrscheinlich habe ich den Tod verdient." Meine Tränen versiegten langsam. Ich konnte der Frau nicht länger in die Augen schauen, doch diese nahm meinen Kopf und drehte ihn zu sich. "Ich weiß wirklich nicht, wer du bist, aber du hast mein einziges Kind vor dem Tod bewahrt. Du hast dich bewusst gegen die Angreifer gewandt und auf unserer Seite gekämpft. Ich sehe dich nicht als unseren Feind an." Die Frau hatte einen entschlossen Gesichtsausdruck und stand auf. "Heute Abend werde ich dich wieder besuchen, ruh dich so lange aus. Ich versuche heraus zu finden, wer du bist. Vielleicht kann ich dir dann ein paar Fragen beantworten. Sie verließ das Zelt und ihre kleine Tochter, die an meinem Fußende schweigend zugehört hatte, setzte sich auf den freien Hocker. "Mama ist toll, oder? Sie auch deine Sprache gelernt als Kind, wie ich jetze. Ich bin Rinak und Mamas Name zeien Rujanda. Sie ein starker Soldat." Die Begeisterung des Mädchens stand im direkten Gegensatz zu der Umgebung. Wie konnte an einem solchen Ort so fröhlich sein? "Darfst du hier überhaupt bleiben, Rinak? Dies ist kein schöner Ort für Kinder." Rinak schüttelte ihre lange Mähne. "Mama sagen, ich soll lernen, wie Leben und Sterben ist, dann ich werde auch stark." Erneut kamen mir die Tränen und ich war froh, dass Rinak nach draußen gerufen wurde. Ich hätte weinen und schreien können, doch es kam mir mit einem mal alles so sinnlos vor. Erschöpft schlief ich ein. Ich hatte verwirrende Träume von unbekannten Menschen und Ereignisse, die ich nicht einordnen konnte. Ich hörte lautes Stimmengewirr. Ich wachte auf und stellte fest, dass ich diese Geräusche nicht nur geträumt hatte. Ich öffnete meine Augen und schaute in das wutentbrannte Gesicht eines Dämonenmannes in einer Rüstung. er hielt sein langes Schwert auf meinen Brustkorb gerichtet. Rujanda redeten aufgebracht auf ihn ein und hielt ihn zurück. "Lass sie in Ruhe, oder du wirst es bereuen! Sie steht unter meinem persönlichen Schutz!" der Mann spuckte ihr vor die Füße. Sie sprachen beide dämonisch. "Dein Schutz interessiert mich nicht, Weib! Wie kannst du unserem Feind helfen. Ich werde kurzen Prozess machen und damit bin ich noch gnädig!" Der mann hob sein Schwert zum Stechen und ich kniff die Augen zusammen. "Ich verlange einen Kampf!", schrie Rujanda. Der mann zögerte, zumindest spürte ich kein Schwert in meiner Brust. "Ich verlange, wie es das Gesetz sagt, einen Kampf, um mein Recht ein zu fordern!" Ich öffnete meine Augen. Eine ganze Menge Dämonen hatten sich versammelt und schauten dem Geschehen tuschelnd zu. Der Mann wurde rot vor Zorn. "ICH SCHEIß AUF DEIN RECHT1", schrie er und hob sein Schwert erneut. In der nächsten Sekunde sackte er kopflos zusammen. Rujandas Schwert glänzte rot. Ich war geschockt. Sie hatte den Mann geköpft, einfach so, ohne mit der Wimper zu zucken. Mit weit aufgerissen Augen starrte ich sie an. Sie hob ihre Hand und ein rotes Licht erschien. "Schlaf!" Und ich schlief. Ich wachte aus einem traumlosen Schlaf auf und fühlte mich matt. Nicht körperlich, sondern seelisch. Ich hatte den toten Mann nicht vergessen, auch wenn man alle Blutspuren beseitigt hatte. Rujanda saß neben mir. "Es tut mir Leid, dass du das mit ansehen musstest, aber so etwas wirst du wahrscheinlich noch öfter erleben." Sie sprach ganz leise. "Es tut mir Leid, Rujanda. Ich mache Ihnen nichts als ärger. Sie können mich doch nicht gegen alle hier verteidigen, lassen Sie den nächsten doch einfach gewähren, dann habe ich es hinter mir.", ich sagte es völlig emotionslos. Ich fühlte mich leer und kalt. Rujanda gab mir eine schallende Ohrfeige. Verblüfft hielt ich mir die pochende Wange. "Verdammt, so dankst du es mir? Indem du einfach aufgibst? Ich habe dein Leben nicht umsonst verteidigt! Du hast noch eine Aufgabe auf dieser Welt und so wie jeder andere auch, wirst du sie erfüllen. Dein Schicksal ist es ganz sicher nicht, hier zu enden!" Rujanda war völlig aufgebracht, während ich einfach nur verblüfft war. "Ich... Es tut mir Leid.", sagte ich nur. Rujanda seufzte und strich sich durch die Haare. "Was soll ich bloß mit dir machen?" Ich erwiderte nichts, doch ihre Ohrfeige hatte mich aufgeweckt. "Du musst schnell zu Kräften kommen, damit du dich selbst verteidigen kannst. man hat mir berichtet, dass du ein ganz beachtlichen Schutzschild zustande bringst. Das ist das Einzige, was dich momentan zu interessieren hat, verstanden?" Ich nickte. "Haben Sie irgendwas über mich herausgefunden?" Erneut seufzte die Dämonenfrau. "Hast du mir nicht zugehört? Du sollst zu Kräften kommen, alles andere ist erst einmal egal." Sie hatte also nichts herausgefunden. Die nächsten Tag verbrachte ich liegend in meiner Trage. Ab und zu schaute ein Heiler vorbei und behandelte mich schweigend. Die Dämonenfrauen in den roten Roben ignorierten mich völlig. Ohne die Besuche von Rujanda und Rinak wäre ich vor Einsamkeit wohl umgekommen. Ich beschwerte mich nicht, denn allein dass ich noch lebte, war eine viel zu freundliche Geste. Es fing an zu regnen. Die Frauen zogen ihre weißen Kapuzen über und bauten zum Schutz der Patienten lederne Überhänge über die Betten. Mich ließen sie natürlich aus und der Regen, der durch das Stoffzelt tropfte, ließ mich bis auf die Knochen nass werden. Rujanda hatte mir erzählt, dass ich einen Schutzschild zustande bringen konnte. Konnte ich mich dann nicht auch vor dem Regen schützen? Ich konzentrierte mich und fand in meinem Inneren dutzende Kammern, voll mit blauem Licht. Ich konnte auf sie zugreifen, aber ich wusste nicht, was ich damit machen sollte. "Was zur Hölle soll das?" Ein Mann betrat das Zelt. Der schwarzroten Robe nach zu Urteilen, ein Heiler. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen, aber es kamen sowieso immer verschiedene. "Wieso habt ihr für diese Patientin keine Überdachung errichtet?" Die Frauen schwiegen und der Mann fluchte. Er bückte sich und suchte Holzstangen für das Gestell zusammen. Geschickt hatte er es in kürzester Zeit zusammengebaut und über mein Bett errichtet. Er schaute kopfschüttelnd zu mir herunter. Ich zitterte am ganzen Leib und meine Zähne klapperten. "D-Danke.", sagte ich auf dämonisch. Der mann schwieg. Trotz der Kapuze konnte ich in sein Gesicht schauen. er war etwa Mitte 30 und hatte ungewöhnlicher weise braune Haare, was ich bei einem Dämonen noch nicht gesehen hatte. Ansonsten hatte er sämtliche dämonischen Merkmale, rote Augen, spitze Ohren, helle Haut. "Das Bett muss gewechselt werden und zieht ihr was Trockenes an! Meine Güte, wir heilen und bringen keinen um, verstanden?" Ein zustimmendes Gemurmel ertönte. Ein paar der älteren Frauen erledigten ihre Aufgabe schweigend und nicht gerade sanft. Ich wurde ruppig vom Bett gehoben, wobei jede Bewegung mir die Tränen in die Augen trieb, aber ich biss tapfer die Zähne zusammen. Die dicke Dämonenfrau, die mich trug, würdigte mich keines Blickes. Das Bett war fast fertig aufgebaut, als sich der Heiler erneut einmischte. "Das kann man sich ja nicht mit ansehen. Meine Damen, nun reißen Sie sich doch endlich mal zusammen. Das Kind hat doch keine ansteckende Krankheit!" Die Worte überhörten die Frauen natürlich. Genervt nahm mich der Heiler der dicken Frau ab und scheuchte die Frauen davon. Nicht sehr sanft, doch einigermaßen vorsichtig zog mich der Mann um. Es war mir sehr peinlich und ich konnte ihn nicht anschauen. Wieder in trockener Kleidung und warm zugedeckt seufzte ich erleichtert. So moralisch der Mann auch tat, ich merkte, dass auch er mich ein wenig verabscheute. Er konnte mich nicht anschauen und mit mir sprechen wollte er auch nicht. Rujanda erfuhr nichts von dem Vorfall. Bei ihrem Besuch gab ich mich wie immer. Sie hatte noch immer nichts über mich herausgefunden. Der Heiler kam immer wieder um nach allen zu schauen. Als einziger kümmerte er sich wirklich um jeden. Nachdem er mich behandelt hatte, in dem er mir mit geschlossenen Augen die Hand auf die Stirn legte und irgendwas magisches machte, was sich gut anfühlte, wendete er sich dem bandagierten Mann neben mir zu. Er legte auch ihm die Hand auf die Stirn. In den letzten Tagen hatte sich der Dämon immer mehr erholt, genau wie alle anderen auf dieser Seite, während es auf der anderen Seite des Zeltes immer ruhiger wurde und einer nach dem anderen fortgeschafft wurde. "Was machen Sie eigentlich?" Der Heiler blickte nicht auf. "Ihn heilen, was sonst?" "Und wie machen Sie das?" Der Mann schwieg eine Weile. "Ich ertaste mit meinem Geist seinen gesamten Körper und konzentriere mich auf die Wunden. Mittels Magie bringe ich die Knochen dazu, zusammen zu wachsen. Bei offenen Wunden ist es etwas schwieriger, denn man muss jedes Organ einzeln behandeln und dann die verschiedenen Hautschichten dazu bringen zusammen zu wachsen. Es ist eine äußerst komplizierte Kunst und verbraucht viel Magie, deshalb wird jeden Tag ein wenig mehr geheilt." Der Mann redete wie ein Lehrer, der einem begriffsstutziger Schüler versuchte etwas bei zu bringen. "Kann man das auch bei sich selbst?" - "Natürlich." "Und wieso heilt sich hier keiner selbst?" Der Mann schaute endlich auf. Seine Augen verengten sich misstrauisch. "Du scheinst nicht besonders viel von Magie zu wissen." - "Gar nichts, um genau zu sein.", gestand ich. Der heiler nahm die Hand von der Stirn des Mannes und kam wieder zu mir. "Diese Patienten brauchen ihre Magiereserven um sich am Leben zu halten." "Ich auch?" Ich kam mir vor, wie bei einem Frage- Antwort- Spiel. "Das weiß ich nicht so genau. Magier und Dämonen sind sich zwar Physisch sehr ähnlich aber wie es mit der Magie aussieht, weiß ich nicht." "Wenn sie es mir beibringen, kann ich mich vielleicht selber heilen." Der Heiler seufzte. "Wenn ich hier fertig bin, komme ich noch einmal zu dir. Ich bringe dir aber nur die Theorie bei, damit das klar ist." Ich nickte glücklich. Am Abend lehrte mich der Heiler, wie ich meine Magie nutzte, um bestimmte Körperteile zu manipulieren und positiv zu beeinflussen. Schon nach einer Stunde üben konnte ich mich aufrichten. "Eine erstaunliche Kraft, die du besitzt, Kleine. Mehr kann ich dir nicht beibringen. Ruh dich aus und spar deine Kräfte. Wenn es so weiter geht, kannst du in ein paar Tagen schon aufstehen." Mit einem zufriedenen Gesicht verließ der Mann das Zelt. Ich dachte garnicht daran mich aus zu ruhen. Jedes mal, wenn meine Magie ein wenig aufgebraucht war, konnte ich sie mit einer kleineren Reservekammer wieder füllen. es war wirklich ein Kinderspiel. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch erfrischt und kräftig schlug ich die Decke beiseite und stand auf, um im nächsten Moment wieder zusammen zu sacken. Vom vielen liegen waren meine Beine ganz schlapp geworden. Ich schickte einfach ein wenig Magie zu meinen Beinmuskeln und brachte sie so wieder auf trapp. Glücklicherweise war keine der rot gekleideten Frauen in der Nähe und ich konnte das Zelt ohne Probleme verlassen. Es war, der Dunkelheit nach zu urteilen, mitten in der Nacht. Ich befand mich am Rande einer kleinen Stadt, mit einem Gemisch an Stein- und Holzhäusern. An verschiedenen Häuserwänden hingen Fackeln, die den Weg spärlich beleuchteten. Ich streifte wahllos durch die Gegend und hielt mich dabei im Schatten. Nur wenige Dämonen waren noch unterwegs, aber ich wollte niemanden beunruhigen. Aus einer der Holzhütten zu meiner Rechten hörte ich laute Stimmen. Mir war, als hätte ich auch Rujandas Stimme vernommen. Ich hatte mich nicht geirrt. Durch das geöffnete Fenster konnte ich ihre Stimme nun deutlich hören. "Ich bin absolut dagegen! Sie hat doch ihr Gedächtnis verloren, das Ganze wäre doch völlig sinnlos!" - "Du lässt dich durch deine Gefühle blenden, Rujanda. Dieses Mädchen gehört zu unseren Feinden und Kriegsgefangene sollen dem General überstellt werden." Offenbar stritt sich Rujanda mit verschiedenen Männern um mich. Mir tat es wirklich Leid, dass ich ihr solche Probleme bereitete. "Fushikusu hat völlig recht, wir sollten das Kind dem General ausliefern." - "Damit er was tut? Sie zu Tode foltern? Das Mädchen weiß doch garnichts mehr, er kann absolut nichts aus ihr heraus quetschen." Ich hörte leises zustimmendes Gemurmel. "Sie wird sich erinnern. Vielleicht nicht jetzt, aber irgendwann erinnert sie sich und dann hasst sie uns, wie jeder andere Magier auch." Diesmal erscholl lauteres Gemurmel. Es hatte sich offenbar eine größere Menge an Dämonen versammelt. "Das werde ich nicht zulassen. Ich werde sie aufnehmen. Wenn sie unter uns aufwächst, wird sie uns einmal eine nützliche Spionin oder Waffe sein. Wir können sie zu unseren Gunsten ändern. Ich werde sie erziehen, wie meine eigene..." - "Tochter? Das wolltest du doch sagen, oder Rujanda? Merogu wäre jetzt in ihrem Alter, wenn er noch leben würde, nicht wahr?", mischte sich ein anderer Mann ein. "Du kannst deinen Sohn nicht durch sie ersetzen." Rujanda schwieg. Mein Herz klopfte laut. Diese Dämonen dort drinnen entschieden gerade über meine Zukunft und offenbar wollten sie, dass ich gefoltert und getötet werden sollte. "Ich will Merugo nicht ersetzen, niemand könnte seinen Platz einnehmen.", sagte Rujanda leise. "Dieses Kind könnte entscheidend für unsere Zukunft sein. Sie könnte den Verlauf des Krieges beeinflussen!" - "Wunschdenken! Sie ist nur ein Mädchen, was soll sie denn großartig machen können?" Rujanda lachte. "Du sagst es, Fuogeru. Sie ist nur ein Mädchen. Wie kann sie also eine Gefahr für uns darstellen?" Die Dämonen sprachen alle gleichzeitig los. Ich war es leid, ihnen zu zuhören. Ich würde früher oder später eh erfahren, was sie mit mir anstellen würden. Ich ging weiter. In der Mitte der Stadt saß eine kleinere Gruppe von Dämonen um ein Lagerfeuer. Sie bemerkten nicht einmal, dass ich mich zu ihnen gesellte und mich im Schatten hinter ihnen setzte. Ein junger Dämonenmann berichtete etwas atemlos. Er schien gerade von einer Reise zu kommen. "Ich habe ihn höchstpersönlich gesehen! Er hatte gerade einen alten Mann verhört. Der alte Magier war auf der kleinen Handelsstraße, ganz allein, dieser Trottel, Da haben unsere Männer zu geschlagen und ihm zum General gebracht." - "Ist er wirklich so stark, wie alle immer sagen?" Der junge Mann überlegte. "Äußerlich wirkte er nicht sehr kräftig, aber als ich sah, wie er den Alten mit nur einer Hand hoch hob, wurde ich schnell eines Besseren belehrt. Der General ist der mächtigste Dämon überhaupt, daran gibt es keinen Zweifel!" Zustimmendes Gemurmel. "Und was wurde aus dem Alten?" - "Keine Ahnung. Als ich ging, wurde er noch verhört. Wahrscheinlich wird der General ihn verfluchen und ihn seine Familie umbringen lassen. Der General kennt da kein Erbarmen." Leise erhob ich mich. Um mich herum geschahen so viele verwirrende Dinge, wie sollte ich da auch nur einen klaren Gedanken fassen können? Da ich nicht wusste, was ich machen sollte, entschied ich mich, wieder zurück ins Zelt zu gehen. Ohne auch nur das kleinste Geräusch zu verursachen, schlich ich zurück auf meine Liege. Keine Minute später stand Rujanda vor mir. Sie sah sehr müde und ziemlich erschöpft aus. "Ich habe gerade zusammen mit dem Ältestenrat darüber abgestimmt, was mit dir geschehen soll, Kleines." Ich wusste das natürlich. Rujandas trauriger Blick ließ nichts Gutes verheißen. "Was haben sie gesagt?", fragte ich und richtete mich auf. Überrascht schreckte Rujanda auf. "Geht es dir besser?" Ich nickte und lächelte sie zuversichtlich an. "Der Heiler hat mir gezeigt. wie ich mich heilen kann. Ich glaub, ich bin in dieser Hinsicht irgendwie begabt." Rujanda seufzte und hockte sich neben mich. Sie strich mir sanft über die Wange. Ich genoss nach so viel Ablehnung, diese mütterliche Geste. "Das ist sehr gut. Wir müssen nämlich gehen. Sofort." Verwirrt schaute ich in Rujandas ernstes Gesicht. "Gehen? Wohin?" Hinter Rujanda tauchte ihre Tochter Rinak auf. Sie trug einen großen, schwarzen Umhang mit Kapuze und hatte, dem Bündel unter ihrem Arm und dem Rucksack auf ihrem Rücken nach zu Urteilen, schon für die Reise gepackt. "Wir werden nach Nowaran gehen, ich habe dort ein Haus und Freunde, wir werden dich bei uns aufnehmen." Ich war verblüfft. "Und was ist mit dem Ältestenrat? Haben sie dem zugestimmt?" Rujanda schüttelte leicht ihren Kopf. "Sie konnten mir nur versprechen, erst einmal nichts dem General zu melden. Sollte dieser aber hier auftauchen und nach dir fragen, werden sie nicht für dich lügen." Ich konnte die Dankbarkeit, die für diese Dämonenfrau empfand nicht in Worte fassen. Rujanda stand Ruckartig auf und ihr Gesicht strotzte nur vor Selbstvertrauen. "Kannst du aufstehen?" Sie reichte mir ihre Hand, die ich dankend ablehnte. Leichtfüßig sprang ich auf die Beine und lächelte über ihr überraschtes Gesicht. Die Dämonen um uns herum mieden unsere Blicke. Niemand schien auch nur Notiz von diesem kleinen "Verrat" nehmen zu wollen. Ich bekam ebenfalls einen schwarzen Mantel und einen Rucksack mit verschieden Habseligkeiten. Keine Stunde später saßen wir in einer Kutsche, die von zwei zierlichen, schwarzen Pferden gezogen wurden. Ihrer Statur nach zu Urteilen, wunderte es mich, dass sie sich überhaupt von der Stelle bewegen konnten, doch diese Pferde schlugen ein Tempo an, dass einfach unglaublich war. Während dieser Reise sprach Rujanda nur sehr selten. Sie wirkte nervös und schaute sich ständig nach allen Seiten um. Rinak hatte sich vertrauensselig an mich geschmiegt und schlief fest. Ihr Vertrauen ehrte mich. Nach einigen Stunden schlummerte ich ebenfalls ein. Die Sonne ging gerade auf, als wir Nowaran erreichten. "Wir sind da!", weckte mich Rujanda. Tatsächlich stand die Kutsche vor einem großem, hellem Fachwerkhaus. Es sah sehr einladend aus, mit den dunkelbraunen Fensterläden und den schönen Blumen vor den Fenstern. Das, was ich im Zwielicht von der Stadt sah, schien genauso einladend zu sein. Um mich herum ragten mehrstöckige Häuser, im gleichem Stil, wie Rujandas Haus gebaut, entlang einer grob gepflasterten kleinen Seitenstraße. "Kommt schnell rein!", begrüßte uns eine pummelige, kleine Dämonenfrau, in einer typischen Hausmädchen Kleidung. Irgendwie wirkte ein pummeliger Dämon auf mich unwirklich, denn es schien, als wären den Dämonen die Schönheit von Natur aus in die Wiege gelegt worden. Die kleine Frau war zwar nicht "hübsch" im eigentlichen Sinne, doch sie strahlte eine unglaubliche Wärme und Güte aus. Rujanda nahm mir die noch immer schlafende Rinak ab und reichte sie wortlos an die kleine Frau weiter. Sie half mir aus der Kutsche und sofort sprang ein zierlicher, kleiner Dämonenjunge herbei und führte die Pferde in einen Stall, der sich offenbar im Hinterhof befand. Das Innere des Hauses, war genauso gemütlich, wie sein Äußeres vermuten ließ. Ein großer Kamin sorgte für behagliche Wärme und die ganze Einrichtung wirkte auf mich irgendwie mittelalterlich. Ich mochte diesen Ort sofort. Rujanda zog ihren Mantel aus und setzte sich an den großen Holztisch, in der Mitte des Raumes. Aus einem Nebenzimmer kam die pummelige Dämonenfrau zusammen mit einem weißem, zierlichen Mädchen herein. Das Mädchen hielt ihren Kopf gesenkt. Überrascht starrte ich sie an. Dieses Wesen war sicher kein Dämon, so viel stand fest. Es war eher das Gegenteil. Sie hatte unnatürlich helle, weiße Haare und trug ein zerschlissenes, aber sauberes weißes Kleid, das auf mich wie ein Nachthemd wirkte. Fast hätte ich das Mädchen für einen Geist gehalten, hätte sie nicht Rujandas Mantel an sich genommen. Sie stakste auf mich zu und blieb in einem höflichen Abstand zu mir stehen. Offenbar wartete sie auf etwas. Sie schaute endlich einmal auf und ihre Augenfarbe überraschte mich. Sie hatte rote Augen, doch aus einem mir unbekannten Grund, hatte ich erwartet, dass sie golden waren. Wieso nur? "Darf ich Ihren Mantel entgegen nehmen?", flüsterte das Mädchen auf dämonisch und senkte wieder ihr hübsches Gesicht. Sie war vielleicht ein, zwei Jahre jünger als ich und schien mir sehr abgemagert. An ihrem rechten Handgelenk befand sich ein klobiges Eisenarmband mit verschiedenen Symbolen darauf. Ich fing an zu begreifen. Langsam zog ich meinen Mantel aus und überreichte ihn vorsichtig dem Kind. Die Kleine wuselte flink und geräuschlos davon. "Setz dich, Kleines.", sagte Rujanda sanft und ich gehorchte. Die pummelige Frau musterte mich neugierig, als ich mich neben Rujanda setze. "Dies ist Machari, meine Haushälterin und treueste Dienerin. Machari, dies ist..." Rujanda kannte natürlich meinen Namen nicht, genauso wenig, wie ich selbst. Machari lächelte sanft. "Ihre Botschaft ist bei mir angekommen, Herrin. Ich weiß, dass das Mädchen ihr Gedächtnis verloren hat. Wollen Sie ihr keinen Namen geben, dann ist es doch leichter, sich zu verständigen, nicht wahr?" Rujanda schaute mich fragend an. Ich nickte aufgeregt. "Würdest du das wirklich für mich tun?" Rujanda kratze sich verlegen am Kopf und wurde rot. "Also, wenn du darauf bestehst, ich hätte da schon einen Namen. Wie gefällt dir "Meru"?" Traurig schaute ich auf meine Hände und auch Machari schien peinlich berührt. Ich hatte das Gespräch mit dem Ältestenrat belauscht und so erfahren, dass Rujandas verstorbener Sohn Merugo hieß. "Was ist? Gefällt dir der Name nicht?" Ich lächelte und schob meine Bedenken beiseite. "Doch, er ist sehr schön, vielen Dank, Rujanda." Das weiße Mädchen tauchte mucksmäuschenstill aus einem Nebenraum wieder auf und kniete sich im Türrahmen auf den Boden. Sie sagte nichts, tat nichts, außer mit gesenktem Kopf da knien. Die beiden Frauen schien es nicht zu stören. "Rujanda?" - "Was ist?" Ich starrte das Mädchen an. "Wer ist das Mädchen da und warum kauert sie so in der Ecke, kommt sie nicht mit an den Tisch?" Die beiden Frauen starrten mich erst verblüfft an und brachen dann in schallendes Gelächter aus. Verwirrt schaute ich von einer zur anderen. "Was ist denn los?" Rujanda fing sich als erste. "Nein, so etwas darf nicht am Tisch sitzen. Das ist "Mi", sie ist nur ein Mischling." Rujanda sagte dies in einem Ton, als wäre damit alles geklärt. "Ein Mischling? Inwiefern?" Wieder folgte eine verdutze Pause. "Ich vergaß,", seufzte Rujanda und rieb sich die Stirn, "du hast ja alles vergessen. Also, sie ist ein Mischling, zwischen einem Magier und einer Dämonenfrau. Ist doch logisch, dass eine solch groteske Verbindung nicht geduldet wird und wenn dann noch ein Kind geboren wird, ist das die größte Schande, die ein Dämon auf sich laden kann. Diese widerlichen Wesen, können froh sein, dass wir sie am Leben lassen. Die Magier sind da herzloser, die bringen sie sofort um." Ich war vollkommen entsetzt. Meinte Rujanda das etwa ernst? So, wie sie sprach, offensichtlich schon. "Mi! Lass das Badewasser für die Herrin ein!" Das Mädchen verbeugte sich und verschwand. Die stimme der Haushälterin triefte nur so vor Abscheu, dass es mich fast erschreckte. "Was hat sie getan, dass Sie so mit ihr schimpfen, Machari?", fragte ich leise und nahm dankend die Tasse mit warmen Tee von ihr an. Machari zog eine Augenbraue hoch. "Was meinst du Meru?" Ich schüttelte den Kopf. "Es ist nichts, Verzeiht." Die beiden Frauen redeten über einige häusliche Angelegenheiten, während ich an meinem Tee nippte und schweigend zuhörte. Die Sonne war bereits gänzlich aufgegangen, als Machari mich die Treppe hinauf, in mein neues Zimmer führte. "Es ist nichts besonderes, aber ich hoffe, du fühlst dich wie zu Hause." Ihre warmen Worte nahm ich dankend an. Das Zimmer war recht klein, aber so gemütlich, wie der Rest des Hauses. Das weiche Bett war eine wunderbare Abwechslung, zu der harten Liege, auf der ich die letzten Wochen geschlafen hatte. Das Fenster direkt neben dem Bett ermöglichte mir einen Ausblick auf die Stadt, in der sich die Dämonen jetzt tummelten. Machari zog die dunklen Vorhänge zu und wünschte mir einen guten Schlaf. In meinem Kopf hörte ich die undeutliche Stimme eines kleinen Jungen, dann fiel ich in einen tiefen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)